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Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868.

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Wissenschaft, Kunst und Literatur. [Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Schluß. )

Von diesem Augenblick hatte Niemand mehr Zutritt zu dem Ster-
benden, den der Prediger von Saint Nicolas=des=champs be-
wachte. Nur dem König, der Königin und Herrn von Colbert
blieb die Thür geöffnet.

Abends kam der König und bat um seinen letzten Rath.

"Sire", entgegnete Mazarin, "verstehen Sie, sich selbst zu achten,
und Sie werden geachtet werden; übertragen Sie niemals einem Mi-
nister [unleserliches Material - 4 Zeichen fehlen]älle Gewalt und bedienen Sie sich Herrn von Colbert's in
allen Fällen, wo Sie eines einsichtsvollen und ergebenen Mannes
bedürfen."

Mazarin sicherte, ehe er starb, die Zukunft seiner beiden Nichten,
die noch unvermählt waren. Die Eine, welche der König ge-
liebt hatte, Maria Mancini, wurde mit Don Lorenzo Colonna,
Connetable von Neapel, und die Andere, Hortensia Mancini, mit
dem Sohne des Marschalls de la Meillerai vermählt, welcher Letz-
tere seinen Namen ablegte, um den eines Herzogs von Mazarin
anzunehmen. Hortensia, die ihr Onkel immer sehr kurz gehalten hatte,
erzählt selbst die freudige Ueberraschung, welche sie empfand, als, nach-
dem ihre Vermählung beschlossen war, ihr Oheim sie aufforderte, in
das Kabinet zu gehen, wo ihre Ausstattung ausgestellt war, darunter
ein Körbchen mit zehntausend Goldstücken, mehr als hunderttausend
Livres an Werth. Sie rief sogleich ihren Bruder und ihre Schwester
und stellte den Schatz zu ihrer Verfügung. Jeder steckte in seine
Taschen, so viel dieselben fassen konnten. Als etwa noch dreihundert
Louis auf dem Boden des Korbes blieben, öffnete sie das Fenster
und warf das Geld mit vollen Händen in den Hof des Hotel Ma-
zarin hinab, um eine Menge Lakaien, die unten lungerten, in Be-
wegung zu bringen.

Der Kardinal erfuhr diese Verschwendung auf seinem Sterbebette
zu Vincennes und ächzte schmerzlich, denn in demselben Augenblick
wurde er von einer Angst befallen, die fast ebenso schlimm war, als
der Tod selbst. Mazarin machte sich nämlich Gewissensvorwürfe, so
reich zu sein.

Der Kardinal Richelieu, ein Mann aus hohem Hause und von
altem Adel, fühlte, daß ihm ein fürstliches Vermögen zukomme;
Mazarin, der Emporkömmling, fand, im Augenblick des Todes selbst
über seinen Reichthum staunend, daß er seiner Familie mehr als
fünfzig Millionen hinterlasse.

Allerdings hatte sein Beichtvater, ein guter Theatiner=Mönch,
erschreckt von der ungeheuren Summe, die Mazarin in seiner Beichte
als eine Sünde bekannt hatte, ihm ganz entschieden geantwortet:

"Sie werden verdammt werden, gnädiger Herr, wenn Sie das
unrechtmäßig erworbene Gut nicht zurückerstatten."

"Ach, mein Vater", hatte Mazarin geantwortet, "Alles, was ich
habe, kommt von der Güte des Königs."

"Das mag immerhin sein", sagte der Theatiner, der sich durch
diese Worte nicht täuschen ließ und nicht mit dem Gewissen unter-
handelte; "aber man muß einen Unterschied machen zwischen dem,
was der König Jhnen gab, und dem, was Sie sich selbst gegeben
haben."

"Ach", rief der Kardinal, "wenn Dem so ist, dann muß ich ja
Alles zurückgeben!"

Nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, befahl er, Herrn
Colbert zu rufen, der, wie er meinte, Mittel finden werde, Alles
auszugleichen.

Colbert kam. Mazarin machte ihn mit seiner Verlegenheit be-
kannt, und Jener zeigte ihm einen Ausweg, sein Gewissen zu beruhi-
gen, ohne seiner Familie seine Reichthümer zu entziehen. Es war der
Vorschlag, mittels Schenkung sein ganzes Vermögen dem Könige zu
überlassen, da voraus zu sehen war, daß Ludwig XIV. in seiner
königlichen Großmuth dasselbe nicht annehmen werde. Dieses Aus-
kunftsmittel gefiel dem Kardinal, und er unterzeichnete die Schenkungs-
urkunde den 3. März.

