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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 224
[Beginn Spaltensatz] der europäischen, oder überhaupt der Geldprofessionen sind durch
unser ikarisches Jndustriewesen völligst gehoben, alle Vortheile
bewahrt und vermehrt. Wir haben auf diese einfache Manier
stets Arbeitende, so viel wir brauchen, stets am rechten Ort, nie
zu viele, nie zu wenige; haben keine Plage mit Privatwerkstät-
ten, die den Hansbewohnern lästig würden; keine Privatläden;
keine Commerzbillete, keine Bankerotte, keine gezwungene Ausver-
käufe. Unsere Häuser sind somit lediglich zur Beherbergung der
Familie bestimmt; unsere Nationalwerkhäuser sind nützlich und
sind schön gebaut, so daß sie zur Verschönerung der Stadt bei-
tragen. Bei uns kommen heute keine jener uralten Schlechtig-
keiten mehr vor, die darin z. B. bestanden, daß der Schlosser
im neuen Hause das Holz der Thür, die Farbe u. s. w. ver-
darb, um dem Maler und dem Tischler abermals etwas zu ver-
dienen zu geben; auch kann bei uns weder zu rasch, noch zu
langsam gearbeitet werden, da jeder Mitarbeitende gleichsam für
sich und die Seinigen das in Rede stehende Stück arbeitet.
Jeder unserer Bürger, der Handwerker ist, trägt somit das un-
auslöschliche Bewußtsein der Würde und betrachtet. sein Geschäft
als öffentliches, als Staatsamt, gerade so wie jeder ikarische
Beamte sein Amt als ein Gewerbe, eine Arbeit anzusehen gelernt
hat. Und ich versichere Jhnen, Freund William, die Jkarier
stehen sich gut bei dieser Einrichtung.

Oder däucht Jhnen vielleicht unsere scharfe, regelrechte Zeit-
eintheilung, unsere reine, klare, unverwirrbare Ordnung ein
schlechtes Ding? Glauben Sie etwa, wir langweilten uns, oder
verdummten, wenn wir um fünf aufstehen? um sechs die Arbei-
tenden zur Werlstatt fahren? Um neun Uhr Frauen und Kinder?
von neun bis eins draußen arbeiten? und in den Schulen? um
halb zwei die Werkstättler sich in die Speisehäuser begeben? um
drei Mittag gespeist wird? von da ab bis neun die Leute auf
den Dächern, Promenaden, Straßen, in den Gärten, öffentlichen
Versammlungsräumen, Vorlesungshallen, Theatern u. s. w. wei-
len? um zehn Uhr schlafen gegangen wird und von da bis fünf
Uhr die Straßen leer sind? Meinen Sie, dieser Mangel an
Unordnung sei unangenehm für freie, gleiche Menschen?

Nein, erwiderte ich, das meine ich nicht, aber ich wundere
mich, daß man sich das tyrannische Gesetz, zu bestimmtem Glocken-
schlage zu Bett zu gehen, in dieser Republik gefallen läßt.

-- Allerdings ist solch gesetz, sagte mein Begleiter, sehr ty-
rannisch, ist unerträglich, wenn es von einem Volksbedrücker aus-
geht; bedenken Sie jedoch, bester Freund, hier ist es vom Volke
selbst sich auferlegt worden, und zwar in der weisen Absicht,
Gesundheit und Arbeitsordnung dadurch zu wahren; daher
kommt's, daß kein Mensch sich dagegen empört; jeder sieht die
Zweckmäßigkeit vollkommen ein. Alle Abkömmlinge unserer ehe-
maligen Adelshäuser, fügte er lächelnd hinzu, sind jetzt ord-
nungsliebende Buchdrucker, arbeitsame Schreiner, Schuhmacher,
und sind zufriedener, als in jener bösen Zeit, da sie noch Her-
zöge, Grafen, Freiherren, Ritter u. dgl. sonstige Herrschaften
waren.

