Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 32. Berlin, 8. August 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] entfalteten Standarten am hellen Tage aus Nocera, um in das Lager von
Monteforte überzugehen, und ein Bataillon der königlichen Garde folgte
diesem Beispiel. Solchen drohenden Anzeichen gegenüber verlor die Re-
gierung den Kopf. Die Grausamkeit ist der Gefahr gegenüber in der
Regel feig und furchtsam, deshalb wurden im königlichen Schlosse die
Wachen verdoppelt, ebenso die Runden durch die Stadt Neapel, und die
Truppen mußten schlagfertig in ihren Quartieren stehen. Jn einem
Schreiben des Generals Nunziante an den König standen die Worte:

"Sire, die Konstitution ist der allgemeine Wunsch Jhres Volkes, unser
Widerstreben wird vergeblich sein; ich bitte Ew Majestät, sie zu bewilligen."

Dieses Schreiben eines Ferdinand treu ergebenen Mannes rief Trauer
und Bestürzung in der Umgebung des Königs hervor, und alle gegen-
theiligen Versicherungen vermochten keinen Trost zu bringen. Ein Zufall
beschleunigte die Katastrophe. Der General Wilhelm Pepe, wegen seiner
Freisinnigkeit von dem König zurückgesetzt und mit Mißtrauen betrachtet,
befand sich in Neapel und wurde durch einen Freund benachrichtigt, daß
der König die Absicht hege, ihn in's Gefängniß werfen zu lassen, weil
man fürchtete, daß er seinen Arm der Revolution leihen könnte. Sofort
verfügte sich Pepe zu dem General Napoletani, Beide versammelten mitten
in der Nacht in den Quartieren an der Magdalenenbrücke Offiziere und
Soldaten und hielten feurige Reden an dieselben, so daß sich ein Reiter-
regiment und eine Abtheilung Jnfanterie entschloß, mit ihnen in das Lager
der Aufständischen zu ziehen, und diesem Entschluß sogleich Folge gab.
Die Nachricht dieses Ereignisses durchlief mit Blitzesschnelle die Stadt und
rief in dem königlichen Palast einen wahrhaft panischen Schrecken hervor.
Mit dem Einzuge der Furcht hatte man den Muth zum Handeln verloren.
Noch in derselben Nacht erschienen fünf Mitglieder des Carbonaribundes
als Abgeordnete des Volkes im königlichen Palast und betraten ohne wei-
tere Förmlichkeiten die Zimmer des Königs. Die bestürzten Diener wagten
es nicht, die Eintretenden aufzuhalten, beeilten sich vielmehr, dem König
die geforderte Meldung zu machen. Augenblicklich erschien der Herzog von
Ascoli, einer der Vertrautesten Ferdinand's, und erkundigte sich nach dem
Begehren der Herren.

"Wir sind beauftragt", antwortete Einer derselben, "dem König zu
erklären, daß die Ruhe der Hauptstadt nicht aufrecht erhalten werden kann,
auch nicht aufrecht erhalten werden soll, wenn Seine Majestät nicht die
geforderte Verfassung bewilligt. Carbonari, Soldaten, Bürger und Volk
sind unter den Waffen, der Bund der Carbonari ist versammelt. Alle
warten, um ihre Maßregeln zu ergreifen, nur auf die Antwort des Königs."

"Jch gehe, sie zu holen", antwortete Ascoli und entfernte sich, kehrte
jedoch nach kurzer Weile wieder zurück und sagte zu den Harrenden: "Jn
Betracht des Wunsches der Unterthanen hatte Seine Majestät bereits be-
schlossen, eine Verfassung zu verleihen, und berathschlagt jetzt mit seinen
Ministern über die Frist, wann sie veröffentlicht werden soll."

"Und wann wird sie veröffentlicht werden?" fragte der Sprecher der
Deputation.

"Unverzüglich!"

"Das ist?"

Da trat der eigene Schwiegersohn des Herzogs von Ascoli, der Herzog
von Piccolatti, der der Deputation angehörte, vor den Herzog von Ascoli,
zog ihm ohne Umstände die Uhr aus der Tasche, hielt das Zifferblatt seinem
Schwiegervater vor das Gesicht und sagte mit bestimmendem Ton:

"Es ist ein Uhr nach Mitternacht, um drei Uhr wird die Verfassung
veröffentlicht sein."

Damit gab er dem Herzog die Uhr wieder zurück und die Deputation
entfernte sich. Bei dem König befanden sich sein ältester Sohn, der Herzog
von Calabrien, und drei Minister, die resultatlos hin und her beriethen,
denn in ihrem Sicherheitstraum hatte die despotische Gewalt ein solches
Ereigniß nicht erwartet. Die Minister [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]baten den König, der Dringlichkeit
der Zeitumstände nachzugeben und, auf baldigen Umschwung hoffend, das
Verlangen des Volkes zu befriedigen. Der bigotte König, der auf den
Beistand des Himmels in dieser Lage hoffte, sträubte sich zwar, ein der-
artiges Geständniß zu machen, gab aber endlich nach und unterzeichnete
folgende Bekanntmachung:

" An das Volk des Königreichs Beider Sicilien. "

Nachdem sich bei dem Volke des Königreichs Beider Sicilien der
Wunsch nach einer konstitutionellen Verfassung kundgegeben hat, willigen
Wir aus Unserem völlig freien Willen darein, und versprechen, im Laufe
von acht Tagen die Grundzüge derselben zu veröffentlichen. Bis zur
Bekanntmachung der Verfassung bleiben die zur Zeit geltenden Gesetze
in Kraft. Da hiermit dem öffentlichen Wunsch Genüge geleistet worden
ist, so befehlen Wir, daß die Truppen in ihre Corps und alle Anderen
zu ihren gewohnten Beschäftigungen zurückkehren.

Neapel, am 6. Juli 1820.     Ferdinand. "

Diese Bekanntmachung wurde durch Eilboten in das Lager der Auf-
ständischen gesandt und überall im Lande verkündet, hatte jedoch keines-
wegs die erhoffte Wirkung. Diese Zusage, hieß es, sei nur ein Kunstgriff,
um das Volk einzuschläfern, das Lager von Monteforte aufzulösen und
Alles wieder zu unterdrücken. Der König möge dem Lande die Verfassung
der spanischen Cortes verleihen, die in Europa anerkannt und von ihm
selbst, als Jnfant von Spanien, bereits beschworen sei. Lauter und lauter
erhoben sich diese Stimmen, höher und höher stieg am 6. Juli die Woge
der Bewegung, besonders als die Kunde erscholl, daß de Conciliis den
Oberbefehl über die Aufständischen in die Hände des Generals Wilhelm
Pepe niedergelegt habe. Beim Sinken des Tages wuchs der Tumult in
der Hauptstadt, der Schrecken im königlichen Palast, so daß der Reichs-
verweser die Minister und eine Anzahl einflußreicher hochgestellter Männer
zu einer schleunigen Berathung berief. Die Rede, mit welcher der Reichs-
verweser diese Versammlung eröffnete, ist eins der charakteristischen Akten-
stücke jener Zeit.

[Spaltenumbruch]

Er fprach darin von der Achtung, die er vor dem Willen und der
Macht des Volkes hege, von der Bereitwilligkeit des Königs, eine für die
Dauer gute Verfassung zu geben, und forderte schließlich die Anwesenden
auf, ihm ihre Meinungen auszusprechen und guten Rath zu ertheilen.

