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Sonntags-Blatt. Nr. 20. Berlin, 17. Mai 1868.

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Am Suez=Kanal.
Von
Dr. E. M.

Unser Zeitalter ist nun einmal das des Papiers, insbesondere des
Aktienpapiers. Was die Aktie nicht vermag, scheint heut über-
haupt unausführbar. Sie ist kühn und unternehmend, wie der
tapferste Zuave, emsig wie die Ameise und besitzt in Masse eine
Kraft, die mehr kann, als Berge versetzen. Mit der Geschäftigkeit
jenes kleinen Jnsekts hat sie die halbe Erdrinde unterwühlt und um-
gestaltet, Berge auf= und abgetragen, gewaltige Becken ausgehöhlt,
Gebirge durchbrochen, Flüsse geleitet und den Planeten gleich einem
Faß mit Eisenschienen beschnürt, so daß Mutter Erde erstaunen mag
über das ihr nolens volens angemessene Korset, von dem ihr die
Brust beengt und das Räuspern schwer gemacht wird. Niemand
würde sich heut noch wundern, wenn eine Gesellschaft mit so und so
viel Millionen Stammkapital sich etablirte zur Beleuchtung des
Weltraums, des dunklen, mit Petroleum, oder zur Verrückung der
Erdachse gegen die Sonne behufs Erzielung eines milderen Klima's
für den Norden Europa's. Was uns Anlaß zu dieser Betrachtung
giebt, sind zwar weniger tiefgreifende, wenn schon immer noch bedeu-
tende Veränderungen in der physischen Geographie unsers Planeten.
Afrika hat sich unter unseren Augen aus einer Halbinsel in eine
Jnsel verwandelt; die Landenge von Suez, durch die wir es mit
Asien verbunden wußten, ist verschwunden, statt dessen hat sich eine
Meerenge von Suez gebildet, die von nun an beide Continente von
einander trennt, und jene Gegenden auf der Grenze, auf der Karte
als Wüste verzeichnet, haben sich in fruchtbare Ebenen verwandelt,
aus denen sich blühende Städte und Flecken erheben -- ein Stück Civi-
lisation, auf Sand zwar, noch mehr, auf Aktien gegründet, darum
aber nicht weniger echt, als solche im Mittelpunkt der Kultur.

So ist es doch wahr geworden, was alle Welt bezweifelt, was
der bautenmächtigen Zeit der Pharaonen in Jahrhunderten nur un-
vollkommen gelungen, eine Gesellschaft von Aktionären hat es in so
viel Jahren vollführt, hat das Mittelmeer in eine ozeanische Welt-
straße verwandelt und den darumwohnenden Völkern den Welthandel
gebahnt. Der Bau des Kanals ist noch nicht vollendet; es bleibt
noch Manches zu thun. Der Stand der Arbeiten, wie man ihn jetzt
übersieht, und wie die Gesellschaft des Suez=Kanals auf der Pariser
Jndustrie=Ausstellung durch Ansichten, Karten und Modelle einem
größern Publikum Gelegenheit gegeben hat, sich ein Bild davon zu
entwerfen, läßt aber an dem Gelingen keinen Zweifel mehr. Bei
Gelegenheit der Kriegsrüstungen gegen Abessynien ist denn auch das
erste Schiff von größerem Tonnengehalt durch den Kanal gegangen.
Merkwürdig dabei ist, daß es gerade ein Schiff der Engländer sein
mußte, das ihn als erstes passirte -- der Engländer, die sich am meisten
gegen die Ausführung dieses Werkes gestemmt, und sich rühmen
können, ihm die größten Hindernisse in den Weg gelegt zu haben.

Als in den Fünfziger Jahren zur Durchführung einer Jdee ge-
schritten wurde, die seit fünfundzwanzig Jahrhunderten alle Kultur-
epochen beschäftigt, stieß man allerorten damit auf Hindernisse. Jm
Publikum waren wenig Sympathien dafür vorhanden, und der Bo-
den der öffentlichen Meinung war doch lange und mit Nachdruck
beackert worden. Er erwies sich aber als ein ziemlich steiniger. Auch
fehlte es nicht an Feinden, die Unkraut unter den Weizen gesäet
hatten.

Die Mißtrauischen beargwöhnten das Neue, Unerhörte, das zu
bemessen ihnen ein Maßstab fehlte; die Klugen, welche Alles wissen
und auch dieser Entreprise auf den Grund sahen, riefen: "Schwindel!"
Die Spötter und die aus ihren Spötteleien Kapital schlagen, ergriffen
mit Lust den neuen unbenutzten Stein, an dem ihr Geist neue
Funken sprühen sollte. Sie machten Calembourgs, und das Publikum
lachte. Das Publikum lacht und kauft zwar, aber es zeichnet keine
Aktien.