Nun waren drei Tage vergangen, seitdem dieselbe übergeben war
und der König hatte sich noch nicht über Annahme oder Nicht-
annahme erklärt. Der Kardinal war in Verzweiflung und rief
händeringend:

"Meine arme Familie! Ach! meine arme Familie wird kein Brot
haben!"

Am 6. endlich brachte Colbert die Schenkung vom Könige zurück,
der sie abgelehnt und den Sterbenden ermächtigt hatte, über sein
ganzes Vermögen nach eigenem Gefallen zu verfügen.

[Spaltenumbruch]

"Nun, sehen Sie, mein Vater!" rief der Kardinal, seinem strengen
Beichtvater die abgelehnte Schenkung zeigend. "Bleibt Jhnen noch
ein Grund, mir die Absolution zu verweigern?"

Der gute Theatiner hatte keinen und absolvirte ihn.

Nun zog der Kardinal unter seinem Kopfkissen sein Testament
hervor und stellte es Colbert zu.

Jn diesem Augenblick ward geklopft; da aber der Eintritt verboten
war, wies Bernouin den Besucher ab.

"Wer war es?" fragte Mazarin den zurückkehrenden Kammer-
diener.

"Es war", antwortete Bernouin, "der Präsident der Rechnungs-
kammer, Herr Tubeuf; ich habe ihm gesagt, daß Ew. Eminenz nicht
zu sprechen sei."

"O weh", rief der Sterbende, "was hast Du da gemacht, Ber-
nouin! Er war mir Geld schuldig; vielleicht wollte er es mir bringen.
Rufe ihn zurück, schnell, rufe ihn zurück!"

Mazarin hatte sich nicht geirrt; Herr von Tubeuf kam, um ihm
das Geld zu bringen, welches er in Folge des ausgezeichneten Spiel-
glücks, zu dem Herr von Souvr e dem Kardinal Glück gewünscht,
verloren hatte.

Dieser empfing den honetten Spieler, der sich seiner Verbindlich-
keiten so glücklich entledigte, sehr freundlich, nahm die Summe, die
sich auf einhundert Pistolen belief, und verlangte sein Schmuckkästchen,
welches ihm gebracht wurde. Er legte die Summe in eine besondere
Abtheilung und betrachtete dann der Reihe nach alle seine Juwelen.

"Ach", sagte der Kardinal, sich diesem seinem Lieblingsgeschäft
überlassend, "ach, Herr von Tubeuf, Sie sind ein vortrefflicher
Spieler!"

Tubeuf verneigte sich.

"Bringen Sie Frau von Tubeuf", fuhr Mazarin fort, "bringen
Sie Frau von Tubeuf -- -- --"

Der Präsident glaubte, daß Mazarin, eingedenk des vielen Geldes,
das er ihm abgenommen, irgend einen schönen Diamant hergeben
wolle, und sah ihn lächelnd an, wie, um die Worte aus dem Munde
hervor zu locken.

"Bringen Sie Frau von Tubeuf -- -- meinen Gruß". Damit
verschloß er das Kästchen und gab es Bernouin zurück.

Herr von Tubeuf empfahl sich, beschämt, einen Augenblick geglaubt
zu haben, daß Mazarin Etwas könne verschenken wollen.

Am 7., Abends, kam die Königin, ihn zu besuchen. Colbert, der
sich im Vorzimmer aufhielt, sagte ihr, daß der Patient wahrscheinlich
die Nacht nicht mehr überleben werde. Jndessen irrte er sich. Ma-
zarin brachte nicht allein noch diese Nacht, sondern auch den fol-
genden Tag hin, ohne zu sterben, doch verfiel er Abends in einen
fürchterlichen Todeskampf.

Nach zwei Stunden, als der Kampf schwerer ward, untersuchte
er selbst seinen Puls, wahrscheinlich um sich zu überzeugen, ob er
noch lange zu leiden haben werde.

Um zwei Uhr Morgens bewegte er sich in seinem Bett und sagte:

"Welche Stunde ist es? Jch glaube, es muß zwei Uhr sein."

Eine halbe Stunde später stieß er einen tiefen Seufzer aus
und sagte:

"Ach, heilige Jungfrau, erbarme Dich meiner und nimm meine
Seele auf!"

