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Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz] kunde studirt, und setzte sein eifriges Lesen in den Schriftstellern des
Alterthums fort. Sein sehnlichster Wunsch war, Jtalien zu sehen,
und dieses trieb ihn sogar, 1740 plötzlich von Halle aufzubrechen und
eine Fußreise nach Paris zu unternehmen; unterwegs aber -- er war
schon bis zum Rhein gelangt -- vernahm er, ein französisches Heer sei
auf dem Marsche nach Deutschland und stecke nach damaliger Weise
unter die Soldaten, was man von jungen Leuten erhaschen könne;
er zog also vor, wieder nach Halle heimzukehren. Ein Paar Jahre
lang schulmeisterte er als Erzieher in verschiedenen Häusern der Alt-
mark, lernte nebenher Französisch und Jtalienisch, versuchte ein
Paar Monate lang in Jena Mathematik und Medizin zu studiren,
mußte es aber aus Geldmangel aufgeben, und fand nach mancherlei
Schicksalswechseln und vergeblichen Versuchen im Herbst 1743 ein
festes Amt als Conrector an der Schule zu Seehausen in der
Altmark.

Es war eine Rektoratschule in der alten Art, an welcher unser
Freund nun lehren mußte, den Kopf voll der gründlichsten Studien
des Alterthums und seiner Kunst. Kein Wunder, daß er in späteren
Jahren jener "Knechtschaft zu Seehausen" mit Mißvergnügen gedenkt.
Den Tag über hielt er Schule, am Abend bis zehn Uhr Privat-
Unterricht; einen ganzen Winter lang kam er gar nicht zu Bett, son-
dern arbeitete von zehn bis Mitternacht, schlief dann, in seinem Sessel
sitzend, arbeitete von vier bis sechs Uhr in der Frühe aufs Neue, und
dann fing das Stundengeben wieder an, so daß wir uns nur wundern
müssen, daß seine Natur nicht so furchtbaren Anstrengungen erlag.
Seine armen Schüler konnten keine griechischen Bücher kaufen; er
schrieb ihnen die zu lesenden Stücke eigenhändig vielmal ab. Einen
Winter lang lernte er für sich allein Englisch; in den Osterferien
ging er zu Fuß nach Halle zu einem Sprachmeister, um die Aus-
sprache zu erlernen, und wanderte nach acht Tagen wieder heim. Ein
Mensch, der sich durch solche Beschwerde hindurch arbeitet, in solch
trüber Einsamkeit eines Landstädtchens nicht zum bequemen Alltags-
schulmeister und Wirthshaussitzer verbummelt, der muß einen riesigen
Fleiß, einen großartigen Willen haben.

Und doch war dieses Mißverhältniß zwischen seiner Begabung und
seinem Amt nicht die einzige Schattenseite der Knechtschaft von See-
hausen; er hatte auch allsonntäglich die Obliegenheit, die Predigten
seines Schulinspektors anzuhören; daß er selbst nicht predigte, war
schon tadelnswerth, daß er aber seinen Taschenhomer mitnahm und
daraus der Andacht pflegte, noch mehr, und das Verhältniß zwischen
dem Conrector und seinem geistlichen Vorgesetzten ward täglich un-
erträglicher, so daß Winckelmann um jeden Preis Seehausen zu ver-
lassen beschloß. Ein reicher Graf von Bünau besaß auf seinem
Schlosse Nöthenitz bei Dresden eine vortreffliche Bibliothek; Winckel-
mann bot ihm seine Dienste an, und da er allen Anforderungen
entsprach und mit einem Jahrgeld von fünfzig bis achtzig Thalern
[Spaltenumbruch] nebst freier Kost und Wohnung, also mit einem leidlichen Bedienten-
gehalt sich zufrieden erklärte, so nahm ihn der Graf im Sommer
1748 in seine Dienste. Winckelmann übergab seine mit so großen
Entbehrungen zusammengesparten Bücher einem Freunde, um mit dem
Erlöse die dürftigen Aeltern zu unterstützen; er selbst machte sich,
froh der köstlichen Aussicht, nach Herzenslust in Büchern wühlen zu
können, auf nach Nöthenitz.

