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Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869.

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[Beginn Spaltensatz] für die Wissenschaft, die einen ihrer tüchtigsten Forscher verloren hätte,
wenn Schleicher das theologische Examen bestanden und in einem obskuren
Winkel des Meininger Landes den Bauern Gottes Wort gepredigt hätte.
Die Einsicht, daß er einen Fehlgriff in seiner Berufswahl gethan, kam ihm
noch zur rechten Zeit, er beschloß, die heilige Theologie an den Nagel zu
hängen und sich philologischen Studien zu widmen. Zu diesem Behuf
wanderte er Ostern 1843 nach der rheinischen Friedrich=Wilhelms=Univer-
sität, angezogen durch den Ruf Friedrich Ritschl's, welcher in Bonn,
das ihn leider unglückseliger Zerwürfnisse halber vor einigen Jahren schei-
den sehen mußte, eine große Anzahl strebsamer Jünger der Alterthums-
wissenschaften aus allen Ländern um sich versammelte. Hier betrieb
Schleicher mit Fleiß und Ausdauer, die er in ungewöhnlichem Grade ent-
faltete, außer den klassischen Studien auch das Arabische und Sanskrit.
Seine Hefte führte er, wie er sich später noch rühmte, mit musterhafter
Sorgfalt, so musterhaft, daß einige derselben ihm sein großer Lehrmeister
in der Alterthumswissenschaft, der seine Vorlesungen meist auf dem Ka-
theder, in unmittelbarer, glücklicher Eingebung seines Genius schuf, ablieh,
aber nicht zurückgab und sie späteren Wiederholungen derselben Vorträge
zu Grunde legte.

1846 promovirte Schleicher mit einer Dissertation über Terentius Varro.
Mit dieser Erstlingsschrift schließt aber auch seine literarische Thätigkeit
in der klassischen Philologie ab, wie er sich von jetzt an überhaupt mehr
der allgemeinen Sprachwissenschaft zuwendete, und auch bald selbst lehrend
in diesem Fache in Bonn auftrat.

Gleich seine erste sprachwissenschaftliche Schrift "Sprachvergleichende
Untersuchungen" ( 1. Theil: "Zur vergleichenden Sprachengeschichte". Bonn,
1848, worin er ein neues Lautgesetz für das Jndogermanische nachwies;
2. Theil: "Systematische Uebersicht der Sprachen Europa's". Bonn, 1850 )
ließ die Fachleute in dem Verfasser eine bedeutende Capazität erkennen.
Auf streng methodischem Wege ( wie er bei Ritschl zu arbeiten gelernt hatte,
dessen nicht genug zu schätzendes Verdienst um seine Schüler hauptsächlich
in der Anweisung zu gründlicher und streng methodischer Arbeit besteht )
und in naturwissenschaftlicher Weise suchte er die Laut=Gestaltung und Ent-
wicklung zu erforschen und festzustellen.

Bonn blieb, mit Abrechnung einiger Studienreisen, Schleicher's Domizil
bis 1850. Die erregten Zeiten des Jahres 1848, wo selbst der "fromme
Bürger" zur Wehr griff, gaben auch ihm die Waffen in die Hand, und
als Bürgerwehrmann wußte er nicht allein selbst seine Flinte ganz gut zu
handhaben, sondern wurde sogar der Lehrmeister in den Waffen seines
früheren Lehrmeisters in der Wissenschaft; freilich nicht mit dem Erfolg,
dessen sich dieser bei ihm zu erfreuen gehabt.

Ostern 1850 nahm Schleicher wehmüthigen, aber hoffnungsvollen Herzens
Abschied von den schönen Rheinlanden und folgte einem Ruf in die Haupt-
stadt des czechischen Reiches, an deren Universität ihm die außerordentliche
Professur für klassische Philologie angetragen worden. Später rückte er
in die neugegründete ordentliche Professur für vergleichende Sprachwissen-
schaft und Sanskrit an derselben Hochschule ein, welche Stellung ihm
natürlich mehr zusagen mußte, als die frühere.

Slawische Studien hatte Schleicher schon während seines Aufenthalts
in Kremsier ( von Bonn aus ) gemacht, in Prag schrieb er seine " Formen-
lehre der kirchenslawischen Sprache" ( d. h. jenes ältesten Zweiges der sla-
wischen Sprachen, in welchem vorzugsweise die slawischen Kirchenschriften
verfaßt sind, der zwar als lebender Dialekt ausgestorben, aber im kirch-
lichen Ritus noch im Gebrauch ) , worin er das Verhältniß des Slawischen
zum Littauischen vergleichend darstellte. Um Littauisch, worauf ihn das
Studium des Slawischen gelenkt hatte, zu lernen, ging er, weil sich in der
Literatur ausreichende Mittel zu diesem Zweck nicht boten, von Prag aus,
unterstützt durch die k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, selbst nach
Littauen, und lieferte durch seinen Aufenthalt daselbst bei herrschender
Cholera, in sumpfiger Gegend, in einer Lehmhütte ohne Dielen wohnend,
ein Beispiel glänzenden Opfermuthes für die Wissenschaft. Mit Miß-
trauen beobachteten die Eingeborenen den fremden Mann mit seinen vier
Augen -- Vierauge nannten sie ihn in ihrer Sprache, weil er eine Brille
trug -- der sie immer zum Erzählen veranlaßte, Alles aufschrieb und sie,
wie sie glaubten, ausforschen wollte. "Auf krumme Säbel ohne Binden
und Bandagen losgehen", sagte er in burschikoser Ausdrucksweise, "ist ein
[Spaltenumbruch] Kinderspiel den Gefahren gegenüber, denen ich während meines Aufent-
halts in Littauen in's Auge zu sehen hatte!" Daß aber dieser Aufenthalt,
während dessen er nicht nur die Sprache in grammatischer Hinsicht studirte,
sondern auch Märchen und Volkslieder in derselben sammelte und auf-
zeichnete -- in Weimar 1857 erschienen -- für die Sprachwissenschaft
reichliche Früchte getragen, zeigt sein vorzügliches Handbuch der littauischen
Sprache.

