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Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869.

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[Beginn Spaltensatz] aber, von dem Schreck und dem Blutverlust augenscheinlich etwas
ernüchtert, da er sich nach mehrmaligem Zurücksinken wieder auf den
Beinen halten konnte, taumelte nach einem giftigen Blick auf die
Gruppe, grimmig fluchend und die Fäuste ballend, das Dorf hinunter,
während das tropfende Blut am Boden in seltsam gewundenen Kur-
ven seinen Weg bezeichnete, und die Kinder auf der Straße, seinem
drohenden Begegnen ausweichend, aus sicherm Hinterhalt ihm höhnende
Worte nachriefen. Der Maler verließ seine gedeckte Stellung und trat
der Frau näher, welche das zitternde Mädchen zu beruhigen suchte.
Jene, sich im Trösten unterbrechend, wandte sich halb ihm zu und
sagte, die rechte Hand hinreichend, während die linke die Locken der
Kleinen zu streicheln fortfuhr:

"Der Elende, Feige! Hierher zu kommen, weil er meinen Mann
abwesend weiß, sich zu betrinken und mir dann zu drohen, weil ich
seinem Verlangen, die Kasse zu öffnen, nicht willfahren wollte. Ba-
stiano wird wüthen, wenn er es erfährt."

Da Staccoli schwieg, überlegend, ob er unter diesen Umständen
sein Anliegen eröffnen sollte, fing sie an, demselben den Anlaß des
Streites und die Stellung jenes Menschen zu ihrem Hause weitläufig
auseinander zu setzen, gleichsam als fühlte sie sich verpflichtet, ihrem
Helfer zum Dank die Verhältnisse mitzutheilen, in welche ihn der Zu-
fall bestimmend hatte eingreifen lassen, und wandte sich redend, das
Mädchen an der Hand, zur Thür, so daß der Maler nicht umhin
konnte, der unausgesprochenen, aber deutlichen Aufforderung zum Ein-
tritt schweigend Folge zu leisten. Drinnen holte sie eine Bottiglia
Wein, goß dem Maler ein Glas voll, setzte sich ihm gegenüber und
beendete, den Kopf auf beide Hände und die Ellbogen auf den Tisch
gestützt, mit eifrigen Worten und geröthetem Gesicht folgende Erzählung:

Der Trunkene und ihr Mann seien Brüder, aber sie hätten von
Kindheit an nichts als Zank und Streit miteinander gehabt. Beide
hätten sich eifrig um sie beworben; sie hätte eine Zeit lang geschwankt,
aber endlich dem Aelteren, als dem Tüchtigeren, den Vorzug gegeben,
da der Andere zwar stattlicher und immer geputzt, aber ein Tagedieb
gewesen sei. Aus Aerger und Scham darüber wäre dieser unter die
päpstlichen Soldaten gegangen und hätte sich dort das Trinken an-
gewöhnt. Vor einigen Monaten sei er plötzlich wieder erschienen,
habe sich unnütz in der Gegend umhergetrieben und sei, nachdem er
das wenige mitgebrachte Geld großthuerisch verthan, ihrem Manne zur
Last gefallen. Dieser habe ihn anfänglich, trotzdem alle Bemühungen,
ihn zur Arbeit zu bewegen, vergeblich gewesen, dennoch reichlich unter-
stützt, unbekümmert darum, wie das Geld verwendet werde, ihm aber
endlich, da er ihr, der Schwägerin, in der Trunkenheit schändliche An-
träge gemacht, nicht gar sanft die Thür gewiesen. Seitdem habe
Jener aus Furcht sich nicht wieder sehen lassen, bis er heut, da Ba-
stiano seit einigen Tagen abwesend, plötzlich in's Zimmer getreten sei
und Wein verlangt habe, welchen sie ihm auch gebracht, aus Scheu,
unnützen Lärm zu erregen. Aber er habe auch Geld verlangt, und
das habe sie ihm verweigern müssen, weil es ihr Mann streng ver-
boten. "Der Lump", schloß sie, "mir das Kind schlagen zu wollen!"
Sie küßte das Mädchen, welches während der Rede ihr nicht von der
Seite gewichen war und dem Fremden starr in's Gesicht sah.

