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Sonntags-Blatt. Nr. 18. Berlin, 3. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz] einstellen, denn man hat uns nicht abgewiesen, sondern gern an-
genommen."

"Es kitzelt Dich wohl gewaltig, einige Loth Blei im Leibe zu
haben?" sagte der alte Kilian mit grimmigem Zorn.

"Zuweilen däucht es mir schön, Vater, wenn mein armes Herz
endlich zur Ruhe käme, die ihm hier auf Erden doch nicht beschieden
scheint", erwiderte Ewald leise.

Mit einem Laut zwischen Fluchen und Stöhnen stürzte der alte
Ulmenhofer aus der Stube.

Wieder war ein Abschied überwunden, ein Abschied, bei dem Ewald
und Gertrud ahnungsvoll fühlten, wenn es auch Keiner dem Andern
eingestand, er sei fürs Leben, nach ihm gebe es kein Wiedersehen mehr.

Sie hatten nicht viel von einander gehabt, an dem einen Tage,
den Ewald in der Heimath zubrachte; aber wann er bei Gertrud ge-
wesen, hatten sie zusammen gesessen, Hand in Hand, selbst in Gegen-
wart der Anderen. Und das war ihr Trost in dem neuen Weh
des Scheidens; daran hatten sie sich aufrecht erhalten, das strahlte
als Stern durch all' das Dunkel hindurch, daß sie fühlten, mit hei-
liger Ueberzeugung wußten, sie waren einander noch, was sie sich stets
gewesen; keine Ferne und Tennung hatte vermocht, ihre Liebe zu
mindern; diese war als lauteres Gold aus dem Feuer der Schmerzen
hervorgegangen und leuchtete, wie ein echter Demant am hellsten im
Dunkel, hier in dem Schatten der Trübsal.



Eine bange und schwere Zeit folgte dem Ausbruch des Krieges.
All' das Hoffen und Zagen! Und wie sich in den Jubelruf über die
ersten Siege immer die Angst derjenigen mischt, welche nicht wissen, ob
Vater, Sohn, Bruder oder Geliebter nicht auch mit seinem Blut
die Schlacht gewinnen half!

Es war nach dem 3. Juli, jenem denkwürdigen Tage der preußischen
Geschichte, da einer der großartigsten und glorreichsten Siege mit
dem Leben von Tausenden von Tapferen bezahlt wurde.

Von einer zehrenden, inneren Angst getrieben, ging Gertrud um-
her, nirgend, bei keiner Arbeit Ruhe findend. Der Vater schaute ihr
besorgt und kummervoll zu; es lag eine solche Seelenqual auf ihrem
Gesicht, wie er sie früher nie gesehen.

"Gertrud, was ist Dir? Was ist anders als sonst? Warum
zagest und fürchtest Du heut mehr?"

"Vater, glaube mir, heut ist Ewald gestorben; ich habe ein so
banges Gefühl in mir, als sei die ganze Welt mir mit einem
Male fremd geworden und Alles so leer, so öde um mich her."

Still hörte sie auf des Vaters tröstende Ermahnungen, still und
klagelos ging sie dahin; aber sie vermochte nicht, in den allgemeinen
Jubelsturm einzustimmen, der ausbrach bei der Kunde des glücklichen
Sieges, des nun gewiß bald beendeten Krieges.

O, wie die Tage so langsam für Gertrud dahinschlichen, so grau
und hoffnungsleer! Wie kein Beten, kein Arbeiten die nagende Angst
und Unruhe zu beschwichtigen vermochte! Hier und dort kam ein Brief
im Dorfe an; Mancher der Mitziehenden war dem mörderischen Feuer
entronnen, Andere lagen verwundet, Andere todt -- doch von Ewald
und Christian keine nähere Kunde. Vor der Schlacht von König-
grätz hatte sie noch einer der Landsleute, der bei einem andern Trup-
pentheil stand, gesund gesehen, später wußte man nichts mehr von
ihnen. Auch in den ersten Verlustlisten, die sehr langsam erschienen,
fanden sich ihre Namen nicht; daraus schöpften die Anderen Hoffnung,
Gertrud nicht. Das schreckliche Gefühl der Herzensleere in ihr, des
Fremdseins in der Welt sprach eine ihr nur zu verständliche Sprache.