Mittlerweile hatten wir, zu meiner Freude, muß ich sagen,
( obschon die Berichte meines Begleiters interessant genug waren )
das Haus erreicht, wo ich Korilla zu treffen, und über die mich
so nah angehende Sache endlich kurz und gut auszuforschen
hoffte. Als wir hineintraten, war Dina's Mutter nebst der
ganzen Familie bereit, auszugehen. Schon glaubte ich, Korilla
werde, wie bisher, meinen Arm nehmen, aber heute nahm sie
den Arm des Professors, den sie über ein geschichtliches Ereigniß,
ich weiß nicht welches, befragen wollte; ich möge Dina führen,
meinte sie. Walmor ging mit Frau Diname, Dina's Mutter.
Jch ward fast bestürzt dadurch; ich bezwang indeß meine aufstei-
gende Lust, mich unter irgend einem Vorwande wegzuschleichen.
[Spaltenumbruch] Jch weiß nicht, wie es kam, daß meine Mißstimmung noch wuchs,
als ich neben Fräulein Dina ging, und ich glaubte zu bemerken,
daß auch sie ziemlich verlegen war. Sie schien sich geradehin
ein wenig zu langweilen; wir sprachen vom schönen Sommer,
von den Bäumen und Blumen, zuweilen verstummten wir auch
gänzlich, endlich brachte ich das Gespräch auf Walmor, dem ich
aufrichtig Lob spendete; sie hörte dieses gern und sagte, ich hätte
nicht unrecht. Jhrerseits lobte sie mir sehr Fräulein Korilla und
sagte, das sei ihre beste Freundin; sie verdiene recht glücklich zu
werden; was denn auch bald geschehe, denn Korilla werde näch-
stens mit einem Freunde ihres Bruders, der dieser Tage an-
komme, sich verheirathen.

Jch war unangenehm betroffen. Jch konnte nicht umhin,
zu rufen: Also Korilla verheirathet sich? -- Worauf Dina
gleichfalls etwas betroffen sagte: Jch dachte, Sie wüßten es
längst. --

Jch konnte mich nicht wieder sammeln; nun wußte ich aller-
dings durch Zufall, wonach ich Korilla hatte fragen wollen.
Aber ich war trotzdem, daß ich jetzt Bestimmtheit hatte, nicht
froh; solch seltsames Wesen ist das Herz. Jch versank in Träu-
merei, und die melodische Stimme Dina's vermochte kaum, mich
da heraus zu ziehen. Nachdem ich meine holde Begleiterin
wieder heimgebracht, sand ich schnell eine Ausrede, und eilte
nach Hause.



Dreizehntes Kapitel.

Gesundheitszustand. -- Aerzte. -- Hospitäler.

" So? das ist doch nicht sehr schön von Jhnen, William;
Sie lassen uns im Stich, um Dina zurückzuführen, und Sie
kommen nicht einmal, von mir Abschied zu nehmen; ich bin recht
zornig. Aber ich will verzeihen; doch Sie müssen in Person er-
scheinen und um Gnade bitten; heute Abend, Schlag acht, er-
warte ich Sie, und Sie werden mit mir zu ihr gehen. Wenn
Sie nicht kommen, so kann ich Jhnen nicht das sagen, was Jhnen
Freude macht. Danach also richte man sich."

Dies Billet erstaunte mich. Was bedeutet dieses Zürnen,
dieses Verzeihen? Was soll ich erfahren? Etwa, daß sie hei-
rathet? Oder wäre Sie gar eitel? Nein, das nicht. Also
Geduld.

Nach dem Frühstück begab ich mich mit Freund Eugen und
einem Arzte, den er kannte, in das Krankenhaus, oder vielmehr
den Kranken palast unseres Stadtviertels.

Jch war entzückt.

Aber ich muß zuvor erzählen, was mir Korilla zu sagen
hatte.

-- Kommen Sie nur her, rief sie mich am Arme nehmend,
ich will Jhnen mein Glück mittheilen. Sie wissen, mein Bruder
liebt Dina; er ist außer sich, der arme Junge. Uebrigens der
Wahrheit ihr Recht: Dina ist reizend, liebenswerth, anbetungs-
würdig; was ich eigentlich demjenigen nicht zu versichern brauche,
der gleich anfangs ihre Stimme "himmlisch" und ihr Gesicht
"engelartig" fand; mein werther Herr Engländer. Dieser weib-
liche Engel hat nur einen Fehler; sie ist zu schön, und ist ängst-
lich mit braven Leuten, die ihr noch etwas fremd sind.

