St. Galler Volksblatt. Nr. 4, Uznach, 14. 01. 1891.Uznach, Mittwoch No 4. den 14. Januar 1891. St. Galler-Volksblatt. Publikationsorgan der Bezirke See und Gaster. Obligatorisch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eschenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetschwil, Gommiswald. [Spaltenumbruch] Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adresse in der Schweiz [Spaltenumbruch] [Abbildung] 36. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Insertionsgebühr für den Seebezirk und Gaster (ohne Vermittlung der [Spaltenumbruch] Erscheint Mittwoch und Samstag. [Spaltenumbruch]
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Druck und Verlag von K. Oberholzer's Buchdruckerei.
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[Spaltenumbruch] Wöchentl. Gratisbeilage: "Linth-Blätter". [Spaltenumbruch] Gegen den gemeinsamen Feind. In der Nachbarrepublik Frankreich hatte vor Jahren der Der Gambetta ist zwar gestorben (so liberal wie er gelebt); "Ich bin ein Esel und will getreu Wie meine Väter, die alten, An der alten lieben Eselin Und am Schwindelthum halten." Anläßlich der luzernischen Verfassungsabstimmung vom Wir möchten den Mahnruf des konservativen Zentralorgans Wir müssen uns aufraffen im neuen Jahr, denn wir haben Proportionalvertretung, die Initiative und Die liberale "Neue Zürch. Zeitg." klagte in einem recht Bismarck ließ neulich im Gespräche mit einigen Besuchern Eine gute Vorbedeutung für den ausgebrochenen Kampf Es kommt der Opposition der neuere Volksgeist selbst zu Ja gottlob, sie sind anders geworden! Vor 40 Jahren Das neue Jahr zu neuer That! Die Luzerner und die Eidgenössisches. -- Vom Anarchistenprozeß zu Capolago (Tessin) erhält Der Sozialistenkongreß, der auf den 11. Januar angesagt Es nahmen an dem Kongreß 84 Abgeordnete theil, die Während der drei Tage wohnten sie daselbst im Gasthaus Heute, 6. Januar, begaben sich verschiedene Theilnehmer Die Sitzungen waren sehr lang; gestern Abend dauerte -- Republikanisch-gemüthlich hat Herr Alt-Bundesrath -- Eidg. Feldpost. Aus dem Berichte des Herrn Haupt- Uznach, Mittwoch No 4. den 14. Januar 1891. St. Galler-Volksblatt. Publikationsorgan der Bezirke See und Gaſter. Obligatoriſch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eſchenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetſchwil, Gommiswald. [Spaltenumbruch] Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz [Spaltenumbruch] [Abbildung] 36. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Inſertionsgebühr für den Seebezirk und Gaſter (ohne Vermittlung der [Spaltenumbruch] Erſcheint Mittwoch und Samſtag. [Spaltenumbruch]
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Druck und Verlag von K. Oberholzer’s Buchdruckerei.
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[Spaltenumbruch] Wöchentl. Gratisbeilage: „Linth-Blätter“. [Spaltenumbruch] Gegen den gemeinſamen Feind. In der Nachbarrepublik Frankreich hatte vor Jahren der Der Gambetta iſt zwar geſtorben (ſo liberal wie er gelebt); „Ich bin ein Eſel und will getreu Wie meine Väter, die alten, An der alten lieben Eſelin Und am Schwindelthum halten.“ Anläßlich der luzerniſchen Verfaſſungsabſtimmung vom Wir möchten den Mahnruf des konſervativen Zentralorgans Wir müſſen uns aufraffen im neuen Jahr, denn wir haben Proportionalvertretung, die Initiative und Die liberale „Neue Zürch. Zeitg.“ klagte in einem recht Bismarck ließ neulich im Geſpräche mit einigen Beſuchern Eine gute Vorbedeutung für den ausgebrochenen Kampf Es kommt der Oppoſition der neuere Volksgeiſt ſelbſt zu Ja gottlob, ſie ſind anders geworden! Vor 40 Jahren Das neue Jahr zu neuer That! Die Luzerner und die Eidgenöſſiſches. — Vom Anarchiſtenprozeß zu Capolago (Teſſin) erhält Der Sozialiſtenkongreß, der auf den 11. Januar angeſagt Es nahmen an dem Kongreß 84 Abgeordnete theil, die Während der drei Tage wohnten ſie daſelbſt im Gaſthaus Heute, 6. Januar, begaben ſich verſchiedene Theilnehmer Die Sitzungen waren ſehr lang; geſtern Abend dauerte — Republikaniſch-gemüthlich hat Herr Alt-Bundesrath — Eidg. Feldpoſt. Aus dem Berichte des Herrn Haupt- <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="1"/> <titlePage xml:id="tp1a" type="heading" next="#tp1b"> <docImprint> <docDate xml:id="dd1a" next="#dd1b">Uznach, Mittwoch</docDate> <hi rendition="#b">N<hi rendition="#sup">o</hi> 4.</hi> <docDate xml:id="dd1b" prev="#dd1a">den 14. 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Gratisbeilage: <hi rendition="#b">„Linth-Blätter“.</hi> </p> </div><lb/> </front> <body> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Gegen den gemeinſamen<lb/> Feind.