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St. Galler Volksblatt. Nr. 4, Uznach, 11. 01. 1890.

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Uznach, Samstag No. 4. den 11. Januar 1890.


St. Galler-Volksblatt.
Publikationsorgan der Bezirke See und Gaster.
Obligatorisch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eschenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetschwil, Gommiswald.

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Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adresse in der Schweiz
halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen.
Post jährlich Fr. 5. -- Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1.
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lich Fr. 5. -- Rp., wöchentlich ein Mal halbjährlich Fr. 3. 50 Rp.


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35. Jahrgang.

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Insertionsgebühr für den Seebezirk und Gaster (ohne Vermittlung der
Inseratenbureaux): Die kleinspaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. --
Für die übrigen Inserenten kostet die kleinspaltige Petitzeile oder deren Raum
15 Rp. Bei Wiederholungen Rabatt. -- Inserate müssen jeweilen bis spä-
testens Dienstag und Freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden.




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Erscheint Mittwoch und Samstag.


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Druck und Verlag von K. Oberholzer's Buchdruckerei.

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Wöchentl. Gratisbeilage: "Linth-Blätter".




Ausland.



"Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit.
Leicht bei einander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen".
(Wallenstein.)

Der "Friede" als Neujahrsgruß. -- Der Zar ist
krank. -- Angeblicher Zwiespalt der Kirchenfürsten
Amerika's. -- Gegen den "Felsen Petri". -- Der
Kaiserin letzte Fahrt. -- Frankreich's Kultusminister
und das Paternoster. --

"Friede sei ihr erst Geläute!" gebot der Meister
im "Lied von der Glocke". Des Friedens Botschaft
verkündeten als Antwort auf die Reujahrsgratula-
tionen
der Diplomaten die Inhaber der europäischen
Thronsessel. Ja wohl, den Frieden haben die Mächtigen
auf der Zunge; aber "Betrug ist überall und Heuchel-
schein". Ist das der Friede, wenn alle Staaten ohne
Ausnahme in Waffen starren; wenn man sieht, daß die
militärischen Vorbereitungen, die Waffenvermehrung, die
Heeresverstärkungen alle Werke des Friedens in den Hin-
tergrund drängen? O, diese fürstlichen Neujahrsorakel!
da werden einfach die alten stereotypen Cliches hervorge-
holt, die wahren Gesinnungen aber bleiben tief im Herzen
verborgen, oder gleichen wenigstens den Kleidertrachten,
die der Tyrannei der Mode und der Schicklichkeit dienst-
bar sind. Wenn auch alle Hofreden am Neujahrstage
"friedlich" klingen, so sind es eben nur Worte und
Wünsche, hinter welche die thatsächlichen Kriegsvorberei-
tungen ein dickes? setzen. "Der Krieg wird", sagt Dr.
Zardetti -- nunmehriger Bischof von St. Cloud -- aus
dem Völkerleben nie verdrängt werden können, so lange
der Krieg lebt im Individuum, d. h. der Zweikampf
zwischen Gut und Böse, Gnade und Sünde". Im "Spiele
des Lebens" sind eben überall die Leidenschaften als
Triebfedern thätig: Stolz und Herrschsucht. Habsucht,
Rachsucht, Neid und Mißgunst, und immer wiederholt sich
auf dem Welttheater, im Kleinen wie im Großen, was
der Dichter in jenem schönen Bilde schildert:

"Ein jeglicher versucht sein Glück,
Doch schmal nur ist die Bahn zum Rennen;
Der Wagen rollt, die Achsen brennen,
Der Held dringt kühn voran, der Schwächling bleibt zurück,
Der Stolze fällt mit lächerlichem Falle,
Der Kluge überholt sie Alle." --

-- Was die Großen der Erde doch für arme Reiche
sind! da liegt Rußlands mächtiger Kaiser tief in den
Federn und der Krankheit Grund ist in ein geheimniß-
volles Dunkel gehüllt; die verschiedenartigsten Gerüchte
spinnen sich um den düstern Kaiserpalast; nach den Einen
wäre der Kaiser "influenzirt", nach den Andern sogar
vergiftet, und eine dritte Version läßt ihn das Opfer
eines jähen Schreckens werden. Vor einigen Tagen befand
sich der Kaiser mit seiner ganzen Familie in seinen Pri-
vatgemächern, als die Gaslichter plötzlich erloschen und
Jedermann an ein nihilistisches Attentat glaubte. Die
Kaiserin fiel in Ohnmacht und der Zar einer so fürchter-
lichen Aufregung anheim, daß er beinahe den Verstand
verlor. (Bekanntlich ist die Zarin in Folge des aufge-
regten, angstvollen Lebens in Petersburg geistesgestört.)
Wie wenig beneidenswerth doch Thron und Szepter der
Moskoviten sind! In einem Gewölbe leben, in stetem
Argwohn gegen seine vertrautesten Freunde, selbst gegen
seine Verwandte, bei dem geringsten Geräusche erzittern
-- das ist das klassische Leben des Tyrannen. Für ihn
gilt nicht des Dichters Ermahnung

"In des Herzens heilig stille Räume
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang!" --

Der Beherrscher aller Reußen hat keinen Quadratfuß
Boden, wo er mit Frau und Kindern ohne Todesgefahr
weilen zu können glaubt. Und in des "Herzens stille
Räume" dringen tausend Todtengrüße aus den Gräbern
und tausend verzweifelte Flüche aus -- Sibirien!

