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Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz] von Stratford, eine Huldigung darzubringen. Er schlage deßhalb vor,
dem Herrn Garrick ein Diplom zu überreichen, in welchem ihm das Ehren-
bürgerrecht der Stadt Stratford zuerkannt werde. Dieser Vorschlag ward
einstimmig angenommen, und ein Mitglied fügte noch die höchst sinnige
Anordnung hinzu, man möge den Tischler Bill Borry beauftragen, aus
dem Holz des gefällten Maulbeerbaums ein Kästchen zu verfertigen, in
welchem das Diplom für Garrick ruhen solle.

Garrick empfing diese sinnreiche Spende mit großer Freude und ver-
sprach, nach Stratford zu kommen. Um den Tag seiner Ankunft doppelt
festlich begehen zu können, hatte der Stratforder Magistrat beschlossen, die
feierliche Einweihung der Büste Shakespeare's, welche an und in dem
Rathhause aufgestellt wurde, zu veranlassen. Man erbaute eine Arena
nach dem Plan von Ranelagh, schmückte das Rathhaus mit Transparent-
gemälden, Wohn= und Geburtshaus wurden mit Verzierungen überdeckt,
und die Dauer der Feier, welche am 9. September 1769 begann, auf drei
Tage festgesetzt. Natürlich verfehlte diese seltene Festlichkeit nicht, eine
Menge Neugieriger, Bewunderer und Müßiggänger nach Stratford zu
locken. Die Einwohner machten ein enormes Geschäft. Wagen, Wohnungen,
Speisen und sonstige Dinge wurden zu unglaublichen Preisen vermiethet und
abgelassen. Die ganze Aristokratie war vertreten, ein Flor von Damen
breitete sich in der Arena aus. Man sah Foote, Collmann, Boswell,
Graham, Gibbon, Warburton, Davies, Goldsmith und andere Berühmt-
heiten des Tages in Stratford erscheinen. Alle Aufmerksamkeit und Be-
wunderung aber zog Garrick auf sich, der in offenem Wagen erschien
und mit endlosem Jubel in die Stadt geleitet ward. Am Nachmittage
des ersten Tages wurden in der Arena Gesänge vorgetragen, welche ein
großes Orchester begleitete. Dann sprach Garrick eine Ode auf Shakespeare
mit unnachahmlichem Ausdruck unter dem rasenden Beifall der vielen Tau-
sende, die hier versammelt waren. Gesänge, Konzerte folgten. Abends
war die Stadt illuminirt, und auf der Stelle vor Shakespeare's Haus,
wo der gefällte Maulbeerbaum gestanden hatte, war ein Altar errichtet,
aus dessen Schaale Flammen züngelten.

Höchst befriedigt [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]verließen alle Gäste die Stadt nach dem Schluß der
Feier. Daher stammt das Jubiläum von Stratford, dessen Jnnehaltung
Garrick sich sehr angelegen sein ließ, indem er später auch auf Drurylane
ähnliche Feierlichkeiten veranstaltete. Wider seinen Willen hatte also der
boshafte Mr. Fitz=Patrick dieses großartige Volksfest, diese Huldigung des
von ihm als Komödiant geringgeschätzten Dichters ins Leben gerufen. Aus
dem zerhauenen Maulbeerbaum erblühten dem großen Todten neue Lor-
beern. Die Stratforder hatten alle Ursache, zufrieden mit dem Spiel des
Schicksals zu sein, das innerhalb ihrer Mauern Shakespeare geboren werden
ließ, und am lustigsten war Bill Borry, der bald eine große Werkstatt
etablirte, über deren Eingang die Büste Shakespeare's prangte. Darunter
waren in Oelfarbe die vier lustigen Rüpel: Zettel, der Weber, Squenz,
der Zimmermann, Schnock, der Schreiner, und Flaut, der Bälgenflicker,
abgebildet.

Garrick verließ Stratford unter dem Geläut der Glocken und dem
Donner der Böller in einem bekränzten Wagen. Obwohl ihm jede nur
mögliche Huldigung zu Theil geworden war, hatte ihn eine Sache doch
verstimmt gemacht, welche indeß wiederum für das Ansehn zeugte, in welchem
Garrick bei aller Welt stand. Ein großer Theil des niederen Volks in
Stratford wich nämlich jedesmal, so oft Garrick durch die Straßen ging,
ängstlich bei Seite. Anfangs wußte Garrick sich dieses Gebahren nur
dadurch zu erklären, daß, wie er meinte, die Leute besondere Höflichkeit
beobachten wollten. Es wurde ihm jedoch bald mitgetheilt, daß man ihn
allgemein für einen Zauberer halte, der jede beliebige Gestalt annehmen
könne, und als am vergangenen Festtag Regen gefallen sei, habe man be-
hauptet, Garrick sei über Etwas erzürnt gewesen und hätte zur Strafe
durch Schwenken seines Marschallstabes, den er während der Feier trug,
Regen hervorgezaubert, um die Stratforder zu züchtigen. Garrick war zu
menschenfreundlich, um hierüber nicht verstimmt zu werden. Er hinterließ
eine bedeutende Summe für die Stadtarmen, was die Aengstlichen dann
einigermaßen mit dem Schwarzkünstler aussöhnte. Ganz aber erlosch der
Glaube an Garricks übernatürliche Kräfte nicht, und noch in den neuesten
Zeiten gab es in und bei Stratford alte Leute, welche an einen Bund des
berühmten Schauspielers mit dem Bösen glaubten. Von Garricks erstem
Erscheinen in Stratford an wurde aber das Shakespearehaus in Obhut
genommen, um es vor ähnlichem Vandalismus, wie der des Mr. Fitz-
Patrick, zu schützen, und so ist es zur Freude aller, nach Millionen zäh-
lenden Verehrer des unsterblichen Dichters bis heut wohlerhalten geblieben.