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>In der Nachbarrepublik Frankreich hatte vor Jahren der<lb/> Diktator Gambetta die Feinde einer konſervativen Staats-<lb/> verwaltung bekanntlich unter der heuchleriſchen Formel geeinigt:<lb/><hi rendition="#aq">«Le cléricalisme — voilà l’ennemi!»</hi> was auf deutſch<lb/> etwa heißt: des Landes ſchlimmſter Feind iſt die Herrſchaft des<lb/> Pfaffenthums. St. Gallen’s einſtiger Gambetta, der alte Dr.<lb/> Weder, gebrauchte nur eine andere Formel, wenn er in den<lb/> 50er und 60er Jahren den damals noch allzuleicht dem Partei-<lb/> kniffe zugänglichen Proteſtanten und liberalen Katholiken den<lb/> „Jeſuit im Gütterli“ zeigte und ihnen Gänſehaut verurſachte.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Der</hi> Gambetta iſt zwar geſtorben (ſo liberal wie er gelebt);<lb/><hi rendition="#g">die</hi> Gumbetta aber leben fort in Frankreich und der Schweiz<lb/> und bethören mit dem Böllimann des „Klerikalismus“ und<lb/> Pietismus unbefangene Seelen, gibt es doch immer noch der<lb/> liberalen Eidgenoſſen unerfahrnen Sinnes genug, auf die Heim’s-<lb/> derber Vierzeiler paßt:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Ich bin ein Eſel und will getreu</l><lb/> <l>Wie meine Väter, die alten,</l><lb/> <l>An der alten lieben Eſelin</l><lb/> <l>Und am Schwindelthum halten.“</l> </lg><lb/> <p>Anläßlich der luzerniſchen Verfaſſungsabſtimmung vom<lb/> vorletzten Sonntag laſen wir im „Vaterland“ folgenden bündigen<lb/> Mahn- und Warnzeddel an das konſervative Luzernervolk:<lb/> „Brüder reicht die Hand zum Bunde!“ tönt es gegenwärtig<lb/> von der (radikalen) Stadt aus. <hi rendition="#g">Reformer</hi>, welche die Gott-<lb/> heit Chriſti leugnen, und <hi rendition="#g">altkatholiſche Sektirer</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Geheimbündler</hi> ſtrengen ſich an, durch maſſenhafte Aufrüfe,<lb/> welche namenlos auf’s Land wandern, das vom katholiſchen,<lb/> poſitiv chriſtlichen Glauben durchdrungene Luzerner Volk zum<lb/> Diener der Kirchenfeinde herabzuwürdigen. <hi rendition="#g">Erhebet euch,<lb/> ihr treu geſinnten Katholiken und ſetzt die Heuchler<lb/> vor die Thüre!</hi>“</p><lb/> <p>Wir möchten den Mahnruf des konſervativen Zentralorgans<lb/> an alle ſchweizeriſchen Katholiken und poſitiv gläubigen Proteſtan-<lb/> ten, an alle unabhängigen Liberal-Demokraten, kurz an alle Volk<lb/> und Freiheit über die Parteiherrſchaft ſetzenden Miteidgenoſſen<lb/> richten. Der glaubensloſe, bürokratiſche, intolerante, die Rechte der<lb/> Kantone und der Konfeſſionen mit Füßen tretende Radikalismus —<lb/><hi rendition="#g">das iſt der Feind!</hi> Das abgelaufene Jahr und insbeſondere die<lb/> Dezemberſeſſion der Bundesverſammlung — Teſſinerei — Bundes-<lb/> rathswahlen — haben den Feind, den Radikalismus, in ſeiner<lb/> ganzen Wolfsnatur enthüllt. Das iſt ja das liberale Wohlfahrts-<lb/> prinzip, ſagte die „Berner Volksztg.“ bezüglich des Luzerner<lb/> Gewaltradikalismus, am Ruder zu ſein, und wenn es durch<lb/> das Volk uud die geſetzlichen Mittel nicht geht, ſoll Gewalt<lb/> das „eidgenöſſiſche Aufſehen“, wie der radikale Hofſtiel neueſtens<lb/> heißt, helfen. Weh’, wenn ſolche Leute die Oberhand ge-<lb/> wännen! — Das „Wehe“ iſt da! Dieſer Radikalismus, beim<lb/> Volke in Minderheit, hat — man weiß unter welcher Mithülfe<lb/> von Wahlkünſten — die Oberhand im oberſten Landesrath.<lb/> Nicht die Volksmehrheit iſt „ſouverän“, ſondern dieſer Radika-<lb/> lismus iſt Souverän; er herrſcht im Nationalrath, im Bundes-<lb/> rath, im Bundesgericht, alle andern Parteien ſind ausgeſchloſſen —<lb/> er herrſcht allein, ausſchließlich. Sollten wir uns nicht zu<lb/> geſchloſſener Oppoſition einen gegen <hi rendition="#g">den</hi> Liberalismus, wie er ſich<lb/> im Teſſin und in der Bundesverſammlung gezeigt, an dem<lb/> das Blut des unſchuldig Gemordeten klebt und das Brandmal<lb/> der Brutalität und grundſätzlicher Ausſchließlichkeit?</p><lb/> <p>Wir müſſen uns aufraffen im neuen Jahr, denn wir haben<lb/> es, wie eine mehr als vierzigjährige Erfahrung lehrt, mit einer<lb/> völlig untraktabeln Partei zu thun, die uns aus freien Stücken<lb/> nie, <hi rendition="#g">nie</hi> etwas gibt. Mit Nadelſtichen blos werden wir einem<lb/> ſolchen Gegner nicht abtrotzen; man muß den Stier endlich bei den<lb/> Hörnern nehmen, mit parlamentariſchen Zuckerbrödchen richtet<lb/> man in Bern nichts aus.