Schleicher war indeß eine zu deutsche Natur, als daß er sich hätte
unter den Czechen wohl fühlen und akklimatisiren können. Es kam ihm
daher nichts erwünschter, als ein Ruf nach Jena auf den germanistischen
und allgemein sprachwissenschaftlichen Lehrstuhl. Jn Prag war er hei-
mathlos gewesen, in Jena, wo er seine Lehrthätigkeit im Jahre 1857
eröffnete, fand er wieder eine Heimath, aus der er sich nicht heraus sehnte
und in welcher er, obwohl seine akademische Stellung als ordentlicher
Honorar=Professor hinsichtlich des Gehalts und der Einkünfte aus den
Kollegiengeldern, die in Jena nicht hoch sind und ziemlich saumselig ein-
zugehen pflegen, keine besonders glänzende war, Tage des Glücks und freu-
digen Schaffens verlebte. Er besaß das Haus in der Bachgasse, in welchem
J. H. Voß einmal gewohnt hatte; den dahinter liegenden Garten bewirth-
schaftete er selbst, da konnte man ihn grabend, pflanzend und sonst wie
schaffend antreffen. Er zählte diese Handarbeiten zu seinen liebsten Er-
holungen, sie machten ihm die Zimmer=Gymnastik, durch die er seinen
Gliedern Kraft und Gelenkigkeit zu erhalten suchte, nicht mehr so nothwendig.

Seine Vorlesungen in Jena erstreckten sich auf altdeutsche Poesie, in
deren Erklärung er sich seine Zuhörer nach vorhergegangenen Einleitungen
vielfach selbst üben ließ, und auf Sprachvergleichung. Traten auch seine
Vorträge nicht im glänzenden Gewande rednerischen Schmuckes auf, son-
dern konnten Manchem mitunter selbst etwas trocken erscheinen, so hatten
sie doch trotzdem, und zwar weil er in höchst methodischer Weise das
Sprachgebäude anschaulich vor den Augen der Zuhörer konstruirte, etwas
ungemein Anregendes. Dies und sein einnehmendes Entgegenkommen
gegen die Studirenden, vor denen er sich durchaus nicht, wie dies zuweilen
so beliebt ist, mit dem Nimbus des hochgelahrten Professors umgab, machte
ihn besonders dazu fähig, für den Fortbau seiner Wissenschaft durch Be-
gründung einer Schule zu sorgen, und wenn dies nicht in der Ausdehnung
geschah, in welcher es hätte geschehen können, so lag es einzig an den
beengten Verhältnissen der kleinen Universität, auf der die meisten Stu-
direnden nur den Studien obliegen, welche sie am ersten und besten in
Amt und Brot bringen. Ob Schleicher einmal einen Ruf von Jena
an eine größere Hochschule erhielt, ist mir nicht bekannt, zweifelhaft ist's,
ob er denselben angenommen haben würde; am wenigsten dürften ihn wohl
materielle Rücksichten und Vortheile geleitet haben, denn seine schlichte
und gemüthliche Natur ließ ihn in Jena Alles finden, dessen er bedurfte.

Von seinen Schriften fallen in die Jenaer Periode, außer den schon
erwähnten, noch sein Buch über die deutsche Sprache, in welchem er in
populärer Darstellung das gebildete Publikum mit den Ergebnissen der
Sprachwissenschaft im Allgemeinen und mit dem Wesen der Muttersprache
in den Hauptzügen bekannt machen wollte und wovon ihm noch kurz vor
seinem Tode die Bearbeitung einer zweiten Auflage übertragen wurde --
und sein Hauptwerk, das "Compendium der vergleichenden Grammatik des
indogermanischen Sprachstammes" ( Weimar, 1861--1862 ) , worin eine Zu-
sammenstellung der gesammten indogermanischen Grammatik zum ersten
Mal vollständig geboten wird: ein Buch, welches dem Sprachforscher ein
unentbehrliches Hülfsmittel geworden ist. Auch das Erscheinen einer indo-
germanischen Chrestomathie, als Beigabe zur Grammatik, hat er noch
erlebt. Andere Zeugnisse seines Fleißes und Scharfsinns hat er theils
ziemlich beendet, theils begonnen hinterlassen; er war mit seiner Thä-
tigkeit so recht im Zuge, als ihm das neidische Schicksal Halt gebot.