-- Und Dina liebt Walmor'n? -- frug ich.

-- Und weshalb denn nicht? rief Korilla. Was haben Sie
an meinem Bruder auszusetzen? Er ist gebildet, geachtet, hübsch,
edel; Bruder ihrer besten Freundin, Freund ihres Bruders; das
Pärchen ist zusammen erzogen, so zu sagen. Das wäre schlimm,
liebte sie ihn nicht. -- Uebrigens gestehe ich, sie schien eine ab-
scheuliche Schüchternheit zu hegen, es sah wahrlich aus, als fliehe
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 224
[Beginn Spaltensatz] der europäischen, oder überhaupt der Geldprofessionen sind durch
unser ikarisches Jndustriewesen völligst gehoben, alle Vortheile
bewahrt und vermehrt. Wir haben auf diese einfache Manier
stets Arbeitende, so viel wir brauchen, stets am rechten Ort, nie
zu viele, nie zu wenige; haben keine Plage mit Privatwerkstät-
ten, die den Hansbewohnern lästig würden; keine Privatläden;
keine Commerzbillete, keine Bankerotte, keine gezwungene Ausver-
käufe. Unsere Häuser sind somit lediglich zur Beherbergung der
Familie bestimmt; unsere Nationalwerkhäuser sind nützlich und
sind schön gebaut, so daß sie zur Verschönerung der Stadt bei-
tragen. Bei uns kommen heute keine jener uralten Schlechtig-
keiten mehr vor, die darin z. B. bestanden, daß der Schlosser
im neuen Hause das Holz der Thür, die Farbe u. s. w. ver-
darb, um dem Maler und dem Tischler abermals etwas zu ver-
dienen zu geben; auch kann bei uns weder zu rasch, noch zu
langsam gearbeitet werden, da jeder Mitarbeitende gleichsam für
sich und die Seinigen das in Rede stehende Stück arbeitet.
Jeder unserer Bürger, der Handwerker ist, trägt somit das un-
auslöschliche Bewußtsein der Würde und betrachtet. sein Geschäft
als öffentliches, als Staatsamt, gerade so wie jeder ikarische
Beamte sein Amt als ein Gewerbe, eine Arbeit anzusehen gelernt
hat. Und ich versichere Jhnen, Freund William, die Jkarier
stehen sich gut bei dieser Einrichtung.

Oder däucht Jhnen vielleicht unsere scharfe, regelrechte Zeit-
eintheilung, unsere reine, klare, unverwirrbare Ordnung ein
schlechtes Ding? Glauben Sie etwa, wir langweilten uns, oder
verdummten, wenn wir um fünf aufstehen? um sechs die Arbei-
tenden zur Werlstatt fahren? Um neun Uhr Frauen und Kinder?
von neun bis eins draußen arbeiten? und in den Schulen? um
halb zwei die Werkstättler sich in die Speisehäuser begeben? um
drei Mittag gespeist wird? von da ab bis neun die Leute auf
den Dächern, Promenaden, Straßen, in den Gärten, öffentlichen
Versammlungsräumen, Vorlesungshallen, Theatern u. s. w. wei-
len? um zehn Uhr schlafen gegangen wird und von da bis fünf
Uhr die Straßen leer sind? Meinen Sie, dieser Mangel an
Unordnung sei unangenehm für freie, gleiche Menschen?

Nein, erwiderte ich, das meine ich nicht, aber ich wundere
mich, daß man sich das tyrannische Gesetz, zu bestimmtem Glocken-
schlage zu Bett zu gehen, in dieser Republik gefallen läßt.