So war denn der dreißigjährige Winkelmann ein schlecht besoldeter
Bibliothekschreiber geworden, beschäftigt für den Grafen, welcher eine
deutsche Reichsgeschichte schrieb, massenhafte Auszüge aus alten
Tröstern zu machen und Büchertitel zu verzeichnen; dafür konnte er
seiner alten Liebhaberei folgen und in Freistunden studiren; außerdem
bot ihm die Nähe von Dresden Gelegenheit, dort die herrlichen
Sammlungen von Gemälden und Bildwerken mit wahrer Wonne zu
genießen. Leidenschaftlich, wie er war, regte er sich dergestalt auf,
strengte sich so mit Arbeiten an, daß er bedenklich erkrankte; ver-
zehrende Nachtschweiße stellten sich ein, die Eßlust und Heiterkeit
schwand; der Mann glich einem Schatten. Archinto, der päpstliche
Botschafter am Dresdener Hofe, sah bei einem Besuche der Bibliothek
den abgehärmten Menschen, welcher doch zugleich durch Geist und
Kenntniß auffällig erschien; er rieth, Winckelmann solle durch einen
Besuch in Jtalien seine Gesundheit herstellen, versprach ihm Reise-
geld, Unterstützung, eine Stelle in Rom -- freilich, Winckelmann
sollte dafür den Glauben wechseln und zur römischen Kirche über-
treten. Jahre lang marterte sich Winkelmann in der bittersten Ge-
wissenspein. Jtalien, das Wunderland seiner Träume, Rom und
Neapel sollte er sehen, gesund werden nach einem Leben der Ent-
behrung und Verkennung, selbstständig und frei sich seiner Leiden-
schaft, der Erforschung alter und neuer Kunst, hingeben -- aber auch
katholisch werden, den guten Grafen Bünau und alle Freunde, welchen
er mit wahrer Leidenschaft zugethan war, schmerzlich kränken, katholisch
werden ohne Ueberzeugung, nur um der Knechtschaft seines Be-
rufes, der Trübsal seines nordischen Vaterlandes zu entrinnen, er
selbst eine ehrliche, treue Natur, jeder Unwahrheit feind! Die Seelen-
qual erneuerte und verstärkte sein Leiden; der Botschafter Archinto,
der kurfürstliche Beichtvater Pater Rauch und etliche Hofjesuiten ver-
doppelten ihre Anstrengungen, versprachen goldene Berge in Rom,
um einen Protestanten, einen ehemaligen Theologen und dabei grund-
gelehrten Mann, zu bekehren; endlich, nach drei Jahren des Kampfes,
legte Winckelmann im Juni 1754 widerstrebend und in aller Heim-
lichkeit das katholische Glaubensbekenntniß ab. Jn tiefer Betrübniß
meldet er dem zu Eisenach wohnenden Grafen Bünau [unleserliches Material - 6 Zeichen fehlen]seinen Schritt
mit der seltsamen Entschuldigung: "Wo ist der Mensch, der immer
weise handelt? Die Götter, spricht Homer, geben den Sterblichen nur
immer auf einen Tag ihr abgemessenes Theil von Vernunft."

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Der Kamaschenteufel. Als der preußische Oberst Fouqu e 1742
mit seinem Grenadier=Bataillon zu Kremsier in Mähren stand, hatte er
unter andern auch eine Schildwache auf der Mauer unweit der Wohnung
eines Geistlichen aufgestellt. Dieser, beunruhigt durch das öftere "Wer
da!" der Schildwache, gerieth auf den Einfall, den Soldaten von diesem
Posten in der Gestalt des Teufels zu verscheuchen.

Jn einer solchen Verkleidung, mit Hörnern, Klauen und Schwanz ver-
sehen, erschien er des Nachts der Schildwache. Zum Unglück aber wünschte
der furchtlose Grenadier gerade die nähere Bekanntschaft des Teufels zu
machen; er hielt sich also zurück, bis das Gespenst vor ihm stand und
seine mitgebrachte Mistgabel drohend schwang. Der Erfolg war, daß der
falsche Satan mit Hülfe einiger in der Nähe befindlichen Kameraden des
Grenadiers ergriffen, auf den nächsten Wachtposten gebracht und am
andern Morgen in seiner ominösen Kleidung durch die ganze Stadt nach
der Hauptwache geführt wurde.

Die Geistlichkeit, wohl einsehend, daß der Priester nicht nur gegen
seinen Stand, sondern auch gegen die Garnison sich vergangen habe, bat
den Obersten Fouqu e um die Freilassung desselben gegen Zahlung einer
beträchtlichen Geldstrafe.