"Wenn unzeitige Rücksichten Jhnen den Mund schließen", endete er
seine emphatische Rede, "so begehen Sie eine Schmach an sich selbst, einen
Verrath an dem König, eine Ungerechtigkeit gegen das Vaterland und eine
Beleidigung gegen Gott."

Nach diesen Worten entfernte er sich, um die Meinung des Königs
einzuholen, kehrte aber fast momentan zurück, mit der Zustimmung desselben
zu den ausgesprochenen Ansichten. Ferdinand hatte hinter einer Tapetenthür
der Verhandlung unbemerkt beigewohnt. Sofort wurde folgende Ver-
ordnung abgefaßt und noch in derselben Nacht veröffentlicht:

"Die Verfassung des Königreichs Beider Sicilien wird die nämliche
sein, die für das Königreich Spanien im Jahre 1812 angenommen und
von Seiner katholischen Majestät im März desselben Jahres bestätigt
worden ist, jedoch mit Vorbehalt derjenigen Abänderungen, welche die
verfassungsmäßig einberufene Volksvertretung Uns vorzuschlagen für gut
finden wird, um sie den besonderen Verhältnissen der königlichen Staaten
anzupassen.     Franz, Reichsverweser."

Aber dem einmal mißtrauisch gewordenen Volke genügte das nicht; man
sah darin nur eine neue Falle und verlangte, der König selbst müsse diese
Verordnung erlassen. Erst als auch diesem Wunsche Genüge geleistet und
die Verordnung mit der Unterschrift des Königs erschienen war, legte sich
der Sturm und die Menge brach in hellen Jubel aus. Bis zu diesem
Moment war die Revolution in der allerfriedlichsten Weise verlaufen, kein
Tropfen Blut vergossen, keine Missethat verübt, die Ordnung der Dinge
nicht gestört worden. Alles fühlte sich behaglich in dem neuen Strahl der
Freiheitssonne. Es wurde ein neues Ministerium gebildet, und zwar zum
größten Theil aus Männern, die die Achtung des Volkes genossen.

Das Volk hielt musterhafte Ordnung, weil es den gemachten Ver-
sprechungen glaubte, und verlangte nur zu seiner völligen Sicherstellung
die Beschwörung der Verfassung durch den König. Ferdinand war dazu
bereit. Am 13. Juli versammelten sich in der Schloßkirche die Mitglieder
des Regierungsausschusses, das Ministerium, die Führer des Heeres, die
Großen des Hofes und die Würdenträger des Reiches, und wer sonst noch
von dem Volk Zutritt erlangen konnte. Die ganze königliche Familie, den
König an der Spitze, erschien, von jubelndem Zuruf begleitet und empfan-
gen. Nach abgehaltener Messe trat Ferdinand vor den Altar, legte die
Hand auf das Evangelium und sprach mit volltönender Stimme:

" Jch, Ferdinand von Bourbon, von Gottes Gnaden und
kraft der Verfassung der neapolitanischen Monarchie König,
mit Namen Ferdinand der Erste, des Königreichs Beider
Sicilien, schwöre zu Gott und auf das heilige Evangelium,
daß ich vertheidigen und aufrechterhalten will
--" hier folg-
ten die Hauptsätze der Verfassung. " Sollte ich gegen meinen Eid
oder irgend einen Artikel desselben handeln, so soll man
mir nicht gehorchen, und jede Handlung, womit ich ihm ent-
gegentreten würde, soll nichtig und ohne Geltung sein. Wenn
ich so thue, so helfe mir Gott und schütze mich, andernfalls
fordere er von mir Rechenschaft.
"

Dann setzte Ferdinand, die Augen auf das Kruzifix gerichtet, hinzu:

" Allmächtiger Gott, der Du mit unermeßlichem Blick in
der Seele und in der Zukunft liesest, wenn ich lüge oder wenn
ich gegen den Eid fehlen werde, so richte in diesem Augen-
blick die Blitze Deiner Rache auf mein Haupt.
"

Hierauf küßte er nochmals das Evangelium und trat zurück. Die
Scene war ebenso ergreifend, als feierlich, und ehrfurchtsvoll hingen Aller
Blicke an dem Antlitz des greisen Königs. Dieser Moment hüllte alle
Unthaten der Vergangenheit in den Schleier des Vergessens, zudem hatte
ja die herausgeforderte Rache des Himmels geschwiegen. Nach dem König
leisteten der Herzog von Calabrien und der Herzog von Salerno den Eid,
indem sie sich dabei vor ihrem Vater auf die Kniee niederließen, der sie
nach geleistetem Eide aufhob, umarmte und segnete. An demselben Tage
wurde in dem ganzen Königreich die Verfassung beschworen, und dadurch
die Gemüther vollständig beruhigt. Man blickte vertrauend in die Zukunft.

So hatten die Dinge den Anschein, als ob man auf dem Wege des
Friedens zum Ziel gelangen würde. Dazu war noch ein auf Sicilien aus-
gebrochener Aufstand durch den General Florestan Pepe glücklich unter-
drückt worden, und man ging daran, die Ordnung in dem Königreich auf
der Basis der Freiheit wiederherzustellen. Die Wahlen zu dem neuen
Parlament gingen ungestört vor sich, und dieses trat am 1. Oktober 1820
in Neapel zusammen. Der König entschloß sich erst nach einigem Schwan-
ken, das Parlament in Person zu eröffnen. Die Eröffnungsfeier fand in
der Heiligengeistkirche statt. Zur festgesetzten Stunde fuhren der König,
umgeben von den Prinzen und Prinzessinnen seines Hauses, den Reichs-
verweser zur Seite, in prunkvollem Aufzuge durch die Toledostraße, die
von einer jubelnden Volksmenge erfüllt war, welche den königlichen Zug
bis zur Kirche begleitete und ihm Blumen auf den Weg streute. Jn der
Kirche selbst empfing den König neuer Jubelruf. Nachdem Ferdinand sich
gegen den Altar verbeugt und das Publikum freundlich gegrüßt hatte,
nahm er auf dem für ihn errichteten Thron Platz; zu seiner Linken war
ein Sessel für den Reichsverweser aufgestellt, die Großen des Hofes, den
General Wilhelm Pepe an der Spitze, umstanden den Thron. Der Prä-
sident des Parlaments, Ritter Galdi, und der älteste Schriftführer näherten
sich ehrfurchtsvoll dem Thron; der Präsident trug das Evangeliumbuch,
der Schriftführer das Papier mit der Eidesformel. Der König erhob sich,
ergriff das Papier, legte die Hand auf die heilige Schrift und hielt sie
darauf so lange, bis er den Eid geleistet hatte, was er wiederum mit
lauter, weithin vernehmlicher Stimme that. Dann dankte er den Ver-
sammelten für den jubelnden Zuruf und nahm seinen Sitz wieder ein. Der
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] entfalteten Standarten am hellen Tage aus Nocera, um in das Lager von
Monteforte überzugehen, und ein Bataillon der königlichen Garde folgte
diesem Beispiel. Solchen drohenden Anzeichen gegenüber verlor die Re-
gierung den Kopf. Die Grausamkeit ist der Gefahr gegenüber in der
Regel feig und furchtsam, deshalb wurden im königlichen Schlosse die
Wachen verdoppelt, ebenso die Runden durch die Stadt Neapel, und die
Truppen mußten schlagfertig in ihren Quartieren stehen. Jn einem
Schreiben des Generals Nunziante an den König standen die Worte:

„Sire, die Konstitution ist der allgemeine Wunsch Jhres Volkes, unser
Widerstreben wird vergeblich sein; ich bitte Ew Majestät, sie zu bewilligen.“

Dieses Schreiben eines Ferdinand treu ergebenen Mannes rief Trauer
und Bestürzung in der Umgebung des Königs hervor, und alle gegen-
theiligen Versicherungen vermochten keinen Trost zu bringen. Ein Zufall
beschleunigte die Katastrophe. Der General Wilhelm Pepe, wegen seiner
Freisinnigkeit von dem König zurückgesetzt und mit Mißtrauen betrachtet,
befand sich in Neapel und wurde durch einen Freund benachrichtigt, daß
der König die Absicht hege, ihn in's Gefängniß werfen zu lassen, weil
man fürchtete, daß er seinen Arm der Revolution leihen könnte. Sofort
verfügte sich Pepe zu dem General Napoletani, Beide versammelten mitten
in der Nacht in den Quartieren an der Magdalenenbrücke Offiziere und
Soldaten und hielten feurige Reden an dieselben, so daß sich ein Reiter-
regiment und eine Abtheilung Jnfanterie entschloß, mit ihnen in das Lager
der Aufständischen zu ziehen, und diesem Entschluß sogleich Folge gab.
Die Nachricht dieses Ereignisses durchlief mit Blitzesschnelle die Stadt und
rief in dem königlichen Palast einen wahrhaft panischen Schrecken hervor.
Mit dem Einzuge der Furcht hatte man den Muth zum Handeln verloren.
Noch in derselben Nacht erschienen fünf Mitglieder des Carbonaribundes
als Abgeordnete des Volkes im königlichen Palast und betraten ohne wei-
tere Förmlichkeiten die Zimmer des Königs. Die bestürzten Diener wagten
es nicht, die Eintretenden aufzuhalten, beeilten sich vielmehr, dem König
die geforderte Meldung zu machen. Augenblicklich erschien der Herzog von
Ascoli, einer der Vertrautesten Ferdinand's, und erkundigte sich nach dem
Begehren der Herren.

„Wir sind beauftragt“, antwortete Einer derselben, „dem König zu
erklären, daß die Ruhe der Hauptstadt nicht aufrecht erhalten werden kann,
auch nicht aufrecht erhalten werden soll, wenn Seine Majestät nicht die
geforderte Verfassung bewilligt. Carbonari, Soldaten, Bürger und Volk
sind unter den Waffen, der Bund der Carbonari ist versammelt. Alle
warten, um ihre Maßregeln zu ergreifen, nur auf die Antwort des Königs.“

„Jch gehe, sie zu holen“, antwortete Ascoli und entfernte sich, kehrte
jedoch nach kurzer Weile wieder zurück und sagte zu den Harrenden: „Jn
Betracht des Wunsches der Unterthanen hatte Seine Majestät bereits be-
schlossen, eine Verfassung zu verleihen, und berathschlagt jetzt mit seinen
Ministern über die Frist, wann sie veröffentlicht werden soll.“

„Und wann wird sie veröffentlicht werden?“ fragte der Sprecher der
Deputation.

„Unverzüglich!“

„Das ist?“

Da trat der eigene Schwiegersohn des Herzogs von Ascoli, der Herzog
von Piccolatti, der der Deputation angehörte, vor den Herzog von Ascoli,
zog ihm ohne Umstände die Uhr aus der Tasche, hielt das Zifferblatt seinem
Schwiegervater vor das Gesicht und sagte mit bestimmendem Ton:

„Es ist ein Uhr nach Mitternacht, um drei Uhr wird die Verfassung
veröffentlicht sein.“

Damit gab er dem Herzog die Uhr wieder zurück und die Deputation
entfernte sich. Bei dem König befanden sich sein ältester Sohn, der Herzog
von Calabrien, und drei Minister, die resultatlos hin und her beriethen,
denn in ihrem Sicherheitstraum hatte die despotische Gewalt ein solches
Ereigniß nicht erwartet. Die Minister [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]baten den König, der Dringlichkeit
der Zeitumstände nachzugeben und, auf baldigen Umschwung hoffend, das
Verlangen des Volkes zu befriedigen. Der bigotte König, der auf den
Beistand des Himmels in dieser Lage hoffte, sträubte sich zwar, ein der-
artiges Geständniß zu machen, gab aber endlich nach und unterzeichnete
folgende Bekanntmachung:

An das Volk des Königreichs Beider Sicilien.

Nachdem sich bei dem Volke des Königreichs Beider Sicilien der
Wunsch nach einer konstitutionellen Verfassung kundgegeben hat, willigen
Wir aus Unserem völlig freien Willen darein, und versprechen, im Laufe
von acht Tagen die Grundzüge derselben zu veröffentlichen. Bis zur
Bekanntmachung der Verfassung bleiben die zur Zeit geltenden Gesetze
in Kraft. Da hiermit dem öffentlichen Wunsch Genüge geleistet worden
ist, so befehlen Wir, daß die Truppen in ihre Corps und alle Anderen
zu ihren gewohnten Beschäftigungen zurückkehren.

Neapel, am 6. Juli 1820.     Ferdinand.

Diese Bekanntmachung wurde durch Eilboten in das Lager der Auf-
ständischen gesandt und überall im Lande verkündet, hatte jedoch keines-
wegs die erhoffte Wirkung. Diese Zusage, hieß es, sei nur ein Kunstgriff,
um das Volk einzuschläfern, das Lager von Monteforte aufzulösen und
Alles wieder zu unterdrücken. Der König möge dem Lande die Verfassung
der spanischen Cortes verleihen, die in Europa anerkannt und von ihm
selbst, als Jnfant von Spanien, bereits beschworen sei. Lauter und lauter
erhoben sich diese Stimmen, höher und höher stieg am 6. Juli die Woge
der Bewegung, besonders als die Kunde erscholl, daß de Conciliis den
Oberbefehl über die Aufständischen in die Hände des Generals Wilhelm
Pepe niedergelegt habe. Beim Sinken des Tages wuchs der Tumult in
der Hauptstadt, der Schrecken im königlichen Palast, so daß der Reichs-
verweser die Minister und eine Anzahl einflußreicher hochgestellter Männer
zu einer schleunigen Berathung berief. Die Rede, mit welcher der Reichs-
verweser diese Versammlung eröffnete, ist eins der charakteristischen Akten-
stücke jener Zeit.

[Spaltenumbruch]

Er fprach darin von der Achtung, die er vor dem Willen und der
Macht des Volkes hege, von der Bereitwilligkeit des Königs, eine für die
Dauer gute Verfassung zu geben, und forderte schließlich die Anwesenden
auf, ihm ihre Meinungen auszusprechen und guten Rath zu ertheilen.

