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Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Erz oder nur die Steinkohle aufzuweisen hatten. Wohl besitzt der Harz
reiche, schöne Erzgänge und starke und dichte Wälder, die, bald zur Höhe
hinauf=, bald zum Thale hinabsteigend, ihm einen ganz wunderbaren Land-
schaftsreiz verleihen; aber sie wurden niedergemäht, um, in Kohle ver-
wandelt, hinein zu wandern in die gebauten feuerfesten Räume, um das
Silber, das Blei und auch das Eisen aus seinen erdigen Ketten zu erlösen.
Doch ein längeres Fortsetzen solcher Niedermetzelung von Forsten rächte
sich grausam. Sie ist gewaltig reich, die Natur, im Wiederschaffen, aber
gegen derartiges Eindringen der Menschheit zeigte sie sich nicht gewachsen;
sie verlor immer mehr und mehr ihre starken, hohen Kinder mit dem
grünen Kleide, sie versuchte nicht mehr ihre Wiedererzeugung, und wurde
von ihrem Peiniger, dem Menschen, auch kaum dazu veranlaßt. Da aber
das Holz zu Balken gehauen, zu Brettern geschnitten dem Menschen auf
Land und Meer zum Wohnhaus dienen muß, da der Mensch des Winters
Kälte, des Fleisches Zähigkeit, der Pflanzenspeisen holzige Härte nur durch
des Waldes Bäume zu überwinden vermag, so wurde es plötzlich zu kostbar
für den Prozeß, der in den hohen, Thürmen ähnlichen Oefen vorgenommen
wurde. Seitdem gelangte die Steinkohle zu Ansehen, seitdem suchte jeder
Berg= und Hüttendistrikt in seinem Terrain nach diesem schwarzen, unwirsch
aussehenden Schatz. Doch der Harz und so manches andere, eben so
situirte Stück der Erde barg die Steinkohle nicht in seinem Jnnern, und
sah nun sein Ansehen, seine Leistungsfähigkeit hinunter, rückwärts und immer
mit jedem Jahrzehent weiter rückwärts gehen. Dafür entstand an anderen
Orten, wo man an der Steinkohle reich und gesegnet war, wo man in
demselben Zuge das Eisenerz fand, eine Jndustrie, deren größte Ent-
wicklung man wohl ahnen, aber in allen ihren Dimensionen noch nicht
voraussagen kann. Diese Vereinigung des Menschengenies mit der Kraft
der Natur zu schauen, ist kein Stück deutscher Erde geeigneter, als
Oberschlesien.[unleserliches Material]

