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Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

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bald ein anderer, ferner nächtlicher Wandrer das Echo bil-
det, ertönen diese merkwürdigen Gesänge. Der Jüngling
hört sie vom Greise, und singt als Greis sie dem Jünglinge.
Ob sie vor Jahrhunderten gedichtet, ob gestern erfunden, ist
höchstens am Inhalt, fast nie an der Form zu erkennen.

Die poetische Empfänglichkeit und Schöpfungskraft
scheint über die serbischen Lande ziemlich gleichmäßig verbreitet
zu seyn. Denn wenn die Heldenlieder meist aus Boßnien,
der Herzegowina, Montenegro und den südlichen Gränzgebir-
gen Serbiens stammen; die Produktivität sich aber nach Nord-
osten zu verliert, bis in den östreichischen Provinzen sich die
Gusle, ein eintöniges, den recitativischen Vortrag begleiten-
des Instrument, fast ausschließlich in den Händen von Blin-
den und Bettlern befindet; so gebiert dafür die wachsende und
abendländische Cultur, die rohe Thatkraft, wie den Sinn
dafür, unterdrückend, in Sirmien, dem Banat und der
Batschka die zartern Empfindungen, welche Frauen und
Jünglingen, bald in lieblich-gehaltnen, bald in leidenschaft-
lichen Klängen von den Lippen tönen. Hier in den Dör-
fern,
und allenfalls noch in den boßnischen Städten sind
die kleinern Lieder, welche wir mittheilen, zu Hause. In den
Städten der obengenannten Provinzen sind sie bereits von
andern, neumodischen, verdrängt, und Opernarien mögen
hier, wie bey uns, ihr Recht behaupten. Daß übrigens auch
dem gebildetem Serben der Sinn für seine Nationalpoesie
nicht gebricht, bezeugt das lange Namensverzeichniß von
Männern, Frauen und Fräulein, die das Unternehmen des
Herausgebers, aus dessen großer Sammlung wir unsre kleine
entlehnten, unterstützt. Fürst Milosch steht an ihrer Spitze,
und hat zur eignen Ehre sowohl, wie der seines Volkes, es
kräftigst gefördert.

Außer den Sagen der Vorzeit sind es besonders die Be-
gebenheiten des letzten Krieges, die Thaten der Führer und

bald ein anderer, ferner nächtlicher Wandrer das Echo bil-
det, ertönen diese merkwürdigen Gesänge. Der Jüngling
hört sie vom Greise, und singt als Greis sie dem Jünglinge.
Ob sie vor Jahrhunderten gedichtet, ob gestern erfunden, ist
höchstens am Inhalt, fast nie an der Form zu erkennen.

Die poetische Empfänglichkeit und Schöpfungskraft
scheint über die serbischen Lande ziemlich gleichmäßig verbreitet
zu seyn. Denn wenn die Heldenlieder meist aus Boßnien,
der Herzegowina, Montenegro und den südlichen Gränzgebir-
gen Serbiens stammen; die Produktivität sich aber nach Nord-
osten zu verliert, bis in den östreichischen Provinzen sich die
Gusle, ein eintöniges, den recitativischen Vortrag begleiten-
des Instrument, fast ausschließlich in den Händen von Blin-
den und Bettlern befindet; so gebiert dafür die wachsende und
abendländische Cultur, die rohe Thatkraft, wie den Sinn
dafür, unterdrückend, in Sirmien, dem Banat und der
Batschka die zartern Empfindungen, welche Frauen und
Jünglingen, bald in lieblich-gehaltnen, bald in leidenschaft-
lichen Klängen von den Lippen tönen. Hier in den Dör-
fern,
und allenfalls noch in den boßnischen Städten sind
die kleinern Lieder, welche wir mittheilen, zu Hause. In den
Städten der obengenannten Provinzen sind sie bereits von
andern, neumodischen, verdrängt, und Opernarien mögen
hier, wie bey uns, ihr Recht behaupten. Daß übrigens auch
dem gebildetem Serben der Sinn für seine Nationalpoesie
nicht gebricht, bezeugt das lange Namensverzeichniß von
Männern, Frauen und Fräulein, die das Unternehmen des
Herausgebers, aus dessen großer Sammlung wir unsre kleine
entlehnten, unterstützt. Fürst Milosch steht an ihrer Spitze,
und hat zur eignen Ehre sowohl, wie der seines Volkes, es
kräftigst gefördert.

Außer den Sagen der Vorzeit sind es besonders die Be-
gebenheiten des letzten Krieges, die Thaten der Führer und

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[XLV/0065] bald ein anderer, ferner nächtlicher Wandrer das Echo bil- det, ertönen diese merkwürdigen Gesänge. Der Jüngling hört sie vom Greise, und singt als Greis sie dem Jünglinge. Ob sie vor Jahrhunderten gedichtet, ob gestern erfunden, ist höchstens am Inhalt, fast nie an der Form zu erkennen. Die poetische Empfänglichkeit und Schöpfungskraft scheint über die serbischen Lande ziemlich gleichmäßig verbreitet zu seyn. Denn wenn die Heldenlieder meist aus Boßnien, der Herzegowina, Montenegro und den südlichen Gränzgebir- gen Serbiens stammen; die Produktivität sich aber nach Nord- osten zu verliert, bis in den östreichischen Provinzen sich die Gusle, ein eintöniges, den recitativischen Vortrag begleiten- des Instrument, fast ausschließlich in den Händen von Blin- den und Bettlern befindet; so gebiert dafür die wachsende und abendländische Cultur, die rohe Thatkraft, wie den Sinn dafür, unterdrückend, in Sirmien, dem Banat und der Batschka die zartern Empfindungen, welche Frauen und Jünglingen, bald in lieblich-gehaltnen, bald in leidenschaft- lichen Klängen von den Lippen tönen. Hier in den Dör- fern, und allenfalls noch in den boßnischen Städten sind die kleinern Lieder, welche wir mittheilen, zu Hause. In den Städten der obengenannten Provinzen sind sie bereits von andern, neumodischen, verdrängt, und Opernarien mögen hier, wie bey uns, ihr Recht behaupten. Daß übrigens auch dem gebildetem Serben der Sinn für seine Nationalpoesie nicht gebricht, bezeugt das lange Namensverzeichniß von Männern, Frauen und Fräulein, die das Unternehmen des Herausgebers, aus dessen großer Sammlung wir unsre kleine entlehnten, unterstützt. Fürst Milosch steht an ihrer Spitze, und hat zur eignen Ehre sowohl, wie der seines Volkes, es kräftigst gefördert. Außer den Sagen der Vorzeit sind es besonders die Be- gebenheiten des letzten Krieges, die Thaten der Führer und

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Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. XLV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/65>, abgerufen am 28.11.2024.