Fouqu e benutzte die Gelegenheit im Jnteresse seiner Grenadiere, welche
damals noch weiße Kamaschen trugen und in Folge der mancherlei Stra-
pazen einer neuen Fußbekleidung bedurften. Er ließ die erforderlichen
Kosten zur Beschaffung schwarzer Kamaschen für die ganze Garnison
berechnen, die sich auf hundert und einige Dukaten beliefen, welche dem-
nächst auch von der Geistlichkeit gezahlt wurden. Der arme Priester mußte
dafür im Kloster büßen, während die Grenadiere ihre schwarzen Ka-
maschen erhielten, die ihnen später auf ihren Märschen sehr zu Statten kamen.

So verdankten die Soldaten scherzweise die Bekleidung ihrer Füße der
Sorgfalt des Teufels von Kremsier, und Friedrich der Große fand Fouqu e 's
Jdee so praktisch, daß er beschloß, die schwarzen Kamaschen bei der ganzen
Armee einzuführen.



[Spaltenumbruch]

M. Ein gewichtiger Landesvater. Jn dem Schlosse zu Anspach be-
findet sich ein Gemälde, dessen Rückseite folgende Aufschrift enthält: "Der
durchlauchtigste Fürst und Herr, Herr Georg Friedrich, Markgraf zu Bran-
denburg , ist am Osterdienstag, den 20. April 1603, in Gott hochselig
verschieden. Seine Leber hat gewogen 5 Pfund, die Lunge 4 und das
Herz1 1 / 2 Pfund; der Magen ist zwei Spannen lang gewesen und hat
6 Maß gehalten. Der ganze Leib wog 4 Centner und ist 7 Schuh lang
gewesen". Jn der That ein gewichtiger Fürst!



M. Vanderveld, der berühmte niederländische Maler, hatte die reizende
Villa des reichen Lords Clarendon bei Antwerpen gemalt und das Bild
nach England zur öffentlichen Versteigerung gebracht. Der Lord, welcher
hiervon gehört, begab sich an Ort und Stelle und rief in dem Augenblick,
als das Ausgebot beginnen sollte:

"Jch gebe das Original für die Copie!"

Erstaunt und enttäuscht horchten die Anwesenden auf, während der
Künstler seine Entrüstung über die ihm zugemuthete Fälschung kundgab.

"Jch weiß wohl", fuhr der Fremde fort, "daß dies Gemälde von
Vanderveld ist; aber ich biete ihm nochmals das Original für die Copie;
ich bin -- Lord Clarendon."

Ein glänzenderes Honorar ist wohl selten auf eine so liebenswürdige
Weise gezahlt worden.



Briefkasten.

Th. W. in Leipzig: Soll sogleich besorgt werden. -- R. D. in
Dresden: Wird jedenfalls zu Jhrer Zufriedenheit erledigt werden. --
O. W. in Berlin: Für diesen Zweck viel zu spät erhalten. -- F. B.
in Küstrin: Nicht allzu originell. -- P. O. in K.: Besten Dank. Wir
sind auf längere Zeit hinaus versehen.

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] kunde studirt, und setzte sein eifriges Lesen in den Schriftstellern des
Alterthums fort. Sein sehnlichster Wunsch war, Jtalien zu sehen,
und dieses trieb ihn sogar, 1740 plötzlich von Halle aufzubrechen und
eine Fußreise nach Paris zu unternehmen; unterwegs aber — er war
schon bis zum Rhein gelangt — vernahm er, ein französisches Heer sei
auf dem Marsche nach Deutschland und stecke nach damaliger Weise
unter die Soldaten, was man von jungen Leuten erhaschen könne;
er zog also vor, wieder nach Halle heimzukehren. Ein Paar Jahre
lang schulmeisterte er als Erzieher in verschiedenen Häusern der Alt-
mark, lernte nebenher Französisch und Jtalienisch, versuchte ein
Paar Monate lang in Jena Mathematik und Medizin zu studiren,
mußte es aber aus Geldmangel aufgeben, und fand nach mancherlei
Schicksalswechseln und vergeblichen Versuchen im Herbst 1743 ein
festes Amt als Conrector an der Schule zu Seehausen in der
Altmark.