— Allerdings ist solch gesetz, sagte mein Begleiter, sehr ty-
rannisch, ist unerträglich, wenn es von einem Volksbedrücker aus-
geht; bedenken Sie jedoch, bester Freund, hier ist es vom Volke
selbst sich auferlegt worden, und zwar in der weisen Absicht,
Gesundheit und Arbeitsordnung dadurch zu wahren; daher
kommt's, daß kein Mensch sich dagegen empört; jeder sieht die
Zweckmäßigkeit vollkommen ein. Alle Abkömmlinge unserer ehe-
maligen Adelshäuser, fügte er lächelnd hinzu, sind jetzt ord-
nungsliebende Buchdrucker, arbeitsame Schreiner, Schuhmacher,
und sind zufriedener, als in jener bösen Zeit, da sie noch Her-
zöge, Grafen, Freiherren, Ritter u. dgl. sonstige Herrschaften
waren.

Mittlerweile hatten wir, zu meiner Freude, muß ich sagen,
( obschon die Berichte meines Begleiters interessant genug waren )
das Haus erreicht, wo ich Korilla zu treffen, und über die mich
so nah angehende Sache endlich kurz und gut auszuforschen
hoffte. Als wir hineintraten, war Dina's Mutter nebst der
ganzen Familie bereit, auszugehen. Schon glaubte ich, Korilla
werde, wie bisher, meinen Arm nehmen, aber heute nahm sie
den Arm des Professors, den sie über ein geschichtliches Ereigniß,
ich weiß nicht welches, befragen wollte; ich möge Dina führen,
meinte sie. Walmor ging mit Frau Diname, Dina's Mutter.
Jch ward fast bestürzt dadurch; ich bezwang indeß meine aufstei-
gende Lust, mich unter irgend einem Vorwande wegzuschleichen.
[Spaltenumbruch] Jch weiß nicht, wie es kam, daß meine Mißstimmung noch wuchs,
als ich neben Fräulein Dina ging, und ich glaubte zu bemerken,
daß auch sie ziemlich verlegen war. Sie schien sich geradehin
ein wenig zu langweilen; wir sprachen vom schönen Sommer,
von den Bäumen und Blumen, zuweilen verstummten wir auch
gänzlich, endlich brachte ich das Gespräch auf Walmor, dem ich
aufrichtig Lob spendete; sie hörte dieses gern und sagte, ich hätte
nicht unrecht. Jhrerseits lobte sie mir sehr Fräulein Korilla und
sagte, das sei ihre beste Freundin; sie verdiene recht glücklich zu
werden; was denn auch bald geschehe, denn Korilla werde näch-
stens mit einem Freunde ihres Bruders, der dieser Tage an-
komme, sich verheirathen.

Jch war unangenehm betroffen. Jch konnte nicht umhin,
zu rufen: Also Korilla verheirathet sich? — Worauf Dina
gleichfalls etwas betroffen sagte: Jch dachte, Sie wüßten es
längst. —

Jch konnte mich nicht wieder sammeln; nun wußte ich aller-
dings durch Zufall, wonach ich Korilla hatte fragen wollen.
Aber ich war trotzdem, daß ich jetzt Bestimmtheit hatte, nicht
froh; solch seltsames Wesen ist das Herz. Jch versank in Träu-
merei, und die melodische Stimme Dina's vermochte kaum, mich
da heraus zu ziehen. Nachdem ich meine holde Begleiterin
wieder heimgebracht, sand ich schnell eine Ausrede, und eilte
nach Hause.



Dreizehntes Kapitel.

Gesundheitszustand. — Aerzte. — Hospitäler.

„ So? das ist doch nicht sehr schön von Jhnen, William;
Sie lassen uns im Stich, um Dina zurückzuführen, und Sie
kommen nicht einmal, von mir Abschied zu nehmen; ich bin recht
zornig. Aber ich will verzeihen; doch Sie müssen in Person er-
scheinen und um Gnade bitten; heute Abend, Schlag acht, er-
warte ich Sie, und Sie werden mit mir zu ihr gehen. Wenn
Sie nicht kommen, so kann ich Jhnen nicht das sagen, was Jhnen
Freude macht. Danach also richte man sich.“

Dies Billet erstaunte mich. Was bedeutet dieses Zürnen,
dieses Verzeihen? Was soll ich erfahren? Etwa, daß sie hei-
rathet? Oder wäre Sie gar eitel? Nein, das nicht. Also
Geduld.