Dann verschied er zwischen zwei und drei Uhr Morgens am
9. März 1661 im achtundfünfzigsten Jahre seines Lebens. Er hatte
nur sieben Monate länger gelebt, als der Kardinal Richelieu, und,
wie dieser, achtzehn Jahre die höchste Gewalt ausgeübt.

Als der König erwachte, rief er seine Amme, die immer in seinem
Zimmer schlief, und machte ihr ein Zeichen mit den Augen, sich nach
dem Befinden des Kardinals zu erkundigen. Die Amme brachte dem
König die Nachricht von dem Tode Mazarins.

Sogleich ließ Ludwig XIV. die Minister Letellier, Foquet und
Lyonne rufen und sagte ihnen:

"Meine Herren, ich habe Sie rufen lassen, um Jhnen zu sagen,
daß ich bis jetzt den verstorbenen Herrn Kardinal meine Angelegen-
heiten habe besorgen lassen, von heut aber Willens bin, selbst zu
regieren. Sie werden mich mit Jhrem Rath unterstützen, wenn
ich solchen verlangen werde."

Dann entließ er den Staatsrath, ging zur Königin=Mutter,
speiste mit ihr und fuhr gleich darauf in einem verdeckten Wagen
nach Versailles.

Die Königin=Mutter ließ sich in einer Sänfte dorthin tragen. An
der einen Seite schritt ihr erster Stallmeister, an der andern Nogent-
Beautru, der Hofnarr, welche die Königin durch Scherzreden zu
erheitern suchten.

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur. [Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Schluß. )

Von diesem Augenblick hatte Niemand mehr Zutritt zu dem Ster-
benden, den der Prediger von Saint Nicolas=des=champs be-
wachte. Nur dem König, der Königin und Herrn von Colbert
blieb die Thür geöffnet.

Abends kam der König und bat um seinen letzten Rath.

„Sire“, entgegnete Mazarin, „verstehen Sie, sich selbst zu achten,
und Sie werden geachtet werden; übertragen Sie niemals einem Mi-
nister [unleserliches Material – 4 Zeichen fehlen]älle Gewalt und bedienen Sie sich Herrn von Colbert's in
allen Fällen, wo Sie eines einsichtsvollen und ergebenen Mannes
bedürfen.“

Mazarin sicherte, ehe er starb, die Zukunft seiner beiden Nichten,
die noch unvermählt waren. Die Eine, welche der König ge-
liebt hatte, Maria Mancini, wurde mit Don Lorenzo Colonna,
Connetable von Neapel, und die Andere, Hortensia Mancini, mit
dem Sohne des Marschalls de la Meillerai vermählt, welcher Letz-
tere seinen Namen ablegte, um den eines Herzogs von Mazarin
anzunehmen. Hortensia, die ihr Onkel immer sehr kurz gehalten hatte,
erzählt selbst die freudige Ueberraschung, welche sie empfand, als, nach-
dem ihre Vermählung beschlossen war, ihr Oheim sie aufforderte, in
das Kabinet zu gehen, wo ihre Ausstattung ausgestellt war, darunter
ein Körbchen mit zehntausend Goldstücken, mehr als hunderttausend
Livres an Werth. Sie rief sogleich ihren Bruder und ihre Schwester
und stellte den Schatz zu ihrer Verfügung. Jeder steckte in seine
Taschen, so viel dieselben fassen konnten. Als etwa noch dreihundert
Louis auf dem Boden des Korbes blieben, öffnete sie das Fenster
und warf das Geld mit vollen Händen in den Hof des Hôtel Ma-
zarin hinab, um eine Menge Lakaien, die unten lungerten, in Be-
wegung zu bringen.

Der Kardinal erfuhr diese Verschwendung auf seinem Sterbebette
zu Vincennes und ächzte schmerzlich, denn in demselben Augenblick
wurde er von einer Angst befallen, die fast ebenso schlimm war, als
der Tod selbst. Mazarin machte sich nämlich Gewissensvorwürfe, so
reich zu sein.

Der Kardinal Richelieu, ein Mann aus hohem Hause und von
altem Adel, fühlte, daß ihm ein fürstliches Vermögen zukomme;
Mazarin, der Emporkömmling, fand, im Augenblick des Todes selbst
über seinen Reichthum staunend, daß er seiner Familie mehr als
fünfzig Millionen hinterlasse.