Der Maler, welcher so in kurzer Zeit in die Familiengeheimnisse
eingeweiht worden, hatte nicht sobald mit einigen Blicken auf die Ge-
räthschaften erkannt, daß er sich in einer Schänke befände, als er nicht
länger zögerte, sein Anliegen vorzubringen. Die Frau erwiderte
erröthend, sie gäbe sonst in Abwesenheit ihres Mannes keinem Frem-
den Herberge, diesmal aber dürfte sie wohl eine Ausnahme machen.
Ja sie bat ihn, da es bereits dunkel war, gleich zu bleiben, seine Ge-
räthschaften könnten am nächsten Morgen geholt werden. Sie sei
nicht furchtsam, aber obgleich man ihrem Schwager keinen schlechten
Streich nachsagen könne, traue sie ihm doch das Schlimmste zu,
wenn er gereizt und im Trunke sei. Deshalb rieth sie auch ihrem
Gast, von nun an nicht ohne Waffen auszugehen. Der Maler,
welcher sich so auf die leichteste und erwünschteste Art seinem Ziele
näher gebracht sah, entsprach freudig der Aufforderung und hörte
während des ganzen Abends, scheinbar aufmerksam, auf die Worte
seiner Wirthin, die nicht müde wurde, immer wieder von ihrem Manne
und dessen Tüchtigkeit, von den übrigen Bewohnern des Dorfes,
welche sie auf alle Weise in den Augen ihres Gastes herabzusetzen
sich bemühte, und besonders von ihrem Schwager und dem heutigen
Vorfall zu reden, wobei sie Gott und allen Heiligen für die plötzliche
und entschlossene Dazwischenkunft des Malers dankte. Dieser hütete
sich gleichwohl, auf Alles anders, als mit allgemeinen Redensarten,
zu antworten, theils, weil er in Gedanken schon mit dem Entwurf
seines Gemäldes beschäftigt war, theils, weil er die allgemeine Klug-
heitsregel der Römer, sich nicht unnöthig in fremde Angelegenheiten
zu mischen, gewissenhaft befolgen wollte. Zudem versetzte ihn der
eigenthümliche, weit über das Alter des Kindes hinaus, klare und
verständige Blick desselben, dem, unausgesetzt auf ihn gerichtet, er be-
gegnete, so oft er aufsah, in eine seltsame Verwirrung, so daß er
zuletzt, da ihm die Lage peinlich wurde, sich nicht anders zu helfen
[Spaltenumbruch] wußte, als mit der Bitte, ihm sein Zimmer anzuweisen, da er müde
sei. Jndem er aufstand und die Wirthin ein Licht anzuzünden ging,
bemerkte Staccoli, wie über das Gesicht des Mädchens, welches gleich-
sam aus einem Traume zu erwachen schien, sich eine feine, durchsich-
tige Röthe ergoß, und während er, der voranleuchtenden Wirthin fol-
gend, die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg, wunderte er sich
darüber, wie er die Kleine bei der ersten Begegnung als Kind habe
behandeln können, und beschloß, künftig vorsichtiger zu sein. Oben
angekommen, setzte er sich auf den Rand des Bettes, und, von der
Wirthin allein gelassen, welche ihm eine "glückliche Nacht" gewünscht
und, da sie vergeblich eine Antwort erwartet, kopfschüttelnd gegangen
war, blieb er, mit gemischten Empfindungen die Reihe der Eindrücke
überdenkend, welche den Tag über auf ihn gewirkt hatten. Nachdem
er eine gute Stunde, ohne sich zu rühren, mit leeren, auf einen Punkt
gehefteten Augen in sich hineingeschaut hatte, fuhr er auf, schalt sich
laut einen Narren und Phantasten, der nie vernünftig werden würde,
riß sich die Kleider vom Leibe und legte sich auf die Seite, mit dem
festen Willen, sich aller Gedanken zu entschlagen. Er schlief auch
bald ein, von seiner gesunden Natur in dem Vorhaben unterstützt,
und als er, aus tiefer, traumloser Ruhe erwacht, die ewig junge Natur
im frischen Morgenlichte glänzen sah, mußte er, des Abends geden-
kend, über sich lächeln und war geneigt, jene Gemüthsbewegungen für
die Folgen einer durch Aufregung überreizten Nervenstimmung zu
halten. Mit froher Aussicht auf sein Tagewerk ging er hinunter, wo
der Wirth, der sich indessen eingefunden, ihm herzlich dankend die
Hand schüttelte und ihn bat, so lange in seinem Hause zu verweilen,
als es ihm beliebte.

Nach einer tüchtigen Mahlzeit, da er den Abend zuvor, außer
etwas Wein, nichts hatte genießen können, eilte der Maler, seine Ge-
räthschaften vom Kamaldulenser=Kloster herüber zu holen, und sang
und jauchzte in den duftenden Morgen hinein, in seligem Vorgefühl
des Schaffens und des Wiedersehens der Seinigen in Rom.

