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Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Sieben oder acht Tage vor seinem Tode hatte der Kardinal einen
sonderbaren Einfall. Er ließ sich rasiren, seinen Schnurrbart in
Ordnung bringen und sein Gesicht weiß und roth schminken, so daß
er frischer und rosiger aussah als jemals in seinem Leben. Nun
bestieg er eine vorn offene Portechaise und ließ sich, der kalten März-
luft nicht achtend, in den Garten tragen. Auch war das Erstaunen
allgemein; Jeder glaubte zu träumen, der dem Kardinal in diesem
sonderbaren Aufzuge begegnete.

Herr von Cond e sah ihn und sagte: "Als ein Schelm hat er
gelebt, als ein Schelm will er sterben."

Der Graf von Nogent=Beautou, jener alte Hofnarr der Königin,
rief aus, als sei er durch die Maskirung getäuscht:

"O, wie gut Ew. Eminenz die Luft thut! Sie hat Sie ganz ver-
ändert; Ew. Eminenz sollten sie öfter genießen."

Diese Worte trafen das Herz des Sterbenden, der den Spott
verstand.

"Hinein, hinein", sagte er zu seinen Trägern, "mir wird unwohl."

"Das sieht man", sagte der unbarmherzige Spötter; "denn Ew.
Eminenz sind sehr roth."

Der Kardinal sank in die Kissen zurück und ward fortgetragen.

Auf den Stufen des Palastes begegnete dem Kranken zufällig der
spanische Gesandte, Graf von Fuensaldagna. Als die Portechaise
vorüber kam, heftete er einen Augenblick sein Auge darauf und sagte
dann mit echt castilianischer Gravität zu seinen Begleitern:

"Dieser Herr erinnert mich sehr an den verstorbenen Kardinal
Mazarin."

Jn der That irrte der Gesandte sich nur um einige Tage.

Dennoch hing Mazarin sehr am Leben. Das Spiel, welches
immer seine herrschende Leidenschaft gewesen war, überdauerte alle
anderen; da er selbst nicht spielen konnte, ließ er vor seinem Bette
spielen, da er selbst die Karten nicht mehr halten konnte, mußten
Andere sie für ihn halten.

Man spielte also bis zu dem Augenblick, wo der Nuntius des
Papstes, unterrichtet, daß der Kardinal das Abendmahl erhalten habe,
kam, um ihm die Absolution zu ertheilen. Einen Augenblick, ehe der
Vertreter Seiner Heiligkeit eintrat, hielt der Kommandeur von Souvr e
sein Spiel; er machte einen guten Stich und beeilte sich, es Seiner
Eminenz zu melden.

"Ah, Kommandeur", sagte der Kardinal, "Sie mögen thun, was
Sie wollen; ich verliere in meinem Bette mehr, als Sie am Tisch
für mich gewinnen."

"Gut, gut", sagte der Kommandeur, "was sagen Ew. Eminenz
da? Sie müssen sich nicht solche Gedanken machen und die Synagoge
mit Ehren begraben."

"Es mag drum sein", erwiderte der Kardinal; "aber ich werde
die Kosten des Leichenbegängnisses tragen."

Jn diesem Augenblick trat der Nuntius ein. Bei seinem Erschei-
nen verschwanden die Karten, und es wurde nicht wieder am Bette
des Sterbenden gespielt.

Am Abend erzählte man dem Kardinal, daß ein Komet sich ge-
zeigt habe.

"Ah", sagte er, "der Komet erzeigt mir wirklich zu viel Ehre."

Der päpstliche Nuntius war Herr Piccolomini; er gab dem Kar-
dinal volle Absolution, in articulo mortis, und sprach sehr christlich
und salbungsvoll in lateinischer Sprache.

Der Kardinal antwortete italienisch:

"Jch bitte Sie, mein Herr, Seiner Heiligkeit zu sagen, daß ich
als sein Diener sterbe und sehr dankbar für die Absolution bin, deren
ich mich so sehr bedürftig fühlte; empfehlen Sie mich seiner heiligen
Fürbitte."

Ganz leise fügte er noch einige Worte hinzu, die Niemand verstand.

Darauf empfing er die letzte Oelung.