Zwei Gesteine, der Schieferthon und der Sandstein, sind's, die dort
das nützliche Fossil in mächtigen Einsprengungen oder Einlagerungen,
welche der Bergmann Flötze nennt, eingeschlossen haben. Es ist nirgends
in der Welt ein so ausgebreitetes Steinkohlengebiet, als dieses. Von
Zabrze in Oberschlesien über das so mächtig aufblühende Eisenwerk
Königshütte zieht es hinweg nach der russischen Grenze und geht -- die
Natur kennt ja keine Kosaken -- hinüber, um bei Dombrowo im russischen
Polen mit einem ganz merkwürdigen Vorkommen zu enden. Während
dieser Steinkohlenzug in Schlesien sich nur selten aus der Tiefe der Erde
hinaus bis fast an's Tageslicht erhebt, so scheut er's dort in Rußland
nicht, gleichsam wie zum Hohn über dieses mit chinesischer Landessperre
versehene Volk, fast in seiner ganzen Ausdehnung sich flach an der Erd-
oberfläche hinzulagern. Und in welcher Ausdehnung! Da zieht sie, so weit
sie jetzt von dem anliegenden Gestein blosgelegt ist, da zieht sie, die Stein-
kohlenwand, in wohl zehn Minuten langer Strecke in einer Mächtigkeit
von siebzig Fuß hin. Es ist ein gewaltiger Anblick, diese aufrecht-
stehende schwarze Masse, die bis zu siebzig Fuß Tiefe, ja an einigen
Stellen bis zu achtzig Fuß Tiefe hinuntergeht, die von keinem andern Ge-
stein, von nichts, gar nichts verunreinigt ist, es ist ein Anblick, wie ihn in
ähnlicher Weise die Welt nicht mehr zu bieten vermag. Dann erst, hinter
dieser langen Wand, schiebt sich eine Kohlenschiefermasse dazwischen, die
jedoch kaum eine halbe Stunde weit fortgeht, um wiederum einem mäch-
tigen zu Tage gehenden Steinkohlenlager bei Gonolog, also ganz in der
Nähe von Dombrowo, Platz zu machen. Gewiß, so wird ein Jeder den-
ken, muß in und an diesem Steinkohlenberg ein Gewühl von Menschen
sein, wie in einem Ameisenhaufen. Gewiß glaubt ein Jeder, hier müsse
es Tag und Nacht nicht aufhören, wiederzudröhnen von den durch Pulver-
explosionen ausgeführten Sprengungen, hier müßte des Schlägels und des
Hammers Schlag fortwährend tönen, hier müßten gewaltige Maschinen im
Verein mit Karren und Wagen die losgebrochenen Kohlen hinauffördern,
hier würde man Lokomotiven pfeifen und in gewaltiger Hast hin und her
sausen sehen. Ja, Alles das ist zu hören und zu sehen in Königshütte in
Schlesien -- todt und öde dagegen ist's hier in Rußland. Man bemerkt hin
und wieder ein paar Frauen, die in Karren die Kohle hinaufschleppen,
man erblickt, wenn man in die wenigen Abbaustrecken hineinfährt, hie und
da einige Leute, die mit allen möglichen bergmännischen Arbeiten beschäf-
tigt scheinen, man soll auch hin und wieder bei längerem Aufenthalt ein-
mal eine Steinkohlenwand lossprengen hören. Da kann dem Fachmann,
und wir glauben, auch dem Laien, die Hand zur Faust sich ballen über
dies Verachten der Naturschätze, da, wo ein armes Volk sich kaum zu
ernähren vermag, wo sich so leicht Erwerbsquellen für Tausende finden
ließen. Doch ehe wir solch ein Urtheil fällen, erscheint's nöthig, vorher
einige Einwände zu erledigen. Das "Kohl" -- so nennt der Bergmann
jedes Lager von Steinkohlen -- mag ja schlechte, untaugliche Kohlen ber-
gen, mag ja in weiter Umgegend kaum Gelegenheit finden, irgendwie ver-
werthet zu werden. Beides läßt sich leicht abweisen, da einmal die Kohle
eine weder zu fette, also eine nicht leicht backende, noch eine zu magere,
und nicht zu aschenreiche ist. Andererseits würde sie aber leicht und gut
für die Verschmelzung des sich aus Schlesien ebenfalls herziehenden Eisen-
erzzuges brauchen lassen, wenn man nur wollte. Es stehen dort zwei
Hochöfen mit einem vorzüglichen Gebläse, mit einem sehr zweckmäßig
eingerichteten Walzwerk, denn die Maschinen zu denselben hat eine Ber-
liner Firma, "Egells", hier aufgestellt; aber das Gebläse bläst keinen
Wind in den Ofen, da ja keine Flamme in demselben brennt, und
das Walzwerk steht still. Das einzige wirklich bemerkbare Leben brachten
die Kohlenmeiler hervor. Daß auch diese nach der elendesten Methode
hergestellt, daß dabei ein ganz ungewöhnlicher Abbrand, den uns unser
Führer, ein höherer Hüttenbeamter, naiv genug auf 1 / 3 angab, darf
uns, nach allem vorher Mitgetheilten, nicht mehr wundern. An Eins zu
glauben wurde uns doch schwer. Wir fanden, wie wir schon sagten,
keinen Hochofen in Arbeit; daß er aber überhaupt nur ungefähr drei
Wochen im Jahre thätig sei, wurde uns von einem, der die dortigen Ver-
[Spaltenumbruch] hältnisse genau kannte, auf's Festeste versichert. Daneben die Thätigkeit,
die fast übereifrige Thätigkeit der zwei Meilen weiter, aber in Preußen
liegenden Laurahütte gehalten, gewährt ein Bild, wie Tag und Nacht.
Hier in Rußland ungenutztes Liegenlassen der metall= und gesteinreichen
Eingeweide der Erde, dort -- ein fast übereifriges Benutzen derselben. Ueber-
eifrig drang die Laurahütte, da sie Kalkstein zum Zuschlag in ihren Hochöfen
brauchte und ihre Grube schon bis zur russischen Grenze verbraucht, ruhig
und vorläufig ungehindert in das russische Gebiet, wo sie denselben vor-
züglich vorfand, hinein. Drei Jahre diente schon der russische Kalk dazu,
einen guten Gang der Prozesse in preußischen Hochöfen zu bewirken, als
man die etwas zu sorglosen Eindringlinge gewahrte. Nun schwebt wie-
derum seit einigen Jahren ein Prozeß in dieser Angelegenheit, der allem
Anscheine nach doch zu Gunsten der Jntelligenz ausfallen wird. Uns we-
nigstens würde es jammern, wenn die Russen für ihre Faulheit und Bor-
nirtheit noch obenein eine Summe Geldes erhielten. Drum, nach dieser
Beleuchtung zweier, so ganz gleich von der Natur ausgestatteter Land-
strecken, geht für uns, als unumgänglicher Schluß, das hervor, daß ohne
die Jntelligenz des deutschen Arbeiters, der Deutschen überhaupt, es in
Schlesien so wie in Rußland steben müßte. Hundert Jahre, das glauben
wir sicher, sind wir diesen Nachbarn voraus!



Der Champignon.
Von
P. Kummer.

Vielleicht hat der Leser selbst bei einem Gange in's Freie schon einmal
Champignons gesucht, oder er hat sich doch ihrer gefreut, wenn sie trupp-
weise oder in zierlichen Reihen am herbstlichen Wegrande standen. Wer
hätte nicht zum mindesten das arme Kind für eine originell liebenswürdige
Erscheinung erachtet, das, am Arm den Korb mit zartweißen Pilzen, über
den Anger schreitet, um sie in der Stadt von Haus zu Haus zum Verkauf
herumzutragen.

Gewiß, wen der edle Geschmack dieser Pilze nicht rührt, den kann doch
der gemüthliche Sondercharakter derselben und speziell der weg= und anger-
vertrauten Champignons noch fesseln. Und Sonderlinge sind sie! Der
monotone Typus ihrer Schirmgestalt scheint in die sonstige Formenwelt
der postdiluvianischen Jahrhunderte kaum mehr zu passen. Sie schießen
oft am reichlichsten auf zu einer Zeit, wo die sonstige vegetative Natur
zur herbstlichen Neige geht, und schließen als die Schneeglöckchen des
Herbstes das Jahr; sie läuten es aus, denn nach ihnen blüht keine Blume
mehr auf in weiter Flur. Und es erntet in ihnen der Mensch einmal,
ohne vorher gesäet zu haben. So sind sie wie verstreute Fremdlinge aus
einer andern Welt, denn mit all' diesen formellen wie geistigen Zügen
passen sie nicht in die unsrige.