Die Launen der Verliebten.
( Schluß. )

Der große Vortheil, den ein solcher Plan bietet, besteht darin, daß
Niemand das Ende der herbeizuführenden Verwicklungen voraussehen kann.
Eifersucht ist ein begrenztes Thema und wird leicht eintönig; die Schrift-
steller können es nicht immer neu variiren; aber die Mannichfaltigkeit
der Gegenstände, über die Verliebte streiten können, wenn sie streitlustig
sind, ist ganz unerschöpflich. Der Mann kann eine Abneigung haben gegen
alle Gespräche über Gespenster oder über Chignons, Crinolinen, das
Wetter, die abessynische Expedition, Bälle oder selbst über Gounod's
Musik. Die Dame seiner Wahl kann ihn, wenn Argwohn ihre schwache
Seite ist, des Mordes, der Brandstiftung, des Diebstahls oder der Unter-
schlagung, des Fenierthums, einer Anlage zur Korpulenz, des Unglaubens
oder tausend anderer, ebenso schwerer Verbrechen verdächtigen. Eins ist
ein ebenso guter Grund für einen herben Zwiespalt, als das Andere. Jn
einer vor nicht langer Zeit erschienenen Geschichte beginnt die Bewun-
derung der Heldin für den Helden in der Kirche. Sie sieht ihn würdevoll
[Spaltenumbruch] und nachdenklich, ohne eine Bewegung, ruhig im Stuhl sitzen, während
das Athanasische Glaubensbekenntniß, welches er aus Prinzip nicht achtet,
verlesen wird. Denke man sich nun eine streitsüchtige Heldin, die eine
ganz andere Ansicht von der Sache hat, und das Glück zweier ganzer
Bände liegt in Trümmern. Der Plan ist leicht zu entwerfen. Von der
Wiege an in der Liebe zum Athanasischen Glaubensbekenntniß erzogen --
eine Annahme, die gewiß nichts Unnatürliches an sich hat, wenn es wahr
ist, daß die Polemiker des schönen Geschlechts oft am meisten lieben, was
sie am wenigsten verstehen -- ist sie entschlossen, niemals einen Mann zu
nehmen, der in diesem Punkt nicht ihre Neigungen theilt, und da er
bei seiner entgegengesetzten Ansicht verharrt, giebt sie ihn betrübt, aber
muthig auf.

Jeder Romanschreiber wird zugeben, daß hierdurch die Elemente zu
einem prächtigen Mißverständniß gegeben sind. Er hält sie für gefühllos,
für streitsüchtig, hartherzig. Sie fühlt, daß er ein Philosoph, finster und
unnachgiebig ist. Wäre nun nicht der Vater, der wahrscheinlich, wie schon
gesagt, ein betrügerischer Banquier ist und sie zur rechten Zeit zu einer
Waise ohne einen Pfennig macht, so würden zwei junge Leutchen, die in
jeder andern Hinsicht wundervoll zu einander passen, niemals wieder ver-
söhnt werden können.

Hat die Heldin keine Vorliebe für die Theologie, so findet sie außer-
halb derselben ein nicht minder großes Gebiet, auf dem sie den Cha-
rakter ihres Anbeters erproben kann. Jst Argwohn ihre Richtschnur, so
braucht sie ihn ja nur wegen des Mangels irgend einer moralischen Eigen-
schaft in Verdacht zu haben. Nehmen wir an, sie habe sich in den Kopf
gesetzt, daß es ihm an Muth gebricht. Er nimmt keine Duelle an, prügelt
nicht gern Wilddiebe und reitet kaum anständig zur Treibjagd. Mithin
nimmt sie sich vor, scharf zu reiten, um ihn wo möglich zu ertappen,
wenn er vor einem Feldgitterthor ausweichen will. Jhre Hartnäckigkeit,
ihn an Gitterthore zu treiben, wird ihm endlich verdrießlich. Jst diese
Amazone -- sagt er sich im Stillen -- das hübsche junge Ding, das ich liebte?
Es bleibt ihm nichts übrig, als bittere Trennung. Jndessen ist es nicht
der Wille der Vorsehung, daß wirklich für einander bestimmte Herzen für
immer von einander scheiden. Wenn das Buch nur noch wenige Seiten
vor einem traurigen Schluß steht, findet eine Aufklärung statt. Als sie
einmal Nachts von einem Ball in Nachdenken versunken, obgleich allem
Anschein nach die Heiterste der Heitern, nach Hause zurückkehrt, sieht sie
ihren früheren Geliebten Jemanden aus irgend Etwas erretten. Ein Ge-
danke blitzt in ihr auf: er ist doch kein Feigling, sie hat sich getäuscht.
Alles wird glücklich erklärt, und die gehörige Zahl von Kindern, welche
das Resultat dieser aufgeschobenen und fast aufgehobenen Verbindung sind,
werden ohne Unterschied von ihrer reuigen Mutter belehrt, niemals die
Tapferkeit ungeschickter Jagdreiter in Frage zu stellen.