Die Mönche, denen er von dem gestrigen Vorfall so viel mit-
theilte, als ihm zur Beobachtung der Höflichkeit und zur Befriedigung
ihrer Neugierde unumgänglich schien, rühmten ihm seine Wirthe als
fromme und verständige Leute, und entließen ihn mit vielen Glück-
wünschen, ihn dem Schutz aller Heiligen empfehlend. Der Maler
machte sich sogleich eifrig an die Arbeit und versenkte sich so tief in
den Gegenstand derselben, daß er nichts, außer ihm, sah und dachte.
Aber wie erstaunte er, als er, um an dem Entwurf etwas zu ändern,
ohne von demselben aufzusehen, neben sich nach der Kreide langte und
zugleich mit dem Gesuchten eine Hand zu fassen bekam, welche ihm
dasselbe hinreichte. Betroffen wandte er sich und erkannte -- Giulietta,
und da er, etwas ungehalten über die Störung, fragte, was sie hier
wollte, erwiderte sie schüchtern, mit bittenden Augen:

"Zusehen und lernen, wie man das macht."

Der Maler, wiewohl über seine eigene Barschheit ärgerlich und
im Herzen geneigt, das Kind bei sich zu behalten, dessen Nähe ihm
auf eine seltsame Weise wohl that, forderte es dennoch auf, nach
Hause zu gehen, mit dem Zusatz, es würde von seinen Eltern vermißt
werden. Allein das Mädchen, welches wohl merken mochte, daß es
gewonnen Spiel habe, meinte, die Eltern wüßten um seinen Gang,
und erklärte mit ruhiger Entschiedenheit, nicht allein umkehren zu
wollen, so daß dem Maler, der seine Arbeit nicht im Stiche lassen
mochte, nichts übrig blieb, als Giulietta gewähren zu lassen. Doch
schien er ihre Anwesenheit wenig zu beachten, denn ganz mit seiner
Arbeit beschäftigt, sah er sich nach ihr gar nicht um, nahm ihr die
Geräthschaften schweigend ab, welche sie, seinen Wunsch errathend, ge-
schickt hinreichte, und gab auf ihre sachgemäßen Fragen zwar freund-
lichen, aber kurzen Bescheid. Jn der That aber sah er jede ihrer Be-
wegungen, freute sich über ihre Fragen, die einen ungewöhnlichen Ver-
stand verriethen, und war mit seinen Gedanken mehr um ihre liebliche
Gestalt, als um seine Arbeit beschäftigt, die dann auch unter vielem
Auswischen und Verbessern nur langsam vorrückte. Auf dem Heim-
wege, da Giulietta schweigend neben ihm ging, machte er sie, wie
um den Eindruck seiner frühern abweisenden Gleichgültigkeit zu mil-
dern, auf jede Blume aufmerksam, nannte, da er auch ein tüchtiger
Botaniker war, ihren Namen und erklärte ihre besonderen Eigen-
schaften. Giulietta, die Augen an des Malers Antlitz hängend, so
daß sie oft im Gehen stolperte, horchte begierig seinen Worten und
nannte, zu Hause angekommen, zu seiner nicht geringen Verwunderung,
der Mutter Namen und Eigenschaften der mitgebrachten Pflanzen ohne
Fehler der Reihe nach her, wobei sie sich genau seiner eigenen Worte
bediente.

Wie natürlich, wandte sich das Gespräch der drei Erwachsenen
bald wieder dem gestrigen Vorfall zu. Der Wirth hatte, trotz eifriger
Nachforschungen, seinen Bruder nicht ausfindig machen können, und
sprach die Ueberzeugung aus, derselbe habe sich aus Furcht vor einem
Zusammentreffen mit ihm, aus der Gegend entfernt und werde sich
sobald nicht wieder sehen lassen.

Am Abend, als der Vater sich zurückgezogen hatte, begann das
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] aber, von dem Schreck und dem Blutverlust augenscheinlich etwas
ernüchtert, da er sich nach mehrmaligem Zurücksinken wieder auf den
Beinen halten konnte, taumelte nach einem giftigen Blick auf die
Gruppe, grimmig fluchend und die Fäuste ballend, das Dorf hinunter,
während das tropfende Blut am Boden in seltsam gewundenen Kur-
ven seinen Weg bezeichnete, und die Kinder auf der Straße, seinem
drohenden Begegnen ausweichend, aus sicherm Hinterhalt ihm höhnende
Worte nachriefen. Der Maler verließ seine gedeckte Stellung und trat
der Frau näher, welche das zitternde Mädchen zu beruhigen suchte.
Jene, sich im Trösten unterbrechend, wandte sich halb ihm zu und
sagte, die rechte Hand hinreichend, während die linke die Locken der
Kleinen zu streicheln fortfuhr:

„Der Elende, Feige! Hierher zu kommen, weil er meinen Mann
abwesend weiß, sich zu betrinken und mir dann zu drohen, weil ich
seinem Verlangen, die Kasse zu öffnen, nicht willfahren wollte. Ba-
stiano wird wüthen, wenn er es erfährt.“