Wie sollte man nicht den Champignon ( Agaricus campestris ) vor
allen seines Gleichen ehren! Er ist aus der Familie der Hutblätterpilze
der Superlativ für den gebildeten Gourmand. Aber er kommt so massen-
haft vor, daß auch der Aermste sich eine Mahlzeit davon herrichten kann.
Dabei steht er so traulich am Wege, wie in idyllischen Gruppen auf dem
abgeernteten Felde, daß ihm die Liebe des natursinnigen Volkes vieler
Orten liebkosend den Namen "Brachmännlein" gegeben. Durch seine vom
grünen Rasen sich abhebenden schneeweißen Jndividuen zieht er das Auge
des Wanderers unwillkürlich auf sich und ladet ihn zum Genuß ein, daß
kein Wirthshaus weit und breit mehr vonnöthen ist, und roh ist sein
Geschmack am köstlichsten.

Wenn wir ihn auf unserem Gange nun betrachtend in die Hand neh-
men, so überrascht er das Auge durch seinen seltsamen Bau, wegen dessen
kein Kind und keine Köchin ihn verkennen kann.

Ueber den Bau, d. h. über die "Kennzeichen" aber Gewißheit zu haben,
um ihn als edle Küchengabe mit keinem giftigen zu [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]verwechseln, ist der
erste berechtigte Wunsch jeder kulinarischen Herrin, die über Champignons
reden hört. Die Antwort besteht darin, daß er von giftigen Arten nur
mit einer oder zweien verwechselt werden kann, mit zwar nicht giftigen,
aber geschmack- und darum werthlosen anderen Arten nur allzu leicht.
Die ähnlichen giftigen sind aus der Gattung Amanita, deren Typus der
Fliegenpilz ist, und da ist es vor Allem der grünlichweiße "Gichtschwamm"
( Agaricus phalloides ) , und der oft innen und außen röthlich angelaufene
"Perlenschwamm" ( Agaricus rubescens ) , die, wie der Champignon, einen
Ring um den Strunk ( Stiel ) haben und besonders in der Jugend ihm
auch sonst ähnlich sehen. Aber abgesehen davon, daß sie fast nur in Wäl-
dern vorkommen, haben sie in den meisten Fällen weißliche zerstreute
Warzen auf dem Hut, immer aber weiße Lamellen ( Strahlenblätter )
unter dem Hut, während diese beim Champignon stets in Roth gefärbt
sind. Meist sind sie bei ihm charakteristisch rosenfarbig, besonders bei eben
aufgebrochenen Exemplaren; im Alter werden sie kirsch= oder braunschwarz
und zerfließlich; bei einer Varietät sind sie auch matt chokoladensarbig.
Diese Färbung der Lamellen hat kein giftiger Pilz! Jst der
Champignon noch kugelig geschlossen, so sind die Lamellen blaß; ist man
in Zweifel, weil man seinen sonstigen Habitus noch nicht genau kennt,
so lasse man ihn vorläufig liegen, und nach wenigen Stunden wird die
Färbung eingetreten sein. Von ähnlichen, aber geschmacklosen Pilzen unter-
scheidet sich der Champignon besonders charakteristisch durch den Ring ( die
Manschette ) am Stiel und den nicht röhrigen, sondern innen vollen Stiel.
Total dem Champignon ähnlich, aber mit röhrigem Stiel und ganz ge-
schmacklos, ist der "Schafchampignon" ( Agaricus arvensis ) , der am häu-
figsten mit dem Champignon verwechselt und für die Küche eingesam-
melt wird.

Alle anderen Kennzeichen sind unzuverlässig und Nebensache. Solche
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Erz oder nur die Steinkohle aufzuweisen hatten. Wohl besitzt der Harz
reiche, schöne Erzgänge und starke und dichte Wälder, die, bald zur Höhe
hinauf=, bald zum Thale hinabsteigend, ihm einen ganz wunderbaren Land-
schaftsreiz verleihen; aber sie wurden niedergemäht, um, in Kohle ver-
wandelt, hinein zu wandern in die gebauten feuerfesten Räume, um das
Silber, das Blei und auch das Eisen aus seinen erdigen Ketten zu erlösen.
Doch ein längeres Fortsetzen solcher Niedermetzelung von Forsten rächte
sich grausam. Sie ist gewaltig reich, die Natur, im Wiederschaffen, aber
gegen derartiges Eindringen der Menschheit zeigte sie sich nicht gewachsen;
sie verlor immer mehr und mehr ihre starken, hohen Kinder mit dem
grünen Kleide, sie versuchte nicht mehr ihre Wiedererzeugung, und wurde
von ihrem Peiniger, dem Menschen, auch kaum dazu veranlaßt. Da aber
das Holz zu Balken gehauen, zu Brettern geschnitten dem Menschen auf
Land und Meer zum Wohnhaus dienen muß, da der Mensch des Winters
Kälte, des Fleisches Zähigkeit, der Pflanzenspeisen holzige Härte nur durch
des Waldes Bäume zu überwinden vermag, so wurde es plötzlich zu kostbar
für den Prozeß, der in den hohen, Thürmen ähnlichen Oefen vorgenommen
wurde. Seitdem gelangte die Steinkohle zu Ansehen, seitdem suchte jeder
Berg= und Hüttendistrikt in seinem Terrain nach diesem schwarzen, unwirsch
aussehenden Schatz. Doch der Harz und so manches andere, eben so
situirte Stück der Erde barg die Steinkohle nicht in seinem Jnnern, und
sah nun sein Ansehen, seine Leistungsfähigkeit hinunter, rückwärts und immer
mit jedem Jahrzehent weiter rückwärts gehen. Dafür entstand an anderen
Orten, wo man an der Steinkohle reich und gesegnet war, wo man in
demselben Zuge das Eisenerz fand, eine Jndustrie, deren größte Ent-
wicklung man wohl ahnen, aber in allen ihren Dimensionen noch nicht
voraussagen kann. Diese Vereinigung des Menschengenies mit der Kraft
der Natur zu schauen, ist kein Stück deutscher Erde geeigneter, als
Oberschlesien.[unleserliches Material]