Es war eine Rektoratschule in der alten Art, an welcher unser
Freund nun lehren mußte, den Kopf voll der gründlichsten Studien
des Alterthums und seiner Kunst. Kein Wunder, daß er in späteren
Jahren jener „Knechtschaft zu Seehausen“ mit Mißvergnügen gedenkt.
Den Tag über hielt er Schule, am Abend bis zehn Uhr Privat-
Unterricht; einen ganzen Winter lang kam er gar nicht zu Bett, son-
dern arbeitete von zehn bis Mitternacht, schlief dann, in seinem Sessel
sitzend, arbeitete von vier bis sechs Uhr in der Frühe aufs Neue, und
dann fing das Stundengeben wieder an, so daß wir uns nur wundern
müssen, daß seine Natur nicht so furchtbaren Anstrengungen erlag.
Seine armen Schüler konnten keine griechischen Bücher kaufen; er
schrieb ihnen die zu lesenden Stücke eigenhändig vielmal ab. Einen
Winter lang lernte er für sich allein Englisch; in den Osterferien
ging er zu Fuß nach Halle zu einem Sprachmeister, um die Aus-
sprache zu erlernen, und wanderte nach acht Tagen wieder heim. Ein
Mensch, der sich durch solche Beschwerde hindurch arbeitet, in solch
trüber Einsamkeit eines Landstädtchens nicht zum bequemen Alltags-
schulmeister und Wirthshaussitzer verbummelt, der muß einen riesigen
Fleiß, einen großartigen Willen haben.

Und doch war dieses Mißverhältniß zwischen seiner Begabung und
seinem Amt nicht die einzige Schattenseite der Knechtschaft von See-
hausen; er hatte auch allsonntäglich die Obliegenheit, die Predigten
seines Schulinspektors anzuhören; daß er selbst nicht predigte, war
schon tadelnswerth, daß er aber seinen Taschenhomer mitnahm und
daraus der Andacht pflegte, noch mehr, und das Verhältniß zwischen
dem Conrector und seinem geistlichen Vorgesetzten ward täglich un-
erträglicher, so daß Winckelmann um jeden Preis Seehausen zu ver-
lassen beschloß. Ein reicher Graf von Bünau besaß auf seinem
Schlosse Nöthenitz bei Dresden eine vortreffliche Bibliothek; Winckel-
mann bot ihm seine Dienste an, und da er allen Anforderungen
entsprach und mit einem Jahrgeld von fünfzig bis achtzig Thalern
[Spaltenumbruch] nebst freier Kost und Wohnung, also mit einem leidlichen Bedienten-
gehalt sich zufrieden erklärte, so nahm ihn der Graf im Sommer
1748 in seine Dienste. Winckelmann übergab seine mit so großen
Entbehrungen zusammengesparten Bücher einem Freunde, um mit dem
Erlöse die dürftigen Aeltern zu unterstützen; er selbst machte sich,
froh der köstlichen Aussicht, nach Herzenslust in Büchern wühlen zu
können, auf nach Nöthenitz.

So war denn der dreißigjährige Winkelmann ein schlecht besoldeter
Bibliothekschreiber geworden, beschäftigt für den Grafen, welcher eine
deutsche Reichsgeschichte schrieb, massenhafte Auszüge aus alten
Tröstern zu machen und Büchertitel zu verzeichnen; dafür konnte er
seiner alten Liebhaberei folgen und in Freistunden studiren; außerdem
bot ihm die Nähe von Dresden Gelegenheit, dort die herrlichen
Sammlungen von Gemälden und Bildwerken mit wahrer Wonne zu
genießen. Leidenschaftlich, wie er war, regte er sich dergestalt auf,
strengte sich so mit Arbeiten an, daß er bedenklich erkrankte; ver-
zehrende Nachtschweiße stellten sich ein, die Eßlust und Heiterkeit
schwand; der Mann glich einem Schatten. Archinto, der päpstliche
Botschafter am Dresdener Hofe, sah bei einem Besuche der Bibliothek
den abgehärmten Menschen, welcher doch zugleich durch Geist und
Kenntniß auffällig erschien; er rieth, Winckelmann solle durch einen
Besuch in Jtalien seine Gesundheit herstellen, versprach ihm Reise-
geld, Unterstützung, eine Stelle in Rom — freilich, Winckelmann
sollte dafür den Glauben wechseln und zur römischen Kirche über-
treten. Jahre lang marterte sich Winkelmann in der bittersten Ge-
wissenspein. Jtalien, das Wunderland seiner Träume, Rom und
Neapel sollte er sehen, gesund werden nach einem Leben der Ent-
behrung und Verkennung, selbstständig und frei sich seiner Leiden-
schaft, der Erforschung alter und neuer Kunst, hingeben — aber auch
katholisch werden, den guten Grafen Bünau und alle Freunde, welchen
er mit wahrer Leidenschaft zugethan war, schmerzlich kränken, katholisch
werden ohne Ueberzeugung, nur um der Knechtschaft seines Be-
rufes, der Trübsal seines nordischen Vaterlandes zu entrinnen, er
selbst eine ehrliche, treue Natur, jeder Unwahrheit feind! Die Seelen-
qual erneuerte und verstärkte sein Leiden; der Botschafter Archinto,
der kurfürstliche Beichtvater Pater Rauch und etliche Hofjesuiten ver-
doppelten ihre Anstrengungen, versprachen goldene Berge in Rom,
um einen Protestanten, einen ehemaligen Theologen und dabei grund-
gelehrten Mann, zu bekehren; endlich, nach drei Jahren des Kampfes,
legte Winckelmann im Juni 1754 widerstrebend und in aller Heim-
lichkeit das katholische Glaubensbekenntniß ab. Jn tiefer Betrübniß
meldet er dem zu Eisenach wohnenden Grafen Bünau [unleserliches Material – 6 Zeichen fehlen]seinen Schritt
mit der seltsamen Entschuldigung: „Wo ist der Mensch, der immer
weise handelt? Die Götter, spricht Homer, geben den Sterblichen nur
immer auf einen Tag ihr abgemessenes Theil von Vernunft.“