( Schluß folgt. )



Ewald Christian von Kleist.
( Schluß. )

Besinnungslos wird er von zweien seiner Krieger zurück getragen;
er erwacht wieder zum Leben unter den Händen eines Wund-
arztes; derselbe will eben das Bein mit einem Taschentuch ver-
binden, da wird er in den Kopf geschossen und sinkt todt neben
dem Hülflosen nieder. Die Schlacht geht verloren, die Preußen
fliehen. Es kommen Kosaken, welche sich gierig über Kleist her-
werfen und ihn nackt ausziehen; weil er polnisch mit ihnen redet, so
schenken sie ihm wenigstens das Leben und werfen ihn an einen
Sumpf; abermals erbarmt sich der Schlummer der Ohnmacht des
bedauernswerthen Mannes.

Jn der Nacht kommen einige russische Husaren und finden ihn.
Sie ziehen den zum Tod Verwundeten aufs Trockne, betten ihn neben
[Spaltenumbruch] ein Wachtfeuer auf Stroh, bedecken ihn mit einem Mantel und Hut,
reichen ihm Brot und Wasser. Gegen Morgen verlassen sie ihn
wieder; mitleidig wirft einer der Husaren dem hülflosen Kranken ein
Zehngroschenstück auf den Mantel. Raubgierige Kosaken kommen
abermals und nehmen dem Armen Mantel, Hut und Geld. So lag
Kleist unbedeckt und unter den schrecklichsten Schmerzen bis zum an-
dern Morgen zehn Uhr. Da ritt ein russischer Offizier, ein Herr
von Stackelberg, vorbei; Kleist rief ihn an und gab seinen Rang zu
erkennen; dieser ließ ihn auf einem Wagen nach Frankfurt bringen.
Hier ward Kleist zum ersten Mal ordentlich verbunden, nachdem die
Wunden durch Erkältung mehr als durch den Bluterguß bereits tödtlich
geworden waren. Jn dem Hause eines Professors Nicolai genoß der
Kranke der sorgsamsten Pflege; unter unsäglichen Schmerzen sah er
mit abwechselnd steigender und sinkender Hoffnung standhaft seiner
letzten Stunde entgegen. Zehn Tage nach der Verwundung sonderten
sich die zersplitterten Knochen und zerrissen eine Pulsader; eine heftige
Verblutung trat ein, und früh am Morgen des 24. August
entschlief Kleist in den Armen seines treuen Pflegers.

Jndeß hatte sich die Kunde von der schweren Verwundung des
tapfern Kriegers und edlen Dichters verbreitet; am Tage der Be-
erdigung versammelten sich die vorzüglichsten feindlichen Offiziere und
die meisten Mitglieder der Frankfurter Hochschule, um Kleist das letzte
Geleit zu geben. Zwölf Grenadiere trugen den Sarg; als derselbe
aufgehoben ward, fehlte auf demselben der Degen als Zeichen kriege-
rischen Ruhmes. Derselbe wackere Stackelberg, welcher so menschlich
für ihn gesorgt hatte, legte seinen eigenen Degen auf den Sarg mit
den Worten: "Ein solcher Krieger darf nicht ohne dieses Ehrenzeichen
beerdigt werden!" So begleitete ein zahlreiches Gefolge feindlicher
Krieger den deutschen Dichter zur Gruft. Erst 1779, zwanzig Jahre
nach Kleists Tode, ward dieselbe durch einen Denkstein, welchen die
Frankfurter Freimaurer setzten, vor unverdienter Vergessenheit bewahrt.

So starb Kleist, im Leben geliebt von Jedem, der ihn kannte, im
Tode geehrt selbst von den Feinden. Die Freunde verloren in ihm
einen warmen Freund, Preußen einen tapferen und menschlichen Krieger,
Deutschland einen gefeierten Dichter.