Wie viel Erfreuliches vernimmt man nicht immer
von der Größe und dem Gedeihen der katholischen Kirche
in den Vereinigten Staaten Nordamerika's! Wun-
derbar ist das Wachsthum und der äußere und -- gei-
stige Aufschwung des Katholizismus in jener gewaltigen
Republik, wo man den Konfessionen wahre und volle
[Spaltenumbruch] Freiheit
zu ihrer Entfaltung gestattet. Jetzt macht
das "Vaterland" in Luzern plötzlich einen schwarzen
Strich durch das schöne Gemälde: es läßt sich aus New-
York schreiben: es gehe ein Riß durch die katholische
Kirche Amerika's; denn die deutschen und irischen Bi-
schöfe Amerika's seien aus Eifersucht und Egoismus
Todfeinde auf einander und suche jeder Theil seiner
Nationalität die ausschließliche Herrschaft zu erringen.
Das Luzerner Blatt ist bekanntlich kein Evangelium und
geht es in selbiger Gegend oft recht menschlich zu; wun-
dern muß man sich aber doch, daß ein katholisches Blatt
seinen Lesern derlei amerikanische Bären zu serviren
wagt; denn schon die Vorstellung ist geradezu ungeheuer-
lich, daß die Spitzen und Vorbilder des Klerus selbst
die Kardinaltugenden der kirchlichen Disziplin und des
irdischen Glückes: Friede und Eintracht, um niedriger
Beweggründe willen stören und sich selbst zerfleischen.
Wahrscheinlicher wäre denn doch, daß ein Feind der blü-
henden kirchlichen Gemeinschaft Amerika's von jener Seite
entstünde, die unser berühmte Landsmann Dr. O. Zar-
detti, nach seinem ersten längeren Verweilen in der über-
seeischen Republik, in seiner Broschüre: "Maryland, die
Wiege des Katholizismus und der Freiheit Nordamerka's"
(1881) in den Worten andeutete: "Parallel neben der
universellen Gotteskirche wirkt aber auch und verbreitet
sich in Amerika das internationale Gewebe der Frei-
maurerei;
es zeigen sich zumal seit einigen Jahren im
öffentlichen Leben der Veremigten Staaten Symptome
von einer zunehmenden geheimen Vereinigung gegen das
Umsichgreifen und Wachsen katholischen Lebens und Ein-
flusses." -- Bis jetzt erwies sich zum Glück auch diese
Befürchtung als unbegründet, indem die katholische Kirche
in der Staatenrepublik mit den jeweiligen Behörden stets
auf bestem Fuße steht, wie es sich eben noch anläßlich
der hundertjährigen Jubiläumsfeier der Errichtung des
ersten katholischen Bisthums der Vereinigten Staaten in
Baltimore, dem katholischen Kongresse und der Einweihung
der katholischen Universität zeigte. Der Präsident der
Vereinigten Staaten, Mr. Harrison, wohnte einem Theile
dieser katholischen Festlichkeiten bei und sprach sich, ob-
wohl Protestant, voll Wohlwollen für katholische Institu-
tionen und Bestrebungen aus.

Am 30. Dezember abhin hielt der hl. Vater Leo
XIII. im Consistorium eine Ansprache, die als eine der
bemerkenswerthesten des Pontifikates dieses Kirchenfürsten
gehalten wird. Mit großer Mäßigung in der Form,
aber mit ebenso großer Klarheit und Bestimmtheit in der
Sache selbst hob der Papst die so zahlreichen und schweren
Eingriffe in die Rechte der Kirche hervor, denen sich das
Königreich Italien schuldig machte, um seine Beraubungen
und Ungerechtigkeiten voll zu machen. Die amtliche und
halbamtliche Presse Italiens, abgesehen von der unab-
hängigen Revolutionspresse, speit Feuer und Flammen
gegen die päpstliche Allokution. Die Rasenden warten ja
nur den Augenblick ab, um den Papst sammt dem Papst-
thum "für immer" zu beseitigen. Die Thoren! Sie
lernen nichts aus der Vergangenheit Roms und sind blind
für die Zeichen der Zukunft, die den wankenden Thron
Humberts mit großer Wahrscheinlichkeit vom Sturme hin-
wegfegen lassen. Die Thoren! Der Papst wird bleiben
und das Papstthum auch! "Wohl zeigen die Päpste",
sagt Dr. Höhler, "hie und da menschliche Schwächen,
Mißgriffe, Fehler; denn auch die größten Päpste waren
und blieben Menschen; aber das Gesammtergebniß ihrer
Geschichte ist die unumstößliche Wahrheit, daß das Papst-
thum, vom Welterlöser ins Dasein gerufen, um das
Fundament seiner Kirche zu sein, auch das Funda-
ment
des großen Baues der moralischen Welt-
ordnung
ist, mit welchem diese selbst steht und fällt."

Ein Unglück kommt selten allein und der Dulder Job
sagt: "du suchest ihn am Morgen heim und prüfst ihn,
ehe er's denkt!" Auch die Großen dieser Erde bekommen
diese Wahrheiten zu fühlen: Dom Pedro's Thron ist im
November von der Revolution weggefegt worden und
nun raubt ihm der Tod auch noch seine treue Lebensge-
fährtin, ein Schlag, der den entthronten Kaiser von Bra-
silien noch tiefer erschüttert als selbst den jähen Sturz
aus der Höhe seiner Lebensstellung. Die Revolution im
südamerikanischen Kaiserreiche Amerika kam ebenso uner-
[Spaltenumbruch] wartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, kann aber
doch nicht überraschen, wenn man bedenkt, daß Dom Pe-
dro's Land eine der beliebtesten Zufluchtsstätte der Frei-
maurerei ist. Laut dem Jahrbuche des "Groß Orients"
für 1882 gibt es in Brasilien nicht weniger als 390
Freimaurerlogen; diese aber waren noch immer die Haupt-
wühler gegen Thron und Altar. -- Die jetzt in der
Verbannung verstorbene Kaiserin Theresia war eine Nea-
politanerin von Geburt, eine Frau von hohem Geiste und
starker Willenskraft, die ihrem Manne eine ausgezeichnete,
aufopfernde Gattin gewesen. Sie hatte ihren Gemahl
schon mehrere Male auf schwankendem Schiffe nach Eu-
ropa herüber begleitet, dießmal um nicht mehr zurückzu-
kehren -- ein wechselreiches Leben, das sich unbewußt in
folgenden Versen eines in Brasilien wirkenden deutschen
Jesuiten spiegelt:

"Hinüber, herüber:
So woget das Leben,
Das irdische Streben,
Das wechselnde Spiel.
Herüber, hinüber,
Doch einmal dann landet
Die Barke gestrandet,
Kehrt nimmer herüber,
Dann steht sie am Ziel".