Wenn sich wieder einmal Gelegenheit bietet, die Häuser von Jena
durch Gedenktafeln mit den Namen ihrer berühmten Bewohner zu schmücken,
wie es im Jahre 1858 zur Jubelfeier des dreihundertjährigen Bestehens
der Universität geschah, so darf neben der Gedenktafel J. H. Voß' an dem
Hause in der Bachgasse die A. Schleicher's nicht vergessen werden, und
wem sein Name neben dem populären deutschen Dichternamen fremd
erscheint, der mag in den Annalen deutscher Wissenschaft nachschlagen, wo
er unter den besten, tief eingegraben, in leuchtenden Buchstaben prangt.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

Milde Winter der Vorzeit. Jn der Witterungsgeschichte, vom Jahre
1172 ab, finden sich viele äußerst milde Winter im nördlichen Deutschland
verzeichnet. So trieben 1184 die Bäume und Weinstöcke schon im Februar
Knospen und Blüthen, die Baumfrüchte gelangten im Mai und die Wein-
trauben Anfangs August zur Reife. Anno 1289 trugen die Jungfrauen
in den Weihnachtsfeiertagen Kränze von blühenden Veilchen, und im Fe-
bruar von Kornblumen in den Haaren. Jm April blühte der Wein auch
in Berlin -- denn die Stadt besaß damals der Weinberge viele, worauf
die Weinstraße, der Wollank'sche und Sametzki'sche Weinberg, die Wein-
meisterstraße und die Weinbergsgasse ( jetzige kleine Rosenthalerstraße ) hin-
deuten. Jm Jahre 1572 schlugen im Januar die Bäume aus, im Februar
bedeckten sie mit ihrem Laube die Vogelnester. Anno 1622 war der Ja-
nuar im nördlichen Deutschland so gelinde, daß die Oefen nicht geheizt zu
werden brauchten; im Februar blühten die Bäume. Jm Winter 1659 trat
weder Frost noch Schnee ein; 1782 kamen gegen Ende Dezember heftige
Stürme, Blitz und Donner; im Januar 1783 trieben die Gartenpflanzen
[Spaltenumbruch] hervor und die Bäume schlugen aus. Jn allen diesen milden Wintern
fanden die Winde jedesmal auf der Aequinoctialseite statt.     M.



Die Kanone als Civilisationsmittel. Jm Jahre 1786 kaufte Eng-
land die kleine malayische Jnsel Penang für eine jährliche Rente von zehn-
tausend Dollars, welche an den Radjah von Quedha, den legitimen Be-
sitzer, noch heutigen Tages gezahlt werden muß. Der erste Gouverneur
fand die Jnsel derartig mit Dickicht und Gestrüpp besetzt, daß eine große
Anzahl Eingeborener gedungen werden mußte, um den Boden kulturfähig
zu machen. Jndessen ging die Arbeit, da die Malayen an so schweres
Tagewerk nicht gewöhnt, nur langsam vorwärts, bis der Gouverneur einen
sonderbaren Einfall hatte. Er ließ eine Kanone mit Münzen laden und
gegen den mit dem Gestrüpp besetzten Boden abfeuern. Sofort wurden
die Eingeborenen von einem solchen Eifer ergriffen, die Dollars wieder
aufzufinden, daß die dichtesten "Jungels" sich bald lichteten und schließlich
ganz verschwanden.     n.

[Ende Spaltensatz]

Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: "An die Redaktion des Sonntags=Blattes, Potsdamerstraße 20 in Berlin."



Druck von Franz Duncker in Berlin. -- Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( Duncker & Simion ) in Berlin.
Verantwortlicher Redacteur: Leonhard Simion in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] für die Wissenschaft, die einen ihrer tüchtigsten Forscher verloren hätte,
wenn Schleicher das theologische Examen bestanden und in einem obskuren
Winkel des Meininger Landes den Bauern Gottes Wort gepredigt hätte.
Die Einsicht, daß er einen Fehlgriff in seiner Berufswahl gethan, kam ihm
noch zur rechten Zeit, er beschloß, die heilige Theologie an den Nagel zu
hängen und sich philologischen Studien zu widmen. Zu diesem Behuf
wanderte er Ostern 1843 nach der rheinischen Friedrich=Wilhelms=Univer-
sität, angezogen durch den Ruf Friedrich Ritschl's, welcher in Bonn,
das ihn leider unglückseliger Zerwürfnisse halber vor einigen Jahren schei-
den sehen mußte, eine große Anzahl strebsamer Jünger der Alterthums-
wissenschaften aus allen Ländern um sich versammelte. Hier betrieb
Schleicher mit Fleiß und Ausdauer, die er in ungewöhnlichem Grade ent-
faltete, außer den klassischen Studien auch das Arabische und Sanskrit.
Seine Hefte führte er, wie er sich später noch rühmte, mit musterhafter
Sorgfalt, so musterhaft, daß einige derselben ihm sein großer Lehrmeister
in der Alterthumswissenschaft, der seine Vorlesungen meist auf dem Ka-
theder, in unmittelbarer, glücklicher Eingebung seines Genius schuf, ablieh,
aber nicht zurückgab und sie späteren Wiederholungen derselben Vorträge
zu Grunde legte.