Kleist war hoch gewachsen, ein schöner Mann, von edlem kriege-
rischem Aussehen; freundlich ernst, voll inniger Güte war der Aus-
druck seines Gesichts; aus dem großen feurigen Auge blickte ein kraft-
voller Geist, ein warmes, wackeres Herz. So zeigen ihn uns seine
Bilder, wenn dieselben auch, wunderlich genug, den Kriegsmann im
Schlafrock darstellen, auf dem Kopf eine Art Turban. Ein Zeitgenosse
spricht: "Wenn die Ehrlichkeit eines Mannes je auf seinem Gesicht
abgezeichnet gewesen ist, so ist es auf dem Gesicht meines Freundes
Kleist". Und diese Redlichkeit und Wahrhaftigkeit, dieser Edelsinn
war im schönsten Sinne Kleists Erbtheil. Durch Kleists tiefstes
Wesen geht ein Zug des Leidens leiblicher und geistiger Art. Bei
seinem stattlichen Aeußern war er doch von einer körperlich begründeten
Schwermuth bedrückt, welche bisweilen fast der Weichheit und Weich-
lichkeit nahe scheinen könnte, wenn wir nicht wüßten, wie sehr er
oft litt. Er selbst nennt die Melancholie seine Muse; es geht durch
fast alle seine Gedichte ein Zug milden Schmerzes, männlich ernster
Wehmuth, welcher bei einer so tüchtigen Natur wahrhaft rührend
erscheint, eine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, nach Liebe und
Freundschaft, nach ungestörtem geistigem Leben, welches fast alles ihm
durch Lebensgeschick oder Lebensstellung versagt blieb. So trug
Kleist schwer am Leben, an den Pflichten eines Standes, welcher für
alle höheren Jnteressen damals so gut wie abgeschlossen war. Und
doch artet diese aus Kränklichkeit oder Mißgeschick hervorgehende ernste
Lebensanschauung des trefflichen Mannes nie aus in ernstes Miß-
vergnügen, in Murrsinn, in ein unfruchtbares Zerfallen mit der Welt,
dessen unheilvolle Folgen das Schicksal seines größeren jüngeren Na-
mensvetters Heinrich von Kleist lebhaft vor Augen stellt; bei allem
Leid erhielt ihm seine straffe Sittlichkeit, seine gediegene Männlichkeit
eine wohlmeinende Weltanschauung, wie sie sich z. B. in den Worten
ausspricht, die so recht aus seiner Seele geschrieben sind:

"Jhr, die die schwere Hand des Unglücks drückt,
Jhr Redlichen, die Jhr mit Harm erfüllt,
Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht
Und wagt die Reise durch das Leben nur:
Jenseits des Ufers giebt's ein besser Land,
Gefilde voller Lust erwarten Euch."

Obgleich feurig und ehrgeizig, war Kleist sanft und bescheiden,
eher geneigt, seiner Kraft zu wenig als zu viel zuzutrauen. Seine
Untergebenen liebten ihn wie einen Vater; seine Vorgesetzten zwang
er, ihm mit Achtung zu begegnen, indem er immer mehr that, als
seine Pflicht gebot, mit kalter Ruhe Unrecht erlitt, mit dankbarer Be-
scheidenheit ihre Anerkennung aufnahm. Seine Freundschaft war fast
schwärmerisch, und manche treffliche Dichter jener Zeit, Gleim,
Lessing, Ramler, Bodmer u. A. waren ihm herzlich befreundet; ihre
Briefe zeigen, wie bitter schmerzlich sie seinen Tod empfanden.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Sieben oder acht Tage vor seinem Tode hatte der Kardinal einen
sonderbaren Einfall. Er ließ sich rasiren, seinen Schnurrbart in
Ordnung bringen und sein Gesicht weiß und roth schminken, so daß
er frischer und rosiger aussah als jemals in seinem Leben. Nun
bestieg er eine vorn offene Portechaise und ließ sich, der kalten März-
luft nicht achtend, in den Garten tragen. Auch war das Erstaunen
allgemein; Jeder glaubte zu träumen, der dem Kardinal in diesem
sonderbaren Aufzuge begegnete.

Herr von Cond é sah ihn und sagte: „Als ein Schelm hat er
gelebt, als ein Schelm will er sterben.“

Der Graf von Nogent=Beautou, jener alte Hofnarr der Königin,
rief aus, als sei er durch die Maskirung getäuscht:

„O, wie gut Ew. Eminenz die Luft thut! Sie hat Sie ganz ver-
ändert; Ew. Eminenz sollten sie öfter genießen.“

Diese Worte trafen das Herz des Sterbenden, der den Spott
verstand.

„Hinein, hinein“, sagte er zu seinen Trägern, „mir wird unwohl.“

„Das sieht man“, sagte der unbarmherzige Spötter; „denn Ew.
Eminenz sind sehr roth.“

Der Kardinal sank in die Kissen zurück und ward fortgetragen.