„Wenn unzeitige Rücksichten Jhnen den Mund schließen“, endete er
seine emphatische Rede, „so begehen Sie eine Schmach an sich selbst, einen
Verrath an dem König, eine Ungerechtigkeit gegen das Vaterland und eine
Beleidigung gegen Gott.“

Nach diesen Worten entfernte er sich, um die Meinung des Königs
einzuholen, kehrte aber fast momentan zurück, mit der Zustimmung desselben
zu den ausgesprochenen Ansichten. Ferdinand hatte hinter einer Tapetenthür
der Verhandlung unbemerkt beigewohnt. Sofort wurde folgende Ver-
ordnung abgefaßt und noch in derselben Nacht veröffentlicht:

„Die Verfassung des Königreichs Beider Sicilien wird die nämliche
sein, die für das Königreich Spanien im Jahre 1812 angenommen und
von Seiner katholischen Majestät im März desselben Jahres bestätigt
worden ist, jedoch mit Vorbehalt derjenigen Abänderungen, welche die
verfassungsmäßig einberufene Volksvertretung Uns vorzuschlagen für gut
finden wird, um sie den besonderen Verhältnissen der königlichen Staaten
anzupassen.     Franz, Reichsverweser.“

Aber dem einmal mißtrauisch gewordenen Volke genügte das nicht; man
sah darin nur eine neue Falle und verlangte, der König selbst müsse diese
Verordnung erlassen. Erst als auch diesem Wunsche Genüge geleistet und
die Verordnung mit der Unterschrift des Königs erschienen war, legte sich
der Sturm und die Menge brach in hellen Jubel aus. Bis zu diesem
Moment war die Revolution in der allerfriedlichsten Weise verlaufen, kein
Tropfen Blut vergossen, keine Missethat verübt, die Ordnung der Dinge
nicht gestört worden. Alles fühlte sich behaglich in dem neuen Strahl der
Freiheitssonne. Es wurde ein neues Ministerium gebildet, und zwar zum
größten Theil aus Männern, die die Achtung des Volkes genossen.

Das Volk hielt musterhafte Ordnung, weil es den gemachten Ver-
sprechungen glaubte, und verlangte nur zu seiner völligen Sicherstellung
die Beschwörung der Verfassung durch den König. Ferdinand war dazu
bereit. Am 13. Juli versammelten sich in der Schloßkirche die Mitglieder
des Regierungsausschusses, das Ministerium, die Führer des Heeres, die
Großen des Hofes und die Würdenträger des Reiches, und wer sonst noch
von dem Volk Zutritt erlangen konnte. Die ganze königliche Familie, den
König an der Spitze, erschien, von jubelndem Zuruf begleitet und empfan-
gen. Nach abgehaltener Messe trat Ferdinand vor den Altar, legte die
Hand auf das Evangelium und sprach mit volltönender Stimme:

Jch, Ferdinand von Bourbon, von Gottes Gnaden und
kraft der Verfassung der neapolitanischen Monarchie König,
mit Namen Ferdinand der Erste, des Königreichs Beider
Sicilien, schwöre zu Gott und auf das heilige Evangelium,
daß ich vertheidigen und aufrechterhalten will
—“ hier folg-
ten die Hauptsätze der Verfassung. „ Sollte ich gegen meinen Eid
oder irgend einen Artikel desselben handeln, so soll man
mir nicht gehorchen, und jede Handlung, womit ich ihm ent-
gegentreten würde, soll nichtig und ohne Geltung sein. Wenn
ich so thue, so helfe mir Gott und schütze mich, andernfalls
fordere er von mir Rechenschaft.

Dann setzte Ferdinand, die Augen auf das Kruzifix gerichtet, hinzu:

Allmächtiger Gott, der Du mit unermeßlichem Blick in
der Seele und in der Zukunft liesest, wenn ich lüge oder wenn
ich gegen den Eid fehlen werde, so richte in diesem Augen-
blick die Blitze Deiner Rache auf mein Haupt.

Hierauf küßte er nochmals das Evangelium und trat zurück. Die
Scene war ebenso ergreifend, als feierlich, und ehrfurchtsvoll hingen Aller
Blicke an dem Antlitz des greisen Königs. Dieser Moment hüllte alle
Unthaten der Vergangenheit in den Schleier des Vergessens, zudem hatte
ja die herausgeforderte Rache des Himmels geschwiegen. Nach dem König
leisteten der Herzog von Calabrien und der Herzog von Salerno den Eid,
indem sie sich dabei vor ihrem Vater auf die Kniee niederließen, der sie
nach geleistetem Eide aufhob, umarmte und segnete. An demselben Tage
wurde in dem ganzen Königreich die Verfassung beschworen, und dadurch
die Gemüther vollständig beruhigt. Man blickte vertrauend in die Zukunft.