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Proportionalvertretung,</hi> die <hi rendition="#g">Initiative</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Wahl des Bundesrathes durch das Volk</hi> — das muß<lb/> unſer Ziel in der eidgenöſſiſchen Politik ſein, und von dieſem<lb/> Ziele wollen wir nicht abgehen, bis es erreicht iſt. Ein Abge-<lb/> ordneter mehr oder weniger in den Nationalrath ſoll für uns<lb/> keine Kapitalfrage ſein; Hauptpunkte der eidgenöſſiſchen Politik ſind<lb/> von nun an: die Zähigkeit in unſerer Oppofition, die Sammlung<lb/> der Oppoſitionselemente und die Feſtigkeit in der Durchführung<lb/> unſeres Progammes.</p><lb/> <p>Die liberale „Neue Zürch. Zeitg.“ klagte in einem recht<lb/> düſtern Sylveſter-Artikel: „Es iſt eigenthümlich, daß, je mehr<lb/> der Bundesſtaat erſtarkt und die Zentralmacht wächst, um ſo<lb/> mehr der gemeineidgenöſſiſche Sinn ſich abſchwächt.“ Aber trotz<lb/> dieſer gewiß höchſt betrübenden Erfahrung hat die „gemäßigt-li-<lb/> berale“ Fraktion, deren Organ die „N. Zrch.-Ztg. iſt, noch<lb/> ſtets mit vollen Backen in die Segel geblaſen, welche das Staats-<lb/><cb/> ſchiff in den Hafen der alleinſeligmachenden <hi rendition="#g">Zentraliſation</hi><lb/> bugſiren ſollten. Es iſt doch jene Partei voll guter Vorſätze<lb/> und Entſchlüſſe <hi rendition="#g">ohne entſprechende Thaten;</hi> jene Partei,<lb/> von der das neue „Soloth.-Blatt“ ſchreibt: „Es gibt eine <hi rendition="#g">Mittel-<lb/> partei</hi> im Schweizerlande, welcher das radikale Treiben zu-<lb/> wider iſt. Sie hat den Glauben noch nicht verloren und ſie<lb/> wird ihn auch ſchwerlich verlieren. Sie verurtheilte ſo ſcharf<lb/> wie wir die unerhörte Jämmerlichkeit, mit welcher die Teſſiner<lb/> Angelegenheit in die Hand genommen wurde; ſie ſprach ſich ent-<lb/> ſchieden gegen die Ausſchließlichkeit bei den eidgenöſſiſchen Bundes-<lb/> rathswahlen aus. Aber bei dieſen feierlichen Proteſten ließ ſie<lb/> es bewenden, und wenn ſie mit der rechten Hand die Wunde<lb/> geſchlagen hatte, hielt ſie in der linken ſchon Pflaſter und Balſam<lb/> bereit. Sie will den Pelz waſchen ohne ihn naß zu machen,<lb/> ſie haut der Katze den Schwanz ab, aber ja nicht ganz, mehr<lb/> oder weniger, bald am äußerſten Endchen, bald etwas tiefer hi-<lb/> nein. Es liegt etwas zweifelhaft Schwächliches in dieſer Mittel-<lb/> partei, es ſind klägliche Geſellen, ſie haben keine Zähne mehr<lb/> zum Beißen, nur noch Pfötchen, um dem ſie gründlich verach-<lb/> tenden Radikalismus je nach Bedürfniß die Kaſtanien aus dem<lb/> Feuer zu holen. Aber ſie merken es nicht.“ — Wahrlich, es<lb/> gibt neben dieſen hinfälligen „liberalen“ Hampelmännern auch<lb/> viele <hi rendition="#g">Katholiken</hi>, die nie geſcheidt werden, nicht einmal in<lb/> der erſten Viertelſtunde ihres 40. Jahres, wo ſie geſcheidt werden<lb/> können, wenn ſie den richtigen Moment nicht verpaſſen, wie man<lb/> es von den Schwaben ſagt. Sie wollen nicht klug werden, und<lb/> handeln demnach verrätheriſch im eigenen Lager.</p><lb/> <p>Bismarck ließ neulich im Geſpräche mit einigen Beſuchern<lb/> die Worte fallen: „Wo man hackt, da fallen Spähne. Man<lb/> kann keine Eierkuchen machen, ohne Eier zu zerſchlagen.“ Das<lb/> ſollten ſich endlich die Leute mit guten Vorſätzen und lahmen<lb/> Handlungen merken. Und unſere parlamentariſchen Führer im<lb/> Bund und den Kantonen deßgleichen. Die zeitgenöſſiche Geſchichte<lb/> unſeres Landes ſollte doch jeden Konſervativen beider Konfeſſionen<lb/> die Lehre eingeprägt haben, daß die konſervative Partei vom eid-<lb/> genöſſiſchen Parlament in Bern, das nachgerade die ſchärfere<lb/> Tonart des Jakobinerthums anzunehmen pflegt, <hi rendition="#g">nichts zu<lb/> hoffen hat,</hi> ſondern daß wir uns unbedenklich auf’s Volk ſtützen<lb/> müſſen, an dem der Bann des Freimaurerthums wirkungslos<lb/> abprallt. Daher das verzweifelte Stemmen des Radikalismus<lb/> im Bundespalaſt gegen die <hi rendition="#g">Volksinitiative,</hi> die bezeichnende<lb/> Furcht jener Partei vor dem Volke (auch in den kantonalen<lb/> Rathſälen — man denke an St. Gallen!); der Syſtemslibe-<lb/> ralismus fürchtet das Volk in deſſen Beſtrebungen, deſſen Wünſche<lb/> und ſelbſt deſſen Entſcheiden.</p><lb/> <p>Eine gute Vorbedeutung für den ausgebrochenen Kampf<lb/> gegen die exkluſive Parteiherrſchaft der Loge und des Radikal-<lb/> ismus erblicken wir auch darin, daß ſich auch im Nationalrathe<lb/> die demokratiſche Morgenröthe erhebt. Jawohl, wenn nicht Alles<lb/> täuſcht, iſt die radikale Lohnsherrlichkeit in ihrer Allmacht durch<lb/> den Geiſt der Unabhängigkeit ſeiner ehemaligen Vaſallen<lb/> bedroht. Die <hi rendition="#aq">enſants terribles</hi> jener Sturmglocke der ſo-<lb/> zialen Frage, die Curti, Locher, Vogelſanger, Scherrer-Fülle-<lb/> mann, Riſch ꝛc., zwar ſchwach nach der Zahl, aber ſtark durch<lb/> den Glauben und den Nimbus der neuen Ideen haben ein ge-<lb/> wiſſes moraliſches Gewicht in der Kammer erlangt und im Ver-<lb/> trauen auf dasſelbe ſchälen ſie ſich allmälig vom radikalen<lb/> Stamme los, um die Oppoſition in volksrechtlichen und wirth-<lb/> ſchaftlichen Fragen noch zu verſtärken.