1846 promovirte Schleicher mit einer Dissertation über Terentius Varro.
Mit dieser Erstlingsschrift schließt aber auch seine literarische Thätigkeit
in der klassischen Philologie ab, wie er sich von jetzt an überhaupt mehr
der allgemeinen Sprachwissenschaft zuwendete, und auch bald selbst lehrend
in diesem Fache in Bonn auftrat.

Gleich seine erste sprachwissenschaftliche Schrift „Sprachvergleichende
Untersuchungen“ ( 1. Theil: „Zur vergleichenden Sprachengeschichte“. Bonn,
1848, worin er ein neues Lautgesetz für das Jndogermanische nachwies;
2. Theil: „Systematische Uebersicht der Sprachen Europa's“. Bonn, 1850 )
ließ die Fachleute in dem Verfasser eine bedeutende Capazität erkennen.
Auf streng methodischem Wege ( wie er bei Ritschl zu arbeiten gelernt hatte,
dessen nicht genug zu schätzendes Verdienst um seine Schüler hauptsächlich
in der Anweisung zu gründlicher und streng methodischer Arbeit besteht )
und in naturwissenschaftlicher Weise suchte er die Laut=Gestaltung und Ent-
wicklung zu erforschen und festzustellen.

Bonn blieb, mit Abrechnung einiger Studienreisen, Schleicher's Domizil
bis 1850. Die erregten Zeiten des Jahres 1848, wo selbst der „fromme
Bürger“ zur Wehr griff, gaben auch ihm die Waffen in die Hand, und
als Bürgerwehrmann wußte er nicht allein selbst seine Flinte ganz gut zu
handhaben, sondern wurde sogar der Lehrmeister in den Waffen seines
früheren Lehrmeisters in der Wissenschaft; freilich nicht mit dem Erfolg,
dessen sich dieser bei ihm zu erfreuen gehabt.

Ostern 1850 nahm Schleicher wehmüthigen, aber hoffnungsvollen Herzens
Abschied von den schönen Rheinlanden und folgte einem Ruf in die Haupt-
stadt des czechischen Reiches, an deren Universität ihm die außerordentliche
Professur für klassische Philologie angetragen worden. Später rückte er
in die neugegründete ordentliche Professur für vergleichende Sprachwissen-
schaft und Sanskrit an derselben Hochschule ein, welche Stellung ihm
natürlich mehr zusagen mußte, als die frühere.

Slawische Studien hatte Schleicher schon während seines Aufenthalts
in Kremsier ( von Bonn aus ) gemacht, in Prag schrieb er seine „ Formen-
lehre der kirchenslawischen Sprache“ ( d. h. jenes ältesten Zweiges der sla-
wischen Sprachen, in welchem vorzugsweise die slawischen Kirchenschriften
verfaßt sind, der zwar als lebender Dialekt ausgestorben, aber im kirch-
lichen Ritus noch im Gebrauch ) , worin er das Verhältniß des Slawischen
zum Littauischen vergleichend darstellte. Um Littauisch, worauf ihn das
Studium des Slawischen gelenkt hatte, zu lernen, ging er, weil sich in der
Literatur ausreichende Mittel zu diesem Zweck nicht boten, von Prag aus,
unterstützt durch die k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, selbst nach
Littauen, und lieferte durch seinen Aufenthalt daselbst bei herrschender
Cholera, in sumpfiger Gegend, in einer Lehmhütte ohne Dielen wohnend,
ein Beispiel glänzenden Opfermuthes für die Wissenschaft. Mit Miß-
trauen beobachteten die Eingeborenen den fremden Mann mit seinen vier
Augen — Vierauge nannten sie ihn in ihrer Sprache, weil er eine Brille
trug — der sie immer zum Erzählen veranlaßte, Alles aufschrieb und sie,
wie sie glaubten, ausforschen wollte. „Auf krumme Säbel ohne Binden
und Bandagen losgehen“, sagte er in burschikoser Ausdrucksweise, „ist ein
[Spaltenumbruch] Kinderspiel den Gefahren gegenüber, denen ich während meines Aufent-
halts in Littauen in's Auge zu sehen hatte!“ Daß aber dieser Aufenthalt,
während dessen er nicht nur die Sprache in grammatischer Hinsicht studirte,
sondern auch Märchen und Volkslieder in derselben sammelte und auf-
zeichnete — in Weimar 1857 erschienen — für die Sprachwissenschaft
reichliche Früchte getragen, zeigt sein vorzügliches Handbuch der littauischen
Sprache.

Schleicher war indeß eine zu deutsche Natur, als daß er sich hätte
unter den Czechen wohl fühlen und akklimatisiren können. Es kam ihm
daher nichts erwünschter, als ein Ruf nach Jena auf den germanistischen
und allgemein sprachwissenschaftlichen Lehrstuhl. Jn Prag war er hei-
mathlos gewesen, in Jena, wo er seine Lehrthätigkeit im Jahre 1857
eröffnete, fand er wieder eine Heimath, aus der er sich nicht heraus sehnte
und in welcher er, obwohl seine akademische Stellung als ordentlicher
Honorar=Professor hinsichtlich des Gehalts und der Einkünfte aus den
Kollegiengeldern, die in Jena nicht hoch sind und ziemlich saumselig ein-
zugehen pflegen, keine besonders glänzende war, Tage des Glücks und freu-
digen Schaffens verlebte. Er besaß das Haus in der Bachgasse, in welchem
J. H. Voß einmal gewohnt hatte; den dahinter liegenden Garten bewirth-
schaftete er selbst, da konnte man ihn grabend, pflanzend und sonst wie
schaffend antreffen. Er zählte diese Handarbeiten zu seinen liebsten Er-
holungen, sie machten ihm die Zimmer=Gymnastik, durch die er seinen
Gliedern Kraft und Gelenkigkeit zu erhalten suchte, nicht mehr so nothwendig.