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Der Kamaschenteufel. Als der preußische Oberst Fouqu é 1742
mit seinem Grenadier=Bataillon zu Kremsier in Mähren stand, hatte er
unter andern auch eine Schildwache auf der Mauer unweit der Wohnung
eines Geistlichen aufgestellt. Dieser, beunruhigt durch das öftere „Wer
da!“ der Schildwache, gerieth auf den Einfall, den Soldaten von diesem
Posten in der Gestalt des Teufels zu verscheuchen.

Jn einer solchen Verkleidung, mit Hörnern, Klauen und Schwanz ver-
sehen, erschien er des Nachts der Schildwache. Zum Unglück aber wünschte
der furchtlose Grenadier gerade die nähere Bekanntschaft des Teufels zu
machen; er hielt sich also zurück, bis das Gespenst vor ihm stand und
seine mitgebrachte Mistgabel drohend schwang. Der Erfolg war, daß der
falsche Satan mit Hülfe einiger in der Nähe befindlichen Kameraden des
Grenadiers ergriffen, auf den nächsten Wachtposten gebracht und am
andern Morgen in seiner ominösen Kleidung durch die ganze Stadt nach
der Hauptwache geführt wurde.

Die Geistlichkeit, wohl einsehend, daß der Priester nicht nur gegen
seinen Stand, sondern auch gegen die Garnison sich vergangen habe, bat
den Obersten Fouqu é um die Freilassung desselben gegen Zahlung einer
beträchtlichen Geldstrafe.

Fouqu é benutzte die Gelegenheit im Jnteresse seiner Grenadiere, welche
damals noch weiße Kamaschen trugen und in Folge der mancherlei Stra-
pazen einer neuen Fußbekleidung bedurften. Er ließ die erforderlichen
Kosten zur Beschaffung schwarzer Kamaschen für die ganze Garnison
berechnen, die sich auf hundert und einige Dukaten beliefen, welche dem-
nächst auch von der Geistlichkeit gezahlt wurden. Der arme Priester mußte
dafür im Kloster büßen, während die Grenadiere ihre schwarzen Ka-
maschen erhielten, die ihnen später auf ihren Märschen sehr zu Statten kamen.

So verdankten die Soldaten scherzweise die Bekleidung ihrer Füße der
Sorgfalt des Teufels von Kremsier, und Friedrich der Große fand Fouqu é 's
Jdee so praktisch, daß er beschloß, die schwarzen Kamaschen bei der ganzen
Armee einzuführen.



[Spaltenumbruch]

M. Ein gewichtiger Landesvater. Jn dem Schlosse zu Anspach be-
findet sich ein Gemälde, dessen Rückseite folgende Aufschrift enthält: „Der
durchlauchtigste Fürst und Herr, Herr Georg Friedrich, Markgraf zu Bran-
denburg , ist am Osterdienstag, den 20. April 1603, in Gott hochselig
verschieden. Seine Leber hat gewogen 5 Pfund, die Lunge 4 und das
Herz1 1 / 2 Pfund; der Magen ist zwei Spannen lang gewesen und hat
6 Maß gehalten. Der ganze Leib wog 4 Centner und ist 7 Schuh lang
gewesen“. Jn der That ein gewichtiger Fürst!



