Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite
Wittwe und Jungfrau.


Ueber Sarajewo fliegt ein Falke,
Suchet Kühle, um sich abzukühlen.
Findet eine Tann' in Sarajewo,
Drunter einen Born mit frischem Wasser,
An dem Born die Wittwe Hyazinthe,
Und die duft'ge, jungfräuliche Rose.
Sann der Falke, alles wohl bedenkend,
Ob die Wittwe Hyazinth' er küsse,
Oder ob die jungfräuliche Rose?
Aber sinnend kam er zum Entschlusse,
Und sprach also zu sich selber leise:
"Gold ist mehr werth, wenn auch abgetragen.
Mehr als Silber, wenn auch neu geschmiedet."
Und er küßt die Wittwe Hyazinthe.
Zürnend spricht die jungfräuliche Rose:
"Sarajewo! Unheil soll Dich treffen!
Weil der böse Brauch in Dir begonnen,
Daß die Jünglinge die Wittwen lieben,
Und die greisen Greise schöne Jungfrauen!" --


Wittwe und Jungfrau.


Ueber Sarajewo fliegt ein Falke,
Suchet Kühle, um sich abzukühlen.
Findet eine Tann' in Sarajewo,
Drunter einen Born mit frischem Wasser,
An dem Born die Wittwe Hyazinthe,
Und die duft'ge, jungfräuliche Rose.
Sann der Falke, alles wohl bedenkend,
Ob die Wittwe Hyazinth' er küsse,
Oder ob die jungfräuliche Rose?
Aber sinnend kam er zum Entschlusse,
Und sprach also zu sich selber leise:
„Gold ist mehr werth, wenn auch abgetragen.
Mehr als Silber, wenn auch neu geschmiedet.“
Und er küßt die Wittwe Hyazinthe.
Zürnend spricht die jungfräuliche Rose:
„Sarajewo! Unheil soll Dich treffen!
Weil der böse Brauch in Dir begonnen,
Daß die Jünglinge die Wittwen lieben,
Und die greisen Greise schöne Jungfrauen!“ —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0073" n="7"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Wittwe und Jungfrau</hi>.</hi> </hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg>
              <l><hi rendition="#in">U</hi>eber Sarajewo fliegt ein Falke,</l><lb/>
              <l>Suchet Kühle, um sich abzukühlen.</l><lb/>
              <l>Findet eine Tann' in Sarajewo,</l><lb/>
              <l>Drunter einen Born mit frischem Wasser,</l><lb/>
              <l>An dem Born die Wittwe Hyazinthe,</l><lb/>
              <l>Und die duft'ge, jungfräuliche Rose.</l><lb/>
              <l>Sann der Falke, alles wohl bedenkend,</l><lb/>
              <l>Ob die Wittwe Hyazinth' er küsse,</l><lb/>
              <l>Oder ob die jungfräuliche Rose?</l><lb/>
              <l>Aber sinnend kam er zum Entschlusse,</l><lb/>
              <l>Und sprach also zu sich selber leise:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Gold ist mehr werth, wenn auch abgetragen.</l><lb/>
              <l>Mehr als Silber, wenn auch neu geschmiedet.&#x201C;</l><lb/>
              <l>Und er küßt die Wittwe Hyazinthe.</l><lb/>
              <l>Zürnend spricht die jungfräuliche Rose:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Sarajewo! Unheil soll Dich treffen!</l><lb/>
              <l>Weil der böse Brauch in Dir begonnen,</l><lb/>
              <l>Daß die Jünglinge die Wittwen lieben,</l><lb/>
              <l>Und die greisen Greise schöne Jungfrauen!&#x201C; &#x2014;</l>
            </lg>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0073] Wittwe und Jungfrau. Ueber Sarajewo fliegt ein Falke, Suchet Kühle, um sich abzukühlen. Findet eine Tann' in Sarajewo, Drunter einen Born mit frischem Wasser, An dem Born die Wittwe Hyazinthe, Und die duft'ge, jungfräuliche Rose. Sann der Falke, alles wohl bedenkend, Ob die Wittwe Hyazinth' er küsse, Oder ob die jungfräuliche Rose? Aber sinnend kam er zum Entschlusse, Und sprach also zu sich selber leise: „Gold ist mehr werth, wenn auch abgetragen. Mehr als Silber, wenn auch neu geschmiedet.“ Und er küßt die Wittwe Hyazinthe. Zürnend spricht die jungfräuliche Rose: „Sarajewo! Unheil soll Dich treffen! Weil der böse Brauch in Dir begonnen, Daß die Jünglinge die Wittwen lieben, Und die greisen Greise schöne Jungfrauen!“ —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/73
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/73>, abgerufen am 24.11.2024.