So hatten die Dinge den Anschein, als ob man auf dem Wege des
Friedens zum Ziel gelangen würde. Dazu war noch ein auf Sicilien aus-
gebrochener Aufstand durch den General Florestan Pepe glücklich unter-
drückt worden, und man ging daran, die Ordnung in dem Königreich auf
der Basis der Freiheit wiederherzustellen. Die Wahlen zu dem neuen
Parlament gingen ungestört vor sich, und dieses trat am 1. Oktober 1820
in Neapel zusammen. Der König entschloß sich erst nach einigem Schwan-
ken, das Parlament in Person zu eröffnen. Die Eröffnungsfeier fand in
der Heiligengeistkirche statt. Zur festgesetzten Stunde fuhren der König,
umgeben von den Prinzen und Prinzessinnen seines Hauses, den Reichs-
verweser zur Seite, in prunkvollem Aufzuge durch die Toledostraße, die
von einer jubelnden Volksmenge erfüllt war, welche den königlichen Zug
bis zur Kirche begleitete und ihm Blumen auf den Weg streute. Jn der
Kirche selbst empfing den König neuer Jubelruf. Nachdem Ferdinand sich
gegen den Altar verbeugt und das Publikum freundlich gegrüßt hatte,
nahm er auf dem für ihn errichteten Thron Platz; zu seiner Linken war
ein Sessel für den Reichsverweser aufgestellt, die Großen des Hofes, den
General Wilhelm Pepe an der Spitze, umstanden den Thron. Der Prä-
sident des Parlaments, Ritter Galdi, und der älteste Schriftführer näherten
sich ehrfurchtsvoll dem Thron; der Präsident trug das Evangeliumbuch,
der Schriftführer das Papier mit der Eidesformel. Der König erhob sich,
ergriff das Papier, legte die Hand auf die heilige Schrift und hielt sie
darauf so lange, bis er den Eid geleistet hatte, was er wiederum mit
lauter, weithin vernehmlicher Stimme that. Dann dankte er den Ver-
sammelten für den jubelnden Zuruf und nahm seinen Sitz wieder ein. Der
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0007" n="255"/><fw type="pageNum" place="top">255</fw><cb type="start"/>
entfalteten Standarten am hellen Tage aus Nocera, um in das Lager von<lb/>
Monteforte überzugehen, und ein Bataillon der königlichen Garde folgte<lb/>
diesem Beispiel. Solchen drohenden Anzeichen gegenüber verlor die Re-<lb/>
gierung den Kopf. Die Grausamkeit ist der Gefahr gegenüber in der<lb/>
Regel feig und furchtsam, deshalb wurden im königlichen Schlosse die<lb/>
Wachen verdoppelt, ebenso die Runden durch die Stadt Neapel, und die<lb/>
Truppen mußten schlagfertig in ihren Quartieren stehen. Jn einem<lb/>
Schreiben des Generals Nunziante an den König standen die Worte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sire, die Konstitution ist der allgemeine Wunsch Jhres Volkes, unser<lb/>
Widerstreben wird vergeblich sein; ich bitte Ew Majestät, sie zu bewilligen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Dieses Schreiben eines Ferdinand treu ergebenen Mannes rief Trauer<lb/>
und Bestürzung in der Umgebung des Königs hervor, und alle gegen-<lb/>
theiligen Versicherungen vermochten keinen Trost zu bringen. Ein Zufall<lb/>
beschleunigte die Katastrophe. Der General Wilhelm Pepe, wegen seiner<lb/>
Freisinnigkeit von dem König zurückgesetzt und mit Mißtrauen betrachtet,<lb/>
befand sich in Neapel und wurde durch einen Freund benachrichtigt, daß<lb/>
der König die Absicht hege, ihn in's Gefängniß werfen zu lassen, weil<lb/>
man fürchtete, daß er seinen Arm der Revolution leihen könnte. Sofort<lb/>
verfügte sich Pepe zu dem General Napoletani, Beide versammelten mitten<lb/>
in der Nacht in den Quartieren an der Magdalenenbrücke Offiziere und<lb/>
Soldaten und hielten feurige Reden an dieselben, so daß sich ein Reiter-<lb/>
regiment und eine Abtheilung Jnfanterie entschloß, mit ihnen in das Lager<lb/>
der Aufständischen zu ziehen, und diesem Entschluß sogleich Folge gab.<lb/>
Die Nachricht dieses Ereignisses durchlief mit Blitzesschnelle die Stadt und<lb/>
rief in dem königlichen Palast einen wahrhaft panischen Schrecken hervor.<lb/>
Mit dem Einzuge der Furcht hatte man den Muth zum Handeln verloren.<lb/>
Noch in derselben Nacht erschienen fünf Mitglieder des Carbonaribundes<lb/>
als Abgeordnete des Volkes im königlichen Palast und betraten ohne wei-<lb/>
tere Förmlichkeiten die Zimmer des Königs. Die bestürzten Diener wagten<lb/>
es nicht, die Eintretenden aufzuhalten, beeilten sich vielmehr, dem König<lb/>
die geforderte Meldung zu machen. Augenblicklich erschien der Herzog von<lb/>
Ascoli, einer der Vertrautesten Ferdinand's, und erkundigte sich nach dem<lb/>
Begehren der Herren.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir sind beauftragt&#x201C;, antwortete Einer derselben, &#x201E;dem König zu<lb/>
erklären, daß die Ruhe der Hauptstadt nicht aufrecht erhalten werden kann,<lb/>
auch nicht aufrecht erhalten werden soll, wenn Seine Majestät nicht die<lb/>
geforderte Verfassung bewilligt. Carbonari, Soldaten, Bürger und Volk<lb/>
sind unter den Waffen, der Bund der Carbonari ist versammelt. Alle<lb/>
warten, um ihre Maßregeln zu ergreifen, nur auf die Antwort des Königs.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch gehe, sie zu holen&#x201C;, antwortete Ascoli und entfernte sich, kehrte<lb/>
jedoch nach kurzer Weile wieder zurück und sagte zu den Harrenden: &#x201E;Jn<lb/>
Betracht des Wunsches der Unterthanen hatte Seine Majestät bereits be-<lb/>
schlossen, eine Verfassung zu verleihen, und berathschlagt jetzt mit seinen<lb/>
Ministern über die Frist, wann sie veröffentlicht werden soll.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wann wird sie veröffentlicht werden?&#x201C; fragte der Sprecher der<lb/>
Deputation.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Unverzüglich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das ist?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Da trat der eigene Schwiegersohn des Herzogs von Ascoli, der Herzog<lb/>
von Piccolatti, der der Deputation angehörte, vor den Herzog von Ascoli,<lb/>
zog ihm ohne Umstände die Uhr aus der Tasche, hielt das Zifferblatt seinem<lb/>
Schwiegervater vor das Gesicht und sagte mit bestimmendem Ton:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es ist ein Uhr nach Mitternacht, um drei Uhr wird die Verfassung<lb/>
veröffentlicht sein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Damit gab er dem Herzog die Uhr wieder zurück und die Deputation<lb/>
entfernte sich. Bei dem König befanden sich sein ältester Sohn, der Herzog<lb/>
von Calabrien, und drei Minister, die resultatlos hin und her beriethen,<lb/>
denn in ihrem Sicherheitstraum hatte die despotische Gewalt ein solches<lb/>
Ereigniß nicht erwartet. Die Minister <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="5"/>baten den König, der Dringlichkeit<lb/>
der Zeitumstände nachzugeben und, auf baldigen Umschwung hoffend, das<lb/>
Verlangen des Volkes zu befriedigen. Der bigotte König, der auf den<lb/>
Beistand des Himmels in dieser Lage hoffte, sträubte sich zwar, ein der-<lb/>
artiges Geständniß zu machen, gab aber endlich nach und unterzeichnete<lb/>
folgende Bekanntmachung:</p><lb/>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p rendition="#c">&#x201E; <hi rendition="#g">An das Volk des Königreichs Beider Sicilien.</hi> &#x201C;</p><lb/>