Allerdings hatte sein Beichtvater, ein guter Theatiner=Mönch,
erschreckt von der ungeheuren Summe, die Mazarin in seiner Beichte
als eine Sünde bekannt hatte, ihm ganz entschieden geantwortet:

„Sie werden verdammt werden, gnädiger Herr, wenn Sie das
unrechtmäßig erworbene Gut nicht zurückerstatten.“

„Ach, mein Vater“, hatte Mazarin geantwortet, „Alles, was ich
habe, kommt von der Güte des Königs.“

„Das mag immerhin sein“, sagte der Theatiner, der sich durch
diese Worte nicht täuschen ließ und nicht mit dem Gewissen unter-
handelte; „aber man muß einen Unterschied machen zwischen dem,
was der König Jhnen gab, und dem, was Sie sich selbst gegeben
haben.“

„Ach“, rief der Kardinal, „wenn Dem so ist, dann muß ich ja
Alles zurückgeben!“

Nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, befahl er, Herrn
Colbert zu rufen, der, wie er meinte, Mittel finden werde, Alles
auszugleichen.

Colbert kam. Mazarin machte ihn mit seiner Verlegenheit be-
kannt, und Jener zeigte ihm einen Ausweg, sein Gewissen zu beruhi-
gen, ohne seiner Familie seine Reichthümer zu entziehen. Es war der
Vorschlag, mittels Schenkung sein ganzes Vermögen dem Könige zu
überlassen, da voraus zu sehen war, daß Ludwig XIV. in seiner
königlichen Großmuth dasselbe nicht annehmen werde. Dieses Aus-
kunftsmittel gefiel dem Kardinal, und er unterzeichnete die Schenkungs-
urkunde den 3. März.

Nun waren drei Tage vergangen, seitdem dieselbe übergeben war
und der König hatte sich noch nicht über Annahme oder Nicht-
annahme erklärt. Der Kardinal war in Verzweiflung und rief
händeringend:

„Meine arme Familie! Ach! meine arme Familie wird kein Brot
haben!“

Am 6. endlich brachte Colbert die Schenkung vom Könige zurück,
der sie abgelehnt und den Sterbenden ermächtigt hatte, über sein
ganzes Vermögen nach eigenem Gefallen zu verfügen.

[Spaltenumbruch]

„Nun, sehen Sie, mein Vater!“ rief der Kardinal, seinem strengen
Beichtvater die abgelehnte Schenkung zeigend. „Bleibt Jhnen noch
ein Grund, mir die Absolution zu verweigern?“

Der gute Theatiner hatte keinen und absolvirte ihn.

Nun zog der Kardinal unter seinem Kopfkissen sein Testament
hervor und stellte es Colbert zu.

Jn diesem Augenblick ward geklopft; da aber der Eintritt verboten
war, wies Bernouin den Besucher ab.

„Wer war es?“ fragte Mazarin den zurückkehrenden Kammer-
diener.

„Es war“, antwortete Bernouin, „der Präsident der Rechnungs-
kammer, Herr Tubeuf; ich habe ihm gesagt, daß Ew. Eminenz nicht
zu sprechen sei.“

„O weh“, rief der Sterbende, „was hast Du da gemacht, Ber-
nouin! Er war mir Geld schuldig; vielleicht wollte er es mir bringen.
Rufe ihn zurück, schnell, rufe ihn zurück!“

Mazarin hatte sich nicht geirrt; Herr von Tubeuf kam, um ihm
das Geld zu bringen, welches er in Folge des ausgezeichneten Spiel-
glücks, zu dem Herr von Souvr é dem Kardinal Glück gewünscht,
verloren hatte.

Dieser empfing den honetten Spieler, der sich seiner Verbindlich-
keiten so glücklich entledigte, sehr freundlich, nahm die Summe, die
sich auf einhundert Pistolen belief, und verlangte sein Schmuckkästchen,
welches ihm gebracht wurde. Er legte die Summe in eine besondere
Abtheilung und betrachtete dann der Reihe nach alle seine Juwelen.

„Ach“, sagte der Kardinal, sich diesem seinem Lieblingsgeschäft
überlassend, „ach, Herr von Tubeuf, Sie sind ein vortrefflicher
Spieler!“

Tubeuf verneigte sich.