M. Vanderveld, der berühmte niederländische Maler, hatte die reizende
Villa des reichen Lords Clarendon bei Antwerpen gemalt und das Bild
nach England zur öffentlichen Versteigerung gebracht. Der Lord, welcher
hiervon gehört, begab sich an Ort und Stelle und rief in dem Augenblick,
als das Ausgebot beginnen sollte:

„Jch gebe das Original für die Copie!“

Erstaunt und enttäuscht horchten die Anwesenden auf, während der
Künstler seine Entrüstung über die ihm zugemuthete Fälschung kundgab.

„Jch weiß wohl“, fuhr der Fremde fort, „daß dies Gemälde von
Vanderveld ist; aber ich biete ihm nochmals das Original für die Copie;
ich bin — Lord Clarendon.“

Ein glänzenderes Honorar ist wohl selten auf eine so liebenswürdige
Weise gezahlt worden.



Briefkasten.

Th. W. in Leipzig: Soll sogleich besorgt werden. — R. D. in
Dresden: Wird jedenfalls zu Jhrer Zufriedenheit erledigt werden. —
O. W. in Berlin: Für diesen Zweck viel zu spät erhalten. — F. B.
in Küstrin: Nicht allzu originell. — P. O. in K.: Besten Dank. Wir
sind auf längere Zeit hinaus versehen.