Jm Anfang August war es, als Gertrud sich eines Nachmittags
ganz allein im Rosenbusch befand. Der alte Gottfried hatte sie heim-
geschickt vom Felde, auf dem sie bei der Ernte hülfreich gewesen, denn
es fehlten diesmal viele der kräftigen Arme, das schwere Werk zu
vollenden, und Mancher griff mit an, der sonst schon gefeiert. Das
Mädchen hatte in ihrer stillen Weise rüstig mitgearbeitet, aber in
der glühenden Mittagshitze schien es ihr doch zu viel zu werden; sie
sah matt und blaß aus, denn der Gram hatte ihre Kräfte zu sehr
erschöpft. Der Vater hatte sie gebeten, nach Hause zu gehen, sich im
kühleren Zimmer zu erholen, später könne sie wiederkommen.

So saß sie da, die Hände müßig im Schooß, wie jetzt oft,
wenn keine drängende Arbeit an sie herantrat, immer denkend den
einen schweren Gedanken, und die Welt so öde und leer um sich, und
noch viel einsamer als damals, da doch auch schon Länder und Meere
zwischen ihr und Ewald lagen. Draußen blühten die Rosen in seltener
Pracht und Fülle. Ob er wohl noch die Rosen blühen sah, oder ob
es wirklich wahr, was bei Gertrud fest stand, daß er schon in fremder
Erde den Schlaf des Todes schlief? Gewißheit -- nur endlich Gewiß-
heit auf irgend eine Art! Ob er viel gelitten, sich lange gequält haben
mochte? Ob man sanft mit ihm umgegangen war in jenen Lazarethen,
in denen edle Frauen den mühevollen schweren Beruf so heldenmüthig
erfüllten -- Frauen, in deren Reihen zu stehen Gertruds eifriger Wunsch
[Spaltenumbruch] gewesen, dem sie nur entsagt, weil der Vater auf das entschiedenste
dagegen gewesen. O wie glücklich, wenn sie Ewald hätte das Kissen
glätten, den Labetrunk an die brennenden Lippen führen können, wenn
sie bei ihm gewesen wäre in der letzten schweren Stunde!

So ging der Strom ihres Denkens. Da war es ihr, als höre sie
langsam einen Wagen die Dorfstraße entlang kommen; jetzt wurde
es wieder still, dann vernahm sie schwere, schleppende Schritte auf dem
Hausflur. Eine Flut verworrener Gedanken, einer wie ein leuchtender
Sonnenstrahl aus dem Chaos herauftauchend, stürzte sich über sie.
Sie sprang empor, beide Hände auf ihr Herz pressend, es zu halten
in seinem gewaltigen Schlagen; dann riß sie die Thür auf. Draußen,
auf eine Krücke gelehnt, stand Christian Lorenz.

Sprachlos, athemlos fast reichte ihm Gertrud die Hand und führte
ihn sanft in die Stube zu einem Stuhl; während sie auf einen zweiten
niedersank, hafteten ihre Augen unverwandt auf einem breiten Streifen
schwarzen Flors, der um den Arm des Soldaten geschlungen war.
Sie wußte ja, um wen er trauerte! Christian sprach nicht, und in
diesem Schweigen lag die Bestätigung ihrer Ahnung.

"Er starb am 3. Juli?" sagte Gertrud tonlos.

Ueberrascht schaute der Gefragte auf; dann nickte er, während ihm
die hellen Thränen aus den Augen stürzten.

"Erzählt, Christian! Jch kann es hören; ich betraure ihn schon
seit dem Tage."

"Er starb bei der Erstürmung der Anhöhen von Chlum, nachdem
er wie ein Löwe gekämpft, immer der Ersten einer, immer vorwärts
mit tollkühnem Muth; es war, als suche er förmlich den Tod, der
wiederum ihn nicht haben zu wollen schien. Viele sanken an seiner
Seite nieder; er stand, die Fahne in der Hand haltend, die er einem
der Fallenden entrissen. Plötzlich sah ich auch ihn taumeln und sinken.
Für den Augenblick vergaß ich meine Pflicht; ich hielt an in dem
Vorwärtsstürmen, ich zog ihn aus dem Knäuel der Todten und Ster-
benden heraus, zu sehen, ob noch Hülfe möglich sei; ich schleppte ihn
seitwärts, ihn gegen einen Zaun lehnend. Aber kein Funke Leben war
mehr zu spüren, der Schuß mußte mitten durchs Herz gegangen, der
Tod gleich erfolgt sein. Ein grimmer Schmerz wühlte in mir, eine
rasende Wuth, wie ich sie noch gar nicht gekannt. So stürzte ich mich
wieder in die Reihen. Am Abend, als der Kanonendonner schwieg,
als Alles zu unseren Gunsten entschieden war, eilte ich zurück zu der
Stelle, an der ich meinen todten Kameraden gelassen. Still, bleich
und schön, mit einem Ausdruck der Freude, einer lächelnden Ruhe, wie
ich ihn seit Jahren auf seinem Antlitz nicht gesehen, lag mein Ewald
dort. Einer der Aerzte, die ihr schweres, segenvolles Tagewerk schon
auf dem Schlachtfelde begonnen hatten, kam auf meine Bitte einen
Moment herbei, doch es gab für ihn hier nichts zu thun, er be-
stätigte, daß der Tod augenblicklich eingetreten war; gelitten hatte
Ewald nicht."