Es fehlte an Garantien für die Möglichkeit des Gelingens, und
das machte auch die dem Unternehmen Geneigten besorgt. Jndessen
gelang es, allmälig diese Besorgnisse zu verscheuchen. Man berich-
tigte durch die Resultate neuer barometrischer Höhenmessungen die
irrige Ansicht von der Niveauverschiedenheit beider Meere, die nach
1799 von der durch Napoleon eingesetzten Kommission zur Unter-
suchung des Jsthmus ausgesprochen, auch diesen von einem ähnlichen
Unternehmen zurückgeschreckt hatte; man wies auf den schon im Alter-
thum dagewesenen und noch im achten Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung befahrenen Kanal hin, als Beweis für die Wahrscheinlichkeit
des Gelingens, und zeigte, daß die Versandung des alten Kanals
nicht nothwendig durch die Terrainbeschaffenheit herbeigeführt worden,
und darum nicht auch bei jedem neuen eintreten müsse, sondern daß
lediglich die nachlässige Türkenwirthschaft die Schuld daran trage.

Der beste Beweis für die Trefflichkeit und Gemeinnützigkeit des
[Spaltenumbruch] Projekts und die Möglichkeit seiner Durchführung hätte dem Un-
befangenen das Verhalten Englands dazu sein müssen. Aus den
Reden der Parlamentsmitglieder blickte ganz unverhohlen die Eifer-
sucht auf das Monopol des ostindischen Seehandels und die Be-
sorgniß, es über kurz oder lang durch einen neuen kürzeren Seeweg
zu verlieren oder mit anderen Völkern theilen zu müssen, hervor.

Es ist gewiß zu verwundern, daß es trotz der ungünstigen Stim-
mung im Publikum, trotz der Hindernisse, welche die englische Re-
gierung in den Weg legte und wo das wagende englische Kapital fern
blieb, eine Gesellschaft zur Realisirung der Jdee auf die Beine zu
bringen gelang. Es gehörte dazu aber der Eifer, die Energie und
zähe Ausdauer, wie sie der Verfechter derselben, Ferdinand Lesseps,
entwickelt hat, um unter so mißlichen Umständen Erfolge zu erringen.
Nachdem von dem Vicekönig von Aegypten ein Ferman zur Konzession
des Kanalbaues und zur Bildung einer Aktiengesellschaft erlangt wor-
den war, konstituirte sich eine solche mit einem Stammkapital von
200 Millionen Frcs. unter dem Präsidium Lesseps. Jm Jahre 1858
begann sie mit den Arbeiten. Jnmitten einer Wüste, die ohne eine
Spur menschlicher Ansiedlung nur vom Beduinen auf seinem Kameel
oder feurigem Berberroß befahren worden, entfaltete sich wie durch
Zauberschlag reges, bewegtes Leben.

An den Gewässern des Menzanah=See's erhebt sich eine etliche
hundert Schritte breite Sandbank, gepeitscht und überflutet von den
Wellen des Menzanah=See's und des Mittelmeers, eine triste, öde
Erhebung ohne Baum, ohne Strauch, nur den Seevögeln ein Auf-
enthalt. Hier wurde der erste Spatenstich zur Grabung des Kanals
gethan, hier entstand die erste Ansiedelung der Arbeiter an diesem
Werk. Es erhoben sich schnell kleine Wohnungen aus dem Sande,
sehr bescheiden in Aussehen und Einrichtung und entblößt von allem
Comfort des verwöhnten Europäers. Nach und nach verbreiterte sich
der Erdstreifen. Die Erde der Kanalbaggerung diente dazu, den
umliegenden Morast zuzudämmen und Boden für weitere Bebauung
zu gewinnen.

Schon mehrten sich die Gebäude, massivere Häuser entstanden, die
zu Werkstätten und Magazinen bestimmt waren; saubere, zierliche
Häuschen, komplett bis zum Zusammensetzen aus Frankreich herüber-
geschafft, wurden errichtet, und bald erhob sich eine Flucht malerischer
Bauten längs den hohen westlichen Quais, unter denen die Wohnun-
gen der Chefs, der höheren Beamten und das Hotel der Reisenden
angenehm hervorstachen. Ein Leuchtthurm signalisirte den vorüber-
segelnden Fahrzeugen eine neue, aus dem Wasser entstandene Stadt.
Eine Kapelle, Gotteshaus, Spital und Schule zugleich, bezeugte den
Geist christlicher Gemeinschaft, der hier an Stelle des bisher herr-
schenden Fatalismus eingezogen war.

