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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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Weise eingeübt werden sollen, und den trägen Geistern,
die am liebsten in der Schlafmütze der Zopfzeit und des
Schlendrians, Herkommen genannt, die Gegenwart ver-
dämmern, um zu keinem Fortschritt gezwungen zu wer-
den, ein Wecker gesetzt worden, -- so müssen wir uns
doch eben so sehr verwundern, daß die Großherzoglich
Hessen-Darmstädtische Regierung -- so viel uns bewußt --
für die turnerische Ausbildung des Soldaten bis jetzt gar
nichts gethan hat. Sie hat nunmehr die Nothwendigkeit
und Verbindlichkeit des Turnwesens für die Schulen
anerkannt und ausgesprochen, aber hierbei sich wiederum
an die deutsche Hoffnung und Geduld gewandt, indem
sie in der Sache noch nichts thun, vielmehr das Turnwesen
vorläufig seiner eigenen Entwickelung überlassen will.
Wir hatten uns schon der freudigen Hoffnung überlassen,
daß sie festen Fuß fassen und dann auch in Beziehung
des Kriegswesens einen Fortschritt thun wolle. Aber das
ist der Fluch, daß in Deutschland nichts Ganzes ge-
schehen kann. Vor dem vielen Denken haben wir das
Thun, vor der Theorie die Praxis vergessen.

Gehen wir nun noch zu den Unteroffizieren und
Offizieren über, so erscheint diese Nothwendigkeit zu
turnen in noch höherm Grade. Sehen wir von den
besondern staatlichen "Exercier-Reglements" ab, so ist
gewiß, wenn auch der Unteroffizier beim Einüben der
Soldaten nicht willkürlich verfahren kann und darf, daß
doch auf die Art und Weise des Einübens sehr viel
ankommt; ferner daß es eine Menge vorbereitende
Uebungen gibt, die im "Exereier-Reglement" nicht stehen.
Dürfen diese auch nicht auf dem "Exercierplatze" geübt
werden, so bleibt es einem freundlich gesinnten Unter-
offizier und Lieutenant doch unbenommen, den steifen
Rekruten dieselben zur freiwilligen Einübung in den
Freistunden anzugeben und zu empfehlen. Dadurch wird
nicht nur dem Soldaten, sondern auch dem Unteroffizier
selber die Arbeit bedeutend erleichtert. Aber es gibt noch
einen bedeutendern Nutzen. Viele Unteroffiziere wie

Jahrb. d. Turnkunst. II. 3

Weiſe eingeübt werden ſollen, und den trägen Geiſtern,
die am liebſten in der Schlafmütze der Zopfzeit und des
Schlendrians, Herkommen genannt, die Gegenwart ver-
dämmern, um zu keinem Fortſchritt gezwungen zu wer-
den, ein Wecker geſetzt worden, — ſo müſſen wir uns
doch eben ſo ſehr verwundern, daß die Großherzoglich
Heſſen-Darmſtädtiſche Regierung — ſo viel uns bewußt —
für die turneriſche Ausbildung des Soldaten bis jetzt gar
nichts gethan hat. Sie hat nunmehr die Nothwendigkeit
und Verbindlichkeit des Turnweſens für die Schulen
anerkannt und ausgeſprochen, aber hierbei ſich wiederum
an die deutſche Hoffnung und Geduld gewandt, indem
ſie in der Sache noch nichts thun, vielmehr das Turnweſen
vorläufig ſeiner eigenen Entwickelung überlaſſen will.
Wir hatten uns ſchon der freudigen Hoffnung überlaſſen,
daß ſie feſten Fuß faſſen und dann auch in Beziehung
des Kriegsweſens einen Fortſchritt thun wolle. Aber das
iſt der Fluch, daß in Deutſchland nichts Ganzes ge-
ſchehen kann. Vor dem vielen Denken haben wir das
Thun, vor der Theorie die Praxis vergeſſen.