"Gott sei gelobt!" hauchten Gertruds blasse Lippen.

"Einer der Kameraden half mir eine Gruft graben, ihn darin zu
betten. Die Abendsonne, welche nach dem trüben, regnerischen Tage
noch spät die grauen Wolken durchbrach, warf ihre flüssigen Gold-
streifen ringsumher wie einen Glorienschein; die Rosen in dem nahen
Garten, an dessen Zaun ich meinen Freund gelehnt, strahlten in einer
wunderbaren Pracht unter ihrem Hauch und blickten so still und süß
duftend in die Welt hinein, als sei Alles Glück und Freude umher,
und nicht Tod und Graus. Jch sprang in den Garten, riß eine
Fülle davon von Bäumen und Sträuchern -- ich wußte ja, wie er
die Rosen stets geliebt -- und machte ihm damit ein weiches, duftiges
Bett in der kühlen Erde. Gerade als wir ihn hineingesenkt, trat ein
Offizier unserer Kompagnie hinzu mit der Frage, wem wir dort be-
statteten. "Den Ewald Lembrecht". -- "Den schönen großen Menschen,
der so tapfer gekämpft? Jch habe seine hohe, stattliche Gestalt mehr
als einmal Allen vorauf gesehen. Schade um ihn! Dem müssen wir
ein ehrliches Soldatenbegräbniß bereiten! Kommt herbei, Burschen,
gebt Eurem braven Kameraden eine Salve mit ins Grab!" Und
als wollte sich Alles vereinen, damit unserem Ewald nichts fehle auf
der letzten Reise, so kam einer der Geistlichen gerade des Weges, trat
herzu und sprach ein kurzes Gebet über dem noch offenen Grab. So
haben wir ihn ehrenvoll bestattet, wie er es verdient; denn er war
der Bravsten Einer, nicht nur ein muthiger Streiter, mehr als das,
ein guter Mensch. Unter einer hohen, prachtvollen Ulme ruht er, in
deren grünem Wipfel leise, ganz leise ein Vögelchen sang, nachdem
wir unser Werk gethan; dazu flammten die Wachtfeuer vom Schlacht-
feld herüber, und die Nacht stieg leise hernieder."

( Schluß folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] einstellen, denn man hat uns nicht abgewiesen, sondern gern an-
genommen.“

„Es kitzelt Dich wohl gewaltig, einige Loth Blei im Leibe zu
haben?“ sagte der alte Kilian mit grimmigem Zorn.

„Zuweilen däucht es mir schön, Vater, wenn mein armes Herz
endlich zur Ruhe käme, die ihm hier auf Erden doch nicht beschieden
scheint“, erwiderte Ewald leise.

Mit einem Laut zwischen Fluchen und Stöhnen stürzte der alte
Ulmenhofer aus der Stube.

Wieder war ein Abschied überwunden, ein Abschied, bei dem Ewald
und Gertrud ahnungsvoll fühlten, wenn es auch Keiner dem Andern
eingestand, er sei fürs Leben, nach ihm gebe es kein Wiedersehen mehr.

Sie hatten nicht viel von einander gehabt, an dem einen Tage,
den Ewald in der Heimath zubrachte; aber wann er bei Gertrud ge-
wesen, hatten sie zusammen gesessen, Hand in Hand, selbst in Gegen-
wart der Anderen. Und das war ihr Trost in dem neuen Weh
des Scheidens; daran hatten sie sich aufrecht erhalten, das strahlte
als Stern durch all' das Dunkel hindurch, daß sie fühlten, mit hei-
liger Ueberzeugung wußten, sie waren einander noch, was sie sich stets
gewesen; keine Ferne und Tennung hatte vermocht, ihre Liebe zu
mindern; diese war als lauteres Gold aus dem Feuer der Schmerzen
hervorgegangen und leuchtete, wie ein echter Demant am hellsten im
Dunkel, hier in dem Schatten der Trübsal.