Port=Said nannte man diese erste Etappe der Civilisation, nach
Said Pascha, dem damaligen Vicekönig von Aegypten, der in der
Mitbegründung des Werks sich als vorurtheilsfreier gebildeter Fürst
bewiesen und sich ein dauerndes Denkmal damit gesetzt hat. Heut
ist Port=Said eine Stadt von 10,000 Einwohnern, freundlich und
sauber. Sie gewährt einen überaus lebendigen Anblick, der noch ge-
hoben wird durch das rege gewerbthätige Leben in den Straßen.
Der ganze Güter=Transport, welcher vom Mittelmeer kommt, um
nach Suez und dem äußersten Orient geschafft zu werden, nimmt über
Port=Said seinen Weg. Schiffsladungen werden gelöscht, Wagen
und kleinere Fahrzeuge aller Art sind beschäftigt, sie wieder einzuneh-
men und über den Jsthmus zu fahren.

Die großen Dampfschiffe der Schifffahrtsgesellschaften von Odessa
und Marseille kommen und gehen, Arbeitertrupps werden hin und
her befördert, Eingeborene bringen Lebensmittel und Material aus
dem Jnnern Aegyptens heran, kurz, es herrscht ein Gewühl von Ge-
schäftsleuten und Matrosen aller Nationen, daß man sich in einer seit
Jahrhunderten bestehenden Hafenstadt glaubt. Die Lage des Platzes
ist reizend. Die Aussicht auf das Meer, immer großartig, immer
voll Abwechselung, wird noch verschönert durch die Menge grüner,
blumenreicher Jnseln, die in anmuthigen Gruppen die Stadt um-
geben, und die dazwischen hingleitenden weißen Segel zahlreicher
Fischerboote, deren Eigenthümer hier ihrem Geschäft obliegen, dessen
Jahresertrag bereits eine halbe Million Francs übersteigen soll.
Der Hafen ist von ganz bedeutender Ausdehnung. Jn seiner Be-
stimmung, den Schiffen, die den Kanal passiren, so lange einen
Aufenthalt zu gewähren, bis die Reihe an sie kommt, wird er vor-
aussichtlich einer großartigen Frequenz, in seiner Vollendung Hunderten
von Fahrzeugen einen Ankerplatz bieten. Zu dem Zweck ist ein Bau
von doppelten Molen aufgeführt, die in einer Ausdehnung bis zu
fünftausend Schritten von der Stadt nach dem Meer zu sich ver-
engend, ein Trapez von enormer Oberfläche formiren. Der Binnen-
hafen umschließt einen Raum, der zweihundert Morgen übersteigt,
worin auch die kleinen Hafenbassins der Marine, des Arsenals ,
die sich als Zahnausschnitte längs der westlichen Moole hinziehen, ein-
geschlossen sind. Der ganze Bau ist fast ausschließlich in künstlichen
Steinen aufgeführt. Man verwandte zu Anfang natürliche, aus
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Am Suez=Kanal.
Von
Dr. E. M.

Unser Zeitalter ist nun einmal das des Papiers, insbesondere des
Aktienpapiers. Was die Aktie nicht vermag, scheint heut über-
haupt unausführbar. Sie ist kühn und unternehmend, wie der
tapferste Zuave, emsig wie die Ameise und besitzt in Masse eine
Kraft, die mehr kann, als Berge versetzen. Mit der Geschäftigkeit
jenes kleinen Jnsekts hat sie die halbe Erdrinde unterwühlt und um-
gestaltet, Berge auf= und abgetragen, gewaltige Becken ausgehöhlt,
Gebirge durchbrochen, Flüsse geleitet und den Planeten gleich einem
Faß mit Eisenschienen beschnürt, so daß Mutter Erde erstaunen mag
über das ihr nolens volens angemessene Korset, von dem ihr die
Brust beengt und das Räuspern schwer gemacht wird. Niemand
würde sich heut noch wundern, wenn eine Gesellschaft mit so und so
viel Millionen Stammkapital sich etablirte zur Beleuchtung des
Weltraums, des dunklen, mit Petroleum, oder zur Verrückung der
Erdachse gegen die Sonne behufs Erzielung eines milderen Klima's
für den Norden Europa's. Was uns Anlaß zu dieser Betrachtung
giebt, sind zwar weniger tiefgreifende, wenn schon immer noch bedeu-
tende Veränderungen in der physischen Geographie unsers Planeten.
Afrika hat sich unter unseren Augen aus einer Halbinsel in eine
Jnsel verwandelt; die Landenge von Suez, durch die wir es mit
Asien verbunden wußten, ist verschwunden, statt dessen hat sich eine
Meerenge von Suez gebildet, die von nun an beide Continente von
einander trennt, und jene Gegenden auf der Grenze, auf der Karte
als Wüste verzeichnet, haben sich in fruchtbare Ebenen verwandelt,
aus denen sich blühende Städte und Flecken erheben — ein Stück Civi-
lisation, auf Sand zwar, noch mehr, auf Aktien gegründet, darum
aber nicht weniger echt, als solche im Mittelpunkt der Kultur.