</p><lb/> <p>Es kommt der Oppoſition der neuere Volksgeiſt ſelbſt zu<lb/> Hülfe. Anläßlich der ſtarken verwerfenden Mehrheit des Aar-<lb/> gauiſchen Volkes an der Schuldentrieb-Geſetz-Abſtimmung vom<lb/> 17. Nov. 1889 ſchrieb man der bekannten „N. Zrch.-Ztg.“<lb/> aus dem Aargau: ... „Je mehr die Herren für eine Sache<lb/> reden, deſto mißtrauiſcher wird das Volk. Sodann hat man<lb/> gelernt, daß es auch in den reformirten Bezirken nicht mehr<lb/> verfängt, die ſchwarze Flagge („Jeſuit im Gütterli“) herauszu-<lb/> hängen, mit der früher bei ähnlichen Anläßen ſo handlich „ge-<lb/> wepft“ wurde. Die Zeiten ſind anders geworden.“</p><lb/> <p>Ja gottlob, ſie ſind anders geworden! Vor 40 Jahren<lb/> noch und darüber fürchtete man auf konſervativer und „ariſto-<lb/> kratiſcher Seite die Volksſuveränität faſt als etwas Revolutio-<lb/> näres, Staatsgefährliches. Baumgartner ſchrieb im „Schweizer-<lb/> ſpiegel“ u. A.: Vor der Abſtimmung über den Entwurf von<lb/> 1848 leitete Furcht und Sorge vor der Abſtimmung ſo manche<lb/> Schritte, und es hieß hie und da geradezu, man könne un-<lb/> möglich den Bock zum Gärtner machen laſſen.“ — Es war die<lb/> Zeit, wo die proteſtantiſchen Volkskreiſe faſt ausſchließlich noch<lb/> am Gängelbande des Liberalismus geführt wurden.</p><lb/> <p>Das neue Jahr zu neuer That! Die Luzerner und die<lb/> Freiburger-Radikalen fordern mit nakten Worten zur <hi rendition="#g">Revo-<lb/> lution</hi> auf, als die „erſte der Pflichten“, wenn man ihnen<lb/> nach 30 Jahren des Kampfes in Freiburg (Luzern) und Bern<lb/> jede Gerechtigkeit (und jedes Recht zur Gewaltthat a la Teſſiner<lb/> Red.) verweigern und ihnen die Thüre im eigenen Kanton und<lb/><cb/> in Bern zuſchlage.“ Die Katholiken verabſcheuen den gewalt-<lb/> ſamen Umſturz einer rechtmäßigen Regierung als eines der<lb/> größten Verbrechen. Wir ſtreben dahin nicht nach dem Sturz<lb/> des herrſchenden Regiments auf dem Wege der Gewalt: aber<lb/> auf dem Wege der <hi rendition="#g">geſetzlichen Mittel</hi>. Uns hat man,<lb/> nach 40 Jahren Kampfes Recht und Gerechtigkeit verweigert,<lb/> uns hat man bei gleichen konſtitutionellen Rechten, die Gleich-<lb/> ſtellung im behördlichen Organismus verweigert, Verfaſſung und<lb/> Geſetze hat man konſequent <hi rendition="#g">gegen</hi> uns ausgelegt. Von nun<lb/> an ſoll Krieg ſein zwiſchen uns und dem Radikalismus, bis<lb/> wir <hi rendition="#g">Gerechtigkeit</hi> und <hi rendition="#g">Gleichberechtigung</hi> erlangt.“<lb/> Das ſoll der Schwur aller Katholiken, aller Konſervativen, aller<lb/> demokratiſch denkenden Schweizerbürger ſein. „In der Politik“,<lb/> ſagt Guizot, „kann man nicht den Gefühlsmenſchen ſpielen, man<lb/> muß einzig den Erfolg — mit rechtlichen Mitteln — im Auge<lb/> haben. Das ſoll im begonnenen Jahr Hauptprogramm unſeres<lb/> politiſchen Pflichtenhaftes ſein. — Wenn ſich die revolutionären<lb/> Elemente der Sozialdemokratie im Bunde und des Radikalismus<lb/> in den konſervativen Kantonen zu verbrecheriſchen Anſchlägen<lb/> einigen, wenn uns die Thüre zur Gleichſtellung der politiſchen<lb/> Gerechtigkeit beharrlich verſchloſſen bleibt, dann iſt es an der<lb/> konſervativen Führerſchaft, den Entſcheidungskampf in das Volk<lb/> zu verlegen und die Streitaxt nicht mehr ruhen zu laſſen bis<lb/> der Sieg der gerechten Sache entſchieden iſt. „Nur der Starke<lb/> wird das Schickſal zwingen, wenn der Schwächling unterſinkt.“</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Eidgenöſſiſches.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>— <hi rendition="#b">Vom Anarchiſtenprozeß zu Capolago (Teſſin)</hi> erhält<lb/> die „N. Z. Ztg.“ folgenden Bericht ihres Korreſpondenten:</p><lb/> <p>Der Sozialiſtenkongreß, der auf den 11. Januar angeſagt<lb/> war und angeblich in Lugano ſtattfinden ſollte, iſt bereits ab-<lb/> gehalten worden, und zwar am 4., 5. und 6. Januar in Ca-<lb/> polago. Ich konnte mit einem Kollegen an demſelben theil-<lb/> nehmen, jedoch nur gegen das Verſprechen, erſt nach Ablauf des<lb/> Kongreſſes die Beſchlüſſe, die gefaßt wurden, bekannt zu machen.<lb/> Heute dürfen wir nun ſprechen und will ich Ihnen ins Ein-<lb/> zelne gehenden Bericht über die Verſammlung geben.</p><lb/> <p>Es nahmen an dem Kongreß 84 Abgeordnete theil, die<lb/> aus allen Gegenden Italiens gekommen waren. Den Haupt-<lb/> trupp ſtellte die Romagna; dann folgten in der Stärke der<lb/> Vertretung Toskana, die Lombardei und Rom. Die Abgeord-<lb/> neten wußten bei ihrer Ankunft in Chiaſſo noch nicht, wo der<lb/> Kongreß abgehalten werde. Sie trafen daſelbſt die Veranſtolter<lb/> des Kongreſſes und wurden von dieſen nach Kapolago gewieſen.