              <p>Nachdem sich bei dem Volke des Königreichs Beider Sicilien der<lb/>
Wunsch nach einer konstitutionellen Verfassung kundgegeben hat, willigen<lb/>
Wir aus Unserem völlig freien Willen darein, und versprechen, im Laufe<lb/>
von acht Tagen die Grundzüge derselben zu veröffentlichen. Bis zur<lb/>
Bekanntmachung der Verfassung bleiben die zur Zeit geltenden Gesetze<lb/>
in Kraft. Da hiermit dem öffentlichen Wunsch Genüge geleistet worden<lb/>
ist, so befehlen Wir, daß die Truppen in ihre Corps und alle Anderen<lb/>
zu ihren gewohnten Beschäftigungen zurückkehren.</p><lb/>
              <p>Neapel, am 6. Juli 1820.  <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#g">Ferdinand.</hi> &#x201C;</p>
            </div>
          </body>
        </floatingText><lb/>
        <p>Diese Bekanntmachung wurde durch Eilboten in das Lager der Auf-<lb/>
ständischen gesandt und überall im Lande verkündet, hatte jedoch keines-<lb/>
wegs die erhoffte Wirkung. Diese Zusage, hieß es, sei nur ein Kunstgriff,<lb/>
um das Volk einzuschläfern, das Lager von Monteforte aufzulösen und<lb/>
Alles wieder zu unterdrücken. Der König möge dem Lande die Verfassung<lb/>
der spanischen Cortes verleihen, die in Europa anerkannt und von ihm<lb/>
selbst, als Jnfant von Spanien, bereits beschworen sei. Lauter und lauter<lb/>
erhoben sich diese Stimmen, höher und höher stieg am 6. Juli die Woge<lb/>
der Bewegung, besonders als die Kunde erscholl, daß de Conciliis den<lb/>
Oberbefehl über die Aufständischen in die Hände des Generals Wilhelm<lb/>
Pepe niedergelegt habe. Beim Sinken des Tages wuchs der Tumult in<lb/>
der Hauptstadt, der Schrecken im königlichen Palast, so daß der Reichs-<lb/>
verweser die Minister und eine Anzahl einflußreicher hochgestellter Männer<lb/>
zu einer schleunigen Berathung berief. Die Rede, mit welcher der Reichs-<lb/>
verweser diese Versammlung eröffnete, ist eins der charakteristischen Akten-<lb/>
stücke jener Zeit.</p><lb/>
        <cb n="2"/>
        <p>Er fprach darin von der Achtung, die er vor dem Willen und der<lb/>
Macht des Volkes hege, von der Bereitwilligkeit des Königs, eine für die<lb/>
Dauer gute Verfassung zu geben, und forderte schließlich die Anwesenden<lb/>
auf, ihm ihre Meinungen auszusprechen und guten Rath zu ertheilen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn unzeitige Rücksichten Jhnen den Mund schließen&#x201C;, endete er<lb/>
seine emphatische Rede, &#x201E;so begehen Sie eine Schmach an sich selbst, einen<lb/>
Verrath an dem König, eine Ungerechtigkeit gegen das Vaterland und eine<lb/>
Beleidigung gegen Gott.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nach diesen Worten entfernte er sich, um die Meinung des Königs<lb/>
einzuholen, kehrte aber fast momentan zurück, mit der Zustimmung desselben<lb/>
zu den ausgesprochenen Ansichten. Ferdinand hatte hinter einer Tapetenthür<lb/>
der Verhandlung unbemerkt beigewohnt. Sofort wurde folgende Ver-<lb/>
ordnung abgefaßt und noch in derselben Nacht veröffentlicht:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Verfassung des Königreichs Beider Sicilien wird die nämliche<lb/>
sein, die für das Königreich Spanien im Jahre 1812 angenommen und<lb/>
von Seiner katholischen Majestät im März desselben Jahres bestätigt<lb/>
worden ist, jedoch mit Vorbehalt derjenigen Abänderungen, welche die<lb/>
verfassungsmäßig einberufene Volksvertretung Uns vorzuschlagen für gut<lb/>
finden wird, um sie den besonderen Verhältnissen der königlichen Staaten<lb/>
anzupassen.  <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#g">Franz,</hi> Reichsverweser.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Aber dem einmal mißtrauisch gewordenen Volke genügte das nicht; man<lb/>
sah darin nur eine neue Falle und verlangte, der König selbst müsse diese<lb/>
Verordnung erlassen. Erst als auch diesem Wunsche Genüge geleistet und<lb/>
die Verordnung mit der Unterschrift des Königs erschienen war, legte sich<lb/>
der Sturm und die Menge brach in hellen Jubel aus. Bis zu diesem<lb/>
Moment war die Revolution in der allerfriedlichsten Weise verlaufen, kein<lb/>
Tropfen Blut vergossen, keine Missethat verübt, die Ordnung der Dinge<lb/>
nicht gestört worden. Alles fühlte sich behaglich in dem neuen Strahl der<lb/>
Freiheitssonne. Es wurde ein neues Ministerium gebildet, und zwar zum<lb/>
größten Theil aus Männern, die die Achtung des Volkes genossen.</p><lb/>
        <p>Das Volk hielt musterhafte Ordnung, weil es den gemachten Ver-<lb/>
sprechungen glaubte, und verlangte nur zu seiner völligen Sicherstellung<lb/>
die Beschwörung der Verfassung durch den König. Ferdinand war dazu<lb/>
bereit. Am 13. Juli versammelten sich in der Schloßkirche die Mitglieder<lb/>
des Regierungsausschusses, das Ministerium, die Führer des Heeres, die<lb/>
Großen des Hofes und die Würdenträger des Reiches, und wer sonst noch<lb/>
von dem Volk Zutritt erlangen konnte. Die ganze königliche Familie, den<lb/>
König an der Spitze, erschien, von jubelndem Zuruf begleitet und empfan-<lb/>
gen. Nach abgehaltener Messe trat Ferdinand vor den Altar, legte die<lb/>
Hand auf das Evangelium und sprach mit volltönender Stimme:</p><lb/>
        <p>&#x201E; <hi rendition="#g">Jch, Ferdinand von Bourbon, von Gottes Gnaden und<lb/>
kraft der Verfassung der neapolitanischen Monarchie König,<lb/>
mit Namen Ferdinand der Erste, des Königreichs Beider<lb/>
Sicilien, schwöre zu Gott und auf das heilige Evangelium,<lb/>
daß ich vertheidigen und aufrechterhalten will</hi> &#x2014;&#x201C; hier folg-<lb/>
ten die Hauptsätze der Verfassung. &#x201E; <hi rendition="#g">Sollte ich gegen meinen Eid<lb/>
oder irgend einen Artikel desselben handeln, so soll man<lb/>
mir nicht gehorchen, und jede Handlung, womit ich ihm ent-<lb/>
gegentreten würde, soll nichtig und ohne Geltung sein. Wenn<lb/>
ich so thue, so helfe mir Gott und schütze mich, andernfalls<lb/>
fordere er von mir Rechenschaft.</hi> &#x201C;</p><lb/>
        <p>Dann setzte Ferdinand, die Augen auf das Kruzifix gerichtet, hinzu:</p><lb/>
        <p>&#x201E; <hi rendition="#g">Allmächtiger Gott, der Du mit unermeßlichem Blick in<lb/>
der Seele und in der Zukunft liesest, wenn ich lüge oder wenn<lb/>
ich gegen den Eid fehlen werde, so richte in diesem Augen-<lb/>
blick die Blitze Deiner Rache auf mein Haupt.</hi> &#x201C;</p><lb/>
        <p>Hierauf küßte er nochmals das Evangelium und trat zurück. Die<lb/>
Scene war ebenso ergreifend, als feierlich, und ehrfurchtsvoll hingen Aller<lb/>
Blicke an dem Antlitz des greisen Königs. Dieser Moment hüllte alle<lb/>
Unthaten der Vergangenheit in den Schleier des Vergessens, zudem hatte<lb/>
ja die herausgeforderte Rache des Himmels geschwiegen. Nach dem König<lb/>
leisteten der Herzog von Calabrien und der Herzog von Salerno den Eid,<lb/>
indem sie sich dabei vor ihrem Vater auf die Kniee niederließen, der sie<lb/>
nach geleistetem Eide aufhob, umarmte und segnete. An demselben Tage<lb/>
wurde in dem ganzen Königreich die Verfassung beschworen, und dadurch<lb/>
die Gemüther vollständig beruhigt. Man blickte vertrauend in die Zukunft.</p><lb/>