Es ist zu beachten, daß bei allen diesen Werbungen, welche in der
Bücherwelt die Form einer regelmäßigen Schlacht einnehmen, die Dame
keineswegs ihren Willen hat. Sie kümmert sich um ihres Liebhabers
Charakter, aber er ist es, der auf den ihren einwirkt. Seine große Auf-
gabe ist es, sie zu zähmen. Man ist zwar geneigt, anzunehmen, daß im
wirklichen Leben der Prozeß der Zähmung erst nach der Heirath ins Werk
gesetzt wird; in dem regelrechten modernen Roman muß dies jedoch immer
vorher geschehen. Wenn eine Heldin von dem schönen Pantherinnen-
Orden sich wirklich herbeiläßt, still zu halten und sich zähmen zu lassen,
so ist diese vorhochzeitliche Zähmung eine sehr weise Einrichtung, aus dem
einfachen Grund, weil der eheliche Rarey, wenn er fehlschlägt, noch auf
die Ehre verzichten kann, eine ungezähmte Pantherin zum Altar zu führen,
während, wenn er Glück hat, Alles ist, wie es sein soll. Wir behaupten
nicht, daß wir wissen, was in den Kreisen vorgeht, wo echte Sentimenta-
lität zu Hause ist, aber im bescheidenen und dummen Alltagsleben, das
wir vor uns sehen, ist es mit dem Zähmen der Pantherin wärend der
Brautwerbung nicht weit her. Das Zähmen liegt hier in einer ganz an-
dern Richtung. Ersteres kommt nur in Romanen, und zwar in denen von
echt sentimentalem Schlag vor. Die Wahrheit ist, daß Männer und
Frauen, welche sich daran machen, einen mittelmäßigen Roman in drei
Bänden ins Leben zu rufen, mit einer Lust das Gemüthsleben ihres Helden
und ihrer Heldin bearbeiten, die dem Vergnügen von Kindern, welche einen
Sperling martern, vergleichbar ist. Die Schilderung brechender Herzen
ist für manche Schriftsteller eine wahre Wollust. Diejenigen, welche sich
mit dieser nebelhaften Dichtungsgattung beschäftigen, finden bald, daß für
die Hervorbringung scenischer Effekte mit allgemeiner Verzweiflung und
Verwirrung nichts so wirksam ist als der Stolz. Jhre eigenen leicht
erregbaren Empfindungen gesellen sich in dem eingebildeten Gegensatz
zwischen einem Aeußern von Marmor und schwer zu verbergenden Seelen-
qualen im Jnnern.

Auch muß die Zahl der Damen, welche in modernen Romanen mit
einem kühlen, hochmüthigen Aufwerfen der Lippen ihre Liebhaber entlassen
haben und dann heftig aufgesprungen sind, um ihre feuchten Wangen in
die Kissen des Nachtlagers zu versenken, schon Legion sein. Es ist nicht
zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß sie es fast Alle thun. Es giebt
gewiß in keinem wahrhaft gefühlvollen Journal ein liebendes Paar, von
dem man sagen könnte, daß es fortdauernd auf freundschaftlichem Fuße
stände. Jmmer kommt es vor, daß sie bei einer Begegnung im Park mit
stolzer Verbeugung an einander vorübergehen und dann schnell einen andern
Weg einschlagen, um ihre innere Qual zu verbergen. Jn der That ist die
Liebe, wie sie in den Romanen geschildert wird, keineswegs auf Rosen ge-
bettet. Und da es nach allen Theorien des Familienlebens nöthig ist, daß
die Frauen lernen ihren Gatten zu gehorchen, so findet sich immer reichliche
Arbeit für den Romanschreiber, der ein Verfahren finden muß, seine Hel-
dinnen zu einer ehefähigen Unterwürfigkeit herabzustimmen. Es ist ein
hoher Tribut, den die Literatur der Lehre von der Ungleichheit der Ge-
schlechter zollt, daß Romanschreiber niemals den Helden nachgeben lassen.
Selbst die Schriftstellerinnen scheinen mit vollkommenem Gleichmuth den
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] von Stratford, eine Huldigung darzubringen. Er schlage deßhalb vor,
dem Herrn Garrick ein Diplom zu überreichen, in welchem ihm das Ehren-
bürgerrecht der Stadt Stratford zuerkannt werde. Dieser Vorschlag ward
einstimmig angenommen, und ein Mitglied fügte noch die höchst sinnige
Anordnung hinzu, man möge den Tischler Bill Borry beauftragen, aus
dem Holz des gefällten Maulbeerbaums ein Kästchen zu verfertigen, in
welchem das Diplom für Garrick ruhen solle.

Garrick empfing diese sinnreiche Spende mit großer Freude und ver-
sprach, nach Stratford zu kommen. Um den Tag seiner Ankunft doppelt
festlich begehen zu können, hatte der Stratforder Magistrat beschlossen, die
feierliche Einweihung der Büste Shakespeare's, welche an und in dem
Rathhause aufgestellt wurde, zu veranlassen. Man erbaute eine Arena
nach dem Plan von Ranelagh, schmückte das Rathhaus mit Transparent-
gemälden, Wohn= und Geburtshaus wurden mit Verzierungen überdeckt,
und die Dauer der Feier, welche am 9. September 1769 begann, auf drei
Tage festgesetzt. Natürlich verfehlte diese seltene Festlichkeit nicht, eine
Menge Neugieriger, Bewunderer und Müßiggänger nach Stratford zu
locken. Die Einwohner machten ein enormes Geschäft. Wagen, Wohnungen,
Speisen und sonstige Dinge wurden zu unglaublichen Preisen vermiethet und
abgelassen. Die ganze Aristokratie war vertreten, ein Flor von Damen
breitete sich in der Arena aus. Man sah Foote, Collmann, Boswell,
Graham, Gibbon, Warburton, Davies, Goldsmith und andere Berühmt-
heiten des Tages in Stratford erscheinen. Alle Aufmerksamkeit und Be-
wunderung aber zog Garrick auf sich, der in offenem Wagen erschien
und mit endlosem Jubel in die Stadt geleitet ward. Am Nachmittage
des ersten Tages wurden in der Arena Gesänge vorgetragen, welche ein
großes Orchester begleitete. Dann sprach Garrick eine Ode auf Shakespeare
mit unnachahmlichem Ausdruck unter dem rasenden Beifall der vielen Tau-
sende, die hier versammelt waren. Gesänge, Konzerte folgten. Abends
war die Stadt illuminirt, und auf der Stelle vor Shakespeare's Haus,
wo der gefällte Maulbeerbaum gestanden hatte, war ein Altar errichtet,
aus dessen Schaale Flammen züngelten.