Auf den Stufen des Palastes begegnete dem Kranken zufällig der
spanische Gesandte, Graf von Fuensaldagna. Als die Portechaise
vorüber kam, heftete er einen Augenblick sein Auge darauf und sagte
dann mit echt castilianischer Gravität zu seinen Begleitern:

„Dieser Herr erinnert mich sehr an den verstorbenen Kardinal
Mazarin.“

Jn der That irrte der Gesandte sich nur um einige Tage.

Dennoch hing Mazarin sehr am Leben. Das Spiel, welches
immer seine herrschende Leidenschaft gewesen war, überdauerte alle
anderen; da er selbst nicht spielen konnte, ließ er vor seinem Bette
spielen, da er selbst die Karten nicht mehr halten konnte, mußten
Andere sie für ihn halten.

Man spielte also bis zu dem Augenblick, wo der Nuntius des
Papstes, unterrichtet, daß der Kardinal das Abendmahl erhalten habe,
kam, um ihm die Absolution zu ertheilen. Einen Augenblick, ehe der
Vertreter Seiner Heiligkeit eintrat, hielt der Kommandeur von Souvr é
sein Spiel; er machte einen guten Stich und beeilte sich, es Seiner
Eminenz zu melden.

„Ah, Kommandeur“, sagte der Kardinal, „Sie mögen thun, was
Sie wollen; ich verliere in meinem Bette mehr, als Sie am Tisch
für mich gewinnen.“

„Gut, gut“, sagte der Kommandeur, „was sagen Ew. Eminenz
da? Sie müssen sich nicht solche Gedanken machen und die Synagoge
mit Ehren begraben.“

„Es mag drum sein“, erwiderte der Kardinal; „aber ich werde
die Kosten des Leichenbegängnisses tragen.“

Jn diesem Augenblick trat der Nuntius ein. Bei seinem Erschei-
nen verschwanden die Karten, und es wurde nicht wieder am Bette
des Sterbenden gespielt.

Am Abend erzählte man dem Kardinal, daß ein Komet sich ge-
zeigt habe.

„Ah“, sagte er, „der Komet erzeigt mir wirklich zu viel Ehre.“

Der päpstliche Nuntius war Herr Piccolomini; er gab dem Kar-
dinal volle Absolution, in articulo mortis, und sprach sehr christlich
und salbungsvoll in lateinischer Sprache.

Der Kardinal antwortete italienisch:

„Jch bitte Sie, mein Herr, Seiner Heiligkeit zu sagen, daß ich
als sein Diener sterbe und sehr dankbar für die Absolution bin, deren
ich mich so sehr bedürftig fühlte; empfehlen Sie mich seiner heiligen
Fürbitte.“

Ganz leise fügte er noch einige Worte hinzu, die Niemand verstand.

Darauf empfing er die letzte Oelung.

( Schluß folgt. )



Ewald Christian von Kleist.
( Schluß. )

Besinnungslos wird er von zweien seiner Krieger zurück getragen;
er erwacht wieder zum Leben unter den Händen eines Wund-
arztes; derselbe will eben das Bein mit einem Taschentuch ver-
binden, da wird er in den Kopf geschossen und sinkt todt neben
dem Hülflosen nieder. Die Schlacht geht verloren, die Preußen
fliehen. Es kommen Kosaken, welche sich gierig über Kleist her-
werfen und ihn nackt ausziehen; weil er polnisch mit ihnen redet, so
schenken sie ihm wenigstens das Leben und werfen ihn an einen
Sumpf; abermals erbarmt sich der Schlummer der Ohnmacht des
bedauernswerthen Mannes.

