wöge. Lasse man die Jugend sich auf dem Turnplatz austoben. Dies ist besser, als wenn sie, wie es jetzt überall geschieht, in Wirthshäusern u. s. w. sich herum- treibt, Kräfte und Säfte vergeudet, statt sie auf dem Wettplan der Jugend zu stählen, den Muth in männ- lichen Uebungen und Entbehrung und in der Selbstbe- herrschung zu zeigen, als in den Rauf- und Saufduellen der Feigheit und der Schmach. Wir staunen die Vor- zeit an, wir stehen immer wieder und wieder vor den Bildern der Helden, vor den großen Charakteren der Antiken, wir können ihr Leben nicht genug betrachten, aber kehren wir in das Leben und die Gegenwart zu- rück, so ist die Begeisterung weg, und wir sind so nüchtern und dumm wie vorher. Können wir uns denn noch nicht überzeugen, daß es eine gesunde Seele in einem gesunden Leibe war, die fortwährende geistige und körperliche Arbeit und Bewegung, der nie unterbrochene Fluß des geistigen und leiblichen Lebens und das Fest- wurzeln und Stehen im eigenen, heimischen und vater- ländischen Boden, was jene großen und starken Charakter bildete und prägte? Ein Perikles, Sokrates und Plato waren Turner eben so in geistiger wie leiblicher Arbeit. Jst Metternich etwa größer als Perikles, Schelling und Hegel höher und geistiger als Sokrates und Plato, weil sie nicht leiblich geturnt? Oder ist Herr von Kamptz ein größerer Gesetzgeber als Solon, weil er das Turnen in den Bann that und über die Turner das Jnterdict ver- hängte? Oder hat Hufeland die menschliche Natur mehr ergründet als Hypocrates? Möchten wir doch mehr die Alten lesen, um Nutzen daraus zu schöpfen, als zu weibischem Kitzel und Reiz. Aber wir stehen vor diesem Spiegel der That und der Kraft, ohne Bewußt- sein uuserer selbst, unserer Kleinheit, und daß sie, wie schon Sallust sagt, uns zur Nacheiferung entflammen sollen. Und kehren wir dem Spiegel den Rücken, so wissen wir nichts mehr, wie ein Mensch, der sich im Spiegel besehen nicht mehr weiß, wie er gestaltet, so er von ihm weggegangen.
wöge. Laſſe man die Jugend ſich auf dem Turnplatz austoben. Dies iſt beſſer, als wenn ſie, wie es jetzt überall geſchieht, in Wirthshäuſern u. ſ. w. ſich herum- treibt, Kräfte und Säfte vergeudet, ſtatt ſie auf dem Wettplan der Jugend zu ſtählen, den Muth in männ- lichen Uebungen und Entbehrung und in der Selbſtbe- herrſchung zu zeigen, als in den Rauf- und Saufduellen der Feigheit und der Schmach. Wir ſtaunen die Vor- zeit an, wir ſtehen immer wieder und wieder vor den Bildern der Helden, vor den großen Charakteren der Antiken, wir können ihr Leben nicht genug betrachten, aber kehren wir in das Leben und die Gegenwart zu- rück, ſo iſt die Begeiſterung weg, und wir ſind ſo nüchtern und dumm wie vorher. Können wir uns denn noch nicht überzeugen, daß es eine geſunde Seele in einem geſunden Leibe war, die fortwährende geiſtige und körperliche Arbeit und Bewegung, der nie unterbrochene Fluß des geiſtigen und leiblichen Lebens und das Feſt- wurzeln und Stehen im eigenen, heimiſchen und vater- ländiſchen Boden, was jene großen und ſtarken Charakter bildete und prägte? Ein Perikles, Sokrates und Plato waren Turner eben ſo in geiſtiger wie leiblicher Arbeit. Jſt Metternich etwa größer als Perikles, Schelling und Hegel höher und geiſtiger als Sokrates und Plato, weil ſie nicht leiblich geturnt? Oder iſt Herr von Kamptz ein größerer Geſetzgeber als Solon, weil er das Turnen in den Bann that und über die Turner das Jnterdict ver- hängte? Oder hat Hufeland die menſchliche Natur mehr ergründet als Hypocrates? Möchten wir doch mehr die Alten leſen, um Nutzen daraus zu ſchöpfen, als zu weibiſchem Kitzel und Reiz. Aber wir ſtehen vor dieſem Spiegel der That und der Kraft, ohne Bewußt- ſein uuſerer ſelbſt, unſerer Kleinheit, und daß ſie, wie ſchon Salluſt ſagt, uns zur Nacheiferung entflammen ſollen. Und kehren wir dem Spiegel den Rücken, ſo wiſſen wir nichts mehr, wie ein Menſch, der ſich im Spiegel beſehen nicht mehr weiß, wie er geſtaltet, ſo er von ihm weggegangen.
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wöge. Laſſe man die Jugend ſich auf dem Turnplatz
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treibt, Kräfte und Säfte vergeudet, ſtatt ſie auf dem
Wettplan der Jugend zu ſtählen, den Muth in männ-
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herrſchung zu zeigen, als in den Rauf- und Saufduellen
der Feigheit und der Schmach. Wir ſtaunen die Vor-
zeit an, wir ſtehen immer wieder und wieder vor den
Bildern der Helden, vor den großen Charakteren der
Antiken, wir können ihr Leben nicht genug betrachten,
aber kehren wir in das Leben und die Gegenwart zu-
rück, ſo iſt die Begeiſterung weg, und wir ſind ſo
nüchtern und dumm wie vorher. Können wir uns denn
noch nicht überzeugen, daß es eine geſunde Seele in
einem geſunden Leibe war, die fortwährende geiſtige und
körperliche Arbeit und Bewegung, der nie unterbrochene
Fluß des geiſtigen und leiblichen Lebens und das Feſt-
wurzeln und Stehen im eigenen, heimiſchen und vater-
ländiſchen Boden, was jene großen und ſtarken Charakter
bildete und prägte? Ein Perikles, Sokrates und Plato
waren Turner eben ſo in geiſtiger wie leiblicher Arbeit.
Jſt Metternich etwa größer als Perikles, Schelling und
Hegel höher und geiſtiger als Sokrates und Plato, weil
ſie nicht leiblich geturnt? Oder iſt Herr von Kamptz ein
größerer Geſetzgeber als Solon, weil er das Turnen in
den Bann that und über die Turner das Jnterdict ver-
hängte? Oder hat Hufeland die menſchliche Natur mehr
ergründet als Hypocrates? Möchten wir doch mehr die
Alten leſen, um Nutzen daraus zu ſchöpfen, als
zu weibiſchem Kitzel und Reiz. Aber wir ſtehen vor
dieſem Spiegel der That und der Kraft, ohne Bewußt-
ſein uuſerer ſelbſt, unſerer Kleinheit, und daß ſie, wie
ſchon Salluſt ſagt, uns zur Nacheiferung entflammen
ſollen. Und kehren wir dem Spiegel den Rücken, ſo
wiſſen wir nichts mehr, wie ein Menſch, der ſich im
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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/88>, abgerufen am 16.02.2025.
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