Höchst befriedigt [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]verließen alle Gäste die Stadt nach dem Schluß der
Feier. Daher stammt das Jubiläum von Stratford, dessen Jnnehaltung
Garrick sich sehr angelegen sein ließ, indem er später auch auf Drurylane
ähnliche Feierlichkeiten veranstaltete. Wider seinen Willen hatte also der
boshafte Mr. Fitz=Patrick dieses großartige Volksfest, diese Huldigung des
von ihm als Komödiant geringgeschätzten Dichters ins Leben gerufen. Aus
dem zerhauenen Maulbeerbaum erblühten dem großen Todten neue Lor-
beern. Die Stratforder hatten alle Ursache, zufrieden mit dem Spiel des
Schicksals zu sein, das innerhalb ihrer Mauern Shakespeare geboren werden
ließ, und am lustigsten war Bill Borry, der bald eine große Werkstatt
etablirte, über deren Eingang die Büste Shakespeare's prangte. Darunter
waren in Oelfarbe die vier lustigen Rüpel: Zettel, der Weber, Squenz,
der Zimmermann, Schnock, der Schreiner, und Flaut, der Bälgenflicker,
abgebildet.

Garrick verließ Stratford unter dem Geläut der Glocken und dem
Donner der Böller in einem bekränzten Wagen. Obwohl ihm jede nur
mögliche Huldigung zu Theil geworden war, hatte ihn eine Sache doch
verstimmt gemacht, welche indeß wiederum für das Ansehn zeugte, in welchem
Garrick bei aller Welt stand. Ein großer Theil des niederen Volks in
Stratford wich nämlich jedesmal, so oft Garrick durch die Straßen ging,
ängstlich bei Seite. Anfangs wußte Garrick sich dieses Gebahren nur
dadurch zu erklären, daß, wie er meinte, die Leute besondere Höflichkeit
beobachten wollten. Es wurde ihm jedoch bald mitgetheilt, daß man ihn
allgemein für einen Zauberer halte, der jede beliebige Gestalt annehmen
könne, und als am vergangenen Festtag Regen gefallen sei, habe man be-
hauptet, Garrick sei über Etwas erzürnt gewesen und hätte zur Strafe
durch Schwenken seines Marschallstabes, den er während der Feier trug,
Regen hervorgezaubert, um die Stratforder zu züchtigen. Garrick war zu
menschenfreundlich, um hierüber nicht verstimmt zu werden. Er hinterließ
eine bedeutende Summe für die Stadtarmen, was die Aengstlichen dann
einigermaßen mit dem Schwarzkünstler aussöhnte. Ganz aber erlosch der
Glaube an Garricks übernatürliche Kräfte nicht, und noch in den neuesten
Zeiten gab es in und bei Stratford alte Leute, welche an einen Bund des
berühmten Schauspielers mit dem Bösen glaubten. Von Garricks erstem
Erscheinen in Stratford an wurde aber das Shakespearehaus in Obhut
genommen, um es vor ähnlichem Vandalismus, wie der des Mr. Fitz-
Patrick, zu schützen, und so ist es zur Freude aller, nach Millionen zäh-
lenden Verehrer des unsterblichen Dichters bis heut wohlerhalten geblieben.



Die Launen der Verliebten.
( Schluß. )

Der große Vortheil, den ein solcher Plan bietet, besteht darin, daß
Niemand das Ende der herbeizuführenden Verwicklungen voraussehen kann.
Eifersucht ist ein begrenztes Thema und wird leicht eintönig; die Schrift-
steller können es nicht immer neu variiren; aber die Mannichfaltigkeit
der Gegenstände, über die Verliebte streiten können, wenn sie streitlustig
sind, ist ganz unerschöpflich. Der Mann kann eine Abneigung haben gegen
alle Gespräche über Gespenster oder über Chignons, Crinolinen, das
Wetter, die abessynische Expedition, Bälle oder selbst über Gounod's
Musik. Die Dame seiner Wahl kann ihn, wenn Argwohn ihre schwache
Seite ist, des Mordes, der Brandstiftung, des Diebstahls oder der Unter-
schlagung, des Fenierthums, einer Anlage zur Korpulenz, des Unglaubens
oder tausend anderer, ebenso schwerer Verbrechen verdächtigen. Eins ist
ein ebenso guter Grund für einen herben Zwiespalt, als das Andere. Jn
einer vor nicht langer Zeit erschienenen Geschichte beginnt die Bewun-
derung der Heldin für den Helden in der Kirche. Sie sieht ihn würdevoll
[Spaltenumbruch] und nachdenklich, ohne eine Bewegung, ruhig im Stuhl sitzen, während
das Athanasische Glaubensbekenntniß, welches er aus Prinzip nicht achtet,
verlesen wird. Denke man sich nun eine streitsüchtige Heldin, die eine
ganz andere Ansicht von der Sache hat, und das Glück zweier ganzer
Bände liegt in Trümmern. Der Plan ist leicht zu entwerfen. Von der
Wiege an in der Liebe zum Athanasischen Glaubensbekenntniß erzogen —
eine Annahme, die gewiß nichts Unnatürliches an sich hat, wenn es wahr
ist, daß die Polemiker des schönen Geschlechts oft am meisten lieben, was
sie am wenigsten verstehen — ist sie entschlossen, niemals einen Mann zu
nehmen, der in diesem Punkt nicht ihre Neigungen theilt, und da er
bei seiner entgegengesetzten Ansicht verharrt, giebt sie ihn betrübt, aber
muthig auf.