</p><lb/> <p>Während der drei Tage wohnten ſie daſelbſt im Gaſthaus<lb/> zum Anker. Die Verſammlungen wurden im Saale eines<lb/> Grottenwirthshauſes abgehalten, das an einem Ausläufer des<lb/> Generoſo liegt, und zu dem eine ſteile Treppe führt. In Ca-<lb/> polago befanden ſich auch Regierungsſtatthalter Maſella von<lb/> Lugano, der Bundesanwalt Scherb, eine Anzahl Landjäger in<lb/> Zivilkleidern, und einige italieniſche Polizeiagenten. Der Ge-<lb/> meindevorſteher von Capolago, Joſias Bernasconi, gab den<lb/> Kongreßmitgliedern die Zuſage, daß ihnen gegenüber kein Bruch<lb/> des Hausrechtes ſtattfinden werde, und es ſcheint auch, daß die<lb/> anweſenden Polizeibeamten nicht die Abſicht hatten, den Kongreß<lb/> zu ſtören. Sie waren offenbar nur gekommen, um zu ſehen,<lb/> ob irgend eine Ordnungswidrigkeit vorkomme, oder ob unter<lb/> den Kongreßmitgliedern ſich Anarchiſten befinden, die aus der<lb/> Schweiz ausgewieſen worden ſind. Alles ging in Ruhe vor<lb/> ſich und Niemand wurde verhaftet. (Durfte nicht geſchehen,<lb/> laut Wille des Sindaco.)</p><lb/> <p>Heute, 6. Januar, begaben ſich verſchiedene Theilnehmer<lb/> nach Lugano, um die Stadt anzuſehen. Polizeibeamten in Zivil<lb/> folgten ihnen.</p><lb/> <p>Die Sitzungen waren ſehr lang; geſtern Abend dauerte<lb/> die Berathung bis 10 Uhr. Heute kann feſtgeſtellt werden,<lb/> daß der Kongreß durchaus ein ſozial-revolutionärer war; von<lb/> geſetzesmäßigen Sozialiſten nahmen nur zwei oder drei Theil.<lb/> Die Sozialiſten letzterer Richtung in Italien, an deren Spitze<lb/> Andrea Coſta ſteht, haben für ſich einen Kongreß angeſagt, der<lb/> nächſtens ſtattfinden wird.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>— <hi rendition="#b">Republikaniſch-gemüthlich</hi> hat Herr Alt-Bundesrath<lb/><hi rendition="#g">Hammer</hi> letzten Mittwoch, bevor er die Bundesſtadt verließ,<lb/> noch von jedem ſeiner bisherigen Untergeordneten, ohne Unter-<lb/> ſchied, perſönlich Abſchied genommen in Begleit ſeines Departe-<lb/> ments-Nachfolgers, Herrn Bundesrath Hauſer. Der warme<lb/> Händedruck des frühern Chefs hat ſämmtliche Angeſtellte ge-<lb/> rührt und iſt ein ſchönes Zeichen von Herrn Hammers Men-<lb/> ſchenfreundlichkeit, welche nicht bei jedem ſo vorzüglichen und<lb/> reichen Finanzmanne zu finden iſt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head>— <hi rendition="#b">Eidg. Feldpoſt.</hi> </head> <p>Aus dem Berichte des Herrn Haupt-<lb/> mann Combe, Chef der Feldpoſt während des letztjährigen<lb/> Truppenzuſammenzuges, geht hervor, daß die Poſt zu allerlei<lb/> Mißbräuchen benützt wurde, indem nicht nur alle möglichen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1/0001]
Uznach, Mittwoch No 4. den 14. Januar 1891.
St. Galler-Volksblatt.
Publikationsorgan der Bezirke See und Gaſter.
Obligatoriſch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eſchenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetſchwil, Gommiswald.
Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz
halbjährlich fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen.
Poſt jährlich fr. 5. — Rp., halbjährlich fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich fr. 1.
40 Rp. für das Ausland (Poſtverein) jede Nummer mit Adreſſe halbjähr-
lich fr. 5. — Rp., wöchentlich ein Mal halbjährlich fr. 3. 50 Rp.
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36. Jahrgang.
Inſertionsgebühr für den Seebezirk und Gaſter (ohne Vermittlung der
Inſeratenbureaux): Die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. —
für die übrigen Inſerenten koſtet die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raun
15 Rp. Bei Wiederholungen Rabatt. — Inſerate müſſen jeweilen bis ſpä-
teſtens Dienſtag und freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag.
[Abbildung]
Druck und Verlag von K. Oberholzer’s Buchdruckerei.
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Wöchentl. Gratisbeilage: „Linth-Blätter“.
Gegen den gemeinſamen
Feind.
In der Nachbarrepublik Frankreich hatte vor Jahren der
Diktator Gambetta die Feinde einer konſervativen Staats-
verwaltung bekanntlich unter der heuchleriſchen Formel geeinigt:
«Le cléricalisme — voilà l’ennemi!» was auf deutſch
etwa heißt: des Landes ſchlimmſter Feind iſt die Herrſchaft des
Pfaffenthums. St. Gallen’s einſtiger Gambetta, der alte Dr.
Weder, gebrauchte nur eine andere Formel, wenn er in den
50er und 60er Jahren den damals noch allzuleicht dem Partei-
kniffe zugänglichen Proteſtanten und liberalen Katholiken den
„Jeſuit im Gütterli“ zeigte und ihnen Gänſehaut verurſachte.