Frankreich's Kultusminister und das "Pater
noster
". In den vielen Pariser Theatern darf bekannt-
lich alles "gespielt" werden, was die Sitten verletzt und
die Religion und ihre Institutionen verhöhnt, die Ehre
des Landes in den Koth zieht; nur beileibe nichts, was
einen religiösen Anstrich hat! Das kennzeichnet das herr-
schende Regiment der Franzosen. Nun hat sich aber der
freisinnige Kultusminister Fallieres in seiner übertriebenen
Vorsicht selbst vor den frivolen radikalen Parisern un-
sterblich blamirt, indem er einem Drama des Dichters
Coppee die Erlaubniß zur Aufführung versagte. Der
Verfasser hatte sein Werk "Le Pater" ("das Vaterunser"),
das nicht bloß christlich geistert, sondern geradezu christlich
ist, dem Minister zur Genehmigung eingereicht. Es hat
aber, wie bemerkt, die Zensur nicht bestanden. "Aus
Haß gegen den Katholizismus oder Antiklerikalismus des
Ministers" sagen die Einen; Andere sagen aus Rücksicht
für die Kommunarden. Erzählen wir aber lieber, um
was sich's in dem gefährlichen Theaterstück handelt: das
Ereigniß spielt in den letzten Tagen der Kommune (Mai
1871) in einem Hause an der Straße Haxo zu Paris.
Der Kampf zwischen den Kommunarden und den Re-
gierungstruppen war entsetzlich; die Kommunarden hatten
die Geiseln, die im Gefängnisse La Roquette untergebracht
waren (der Erzbischof von Paris, eine Anzahl Kleriker,
Mönche und Private) bereits ermordet; unter diesen auch
einen Priester, Bruder einer sehr religiösen Frau, welche
der Dichter dem Leser vor Augen führt. Nun flüchtet
sich der Offizier, welcher die Erschießung der Geiseln an-
geordnet hatte, zu eben dieser Frau: todtenblaß, außer
sich, wird der gewissensgeängstigte Kommunarde von den
siegenden "Versaillern" gehetzt -- das Erschossenwerden
kommt jetzt an ihn. . . . . Er fleht die Schwester des von
ihm füsillirten Priester an, ihm das Leben zu retten.
Fräulein Rosa zögert einen Augenblick beim Anblick des
Mörders ihres Bruders, erinnert sich an ihr vorhin be-
gonnenes, aber unterbrochenes Vaterunser und betet es
dann zu Ende: "Und vergib uns unsere Schulden, wie
auch wir vergeben unsern Schuldnern rc." -- Sie ver-
zeiht, wirft dem Kommunarden die Soutane ihres Bru-
ders über, und als der Bersailler Offizier dem Flüchtigen
auf dem Fuße folgt, spricht sie, auf den verkleideten
Kämpfer der Kommune zeigend: "Mein Herr, ich wohne
hier allein mit meinem Bruder". -- Der Offizier der
Regierung zog sich verbeugend zurück, und der Offizier
der eben in ihren letzten Zügen liegenden Kommune ist
gerettet. -- Und jetzt urtheile Einer über die Weisheit
der radikalen Machthaber: Während täglich die unrein-
lichsten Sachen über die Bretter gehen, welche in Paris
die Welt bedeuten, bringt der Dichter des "Pater" nichts
auf die Bühne, was mit der Moral auf gespanntem Fuße
steht, oder nicht nachgeahmt werden dürfte. Der drama-
tische Konflikt, um welche sich die Poesie Coppee's dreht,
ist vielmehr ein rein seelischer, hoch-pathetischer: der Sieg
über seine eigene Natur, der christlichen Liebe über die
Rachsucht im Herzen der tief gekränkten Schwester. --
Die Lehren des Heidenthums haben Freiplätze im jetzigen
Frankreich -- das Christenthum ist geächtet.




Uznach, Samſtag No. 4. den 11. Januar 1890.


St. Galler-Volksblatt.
Publikationsorgan der Bezirke See und Gaſter.
Obligatoriſch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eſchenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetſchwil, Gommiswald.

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Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz
halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen.
Poſt jährlich Fr. 5. — Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1.
40 Rp. Für das Ausland (Poſtverein) jede Nummer mit Adreſſe halbjähr-
lich Fr. 5. — Rp., wöchentlich ein Mal halbjährlich Fr. 3. 50 Rp.


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35. Jahrgang.

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Inſertionsgebühr für den Seebezirk und Gaſter (ohne Vermittlung der
Inſeratenbureaux): Die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. —
Für die übrigen Inſerenten koſtet die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum
15 Rp. Bei Wiederholungen Rabatt. — Inſerate müſſen jeweilen bis ſpä-
teſtens Dienſtag und Freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden.




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Erſcheint Mittwoch und Samſtag.


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Druck und Verlag von K. Oberholzer’s Buchdruckerei.

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Wöchentl. Gratisbeilage: „Linth-Blätter“.




Ausland.



„Eng iſt die Welt und das Gehirn iſt weit.
Leicht bei einander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume ſtoßen ſich die Sachen“.
(Wallenſtein.)

Der „Friede“ als Neujahrsgruß. — Der Zar iſt
krank. — Angeblicher Zwieſpalt der Kirchenfürſten
Amerika’s. — Gegen den „Felſen Petri“. — Der
Kaiſerin letzte Fahrt. — Frankreich’s Kultusminiſter
und das Paternoſter. —

Friede ſei ihr erſt Geläute!“ gebot der Meiſter
im „Lied von der Glocke“. Des Friedens Botſchaft
verkündeten als Antwort auf die Reujahrsgratula-
tionen
der Diplomaten die Inhaber der europäiſchen
Thronſeſſel. Ja wohl, den Frieden haben die Mächtigen
auf der Zunge; aber „Betrug iſt überall und Heuchel-
ſchein“. Iſt das der Friede, wenn alle Staaten ohne
Ausnahme in Waffen ſtarren; wenn man ſieht, daß die
militäriſchen Vorbereitungen, die Waffenvermehrung, die
Heeresverſtärkungen alle Werke des Friedens in den Hin-
tergrund drängen? O, dieſe fürſtlichen Neujahrsorakel!
da werden einfach die alten ſtereotypen Cliches hervorge-
holt, die wahren Geſinnungen aber bleiben tief im Herzen
verborgen, oder gleichen wenigſtens den Kleidertrachten,
die der Tyrannei der Mode und der Schicklichkeit dienſt-
bar ſind. Wenn auch alle Hofreden am Neujahrstage
„friedlich“ klingen, ſo ſind es eben nur Worte und
Wünſche, hinter welche die thatſächlichen Kriegsvorberei-
tungen ein dickes? ſetzen. „Der Krieg wird“, ſagt Dr.
Zardetti — nunmehriger Biſchof von St. Cloud — aus
dem Völkerleben nie verdrängt werden können, ſo lange
der Krieg lebt im Individuum, d. h. der Zweikampf
zwiſchen Gut und Böſe, Gnade und Sünde“. Im „Spiele
des Lebens“ ſind eben überall die Leidenſchaften als
Triebfedern thätig: Stolz und Herrſchſucht. Habſucht,
Rachſucht, Neid und Mißgunſt, und immer wiederholt ſich
auf dem Welttheater, im Kleinen wie im Großen, was
der Dichter in jenem ſchönen Bilde ſchildert:

„Ein jeglicher verſucht ſein Glück,
Doch ſchmal nur iſt die Bahn zum Rennen;
Der Wagen rollt, die Achſen brennen,
Der Held dringt kühn voran, der Schwächling bleibt zurück,
Der Stolze fällt mit lächerlichem Falle,
Der Kluge überholt ſie Alle.“ —

— Was die Großen der Erde doch für arme Reiche
ſind! da liegt Rußlands mächtiger Kaiſer tief in den
Federn und der Krankheit Grund iſt in ein geheimniß-
volles Dunkel gehüllt; die verſchiedenartigſten Gerüchte
ſpinnen ſich um den düſtern Kaiſerpalaſt; nach den Einen
wäre der Kaiſer „influenzirt“, nach den Andern ſogar
vergiftet, und eine dritte Verſion läßt ihn das Opfer
eines jähen Schreckens werden. Vor einigen Tagen befand
ſich der Kaiſer mit ſeiner ganzen Familie in ſeinen Pri-
vatgemächern, als die Gaslichter plötzlich erloſchen und
Jedermann an ein nihiliſtiſches Attentat glaubte. Die
Kaiſerin fiel in Ohnmacht und der Zar einer ſo fürchter-
lichen Aufregung anheim, daß er beinahe den Verſtand
verlor. (Bekanntlich iſt die Zarin in Folge des aufge-
regten, angſtvollen Lebens in Petersburg geiſtesgeſtört.)
Wie wenig beneidenswerth doch Thron und Szepter der
Moskoviten ſind! In einem Gewölbe leben, in ſtetem
Argwohn gegen ſeine vertrauteſten Freunde, ſelbſt gegen
ſeine Verwandte, bei dem geringſten Geräuſche erzittern
— das iſt das klaſſiſche Leben des Tyrannen. Für ihn
gilt nicht des Dichters Ermahnung

„In des Herzens heilig ſtille Räume
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang!“ —

Der Beherrſcher aller Reußen hat keinen Quadratfuß
Boden, wo er mit Frau und Kindern ohne Todesgefahr
weilen zu können glaubt. Und in des „Herzens ſtille
Räume“ dringen tauſend Todtengrüße aus den Gräbern
und tauſend verzweifelte Flüche aus — Sibirien!

Wie viel Erfreuliches vernimmt man nicht immer
von der Größe und dem Gedeihen der katholiſchen Kirche
in den Vereinigten Staaten Nordamerika’s! Wun-
derbar iſt das Wachsthum und der äußere und — gei-
ſtige Aufſchwung des Katholizismus in jener gewaltigen
Republik, wo man den Konfeſſionen wahre und volle
[Spaltenumbruch] Freiheit
zu ihrer Entfaltung geſtattet. Jetzt macht
das „Vaterland“ in Luzern plötzlich einen ſchwarzen
Strich durch das ſchöne Gemälde: es läßt ſich aus New-
York ſchreiben: es gehe ein Riß durch die katholiſche
Kirche Amerika’s; denn die deutſchen und iriſchen Bi-
ſchöfe Amerika’s ſeien aus Eiferſucht und Egoismus
Todfeinde auf einander und ſuche jeder Theil ſeiner
Nationalität die ausſchließliche Herrſchaft zu erringen.
Das Luzerner Blatt iſt bekanntlich kein Evangelium und
geht es in ſelbiger Gegend oft recht menſchlich zu; wun-
dern muß man ſich aber doch, daß ein katholiſches Blatt
ſeinen Leſern derlei amerikaniſche Bären zu ſerviren
wagt; denn ſchon die Vorſtellung iſt geradezu ungeheuer-
lich, daß die Spitzen und Vorbilder des Klerus ſelbſt
die Kardinaltugenden der kirchlichen Disziplin und des
irdiſchen Glückes: Friede und Eintracht, um niedriger
Beweggründe willen ſtören und ſich ſelbſt zerfleiſchen.
Wahrſcheinlicher wäre denn doch, daß ein Feind der blü-
henden kirchlichen Gemeinſchaft Amerika’s von jener Seite
entſtünde, die unſer berühmte Landsmann Dr. O. Zar-
detti, nach ſeinem erſten längeren Verweilen in der über-
ſeeiſchen Republik, in ſeiner Broſchüre: „Maryland, die
Wiege des Katholizismus und der Freiheit Nordamerka’s“
(1881) in den Worten andeutete: „Parallel neben der
univerſellen Gotteskirche wirkt aber auch und verbreitet
ſich in Amerika das internationale Gewebe der Frei-
maurerei;
es zeigen ſich zumal ſeit einigen Jahren im
öffentlichen Leben der Veremigten Staaten Symptome
von einer zunehmenden geheimen Vereinigung gegen das
Umſichgreifen und Wachſen katholiſchen Lebens und Ein-
fluſſes.“ — Bis jetzt erwies ſich zum Glück auch dieſe
Befürchtung als unbegründet, indem die katholiſche Kirche
in der Staatenrepublik mit den jeweiligen Behörden ſtets
auf beſtem Fuße ſteht, wie es ſich eben noch anläßlich
der hundertjährigen Jubiläumsfeier der Errichtung des
erſten katholiſchen Bisthums der Vereinigten Staaten in
Baltimore, dem katholiſchen Kongreſſe und der Einweihung
der katholiſchen Univerſität zeigte. Der Präſident der
Vereinigten Staaten, Mr. Harriſon, wohnte einem Theile
dieſer katholiſchen Feſtlichkeiten bei und ſprach ſich, ob-
wohl Proteſtant, voll Wohlwollen für katholiſche Inſtitu-
tionen und Beſtrebungen aus.