„Bringen Sie Frau von Tubeuf“, fuhr Mazarin fort, „bringen
Sie Frau von Tubeuf — — —“

Der Präsident glaubte, daß Mazarin, eingedenk des vielen Geldes,
das er ihm abgenommen, irgend einen schönen Diamant hergeben
wolle, und sah ihn lächelnd an, wie, um die Worte aus dem Munde
hervor zu locken.

„Bringen Sie Frau von Tubeuf — — meinen Gruß“. Damit
verschloß er das Kästchen und gab es Bernouin zurück.

Herr von Tubeuf empfahl sich, beschämt, einen Augenblick geglaubt
zu haben, daß Mazarin Etwas könne verschenken wollen.

Am 7., Abends, kam die Königin, ihn zu besuchen. Colbert, der
sich im Vorzimmer aufhielt, sagte ihr, daß der Patient wahrscheinlich
die Nacht nicht mehr überleben werde. Jndessen irrte er sich. Ma-
zarin brachte nicht allein noch diese Nacht, sondern auch den fol-
genden Tag hin, ohne zu sterben, doch verfiel er Abends in einen
fürchterlichen Todeskampf.

Nach zwei Stunden, als der Kampf schwerer ward, untersuchte
er selbst seinen Puls, wahrscheinlich um sich zu überzeugen, ob er
noch lange zu leiden haben werde.

Um zwei Uhr Morgens bewegte er sich in seinem Bett und sagte:

„Welche Stunde ist es? Jch glaube, es muß zwei Uhr sein.“

Eine halbe Stunde später stieß er einen tiefen Seufzer aus
und sagte:

„Ach, heilige Jungfrau, erbarme Dich meiner und nimm meine
Seele auf!“

Dann verschied er zwischen zwei und drei Uhr Morgens am
9. März 1661 im achtundfünfzigsten Jahre seines Lebens. Er hatte
nur sieben Monate länger gelebt, als der Kardinal Richelieu, und,
wie dieser, achtzehn Jahre die höchste Gewalt ausgeübt.

Als der König erwachte, rief er seine Amme, die immer in seinem
Zimmer schlief, und machte ihr ein Zeichen mit den Augen, sich nach
dem Befinden des Kardinals zu erkundigen. Die Amme brachte dem
König die Nachricht von dem Tode Mazarins.

Sogleich ließ Ludwig XIV. die Minister Letellier, Foquet und
Lyonne rufen und sagte ihnen:

„Meine Herren, ich habe Sie rufen lassen, um Jhnen zu sagen,
daß ich bis jetzt den verstorbenen Herrn Kardinal meine Angelegen-
heiten habe besorgen lassen, von heut aber Willens bin, selbst zu
regieren. Sie werden mich mit Jhrem Rath unterstützen, wenn
ich solchen verlangen werde.“

Dann entließ er den Staatsrath, ging zur Königin=Mutter,
speiste mit ihr und fuhr gleich darauf in einem verdeckten Wagen
nach Versailles.

Die Königin=Mutter ließ sich in einer Sänfte dorthin tragen. An
der einen Seite schritt ihr erster Stallmeister, an der andern Nogent-
Beautru, der Hofnarr, welche die Königin durch Scherzreden zu
erheitern suchten.