Da Staccoli schwieg, überlegend, ob er unter diesen Umständen
sein Anliegen eröffnen sollte, fing sie an, demselben den Anlaß des
Streites und die Stellung jenes Menschen zu ihrem Hause weitläufig
auseinander zu setzen, gleichsam als fühlte sie sich verpflichtet, ihrem
Helfer zum Dank die Verhältnisse mitzutheilen, in welche ihn der Zu-
fall bestimmend hatte eingreifen lassen, und wandte sich redend, das
Mädchen an der Hand, zur Thür, so daß der Maler nicht umhin
konnte, der unausgesprochenen, aber deutlichen Aufforderung zum Ein-
tritt schweigend Folge zu leisten. Drinnen holte sie eine Bottiglia
Wein, goß dem Maler ein Glas voll, setzte sich ihm gegenüber und
beendete, den Kopf auf beide Hände und die Ellbogen auf den Tisch
gestützt, mit eifrigen Worten und geröthetem Gesicht folgende Erzählung:

Der Trunkene und ihr Mann seien Brüder, aber sie hätten von
Kindheit an nichts als Zank und Streit miteinander gehabt. Beide
hätten sich eifrig um sie beworben; sie hätte eine Zeit lang geschwankt,
aber endlich dem Aelteren, als dem Tüchtigeren, den Vorzug gegeben,
da der Andere zwar stattlicher und immer geputzt, aber ein Tagedieb
gewesen sei. Aus Aerger und Scham darüber wäre dieser unter die
päpstlichen Soldaten gegangen und hätte sich dort das Trinken an-
gewöhnt. Vor einigen Monaten sei er plötzlich wieder erschienen,
habe sich unnütz in der Gegend umhergetrieben und sei, nachdem er
das wenige mitgebrachte Geld großthuerisch verthan, ihrem Manne zur
Last gefallen. Dieser habe ihn anfänglich, trotzdem alle Bemühungen,
ihn zur Arbeit zu bewegen, vergeblich gewesen, dennoch reichlich unter-
stützt, unbekümmert darum, wie das Geld verwendet werde, ihm aber
endlich, da er ihr, der Schwägerin, in der Trunkenheit schändliche An-
träge gemacht, nicht gar sanft die Thür gewiesen. Seitdem habe
Jener aus Furcht sich nicht wieder sehen lassen, bis er heut, da Ba-
stiano seit einigen Tagen abwesend, plötzlich in's Zimmer getreten sei
und Wein verlangt habe, welchen sie ihm auch gebracht, aus Scheu,
unnützen Lärm zu erregen. Aber er habe auch Geld verlangt, und
das habe sie ihm verweigern müssen, weil es ihr Mann streng ver-
boten. „Der Lump“, schloß sie, „mir das Kind schlagen zu wollen!“
Sie küßte das Mädchen, welches während der Rede ihr nicht von der
Seite gewichen war und dem Fremden starr in's Gesicht sah.