Am 30. Dezember abhin hielt der hl. Vater Leo
XIII. im Conſiſtorium eine Anſprache, die als eine der
bemerkenswertheſten des Pontifikates dieſes Kirchenfürſten
gehalten wird. Mit großer Mäßigung in der Form,
aber mit ebenſo großer Klarheit und Beſtimmtheit in der
Sache ſelbſt hob der Papſt die ſo zahlreichen und ſchweren
Eingriffe in die Rechte der Kirche hervor, denen ſich das
Königreich Italien ſchuldig machte, um ſeine Beraubungen
und Ungerechtigkeiten voll zu machen. Die amtliche und
halbamtliche Preſſe Italiens, abgeſehen von der unab-
hängigen Revolutionspreſſe, ſpeit Feuer und Flammen
gegen die päpſtliche Allokution. Die Raſenden warten ja
nur den Augenblick ab, um den Papſt ſammt dem Papſt-
thum „für immer“ zu beſeitigen. Die Thoren! Sie
lernen nichts aus der Vergangenheit Roms und ſind blind
für die Zeichen der Zukunft, die den wankenden Thron
Humberts mit großer Wahrſcheinlichkeit vom Sturme hin-
wegfegen laſſen. Die Thoren! Der Papſt wird bleiben
und das Papſtthum auch! „Wohl zeigen die Päpſte“,
ſagt Dr. Höhler, „hie und da menſchliche Schwächen,
Mißgriffe, Fehler; denn auch die größten Päpſte waren
und blieben Menſchen; aber das Geſammtergebniß ihrer
Geſchichte iſt die unumſtößliche Wahrheit, daß das Papſt-
thum, vom Welterlöſer ins Daſein gerufen, um das
Fundament ſeiner Kirche zu ſein, auch das Funda-
ment
des großen Baues der moraliſchen Welt-
ordnung
iſt, mit welchem dieſe ſelbſt ſteht und fällt.“

Ein Unglück kommt ſelten allein und der Dulder Job
ſagt: „du ſucheſt ihn am Morgen heim und prüfſt ihn,
ehe er’s denkt!“ Auch die Großen dieſer Erde bekommen
dieſe Wahrheiten zu fühlen: Dom Pedro’s Thron iſt im
November von der Revolution weggefegt worden und
nun raubt ihm der Tod auch noch ſeine treue Lebensge-
fährtin, ein Schlag, der den entthronten Kaiſer von Bra-
ſilien noch tiefer erſchüttert als ſelbſt den jähen Sturz
aus der Höhe ſeiner Lebensſtellung. Die Revolution im
ſüdamerikaniſchen Kaiſerreiche Amerika kam ebenſo uner-
[Spaltenumbruch] wartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, kann aber
doch nicht überraſchen, wenn man bedenkt, daß Dom Pe-
dro’s Land eine der beliebteſten Zufluchtsſtätte der Frei-
maurerei iſt. Laut dem Jahrbuche des „Groß Orients“
für 1882 gibt es in Braſilien nicht weniger als 390
Freimaurerlogen; dieſe aber waren noch immer die Haupt-
wühler gegen Thron und Altar. — Die jetzt in der
Verbannung verſtorbene Kaiſerin Thereſia war eine Nea-
politanerin von Geburt, eine Frau von hohem Geiſte und
ſtarker Willenskraft, die ihrem Manne eine ausgezeichnete,
aufopfernde Gattin geweſen. Sie hatte ihren Gemahl
ſchon mehrere Male auf ſchwankendem Schiffe nach Eu-
ropa herüber begleitet, dießmal um nicht mehr zurückzu-
kehren — ein wechſelreiches Leben, das ſich unbewußt in
folgenden Verſen eines in Braſilien wirkenden deutſchen
Jeſuiten ſpiegelt:

„Hinüber, herüber:
So woget das Leben,
Das irdiſche Streben,
Das wechſelnde Spiel.
Herüber, hinüber,
Doch einmal dann landet
Die Barke geſtrandet,
Kehrt nimmer herüber,
Dann ſteht ſie am Ziel“.

Frankreich’s Kultusminiſter und das „Pater
noſter
“. In den vielen Pariſer Theatern darf bekannt-
lich alles „geſpielt“ werden, was die Sitten verletzt und
die Religion und ihre Inſtitutionen verhöhnt, die Ehre
des Landes in den Koth zieht; nur beileibe nichts, was
einen religiöſen Anſtrich hat! Das kennzeichnet das herr-
ſchende Regiment der Franzoſen. Nun hat ſich aber der
freiſinnige Kultusminiſter Fallieres in ſeiner übertriebenen
Vorſicht ſelbſt vor den frivolen radikalen Pariſern un-
ſterblich blamirt, indem er einem Drama des Dichters
Coppee die Erlaubniß zur Aufführung verſagte. Der
Verfaſſer hatte ſein Werk «Le Pater» („das Vaterunſer“),
das nicht bloß chriſtlich geiſtert, ſondern geradezu chriſtlich
iſt, dem Miniſter zur Genehmigung eingereicht. Es hat
aber, wie bemerkt, die Zenſur nicht beſtanden. „Aus
Haß gegen den Katholizismus oder Antiklerikalismus des
Miniſters“ ſagen die Einen; Andere ſagen aus Rückſicht
für die Kommunarden. Erzählen wir aber lieber, um
was ſich’s in dem gefährlichen Theaterſtück handelt: das
Ereigniß ſpielt in den letzten Tagen der Kommune (Mai
1871) in einem Hauſe an der Straße Haxo zu Paris.
Der Kampf zwiſchen den Kommunarden und den Re-
gierungstruppen war entſetzlich; die Kommunarden hatten
die Geiſeln, die im Gefängniſſe La Roquette untergebracht
waren (der Erzbiſchof von Paris, eine Anzahl Kleriker,
Mönche und Private) bereits ermordet; unter dieſen auch
einen Prieſter, Bruder einer ſehr religiöſen Frau, welche
der Dichter dem Leſer vor Augen führt. Nun flüchtet
ſich der Offizier, welcher die Erſchießung der Geiſeln an-
geordnet hatte, zu eben dieſer Frau: todtenblaß, außer
ſich, wird der gewiſſensgeängſtigte Kommunarde von den
ſiegenden „Verſaillern“ gehetzt — das Erſchoſſenwerden
kommt jetzt an ihn. . . . . Er fleht die Schweſter des von
ihm füſillirten Prieſter an, ihm das Leben zu retten.
Fräulein Roſa zögert einen Augenblick beim Anblick des
Mörders ihres Bruders, erinnert ſich an ihr vorhin be-
gonnenes, aber unterbrochenes Vaterunſer und betet es
dann zu Ende: „Und vergib uns unſere Schulden, wie
auch wir vergeben unſern Schuldnern rc.“ — Sie ver-
zeiht, wirft dem Kommunarden die Soutane ihres Bru-
ders über, und als der Berſailler Offizier dem Flüchtigen
auf dem Fuße folgt, ſpricht ſie, auf den verkleideten
Kämpfer der Kommune zeigend: „Mein Herr, ich wohne
hier allein mit meinem Bruder“. — Der Offizier der
Regierung zog ſich verbeugend zurück, und der Offizier
der eben in ihren letzten Zügen liegenden Kommune iſt
gerettet. — Und jetzt urtheile Einer über die Weisheit
der radikalen Machthaber: Während täglich die unrein-
lichſten Sachen über die Bretter gehen, welche in Paris
die Welt bedeuten, bringt der Dichter des „Pater“ nichts
auf die Bühne, was mit der Moral auf geſpanntem Fuße
ſteht, oder nicht nachgeahmt werden dürfte. Der drama-
tiſche Konflikt, um welche ſich die Poeſie Coppee’s dreht,
iſt vielmehr ein rein ſeeliſcher, hoch-pathetiſcher: der Sieg
über ſeine eigene Natur, der chriſtlichen Liebe über die
Rachſucht im Herzen der tief gekränkten Schweſter. —
Die Lehren des Heidenthums haben Freiplätze im jetzigen
Frankreich — das Chriſtenthum iſt geächtet.