Zwei Gesteine, der Schieferthon und der Sandstein, sind's, die dort
das nützliche Fossil in mächtigen Einsprengungen oder Einlagerungen,
welche der Bergmann Flötze nennt, eingeschlossen haben. Es ist nirgends
in der Welt ein so ausgebreitetes Steinkohlengebiet, als dieses. Von
Zabrze in Oberschlesien über das so mächtig aufblühende Eisenwerk
Königshütte zieht es hinweg nach der russischen Grenze und geht — die
Natur kennt ja keine Kosaken — hinüber, um bei Dombrowo im russischen
Polen mit einem ganz merkwürdigen Vorkommen zu enden. Während
dieser Steinkohlenzug in Schlesien sich nur selten aus der Tiefe der Erde
hinaus bis fast an's Tageslicht erhebt, so scheut er's dort in Rußland
nicht, gleichsam wie zum Hohn über dieses mit chinesischer Landessperre
versehene Volk, fast in seiner ganzen Ausdehnung sich flach an der Erd-
oberfläche hinzulagern. Und in welcher Ausdehnung! Da zieht sie, so weit
sie jetzt von dem anliegenden Gestein blosgelegt ist, da zieht sie, die Stein-
kohlenwand, in wohl zehn Minuten langer Strecke in einer Mächtigkeit
von siebzig Fuß hin. Es ist ein gewaltiger Anblick, diese aufrecht-
stehende schwarze Masse, die bis zu siebzig Fuß Tiefe, ja an einigen
Stellen bis zu achtzig Fuß Tiefe hinuntergeht, die von keinem andern Ge-
stein, von nichts, gar nichts verunreinigt ist, es ist ein Anblick, wie ihn in
ähnlicher Weise die Welt nicht mehr zu bieten vermag. Dann erst, hinter
dieser langen Wand, schiebt sich eine Kohlenschiefermasse dazwischen, die
jedoch kaum eine halbe Stunde weit fortgeht, um wiederum einem mäch-
tigen zu Tage gehenden Steinkohlenlager bei Gonolog, also ganz in der
Nähe von Dombrowo, Platz zu machen. Gewiß, so wird ein Jeder den-
ken, muß in und an diesem Steinkohlenberg ein Gewühl von Menschen
sein, wie in einem Ameisenhaufen. Gewiß glaubt ein Jeder, hier müsse
es Tag und Nacht nicht aufhören, wiederzudröhnen von den durch Pulver-
explosionen ausgeführten Sprengungen, hier müßte des Schlägels und des
Hammers Schlag fortwährend tönen, hier müßten gewaltige Maschinen im
Verein mit Karren und Wagen die losgebrochenen Kohlen hinauffördern,
hier würde man Lokomotiven pfeifen und in gewaltiger Hast hin und her
sausen sehen. Ja, Alles das ist zu hören und zu sehen in Königshütte in
Schlesien — todt und öde dagegen ist's hier in Rußland. Man bemerkt hin
und wieder ein paar Frauen, die in Karren die Kohle hinaufschleppen,
man erblickt, wenn man in die wenigen Abbaustrecken hineinfährt, hie und
da einige Leute, die mit allen möglichen bergmännischen Arbeiten beschäf-
tigt scheinen, man soll auch hin und wieder bei längerem Aufenthalt ein-
mal eine Steinkohlenwand lossprengen hören. Da kann dem Fachmann,
und wir glauben, auch dem Laien, die Hand zur Faust sich ballen über
dies Verachten der Naturschätze, da, wo ein armes Volk sich kaum zu
ernähren vermag, wo sich so leicht Erwerbsquellen für Tausende finden
ließen. Doch ehe wir solch ein Urtheil fällen, erscheint's nöthig, vorher
einige Einwände zu erledigen. Das „Kohl“ — so nennt der Bergmann
jedes Lager von Steinkohlen — mag ja schlechte, untaugliche Kohlen ber-
gen, mag ja in weiter Umgegend kaum Gelegenheit finden, irgendwie ver-
werthet zu werden. Beides läßt sich leicht abweisen, da einmal die Kohle
eine weder zu fette, also eine nicht leicht backende, noch eine zu magere,
und nicht zu aschenreiche ist. Andererseits würde sie aber leicht und gut
für die Verschmelzung des sich aus Schlesien ebenfalls herziehenden Eisen-
erzzuges brauchen lassen, wenn man nur wollte. Es stehen dort zwei
Hochöfen mit einem vorzüglichen Gebläse, mit einem sehr zweckmäßig
eingerichteten Walzwerk, denn die Maschinen zu denselben hat eine Ber-
liner Firma, „Egells“, hier aufgestellt; aber das Gebläse bläst keinen
Wind in den Ofen, da ja keine Flamme in demselben brennt, und
das Walzwerk steht still. Das einzige wirklich bemerkbare Leben brachten
die Kohlenmeiler hervor. Daß auch diese nach der elendesten Methode
hergestellt, daß dabei ein ganz ungewöhnlicher Abbrand, den uns unser
Führer, ein höherer Hüttenbeamter, naiv genug auf 1 / 3 angab, darf
uns, nach allem vorher Mitgetheilten, nicht mehr wundern. An Eins zu
glauben wurde uns doch schwer. Wir fanden, wie wir schon sagten,
keinen Hochofen in Arbeit; daß er aber überhaupt nur ungefähr drei
Wochen im Jahre thätig sei, wurde uns von einem, der die dortigen Ver-
[Spaltenumbruch] hältnisse genau kannte, auf's Festeste versichert. Daneben die Thätigkeit,
die fast übereifrige Thätigkeit der zwei Meilen weiter, aber in Preußen
liegenden Laurahütte gehalten, gewährt ein Bild, wie Tag und Nacht.
Hier in Rußland ungenutztes Liegenlassen der metall= und gesteinreichen
Eingeweide der Erde, dort — ein fast übereifriges Benutzen derselben. Ueber-
eifrig drang die Laurahütte, da sie Kalkstein zum Zuschlag in ihren Hochöfen
brauchte und ihre Grube schon bis zur russischen Grenze verbraucht, ruhig
und vorläufig ungehindert in das russische Gebiet, wo sie denselben vor-
züglich vorfand, hinein. Drei Jahre diente schon der russische Kalk dazu,
einen guten Gang der Prozesse in preußischen Hochöfen zu bewirken, als
man die etwas zu sorglosen Eindringlinge gewahrte. Nun schwebt wie-
derum seit einigen Jahren ein Prozeß in dieser Angelegenheit, der allem
Anscheine nach doch zu Gunsten der Jntelligenz ausfallen wird. Uns we-
nigstens würde es jammern, wenn die Russen für ihre Faulheit und Bor-
nirtheit noch obenein eine Summe Geldes erhielten. Drum, nach dieser
Beleuchtung zweier, so ganz gleich von der Natur ausgestatteter Land-
strecken, geht für uns, als unumgänglicher Schluß, das hervor, daß ohne
die Jntelligenz des deutschen Arbeiters, der Deutschen überhaupt, es in
Schlesien so wie in Rußland steben müßte. Hundert Jahre, das glauben
wir sicher, sind wir diesen Nachbarn voraus!