Der Maler, welcher so in kurzer Zeit in die Familiengeheimnisse
eingeweiht worden, hatte nicht sobald mit einigen Blicken auf die Ge-
räthschaften erkannt, daß er sich in einer Schänke befände, als er nicht
länger zögerte, sein Anliegen vorzubringen. Die Frau erwiderte
erröthend, sie gäbe sonst in Abwesenheit ihres Mannes keinem Frem-
den Herberge, diesmal aber dürfte sie wohl eine Ausnahme machen.
Ja sie bat ihn, da es bereits dunkel war, gleich zu bleiben, seine Ge-
räthschaften könnten am nächsten Morgen geholt werden. Sie sei
nicht furchtsam, aber obgleich man ihrem Schwager keinen schlechten
Streich nachsagen könne, traue sie ihm doch das Schlimmste zu,
wenn er gereizt und im Trunke sei. Deshalb rieth sie auch ihrem
Gast, von nun an nicht ohne Waffen auszugehen. Der Maler,
welcher sich so auf die leichteste und erwünschteste Art seinem Ziele
näher gebracht sah, entsprach freudig der Aufforderung und hörte
während des ganzen Abends, scheinbar aufmerksam, auf die Worte
seiner Wirthin, die nicht müde wurde, immer wieder von ihrem Manne
und dessen Tüchtigkeit, von den übrigen Bewohnern des Dorfes,
welche sie auf alle Weise in den Augen ihres Gastes herabzusetzen
sich bemühte, und besonders von ihrem Schwager und dem heutigen
Vorfall zu reden, wobei sie Gott und allen Heiligen für die plötzliche
und entschlossene Dazwischenkunft des Malers dankte. Dieser hütete
sich gleichwohl, auf Alles anders, als mit allgemeinen Redensarten,
zu antworten, theils, weil er in Gedanken schon mit dem Entwurf
seines Gemäldes beschäftigt war, theils, weil er die allgemeine Klug-
heitsregel der Römer, sich nicht unnöthig in fremde Angelegenheiten
zu mischen, gewissenhaft befolgen wollte. Zudem versetzte ihn der
eigenthümliche, weit über das Alter des Kindes hinaus, klare und
verständige Blick desselben, dem, unausgesetzt auf ihn gerichtet, er be-
gegnete, so oft er aufsah, in eine seltsame Verwirrung, so daß er
zuletzt, da ihm die Lage peinlich wurde, sich nicht anders zu helfen
[Spaltenumbruch] wußte, als mit der Bitte, ihm sein Zimmer anzuweisen, da er müde
sei. Jndem er aufstand und die Wirthin ein Licht anzuzünden ging,
bemerkte Staccoli, wie über das Gesicht des Mädchens, welches gleich-
sam aus einem Traume zu erwachen schien, sich eine feine, durchsich-
tige Röthe ergoß, und während er, der voranleuchtenden Wirthin fol-
gend, die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg, wunderte er sich
darüber, wie er die Kleine bei der ersten Begegnung als Kind habe
behandeln können, und beschloß, künftig vorsichtiger zu sein. Oben
angekommen, setzte er sich auf den Rand des Bettes, und, von der
Wirthin allein gelassen, welche ihm eine „glückliche Nacht“ gewünscht
und, da sie vergeblich eine Antwort erwartet, kopfschüttelnd gegangen
war, blieb er, mit gemischten Empfindungen die Reihe der Eindrücke
überdenkend, welche den Tag über auf ihn gewirkt hatten. Nachdem
er eine gute Stunde, ohne sich zu rühren, mit leeren, auf einen Punkt
gehefteten Augen in sich hineingeschaut hatte, fuhr er auf, schalt sich
laut einen Narren und Phantasten, der nie vernünftig werden würde,
riß sich die Kleider vom Leibe und legte sich auf die Seite, mit dem
festen Willen, sich aller Gedanken zu entschlagen. Er schlief auch
bald ein, von seiner gesunden Natur in dem Vorhaben unterstützt,
und als er, aus tiefer, traumloser Ruhe erwacht, die ewig junge Natur
im frischen Morgenlichte glänzen sah, mußte er, des Abends geden-
kend, über sich lächeln und war geneigt, jene Gemüthsbewegungen für
die Folgen einer durch Aufregung überreizten Nervenstimmung zu
halten. Mit froher Aussicht auf sein Tagewerk ging er hinunter, wo
der Wirth, der sich indessen eingefunden, ihm herzlich dankend die
Hand schüttelte und ihn bat, so lange in seinem Hause zu verweilen,
als es ihm beliebte.

Nach einer tüchtigen Mahlzeit, da er den Abend zuvor, außer
etwas Wein, nichts hatte genießen können, eilte der Maler, seine Ge-
räthschaften vom Kamaldulenser=Kloster herüber zu holen, und sang
und jauchzte in den duftenden Morgen hinein, in seligem Vorgefühl
des Schaffens und des Wiedersehens der Seinigen in Rom.

Die Mönche, denen er von dem gestrigen Vorfall so viel mit-
theilte, als ihm zur Beobachtung der Höflichkeit und zur Befriedigung
ihrer Neugierde unumgänglich schien, rühmten ihm seine Wirthe als
fromme und verständige Leute, und entließen ihn mit vielen Glück-
wünschen, ihn dem Schutz aller Heiligen empfehlend. Der Maler
machte sich sogleich eifrig an die Arbeit und versenkte sich so tief in
den Gegenstand derselben, daß er nichts, außer ihm, sah und dachte.
Aber wie erstaunte er, als er, um an dem Entwurf etwas zu ändern,
ohne von demselben aufzusehen, neben sich nach der Kreide langte und
zugleich mit dem Gesuchten eine Hand zu fassen bekam, welche ihm
dasselbe hinreichte. Betroffen wandte er sich und erkannte — Giulietta,
und da er, etwas ungehalten über die Störung, fragte, was sie hier
wollte, erwiderte sie schüchtern, mit bittenden Augen:

„Zusehen und lernen, wie man das macht.“

Der Maler, wiewohl über seine eigene Barschheit ärgerlich und
im Herzen geneigt, das Kind bei sich zu behalten, dessen Nähe ihm
auf eine seltsame Weise wohl that, forderte es dennoch auf, nach
Hause zu gehen, mit dem Zusatz, es würde von seinen Eltern vermißt
werden. Allein das Mädchen, welches wohl merken mochte, daß es
gewonnen Spiel habe, meinte, die Eltern wüßten um seinen Gang,
und erklärte mit ruhiger Entschiedenheit, nicht allein umkehren zu
wollen, so daß dem Maler, der seine Arbeit nicht im Stiche lassen
mochte, nichts übrig blieb, als Giulietta gewähren zu lassen. Doch
schien er ihre Anwesenheit wenig zu beachten, denn ganz mit seiner
Arbeit beschäftigt, sah er sich nach ihr gar nicht um, nahm ihr die
Geräthschaften schweigend ab, welche sie, seinen Wunsch errathend, ge-
schickt hinreichte, und gab auf ihre sachgemäßen Fragen zwar freund-
lichen, aber kurzen Bescheid. Jn der That aber sah er jede ihrer Be-
wegungen, freute sich über ihre Fragen, die einen ungewöhnlichen Ver-
stand verriethen, und war mit seinen Gedanken mehr um ihre liebliche
Gestalt, als um seine Arbeit beschäftigt, die dann auch unter vielem
Auswischen und Verbessern nur langsam vorrückte. Auf dem Heim-
wege, da Giulietta schweigend neben ihm ging, machte er sie, wie
um den Eindruck seiner frühern abweisenden Gleichgültigkeit zu mil-
dern, auf jede Blume aufmerksam, nannte, da er auch ein tüchtiger
Botaniker war, ihren Namen und erklärte ihre besonderen Eigen-
schaften. Giulietta, die Augen an des Malers Antlitz hängend, so
daß sie oft im Gehen stolperte, horchte begierig seinen Worten und
nannte, zu Hause angekommen, zu seiner nicht geringen Verwunderung,
der Mutter Namen und Eigenschaften der mitgebrachten Pflanzen ohne
Fehler der Reihe nach her, wobei sie sich genau seiner eigenen Worte
bediente.

Wie natürlich, wandte sich das Gespräch der drei Erwachsenen
bald wieder dem gestrigen Vorfall zu. Der Wirth hatte, trotz eifriger
Nachforschungen, seinen Bruder nicht ausfindig machen können, und
sprach die Ueberzeugung aus, derselbe habe sich aus Furcht vor einem
Zusammentreffen mit ihm, aus der Gegend entfernt und werde sich
sobald nicht wieder sehen lassen.