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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[56/0008] 56 kunde studirt, und setzte sein eifriges Lesen in den Schriftstellern des Alterthums fort. Sein sehnlichster Wunsch war, Jtalien zu sehen, und dieses trieb ihn sogar, 1740 plötzlich von Halle aufzubrechen und eine Fußreise nach Paris zu unternehmen; unterwegs aber — er war schon bis zum Rhein gelangt — vernahm er, ein französisches Heer sei auf dem Marsche nach Deutschland und stecke nach damaliger Weise unter die Soldaten, was man von jungen Leuten erhaschen könne; er zog also vor, wieder nach Halle heimzukehren. Ein Paar Jahre lang schulmeisterte er als Erzieher in verschiedenen Häusern der Alt- mark, lernte nebenher Französisch und Jtalienisch, versuchte ein Paar Monate lang in Jena Mathematik und Medizin zu studiren, mußte es aber aus Geldmangel aufgeben, und fand nach mancherlei Schicksalswechseln und vergeblichen Versuchen im Herbst 1743 ein festes Amt als Conrector an der Schule zu Seehausen in der Altmark. Es war eine Rektoratschule in der alten Art, an welcher unser Freund nun lehren mußte, den Kopf voll der gründlichsten Studien des Alterthums und seiner Kunst. Kein Wunder, daß er in späteren Jahren jener „Knechtschaft zu Seehausen“ mit Mißvergnügen gedenkt. Den Tag über hielt er Schule, am Abend bis zehn Uhr Privat- Unterricht; einen ganzen Winter lang kam er gar nicht zu Bett, son- dern arbeitete von zehn bis Mitternacht, schlief dann, in seinem Sessel sitzend, arbeitete von vier bis sechs Uhr in der Frühe aufs Neue, und dann fing das Stundengeben wieder an, so daß wir uns nur wundern müssen, daß seine Natur nicht so furchtbaren Anstrengungen erlag. Seine armen Schüler konnten keine griechischen Bücher kaufen; er schrieb ihnen die zu lesenden Stücke eigenhändig vielmal ab. Einen Winter lang lernte er für sich allein Englisch; in den Osterferien ging er zu Fuß nach Halle zu einem Sprachmeister, um die Aus- sprache zu erlernen, und wanderte nach acht Tagen wieder heim. Ein Mensch, der sich durch solche Beschwerde hindurch arbeitet, in solch trüber Einsamkeit eines Landstädtchens nicht zum bequemen Alltags- schulmeister und Wirthshaussitzer verbummelt, der muß einen riesigen Fleiß, einen großartigen Willen haben. Und doch war dieses Mißverhältniß zwischen seiner Begabung und seinem Amt nicht die einzige Schattenseite der Knechtschaft von See- hausen; er hatte auch allsonntäglich die Obliegenheit, die Predigten seines Schulinspektors anzuhören; daß er selbst nicht predigte, war schon tadelnswerth, daß er aber seinen Taschenhomer mitnahm und daraus der Andacht pflegte, noch mehr, und das Verhältniß zwischen dem Conrector und seinem geistlichen Vorgesetzten ward täglich un- erträglicher, so daß Winckelmann um jeden Preis Seehausen zu ver- lassen beschloß. Ein reicher Graf von Bünau besaß auf seinem Schlosse Nöthenitz bei Dresden eine vortreffliche Bibliothek; Winckel- mann bot ihm seine Dienste an, und da er allen Anforderungen entsprach und mit einem Jahrgeld von fünfzig bis achtzig Thalern nebst freier Kost und Wohnung, also mit einem leidlichen Bedienten- gehalt sich zufrieden erklärte, so nahm ihn der Graf im Sommer 1748 in seine Dienste. Winckelmann übergab seine mit so großen Entbehrungen zusammengesparten Bücher einem Freunde, um mit dem Erlöse die dürftigen Aeltern zu unterstützen; er selbst machte sich, froh der köstlichen Aussicht, nach Herzenslust in Büchern wühlen zu können, auf nach Nöthenitz. So war denn der dreißigjährige Winkelmann ein schlecht besoldeter Bibliothekschreiber geworden, beschäftigt für den Grafen, welcher eine deutsche Reichsgeschichte schrieb, massenhafte Auszüge aus alten Tröstern zu machen und Büchertitel zu verzeichnen; dafür konnte er seiner alten Liebhaberei folgen und in Freistunden studiren; außerdem bot ihm die Nähe von Dresden Gelegenheit, dort die herrlichen Sammlungen von Gemälden und Bildwerken mit wahrer Wonne zu genießen. Leidenschaftlich, wie er war, regte er sich dergestalt auf, strengte sich so mit Arbeiten an, daß er bedenklich erkrankte; ver- zehrende Nachtschweiße stellten sich ein, die Eßlust und Heiterkeit schwand; der Mann glich einem Schatten. Archinto, der päpstliche Botschafter am Dresdener Hofe, sah bei einem Besuche der Bibliothek den abgehärmten Menschen, welcher doch zugleich durch Geist und Kenntniß auffällig erschien; er rieth, Winckelmann solle durch einen Besuch in Jtalien seine Gesundheit herstellen, versprach ihm Reise- geld, Unterstützung, eine Stelle in Rom — freilich, Winckelmann sollte dafür den Glauben wechseln und zur römischen Kirche über- treten. Jahre lang marterte sich Winkelmann in der bittersten Ge- wissenspein. Jtalien, das Wunderland seiner Träume, Rom und Neapel sollte er sehen, gesund werden nach einem Leben der Ent- behrung und Verkennung, selbstständig und frei sich seiner