Der Champignon.
Von
P. Kummer.

Vielleicht hat der Leser selbst bei einem Gange in's Freie schon einmal
Champignons gesucht, oder er hat sich doch ihrer gefreut, wenn sie trupp-
weise oder in zierlichen Reihen am herbstlichen Wegrande standen. Wer
hätte nicht zum mindesten das arme Kind für eine originell liebenswürdige
Erscheinung erachtet, das, am Arm den Korb mit zartweißen Pilzen, über
den Anger schreitet, um sie in der Stadt von Haus zu Haus zum Verkauf
herumzutragen.

Gewiß, wen der edle Geschmack dieser Pilze nicht rührt, den kann doch
der gemüthliche Sondercharakter derselben und speziell der weg= und anger-
vertrauten Champignons noch fesseln. Und Sonderlinge sind sie! Der
monotone Typus ihrer Schirmgestalt scheint in die sonstige Formenwelt
der postdiluvianischen Jahrhunderte kaum mehr zu passen. Sie schießen
oft am reichlichsten auf zu einer Zeit, wo die sonstige vegetative Natur
zur herbstlichen Neige geht, und schließen als die Schneeglöckchen des
Herbstes das Jahr; sie läuten es aus, denn nach ihnen blüht keine Blume
mehr auf in weiter Flur. Und es erntet in ihnen der Mensch einmal,
ohne vorher gesäet zu haben. So sind sie wie verstreute Fremdlinge aus
einer andern Welt, denn mit all' diesen formellen wie geistigen Zügen
passen sie nicht in die unsrige.

Wie sollte man nicht den Champignon ( Agaricus campestris ) vor
allen seines Gleichen ehren! Er ist aus der Familie der Hutblätterpilze
der Superlativ für den gebildeten Gourmand. Aber er kommt so massen-
haft vor, daß auch der Aermste sich eine Mahlzeit davon herrichten kann.
Dabei steht er so traulich am Wege, wie in idyllischen Gruppen auf dem
abgeernteten Felde, daß ihm die Liebe des natursinnigen Volkes vieler
Orten liebkosend den Namen „Brachmännlein“ gegeben. Durch seine vom
grünen Rasen sich abhebenden schneeweißen Jndividuen zieht er das Auge
des Wanderers unwillkürlich auf sich und ladet ihn zum Genuß ein, daß
kein Wirthshaus weit und breit mehr vonnöthen ist, und roh ist sein
Geschmack am köstlichsten.

Wenn wir ihn auf unserem Gange nun betrachtend in die Hand neh-
men, so überrascht er das Auge durch seinen seltsamen Bau, wegen dessen
kein Kind und keine Köchin ihn verkennen kann.