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[186/0002] 186 aber, von dem Schreck und dem Blutverlust augenscheinlich etwas ernüchtert, da er sich nach mehrmaligem Zurücksinken wieder auf den Beinen halten konnte, taumelte nach einem giftigen Blick auf die Gruppe, grimmig fluchend und die Fäuste ballend, das Dorf hinunter, während das tropfende Blut am Boden in seltsam gewundenen Kur- ven seinen Weg bezeichnete, und die Kinder auf der Straße, seinem drohenden Begegnen ausweichend, aus sicherm Hinterhalt ihm höhnende Worte nachriefen. Der Maler verließ seine gedeckte Stellung und trat der Frau näher, welche das zitternde Mädchen zu beruhigen suchte. Jene, sich im Trösten unterbrechend, wandte sich halb ihm zu und sagte, die rechte Hand hinreichend, während die linke die Locken der Kleinen zu streicheln fortfuhr: „Der Elende, Feige! Hierher zu kommen, weil er meinen Mann abwesend weiß, sich zu betrinken und mir dann zu drohen, weil ich seinem Verlangen, die Kasse zu öffnen, nicht willfahren wollte. Ba- stiano wird wüthen, wenn er es erfährt.“ Da Staccoli schwieg, überlegend, ob er unter diesen Umständen sein Anliegen eröffnen sollte, fing sie an, demselben den Anlaß des Streites und die Stellung jenes Menschen zu ihrem Hause weitläufig auseinander zu setzen, gleichsam als fühlte sie sich verpflichtet, ihrem Helfer zum Dank die Verhältnisse mitzutheilen, in welche ihn der Zu- fall bestimmend hatte eingreifen lassen, und wandte sich redend, das Mädchen an der Hand, zur Thür, so daß der Maler nicht umhin konnte, der unausgesprochenen, aber deutlichen Aufforderung zum Ein- tritt schweigend Folge zu leisten. Drinnen holte sie eine Bottiglia Wein, goß dem Maler ein Glas voll, setzte sich ihm gegenüber und beendete, den Kopf auf beide Hände und die Ellbogen auf den Tisch gestützt, mit eifrigen Worten und geröthetem Gesicht folgende Erzählung: Der Trunkene und ihr Mann seien Brüder, aber sie hätten von Kindheit an nichts als Zank und Streit miteinander gehabt. Beide hätten sich eifrig um sie beworben; sie hätte eine Zeit lang geschwankt, aber endlich dem Aelteren, als dem Tüchtigeren, den Vorzug gegeben, da der Andere zwar stattlicher und immer geputzt, aber ein Tagedieb gewesen sei. Aus Aerger und Scham darüber wäre dieser unter die päpstlichen Soldaten gegangen und hätte sich dort das Trinken an- gewöhnt. Vor einigen Monaten sei er plötzlich wieder erschienen, habe sich unnütz in der Gegend umhergetrieben und sei, nachdem er das wenige mitgebrachte Geld großthuerisch verthan, ihrem Manne zur Last gefallen. Dieser habe ihn anfänglich, trotzdem alle Bemühungen, ihn zur Arbeit zu bewegen, vergeblich gewesen, dennoch reichlich unter- stützt, unbekümmert darum, wie das Geld verwendet werde, ihm aber endlich, da er ihr, der Schwägerin, in der Trunkenheit schändliche An- träge gemacht, nicht gar sanft die Thür gewiesen. Seitdem habe Jener aus Furcht sich nicht wieder sehen lassen, bis er heut, da Ba- stiano seit einigen Tagen abwesend, plötzlich in's Zimmer getreten sei und Wein verlangt habe, welchen sie ihm auch gebracht, aus Scheu, unnützen Lärm zu erregen. Aber er habe auch Geld verlangt, und das habe sie ihm verweigern müssen, weil es ihr Mann streng ver- boten. „Der Lump“, schloß sie, „mir das Kind schlagen zu wollen!“ Sie küßte das Mädchen, welches während der Rede ihr nicht von der Seite gewichen war und dem Fremden starr in's Gesicht sah. Der Maler, welcher so in kurzer Zeit in die Familiengeheimnisse eingeweiht worden, hatte nicht sobald mit einigen Blicken auf die Ge- räthschaften erkannt, daß er sich in einer Schänke befände, als er nicht länger zögerte, sein Anliegen vorzubringen. Die Frau erwiderte erröthend, sie gäbe sonst in Abwesenheit ihres Mannes keinem Frem- den Herberge, diesmal aber dürfte sie wohl eine Ausnahme machen. Ja sie bat ihn, da es bereits dunkel war, gleich zu bleiben, seine Ge- räthschaften könnten am nächsten Morgen geholt werden. Sie sei nicht furchtsam, aber obgleich man ihrem Schwager keinen schlechten Streich nachsagen könne, traue sie ihm doch das Schlimmste zu, wenn er gereizt und im Trunke sei. Deshalb rieth sie auch ihrem Gast, von nun an nicht ohne Waffen auszugehen. Der Maler, welcher sich so auf die leichteste und erwünschteste Art seinem Ziele näher gebracht sah, entsprach freudig der Aufforderung und hörte während des ganzen Abends, scheinbar aufmerksam, auf die Worte seiner Wirthin, die nicht müde wurde, immer wieder von ihrem Manne und dessen Tüchtigkeit, von den übrigen Bewohnern des Dorfes, welche sie auf alle Weise in den Augen ihres Gastes herabzusetzen sich bemühte, und besonders von ihrem Schwager und dem heutigen Vorfall zu reden, wobei sie Gott und allen Heiligen für die plötzliche und entschlossene Dazwischenkunft des Malers dankte. Dieser hütete sich gleichwohl, auf Alles anders, als mit allgemeinen Redensarten, zu antworten, theils, weil er in Gedanken schon mit dem Entwurf seines Gemäldes beschäftigt war, theils, weil er die allgemeine Klug- heitsregel der Römer, sich nicht unnöthig in fremde Angelegenheiten zu mischen, gewissenhaft befolgen wollte. Zudem versetzte ihn der eigenthümliche, weit über das Alter des Kindes hinaus, klare und verständige Blick desselben, dem, unausgesetzt auf ihn gerichtet, er be- gegnete, so oft er aufsah, in eine seltsame Verwirrung, so daß er zuletzt, da ihm die Lage peinlich wurde, sich nicht anders zu helfen