Der Gambetta iſt zwar geſtorben (ſo liberal wie er gelebt);
die Gumbetta aber leben fort in Frankreich und der Schweiz
und bethören mit dem Böllimann des „Klerikalismus“ und
Pietismus unbefangene Seelen, gibt es doch immer noch der
liberalen Eidgenoſſen unerfahrnen Sinnes genug, auf die Heim’s-
derber Vierzeiler paßt:
„Ich bin ein Eſel und will getreu
Wie meine Väter, die alten,
An der alten lieben Eſelin
Und am Schwindelthum halten.“
Anläßlich der luzerniſchen Verfaſſungsabſtimmung vom
vorletzten Sonntag laſen wir im „Vaterland“ folgenden bündigen
Mahn- und Warnzeddel an das konſervative Luzernervolk:
„Brüder reicht die Hand zum Bunde!“ tönt es gegenwärtig
von der (radikalen) Stadt aus. Reformer, welche die Gott-
heit Chriſti leugnen, und altkatholiſche Sektirer und
Geheimbündler ſtrengen ſich an, durch maſſenhafte Aufrüfe,
welche namenlos auf’s Land wandern, das vom katholiſchen,
poſitiv chriſtlichen Glauben durchdrungene Luzerner Volk zum
Diener der Kirchenfeinde herabzuwürdigen. Erhebet euch,
ihr treu geſinnten Katholiken und ſetzt die Heuchler
vor die Thüre!“
Wir möchten den Mahnruf des konſervativen Zentralorgans
an alle ſchweizeriſchen Katholiken und poſitiv gläubigen Proteſtan-
ten, an alle unabhängigen Liberal-Demokraten, kurz an alle Volk
und Freiheit über die Parteiherrſchaft ſetzenden Miteidgenoſſen
richten. Der glaubensloſe, bürokratiſche, intolerante, die Rechte der
Kantone und der Konfeſſionen mit Füßen tretende Radikalismus —
das iſt der Feind! Das abgelaufene Jahr und insbeſondere die
Dezemberſeſſion der Bundesverſammlung — Teſſinerei — Bundes-
rathswahlen — haben den Feind, den Radikalismus, in ſeiner
ganzen Wolfsnatur enthüllt. Das iſt ja das liberale Wohlfahrts-
prinzip, ſagte die „Berner Volksztg.“ bezüglich des Luzerner
Gewaltradikalismus, am Ruder zu ſein, und wenn es durch
das Volk uud die geſetzlichen Mittel nicht geht, ſoll Gewalt
das „eidgenöſſiſche Aufſehen“, wie der radikale Hofſtiel neueſtens
heißt, helfen. Weh’, wenn ſolche Leute die Oberhand ge-
wännen! — Das „Wehe“ iſt da! Dieſer Radikalismus, beim
Volke in Minderheit, hat — man weiß unter welcher Mithülfe
von Wahlkünſten — die Oberhand im oberſten Landesrath.
Nicht die Volksmehrheit iſt „ſouverän“, ſondern dieſer Radika-
lismus iſt Souverän; er herrſcht im Nationalrath, im Bundes-
rath, im Bundesgericht, alle andern Parteien ſind ausgeſchloſſen —
er herrſcht allein, ausſchließlich. Sollten wir uns nicht zu
geſchloſſener Oppoſition einen gegen den Liberalismus, wie er ſich
im Teſſin und in der Bundesverſammlung gezeigt, an dem
das Blut des unſchuldig Gemordeten klebt und das Brandmal
der Brutalität und grundſätzlicher Ausſchließlichkeit?
Wir müſſen uns aufraffen im neuen Jahr, denn wir haben
es, wie eine mehr als vierzigjährige Erfahrung lehrt, mit einer
völlig untraktabeln Partei zu thun, die uns aus freien Stücken
nie, nie etwas gibt. Mit Nadelſtichen blos werden wir einem
ſolchen Gegner nicht abtrotzen; man muß den Stier endlich bei den
Hörnern nehmen, mit parlamentariſchen Zuckerbrödchen richtet
man in Bern nichts aus.
Proportionalvertretung, die Initiative und
Wahl des Bundesrathes durch das Volk — das muß
unſer Ziel in der eidgenöſſiſchen Politik ſein, und von dieſem
Ziele wollen wir nicht abgehen, bis es erreicht iſt. Ein Abge-
ordneter mehr oder weniger in den Nationalrath ſoll für uns
keine Kapitalfrage ſein; Hauptpunkte der eidgenöſſiſchen Politik ſind
von nun an: die Zähigkeit in unſerer Oppofition, die Sammlung
der Oppoſitionselemente und die Feſtigkeit in der Durchführung
unſeres Progammes.
Die liberale „Neue Zürch. Zeitg.“ klagte in einem recht
düſtern Sylveſter-Artikel: „Es iſt eigenthümlich, daß, je mehr
der Bundesſtaat erſtarkt und die Zentralmacht wächst, um ſo
mehr der gemeineidgenöſſiſche Sinn ſich abſchwächt.“ Aber trotz
dieſer gewiß höchſt betrübenden Erfahrung hat die „gemäßigt-li-
berale“ Fraktion, deren Organ die „N. Zrch.-Ztg. iſt, noch
ſtets mit vollen Backen in die Segel geblaſen, welche das Staats-
ſchiff in den Hafen der alleinſeligmachenden Zentraliſation
bugſiren ſollten. Es iſt doch jene Partei voll guter Vorſätze
und Entſchlüſſe ohne entſprechende Thaten; jene Partei,
von der das neue „Soloth.-Blatt“ ſchreibt: „Es gibt eine Mittel-
partei im Schweizerlande, welcher das radikale Treiben zu-
wider iſt. Sie hat den Glauben noch nicht verloren und ſie
wird ihn auch ſchwerlich verlieren. Sie verurtheilte ſo ſcharf
wie wir die unerhörte Jämmerlichkeit, mit welcher die Teſſiner
Angelegenheit in die Hand genommen wurde; ſie ſprach ſich ent-
ſchieden gegen die Ausſchließlichkeit bei den eidgenöſſiſchen Bundes-
rathswahlen aus. Aber bei dieſen feierlichen Proteſten ließ ſie
es bewenden, und wenn ſie mit der rechten Hand die Wunde
geſchlagen hatte, hielt ſie in der linken ſchon Pflaſter und Balſam
bereit. Sie will den Pelz waſchen ohne ihn naß zu machen,
ſie haut der Katze den Schwanz ab, aber ja nicht ganz, mehr
oder weniger, bald am äußerſten Endchen, bald etwas tiefer hi-
nein. Es liegt etwas zweifelhaft Schwächliches in dieſer Mittel-
partei, es ſind klägliche Geſellen, ſie haben keine Zähne mehr
zum Beißen, nur noch Pfötchen, um dem ſie gründlich verach-
tenden Radikalismus je nach Bedürfniß die Kaſtanien aus dem
Feuer zu holen. Aber ſie merken es nicht.“ — Wahrlich, es
gibt neben dieſen hinfälligen „liberalen“ Hampelmännern auch
viele Katholiken, die nie geſcheidt werden, nicht einmal in
der erſten Viertelſtunde ihres 40. Jahres, wo ſie geſcheidt werden
können, wenn ſie den richtigen Moment nicht verpaſſen, wie man
es von den Schwaben ſagt. Sie wollen nicht klug werden, und
handeln demnach verrätheriſch im eigenen Lager.