So ist es doch wahr geworden, was alle Welt bezweifelt, was
der bautenmächtigen Zeit der Pharaonen in Jahrhunderten nur un-
vollkommen gelungen, eine Gesellschaft von Aktionären hat es in so
viel Jahren vollführt, hat das Mittelmeer in eine ozeanische Welt-
straße verwandelt und den darumwohnenden Völkern den Welthandel
gebahnt. Der Bau des Kanals ist noch nicht vollendet; es bleibt
noch Manches zu thun. Der Stand der Arbeiten, wie man ihn jetzt
übersieht, und wie die Gesellschaft des Suez=Kanals auf der Pariser
Jndustrie=Ausstellung durch Ansichten, Karten und Modelle einem
größern Publikum Gelegenheit gegeben hat, sich ein Bild davon zu
entwerfen, läßt aber an dem Gelingen keinen Zweifel mehr. Bei
Gelegenheit der Kriegsrüstungen gegen Abessynien ist denn auch das
erste Schiff von größerem Tonnengehalt durch den Kanal gegangen.
Merkwürdig dabei ist, daß es gerade ein Schiff der Engländer sein
mußte, das ihn als erstes passirte — der Engländer, die sich am meisten
gegen die Ausführung dieses Werkes gestemmt, und sich rühmen
können, ihm die größten Hindernisse in den Weg gelegt zu haben.

Als in den Fünfziger Jahren zur Durchführung einer Jdee ge-
schritten wurde, die seit fünfundzwanzig Jahrhunderten alle Kultur-
epochen beschäftigt, stieß man allerorten damit auf Hindernisse. Jm
Publikum waren wenig Sympathien dafür vorhanden, und der Bo-
den der öffentlichen Meinung war doch lange und mit Nachdruck
beackert worden. Er erwies sich aber als ein ziemlich steiniger. Auch
fehlte es nicht an Feinden, die Unkraut unter den Weizen gesäet
hatten.

Die Mißtrauischen beargwöhnten das Neue, Unerhörte, das zu
bemessen ihnen ein Maßstab fehlte; die Klugen, welche Alles wissen
und auch dieser Entreprise auf den Grund sahen, riefen: „Schwindel!“
Die Spötter und die aus ihren Spötteleien Kapital schlagen, ergriffen
mit Lust den neuen unbenutzten Stein, an dem ihr Geist neue
Funken sprühen sollte. Sie machten Calembourgs, und das Publikum
lachte. Das Publikum lacht und kauft zwar, aber es zeichnet keine
Aktien.

Es fehlte an Garantien für die Möglichkeit des Gelingens, und
das machte auch die dem Unternehmen Geneigten besorgt. Jndessen
gelang es, allmälig diese Besorgnisse zu verscheuchen. Man berich-
tigte durch die Resultate neuer barometrischer Höhenmessungen die
irrige Ansicht von der Niveauverschiedenheit beider Meere, die nach
1799 von der durch Napoleon eingesetzten Kommission zur Unter-
suchung des Jsthmus ausgesprochen, auch diesen von einem ähnlichen
Unternehmen zurückgeschreckt hatte; man wies auf den schon im Alter-
thum dagewesenen und noch im achten Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung befahrenen Kanal hin, als Beweis für die Wahrscheinlichkeit
des Gelingens, und zeigte, daß die Versandung des alten Kanals
nicht nothwendig durch die Terrainbeschaffenheit herbeigeführt worden,
und darum nicht auch bei jedem neuen eintreten müsse, sondern daß
lediglich die nachlässige Türkenwirthschaft die Schuld daran trage.