wußte, als mit der Bitte, ihm sein Zimmer anzuweisen, da er müde sei. Jndem er aufstand und die Wirthin ein Licht anzuzünden ging, bemerkte Staccoli, wie über das Gesicht des Mädchens, welches gleich- sam aus einem Traume zu erwachen schien, sich eine feine, durchsich- tige Röthe ergoß, und während er, der voranleuchtenden Wirthin fol- gend, die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg, wunderte er sich darüber, wie er die Kleine bei der ersten Begegnung als Kind habe behandeln können, und beschloß, künftig vorsichtiger zu sein. Oben angekommen, setzte er sich auf den Rand des Bettes, und, von der Wirthin allein gelassen, welche ihm eine „glückliche Nacht“ gewünscht und, da sie vergeblich eine Antwort erwartet, kopfschüttelnd gegangen war, blieb er, mit gemischten Empfindungen die Reihe der Eindrücke überdenkend, welche den Tag über auf ihn gewirkt hatten. Nachdem er eine gute Stunde, ohne sich zu rühren, mit leeren, auf einen Punkt gehefteten Augen in sich hineingeschaut hatte, fuhr er auf, schalt sich laut einen Narren und Phantasten, der nie vernünftig werden würde, riß sich die Kleider vom Leibe und legte sich auf die Seite, mit dem festen Willen, sich aller Gedanken zu entschlagen. Er schlief auch bald ein, von seiner gesunden Natur in dem Vorhaben unterstützt, und als er, aus tiefer, traumloser Ruhe erwacht, die ewig junge Natur im frischen Morgenlichte glänzen sah, mußte er, des Abends geden- kend, über sich lächeln und war geneigt, jene Gemüthsbewegungen für die Folgen einer durch Aufregung überreizten Nervenstimmung zu halten. Mit froher Aussicht auf sein Tagewerk ging er hinunter, wo der Wirth, der sich indessen eingefunden, ihm herzlich dankend die Hand schüttelte und ihn bat, so lange in seinem Hause zu verweilen, als es ihm beliebte. Nach einer tüchtigen Mahlzeit, da er den Abend zuvor, außer etwas Wein, nichts hatte genießen können, eilte der Maler, seine Ge- räthschaften vom Kamaldulenser=Kloster herüber zu holen, und sang und jauchzte in den duftenden Morgen hinein, in seligem Vorgefühl des Schaffens und des Wiedersehens der Seinigen in Rom. Die Mönche, denen er von dem gestrigen Vorfall so viel mit- theilte, als ihm zur Beobachtung der Höflichkeit und zur Befriedigung ihrer Neugierde unumgänglich schien, rühmten ihm seine Wirthe als fromme und verständige Leute, und entließen ihn mit vielen Glück- wünschen, ihn dem Schutz aller Heiligen empfehlend. Der Maler machte sich sogleich eifrig an die Arbeit und versenkte sich so tief in den Gegenstand derselben, daß er nichts, außer ihm, sah und dachte. Aber wie erstaunte er, als er, um an dem Entwurf etwas zu ändern, ohne von demselben aufzusehen, neben sich nach der Kreide langte und zugleich mit dem Gesuchten eine Hand zu fassen bekam, welche ihm dasselbe hinreichte. Betroffen wandte er sich und erkannte — Giulietta, und da er, etwas ungehalten über die Störung, fragte, was sie hier wollte, erwiderte sie schüchtern, mit bittenden Augen: „Zusehen und lernen, wie man das macht.“ Der Maler, wiewohl über seine eigene Barschheit ärgerlich und im Herzen geneigt, das Kind bei sich zu behalten, dessen Nähe ihm auf eine seltsame Weise wohl that, forderte es dennoch auf, nach Hause zu gehen, mit dem Zusatz, es würde von seinen Eltern vermißt werden. Allein das Mädchen, welches wohl merken mochte, daß es gewonnen Spiel habe, meinte, die Eltern wüßten um seinen Gang, und erklärte mit ruhiger Entschiedenheit, nicht allein umkehren zu wollen, so daß dem Maler, der seine Arbeit nicht im Stiche lassen mochte, nichts übrig blieb, als Giulietta gewähren zu lassen. Doch schien er ihre Anwesenheit wenig zu beachten, denn ganz mit seiner Arbeit beschäftigt, sah er sich nach ihr gar nicht um, nahm ihr die Geräthschaften schweigend ab, welche sie, seinen Wunsch errathend, ge- schickt hinreichte, und gab auf ihre sachgemäßen Fragen zwar freund- lichen, aber kurzen Bescheid. Jn der That aber sah er jede ihrer Be- wegungen, freute sich über ihre Fragen, die einen ungewöhnlichen Ver- stand verriethen, und war mit seinen Gedanken mehr um ihre liebliche Gestalt, als um seine Arbeit beschäftigt, die dann auch unter vielem Auswischen und Verbessern nur langsam vorrückte. Auf dem Heim- wege, da Giulietta schweigend neben ihm ging, machte er sie, wie um den Eindruck seiner frühern abweisenden Gleichgültigkeit zu mil- dern, auf jede Blume aufmerksam, nannte, da er auch ein tüchtiger Botaniker war, ihren Namen und erklärte ihre besonderen Eigen- schaften. Giulietta, die Augen an des Malers Antlitz hängend, so daß sie oft im Gehen stolperte, horchte begierig seinen Worten und nannte, zu Hause angekommen, zu seiner nicht geringen Verwunderung, der Mutter Namen und Eigenschaften der mitgebrachten Pflanzen ohne Fehler der Reihe nach her, wobei sie sich genau seiner eigenen Worte bediente. Wie natürlich, wandte sich das Gespräch der drei Erwachsenen bald wieder dem gestrigen Vorfall zu. Der Wirth hatte, trotz eifriger Nachforschungen, seinen Bruder nicht ausfindig machen können, und sprach die Ueberzeugung aus, derselbe habe sich aus Furcht vor einem Zusammentreffen mit ihm, aus der Gegend entfernt und werde sich sobald nicht wieder sehen lassen. Am Abend, als der Vater sich zurückgezogen hatte, begann das

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 13. Juni 1869, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt24_1869/2>, abgerufen am 10.08.2024.