Leiden- schaft, der Erforschung alter und neuer Kunst, hingeben — aber auch katholisch werden, den guten Grafen Bünau und alle Freunde, welchen er mit wahrer Leidenschaft zugethan war, schmerzlich kränken, katholisch werden ohne Ueberzeugung, nur um der Knechtschaft seines Be- rufes, der Trübsal seines nordischen Vaterlandes zu entrinnen, er selbst eine ehrliche, treue Natur, jeder Unwahrheit feind! Die Seelen- qual erneuerte und verstärkte sein Leiden; der Botschafter Archinto, der kurfürstliche Beichtvater Pater Rauch und etliche Hofjesuiten ver- doppelten ihre Anstrengungen, versprachen goldene Berge in Rom, um einen Protestanten, einen ehemaligen Theologen und dabei grund- gelehrten Mann, zu bekehren; endlich, nach drei Jahren des Kampfes, legte Winckelmann im Juni 1754 widerstrebend und in aller Heim- lichkeit das katholische Glaubensbekenntniß ab. Jn tiefer Betrübniß meldet er dem zu Eisenach wohnenden Grafen Bünau ______seinen Schritt mit der seltsamen Entschuldigung: „Wo ist der Mensch, der immer weise handelt? Die Götter, spricht Homer, geben den Sterblichen nur immer auf einen Tag ihr abgemessenes Theil von Vernunft.“ ( Schluß folgt. ) Lose Blätter. M. Der Kamaschenteufel. Als der preußische Oberst Fouqu é 1742 mit seinem Grenadier=Bataillon zu Kremsier in Mähren stand, hatte er unter andern auch eine Schildwache auf der Mauer unweit der Wohnung eines Geistlichen aufgestellt. Dieser, beunruhigt durch das öftere „Wer da!“ der Schildwache, gerieth auf den Einfall, den Soldaten von diesem Posten in der Gestalt des Teufels zu verscheuchen. Jn einer solchen Verkleidung, mit Hörnern, Klauen und Schwanz ver- sehen, erschien er des Nachts der Schildwache. Zum Unglück aber wünschte der furchtlose Grenadier gerade die nähere Bekanntschaft des Teufels zu machen; er hielt sich also zurück, bis das Gespenst vor ihm stand und seine mitgebrachte Mistgabel drohend schwang. Der Erfolg war, daß der falsche Satan mit Hülfe einiger in der Nähe befindlichen Kameraden des Grenadiers ergriffen, auf den nächsten Wachtposten gebracht und am andern Morgen in seiner ominösen Kleidung durch die ganze Stadt nach der Hauptwache geführt wurde. Die Geistlichkeit, wohl einsehend, daß der Priester nicht nur gegen seinen Stand, sondern auch gegen die Garnison sich vergangen habe, bat den Obersten Fouqu é um die Freilassung desselben gegen Zahlung einer beträchtlichen Geldstrafe. Fouqu é benutzte die Gelegenheit im Jnteresse seiner Grenadiere, welche damals noch weiße Kamaschen trugen und in Folge der mancherlei Stra- pazen einer neuen Fußbekleidung bedurften. Er ließ die erforderlichen Kosten zur Beschaffung schwarzer Kamaschen für die ganze Garnison berechnen, die sich auf hundert und einige Dukaten beliefen, welche dem- nächst auch von der Geistlichkeit gezahlt wurden. Der arme Priester mußte dafür im Kloster büßen, während die Grenadiere ihre schwarzen Ka- maschen erhielten, die ihnen später auf ihren Märschen sehr zu Statten kamen. So verdankten die Soldaten scherzweise die Bekleidung ihrer Füße der Sorgfalt des Teufels von Kremsier, und Friedrich der Große fand Fouqu é 's Jdee so praktisch, daß er beschloß, die schwarzen Kamaschen bei der ganzen Armee einzuführen. M. Ein gewichtiger Landesvater. Jn dem Schlosse zu Anspach be- findet sich ein Gemälde, dessen Rückseite folgende Aufschrift enthält: „Der durchlauchtigste Fürst und Herr, Herr Georg Friedrich, Markgraf zu Bran- denburg , ist am Osterdienstag, den 20. April 1603, in Gott hochselig verschieden. Seine Leber hat gewogen 5 Pfund, die Lunge 4 und das Herz1 1 / 2 Pfund; der Magen ist zwei Spannen lang gewesen und hat 6 Maß gehalten. Der ganze Leib wog 4 Centner und ist 7 Schuh lang gewesen“. Jn der That ein gewichtiger Fürst! M. Vanderveld, der berühmte niederländische Maler, hatte die reizende Villa des reichen Lords Clarendon bei Antwerpen gemalt und das Bild nach England zur öffentlichen Versteigerung gebracht. Der Lord, welcher hiervon gehört, begab sich an Ort und Stelle und rief in dem Augenblick, als das Ausgebot beginnen sollte: „Jch gebe das Original für die Copie!“ Erstaunt und enttäuscht horchten die Anwesenden auf, während der Künstler seine Entrüstung über die ihm zugemuthete Fälschung kundgab. „Jch weiß wohl“, fuhr der Fremde fort, „daß dies Gemälde von Vanderveld ist; aber ich biete ihm nochmals das Original für die Copie; ich bin — Lord Clarendon.“ Ein glänzenderes Honorar ist wohl selten auf eine so liebenswürdige Weise gezahlt worden. Briefkasten. Th. W. in Leipzig: Soll sogleich besorgt werden. — R. D. in Dresden: Wird jedenfalls zu Jhrer Zufriedenheit erledigt werden. — O. W. in Berlin: Für diesen Zweck viel zu spät erhalten. — F. B. in Küstrin: Nicht allzu originell. — P. O. in K.: Besten Dank. Wir sind auf längere Zeit hinaus versehen. ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt07_1868/8>, abgerufen am 17.07.2024.