Ueber den Bau, d. h. über die „Kennzeichen“ aber Gewißheit zu haben,
um ihn als edle Küchengabe mit keinem giftigen zu [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]verwechseln, ist der
erste berechtigte Wunsch jeder kulinarischen Herrin, die über Champignons
reden hört. Die Antwort besteht darin, daß er von giftigen Arten nur
mit einer oder zweien verwechselt werden kann, mit zwar nicht giftigen,
aber geschmack- und darum werthlosen anderen Arten nur allzu leicht.
Die ähnlichen giftigen sind aus der Gattung Amanita, deren Typus der
Fliegenpilz ist, und da ist es vor Allem der grünlichweiße „Gichtschwamm“
( Agaricus phalloides ) , und der oft innen und außen röthlich angelaufene
„Perlenschwamm“ ( Agaricus rubescens ) , die, wie der Champignon, einen
Ring um den Strunk ( Stiel ) haben und besonders in der Jugend ihm
auch sonst ähnlich sehen. Aber abgesehen davon, daß sie fast nur in Wäl-
dern vorkommen, haben sie in den meisten Fällen weißliche zerstreute
Warzen auf dem Hut, immer aber weiße Lamellen ( Strahlenblätter )
unter dem Hut, während diese beim Champignon stets in Roth gefärbt
sind. Meist sind sie bei ihm charakteristisch rosenfarbig, besonders bei eben
aufgebrochenen Exemplaren; im Alter werden sie kirsch= oder braunschwarz
und zerfließlich; bei einer Varietät sind sie auch matt chokoladensarbig.
Diese Färbung der Lamellen hat kein giftiger Pilz! Jst der
Champignon noch kugelig geschlossen, so sind die Lamellen blaß; ist man
in Zweifel, weil man seinen sonstigen Habitus noch nicht genau kennt,
so lasse man ihn vorläufig liegen, und nach wenigen Stunden wird die
Färbung eingetreten sein. Von ähnlichen, aber geschmacklosen Pilzen unter-
scheidet sich der Champignon besonders charakteristisch durch den Ring ( die
Manschette ) am Stiel und den nicht röhrigen, sondern innen vollen Stiel.
Total dem Champignon ähnlich, aber mit röhrigem Stiel und ganz ge-
schmacklos, ist der „Schafchampignon“ ( Agaricus arvensis ) , der am häu-
figsten mit dem Champignon verwechselt und für die Küche eingesam-
melt wird.

Alle anderen Kennzeichen sind unzuverlässig und Nebensache. Solche
[Ende Spaltensatz]