Nach dem Frühstück begab ich mich mit Freund Eugen und
einem Arzte, den er kannte, in das Krankenhaus, oder vielmehr
den Kranken palast unseres Stadtviertels.

Jch war entzückt.

Aber ich muß zuvor erzählen, was mir Korilla zu sagen
hatte.

— Kommen Sie nur her, rief sie mich am Arme nehmend,
ich will Jhnen mein Glück mittheilen. Sie wissen, mein Bruder
liebt Dina; er ist außer sich, der arme Junge. Uebrigens der
Wahrheit ihr Recht: Dina ist reizend, liebenswerth, anbetungs-
würdig; was ich eigentlich demjenigen nicht zu versichern brauche,
der gleich anfangs ihre Stimme „himmlisch“ und ihr Gesicht
„engelartig“ fand; mein werther Herr Engländer. Dieser weib-
liche Engel hat nur einen Fehler; sie ist zu schön, und ist ängst-
lich mit braven Leuten, die ihr noch etwas fremd sind.

— Und Dina liebt Walmor'n? — frug ich.

— Und weshalb denn nicht? rief Korilla. Was haben Sie
an meinem Bruder auszusetzen? Er ist gebildet, geachtet, hübsch,
edel; Bruder ihrer besten Freundin, Freund ihres Bruders; das
Pärchen ist zusammen erzogen, so zu sagen. Das wäre schlimm,
liebte sie ihn nicht. — Uebrigens gestehe ich, sie schien eine ab-
scheuliche Schüchternheit zu hegen, es sah wahrlich aus, als fliehe
[Ende Spaltensatz]