Jeder Romanschreiber wird zugeben, daß hierdurch die Elemente zu
einem prächtigen Mißverständniß gegeben sind. Er hält sie für gefühllos,
für streitsüchtig, hartherzig. Sie fühlt, daß er ein Philosoph, finster und
unnachgiebig ist. Wäre nun nicht der Vater, der wahrscheinlich, wie schon
gesagt, ein betrügerischer Banquier ist und sie zur rechten Zeit zu einer
Waise ohne einen Pfennig macht, so würden zwei junge Leutchen, die in
jeder andern Hinsicht wundervoll zu einander passen, niemals wieder ver-
söhnt werden können.

Hat die Heldin keine Vorliebe für die Theologie, so findet sie außer-
halb derselben ein nicht minder großes Gebiet, auf dem sie den Cha-
rakter ihres Anbeters erproben kann. Jst Argwohn ihre Richtschnur, so
braucht sie ihn ja nur wegen des Mangels irgend einer moralischen Eigen-
schaft in Verdacht zu haben. Nehmen wir an, sie habe sich in den Kopf
gesetzt, daß es ihm an Muth gebricht. Er nimmt keine Duelle an, prügelt
nicht gern Wilddiebe und reitet kaum anständig zur Treibjagd. Mithin
nimmt sie sich vor, scharf zu reiten, um ihn wo möglich zu ertappen,
wenn er vor einem Feldgitterthor ausweichen will. Jhre Hartnäckigkeit,
ihn an Gitterthore zu treiben, wird ihm endlich verdrießlich. Jst diese
Amazone — sagt er sich im Stillen — das hübsche junge Ding, das ich liebte?
Es bleibt ihm nichts übrig, als bittere Trennung. Jndessen ist es nicht
der Wille der Vorsehung, daß wirklich für einander bestimmte Herzen für
immer von einander scheiden. Wenn das Buch nur noch wenige Seiten
vor einem traurigen Schluß steht, findet eine Aufklärung statt. Als sie
einmal Nachts von einem Ball in Nachdenken versunken, obgleich allem
Anschein nach die Heiterste der Heitern, nach Hause zurückkehrt, sieht sie
ihren früheren Geliebten Jemanden aus irgend Etwas erretten. Ein Ge-
danke blitzt in ihr auf: er ist doch kein Feigling, sie hat sich getäuscht.
Alles wird glücklich erklärt, und die gehörige Zahl von Kindern, welche
das Resultat dieser aufgeschobenen und fast aufgehobenen Verbindung sind,
werden ohne Unterschied von ihrer reuigen Mutter belehrt, niemals die
Tapferkeit ungeschickter Jagdreiter in Frage zu stellen.

Es ist zu beachten, daß bei allen diesen Werbungen, welche in der
Bücherwelt die Form einer regelmäßigen Schlacht einnehmen, die Dame
keineswegs ihren Willen hat. Sie kümmert sich um ihres Liebhabers
Charakter, aber er ist es, der auf den ihren einwirkt. Seine große Auf-
gabe ist es, sie zu zähmen. Man ist zwar geneigt, anzunehmen, daß im
wirklichen Leben der Prozeß der Zähmung erst nach der Heirath ins Werk
gesetzt wird; in dem regelrechten modernen Roman muß dies jedoch immer
vorher geschehen. Wenn eine Heldin von dem schönen Pantherinnen-
Orden sich wirklich herbeiläßt, still zu halten und sich zähmen zu lassen,
so ist diese vorhochzeitliche Zähmung eine sehr weise Einrichtung, aus dem
einfachen Grund, weil der eheliche Rarey, wenn er fehlschlägt, noch auf
die Ehre verzichten kann, eine ungezähmte Pantherin zum Altar zu führen,
während, wenn er Glück hat, Alles ist, wie es sein soll. Wir behaupten
nicht, daß wir wissen, was in den Kreisen vorgeht, wo echte Sentimenta-
lität zu Hause ist, aber im bescheidenen und dummen Alltagsleben, das
wir vor uns sehen, ist es mit dem Zähmen der Pantherin wärend der
Brautwerbung nicht weit her. Das Zähmen liegt hier in einer ganz an-
dern Richtung. Ersteres kommt nur in Romanen, und zwar in denen von
echt sentimentalem Schlag vor. Die Wahrheit ist, daß Männer und
Frauen, welche sich daran machen, einen mittelmäßigen Roman in drei
Bänden ins Leben zu rufen, mit einer Lust das Gemüthsleben ihres Helden
und ihrer Heldin bearbeiten, die dem Vergnügen von Kindern, welche einen
Sperling martern, vergleichbar ist. Die Schilderung brechender Herzen
ist für manche Schriftsteller eine wahre Wollust. Diejenigen, welche sich
mit dieser nebelhaften Dichtungsgattung beschäftigen, finden bald, daß für
die Hervorbringung scenischer Effekte mit allgemeiner Verzweiflung und
Verwirrung nichts so wirksam ist als der Stolz. Jhre eigenen leicht
erregbaren Empfindungen gesellen sich in dem eingebildeten Gegensatz
zwischen einem Aeußern von Marmor und schwer zu verbergenden Seelen-
qualen im Jnnern.