Eine bange und schwere Zeit folgte dem Ausbruch des Krieges.
All' das Hoffen und Zagen! Und wie sich in den Jubelruf über die
ersten Siege immer die Angst derjenigen mischt, welche nicht wissen, ob
Vater, Sohn, Bruder oder Geliebter nicht auch mit seinem Blut
die Schlacht gewinnen half!

Es war nach dem 3. Juli, jenem denkwürdigen Tage der preußischen
Geschichte, da einer der großartigsten und glorreichsten Siege mit
dem Leben von Tausenden von Tapferen bezahlt wurde.

Von einer zehrenden, inneren Angst getrieben, ging Gertrud um-
her, nirgend, bei keiner Arbeit Ruhe findend. Der Vater schaute ihr
besorgt und kummervoll zu; es lag eine solche Seelenqual auf ihrem
Gesicht, wie er sie früher nie gesehen.

„Gertrud, was ist Dir? Was ist anders als sonst? Warum
zagest und fürchtest Du heut mehr?“

„Vater, glaube mir, heut ist Ewald gestorben; ich habe ein so
banges Gefühl in mir, als sei die ganze Welt mir mit einem
Male fremd geworden und Alles so leer, so öde um mich her.“

Still hörte sie auf des Vaters tröstende Ermahnungen, still und
klagelos ging sie dahin; aber sie vermochte nicht, in den allgemeinen
Jubelsturm einzustimmen, der ausbrach bei der Kunde des glücklichen
Sieges, des nun gewiß bald beendeten Krieges.

O, wie die Tage so langsam für Gertrud dahinschlichen, so grau
und hoffnungsleer! Wie kein Beten, kein Arbeiten die nagende Angst
und Unruhe zu beschwichtigen vermochte! Hier und dort kam ein Brief
im Dorfe an; Mancher der Mitziehenden war dem mörderischen Feuer
entronnen, Andere lagen verwundet, Andere todt — doch von Ewald
und Christian keine nähere Kunde. Vor der Schlacht von König-
grätz hatte sie noch einer der Landsleute, der bei einem andern Trup-
pentheil stand, gesund gesehen, später wußte man nichts mehr von
ihnen. Auch in den ersten Verlustlisten, die sehr langsam erschienen,
fanden sich ihre Namen nicht; daraus schöpften die Anderen Hoffnung,
Gertrud nicht. Das schreckliche Gefühl der Herzensleere in ihr, des
Fremdseins in der Welt sprach eine ihr nur zu verständliche Sprache.

Jm Anfang August war es, als Gertrud sich eines Nachmittags
ganz allein im Rosenbusch befand. Der alte Gottfried hatte sie heim-
geschickt vom Felde, auf dem sie bei der Ernte hülfreich gewesen, denn
es fehlten diesmal viele der kräftigen Arme, das schwere Werk zu
vollenden, und Mancher griff mit an, der sonst schon gefeiert. Das
Mädchen hatte in ihrer stillen Weise rüstig mitgearbeitet, aber in
der glühenden Mittagshitze schien es ihr doch zu viel zu werden; sie
sah matt und blaß aus, denn der Gram hatte ihre Kräfte zu sehr
erschöpft. Der Vater hatte sie gebeten, nach Hause zu gehen, sich im
kühleren Zimmer zu erholen, später könne sie wiederkommen.

So saß sie da, die Hände müßig im Schooß, wie jetzt oft,
wenn keine drängende Arbeit an sie herantrat, immer denkend den
einen schweren Gedanken, und die Welt so öde und leer um sich, und
noch viel einsamer als damals, da doch auch schon Länder und Meere
zwischen ihr und Ewald lagen. Draußen blühten die Rosen in seltener
Pracht und Fülle. Ob er wohl noch die Rosen blühen sah, oder ob
es wirklich wahr, was bei Gertrud fest stand, daß er schon in fremder
Erde den Schlaf des Todes schlief? Gewißheit — nur endlich Gewiß-
heit auf irgend eine Art! Ob er viel gelitten, sich lange gequält haben
mochte? Ob man sanft mit ihm umgegangen war in jenen Lazarethen,
in denen edle Frauen den mühevollen schweren Beruf so heldenmüthig
erfüllten — Frauen, in deren Reihen zu stehen Gertruds eifriger Wunsch
[Spaltenumbruch] gewesen, dem sie nur entsagt, weil der Vater auf das entschiedenste
dagegen gewesen. O wie glücklich, wenn sie Ewald hätte das Kissen
glätten, den Labetrunk an die brennenden Lippen führen können, wenn
sie bei ihm gewesen wäre in der letzten schweren Stunde!