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Um neun Uhr Frauen und Kinder? von neun bis eins draußen arbeiten? und in den Schulen? um halb zwei die Werkstättler sich in die Speisehäuser begeben? um drei Mittag gespeist wird? von da ab bis neun die Leute auf den Dächern, Promenaden, Straßen, in den Gärten, öffentlichen Versammlungsräumen, Vorlesungshallen, Theatern u. s. w. wei- len? um zehn Uhr schlafen gegangen wird und von da bis fünf Uhr die Straßen leer sind? Meinen Sie, dieser Mangel an Unordnung sei unangenehm für freie, gleiche Menschen? Nein, erwiderte ich, das meine ich nicht, aber ich wundere mich, daß man sich das tyrannische Gesetz, zu bestimmtem Glocken- schlage zu Bett zu gehen, in dieser Republik gefallen läßt. — Allerdings ist solch gesetz, sagte mein Begleiter, sehr ty- rannisch, ist unerträglich, wenn es von einem Volksbedrücker aus- geht; bedenken Sie jedoch, bester Freund, hier ist es vom Volke selbst sich auferlegt worden, und zwar in der weisen Absicht, Gesundheit und Arbeitsordnung dadurch zu wahren; daher kommt's, daß kein Mensch sich dagegen empört; jeder sieht die Zweckmäßigkeit vollkommen ein. Alle Abkömmlinge unserer ehe- maligen Adelshäuser, fügte er lächelnd hinzu, sind jetzt ord- nungsliebende Buchdrucker, arbeitsame Schreiner, Schuhmacher, und sind zufriedener, als in jener bösen Zeit, da sie noch Her- zöge, Grafen, Freiherren, Ritter u. dgl. sonstige Herrschaften waren. Mittlerweile hatten wir, zu meiner Freude, muß ich sagen, ( obschon die Berichte meines Begleiters interessant genug waren ) das Haus erreicht, wo ich Korilla zu treffen, und über die mich so nah angehende Sache endlich kurz und gut auszuforschen hoffte. Als wir hineintraten, war Dina's Mutter nebst der ganzen Familie bereit, auszugehen. Schon glaubte ich, Korilla werde, wie bisher, meinen Arm nehmen, aber heute nahm sie den Arm des Professors, den sie über ein geschichtliches Ereigniß, ich weiß nicht welches, befragen wollte; ich möge Dina führen, meinte sie. Walmor ging mit Frau Diname, Dina's Mutter. Jch ward fast bestürzt dadurch; ich bezwang indeß meine aufstei- gende Lust, mich unter irgend einem Vorwande wegzuschleichen. Jch weiß nicht, wie es kam, daß meine Mißstimmung noch wuchs, als ich neben Fräulein Dina ging, und ich glaubte zu bemerken, daß auch sie ziemlich verlegen war. Sie schien sich geradehin ein wenig zu langweilen; wir sprachen vom schönen Sommer, von den Bäumen und Blumen, zuweilen verstummten wir auch gänzlich, endlich brachte ich das Gespräch auf Walmor, dem ich aufrichtig Lob spendete; sie hörte dieses gern und sagte, ich hätte nicht unrecht. Jhrerseits lobte sie mir sehr Fräulein Korilla und sagte, das sei ihre beste Freundin; sie verdiene recht glücklich zu werden; was denn auch bald geschehe, denn Korilla werde näch- stens mit einem Freunde ihres Bruders, der dieser Tage an- komme, sich verheirathen. Jch war unangenehm betroffen. Jch konnte nicht umhin, zu rufen: Also Korilla verheirathet sich? — Worauf Dina gleichfalls etwas betroffen sagte: Jch dachte, Sie wüßten es längst. — Jch konnte mich nicht wieder sammeln; nun wußte ich aller- dings durch Zufall, wonach ich Korilla hatte fragen wollen. Aber ich war trotzdem, daß ich jetzt Bestimmtheit hatte, nicht froh; solch seltsames Wesen ist das Herz. Jch versank in Träu- merei, und die melodische Stimme Dina's vermochte kaum, mich da heraus zu ziehen. Nachdem ich meine holde Begleiterin wieder heimgebracht, sand ich schnell eine Ausrede, und eilte nach Hause. Dreizehntes Kapitel. Gesundheitszustand. — Aerzte. — Hospitäler. „ So? das ist doch nicht sehr schön von Jhnen, William; Sie lassen uns im Stich, um Dina zurückzuführen, und Sie kommen nicht einmal, von mir Abschied zu nehmen; ich bin recht zornig. Aber ich will verzeihen; doch Sie müssen in Person er- scheinen und um Gnade bitten; heute Abend, Schlag acht, er- warte ich Sie, und Sie werden mit mir zu ihr gehen. Wenn Sie nicht kommen, so kann ich Jhnen nicht das sagen, was Jhnen Freude macht. Danach also richte man sich.“ Dies Billet erstaunte mich. Was bedeutet dieses Zürnen, dieses Verzeihen? Was soll ich erfahren? Etwa, daß sie hei- rathet? Oder wäre Sie gar eitel? Nein, das nicht. Also Geduld. Nach dem Frühstück begab ich mich mit Freund Eugen und einem Arzte, den er kannte, in das Krankenhaus, oder vielmehr den Kranken palast unseres Stadtviertels. Jch war entzückt. Aber ich muß zuvor erzählen, was mir Korilla zu sagen hatte. — Kommen Sie nur her, rief sie mich am Arme nehmend, ich will Jhnen mein Glück mittheilen. Sie wissen, mein Bruder liebt Dina; er ist außer sich, der arme Junge. Uebrigens der Wahrheit ihr Recht: Dina ist reizend, liebenswerth, anbetungs- würdig; was ich eigentlich demjenigen nicht zu versichern brauche, der gleich anfangs ihre Stimme „himmlisch“ und ihr Gesicht „engelartig“ fand; mein werther Herr Engländer. Dieser weib- liche Engel hat nur einen Fehler; sie ist zu schön, und ist ängst- lich mit braven Leuten, die ihr noch etwas fremd sind. — Und Dina liebt Walmor'n? — frug ich. — Und weshalb denn nicht? rief Korilla. Was haben Sie an meinem Bruder auszusetzen? Er ist gebildet, geachtet, hübsch, edel; Bruder ihrer besten Freundin, Freund ihres Bruders; das Pärchen ist zusammen erzogen, so zu sagen. Das wäre schlimm, liebte sie ihn nicht. — Uebrigens gestehe ich, sie schien eine ab- scheuliche Schüchternheit zu hegen, es sah wahrlich aus, als fliehe

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0901_1874/4>, abgerufen am 22.11.2024.