Seine Vorlesungen in Jena erstreckten sich auf altdeutsche Poesie, in
deren Erklärung er sich seine Zuhörer nach vorhergegangenen Einleitungen
vielfach selbst üben ließ, und auf Sprachvergleichung. Traten auch seine
Vorträge nicht im glänzenden Gewande rednerischen Schmuckes auf, son-
dern konnten Manchem mitunter selbst etwas trocken erscheinen, so hatten
sie doch trotzdem, und zwar weil er in höchst methodischer Weise das
Sprachgebäude anschaulich vor den Augen der Zuhörer konstruirte, etwas
ungemein Anregendes. Dies und sein einnehmendes Entgegenkommen
gegen die Studirenden, vor denen er sich durchaus nicht, wie dies zuweilen
so beliebt ist, mit dem Nimbus des hochgelahrten Professors umgab, machte
ihn besonders dazu fähig, für den Fortbau seiner Wissenschaft durch Be-
gründung einer Schule zu sorgen, und wenn dies nicht in der Ausdehnung
geschah, in welcher es hätte geschehen können, so lag es einzig an den
beengten Verhältnissen der kleinen Universität, auf der die meisten Stu-
direnden nur den Studien obliegen, welche sie am ersten und besten in
Amt und Brot bringen. Ob Schleicher einmal einen Ruf von Jena
an eine größere Hochschule erhielt, ist mir nicht bekannt, zweifelhaft ist's,
ob er denselben angenommen haben würde; am wenigsten dürften ihn wohl
materielle Rücksichten und Vortheile geleitet haben, denn seine schlichte
und gemüthliche Natur ließ ihn in Jena Alles finden, dessen er bedurfte.

Von seinen Schriften fallen in die Jenaer Periode, außer den schon
erwähnten, noch sein Buch über die deutsche Sprache, in welchem er in
populärer Darstellung das gebildete Publikum mit den Ergebnissen der
Sprachwissenschaft im Allgemeinen und mit dem Wesen der Muttersprache
in den Hauptzügen bekannt machen wollte und wovon ihm noch kurz vor
seinem Tode die Bearbeitung einer zweiten Auflage übertragen wurde —
und sein Hauptwerk, das „Compendium der vergleichenden Grammatik des
indogermanischen Sprachstammes“ ( Weimar, 1861—1862 ) , worin eine Zu-
sammenstellung der gesammten indogermanischen Grammatik zum ersten
Mal vollständig geboten wird: ein Buch, welches dem Sprachforscher ein
unentbehrliches Hülfsmittel geworden ist. Auch das Erscheinen einer indo-
germanischen Chrestomathie, als Beigabe zur Grammatik, hat er noch
erlebt. Andere Zeugnisse seines Fleißes und Scharfsinns hat er theils
ziemlich beendet, theils begonnen hinterlassen; er war mit seiner Thä-
tigkeit so recht im Zuge, als ihm das neidische Schicksal Halt gebot.

Wenn sich wieder einmal Gelegenheit bietet, die Häuser von Jena
durch Gedenktafeln mit den Namen ihrer berühmten Bewohner zu schmücken,
wie es im Jahre 1858 zur Jubelfeier des dreihundertjährigen Bestehens
der Universität geschah, so darf neben der Gedenktafel J. H. Voß' an dem
Hause in der Bachgasse die A. Schleicher's nicht vergessen werden, und
wem sein Name neben dem populären deutschen Dichternamen fremd
erscheint, der mag in den Annalen deutscher Wissenschaft nachschlagen, wo
er unter den besten, tief eingegraben, in leuchtenden Buchstaben prangt.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

Milde Winter der Vorzeit. Jn der Witterungsgeschichte, vom Jahre
1172 ab, finden sich viele äußerst milde Winter im nördlichen Deutschland
verzeichnet. So trieben 1184 die Bäume und Weinstöcke schon im Februar
Knospen und Blüthen, die Baumfrüchte gelangten im Mai und die Wein-
trauben Anfangs August zur Reife. Anno 1289 trugen die Jungfrauen
in den Weihnachtsfeiertagen Kränze von blühenden Veilchen, und im Fe-
bruar von Kornblumen in den Haaren. Jm April blühte der Wein auch
in Berlin — denn die Stadt besaß damals der Weinberge viele, worauf
die Weinstraße, der Wollank'sche und Sametzki'sche Weinberg, die Wein-
meisterstraße und die Weinbergsgasse ( jetzige kleine Rosenthalerstraße ) hin-
deuten. Jm Jahre 1572 schlugen im Januar die Bäume aus, im Februar
bedeckten sie mit ihrem Laube die Vogelnester. Anno 1622 war der Ja-
nuar im nördlichen Deutschland so gelinde, daß die Oefen nicht geheizt zu
werden brauchten; im Februar blühten die Bäume. Jm Winter 1659 trat
weder Frost noch Schnee ein; 1782 kamen gegen Ende Dezember heftige
Stürme, Blitz und Donner; im Januar 1783 trieben die Gartenpflanzen
[Spaltenumbruch] hervor und die Bäume schlugen aus. Jn allen diesen milden Wintern
fanden die Winde jedesmal auf der Aequinoctialseite statt.     M.