        <p>So hatten die Dinge den Anschein, als ob man auf dem Wege des<lb/>
Friedens zum Ziel gelangen würde. Dazu war noch ein auf Sicilien aus-<lb/>
gebrochener Aufstand durch den General Florestan Pepe glücklich unter-<lb/>
drückt worden, und man ging daran, die Ordnung in dem Königreich auf<lb/>
der Basis der Freiheit wiederherzustellen. Die Wahlen zu dem neuen<lb/>
Parlament gingen ungestört vor sich, und dieses trat am 1. Oktober 1820<lb/>
in Neapel zusammen. Der König entschloß sich erst nach einigem Schwan-<lb/>
ken, das Parlament in Person zu eröffnen. Die Eröffnungsfeier fand in<lb/>
der Heiligengeistkirche statt. Zur festgesetzten Stunde fuhren der König,<lb/>
umgeben von den Prinzen und Prinzessinnen seines Hauses, den Reichs-<lb/>
verweser zur Seite, in prunkvollem Aufzuge durch die Toledostraße, die<lb/>
von einer jubelnden Volksmenge erfüllt war, welche den königlichen Zug<lb/>
bis zur Kirche begleitete und ihm Blumen auf den Weg streute. Jn der<lb/>
Kirche selbst empfing den König neuer Jubelruf. Nachdem Ferdinand sich<lb/>
gegen den Altar verbeugt und das Publikum freundlich gegrüßt hatte,<lb/>
nahm er auf dem für ihn errichteten Thron Platz; zu seiner Linken war<lb/>
ein Sessel für den Reichsverweser aufgestellt, die Großen des Hofes, den<lb/>
General Wilhelm Pepe an der Spitze, umstanden den Thron. Der Prä-<lb/>
sident des Parlaments, Ritter Galdi, und der älteste Schriftführer näherten<lb/>
sich ehrfurchtsvoll dem Thron; der Präsident trug das Evangeliumbuch,<lb/>
der Schriftführer das Papier mit der Eidesformel. Der König erhob sich,<lb/>
ergriff das Papier, legte die Hand auf die heilige Schrift und hielt sie<lb/>
darauf so lange, bis er den Eid geleistet hatte, was er wiederum mit<lb/>
lauter, weithin vernehmlicher Stimme that. Dann dankte er den Ver-<lb/>
sammelten für den jubelnden Zuruf und nahm seinen Sitz wieder ein. Der<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0007] 255 entfalteten Standarten am hellen Tage aus Nocera, um in das Lager von Monteforte überzugehen, und ein Bataillon der königlichen Garde folgte diesem Beispiel. Solchen drohenden Anzeichen gegenüber verlor die Re- gierung den Kopf. Die Grausamkeit ist der Gefahr gegenüber in der Regel feig und furchtsam, deshalb wurden im königlichen Schlosse die Wachen verdoppelt, ebenso die Runden durch die Stadt Neapel, und die Truppen mußten schlagfertig in ihren Quartieren stehen. Jn einem Schreiben des Generals Nunziante an den König standen die Worte: „Sire, die Konstitution ist der allgemeine Wunsch Jhres Volkes, unser Widerstreben wird vergeblich sein; ich bitte Ew Majestät, sie zu bewilligen.“ Dieses Schreiben eines Ferdinand treu ergebenen Mannes rief Trauer und Bestürzung in der Umgebung des Königs hervor, und alle gegen- theiligen Versicherungen vermochten keinen Trost zu bringen. Ein Zufall beschleunigte die Katastrophe. Der General Wilhelm Pepe, wegen seiner Freisinnigkeit von dem König zurückgesetzt und mit Mißtrauen betrachtet, befand sich in Neapel und wurde durch einen Freund benachrichtigt, daß der König die Absicht hege, ihn in's Gefängniß werfen zu lassen, weil man fürchtete, daß er seinen Arm der Revolution leihen könnte. Sofort verfügte sich Pepe zu dem General Napoletani, Beide versammelten mitten in der Nacht in den Quartieren an der Magdalenenbrücke Offiziere und Soldaten und hielten feurige Reden an dieselben, so daß sich ein Reiter- regiment und eine Abtheilung Jnfanterie entschloß, mit ihnen in das Lager der Aufständischen zu ziehen, und diesem Entschluß sogleich Folge gab. Die Nachricht dieses Ereignisses durchlief mit Blitzesschnelle die Stadt und rief in dem königlichen Palast einen wahrhaft panischen Schrecken hervor. Mit dem Einzuge der Furcht hatte man den Muth zum Handeln verloren. Noch in derselben Nacht erschienen fünf Mitglieder des Carbonaribundes als Abgeordnete des Volkes im königlichen Palast und betraten ohne wei- tere Förmlichkeiten die Zimmer des Königs. Die bestürzten Diener wagten es nicht, die Eintretenden aufzuhalten, beeilten sich vielmehr, dem König die geforderte Meldung zu machen. Augenblicklich erschien der Herzog von Ascoli, einer der Vertrautesten Ferdinand's, und erkundigte sich nach dem Begehren der Herren. „Wir sind beauftragt“, antwortete Einer derselben, „dem König zu erklären, daß die Ruhe der Hauptstadt nicht aufrecht erhalten werden kann, auch nicht aufrecht erhalten werden soll, wenn Seine Majestät nicht die geforderte Verfassung bewilligt. Carbonari, Soldaten, Bürger und Volk sind unter den Waffen, der Bund der Carbonari ist versammelt. Alle warten, um ihre Maßregeln zu ergreifen, nur auf die Antwort des Königs.“ „Jch gehe, sie zu holen“, antwortete Ascoli und entfernte sich, kehrte jedoch nach kurzer Weile wieder zurück und sagte zu den Harrenden: „Jn Betracht des Wunsches der Unterthanen hatte Seine Majestät bereits be- schlossen, eine Verfassung zu verleihen, und berathschlagt jetzt mit seinen Ministern über die Frist, wann sie veröffentlicht werden soll.“ „Und wann wird sie veröffentlicht werden?“ fragte der Sprecher der Deputation. „Unverzüglich!“ „Das ist?“ Da trat der eigene Schwiegersohn des Herzogs von Ascoli, der Herzog von Piccolatti, der der Deputation angehörte, vor den Herzog von Ascoli, zog ihm ohne Umstände die Uhr aus der Tasche, hielt das Zifferblatt seinem Schwiegervater vor das Gesicht und sagte mit bestimmendem Ton: „Es ist ein Uhr nach Mitternacht, um drei Uhr wird die Verfassung veröffentlicht sein.“ Damit gab er dem Herzog die Uhr wieder zurück und die Deputation entfernte sich. Bei dem König befanden sich sein ältester Sohn, der Herzog von Calabrien, und drei Minister, die resultatlos hin und her beriethen, denn in ihrem Sicherheitstraum hatte die despotische Gewalt ein solches Ereigniß nicht erwartet. Die Minister _____baten den König, der Dringlichkeit der Zeitumstände nachzugeben und, auf baldigen Umschwung hoffend, das Verlangen des Volkes zu befriedigen. Der bigotte König, der auf den Beistand des Himmels in dieser Lage hoffte, sträubte sich zwar, ein der- artiges Geständniß zu machen, gab aber endlich nach und unterzeichnete folgende Bekanntmachung: „ An das Volk des Königreichs Beider Sicilien. “ Nachdem sich bei dem Volke des Königreichs Beider Sicilien der Wunsch nach einer konstitutionellen Verfassung kundgegeben hat, willigen Wir aus Unserem völlig freien Willen darein, und versprechen, im Laufe von acht Tagen die Grundzüge derselben zu veröffentlichen. Bis zur Bekanntmachung der Verfassung bleiben die zur Zeit geltenden Gesetze in Kraft. Da hiermit dem öffentlichen Wunsch Genüge geleistet worden ist, so befehlen Wir, daß die Truppen in ihre Corps und alle Anderen zu ihren gewohnten Beschäftigungen zurückkehren. Neapel, am 6. Juli 1820. Ferdinand. “ Diese Bekanntmachung wurde durch Eilboten in das Lager der Auf- ständischen gesandt und überall im Lande verkündet, hatte jedoch keines- wegs die erhoffte Wirkung. Diese Zusage, hieß es, sei nur ein Kunstgriff, um das Volk einzuschläfern, das Lager von Monteforte aufzulösen und Alles wieder zu unterdrücken. Der König möge dem Lande