[Ende Spaltensatz]
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[54/0006] 54 Wissenschaft, Kunst und Literatur. Aus dem Leben des Kardinals Mazarin. ( Schluß. ) Von diesem Augenblick hatte Niemand mehr Zutritt zu dem Ster- benden, den der Prediger von Saint Nicolas=des=champs be- wachte. Nur dem König, der Königin und Herrn von Colbert blieb die Thür geöffnet. Abends kam der König und bat um seinen letzten Rath. „Sire“, entgegnete Mazarin, „verstehen Sie, sich selbst zu achten, und Sie werden geachtet werden; übertragen Sie niemals einem Mi- nister ____älle Gewalt und bedienen Sie sich Herrn von Colbert's in allen Fällen, wo Sie eines einsichtsvollen und ergebenen Mannes bedürfen.“ Mazarin sicherte, ehe er starb, die Zukunft seiner beiden Nichten, die noch unvermählt waren. Die Eine, welche der König ge- liebt hatte, Maria Mancini, wurde mit Don Lorenzo Colonna, Connetable von Neapel, und die Andere, Hortensia Mancini, mit dem Sohne des Marschalls de la Meillerai vermählt, welcher Letz- tere seinen Namen ablegte, um den eines Herzogs von Mazarin anzunehmen. Hortensia, die ihr Onkel immer sehr kurz gehalten hatte, erzählt selbst die freudige Ueberraschung, welche sie empfand, als, nach- dem ihre Vermählung beschlossen war, ihr Oheim sie aufforderte, in das Kabinet zu gehen, wo ihre Ausstattung ausgestellt war, darunter ein Körbchen mit zehntausend Goldstücken, mehr als hunderttausend Livres an Werth. Sie rief sogleich ihren Bruder und ihre Schwester und stellte den Schatz zu ihrer Verfügung. Jeder steckte in seine Taschen, so viel dieselben fassen konnten. Als etwa noch dreihundert Louis auf dem Boden des Korbes blieben, öffnete sie das Fenster und warf das Geld mit vollen Händen in den Hof des Hôtel Ma- zarin hinab, um eine Menge Lakaien, die unten lungerten, in Be- wegung zu bringen. Der Kardinal erfuhr diese Verschwendung auf seinem Sterbebette zu Vincennes und ächzte schmerzlich, denn in demselben Augenblick wurde er von einer Angst befallen, die fast ebenso schlimm war, als der Tod selbst. Mazarin machte sich nämlich Gewissensvorwürfe, so reich zu sein. Der Kardinal Richelieu, ein Mann aus hohem Hause und von altem Adel, fühlte, daß ihm ein fürstliches Vermögen zukomme; Mazarin, der Emporkömmling, fand, im Augenblick des Todes selbst über seinen Reichthum staunend, daß er seiner Familie mehr als fünfzig Millionen hinterlasse. Allerdings hatte sein Beichtvater, ein guter Theatiner=Mönch, erschreckt von der ungeheuren Summe, die Mazarin in seiner Beichte als eine Sünde bekannt hatte, ihm ganz entschieden geantwortet: „Sie werden verdammt werden, gnädiger Herr, wenn Sie das unrechtmäßig erworbene Gut nicht zurückerstatten.“ „Ach, mein Vater“, hatte Mazarin geantwortet, „Alles, was ich habe, kommt von der Güte des Königs.“ „Das mag immerhin sein“, sagte der Theatiner, der sich durch diese Worte nicht täuschen ließ und nicht mit dem Gewissen unter- handelte; „aber man muß einen Unterschied machen zwischen dem, was der König Jhnen gab, und dem, was Sie sich selbst gegeben haben.“ „Ach“, rief der Kardinal, „wenn Dem so ist, dann muß ich ja Alles zurückgeben!“ Nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, befahl er, Herrn Colbert zu rufen, der, wie er meinte, Mittel finden werde, Alles auszugleichen. Colbert kam. Mazarin machte ihn mit seiner Verlegenheit be- kannt, und Jener zeigte ihm einen Ausweg, sein Gewissen zu beruhi- gen, ohne seiner Familie seine Reichthümer zu entziehen. Es war der Vorschlag, mittels Schenkung sein ganzes Vermögen dem Könige zu überlassen, da voraus zu sehen war, daß Ludwig XIV. in seiner königlichen Großmuth dasselbe nicht annehmen werde. Dieses Aus- kunftsmittel gefiel dem Kardinal, und er unterzeichnete die Schenkungs- urkunde den 3. März. Nun waren drei Tage vergangen, seitdem dieselbe übergeben war und der König hatte sich noch nicht über Annahme oder Nicht- annahme erklärt. Der Kardinal war in Verzweiflung und rief händeringend: „Meine arme Familie! Ach! meine arme Familie wird kein Brot haben!“ Am 6. endlich brachte Colbert die Schenkung vom Könige zurück, der sie abgelehnt und den Sterbenden ermächtigt hatte, über sein ganzes Vermögen nach eigenem Gefallen zu verfügen. „Nun, sehen Sie, mein Vater!