Die Kanone als Civilisationsmittel. Jm Jahre 1786 kaufte Eng-
land die kleine malayische Jnsel Penang für eine jährliche Rente von zehn-
tausend Dollars, welche an den Radjah von Quedha, den legitimen Be-
sitzer, noch heutigen Tages gezahlt werden muß. Der erste Gouverneur
fand die Jnsel derartig mit Dickicht und Gestrüpp besetzt, daß eine große
Anzahl Eingeborener gedungen werden mußte, um den Boden kulturfähig
zu machen. Jndessen ging die Arbeit, da die Malayen an so schweres
Tagewerk nicht gewöhnt, nur langsam vorwärts, bis der Gouverneur einen
sonderbaren Einfall hatte. Er ließ eine Kanone mit Münzen laden und
gegen den mit dem Gestrüpp besetzten Boden abfeuern. Sofort wurden
die Eingeborenen von einem solchen Eifer ergriffen, die Dollars wieder
aufzufinden, daß die dichtesten „Jungels“ sich bald lichteten und schließlich
ganz verschwanden.     n.

[Ende Spaltensatz]

☞ Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: „An die Redaktion des Sonntags=Blattes, Potsdamerstraße 20 in Berlin.“



Druck von Franz Duncker in Berlin. — Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( Duncker & Simion ) in Berlin.
Verantwortlicher Redacteur: Leonhard Simion in Berlin.