Gehen wir nun noch zu den Unteroffizieren und
Offizieren über, ſo erſcheint dieſe Nothwendigkeit zu
turnen in noch höherm Grade. Sehen wir von den
beſondern ſtaatlichen „Exercier-Reglements“ ab, ſo iſt
gewiß, wenn auch der Unteroffizier beim Einüben der
Soldaten nicht willkürlich verfahren kann und darf, daß
doch auf die Art und Weiſe des Einübens ſehr viel
ankommt; ferner daß es eine Menge vorbereitende
Uebungen gibt, die im „Exereier-Reglement“ nicht ſtehen.
Dürfen dieſe auch nicht auf dem „Exercierplatze“ geübt
werden, ſo bleibt es einem freundlich geſinnten Unter-
offizier und Lieutenant doch unbenommen, den ſteifen
Rekruten dieſelben zur freiwilligen Einübung in den
Freiſtunden anzugeben und zu empfehlen. Dadurch wird
nicht nur dem Soldaten, ſondern auch dem Unteroffizier
ſelber die Arbeit bedeutend erleichtert. Aber es gibt noch
einen bedeutendern Nutzen. Viele Unteroffiziere wie

Jahrb. d. Turnkunſt. II. 3
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[49/0053] Weiſe eingeübt werden ſollen, und den trägen Geiſtern, die am liebſten in der Schlafmütze der Zopfzeit und des Schlendrians, Herkommen genannt, die Gegenwart ver- dämmern, um zu keinem Fortſchritt gezwungen zu wer- den, ein Wecker geſetzt worden, — ſo müſſen wir uns doch eben ſo ſehr verwundern, daß die Großherzoglich Heſſen-Darmſtädtiſche Regierung — ſo viel uns bewußt — für die turneriſche Ausbildung des Soldaten bis jetzt gar nichts gethan hat. Sie hat nunmehr die Nothwendigkeit und Verbindlichkeit des Turnweſens für die Schulen anerkannt und ausgeſprochen, aber hierbei ſich wiederum an die deutſche Hoffnung und Geduld gewandt, indem ſie in der Sache noch nichts thun, vielmehr das Turnweſen vorläufig ſeiner eigenen Entwickelung überlaſſen will. Wir hatten uns ſchon der freudigen Hoffnung überlaſſen, daß ſie feſten Fuß faſſen und dann auch in Beziehung des Kriegsweſens einen Fortſchritt thun wolle. Aber das iſt der Fluch, daß in Deutſchland nichts Ganzes ge- ſchehen kann. Vor dem vielen Denken haben wir das Thun, vor der Theorie die Praxis vergeſſen. Gehen wir nun noch zu den Unteroffizieren und Offizieren über, ſo erſcheint dieſe Nothwendigkeit zu turnen in noch höherm Grade. Sehen wir von den beſondern ſtaatlichen „Exercier-Reglements“ ab, ſo iſt gewiß, wenn auch der Unteroffizier beim Einüben der Soldaten nicht willkürlich verfahren kann und darf, daß doch auf die Art und Weiſe des Einübens ſehr viel ankommt; ferner daß es eine Menge vorbereitende Uebungen gibt, die im „Exereier-Reglement“ nicht ſtehen. Dürfen dieſe auch nicht auf dem „Exercierplatze“ geübt werden, ſo bleibt es einem freundlich geſinnten Unter- offizier und Lieutenant doch unbenommen, den ſteifen Rekruten dieſelben zur freiwilligen Einübung in den Freiſtunden anzugeben und zu empfehlen. Dadurch wird nicht nur dem Soldaten, ſondern auch dem Unteroffizier ſelber die Arbeit bedeutend erleichtert. Aber es gibt noch einen bedeutendern Nutzen. Viele Unteroffiziere wie Jahrb. d. Turnkunſt. II. 3

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/53>, abgerufen am 03.05.2024.