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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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lehrer sich über sein Amt und seine Wirksamkeit freu-
en können. Jetzt kann er es nicht. Doch darüber
ein ander Mal.

Völlig unbegreiflich aber ist uns die Anklage:
die Einbildungen, "die früher mit der Turnerei ver-
bunden waren, sind noch gefährlicher." Das erkläre
uns ein Klügerer. Was auch früher mit der Turn-
sache verbunden oder von ihr ausgeschlossen war, gilt
für die Gegenwart als zu Grabe getragen. Mag es
löblich sein und scheinen, die Tugenden der Väter die
Kinder noch genießen zu lassen, so ist es aber nur
das Amt eines Teufels, die Jrrthümer der Väter noch
an den Kindern heimzusuchen.

Doch finis coronat opus! Unser Jahrhundert
braucht mentem sanam in corpore sano, aber
keine Athleten." Wir erfahren hier so ganz von un-
gefähr, was der gelehrte Verfasser unter Athleten ver-
steht; es sind junge Leute, die ihre Arme am meisten
ausbilden, wodurch jene gerügte schlechte Haltung er-
zeugt wird. Hier tritt die Unwissenheit des Verfassers
in ihrem vollen Glanze auf. Mit dem athletenmäßi-
gen Ausbilden der Arme ist zugleich die athletenmä-
ßige Ausbildung des Rumpfes verbunden, wie an den
neumodischen Herkulesen zu ersehen, welche allerdings
sich so einseitig der körperlichen Uebungen befleißigen,
wie der Verfasser "allen Turnern" vorwirft. Wenn
er aber ganz einfach "Athleten" sagt, so kennen wir
nur die antike Bedeutung dieses Wortes, ein Mensch,
der die allseitigste Ausbildung seines Körpers über
das Maß der Schönheit hinaus zum Gegenstande sei-
nes Lebens und Strebens macht. Ueber die Bildung
der Athleten und ihre Uebungen mag sich der Ver-
fasser in Dr. Krause's Agonistikon der Griechen
und Römer eines Bessern und Gründlichern belehren.

So scheint der Angriff des Vehmrichters auf
nichts gestellt gewesen zu sein. Und doch liegt der An-
klage ein bedeutendes Etwas zum Grunde, was der Ver-
fasser, sei es aus Böswilligkeit oder aus Unverstand,

lehrer ſich über ſein Amt und ſeine Wirkſamkeit freu-
en können. Jetzt kann er es nicht. Doch darüber
ein ander Mal.

Völlig unbegreiflich aber iſt uns die Anklage:
die Einbildungen, „die früher mit der Turnerei ver-
bunden waren, ſind noch gefährlicher.“ Das erkläre
uns ein Klügerer. Was auch früher mit der Turn-
ſache verbunden oder von ihr ausgeſchloſſen war, gilt
für die Gegenwart als zu Grabe getragen. Mag es
löblich ſein und ſcheinen, die Tugenden der Väter die
Kinder noch genießen zu laſſen, ſo iſt es aber nur
das Amt eines Teufels, die Jrrthümer der Väter noch
an den Kindern heimzuſuchen.

Doch finis coronat opus! Unſer Jahrhundert
braucht mentem sanam in corpore sano, aber
keine Athleten.“ Wir erfahren hier ſo ganz von un-
gefähr, was der gelehrte Verfaſſer unter Athleten ver-
ſteht; es ſind junge Leute, die ihre Arme am meiſten
ausbilden, wodurch jene gerügte ſchlechte Haltung er-
zeugt wird. Hier tritt die Unwiſſenheit des Verfaſſers
in ihrem vollen Glanze auf. Mit dem athletenmäßi-
gen Ausbilden der Arme iſt zugleich die athletenmä-
ßige Ausbildung des Rumpfes verbunden, wie an den
neumodiſchen Herkuleſen zu erſehen, welche allerdings
ſich ſo einſeitig der körperlichen Uebungen befleißigen,
wie der Verfaſſer „allen Turnern“ vorwirft. Wenn
er aber ganz einfach „Athleten“ ſagt, ſo kennen wir
nur die antike Bedeutung dieſes Wortes, ein Menſch,
der die allſeitigſte Ausbildung ſeines Körpers über
das Maß der Schönheit hinaus zum Gegenſtande ſei-
nes Lebens und Strebens macht. Ueber die Bildung
der Athleten und ihre Uebungen mag ſich der Ver-
faſſer in Dr. Krauſe’s Agonistikon der Griechen
und Römer eines Beſſern und Gründlichern belehren.

So ſcheint der Angriff des Vehmrichters auf
nichts geſtellt geweſen zu ſein. Und doch liegt der An-
klage ein bedeutendes Etwas zum Grunde, was der Ver-
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[137/0141] lehrer ſich über ſein Amt und ſeine Wirkſamkeit freu- en können. Jetzt kann er es nicht. Doch darüber ein ander Mal. Völlig unbegreiflich aber iſt uns die Anklage: die Einbildungen, „die früher mit der Turnerei ver- bunden waren, ſind noch gefährlicher.“ Das erkläre uns ein Klügerer. Was auch früher mit der Turn- ſache verbunden oder von ihr ausgeſchloſſen war, gilt für die Gegenwart als zu Grabe getragen. Mag es löblich ſein und ſcheinen, die Tugenden der Väter die Kinder noch genießen zu laſſen, ſo iſt es aber nur das Amt eines Teufels, die Jrrthümer der Väter noch an den Kindern heimzuſuchen. Doch finis coronat opus! Unſer Jahrhundert braucht mentem sanam in corpore sano, aber keine Athleten.“ Wir erfahren hier ſo ganz von un- gefähr, was der gelehrte Verfaſſer unter Athleten ver- ſteht; es ſind junge Leute, die ihre Arme am meiſten ausbilden, wodurch jene gerügte ſchlechte Haltung er- zeugt wird. Hier tritt die Unwiſſenheit des Verfaſſers in ihrem vollen Glanze auf. Mit dem athletenmäßi- gen Ausbilden der Arme iſt zugleich die athletenmä- ßige Ausbildung des Rumpfes verbunden, wie an den neumodiſchen Herkuleſen zu erſehen, welche allerdings ſich ſo einſeitig der körperlichen Uebungen befleißigen, wie der Verfaſſer „allen Turnern“ vorwirft. Wenn er aber ganz einfach „Athleten“ ſagt, ſo kennen wir nur die antike Bedeutung dieſes Wortes, ein Menſch, der die allſeitigſte Ausbildung ſeines Körpers über das Maß der Schönheit hinaus zum Gegenſtande ſei- nes Lebens und Strebens macht. Ueber die Bildung der Athleten und ihre Uebungen mag ſich der Ver- faſſer in Dr. Krauſe’s Agonistikon der Griechen und Römer eines Beſſern und Gründlichern belehren. So ſcheint der Angriff des Vehmrichters auf nichts geſtellt geweſen zu ſein. Und doch liegt der An- klage ein bedeutendes Etwas zum Grunde, was der Ver- faſſer, ſei es aus Böswilligkeit oder aus Unverſtand,

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/141>, abgerufen am 24.11.2024.