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[192/0008] 192 für die Wissenschaft, die einen ihrer tüchtigsten Forscher verloren hätte, wenn Schleicher das theologische Examen bestanden und in einem obskuren Winkel des Meininger Landes den Bauern Gottes Wort gepredigt hätte. Die Einsicht, daß er einen Fehlgriff in seiner Berufswahl gethan, kam ihm noch zur rechten Zeit, er beschloß, die heilige Theologie an den Nagel zu hängen und sich philologischen Studien zu widmen. Zu diesem Behuf wanderte er Ostern 1843 nach der rheinischen Friedrich=Wilhelms=Univer- sität, angezogen durch den Ruf Friedrich Ritschl's, welcher in Bonn, das ihn leider unglückseliger Zerwürfnisse halber vor einigen Jahren schei- den sehen mußte, eine große Anzahl strebsamer Jünger der Alterthums- wissenschaften aus allen Ländern um sich versammelte. Hier betrieb Schleicher mit Fleiß und Ausdauer, die er in ungewöhnlichem Grade ent- faltete, außer den klassischen Studien auch das Arabische und Sanskrit. Seine Hefte führte er, wie er sich später noch rühmte, mit musterhafter Sorgfalt, so musterhaft, daß einige derselben ihm sein großer Lehrmeister in der Alterthumswissenschaft, der seine Vorlesungen meist auf dem Ka- theder, in unmittelbarer, glücklicher Eingebung seines Genius schuf, ablieh, aber nicht zurückgab und sie späteren Wiederholungen derselben Vorträge zu Grunde legte. 1846 promovirte Schleicher mit einer Dissertation über Terentius Varro. Mit dieser Erstlingsschrift schließt aber auch seine literarische Thätigkeit in der klassischen Philologie ab, wie er sich von jetzt an überhaupt mehr der allgemeinen Sprachwissenschaft zuwendete, und auch bald selbst lehrend in diesem Fache in Bonn auftrat. Gleich seine erste sprachwissenschaftliche Schrift „Sprachvergleichende Untersuchungen“ ( 1. Theil: „Zur vergleichenden Sprachengeschichte“. Bonn, 1848, worin er ein neues Lautgesetz für das Jndogermanische nachwies; 2. Theil: „Systematische Uebersicht der Sprachen Europa's“. Bonn, 1850 ) ließ die Fachleute in dem Verfasser eine bedeutende Capazität erkennen. Auf streng methodischem Wege ( wie er bei Ritschl zu arbeiten gelernt hatte, dessen nicht genug zu schätzendes Verdienst um seine Schüler hauptsächlich in der Anweisung zu gründlicher und streng methodischer Arbeit besteht ) und in naturwissenschaftlicher Weise suchte er die Laut=Gestaltung und Ent- wicklung zu erforschen und festzustellen. Bonn blieb, mit Abrechnung einiger Studienreisen, Schleicher's Domizil bis 1850. Die erregten Zeiten des Jahres 1848, wo selbst der „fromme Bürger“ zur Wehr griff, gaben auch ihm die Waffen in die Hand, und als Bürgerwehrmann wußte er nicht allein selbst seine Flinte ganz gut zu handhaben, sondern wurde sogar der Lehrmeister in den Waffen seines früheren Lehrmeisters in der Wissenschaft; freilich nicht mit dem Erfolg, dessen sich dieser bei ihm zu erfreuen gehabt. Ostern 1850 nahm Schleicher wehmüthigen, aber hoffnungsvollen Herzens Abschied von den schönen Rheinlanden und folgte einem Ruf in die Haupt- stadt des czechischen Reiches, an deren Universität ihm die außerordentliche Professur für klassische Philologie angetragen worden. Später rückte er in die neugegründete ordentliche Professur für vergleichende Sprachwissen- schaft und Sanskrit an derselben Hochschule ein, welche Stellung ihm natürlich mehr zusagen mußte, als die frühere. Slawische Studien hatte Schleicher schon während seines Aufenthalts in Kremsier ( von Bonn aus ) gemacht, in Prag schrieb er seine „ Formen- lehre der kirchenslawischen Sprache“ ( d. h. jenes ältesten Zweiges der sla- wischen Sprachen, in welchem vorzugsweise die slawischen Kirchenschriften verfaßt sind, der zwar als lebender Dialekt ausgestorben, aber im kirch- lichen Ritus noch im Gebrauch ) , worin er das Verhältniß des Slawischen zum Littauischen vergleichend darstellte. Um Littauisch, worauf ihn das Studium des Slawischen gelenkt hatte, zu lernen, ging er, weil sich in der Literatur ausreichende Mittel zu diesem Zweck nicht boten, von Prag aus, unterstützt durch die k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, selbst nach Littauen, und lieferte durch seinen Aufenthalt daselbst bei herrschender Cholera, in sumpfiger Gegend, in einer Lehmhütte ohne Dielen wohnend, ein Beispiel glänzenden Opfermuthes für die Wissenschaft. Mit Miß- trauen beobachteten die Eingeborenen den fremden Mann mit seinen vier Augen — Vierauge nannten sie ihn in ihrer Sprache, weil er eine Brille trug — der sie immer zum Erzählen veranlaßte, Alles aufschrieb und sie, wie sie glaubten, ausforschen wollte. „Auf krumme Säbel ohne Binden und Bandagen losgehen“, sagte er in burschikoser Ausdrucksweise, „ist ein Kinderspiel den Gefahren gegenüber, denen ich während meines Aufent- halts in Littauen in's Auge zu sehen hatte!“ Daß aber dieser Aufenthalt, während dessen er nicht nur die Sprache in grammatischer Hinsicht studirte, sondern auch Märchen und Volkslieder in derselben sammelte und auf- zeichnete — in Weimar 1857 erschienen — für die Sprachwissenschaft reichliche Früchte getragen, zeigt sein vorzügliches Handbuch der littauischen Sprache. Schleicher war indeß eine zu deutsche Natur, als daß er sich hätte unter den Czechen wohl fühlen und akklimatisiren können. Es kam ihm daher nichts erwünschter, als ein Ruf nach Jena auf den germanistischen und allgemein sprachwissenschaftlichen Lehrstuhl. Jn Prag war er hei- mathlos gewesen, in Jena, wo er seine Lehrthätigkeit im Jahre 1857 eröffnete, fand er wieder eine Heimath, aus der er sich nicht heraus sehnte und in welcher er, obwohl seine akademische Stellung als ordentlicher Honorar=Professor hinsichtlich des Gehalts und der Einkünfte aus den Kollegiengeldern, die in Jena nicht hoch sind und ziemlich saumselig ein- zugehen pflegen, keine besonders glänzende war, Tage des Glücks und freu- digen Schaffens verlebte. Er besaß das Haus in der Bachgasse, in