Jn der Nacht kommen einige russische Husaren und finden ihn.
Sie ziehen den zum Tod Verwundeten aufs Trockne, betten ihn neben
[Spaltenumbruch] ein Wachtfeuer auf Stroh, bedecken ihn mit einem Mantel und Hut,
reichen ihm Brot und Wasser. Gegen Morgen verlassen sie ihn
wieder; mitleidig wirft einer der Husaren dem hülflosen Kranken ein
Zehngroschenstück auf den Mantel. Raubgierige Kosaken kommen
abermals und nehmen dem Armen Mantel, Hut und Geld. So lag
Kleist unbedeckt und unter den schrecklichsten Schmerzen bis zum an-
dern Morgen zehn Uhr. Da ritt ein russischer Offizier, ein Herr
von Stackelberg, vorbei; Kleist rief ihn an und gab seinen Rang zu
erkennen; dieser ließ ihn auf einem Wagen nach Frankfurt bringen.
Hier ward Kleist zum ersten Mal ordentlich verbunden, nachdem die
Wunden durch Erkältung mehr als durch den Bluterguß bereits tödtlich
geworden waren. Jn dem Hause eines Professors Nicolai genoß der
Kranke der sorgsamsten Pflege; unter unsäglichen Schmerzen sah er
mit abwechselnd steigender und sinkender Hoffnung standhaft seiner
letzten Stunde entgegen. Zehn Tage nach der Verwundung sonderten
sich die zersplitterten Knochen und zerrissen eine Pulsader; eine heftige
Verblutung trat ein, und früh am Morgen des 24. August
entschlief Kleist in den Armen seines treuen Pflegers.

Jndeß hatte sich die Kunde von der schweren Verwundung des
tapfern Kriegers und edlen Dichters verbreitet; am Tage der Be-
erdigung versammelten sich die vorzüglichsten feindlichen Offiziere und
die meisten Mitglieder der Frankfurter Hochschule, um Kleist das letzte
Geleit zu geben. Zwölf Grenadiere trugen den Sarg; als derselbe
aufgehoben ward, fehlte auf demselben der Degen als Zeichen kriege-
rischen Ruhmes. Derselbe wackere Stackelberg, welcher so menschlich
für ihn gesorgt hatte, legte seinen eigenen Degen auf den Sarg mit
den Worten: „Ein solcher Krieger darf nicht ohne dieses Ehrenzeichen
beerdigt werden!“ So begleitete ein zahlreiches Gefolge feindlicher
Krieger den deutschen Dichter zur Gruft. Erst 1779, zwanzig Jahre
nach Kleists Tode, ward dieselbe durch einen Denkstein, welchen die
Frankfurter Freimaurer setzten, vor unverdienter Vergessenheit bewahrt.

So starb Kleist, im Leben geliebt von Jedem, der ihn kannte, im
Tode geehrt selbst von den Feinden. Die Freunde verloren in ihm
einen warmen Freund, Preußen einen tapferen und menschlichen Krieger,
Deutschland einen gefeierten Dichter.

Kleist war hoch gewachsen, ein schöner Mann, von edlem kriege-
rischem Aussehen; freundlich ernst, voll inniger Güte war der Aus-
druck seines Gesichts; aus dem großen feurigen Auge blickte ein kraft-
voller Geist, ein warmes, wackeres Herz. So zeigen ihn uns seine
Bilder, wenn dieselben auch, wunderlich genug, den Kriegsmann im
Schlafrock darstellen, auf dem Kopf eine Art Turban. Ein Zeitgenosse
spricht: „Wenn die Ehrlichkeit eines Mannes je auf seinem Gesicht
abgezeichnet gewesen ist, so ist es auf dem Gesicht meines Freundes
Kleist“. Und diese Redlichkeit und Wahrhaftigkeit, dieser Edelsinn
war im schönsten Sinne Kleists Erbtheil. Durch Kleists tiefstes
Wesen geht ein Zug des Leidens leiblicher und geistiger Art. Bei
seinem stattlichen Aeußern war er doch von einer körperlich begründeten
Schwermuth bedrückt, welche bisweilen fast der Weichheit und Weich-
lichkeit nahe scheinen könnte, wenn wir nicht wüßten, wie sehr er
oft litt. Er selbst nennt die Melancholie seine Muse; es geht durch
fast alle seine Gedichte ein Zug milden Schmerzes, männlich ernster
Wehmuth, welcher bei einer so tüchtigen Natur wahrhaft rührend
erscheint, eine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, nach Liebe und
Freundschaft, nach ungestörtem geistigem Leben, welches fast alles ihm
durch Lebensgeschick oder Lebensstellung versagt blieb. So trug
Kleist schwer am Leben, an den Pflichten eines Standes, welcher für
alle höheren Jnteressen damals so gut wie abgeschlossen war. Und
doch artet diese aus Kränklichkeit oder Mißgeschick hervorgehende ernste
Lebensanschauung des trefflichen Mannes nie aus in ernstes Miß-
vergnügen, in Murrsinn, in ein unfruchtbares Zerfallen mit der Welt,
dessen unheilvolle Folgen das Schicksal seines größeren jüngeren Na-
mensvetters Heinrich von Kleist lebhaft vor Augen stellt; bei allem
Leid erhielt ihm seine straffe Sittlichkeit, seine gediegene Männlichkeit
eine wohlmeinende Weltanschauung, wie sie sich z. B. in den Worten
ausspricht, die so recht aus seiner Seele geschrieben sind:

„Jhr, die die schwere Hand des Unglücks drückt,
Jhr Redlichen, die Jhr mit Harm erfüllt,
Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht
Und wagt die Reise durch das Leben nur:
Jenseits des Ufers giebt's ein besser Land,
Gefilde voller Lust erwarten Euch.“

Obgleich feurig und ehrgeizig, war Kleist sanft und bescheiden,
eher geneigt, seiner Kraft zu wenig als zu viel zuzutrauen. Seine
Untergebenen liebten ihn wie einen Vater; seine Vorgesetzten zwang
er, ihm mit Achtung zu begegnen, indem er immer mehr that, als
seine Pflicht gebot, mit kalter Ruhe Unrecht erlitt, mit dankbarer Be-
scheidenheit ihre Anerkennung aufnahm. Seine Freundschaft war fast
schwärmerisch, und manche treffliche Dichter jener Zeit, Gleim,
Lessing, Ramler, Bodmer u. A. waren ihm herzlich befreundet; ihre
Briefe zeigen, wie bitter schmerzlich sie seinen Tod empfanden.
[Ende Spaltensatz]

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[47/0007] 47 Sieben oder acht Tage vor seinem Tode hatte der Kardinal einen sonderbaren Einfall. Er ließ sich rasiren, seinen Schnurrbart in Ordnung bringen und sein Gesicht weiß und roth schminken, so daß er frischer und rosiger aussah als jemals in seinem Leben. Nun bestieg er eine vorn offene Portechaise und ließ sich, der kalten März- luft nicht achtend, in den Garten tragen. Auch war das Erstaunen allgemein; Jeder glaubte zu träumen, der dem Kardinal in diesem sonderbaren Aufzuge begegnete. Herr von Cond é sah ihn und sagte: „Als ein Schelm hat er gelebt, als ein Schelm will er sterben.“ Der Graf von Nogent=Beautou, jener alte Hofnarr der Königin, rief aus, als sei er durch die Maskirung getäuscht: „O, wie gut Ew. Eminenz die Luft thut! Sie hat Sie ganz ver- ändert; Ew. Eminenz sollten sie öfter genießen.“ Diese Worte trafen das Herz des Sterbenden, der den Spott verstand. „Hinein, hinein“, sagte er zu seinen Trägern, „mir wird unwohl.“ „Das sieht man“, sagte der unbarmherzige Spötter; „denn Ew. Eminenz sind sehr roth.“ Der Kardinal sank in die Kissen zurück und ward fortgetragen. Auf den Stufen des Palastes begegnete dem Kranken zufällig der spanische Gesandte, Graf von Fuensaldagna. Als die Portechaise vorüber kam, heftete er einen Augenblick sein Auge darauf und sagte dann mit echt castilianischer Gravität zu seinen Begleitern: „Dieser Herr erinnert mich sehr an den verstorbenen Kardinal Mazarin.“ Jn der That irrte der Gesandte sich nur um einige Tage. Dennoch hing Mazarin sehr am Leben. Das Spiel, welches immer seine herrschende Leidenschaft gewesen war, überdauerte alle anderen; da er selbst nicht spielen konnte, ließ er vor seinem Bette spielen, da er selbst die Karten nicht mehr halten konnte, mußten Andere sie für ihn halten. Man spielte also bis zu dem Augenblick, wo der Nuntius des Papstes, unterrichtet, daß der Kardinal das Abendmahl erhalten habe, kam, um ihm die Absolution zu ertheilen. Einen Augenblick, ehe der Vertreter Seiner Heiligkeit eintrat, hielt der Kommandeur von Souvr é sein Spiel; er machte einen guten Stich und beeilte sich, es Seiner Eminenz zu melden. „Ah, Kommandeur“, sagte der Kardinal, „Sie mögen thun, was Sie wollen; ich verliere in meinem Bette mehr, als Sie am Tisch für mich gewinnen.“ „Gut, gut“, sagte der Kommandeur, „was sagen Ew. Eminenz da? Sie müssen sich nicht solche Gedanken machen und die Synagoge mit Ehren begraben.“ „Es mag drum sein“, erwiderte der Kardinal; „aber ich werde die Kosten des Leichenbegängnisses tragen.