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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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I.
Einleitung.


"Betrachtet und würdiget man die Turnkunst an
sich selbst, abgesehen von der hellenischen Gymnastik, so
muß man mit Bewunderung anerkennen, daß ihr in der
kurzen Zeit von einigen Jahren eine vielseitige Gestaltung
und außerordentliche Ausbildung zu Theil geworden, und
daß, falls sie sich einer gemeinsamen nationalen Pflege
und Begünstigung zu erfreuen gehabt hätte, durch ihre
Wirkung viel Großes und Schönes in Betreff der Er-
starkung der jungen Geschlechter hätte geleistet werden
können. Sie würde auch ohne die gymnische Eigenthüm-
lichkeit der hellenischen Gymnastik fähig sein, zu voll-
bringen, was bereits Jahn als Zweck und Ziel derselben
sehr bestimmt und treffend aufgestellt hat. "Die Turn-
kunst soll die verloren gegangene Gleichmäßigkeit der
menschlichen Bildung wiederherstellen, der blos einseitigen
Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen, der
Ueberfeinerung in der wiedergewonnenen Mannlichkeit
das nothwendige Gleichgewicht geben, und im jugendlichen
Zusammenleben den ganzen Menschen umfassen und er-
greifen." Um aber ein solches Ziel zu erreichen, müßte
die Turnkunst erst nationale Geltung gewinnen, sie müßte
auf dem Boden des Volkes frische Wurzeln schlagen und
zu einem volksthümlichen Jnstitut werden, wie es die
Gymnastik der Griechen war: sie müßte Pflege und

Jahrb. d. Turnkunst. II. 1
I.
Einleitung.


Betrachtet und würdiget man die Turnkunſt an
ſich ſelbſt, abgeſehen von der helleniſchen Gymnaſtik, ſo
muß man mit Bewunderung anerkennen, daß ihr in der
kurzen Zeit von einigen Jahren eine vielſeitige Geſtaltung
und außerordentliche Ausbildung zu Theil geworden, und
daß, falls ſie ſich einer gemeinſamen nationalen Pflege
und Begünſtigung zu erfreuen gehabt hätte, durch ihre
Wirkung viel Großes und Schönes in Betreff der Er-
ſtarkung der jungen Geſchlechter hätte geleiſtet werden
können. Sie würde auch ohne die gymniſche Eigenthüm-
lichkeit der helleniſchen Gymnaſtik fähig ſein, zu voll-
bringen, was bereits Jahn als Zweck und Ziel derſelben
ſehr beſtimmt und treffend aufgeſtellt hat. „Die Turn-
kunſt ſoll die verloren gegangene Gleichmäßigkeit der
menſchlichen Bildung wiederherſtellen, der blos einſeitigen
Vergeiſtigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen, der
Ueberfeinerung in der wiedergewonnenen Mannlichkeit
das nothwendige Gleichgewicht geben, und im jugendlichen
Zuſammenleben den ganzen Menſchen umfaſſen und er-
greifen.“ Um aber ein ſolches Ziel zu erreichen, müßte
die Turnkunſt erſt nationale Geltung gewinnen, ſie müßte
auf dem Boden des Volkes friſche Wurzeln ſchlagen und
zu einem volksthümlichen Jnſtitut werden, wie es die
Gymnaſtik der Griechen war: ſie müßte Pflege und

Jahrb. d. Turnkunſt. II. 1
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[[1]/0005] I. Einleitung. „Betrachtet und würdiget man die Turnkunſt an ſich ſelbſt, abgeſehen von der helleniſchen Gymnaſtik, ſo muß man mit Bewunderung anerkennen, daß ihr in der kurzen Zeit von einigen Jahren eine vielſeitige Geſtaltung und außerordentliche Ausbildung zu Theil geworden, und daß, falls ſie ſich einer gemeinſamen nationalen Pflege und Begünſtigung zu erfreuen gehabt hätte, durch ihre Wirkung viel Großes und Schönes in Betreff der Er- ſtarkung der jungen Geſchlechter hätte geleiſtet werden können. Sie würde auch ohne die gymniſche Eigenthüm- lichkeit der helleniſchen Gymnaſtik fähig ſein, zu voll- bringen, was bereits Jahn als Zweck und Ziel derſelben ſehr beſtimmt und treffend aufgeſtellt hat. „Die Turn- kunſt ſoll die verloren gegangene Gleichmäßigkeit der menſchlichen Bildung wiederherſtellen, der blos einſeitigen Vergeiſtigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen, der Ueberfeinerung in der wiedergewonnenen Mannlichkeit das nothwendige Gleichgewicht geben, und im jugendlichen Zuſammenleben den ganzen Menſchen umfaſſen und er- greifen.“ Um aber ein ſolches Ziel zu erreichen, müßte die Turnkunſt erſt nationale Geltung gewinnen, ſie müßte auf dem Boden des Volkes friſche Wurzeln ſchlagen und zu einem volksthümlichen Jnſtitut werden, wie es die Gymnaſtik der Griechen war: ſie müßte Pflege und Jahrb. d. Turnkunſt. II. 1

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/5>, abgerufen am 29.03.2024.