Auch muß die Zahl der Damen, welche in modernen Romanen mit
einem kühlen, hochmüthigen Aufwerfen der Lippen ihre Liebhaber entlassen
haben und dann heftig aufgesprungen sind, um ihre feuchten Wangen in
die Kissen des Nachtlagers zu versenken, schon Legion sein. Es ist nicht
zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß sie es fast Alle thun. Es giebt
gewiß in keinem wahrhaft gefühlvollen Journal ein liebendes Paar, von
dem man sagen könnte, daß es fortdauernd auf freundschaftlichem Fuße
stände. Jmmer kommt es vor, daß sie bei einer Begegnung im Park mit
stolzer Verbeugung an einander vorübergehen und dann schnell einen andern
Weg einschlagen, um ihre innere Qual zu verbergen. Jn der That ist die
Liebe, wie sie in den Romanen geschildert wird, keineswegs auf Rosen ge-
bettet. Und da es nach allen Theorien des Familienlebens nöthig ist, daß
die Frauen lernen ihren Gatten zu gehorchen, so findet sich immer reichliche
Arbeit für den Romanschreiber, der ein Verfahren finden muß, seine Hel-
dinnen zu einer ehefähigen Unterwürfigkeit herabzustimmen. Es ist ein
hoher Tribut, den die Literatur der Lehre von der Ungleichheit der Ge-
schlechter zollt, daß Romanschreiber niemals den Helden nachgeben lassen.
Selbst die Schriftstellerinnen scheinen mit vollkommenem Gleichmuth den
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[166/0006] 166 von Stratford, eine Huldigung darzubringen. Er schlage deßhalb vor, dem Herrn Garrick ein Diplom zu überreichen, in welchem ihm das Ehren- bürgerrecht der Stadt Stratford zuerkannt werde. Dieser Vorschlag ward einstimmig angenommen, und ein Mitglied fügte noch die höchst sinnige Anordnung hinzu, man möge den Tischler Bill Borry beauftragen, aus dem Holz des gefällten Maulbeerbaums ein Kästchen zu verfertigen, in welchem das Diplom für Garrick ruhen solle. Garrick empfing diese sinnreiche Spende mit großer Freude und ver- sprach, nach Stratford zu kommen. Um den Tag seiner Ankunft doppelt festlich begehen zu können, hatte der Stratforder Magistrat beschlossen, die feierliche Einweihung der Büste Shakespeare's, welche an und in dem Rathhause aufgestellt wurde, zu veranlassen. Man erbaute eine Arena nach dem Plan von Ranelagh, schmückte das Rathhaus mit Transparent- gemälden, Wohn= und Geburtshaus wurden mit Verzierungen überdeckt, und die Dauer der Feier, welche am 9. September 1769 begann, auf drei Tage festgesetzt. Natürlich verfehlte diese seltene Festlichkeit nicht, eine Menge Neugieriger, Bewunderer und Müßiggänger nach Stratford zu locken. Die Einwohner machten ein enormes Geschäft. Wagen, Wohnungen, Speisen und sonstige Dinge wurden zu unglaublichen Preisen vermiethet und abgelassen. Die ganze Aristokratie war vertreten, ein Flor von Damen breitete sich in der Arena aus. Man sah Foote, Collmann, Boswell, Graham, Gibbon, Warburton, Davies, Goldsmith und andere Berühmt- heiten des Tages in Stratford erscheinen. Alle Aufmerksamkeit und Be- wunderung aber zog Garrick auf sich, der in offenem Wagen erschien und mit endlosem Jubel in die Stadt geleitet ward. Am Nachmittage des ersten Tages wurden in der Arena Gesänge vorgetragen, welche ein großes Orchester begleitete. Dann sprach Garrick eine Ode auf Shakespeare mit unnachahmlichem Ausdruck unter dem rasenden Beifall der vielen Tau- sende, die hier versammelt waren. Gesänge, Konzerte folgten. Abends war die Stadt illuminirt, und auf der Stelle vor Shakespeare's Haus, wo der gefällte Maulbeerbaum gestanden hatte, war ein Altar errichtet, aus dessen Schaale Flammen züngelten. Höchst befriedigt _________verließen alle Gäste die Stadt nach dem Schluß der Feier. Daher stammt das Jubiläum von Stratford, dessen Jnnehaltung Garrick sich sehr angelegen sein ließ, indem er später auch auf Drurylane ähnliche Feierlichkeiten veranstaltete. Wider seinen Willen hatte also der boshafte Mr. Fitz=Patrick dieses großartige Volksfest, diese Huldigung des von ihm als Komödiant geringgeschätzten Dichters ins Leben gerufen. Aus dem zerhauenen Maulbeerbaum erblühten dem großen Todten neue Lor- beern. Die Stratforder hatten alle Ursache, zufrieden mit dem Spiel des Schicksals zu sein, das innerhalb ihrer Mauern Shakespeare geboren werden ließ, und am lustigsten war Bill Borry, der bald eine große Werkstatt etablirte, über deren Eingang die Büste Shakespeare's prangte. Darunter waren in Oelfarbe die vier lustigen Rüpel: Zettel, der Weber, Squenz, der Zimmermann, Schnock, der Schreiner, und Flaut, der Bälgenflicker, abgebildet. Garrick verließ Stratford unter dem Geläut der Glocken und dem