“ Jn diesem Augenblick trat der Nuntius ein. Bei seinem Erschei- nen verschwanden die Karten, und es wurde nicht wieder am Bette des Sterbenden gespielt. Am Abend erzählte man dem Kardinal, daß ein Komet sich ge- zeigt habe. „Ah“, sagte er, „der Komet erzeigt mir wirklich zu viel Ehre.“ Der päpstliche Nuntius war Herr Piccolomini; er gab dem Kar- dinal volle Absolution, in articulo mortis, und sprach sehr christlich und salbungsvoll in lateinischer Sprache. Der Kardinal antwortete italienisch: „Jch bitte Sie, mein Herr, Seiner Heiligkeit zu sagen, daß ich als sein Diener sterbe und sehr dankbar für die Absolution bin, deren ich mich so sehr bedürftig fühlte; empfehlen Sie mich seiner heiligen Fürbitte.“ Ganz leise fügte er noch einige Worte hinzu, die Niemand verstand. Darauf empfing er die letzte Oelung. ( Schluß folgt. ) Ewald Christian von Kleist. ( Schluß. ) Besinnungslos wird er von zweien seiner Krieger zurück getragen; er erwacht wieder zum Leben unter den Händen eines Wund- arztes; derselbe will eben das Bein mit einem Taschentuch ver- binden, da wird er in den Kopf geschossen und sinkt todt neben dem Hülflosen nieder. Die Schlacht geht verloren, die Preußen fliehen. Es kommen Kosaken, welche sich gierig über Kleist her- werfen und ihn nackt ausziehen; weil er polnisch mit ihnen redet, so schenken sie ihm wenigstens das Leben und werfen ihn an einen Sumpf; abermals erbarmt sich der Schlummer der Ohnmacht des bedauernswerthen Mannes. Jn der Nacht kommen einige russische Husaren und finden ihn. Sie ziehen den zum Tod Verwundeten aufs Trockne, betten ihn neben ein Wachtfeuer auf Stroh, bedecken ihn mit einem Mantel und Hut, reichen ihm Brot und Wasser. Gegen Morgen verlassen sie ihn wieder; mitleidig wirft einer der Husaren dem hülflosen Kranken ein Zehngroschenstück auf den Mantel. Raubgierige Kosaken kommen abermals und nehmen dem Armen Mantel, Hut und Geld. So lag Kleist unbedeckt und unter den schrecklichsten Schmerzen bis zum an- dern Morgen zehn Uhr. Da ritt ein russischer Offizier, ein Herr von Stackelberg, vorbei; Kleist rief ihn an und gab seinen Rang zu erkennen; dieser ließ ihn auf einem Wagen nach Frankfurt bringen. Hier ward Kleist zum ersten Mal ordentlich verbunden, nachdem die Wunden durch Erkältung mehr als durch den Bluterguß bereits tödtlich geworden waren. Jn dem Hause eines Professors Nicolai genoß der Kranke der sorgsamsten Pflege; unter unsäglichen Schmerzen sah er mit abwechselnd steigender und sinkender Hoffnung standhaft seiner letzten Stunde entgegen. Zehn Tage nach der Verwundung sonderten sich die zersplitterten Knochen und zerrissen eine Pulsader; eine heftige Verblutung trat ein, und früh am Morgen des 24. August entschlief Kleist in den Armen seines treuen Pflegers. Jndeß hatte sich die Kunde von der schweren Verwundung des tapfern Kriegers und edlen Dichters verbreitet; am Tage der Be- erdigung versammelten sich die vorzüglichsten feindlichen Offiziere und die meisten Mitglieder der Frankfurter Hochschule, um Kleist das letzte Geleit zu geben. Zwölf Grenadiere trugen den Sarg; als derselbe aufgehoben ward, fehlte auf demselben der Degen als Zeichen kriege- rischen Ruhmes. Derselbe wackere Stackelberg, welcher so menschlich für ihn gesorgt hatte, legte seinen eigenen Degen auf den Sarg mit den Worten: „Ein solcher Krieger darf nicht ohne dieses Ehrenzeichen beerdigt werden!