die Verfassung der spanischen Cortes verleihen, die in Europa anerkannt und von ihm selbst, als Jnfant von Spanien, bereits beschworen sei. Lauter und lauter erhoben sich diese Stimmen, höher und höher stieg am 6. Juli die Woge der Bewegung, besonders als die Kunde erscholl, daß de Conciliis den Oberbefehl über die Aufständischen in die Hände des Generals Wilhelm Pepe niedergelegt habe. Beim Sinken des Tages wuchs der Tumult in der Hauptstadt, der Schrecken im königlichen Palast, so daß der Reichs- verweser die Minister und eine Anzahl einflußreicher hochgestellter Männer zu einer schleunigen Berathung berief. Die Rede, mit welcher der Reichs- verweser diese Versammlung eröffnete, ist eins der charakteristischen Akten- stücke jener Zeit. Er fprach darin von der Achtung, die er vor dem Willen und der Macht des Volkes hege, von der Bereitwilligkeit des Königs, eine für die Dauer gute Verfassung zu geben, und forderte schließlich die Anwesenden auf, ihm ihre Meinungen auszusprechen und guten Rath zu ertheilen. „Wenn unzeitige Rücksichten Jhnen den Mund schließen“, endete er seine emphatische Rede, „so begehen Sie eine Schmach an sich selbst, einen Verrath an dem König, eine Ungerechtigkeit gegen das Vaterland und eine Beleidigung gegen Gott.“ Nach diesen Worten entfernte er sich, um die Meinung des Königs einzuholen, kehrte aber fast momentan zurück, mit der Zustimmung desselben zu den ausgesprochenen Ansichten. Ferdinand hatte hinter einer Tapetenthür der Verhandlung unbemerkt beigewohnt. Sofort wurde folgende Ver- ordnung abgefaßt und noch in derselben Nacht veröffentlicht: „Die Verfassung des Königreichs Beider Sicilien wird die nämliche sein, die für das Königreich Spanien im Jahre 1812 angenommen und von Seiner katholischen Majestät im März desselben Jahres bestätigt worden ist, jedoch mit Vorbehalt derjenigen Abänderungen, welche die verfassungsmäßig einberufene Volksvertretung Uns vorzuschlagen für gut finden wird, um sie den besonderen Verhältnissen der königlichen Staaten anzupassen. Franz, Reichsverweser.“ Aber dem einmal mißtrauisch gewordenen Volke genügte das nicht; man sah darin nur eine neue Falle und verlangte, der König selbst müsse diese Verordnung erlassen. Erst als auch diesem Wunsche Genüge geleistet und die Verordnung mit der Unterschrift des Königs erschienen war, legte sich der Sturm und die Menge brach in hellen Jubel aus. Bis zu diesem Moment war die Revolution in der allerfriedlichsten Weise verlaufen, kein Tropfen Blut vergossen, keine Missethat verübt, die Ordnung der Dinge nicht gestört worden. Alles fühlte sich behaglich in dem neuen Strahl der Freiheitssonne. Es wurde ein neues Ministerium gebildet, und zwar zum größten Theil aus Männern, die die Achtung des Volkes genossen. Das Volk hielt musterhafte Ordnung, weil es den gemachten Ver- sprechungen glaubte, und verlangte nur zu seiner völligen Sicherstellung die Beschwörung der Verfassung durch den König. Ferdinand war dazu bereit. Am 13. Juli versammelten sich in der Schloßkirche die Mitglieder des Regierungsausschusses, das Ministerium, die Führer des Heeres, die Großen des Hofes und die Würdenträger des Reiches, und wer sonst noch von dem Volk Zutritt erlangen konnte. Die ganze königliche Familie, den König an der Spitze, erschien, von jubelndem Zuruf begleitet und empfan- gen. Nach abgehaltener Messe trat Ferdinand vor den Altar, legte die Hand auf das Evangelium und sprach mit volltönender Stimme: „ Jch, Ferdinand von Bourbon, von Gottes Gnaden und kraft der Verfassung der neapolitanischen Monarchie König, mit Namen Ferdinand der Erste, des Königreichs Beider Sicilien, schwöre zu Gott und auf das heilige Evangelium, daß ich vertheidigen und aufrechterhalten will —“ hier folg- ten die Hauptsätze der Verfassung. „ Sollte ich gegen meinen Eid oder irgend einen Artikel desselben handeln, so soll man mir nicht gehorchen, und jede Handlung, womit ich ihm ent- gegentreten würde, soll nichtig und ohne Geltung sein. Wenn ich so thue, so helfe mir Gott und schütze mich, andernfalls fordere er von mir Rechenschaft. “ Dann setzte Ferdinand, die Augen auf das Kruzifix gerichtet, hinzu: „ Allmächtiger Gott, der Du mit unermeßlichem Blick in der Seele und in der Zukunft liesest, wenn ich lüge oder wenn ich gegen den Eid fehlen werde, so richte in diesem Augen- blick die Blitze Deiner Rache auf mein Haupt. “ Hierauf küßte er nochmals das Evangelium und trat zurück. Die Scene war ebenso ergreifend, als feierlich, und ehrfurchtsvoll hingen Aller Blicke an dem Antlitz des greisen Königs. Dieser Moment hüllte alle Unthaten der Vergangenheit in den Schleier des Vergessens, zudem hatte ja die herausgeforderte Rache des Himmels geschwiegen. Nach dem König leisteten der Herzog von Calabrien und der Herzog von Salerno den Eid, indem sie sich dabei vor ihrem Vater auf die Kniee niederließen, der sie nach geleistetem Eide aufhob, umarmte und segnete. An demselben Tage wurde in dem ganzen Königreich die Verfassung beschworen, und dadurch die Gemüther vollständig beruhigt. Man blickte vertrauend in die Zukunft. So hatten die Dinge den Anschein, als ob man auf dem Wege des Friedens zum Ziel gelangen würde. Dazu war noch ein auf Sicilien aus- gebrochener Aufstand durch den General Florestan Pepe glücklich unter- drückt worden, und man ging daran, die Ordnung in dem Königreich auf der Basis der Freiheit wiederherzustellen. Die Wahlen zu dem neuen Parlament gingen ungestört vor sich, und dieses trat am 1. Oktober 1820 in Neapel zusammen. Der König entschloß sich erst nach einigem Schwan- ken, das Parlament in Person zu eröffnen. Die Eröffnungsfeier fand in der Heiligengeistkirche statt. Zur festgesetzten Stunde fuhren der König, umgeben von den Prinzen und Prinzessinnen seines Hauses, den Reichs- verweser zur Seite, in prunkvollem Aufzuge durch die Toledostraße, die von einer jubelnden Volksmenge erfüllt war, welche den königlichen Zug bis zur Kirche begleitete und ihm Blumen auf den Weg streute. Jn der Kirche selbst empfing den König neuer Jubelruf. Nachdem Ferdinand sich gegen den Altar verbeugt und das Publikum freundlich gegrüßt hatte, nahm er auf dem für ihn errichteten Thron Platz; zu seiner Linken war ein Sessel für den Reichsverweser aufgestellt, die Großen des Hofes, den General Wilhelm Pepe an der Spitze, umstanden den Thron. Der Prä- sident des Parlaments, Ritter Galdi, und der älteste Schriftführer näherten sich ehrfurchtsvoll dem Thron; der Präsident trug das Evangeliumbuch, der Schriftführer das Papier mit der Eidesformel. Der König erhob sich, ergriff das Papier, legte die Hand auf die heilige Schrift und hielt sie darauf so lange, bis er den Eid geleistet hatte, was er wiederum mit lauter, weithin vernehmlicher Stimme that. Dann dankte er den Ver- sammelten für den jubelnden Zuruf und nahm seinen Sitz wieder ein. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt32_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt32_1869/7
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 32. Berlin, 8. August 1869, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt32_1869/7>, abgerufen am 15.06.2024.