So ging der Strom ihres Denkens. Da war es ihr, als höre sie
langsam einen Wagen die Dorfstraße entlang kommen; jetzt wurde
es wieder still, dann vernahm sie schwere, schleppende Schritte auf dem
Hausflur. Eine Flut verworrener Gedanken, einer wie ein leuchtender
Sonnenstrahl aus dem Chaos herauftauchend, stürzte sich über sie.
Sie sprang empor, beide Hände auf ihr Herz pressend, es zu halten
in seinem gewaltigen Schlagen; dann riß sie die Thür auf. Draußen,
auf eine Krücke gelehnt, stand Christian Lorenz.

Sprachlos, athemlos fast reichte ihm Gertrud die Hand und führte
ihn sanft in die Stube zu einem Stuhl; während sie auf einen zweiten
niedersank, hafteten ihre Augen unverwandt auf einem breiten Streifen
schwarzen Flors, der um den Arm des Soldaten geschlungen war.
Sie wußte ja, um wen er trauerte! Christian sprach nicht, und in
diesem Schweigen lag die Bestätigung ihrer Ahnung.

„Er starb am 3. Juli?“ sagte Gertrud tonlos.

Ueberrascht schaute der Gefragte auf; dann nickte er, während ihm
die hellen Thränen aus den Augen stürzten.

„Erzählt, Christian! Jch kann es hören; ich betraure ihn schon
seit dem Tage.“

„Er starb bei der Erstürmung der Anhöhen von Chlum, nachdem
er wie ein Löwe gekämpft, immer der Ersten einer, immer vorwärts
mit tollkühnem Muth; es war, als suche er förmlich den Tod, der
wiederum ihn nicht haben zu wollen schien. Viele sanken an seiner
Seite nieder; er stand, die Fahne in der Hand haltend, die er einem
der Fallenden entrissen. Plötzlich sah ich auch ihn taumeln und sinken.
Für den Augenblick vergaß ich meine Pflicht; ich hielt an in dem
Vorwärtsstürmen, ich zog ihn aus dem Knäuel der Todten und Ster-
benden heraus, zu sehen, ob noch Hülfe möglich sei; ich schleppte ihn
seitwärts, ihn gegen einen Zaun lehnend. Aber kein Funke Leben war
mehr zu spüren, der Schuß mußte mitten durchs Herz gegangen, der
Tod gleich erfolgt sein. Ein grimmer Schmerz wühlte in mir, eine
rasende Wuth, wie ich sie noch gar nicht gekannt. So stürzte ich mich
wieder in die Reihen. Am Abend, als der Kanonendonner schwieg,
als Alles zu unseren Gunsten entschieden war, eilte ich zurück zu der
Stelle, an der ich meinen todten Kameraden gelassen. Still, bleich
und schön, mit einem Ausdruck der Freude, einer lächelnden Ruhe, wie
ich ihn seit Jahren auf seinem Antlitz nicht gesehen, lag mein Ewald
dort. Einer der Aerzte, die ihr schweres, segenvolles Tagewerk schon
auf dem Schlachtfelde begonnen hatten, kam auf meine Bitte einen
Moment herbei, doch es gab für ihn hier nichts zu thun, er be-
stätigte, daß der Tod augenblicklich eingetreten war; gelitten hatte
Ewald nicht.“

„Gott sei gelobt!“ hauchten Gertruds blasse Lippen.