Der beste Beweis für die Trefflichkeit und Gemeinnützigkeit des
[Spaltenumbruch] Projekts und die Möglichkeit seiner Durchführung hätte dem Un-
befangenen das Verhalten Englands dazu sein müssen. Aus den
Reden der Parlamentsmitglieder blickte ganz unverhohlen die Eifer-
sucht auf das Monopol des ostindischen Seehandels und die Be-
sorgniß, es über kurz oder lang durch einen neuen kürzeren Seeweg
zu verlieren oder mit anderen Völkern theilen zu müssen, hervor.

Es ist gewiß zu verwundern, daß es trotz der ungünstigen Stim-
mung im Publikum, trotz der Hindernisse, welche die englische Re-
gierung in den Weg legte und wo das wagende englische Kapital fern
blieb, eine Gesellschaft zur Realisirung der Jdee auf die Beine zu
bringen gelang. Es gehörte dazu aber der Eifer, die Energie und
zähe Ausdauer, wie sie der Verfechter derselben, Ferdinand Lesseps,
entwickelt hat, um unter so mißlichen Umständen Erfolge zu erringen.
Nachdem von dem Vicekönig von Aegypten ein Ferman zur Konzession
des Kanalbaues und zur Bildung einer Aktiengesellschaft erlangt wor-
den war, konstituirte sich eine solche mit einem Stammkapital von
200 Millionen Frcs. unter dem Präsidium Lesseps. Jm Jahre 1858
begann sie mit den Arbeiten. Jnmitten einer Wüste, die ohne eine
Spur menschlicher Ansiedlung nur vom Beduinen auf seinem Kameel
oder feurigem Berberroß befahren worden, entfaltete sich wie durch
Zauberschlag reges, bewegtes Leben.

An den Gewässern des Menzanah=See's erhebt sich eine etliche
hundert Schritte breite Sandbank, gepeitscht und überflutet von den
Wellen des Menzanah=See's und des Mittelmeers, eine triste, öde
Erhebung ohne Baum, ohne Strauch, nur den Seevögeln ein Auf-
enthalt. Hier wurde der erste Spatenstich zur Grabung des Kanals
gethan, hier entstand die erste Ansiedelung der Arbeiter an diesem
Werk. Es erhoben sich schnell kleine Wohnungen aus dem Sande,
sehr bescheiden in Aussehen und Einrichtung und entblößt von allem
Comfort des verwöhnten Europäers. Nach und nach verbreiterte sich
der Erdstreifen. Die Erde der Kanalbaggerung diente dazu, den
umliegenden Morast zuzudämmen und Boden für weitere Bebauung
zu gewinnen.

Schon mehrten sich die Gebäude, massivere Häuser entstanden, die
zu Werkstätten und Magazinen bestimmt waren; saubere, zierliche
Häuschen, komplett bis zum Zusammensetzen aus Frankreich herüber-
geschafft, wurden errichtet, und bald erhob sich eine Flucht malerischer
Bauten längs den hohen westlichen Quais, unter denen die Wohnun-
gen der Chefs, der höheren Beamten und das Hôtel der Reisenden
angenehm hervorstachen. Ein Leuchtthurm signalisirte den vorüber-
segelnden Fahrzeugen eine neue, aus dem Wasser entstandene Stadt.
Eine Kapelle, Gotteshaus, Spital und Schule zugleich, bezeugte den
Geist christlicher Gemeinschaft, der hier an Stelle des bisher herr-
schenden Fatalismus eingezogen war.

Port=Saïd nannte man diese erste Etappe der Civilisation, nach
Saïd Pascha, dem damaligen Vicekönig von Aegypten, der in der
Mitbegründung des Werks sich als vorurtheilsfreier gebildeter Fürst
bewiesen und sich ein dauerndes Denkmal damit gesetzt hat. Heut
ist Port=Saïd eine Stadt von 10,000 Einwohnern, freundlich und
sauber. Sie gewährt einen überaus lebendigen Anblick, der noch ge-
hoben wird durch das rege gewerbthätige Leben in den Straßen.
Der ganze Güter=Transport, welcher vom Mittelmeer kommt, um
nach Suez und dem äußersten Orient geschafft zu werden, nimmt über
Port=Saïd seinen Weg. Schiffsladungen werden gelöscht, Wagen
und kleinere Fahrzeuge aller Art sind beschäftigt, sie wieder einzuneh-
men und über den Jsthmus zu fahren.