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[1/0001] Uznach, Samſtag No. 4. den 11. Januar 1890. St. Galler-Volksblatt. Publikationsorgan der Bezirke See und Gaſter. Obligatoriſch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eſchenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetſchwil, Gommiswald. Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen. Poſt jährlich Fr. 5. — Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 40 Rp. Für das Ausland (Poſtverein) jede Nummer mit Adreſſe halbjähr- lich Fr. 5. — Rp., wöchentlich ein Mal halbjährlich Fr. 3. 50 Rp. [Abbildung] 35. Jahrgang. Inſertionsgebühr für den Seebezirk und Gaſter (ohne Vermittlung der Inſeratenbureaux): Die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. — Für die übrigen Inſerenten koſtet die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 15 Rp. Bei Wiederholungen Rabatt. — Inſerate müſſen jeweilen bis ſpä- teſtens Dienſtag und Freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden. Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Druck und Verlag von K. Oberholzer’s Buchdruckerei. Wöchentl. Gratisbeilage: „Linth-Blätter“. Ausland. „Eng iſt die Welt und das Gehirn iſt weit. Leicht bei einander wohnen die Gedanken, Doch hart im Raume ſtoßen ſich die Sachen“. (Wallenſtein.) Der „Friede“ als Neujahrsgruß. — Der Zar iſt krank. — Angeblicher Zwieſpalt der Kirchenfürſten Amerika’s. — Gegen den „Felſen Petri“. — Der Kaiſerin letzte Fahrt. — Frankreich’s Kultusminiſter und das Paternoſter. — „Friede ſei ihr erſt Geläute!“ gebot der Meiſter im „Lied von der Glocke“. Des Friedens Botſchaft verkündeten als Antwort auf die Reujahrsgratula- tionen der Diplomaten die Inhaber der europäiſchen Thronſeſſel. Ja wohl, den Frieden haben die Mächtigen auf der Zunge; aber „Betrug iſt überall und Heuchel- ſchein“. Iſt das der Friede, wenn alle Staaten ohne Ausnahme in Waffen ſtarren; wenn man ſieht, daß die militäriſchen Vorbereitungen, die Waffenvermehrung, die Heeresverſtärkungen alle Werke des Friedens in den Hin- tergrund drängen? O, dieſe fürſtlichen Neujahrsorakel! da werden einfach die alten ſtereotypen Cliches hervorge- holt, die wahren Geſinnungen aber bleiben tief im Herzen verborgen, oder gleichen wenigſtens den Kleidertrachten, die der Tyrannei der Mode und der Schicklichkeit dienſt- bar ſind. Wenn auch alle Hofreden am Neujahrstage „friedlich“ klingen, ſo ſind es eben nur Worte und Wünſche, hinter welche die thatſächlichen Kriegsvorberei- tungen ein dickes? ſetzen. „Der Krieg wird“, ſagt Dr. Zardetti — nunmehriger Biſchof von St. Cloud — aus dem Völkerleben nie verdrängt werden können, ſo lange der Krieg lebt im Individuum, d. h. der Zweikampf zwiſchen Gut und Böſe, Gnade und Sünde“. Im „Spiele des Lebens“ ſind eben überall die Leidenſchaften als Triebfedern thätig: Stolz und Herrſchſucht. Habſucht, Rachſucht, Neid und Mißgunſt, und immer wiederholt ſich auf dem Welttheater, im Kleinen wie im Großen, was der Dichter in jenem ſchönen Bilde ſchildert: „Ein jeglicher verſucht ſein Glück, Doch ſchmal nur iſt die Bahn zum Rennen; Der Wagen rollt, die Achſen brennen, Der Held dringt kühn voran, der Schwächling bleibt zurück, Der Stolze fällt mit lächerlichem Falle, Der Kluge überholt ſie Alle.“ — — Was die Großen der Erde doch für arme Reiche ſind! da liegt Rußlands mächtiger Kaiſer tief in den Federn und der Krankheit Grund iſt in ein geheimniß- volles Dunkel gehüllt; die verſchiedenartigſten Gerüchte ſpinnen ſich um den düſtern Kaiſerpalaſt; nach den Einen wäre der Kaiſer „influenzirt“, nach den Andern ſogar vergiftet, und eine dritte Verſion läßt ihn das Opfer eines jähen Schreckens werden. Vor einigen Tagen befand ſich der Kaiſer mit ſeiner ganzen Familie in ſeinen Pri- vatgemächern, als die Gaslichter plötzlich erloſchen und Jedermann an ein nihiliſtiſches Attentat glaubte. Die Kaiſerin fiel in Ohnmacht und der Zar einer ſo fürchter- lichen Aufregung anheim, daß er beinahe den Verſtand verlor. (Bekanntlich iſt die Zarin in Folge des aufge- regten, angſtvollen Lebens in Petersburg geiſtesgeſtört.) Wie wenig beneidenswerth doch Thron und Szepter der Moskoviten ſind! In einem Gewölbe leben, in ſtetem Argwohn gegen ſeine vertrauteſten Freunde, ſelbſt gegen ſeine Verwandte, bei dem geringſten Geräuſche erzittern — das iſt das klaſſiſche Leben des Tyrannen. Für ihn gilt nicht des Dichters Ermahnung „In des Herzens heilig ſtille Räume Mußt du fliehen aus des Lebens Drang!