welchem J. H. Voß einmal gewohnt hatte; den dahinter liegenden Garten bewirth- schaftete er selbst, da konnte man ihn grabend, pflanzend und sonst wie schaffend antreffen. Er zählte diese Handarbeiten zu seinen liebsten Er- holungen, sie machten ihm die Zimmer=Gymnastik, durch die er seinen Gliedern Kraft und Gelenkigkeit zu erhalten suchte, nicht mehr so nothwendig. Seine Vorlesungen in Jena erstreckten sich auf altdeutsche Poesie, in deren Erklärung er sich seine Zuhörer nach vorhergegangenen Einleitungen vielfach selbst üben ließ, und auf Sprachvergleichung. Traten auch seine Vorträge nicht im glänzenden Gewande rednerischen Schmuckes auf, son- dern konnten Manchem mitunter selbst etwas trocken erscheinen, so hatten sie doch trotzdem, und zwar weil er in höchst methodischer Weise das Sprachgebäude anschaulich vor den Augen der Zuhörer konstruirte, etwas ungemein Anregendes. Dies und sein einnehmendes Entgegenkommen gegen die Studirenden, vor denen er sich durchaus nicht, wie dies zuweilen so beliebt ist, mit dem Nimbus des hochgelahrten Professors umgab, machte ihn besonders dazu fähig, für den Fortbau seiner Wissenschaft durch Be- gründung einer Schule zu sorgen, und wenn dies nicht in der Ausdehnung geschah, in welcher es hätte geschehen können, so lag es einzig an den beengten Verhältnissen der kleinen Universität, auf der die meisten Stu- direnden nur den Studien obliegen, welche sie am ersten und besten in Amt und Brot bringen. Ob Schleicher einmal einen Ruf von Jena an eine größere Hochschule erhielt, ist mir nicht bekannt, zweifelhaft ist's, ob er denselben angenommen haben würde; am wenigsten dürften ihn wohl materielle Rücksichten und Vortheile geleitet haben, denn seine schlichte und gemüthliche Natur ließ ihn in Jena Alles finden, dessen er bedurfte. Von seinen Schriften fallen in die Jenaer Periode, außer den schon erwähnten, noch sein Buch über die deutsche Sprache, in welchem er in populärer Darstellung das gebildete Publikum mit den Ergebnissen der Sprachwissenschaft im Allgemeinen und mit dem Wesen der Muttersprache in den Hauptzügen bekannt machen wollte und wovon ihm noch kurz vor seinem Tode die Bearbeitung einer zweiten Auflage übertragen wurde — und sein Hauptwerk, das „Compendium der vergleichenden Grammatik des indogermanischen Sprachstammes“ ( Weimar, 1861—1862 ) , worin eine Zu- sammenstellung der gesammten indogermanischen Grammatik zum ersten Mal vollständig geboten wird: ein Buch, welches dem Sprachforscher ein unentbehrliches Hülfsmittel geworden ist. Auch das Erscheinen einer indo- germanischen Chrestomathie, als Beigabe zur Grammatik, hat er noch erlebt. Andere Zeugnisse seines Fleißes und Scharfsinns hat er theils ziemlich beendet, theils begonnen hinterlassen; er war mit seiner Thä- tigkeit so recht im Zuge, als ihm das neidische Schicksal Halt gebot. Wenn sich wieder einmal Gelegenheit bietet, die Häuser von Jena durch Gedenktafeln mit den Namen ihrer berühmten Bewohner zu schmücken, wie es im Jahre 1858 zur Jubelfeier des dreihundertjährigen Bestehens der Universität geschah, so darf neben der Gedenktafel J. H. Voß' an dem Hause in der Bachgasse die A. Schleicher's nicht vergessen werden, und wem sein Name neben dem populären deutschen Dichternamen fremd erscheint, der mag in den Annalen deutscher Wissenschaft nachschlagen, wo er unter den besten, tief eingegraben, in leuchtenden Buchstaben prangt. Lose Blätter. Milde Winter der Vorzeit. Jn der Witterungsgeschichte, vom Jahre 1172 ab, finden sich viele äußerst milde Winter im nördlichen Deutschland verzeichnet. So trieben 1184 die Bäume und Weinstöcke schon im Februar Knospen und Blüthen, die Baumfrüchte gelangten im Mai und die Wein- trauben Anfangs August zur Reife. Anno 1289 trugen die Jungfrauen in den Weihnachtsfeiertagen Kränze von blühenden Veilchen, und im Fe- bruar von Kornblumen in den Haaren. Jm April blühte der Wein auch in Berlin — denn die Stadt besaß damals der Weinberge viele, worauf die Weinstraße, der Wollank'sche und Sametzki'sche Weinberg, die Wein- meisterstraße und die Weinbergsgasse ( jetzige kleine Rosenthalerstraße ) hin- deuten. Jm Jahre 1572 schlugen im Januar die Bäume aus, im Februar bedeckten sie mit ihrem Laube die Vogelnester. Anno 1622 war der Ja- nuar im nördlichen Deutschland so gelinde, daß die Oefen nicht geheizt zu werden brauchten; im Februar blühten die Bäume. Jm Winter 1659 trat weder Frost noch Schnee ein; 1782 kamen gegen Ende Dezember heftige Stürme, Blitz und Donner; im Januar 1783 trieben die Gartenpflanzen hervor und die Bäume schlugen aus. Jn allen diesen milden Wintern fanden die Winde jedesmal auf der Aequinoctialseite statt. M. Die Kanone als Civilisationsmittel. Jm Jahre 1786 kaufte Eng- land die kleine malayische Jnsel Penang für eine jährliche Rente von zehn- tausend Dollars, welche an den Radjah von Quedha, den legitimen Be- sitzer, noch heutigen Tages gezahlt werden muß. Der erste Gouverneur fand die Jnsel derartig mit Dickicht und Gestrüpp besetzt, daß eine große Anzahl Eingeborener gedungen werden mußte, um den Boden kulturfähig zu machen. Jndessen ging die Arbeit, da die Malayen an so schweres Tagewerk nicht gewöhnt, nur langsam vorwärts, bis der Gouverneur einen sonderbaren Einfall hatte. Er ließ eine Kanone mit Münzen laden und gegen den mit dem Gestrüpp besetzten Boden abfeuern. Sofort wurden die Eingeborenen von einem solchen Eifer ergriffen, die Dollars wieder aufzufinden, daß die dichtesten „Jungels“ sich bald lichteten und schließlich ganz verschwanden. n. ☞ Alle Zusendungen werden erbeten unter der Adresse: „An die Redaktion des Sonntags=Blattes, Potsdamerstraße 20 in Berlin.“ Druck von Franz Duncker in Berlin. — Verlag der Expedition des Sonntags=Blattes ( Duncker & Simion ) in Berlin. Verantwortlicher Redacteur: Leonhard Simion in Berlin.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt24_1869/8>, abgerufen am 15.06.2024.