Die großen Dampfschiffe der Schifffahrtsgesellschaften von Odessa
und Marseille kommen und gehen, Arbeitertrupps werden hin und
her befördert, Eingeborene bringen Lebensmittel und Material aus
dem Jnnern Aegyptens heran, kurz, es herrscht ein Gewühl von Ge-
schäftsleuten und Matrosen aller Nationen, daß man sich in einer seit
Jahrhunderten bestehenden Hafenstadt glaubt. Die Lage des Platzes
ist reizend. Die Aussicht auf das Meer, immer großartig, immer
voll Abwechselung, wird noch verschönert durch die Menge grüner,
blumenreicher Jnseln, die in anmuthigen Gruppen die Stadt um-
geben, und die dazwischen hingleitenden weißen Segel zahlreicher
Fischerboote, deren Eigenthümer hier ihrem Geschäft obliegen, dessen
Jahresertrag bereits eine halbe Million Francs übersteigen soll.
Der Hafen ist von ganz bedeutender Ausdehnung. Jn seiner Be-
stimmung, den Schiffen, die den Kanal passiren, so lange einen
Aufenthalt zu gewähren, bis die Reihe an sie kommt, wird er vor-
aussichtlich einer großartigen Frequenz, in seiner Vollendung Hunderten
von Fahrzeugen einen Ankerplatz bieten. Zu dem Zweck ist ein Bau
von doppelten Molen aufgeführt, die in einer Ausdehnung bis zu
fünftausend Schritten von der Stadt nach dem Meer zu sich ver-
engend, ein Trapez von enormer Oberfläche formiren. Der Binnen-
hafen umschließt einen Raum, der zweihundert Morgen übersteigt,
worin auch die kleinen Hafenbassins der Marine, des Arsenals ,
die sich als Zahnausschnitte längs der westlichen Moole hinziehen, ein-
geschlossen sind. Der ganze Bau ist fast ausschließlich in künstlichen
Steinen aufgeführt. Man verwandte zu Anfang natürliche, aus
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[159/0007] 159 Am Suez=Kanal. Von Dr. E. M. Unser Zeitalter ist nun einmal das des Papiers, insbesondere des Aktienpapiers. Was die Aktie nicht vermag, scheint heut über- haupt unausführbar. Sie ist kühn und unternehmend, wie der tapferste Zuave, emsig wie die Ameise und besitzt in Masse eine Kraft, die mehr kann, als Berge versetzen. Mit der Geschäftigkeit jenes kleinen Jnsekts hat sie die halbe Erdrinde unterwühlt und um- gestaltet, Berge auf= und abgetragen, gewaltige Becken ausgehöhlt, Gebirge durchbrochen, Flüsse geleitet und den Planeten gleich einem Faß mit Eisenschienen beschnürt, so daß Mutter Erde erstaunen mag über das ihr nolens volens angemessene Korset, von dem ihr die Brust beengt und das Räuspern schwer gemacht wird. Niemand würde sich heut noch wundern, wenn eine Gesellschaft mit so und so viel Millionen Stammkapital sich etablirte zur Beleuchtung des Weltraums, des dunklen, mit Petroleum, oder zur Verrückung der Erdachse gegen die Sonne behufs Erzielung eines milderen Klima's für den Norden Europa's. Was uns Anlaß zu dieser Betrachtung giebt, sind zwar weniger tiefgreifende, wenn schon immer noch bedeu- tende Veränderungen in der physischen Geographie unsers Planeten. Afrika hat sich unter unseren Augen aus einer Halbinsel in eine Jnsel verwandelt; die Landenge von Suez, durch die wir es mit Asien verbunden wußten, ist verschwunden, statt dessen hat sich eine Meerenge von Suez gebildet, die von nun an beide Continente von einander trennt, und jene Gegenden auf der Grenze, auf der Karte als Wüste verzeichnet, haben sich in fruchtbare Ebenen verwandelt, aus denen sich blühende Städte und Flecken erheben — ein Stück Civi- lisation, auf Sand zwar, noch mehr, auf Aktien gegründet, darum aber nicht weniger echt, als solche im Mittelpunkt der Kultur. So ist es doch wahr geworden, was alle Welt bezweifelt, was der bautenmächtigen Zeit der Pharaonen in Jahrhunderten nur un- vollkommen gelungen, eine Gesellschaft von Aktionären hat es in so viel Jahren vollführt, hat das Mittelmeer in eine ozeanische Welt- straße verwandelt und den darumwohnenden Völkern den Welthandel gebahnt. Der Bau des Kanals ist noch nicht vollendet; es bleibt noch Manches zu thun. Der Stand der Arbeiten, wie man ihn jetzt übersieht, und