„Einer der Kameraden half mir eine Gruft graben, ihn darin zu
betten. Die Abendsonne, welche nach dem trüben, regnerischen Tage
noch spät die grauen Wolken durchbrach, warf ihre flüssigen Gold-
streifen ringsumher wie einen Glorienschein; die Rosen in dem nahen
Garten, an dessen Zaun ich meinen Freund gelehnt, strahlten in einer
wunderbaren Pracht unter ihrem Hauch und blickten so still und süß
duftend in die Welt hinein, als sei Alles Glück und Freude umher,
und nicht Tod und Graus. Jch sprang in den Garten, riß eine
Fülle davon von Bäumen und Sträuchern — ich wußte ja, wie er
die Rosen stets geliebt — und machte ihm damit ein weiches, duftiges
Bett in der kühlen Erde. Gerade als wir ihn hineingesenkt, trat ein
Offizier unserer Kompagnie hinzu mit der Frage, wem wir dort be-
statteten. „Den Ewald Lembrecht“. — „Den schönen großen Menschen,
der so tapfer gekämpft? Jch habe seine hohe, stattliche Gestalt mehr
als einmal Allen vorauf gesehen. Schade um ihn! Dem müssen wir
ein ehrliches Soldatenbegräbniß bereiten! Kommt herbei, Burschen,
gebt Eurem braven Kameraden eine Salve mit ins Grab!“ Und
als wollte sich Alles vereinen, damit unserem Ewald nichts fehle auf
der letzten Reise, so kam einer der Geistlichen gerade des Weges, trat
herzu und sprach ein kurzes Gebet über dem noch offenen Grab. So
haben wir ihn ehrenvoll bestattet, wie er es verdient; denn er war
der Bravsten Einer, nicht nur ein muthiger Streiter, mehr als das,
ein guter Mensch. Unter einer hohen, prachtvollen Ulme ruht er, in
deren grünem Wipfel leise, ganz leise ein Vögelchen sang, nachdem
wir unser Werk gethan; dazu flammten die Wachtfeuer vom Schlacht-
feld herüber, und die Nacht stieg leise hernieder.“