Bismarck ließ neulich im Geſpräche mit einigen Beſuchern
die Worte fallen: „Wo man hackt, da fallen Spähne. Man
kann keine Eierkuchen machen, ohne Eier zu zerſchlagen.“ Das
ſollten ſich endlich die Leute mit guten Vorſätzen und lahmen
Handlungen merken. Und unſere parlamentariſchen Führer im
Bund und den Kantonen deßgleichen. Die zeitgenöſſiche Geſchichte
unſeres Landes ſollte doch jeden Konſervativen beider Konfeſſionen
die Lehre eingeprägt haben, daß die konſervative Partei vom eid-
genöſſiſchen Parlament in Bern, das nachgerade die ſchärfere
Tonart des Jakobinerthums anzunehmen pflegt, nichts zu
hoffen hat, ſondern daß wir uns unbedenklich auf’s Volk ſtützen
müſſen, an dem der Bann des Freimaurerthums wirkungslos
abprallt. Daher das verzweifelte Stemmen des Radikalismus
im Bundespalaſt gegen die Volksinitiative, die bezeichnende
Furcht jener Partei vor dem Volke (auch in den kantonalen
Rathſälen — man denke an St. Gallen!); der Syſtemslibe-
ralismus fürchtet das Volk in deſſen Beſtrebungen, deſſen Wünſche
und ſelbſt deſſen Entſcheiden.
Eine gute Vorbedeutung für den ausgebrochenen Kampf
gegen die exkluſive Parteiherrſchaft der Loge und des Radikal-
ismus erblicken wir auch darin, daß ſich auch im Nationalrathe
die demokratiſche Morgenröthe erhebt. Jawohl, wenn nicht Alles
täuſcht, iſt die radikale Lohnsherrlichkeit in ihrer Allmacht durch
den Geiſt der Unabhängigkeit ſeiner ehemaligen Vaſallen
bedroht. Die enſants terribles jener Sturmglocke der ſo-
zialen Frage, die Curti, Locher, Vogelſanger, Scherrer-Fülle-
mann, Riſch ꝛc., zwar ſchwach nach der Zahl, aber ſtark durch
den Glauben und den Nimbus der neuen Ideen haben ein ge-
wiſſes moraliſches Gewicht in der Kammer erlangt und im Ver-
trauen auf dasſelbe ſchälen ſie ſich allmälig vom radikalen
Stamme los, um die Oppoſition in volksrechtlichen und wirth-
ſchaftlichen Fragen noch zu verſtärken.
Es kommt der Oppoſition der neuere Volksgeiſt ſelbſt zu
Hülfe. Anläßlich der ſtarken verwerfenden Mehrheit des Aar-
gauiſchen Volkes an der Schuldentrieb-Geſetz-Abſtimmung vom
17. Nov. 1889 ſchrieb man der bekannten „N. Zrch.-Ztg.“
aus dem Aargau: ... „Je mehr die Herren für eine Sache
reden, deſto mißtrauiſcher wird das Volk. Sodann hat man
gelernt, daß es auch in den reformirten Bezirken nicht mehr
verfängt, die ſchwarze Flagge („Jeſuit im Gütterli“) herauszu-
hängen, mit der früher bei ähnlichen Anläßen ſo handlich „ge-
wepft“ wurde. Die Zeiten ſind anders geworden.“
Ja gottlob, ſie ſind anders geworden! Vor 40 Jahren
noch und darüber fürchtete man auf konſervativer und „ariſto-
kratiſcher Seite die Volksſuveränität faſt als etwas Revolutio-
näres, Staatsgefährliches. Baumgartner ſchrieb im „Schweizer-
ſpiegel“ u. A.: Vor der Abſtimmung über den Entwurf von
1848 leitete Furcht und Sorge vor der Abſtimmung ſo manche
Schritte, und es hieß hie und da geradezu, man könne un-
möglich den Bock zum Gärtner machen laſſen.“ — Es war die
Zeit, wo die proteſtantiſchen Volkskreiſe faſt ausſchließlich noch
am Gängelbande des Liberalismus geführt wurden.