“ — Der Beherrſcher aller Reußen hat keinen Quadratfuß Boden, wo er mit Frau und Kindern ohne Todesgefahr weilen zu können glaubt. Und in des „Herzens ſtille Räume“ dringen tauſend Todtengrüße aus den Gräbern und tauſend verzweifelte Flüche aus — Sibirien! Wie viel Erfreuliches vernimmt man nicht immer von der Größe und dem Gedeihen der katholiſchen Kirche in den Vereinigten Staaten Nordamerika’s! Wun- derbar iſt das Wachsthum und der äußere und — gei- ſtige Aufſchwung des Katholizismus in jener gewaltigen Republik, wo man den Konfeſſionen wahre und volle Freiheit zu ihrer Entfaltung geſtattet. Jetzt macht das „Vaterland“ in Luzern plötzlich einen ſchwarzen Strich durch das ſchöne Gemälde: es läßt ſich aus New- York ſchreiben: es gehe ein Riß durch die katholiſche Kirche Amerika’s; denn die deutſchen und iriſchen Bi- ſchöfe Amerika’s ſeien aus Eiferſucht und Egoismus Todfeinde auf einander und ſuche jeder Theil ſeiner Nationalität die ausſchließliche Herrſchaft zu erringen. Das Luzerner Blatt iſt bekanntlich kein Evangelium und geht es in ſelbiger Gegend oft recht menſchlich zu; wun- dern muß man ſich aber doch, daß ein katholiſches Blatt ſeinen Leſern derlei amerikaniſche Bären zu ſerviren wagt; denn ſchon die Vorſtellung iſt geradezu ungeheuer- lich, daß die Spitzen und Vorbilder des Klerus ſelbſt die Kardinaltugenden der kirchlichen Disziplin und des irdiſchen Glückes: Friede und Eintracht, um niedriger Beweggründe willen ſtören und ſich ſelbſt zerfleiſchen. Wahrſcheinlicher wäre denn doch, daß ein Feind der blü- henden kirchlichen Gemeinſchaft Amerika’s von jener Seite entſtünde, die unſer berühmte Landsmann Dr. O. Zar- detti, nach ſeinem erſten längeren Verweilen in der über- ſeeiſchen Republik, in ſeiner Broſchüre: „Maryland, die Wiege des Katholizismus und der Freiheit Nordamerka’s“ (1881) in den Worten andeutete: „Parallel neben der univerſellen Gotteskirche wirkt aber auch und verbreitet ſich in Amerika das internationale Gewebe der Frei- maurerei; es zeigen ſich zumal ſeit einigen Jahren im öffentlichen Leben der Veremigten Staaten Symptome von einer zunehmenden geheimen Vereinigung gegen das Umſichgreifen und Wachſen katholiſchen Lebens und Ein- fluſſes.“ — Bis jetzt erwies ſich zum Glück auch dieſe Befürchtung als unbegründet, indem die katholiſche Kirche in der Staatenrepublik mit den jeweiligen Behörden ſtets auf beſtem Fuße ſteht, wie es ſich eben noch anläßlich der hundertjährigen Jubiläumsfeier der Errichtung des erſten katholiſchen Bisthums der Vereinigten Staaten in Baltimore, dem katholiſchen Kongreſſe und der Einweihung der katholiſchen Univerſität zeigte. Der Präſident der Vereinigten Staaten, Mr. Harriſon, wohnte einem Theile dieſer katholiſchen Feſtlichkeiten bei und ſprach ſich, ob- wohl Proteſtant, voll Wohlwollen für katholiſche Inſtitu- tionen und Beſtrebungen aus. Am 30. Dezember abhin hielt der hl. Vater Leo XIII. im Conſiſtorium eine Anſprache, die als eine der bemerkenswertheſten des Pontifikates dieſes Kirchenfürſten gehalten wird. Mit großer Mäßigung in der Form, aber mit ebenſo großer Klarheit und Beſtimmtheit in der Sache ſelbſt hob der Papſt die ſo zahlreichen und ſchweren Eingriffe in die Rechte der Kirche hervor, denen ſich das Königreich Italien ſchuldig machte, um ſeine Beraubungen und Ungerechtigkeiten voll zu machen. Die amtliche und halbamtliche Preſſe Italiens, abgeſehen von der unab- hängigen Revolutionspreſſe, ſpeit Feuer und Flammen gegen die päpſtliche Allokution. Die Raſenden warten ja nur den Augenblick ab, um den Papſt ſammt dem Papſt- thum „für immer“ zu beſeitigen. Die Thoren! Sie lernen nichts aus der Vergangenheit Roms und ſind blind für die Zeichen der Zukunft, die den wankenden Thron Humberts mit großer Wahrſcheinlichkeit vom Sturme hin- wegfegen laſſen. Die Thoren! Der Papſt wird bleiben und das Papſtthum auch! „Wohl zeigen die Päpſte“, ſagt Dr. Höhler, „hie und da menſchliche Schwächen, Mißgriffe, Fehler; denn auch die größten Päpſte waren und blieben Menſchen; aber das Geſammtergebniß ihrer Geſchichte iſt die unumſtößliche Wahrheit, daß das Papſt- thum, vom Welterlöſer ins Daſein gerufen, um das Fundament ſeiner Kirche zu ſein, auch das Funda- ment des großen Baues der moraliſchen Welt- ordnung iſt, mit welchem dieſe ſelbſt ſteht und fällt.“ Ein Unglück kommt ſelten allein und der Dulder Job ſagt: „du ſucheſt ihn am Morgen heim und prüfſt ihn, ehe er’s denkt!