( Schluß folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[139/0003] 139 einstellen, denn man hat uns nicht abgewiesen, sondern gern an- genommen.“ „Es kitzelt Dich wohl gewaltig, einige Loth Blei im Leibe zu haben?“ sagte der alte Kilian mit grimmigem Zorn. „Zuweilen däucht es mir schön, Vater, wenn mein armes Herz endlich zur Ruhe käme, die ihm hier auf Erden doch nicht beschieden scheint“, erwiderte Ewald leise. Mit einem Laut zwischen Fluchen und Stöhnen stürzte der alte Ulmenhofer aus der Stube. Wieder war ein Abschied überwunden, ein Abschied, bei dem Ewald und Gertrud ahnungsvoll fühlten, wenn es auch Keiner dem Andern eingestand, er sei fürs Leben, nach ihm gebe es kein Wiedersehen mehr. Sie hatten nicht viel von einander gehabt, an dem einen Tage, den Ewald in der Heimath zubrachte; aber wann er bei Gertrud ge- wesen, hatten sie zusammen gesessen, Hand in Hand, selbst in Gegen- wart der Anderen. Und das war ihr Trost in dem neuen Weh des Scheidens; daran hatten sie sich aufrecht erhalten, das strahlte als Stern durch all' das Dunkel hindurch, daß sie fühlten, mit hei- liger Ueberzeugung wußten, sie waren einander noch, was sie sich stets gewesen; keine Ferne und Tennung hatte vermocht, ihre Liebe zu mindern; diese war als lauteres Gold aus dem Feuer der Schmerzen hervorgegangen und leuchtete, wie ein echter Demant am hellsten im Dunkel, hier in dem Schatten der Trübsal. Eine bange und schwere Zeit folgte dem Ausbruch des Krieges. All' das Hoffen und Zagen! Und wie sich in den Jubelruf über die ersten Siege immer die Angst derjenigen mischt, welche nicht wissen, ob Vater, Sohn, Bruder oder Geliebter nicht auch mit seinem Blut die Schlacht gewinnen half! Es war nach dem 3. Juli, jenem denkwürdigen Tage der preußischen Geschichte, da einer der großartigsten und glorreichsten Siege mit dem Leben von Tausenden von Tapferen bezahlt wurde. Von einer zehrenden, inneren Angst getrieben, ging Gertrud um- her, nirgend, bei keiner Arbeit Ruhe findend. Der Vater schaute ihr besorgt und kummervoll zu; es lag eine solche Seelenqual auf ihrem Gesicht, wie er sie früher nie gesehen. „Gertrud, was ist Dir? Was ist anders als sonst? Warum zagest und fürchtest Du heut mehr?“ „Vater, glaube mir, heut ist Ewald gestorben; ich habe ein so banges Gefühl in mir, als sei die ganze Welt mir mit einem Male fremd geworden und Alles so leer, so öde um mich her.“ Still hörte sie auf des Vaters tröstende Ermahnungen, still und klagelos ging sie dahin; aber sie vermochte nicht, in den allgemeinen Jubelsturm einzustimmen, der ausbrach bei der Kunde des glücklichen Sieges, des nun gewiß bald beendeten Krieges. O, wie die Tage so langsam für Gertrud dahinschlichen, so grau und hoffnungsleer! Wie kein Beten, kein Arbeiten die nagende Angst und Unruhe zu beschwichtigen vermochte! Hier und dort kam ein Brief im Dorfe an; Mancher der Mitziehenden war dem mörderischen Feuer entronnen, Andere lagen verwundet, Andere todt — doch von Ewald und Christian keine nähere Kunde. Vor der Schlacht von König- grätz hatte sie noch einer der Landsleute, der bei einem andern Trup- pentheil stand, gesund gesehen, später wußte man nichts mehr von ihnen. Auch in den ersten Verlustlisten, die sehr langsam erschienen, fanden sich ihre Namen nicht; daraus schöpften die Anderen Hoffnung, Gertrud nicht. Das schreckliche Gefühl der Herzensleere in ihr, des Fremdseins in der Welt sprach eine ihr nur zu verständliche Sprache. Jm Anfang August war es, als Gertrud sich eines Nachmittags ganz allein im Rosenbusch befand. Der alte Gottfried hatte sie heim- geschickt vom Felde, auf dem sie bei der Ernte hülfreich gewesen, denn es fehlten diesmal viele der kräftigen Arme, das schwere Werk zu vollenden, und Mancher griff mit an, der sonst schon gefeiert. Das Mädchen hatte in ihrer stillen Weise rüstig mitgearbeitet, aber in der glühenden Mittagshitze schien es ihr doch zu viel zu werden; sie sah matt und blaß aus, denn der Gram hatte ihre Kräfte zu sehr erschöpft. Der Vater hatte sie gebeten, nach Hause zu gehen, sich im kühleren Zimmer zu erholen, später könne sie wiederkommen. So saß sie da, die Hände müßig im Schooß, wie jetzt oft, wenn keine drängende Arbeit an sie herantrat, immer denkend den einen schweren Gedanken, und die Welt so öde und leer um sich, und noch viel einsamer als damals, da doch auch schon Länder und Meere zwischen ihr und Ewald lagen. Draußen blühten die Rosen in seltener Pracht und Fülle. Ob er wohl noch die Rosen blühen sah, oder ob es wirklich wahr, was bei Gertrud fest stand, daß er schon in fremder Erde den Schlaf des Todes schlief? Gewißheit — nur endlich Gewiß- heit auf irgend eine Art! Ob er viel gelitten, sich lange gequält haben mochte? Ob man sanft mit ihm umgegangen war in jenen Lazarethen, in denen edle Frauen den mühevollen schweren Beruf so heldenmüthig erfüllten — Frauen, in