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[359/0007] 359 Erz oder nur die Steinkohle aufzuweisen hatten. Wohl besitzt der Harz reiche, schöne Erzgänge und starke und dichte Wälder, die, bald zur Höhe hinauf=, bald zum Thale hinabsteigend, ihm einen ganz wunderbaren Land- schaftsreiz verleihen; aber sie wurden niedergemäht, um, in Kohle ver- wandelt, hinein zu wandern in die gebauten feuerfesten Räume, um das Silber, das Blei und auch das Eisen aus seinen erdigen Ketten zu erlösen. Doch ein längeres Fortsetzen solcher Niedermetzelung von Forsten rächte sich grausam. Sie ist gewaltig reich, die Natur, im Wiederschaffen, aber gegen derartiges Eindringen der Menschheit zeigte sie sich nicht gewachsen; sie verlor immer mehr und mehr ihre starken, hohen Kinder mit dem grünen Kleide, sie versuchte nicht mehr ihre Wiedererzeugung, und wurde von ihrem Peiniger, dem Menschen, auch kaum dazu veranlaßt. Da aber das Holz zu Balken gehauen, zu Brettern geschnitten dem Menschen auf Land und Meer zum Wohnhaus dienen muß, da der Mensch des Winters Kälte, des Fleisches Zähigkeit, der Pflanzenspeisen holzige Härte nur durch des Waldes Bäume zu überwinden vermag, so wurde es plötzlich zu kostbar für den Prozeß, der in den hohen, Thürmen ähnlichen Oefen vorgenommen wurde. Seitdem gelangte die Steinkohle zu Ansehen, seitdem suchte jeder Berg= und Hüttendistrikt in seinem Terrain nach diesem schwarzen, unwirsch aussehenden Schatz. Doch der Harz und so manches andere, eben so situirte Stück der Erde barg die Steinkohle nicht in seinem Jnnern, und sah nun sein Ansehen, seine Leistungsfähigkeit hinunter, rückwärts und immer mit jedem Jahrzehent weiter rückwärts gehen. Dafür entstand an anderen Orten, wo man an der Steinkohle reich und gesegnet war, wo man in demselben Zuge das Eisenerz fand, eine Jndustrie, deren größte Ent- wicklung man wohl ahnen, aber in allen ihren Dimensionen noch nicht voraussagen kann. Diese Vereinigung des Menschengenies mit der Kraft der Natur zu schauen, ist kein Stück deutscher Erde geeigneter, als Oberschlesien._ Zwei Gesteine, der Schieferthon und der Sandstein, sind's, die dort das nützliche Fossil in mächtigen Einsprengungen oder Einlagerungen, welche der Bergmann Flötze nennt, eingeschlossen haben. Es ist nirgends in der Welt ein so ausgebreitetes Steinkohlengebiet, als dieses. Von Zabrze in Oberschlesien über das so mächtig aufblühende Eisenwerk Königshütte zieht es hinweg nach der russischen Grenze und geht — die Natur kennt ja keine Kosaken — hinüber, um bei Dombrowo im russischen Polen mit einem ganz merkwürdigen Vorkommen zu enden. Während dieser Steinkohlenzug in Schlesien sich nur selten aus der Tiefe der Erde hinaus bis fast an's Tageslicht erhebt, so scheut er's dort in Rußland nicht, gleichsam wie zum Hohn über dieses mit chinesischer Landessperre versehene Volk, fast in seiner ganzen Ausdehnung sich flach an der Erd- oberfläche hinzulagern. Und in welcher Ausdehnung! Da zieht sie, so weit sie jetzt von dem anliegenden Gestein blosgelegt ist, da zieht sie, die Stein- kohlenwand, in wohl zehn Minuten langer Strecke in einer Mächtigkeit von siebzig Fuß hin. Es ist ein gewaltiger Anblick, diese aufrecht- stehende schwarze Masse, die bis zu siebzig Fuß Tiefe, ja an einigen Stellen bis zu achtzig Fuß Tiefe hinuntergeht, die von keinem andern Ge- stein, von nichts, gar nichts verunreinigt ist, es ist ein Anblick, wie ihn in ähnlicher Weise die Welt nicht mehr zu bieten vermag. Dann erst, hinter dieser langen Wand, schiebt sich eine Kohlenschiefermasse dazwischen, die jedoch kaum eine halbe Stunde weit fortgeht, um wiederum einem mäch- tigen zu Tage gehenden Steinkohlenlager bei Gonolog, also ganz in der Nähe von Dombrowo, Platz zu machen. Gewiß, so wird ein Jeder den- ken, muß in und an diesem Steinkohlenberg ein Gewühl von Menschen sein, wie in einem Ameisenhaufen. Gewiß glaubt ein Jeder, hier müsse es Tag und Nacht nicht aufhören, wiederzudröhnen von den durch Pulver- explosionen ausgeführten Sprengungen, hier müßte des Schlägels und des Hammers Schlag fortwährend tönen, hier müßten gewaltige Maschinen im Verein mit Karren und Wagen die losgebrochenen Kohlen hinauffördern, hier würde man Lokomotiven pfeifen und in gewaltiger Hast hin und her sausen sehen. Ja, Alles das ist zu hören und zu sehen in Königshütte in Schlesien — todt und öde dagegen ist's hier in Rußland. Man bemerkt hin und wieder ein paar Frauen, die in Karren die Kohle hinaufschleppen, man erblickt, wenn man in die wenigen Abbaustrecken hineinfährt, hie und da einige Leute, die mit allen möglichen bergmännischen Arbeiten beschäf- tigt scheinen, man soll auch hin und wieder bei längerem Aufenthalt ein- mal eine Steinkohlenwand lossprengen hören. Da kann dem Fachmann, und wir glauben, auch dem Laien, die Hand zur Faust sich ballen über dies Verachten der Naturschätze, da, wo ein armes Volk sich kaum zu ernähren vermag, wo sich so leicht Erwerbsquellen für Tausende finden ließen. Doch ehe wir solch ein Urtheil fällen, erscheint's nöthig, vorher einige Einwände zu erledigen. Das „Kohl“ — so nennt der Bergmann jedes Lager von Steinkohlen — mag ja schlechte, untaugliche Kohlen ber- gen, mag ja in weiter Umgegend kaum Gelegenheit finden, irgendwie ver- werthet zu werden. Beides läßt sich leicht abweisen, da einmal die Kohle eine weder zu fette, also eine nicht leicht backende, noch eine zu magere, und nicht zu aschenreiche ist. Andererseits würde sie aber leicht und gut für die Verschmelzung des sich aus Schlesien ebenfalls herziehenden Eisen- erzzuges brauchen lassen, wenn man nur wollte. Es stehen dort zwei Hochöfen mit einem vorzüglichen Gebläse, mit einem sehr zweckmäßig eingerichteten Walzwerk, denn die Maschinen zu denselben hat eine Ber- liner Firma, „Egells“, hier aufgestellt; aber das Gebläse bläst keinen Wind in den Ofen, da ja keine Flamme in demselben brennt, und das Walzwerk steht still. Das einzige wirklich bemerkbare Leben brachten die Kohlenmeiler hervor. Daß auch diese nach der elendesten Methode hergestellt, daß dabei ein ganz ungewöhnlicher Abbrand, den uns unser Führer, ein höherer Hüttenbeamter, naiv genug auf 1 / 3 