“ rief der Kardinal, seinem strengen Beichtvater die abgelehnte Schenkung zeigend. „Bleibt Jhnen noch ein Grund, mir die Absolution zu verweigern?“ Der gute Theatiner hatte keinen und absolvirte ihn. Nun zog der Kardinal unter seinem Kopfkissen sein Testament hervor und stellte es Colbert zu. Jn diesem Augenblick ward geklopft; da aber der Eintritt verboten war, wies Bernouin den Besucher ab. „Wer war es?“ fragte Mazarin den zurückkehrenden Kammer- diener. „Es war“, antwortete Bernouin, „der Präsident der Rechnungs- kammer, Herr Tubeuf; ich habe ihm gesagt, daß Ew. Eminenz nicht zu sprechen sei.“ „O weh“, rief der Sterbende, „was hast Du da gemacht, Ber- nouin! Er war mir Geld schuldig; vielleicht wollte er es mir bringen. Rufe ihn zurück, schnell, rufe ihn zurück!“ Mazarin hatte sich nicht geirrt; Herr von Tubeuf kam, um ihm das Geld zu bringen, welches er in Folge des ausgezeichneten Spiel- glücks, zu dem Herr von Souvr é dem Kardinal Glück gewünscht, verloren hatte. Dieser empfing den honetten Spieler, der sich seiner Verbindlich- keiten so glücklich entledigte, sehr freundlich, nahm die Summe, die sich auf einhundert Pistolen belief, und verlangte sein Schmuckkästchen, welches ihm gebracht wurde. Er legte die Summe in eine besondere Abtheilung und betrachtete dann der Reihe nach alle seine Juwelen. „Ach“, sagte der Kardinal, sich diesem seinem Lieblingsgeschäft überlassend, „ach, Herr von Tubeuf, Sie sind ein vortrefflicher Spieler!“ Tubeuf verneigte sich. „Bringen Sie Frau von Tubeuf“, fuhr Mazarin fort, „bringen Sie Frau von Tubeuf — — —“ Der Präsident glaubte, daß Mazarin, eingedenk des vielen Geldes, das er ihm abgenommen, irgend einen schönen Diamant hergeben wolle, und sah ihn lächelnd an, wie, um die Worte aus dem Munde hervor zu locken. „Bringen Sie Frau von Tubeuf — — meinen Gruß“. Damit verschloß er das Kästchen und gab es Bernouin zurück. Herr von Tubeuf empfahl sich, beschämt, einen Augenblick geglaubt zu haben, daß Mazarin Etwas könne verschenken wollen. Am 7., Abends, kam die Königin, ihn zu besuchen. Colbert, der sich im Vorzimmer aufhielt, sagte ihr, daß der Patient wahrscheinlich die Nacht nicht mehr überleben werde. Jndessen irrte er sich. Ma- zarin brachte nicht allein noch diese Nacht, sondern auch den fol- genden Tag hin, ohne zu sterben, doch verfiel er Abends in einen fürchterlichen Todeskampf. Nach zwei Stunden, als der Kampf schwerer ward, untersuchte er selbst seinen Puls, wahrscheinlich um sich zu überzeugen, ob er noch lange zu leiden haben werde. Um zwei Uhr Morgens bewegte er sich in seinem Bett und sagte: „Welche Stunde ist es? Jch glaube, es muß zwei Uhr sein.“ Eine halbe Stunde später stieß er einen tiefen Seufzer aus und sagte: „Ach, heilige Jungfrau, erbarme Dich meiner und nimm meine Seele auf!“ Dann verschied er zwischen zwei und drei Uhr Morgens am 9. März 1661 im achtundfünfzigsten Jahre seines Lebens. Er hatte nur sieben Monate länger gelebt, als der Kardinal Richelieu, und, wie dieser, achtzehn Jahre die höchste Gewalt ausgeübt. Als der König erwachte, rief er seine Amme, die immer in seinem Zimmer schlief, und machte ihr ein Zeichen mit den Augen, sich nach dem Befinden des Kardinals zu erkundigen. Die Amme brachte dem König die Nachricht von dem Tode Mazarins. Sogleich ließ Ludwig XIV. die Minister Letellier, Foquet und Lyonne rufen und sagte ihnen: „Meine Herren, ich habe Sie rufen lassen, um Jhnen zu sagen, daß ich bis jetzt den verstorbenen Herrn Kardinal meine Angelegen- heiten habe besorgen lassen, von heut aber Willens bin, selbst zu regieren. Sie werden mich mit Jhrem Rath unterstützen, wenn ich solchen verlangen werde.“ Dann entließ er den Staatsrath, ging zur Königin=Mutter, speiste mit ihr und fuhr gleich darauf in einem verdeckten Wagen nach Versailles. Die Königin=Mutter ließ sich in einer Sänfte dorthin tragen. An der einen Seite schritt ihr erster Stallmeister, an der andern Nogent- Beautru, der Hofnarr, welche die Königin durch Scherzreden zu erheitern suchten.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt07_1868/6>, abgerufen am 23.06.2024.