deren Reihen zu stehen Gertruds eifriger Wunsch gewesen, dem sie nur entsagt, weil der Vater auf das entschiedenste dagegen gewesen. O wie glücklich, wenn sie Ewald hätte das Kissen glätten, den Labetrunk an die brennenden Lippen führen können, wenn sie bei ihm gewesen wäre in der letzten schweren Stunde! So ging der Strom ihres Denkens. Da war es ihr, als höre sie langsam einen Wagen die Dorfstraße entlang kommen; jetzt wurde es wieder still, dann vernahm sie schwere, schleppende Schritte auf dem Hausflur. Eine Flut verworrener Gedanken, einer wie ein leuchtender Sonnenstrahl aus dem Chaos herauftauchend, stürzte sich über sie. Sie sprang empor, beide Hände auf ihr Herz pressend, es zu halten in seinem gewaltigen Schlagen; dann riß sie die Thür auf. Draußen, auf eine Krücke gelehnt, stand Christian Lorenz. Sprachlos, athemlos fast reichte ihm Gertrud die Hand und führte ihn sanft in die Stube zu einem Stuhl; während sie auf einen zweiten niedersank, hafteten ihre Augen unverwandt auf einem breiten Streifen schwarzen Flors, der um den Arm des Soldaten geschlungen war. Sie wußte ja, um wen er trauerte! Christian sprach nicht, und in diesem Schweigen lag die Bestätigung ihrer Ahnung. „Er starb am 3. Juli?“ sagte Gertrud tonlos. Ueberrascht schaute der Gefragte auf; dann nickte er, während ihm die hellen Thränen aus den Augen stürzten. „Erzählt, Christian! Jch kann es hören; ich betraure ihn schon seit dem Tage.“ „Er starb bei der Erstürmung der Anhöhen von Chlum, nachdem er wie ein Löwe gekämpft, immer der Ersten einer, immer vorwärts mit tollkühnem Muth; es war, als suche er förmlich den Tod, der wiederum ihn nicht haben zu wollen schien. Viele sanken an seiner Seite nieder; er stand, die Fahne in der Hand haltend, die er einem der Fallenden entrissen. Plötzlich sah ich auch ihn taumeln und sinken. Für den Augenblick vergaß ich meine Pflicht; ich hielt an in dem Vorwärtsstürmen, ich zog ihn aus dem Knäuel der Todten und Ster- benden heraus, zu sehen, ob noch Hülfe möglich sei; ich schleppte ihn seitwärts, ihn gegen einen Zaun lehnend. Aber kein Funke Leben war mehr zu spüren, der Schuß mußte mitten durchs Herz gegangen, der Tod gleich erfolgt sein. Ein grimmer Schmerz wühlte in mir, eine rasende Wuth, wie ich sie noch gar nicht gekannt. So stürzte ich mich wieder in die Reihen. Am Abend, als der Kanonendonner schwieg, als Alles zu unseren Gunsten entschieden war, eilte ich zurück zu der Stelle, an der ich meinen todten Kameraden gelassen. Still, bleich und schön, mit einem Ausdruck der Freude, einer lächelnden Ruhe, wie ich ihn seit Jahren auf seinem Antlitz nicht gesehen, lag mein Ewald dort. Einer der Aerzte, die ihr schweres, segenvolles Tagewerk schon auf dem Schlachtfelde begonnen hatten, kam auf meine Bitte einen Moment herbei, doch es gab für ihn hier nichts zu thun, er be- stätigte, daß der Tod augenblicklich eingetreten war; gelitten hatte Ewald nicht.“ „Gott sei gelobt!“ hauchten Gertruds blasse Lippen. „Einer der Kameraden half mir eine Gruft graben, ihn darin zu betten. Die Abendsonne, welche nach dem trüben, regnerischen Tage noch spät die grauen Wolken durchbrach, warf ihre flüssigen Gold- streifen ringsumher wie einen Glorienschein; die Rosen in dem nahen Garten, an dessen Zaun ich meinen Freund gelehnt, strahlten in einer wunderbaren Pracht unter ihrem Hauch und blickten so still und süß duftend in die Welt hinein, als sei Alles Glück und Freude umher, und nicht Tod und Graus. Jch sprang in den Garten, riß eine Fülle davon von Bäumen und Sträuchern — ich wußte ja, wie er die Rosen stets geliebt — und machte ihm damit ein weiches, duftiges Bett in der kühlen Erde. Gerade als wir ihn hineingesenkt, trat ein Offizier unserer Kompagnie hinzu mit der Frage, wem wir dort be- statteten. „Den Ewald Lembrecht“. — „Den schönen großen Menschen, der so tapfer gekämpft? Jch habe seine hohe, stattliche Gestalt mehr als einmal Allen vorauf gesehen. Schade um ihn! Dem müssen wir ein ehrliches Soldatenbegräbniß bereiten! Kommt herbei, Burschen, gebt Eurem braven Kameraden eine Salve mit ins Grab!“ Und als wollte sich Alles vereinen, damit unserem Ewald nichts fehle auf der letzten Reise, so kam einer der Geistlichen gerade des Weges, trat herzu und sprach ein kurzes Gebet über dem noch offenen Grab. So haben wir ihn ehrenvoll bestattet, wie er es verdient; denn er war der Bravsten Einer, nicht nur ein muthiger Streiter, mehr als das, ein guter Mensch. Unter einer hohen, prachtvollen Ulme ruht er, in deren grünem Wipfel leise, ganz leise ein Vögelchen sang, nachdem wir unser Werk gethan; dazu flammten die Wachtfeuer vom Schlacht- feld herüber, und die Nacht stieg leise hernieder.“ ( Schluß folgt. )

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 18. Berlin, 3. Mai 1868, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt18_1868/3>, abgerufen am 04.06.2024.