Das neue Jahr zu neuer That! Die Luzerner und die
Freiburger-Radikalen fordern mit nakten Worten zur Revo-
lution auf, als die „erſte der Pflichten“, wenn man ihnen
nach 30 Jahren des Kampfes in Freiburg (Luzern) und Bern
jede Gerechtigkeit (und jedes Recht zur Gewaltthat a la Teſſiner
Red.) verweigern und ihnen die Thüre im eigenen Kanton und
in Bern zuſchlage.“ Die Katholiken verabſcheuen den gewalt-
ſamen Umſturz einer rechtmäßigen Regierung als eines der
größten Verbrechen. Wir ſtreben dahin nicht nach dem Sturz
des herrſchenden Regiments auf dem Wege der Gewalt: aber
auf dem Wege der geſetzlichen Mittel. Uns hat man,
nach 40 Jahren Kampfes Recht und Gerechtigkeit verweigert,
uns hat man bei gleichen konſtitutionellen Rechten, die Gleich-
ſtellung im behördlichen Organismus verweigert, Verfaſſung und
Geſetze hat man konſequent gegen uns ausgelegt. Von nun
an ſoll Krieg ſein zwiſchen uns und dem Radikalismus, bis
wir Gerechtigkeit und Gleichberechtigung erlangt.“
Das ſoll der Schwur aller Katholiken, aller Konſervativen, aller
demokratiſch denkenden Schweizerbürger ſein. „In der Politik“,
ſagt Guizot, „kann man nicht den Gefühlsmenſchen ſpielen, man
muß einzig den Erfolg — mit rechtlichen Mitteln — im Auge
haben. Das ſoll im begonnenen Jahr Hauptprogramm unſeres
politiſchen Pflichtenhaftes ſein. — Wenn ſich die revolutionären
Elemente der Sozialdemokratie im Bunde und des Radikalismus
in den konſervativen Kantonen zu verbrecheriſchen Anſchlägen
einigen, wenn uns die Thüre zur Gleichſtellung der politiſchen
Gerechtigkeit beharrlich verſchloſſen bleibt, dann iſt es an der
konſervativen Führerſchaft, den Entſcheidungskampf in das Volk
zu verlegen und die Streitaxt nicht mehr ruhen zu laſſen bis
der Sieg der gerechten Sache entſchieden iſt. „Nur der Starke
wird das Schickſal zwingen, wenn der Schwächling unterſinkt.“
Eidgenöſſiſches.
— Vom Anarchiſtenprozeß zu Capolago (Teſſin) erhält
die „N. Z. Ztg.“ folgenden Bericht ihres Korreſpondenten:
Der Sozialiſtenkongreß, der auf den 11. Januar angeſagt
war und angeblich in Lugano ſtattfinden ſollte, iſt bereits ab-
gehalten worden, und zwar am 4., 5. und 6. Januar in Ca-
polago. Ich konnte mit einem Kollegen an demſelben theil-
nehmen, jedoch nur gegen das Verſprechen, erſt nach Ablauf des
Kongreſſes die Beſchlüſſe, die gefaßt wurden, bekannt zu machen.
Heute dürfen wir nun ſprechen und will ich Ihnen ins Ein-
zelne gehenden Bericht über die Verſammlung geben.
Es nahmen an dem Kongreß 84 Abgeordnete theil, die
aus allen Gegenden Italiens gekommen waren. Den Haupt-
trupp ſtellte die Romagna; dann folgten in der Stärke der
Vertretung Toskana, die Lombardei und Rom. Die Abgeord-
neten wußten bei ihrer Ankunft in Chiaſſo noch nicht, wo der
Kongreß abgehalten werde. Sie trafen daſelbſt die Veranſtolter
des Kongreſſes und wurden von dieſen nach Kapolago gewieſen.
Während der drei Tage wohnten ſie daſelbſt im Gaſthaus
zum Anker. Die Verſammlungen wurden im Saale eines
Grottenwirthshauſes abgehalten, das an einem Ausläufer des
Generoſo liegt, und zu dem eine ſteile Treppe führt. In Ca-
polago befanden ſich auch Regierungsſtatthalter Maſella von
Lugano, der Bundesanwalt Scherb, eine Anzahl Landjäger in
Zivilkleidern, und einige italieniſche Polizeiagenten. Der Ge-
meindevorſteher von Capolago, Joſias Bernasconi, gab den
Kongreßmitgliedern die Zuſage, daß ihnen gegenüber kein Bruch
des Hausrechtes ſtattfinden werde, und es ſcheint auch, daß die
anweſenden Polizeibeamten nicht die Abſicht hatten, den Kongreß
zu ſtören. Sie waren offenbar nur gekommen, um zu ſehen,
ob irgend eine Ordnungswidrigkeit vorkomme, oder ob unter
den Kongreßmitgliedern ſich Anarchiſten befinden, die aus der
Schweiz ausgewieſen worden ſind. Alles ging in Ruhe vor
ſich und Niemand wurde verhaftet. (Durfte nicht geſchehen,
laut Wille des Sindaco.)
Heute, 6. Januar, begaben ſich verſchiedene Theilnehmer
nach Lugano, um die Stadt anzuſehen. Polizeibeamten in Zivil
folgten ihnen.
Die Sitzungen waren ſehr lang; geſtern Abend dauerte
die Berathung bis 10 Uhr. Heute kann feſtgeſtellt werden,
daß der Kongreß durchaus ein ſozial-revolutionärer war; von
geſetzesmäßigen Sozialiſten nahmen nur zwei oder drei Theil.
Die Sozialiſten letzterer Richtung in Italien, an deren Spitze
Andrea Coſta ſteht, haben für ſich einen Kongreß angeſagt, der
nächſtens ſtattfinden wird.
— Republikaniſch-gemüthlich hat Herr Alt-Bundesrath
Hammer letzten Mittwoch, bevor er die Bundesſtadt verließ,
noch von jedem ſeiner bisherigen Untergeordneten, ohne Unter-
ſchied, perſönlich Abſchied genommen in Begleit ſeines Departe-
ments-Nachfolgers, Herrn Bundesrath Hauſer. Der warme
Händedruck des frühern Chefs hat ſämmtliche Angeſtellte ge-
rührt und iſt ein ſchönes Zeichen von Herrn Hammers Men-
ſchenfreundlichkeit, welche nicht bei jedem ſo vorzüglichen und
reichen Finanzmanne zu finden iſt.
— Eidg. Feldpoſt. Aus dem Berichte des Herrn Haupt-
mann Combe, Chef der Feldpoſt während des letztjährigen
Truppenzuſammenzuges, geht hervor, daß die Poſt zu allerlei
Mißbräuchen benützt wurde, indem nicht nur alle möglichen
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