“ Auch die Großen dieſer Erde bekommen dieſe Wahrheiten zu fühlen: Dom Pedro’s Thron iſt im November von der Revolution weggefegt worden und nun raubt ihm der Tod auch noch ſeine treue Lebensge- fährtin, ein Schlag, der den entthronten Kaiſer von Bra- ſilien noch tiefer erſchüttert als ſelbſt den jähen Sturz aus der Höhe ſeiner Lebensſtellung. Die Revolution im ſüdamerikaniſchen Kaiſerreiche Amerika kam ebenſo uner- wartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, kann aber doch nicht überraſchen, wenn man bedenkt, daß Dom Pe- dro’s Land eine der beliebteſten Zufluchtsſtätte der Frei- maurerei iſt. Laut dem Jahrbuche des „Groß Orients“ für 1882 gibt es in Braſilien nicht weniger als 390 Freimaurerlogen; dieſe aber waren noch immer die Haupt- wühler gegen Thron und Altar. — Die jetzt in der Verbannung verſtorbene Kaiſerin Thereſia war eine Nea- politanerin von Geburt, eine Frau von hohem Geiſte und ſtarker Willenskraft, die ihrem Manne eine ausgezeichnete, aufopfernde Gattin geweſen. Sie hatte ihren Gemahl ſchon mehrere Male auf ſchwankendem Schiffe nach Eu- ropa herüber begleitet, dießmal um nicht mehr zurückzu- kehren — ein wechſelreiches Leben, das ſich unbewußt in folgenden Verſen eines in Braſilien wirkenden deutſchen Jeſuiten ſpiegelt: „Hinüber, herüber: So woget das Leben, Das irdiſche Streben, Das wechſelnde Spiel. Herüber, hinüber, Doch einmal dann landet Die Barke geſtrandet, Kehrt nimmer herüber, Dann ſteht ſie am Ziel“. Frankreich’s Kultusminiſter und das „Pater noſter“. In den vielen Pariſer Theatern darf bekannt- lich alles „geſpielt“ werden, was die Sitten verletzt und die Religion und ihre Inſtitutionen verhöhnt, die Ehre des Landes in den Koth zieht; nur beileibe nichts, was einen religiöſen Anſtrich hat! Das kennzeichnet das herr- ſchende Regiment der Franzoſen. Nun hat ſich aber der freiſinnige Kultusminiſter Fallieres in ſeiner übertriebenen Vorſicht ſelbſt vor den frivolen radikalen Pariſern un- ſterblich blamirt, indem er einem Drama des Dichters Coppee die Erlaubniß zur Aufführung verſagte. Der Verfaſſer hatte ſein Werk «Le Pater» („das Vaterunſer“), das nicht bloß chriſtlich geiſtert, ſondern geradezu chriſtlich iſt, dem Miniſter zur Genehmigung eingereicht. Es hat aber, wie bemerkt, die Zenſur nicht beſtanden. „Aus Haß gegen den Katholizismus oder Antiklerikalismus des Miniſters“ ſagen die Einen; Andere ſagen aus Rückſicht für die Kommunarden. Erzählen wir aber lieber, um was ſich’s in dem gefährlichen Theaterſtück handelt: das Ereigniß ſpielt in den letzten Tagen der Kommune (Mai 1871) in einem Hauſe an der Straße Haxo zu Paris. Der Kampf zwiſchen den Kommunarden und den Re- gierungstruppen war entſetzlich; die Kommunarden hatten die Geiſeln, die im Gefängniſſe La Roquette untergebracht waren (der Erzbiſchof von Paris, eine Anzahl Kleriker, Mönche und Private) bereits ermordet; unter dieſen auch einen Prieſter, Bruder einer ſehr religiöſen Frau, welche der Dichter dem Leſer vor Augen führt. Nun flüchtet ſich der Offizier, welcher die Erſchießung der Geiſeln an- geordnet hatte, zu eben dieſer Frau: todtenblaß, außer ſich, wird der gewiſſensgeängſtigte Kommunarde von den ſiegenden „Verſaillern“ gehetzt — das Erſchoſſenwerden kommt jetzt an ihn. . . . . Er fleht die Schweſter des von ihm füſillirten Prieſter an, ihm das Leben zu retten. Fräulein Roſa zögert einen Augenblick beim Anblick des Mörders ihres Bruders, erinnert ſich an ihr vorhin be- gonnenes, aber unterbrochenes Vaterunſer und betet es dann zu Ende: „Und vergib uns unſere Schulden, wie auch wir vergeben unſern Schuldnern rc.“ — Sie ver- zeiht, wirft dem Kommunarden die Soutane ihres Bru- ders über, und als der Berſailler Offizier dem Flüchtigen auf dem Fuße folgt, ſpricht ſie, auf den verkleideten Kämpfer der Kommune zeigend: „Mein Herr, ich wohne hier allein mit meinem Bruder“. — Der Offizier der Regierung zog ſich verbeugend zurück, und der Offizier der eben in ihren letzten Zügen liegenden Kommune iſt gerettet. — Und jetzt urtheile Einer über die Weisheit der radikalen Machthaber: Während täglich die unrein- lichſten Sachen über die Bretter gehen, welche in Paris die Welt bedeuten, bringt der Dichter des „Pater“ nichts auf die Bühne, was mit der Moral auf geſpanntem Fuße ſteht, oder nicht nachgeahmt werden dürfte. Der drama- tiſche Konflikt, um welche ſich die Poeſie Coppee’s dreht, iſt vielmehr ein rein ſeeliſcher, hoch-pathetiſcher: der Sieg über ſeine eigene Natur, der chriſtlichen Liebe über die Rachſucht im Herzen der tief gekränkten Schweſter. — Die Lehren des Heidenthums haben Freiplätze im jetzigen Frankreich — das Chriſtenthum iſt geächtet.

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Zitationshilfe: St. Galler Volksblatt. Nr. 4, Uznach, 11. 01. 1890, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_stgaller4_1890/1>, abgerufen am 19.04.2024.