wie die Gesellschaft des Suez=Kanals auf der Pariser Jndustrie=Ausstellung durch Ansichten, Karten und Modelle einem größern Publikum Gelegenheit gegeben hat, sich ein Bild davon zu entwerfen, läßt aber an dem Gelingen keinen Zweifel mehr. Bei Gelegenheit der Kriegsrüstungen gegen Abessynien ist denn auch das erste Schiff von größerem Tonnengehalt durch den Kanal gegangen. Merkwürdig dabei ist, daß es gerade ein Schiff der Engländer sein mußte, das ihn als erstes passirte — der Engländer, die sich am meisten gegen die Ausführung dieses Werkes gestemmt, und sich rühmen können, ihm die größten Hindernisse in den Weg gelegt zu haben. Als in den Fünfziger Jahren zur Durchführung einer Jdee ge- schritten wurde, die seit fünfundzwanzig Jahrhunderten alle Kultur- epochen beschäftigt, stieß man allerorten damit auf Hindernisse. Jm Publikum waren wenig Sympathien dafür vorhanden, und der Bo- den der öffentlichen Meinung war doch lange und mit Nachdruck beackert worden. Er erwies sich aber als ein ziemlich steiniger. Auch fehlte es nicht an Feinden, die Unkraut unter den Weizen gesäet hatten. Die Mißtrauischen beargwöhnten das Neue, Unerhörte, das zu bemessen ihnen ein Maßstab fehlte; die Klugen, welche Alles wissen und auch dieser Entreprise auf den Grund sahen, riefen: „Schwindel!“ Die Spötter und die aus ihren Spötteleien Kapital schlagen, ergriffen mit Lust den neuen unbenutzten Stein, an dem ihr Geist neue Funken sprühen sollte. Sie machten Calembourgs, und das Publikum lachte. Das Publikum lacht und kauft zwar, aber es zeichnet keine Aktien. Es fehlte an Garantien für die Möglichkeit des Gelingens, und das machte auch die dem Unternehmen Geneigten besorgt. Jndessen gelang es, allmälig diese Besorgnisse zu verscheuchen. Man berich- tigte durch die Resultate neuer barometrischer Höhenmessungen die irrige Ansicht von der Niveauverschiedenheit beider Meere, die nach 1799 von der durch Napoleon eingesetzten Kommission zur Unter- suchung des Jsthmus ausgesprochen, auch diesen von einem ähnlichen Unternehmen zurückgeschreckt hatte; man wies auf den schon im Alter- thum dagewesenen und noch im achten Jahrhundert unserer Zeit- rechnung befahrenen Kanal hin, als Beweis für die Wahrscheinlichkeit des Gelingens, und zeigte, daß die Versandung des alten Kanals nicht nothwendig durch die Terrainbeschaffenheit herbeigeführt worden, und darum nicht auch bei jedem neuen eintreten müsse, sondern daß lediglich die nachlässige Türkenwirthschaft die Schuld daran trage. Der beste Beweis für die Trefflichkeit und Gemeinnützigkeit des Projekts und die Möglichkeit seiner Durchführung hätte dem Un- befangenen das Verhalten Englands dazu sein müssen. Aus den Reden der Parlamentsmitglieder blickte ganz unverhohlen die Eifer- sucht auf das Monopol des ostindischen Seehandels und die Be- sorgniß, es über kurz oder lang durch einen neuen kürzeren Seeweg zu verlieren oder mit anderen Völkern theilen zu müssen, hervor. Es ist gewiß zu verwundern, daß es trotz der ungünstigen Stim- mung im Publikum, trotz der Hindernisse, welche die englische Re- gierung in den Weg legte und wo das wagende englische Kapital fern blieb, eine Gesellschaft zur Realisirung der Jdee auf die Beine zu bringen gelang. Es gehörte dazu aber der Eifer, die Energie und zähe Ausdauer, wie sie der Verfechter derselben, Ferdinand Lesseps, entwickelt hat, um unter so mißlichen Umständen Erfolge zu erringen. Nachdem von dem Vicekönig von Aegypten ein Ferman zur Konzession des Kanalbaues und zur Bildung einer Aktiengesellschaft erlangt wor- den war, konstituirte sich eine solche mit einem Stammkapital von 200 Millionen Frcs. unter dem Präsidium Lesseps. Jm Jahre 1858 begann sie mit den Arbeiten. Jnmitten einer Wüste, die ohne eine Spur menschlicher Ansiedlung nur vom Beduinen auf seinem Kameel oder feurigem Berberroß befahren worden, entfaltete sich wie durch Zauberschlag reges, bewegtes Leben. An den Gewässern des Menzanah=See's