angab, darf uns, nach allem vorher Mitgetheilten, nicht mehr wundern. An Eins zu glauben wurde uns doch schwer. Wir fanden, wie wir schon sagten, keinen Hochofen in Arbeit; daß er aber überhaupt nur ungefähr drei Wochen im Jahre thätig sei, wurde uns von einem, der die dortigen Ver- hältnisse genau kannte, auf's Festeste versichert. Daneben die Thätigkeit, die fast übereifrige Thätigkeit der zwei Meilen weiter, aber in Preußen liegenden Laurahütte gehalten, gewährt ein Bild, wie Tag und Nacht. Hier in Rußland ungenutztes Liegenlassen der metall= und gesteinreichen Eingeweide der Erde, dort — ein fast übereifriges Benutzen derselben. Ueber- eifrig drang die Laurahütte, da sie Kalkstein zum Zuschlag in ihren Hochöfen brauchte und ihre Grube schon bis zur russischen Grenze verbraucht, ruhig und vorläufig ungehindert in das russische Gebiet, wo sie denselben vor- züglich vorfand, hinein. Drei Jahre diente schon der russische Kalk dazu, einen guten Gang der Prozesse in preußischen Hochöfen zu bewirken, als man die etwas zu sorglosen Eindringlinge gewahrte. Nun schwebt wie- derum seit einigen Jahren ein Prozeß in dieser Angelegenheit, der allem Anscheine nach doch zu Gunsten der Jntelligenz ausfallen wird. Uns we- nigstens würde es jammern, wenn die Russen für ihre Faulheit und Bor- nirtheit noch obenein eine Summe Geldes erhielten. Drum, nach dieser Beleuchtung zweier, so ganz gleich von der Natur ausgestatteter Land- strecken, geht für uns, als unumgänglicher Schluß, das hervor, daß ohne die Jntelligenz des deutschen Arbeiters, der Deutschen überhaupt, es in Schlesien so wie in Rußland steben müßte. Hundert Jahre, das glauben wir sicher, sind wir diesen Nachbarn voraus! Der Champignon. Von P. Kummer. Vielleicht hat der Leser selbst bei einem Gange in's Freie schon einmal Champignons gesucht, oder er hat sich doch ihrer gefreut, wenn sie trupp- weise oder in zierlichen Reihen am herbstlichen Wegrande standen. Wer hätte nicht zum mindesten das arme Kind für eine originell liebenswürdige Erscheinung erachtet, das, am Arm den Korb mit zartweißen Pilzen, über den Anger schreitet, um sie in der Stadt von Haus zu Haus zum Verkauf herumzutragen. Gewiß, wen der edle Geschmack dieser Pilze nicht rührt, den kann doch der gemüthliche Sondercharakter derselben und speziell der weg= und anger- vertrauten Champignons noch fesseln. Und Sonderlinge sind sie! Der monotone Typus ihrer Schirmgestalt scheint in die sonstige Formenwelt der postdiluvianischen Jahrhunderte kaum mehr zu passen. Sie schießen oft am reichlichsten auf zu einer Zeit, wo die sonstige vegetative Natur zur herbstlichen Neige geht, und schließen als die Schneeglöckchen des Herbstes das Jahr; sie läuten es aus, denn nach ihnen blüht keine Blume mehr auf in weiter Flur. Und es erntet in ihnen der Mensch einmal, ohne vorher gesäet zu haben. So sind sie wie verstreute Fremdlinge aus einer andern Welt, denn mit all' diesen formellen wie geistigen Zügen passen sie nicht in die unsrige. Wie sollte man nicht den Champignon ( Agaricus campestris ) vor allen seines Gleichen ehren! Er ist aus der Familie der Hutblätterpilze der Superlativ für den gebildeten Gourmand. Aber er kommt so massen- haft vor, daß auch der Aermste sich eine Mahlzeit davon herrichten kann. Dabei steht er so traulich am Wege, wie in idyllischen Gruppen auf dem abgeernteten Felde, daß ihm die Liebe des natursinnigen Volkes vieler Orten liebkosend den Namen „Brachmännlein“ gegeben. Durch seine vom grünen Rasen sich abhebenden schneeweißen Jndividuen zieht er das Auge des Wanderers unwillkürlich auf sich und ladet ihn zum Genuß ein, daß kein Wirthshaus weit und breit mehr vonnöthen ist, und roh ist sein Geschmack am köstlichsten. Wenn wir ihn auf unserem Gange nun betrachtend in die Hand neh- men, so überrascht er das Auge durch seinen seltsamen Bau, wegen dessen kein Kind und keine Köchin ihn verkennen kann. Ueber den Bau, d. h. über die „Kennzeichen“ aber Gewißheit zu haben, um ihn als edle Küchengabe mit keinem giftigen zu ___________verwechseln, ist der erste berechtigte Wunsch jeder kulinarischen Herrin, die über Champignons reden hört. Die Antwort besteht darin, daß er von giftigen Arten nur mit einer oder zweien verwechselt werden kann, mit zwar nicht giftigen, aber geschmack- und darum werthlosen anderen Arten nur allzu leicht. Die ähnlichen giftigen sind aus der Gattung Amanita, deren Typus der Fliegenpilz ist, und da ist es vor Allem der grünlichweiße „Gichtschwamm“ ( Agaricus phalloides ) , und der oft innen und außen röthlich angelaufene „Perlenschwamm“ ( Agaricus rubescens ) , die, wie der Champignon, einen Ring um den Strunk ( Stiel ) haben und besonders in der Jugend ihm auch sonst ähnlich sehen. Aber abgesehen davon, daß sie fast nur in Wäl- dern vorkommen, haben sie in den meisten Fällen weißliche zerstreute Warzen auf dem Hut, immer aber weiße Lamellen ( Strahlenblätter ) unter dem Hut, während diese beim Champignon stets in Roth gefärbt sind. Meist sind sie bei ihm charakteristisch rosenfarbig, besonders bei eben aufgebrochenen Exemplaren; im Alter werden sie kirsch= oder braunschwarz und zerfließlich; bei einer Varietät sind sie auch matt chokoladensarbig. Diese Färbung der Lamellen hat kein giftiger Pilz! Jst der Champignon noch kugelig geschlossen, so sind die Lamellen blaß; ist man in Zweifel, weil man seinen sonstigen Habitus noch nicht genau kennt, so lasse man ihn vorläufig liegen, und nach wenigen Stunden wird die Färbung eingetreten sein. Von ähnlichen, aber geschmacklosen Pilzen unter- scheidet sich der Champignon besonders charakteristisch durch den Ring ( die Manschette ) am Stiel und den nicht röhrigen, sondern innen vollen Stiel. Total dem Champignon ähnlich, aber mit röhrigem Stiel und ganz ge- schmacklos, ist der „Schafchampignon“ ( Agaricus arvensis ) , der am häu- figsten mit dem Champignon verwechselt und für die Küche eingesam- melt wird. Alle anderen Kennzeichen sind unzuverlässig und Nebensache. Solche

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 45. Berlin, 8. November 1868, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt45_1868/7>, abgerufen am 14.08.2024.