Donner der Böller in einem bekränzten Wagen. Obwohl ihm jede nur mögliche Huldigung zu Theil geworden war, hatte ihn eine Sache doch verstimmt gemacht, welche indeß wiederum für das Ansehn zeugte, in welchem Garrick bei aller Welt stand. Ein großer Theil des niederen Volks in Stratford wich nämlich jedesmal, so oft Garrick durch die Straßen ging, ängstlich bei Seite. Anfangs wußte Garrick sich dieses Gebahren nur dadurch zu erklären, daß, wie er meinte, die Leute besondere Höflichkeit beobachten wollten. Es wurde ihm jedoch bald mitgetheilt, daß man ihn allgemein für einen Zauberer halte, der jede beliebige Gestalt annehmen könne, und als am vergangenen Festtag Regen gefallen sei, habe man be- hauptet, Garrick sei über Etwas erzürnt gewesen und hätte zur Strafe durch Schwenken seines Marschallstabes, den er während der Feier trug, Regen hervorgezaubert, um die Stratforder zu züchtigen. Garrick war zu menschenfreundlich, um hierüber nicht verstimmt zu werden. Er hinterließ eine bedeutende Summe für die Stadtarmen, was die Aengstlichen dann einigermaßen mit dem Schwarzkünstler aussöhnte. Ganz aber erlosch der Glaube an Garricks übernatürliche Kräfte nicht, und noch in den neuesten Zeiten gab es in und bei Stratford alte Leute, welche an einen Bund des berühmten Schauspielers mit dem Bösen glaubten. Von Garricks erstem Erscheinen in Stratford an wurde aber das Shakespearehaus in Obhut genommen, um es vor ähnlichem Vandalismus, wie der des Mr. Fitz- Patrick, zu schützen, und so ist es zur Freude aller, nach Millionen zäh- lenden Verehrer des unsterblichen Dichters bis heut wohlerhalten geblieben. Die Launen der Verliebten. ( Schluß. ) Der große Vortheil, den ein solcher Plan bietet, besteht darin, daß Niemand das Ende der herbeizuführenden Verwicklungen voraussehen kann. Eifersucht ist ein begrenztes Thema und wird leicht eintönig; die Schrift- steller können es nicht immer neu variiren; aber die Mannichfaltigkeit der Gegenstände, über die Verliebte streiten können, wenn sie streitlustig sind, ist ganz unerschöpflich. Der Mann kann eine Abneigung haben gegen alle Gespräche über Gespenster oder über Chignons, Crinolinen, das Wetter, die abessynische Expedition, Bälle oder selbst über Gounod's Musik. Die Dame seiner Wahl kann ihn, wenn Argwohn ihre schwache Seite ist, des Mordes, der Brandstiftung, des Diebstahls oder der Unter- schlagung, des Fenierthums, einer Anlage zur Korpulenz, des Unglaubens oder tausend anderer, ebenso schwerer Verbrechen verdächtigen. Eins ist ein ebenso guter Grund für einen herben Zwiespalt, als das Andere. Jn einer vor nicht langer Zeit erschienenen Geschichte beginnt die Bewun- derung der Heldin für den Helden in der Kirche. Sie sieht ihn würdevoll und nachdenklich, ohne eine Bewegung, ruhig im Stuhl sitzen, während das Athanasische Glaubensbekenntniß, welches er aus Prinzip nicht achtet, verlesen wird. Denke man sich nun eine streitsüchtige Heldin, die eine ganz andere Ansicht von der Sache hat, und das Glück zweier ganzer Bände liegt in Trümmern. Der Plan ist leicht zu entwerfen. Von der Wiege an in der Liebe zum Athanasischen Glaubensbekenntniß erzogen — eine Annahme, die gewiß nichts Unnatürliches an sich hat, wenn es wahr ist, daß die Polemiker des schönen Geschlechts oft am meisten lieben, was sie am wenigsten verstehen — ist sie entschlossen, niemals einen Mann zu nehmen, der in diesem Punkt nicht ihre Neigungen theilt, und da er bei seiner entgegengesetzten Ansicht verharrt, giebt sie ihn betrübt, aber muthig auf. Jeder Romanschreiber wird zugeben, daß hierdurch die Elemente zu einem prächtigen Mißverständniß gegeben sind. Er hält sie für gefühllos, für streitsüchtig, hartherzig. Sie fühlt, daß er ein Philosoph, finster und unnachgiebig ist. Wäre nun nicht der Vater, der wahrscheinlich, wie schon gesagt, ein betrügerischer Banquier ist und sie zur rechten Zeit zu einer Waise ohne einen Pfennig macht, so würden zwei junge Leutchen, die in jeder andern Hinsicht wundervoll zu einander passen, niemals wieder ver- söhnt werden können. Hat die Heldin keine Vorliebe für die Theologie, so findet sie außer- halb derselben ein nicht minder großes Gebiet, auf dem sie den Cha- rakter ihres Anbeters erproben kann. Jst Argwohn ihre Richtschnur, so braucht sie ihn ja nur wegen des Mangels irgend einer moralischen Eigen- schaft in Verdacht zu haben. Nehmen wir an, sie habe sich in den Kopf gesetzt, daß es ihm an Muth gebricht. Er nimmt keine Duelle an, prügelt nicht gern Wilddiebe und reitet kaum anständig zur Treibjagd. Mithin nimmt sie sich