“ So begleitete ein zahlreiches Gefolge feindlicher Krieger den deutschen Dichter zur Gruft. Erst 1779, zwanzig Jahre nach Kleists Tode, ward dieselbe durch einen Denkstein, welchen die Frankfurter Freimaurer setzten, vor unverdienter Vergessenheit bewahrt. So starb Kleist, im Leben geliebt von Jedem, der ihn kannte, im Tode geehrt selbst von den Feinden. Die Freunde verloren in ihm einen warmen Freund, Preußen einen tapferen und menschlichen Krieger, Deutschland einen gefeierten Dichter. Kleist war hoch gewachsen, ein schöner Mann, von edlem kriege- rischem Aussehen; freundlich ernst, voll inniger Güte war der Aus- druck seines Gesichts; aus dem großen feurigen Auge blickte ein kraft- voller Geist, ein warmes, wackeres Herz. So zeigen ihn uns seine Bilder, wenn dieselben auch, wunderlich genug, den Kriegsmann im Schlafrock darstellen, auf dem Kopf eine Art Turban. Ein Zeitgenosse spricht: „Wenn die Ehrlichkeit eines Mannes je auf seinem Gesicht abgezeichnet gewesen ist, so ist es auf dem Gesicht meines Freundes Kleist“. Und diese Redlichkeit und Wahrhaftigkeit, dieser Edelsinn war im schönsten Sinne Kleists Erbtheil. Durch Kleists tiefstes Wesen geht ein Zug des Leidens leiblicher und geistiger Art. Bei seinem stattlichen Aeußern war er doch von einer körperlich begründeten Schwermuth bedrückt, welche bisweilen fast der Weichheit und Weich- lichkeit nahe scheinen könnte, wenn wir nicht wüßten, wie sehr er oft litt. Er selbst nennt die Melancholie seine Muse; es geht durch fast alle seine Gedichte ein Zug milden Schmerzes, männlich ernster Wehmuth, welcher bei einer so tüchtigen Natur wahrhaft rührend erscheint, eine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, nach Liebe und Freundschaft, nach ungestörtem geistigem Leben, welches fast alles ihm durch Lebensgeschick oder Lebensstellung versagt blieb. So trug Kleist schwer am Leben, an den Pflichten eines Standes, welcher für alle höheren Jnteressen damals so gut wie abgeschlossen war. Und doch artet diese aus Kränklichkeit oder Mißgeschick hervorgehende ernste Lebensanschauung des trefflichen Mannes nie aus in ernstes Miß- vergnügen, in Murrsinn, in ein unfruchtbares Zerfallen mit der Welt, dessen unheilvolle Folgen das Schicksal seines größeren jüngeren Na- mensvetters Heinrich von Kleist lebhaft vor Augen stellt; bei allem Leid erhielt ihm seine straffe Sittlichkeit, seine gediegene Männlichkeit eine wohlmeinende Weltanschauung, wie sie sich z. B. in den Worten ausspricht, die so recht aus seiner Seele geschrieben sind: „Jhr, die die schwere Hand des Unglücks drückt, Jhr Redlichen, die Jhr mit Harm erfüllt, Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht Und wagt die Reise durch das Leben nur: Jenseits des Ufers giebt's ein besser Land, Gefilde voller Lust erwarten Euch.“ Obgleich feurig und ehrgeizig, war Kleist sanft und bescheiden, eher geneigt, seiner Kraft zu wenig als zu viel zuzutrauen. Seine Untergebenen liebten ihn wie einen Vater; seine Vorgesetzten zwang er, ihm mit Achtung zu begegnen, indem er immer mehr that, als seine Pflicht gebot, mit kalter Ruhe Unrecht erlitt, mit dankbarer Be- scheidenheit ihre Anerkennung aufnahm. Seine Freundschaft war fast schwärmerisch, und manche treffliche Dichter jener Zeit, Gleim, Lessing, Ramler, Bodmer u. A. waren ihm herzlich befreundet; ihre Briefe zeigen, wie bitter schmerzlich sie seinen Tod empfanden.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868/7>, abgerufen am 15.06.2024.