erhebt sich eine etliche hundert Schritte breite Sandbank, gepeitscht und überflutet von den Wellen des Menzanah=See's und des Mittelmeers, eine triste, öde Erhebung ohne Baum, ohne Strauch, nur den Seevögeln ein Auf- enthalt. Hier wurde der erste Spatenstich zur Grabung des Kanals gethan, hier entstand die erste Ansiedelung der Arbeiter an diesem Werk. Es erhoben sich schnell kleine Wohnungen aus dem Sande, sehr bescheiden in Aussehen und Einrichtung und entblößt von allem Comfort des verwöhnten Europäers. Nach und nach verbreiterte sich der Erdstreifen. Die Erde der Kanalbaggerung diente dazu, den umliegenden Morast zuzudämmen und Boden für weitere Bebauung zu gewinnen. Schon mehrten sich die Gebäude, massivere Häuser entstanden, die zu Werkstätten und Magazinen bestimmt waren; saubere, zierliche Häuschen, komplett bis zum Zusammensetzen aus Frankreich herüber- geschafft, wurden errichtet, und bald erhob sich eine Flucht malerischer Bauten längs den hohen westlichen Quais, unter denen die Wohnun- gen der Chefs, der höheren Beamten und das Hôtel der Reisenden angenehm hervorstachen. Ein Leuchtthurm signalisirte den vorüber- segelnden Fahrzeugen eine neue, aus dem Wasser entstandene Stadt. Eine Kapelle, Gotteshaus, Spital und Schule zugleich, bezeugte den Geist christlicher Gemeinschaft, der hier an Stelle des bisher herr- schenden Fatalismus eingezogen war. Port=Saïd nannte man diese erste Etappe der Civilisation, nach Saïd Pascha, dem damaligen Vicekönig von Aegypten, der in der Mitbegründung des Werks sich als vorurtheilsfreier gebildeter Fürst bewiesen und sich ein dauerndes Denkmal damit gesetzt hat. Heut ist Port=Saïd eine Stadt von 10,000 Einwohnern, freundlich und sauber. Sie gewährt einen überaus lebendigen Anblick, der noch ge- hoben wird durch das rege gewerbthätige Leben in den Straßen. Der ganze Güter=Transport, welcher vom Mittelmeer kommt, um nach Suez und dem äußersten Orient geschafft zu werden, nimmt über Port=Saïd seinen Weg. Schiffsladungen werden gelöscht, Wagen und kleinere Fahrzeuge aller Art sind beschäftigt, sie wieder einzuneh- men und über den Jsthmus zu fahren. Die großen Dampfschiffe der Schifffahrtsgesellschaften von Odessa und Marseille kommen und gehen, Arbeitertrupps werden hin und her befördert, Eingeborene bringen Lebensmittel und Material aus dem Jnnern Aegyptens heran, kurz, es herrscht ein Gewühl von Ge- schäftsleuten und Matrosen aller Nationen, daß man sich in einer seit Jahrhunderten bestehenden Hafenstadt glaubt. Die Lage des Platzes ist reizend. Die Aussicht auf das Meer, immer großartig, immer voll Abwechselung, wird noch verschönert durch die Menge grüner, blumenreicher Jnseln, die in anmuthigen Gruppen die Stadt um- geben, und die dazwischen hingleitenden weißen Segel zahlreicher Fischerboote, deren Eigenthümer hier ihrem Geschäft obliegen, dessen Jahresertrag bereits eine halbe Million Francs übersteigen soll. Der Hafen ist von ganz bedeutender Ausdehnung. Jn seiner Be- stimmung, den Schiffen, die den Kanal passiren, so lange einen Aufenthalt zu gewähren, bis die Reihe an sie kommt, wird er vor- aussichtlich einer großartigen Frequenz, in seiner Vollendung Hunderten von Fahrzeugen einen Ankerplatz bieten. Zu dem Zweck ist ein Bau von doppelten Molen aufgeführt, die in einer Ausdehnung bis zu fünftausend Schritten von der Stadt nach dem Meer zu sich ver- engend, ein Trapez von enormer Oberfläche formiren. Der Binnen- hafen umschließt einen Raum, der zweihundert Morgen übersteigt, worin auch die kleinen Hafenbassins der Marine, des Arsenals , die sich als Zahnausschnitte längs der westlichen Moole hinziehen, ein- geschlossen sind. Der ganze Bau ist fast ausschließlich in künstlichen Steinen aufgeführt. Man verwandte zu Anfang natürliche, aus

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 20. Berlin, 17. Mai 1868, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt20_1868/7>, abgerufen am 06.06.2024.