vor, scharf zu reiten, um ihn wo möglich zu ertappen, wenn er vor einem Feldgitterthor ausweichen will. Jhre Hartnäckigkeit, ihn an Gitterthore zu treiben, wird ihm endlich verdrießlich. Jst diese Amazone — sagt er sich im Stillen — das hübsche junge Ding, das ich liebte? Es bleibt ihm nichts übrig, als bittere Trennung. Jndessen ist es nicht der Wille der Vorsehung, daß wirklich für einander bestimmte Herzen für immer von einander scheiden. Wenn das Buch nur noch wenige Seiten vor einem traurigen Schluß steht, findet eine Aufklärung statt. Als sie einmal Nachts von einem Ball in Nachdenken versunken, obgleich allem Anschein nach die Heiterste der Heitern, nach Hause zurückkehrt, sieht sie ihren früheren Geliebten Jemanden aus irgend Etwas erretten. Ein Ge- danke blitzt in ihr auf: er ist doch kein Feigling, sie hat sich getäuscht. Alles wird glücklich erklärt, und die gehörige Zahl von Kindern, welche das Resultat dieser aufgeschobenen und fast aufgehobenen Verbindung sind, werden ohne Unterschied von ihrer reuigen Mutter belehrt, niemals die Tapferkeit ungeschickter Jagdreiter in Frage zu stellen. Es ist zu beachten, daß bei allen diesen Werbungen, welche in der Bücherwelt die Form einer regelmäßigen Schlacht einnehmen, die Dame keineswegs ihren Willen hat. Sie kümmert sich um ihres Liebhabers Charakter, aber er ist es, der auf den ihren einwirkt. Seine große Auf- gabe ist es, sie zu zähmen. Man ist zwar geneigt, anzunehmen, daß im wirklichen Leben der Prozeß der Zähmung erst nach der Heirath ins Werk gesetzt wird; in dem regelrechten modernen Roman muß dies jedoch immer vorher geschehen. Wenn eine Heldin von dem schönen Pantherinnen- Orden sich wirklich herbeiläßt, still zu halten und sich zähmen zu lassen, so ist diese vorhochzeitliche Zähmung eine sehr weise Einrichtung, aus dem einfachen Grund, weil der eheliche Rarey, wenn er fehlschlägt, noch auf die Ehre verzichten kann, eine ungezähmte Pantherin zum Altar zu führen, während, wenn er Glück hat, Alles ist, wie es sein soll. Wir behaupten nicht, daß wir wissen, was in den Kreisen vorgeht, wo echte Sentimenta- lität zu Hause ist, aber im bescheidenen und dummen Alltagsleben, das wir vor uns sehen, ist es mit dem Zähmen der Pantherin wärend der Brautwerbung nicht weit her. Das Zähmen liegt hier in einer ganz an- dern Richtung. Ersteres kommt nur in Romanen, und zwar in denen von echt sentimentalem Schlag vor. Die Wahrheit ist, daß Männer und Frauen, welche sich daran machen, einen mittelmäßigen Roman in drei Bänden ins Leben zu rufen, mit einer Lust das Gemüthsleben ihres Helden und ihrer Heldin bearbeiten, die dem Vergnügen von Kindern, welche einen Sperling martern, vergleichbar ist. Die Schilderung brechender Herzen ist für manche Schriftsteller eine wahre Wollust. Diejenigen, welche sich mit dieser nebelhaften Dichtungsgattung beschäftigen, finden bald, daß für die Hervorbringung scenischer Effekte mit allgemeiner Verzweiflung und Verwirrung nichts so wirksam ist als der Stolz. Jhre eigenen leicht erregbaren Empfindungen gesellen sich in dem eingebildeten Gegensatz zwischen einem Aeußern von Marmor und schwer zu verbergenden Seelen- qualen im Jnnern. Auch muß die Zahl der Damen, welche in modernen Romanen mit einem kühlen, hochmüthigen Aufwerfen der Lippen ihre Liebhaber entlassen haben und dann heftig aufgesprungen sind, um ihre feuchten Wangen in die Kissen des Nachtlagers zu versenken, schon Legion sein. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß sie es fast Alle thun. Es giebt gewiß in keinem wahrhaft gefühlvollen Journal ein liebendes Paar, von dem man sagen könnte, daß es fortdauernd auf freundschaftlichem Fuße stände. Jmmer kommt es vor, daß sie bei einer Begegnung im Park mit stolzer Verbeugung an einander vorübergehen und dann schnell einen andern Weg einschlagen, um ihre innere Qual zu verbergen. Jn der That ist die Liebe, wie sie in den Romanen geschildert wird, keineswegs auf Rosen ge- bettet. Und da es nach allen Theorien des Familienlebens nöthig ist, daß die Frauen lernen ihren Gatten zu gehorchen, so findet sich immer reichliche Arbeit für den Romanschreiber, der ein Verfahren finden muß, seine Hel- dinnen zu einer ehefähigen Unterwürfigkeit herabzustimmen. Es ist ein hoher Tribut, den die Literatur der Lehre von der Ungleichheit der Ge- schlechter zollt, daß Romanschreiber niemals den Helden nachgeben lassen. Selbst die Schriftstellerinnen scheinen mit vollkommenem Gleichmuth den

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt21_1868/6>, abgerufen am 06.06.2024.