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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 220
[Beginn Spaltensatz] Ecke! Er ist es, er ist es und gar in Uniform! und mit dem Rufe:
mein Karl! eilte sie hinaus, während der Mann bedächtig folgte.

Das war ein Empfang! So freundlich, so herzlich, daß
der Jnfanterist, dem es galt, vor lauter Umarmungen und Fra-
gen gar nicht zu Worte kommen konnte.

Endlich begaben sich Alle in die geräumige Wohnstube.

-- Thomas, sagte der Meister launig, laß den Schwindel
heut ruhen und hol' mir Marien. Du weißt ja, wo sie jetzt
näht. Sag' ihr, sie solle sofort zu Hause kommen, Karl ist da.
Und Du, Alte, wandte er sich zur Meisterin, mach' uns was
zurecht!

-- Schon Alles gethan, sagte diese, indem sie den Tisch deckte.

Es war rührend, wie die zärtliche Mutter sich fortwährend
in ihrer Beschäftigung unterbrach, um sich alle Augenblicke nach
den Wünschen ihres Lieblings zu erkundigen.

-- Wie blaß und angegriffen Du aussiehst! sagte sie zu Karl.

-- Ja, der Dienst war in letzter Zeit besonders streng!
lautete die Antwort.

-- Hm -- fiel hier der Alte ein, welcher bis dahin nicht
das Geringste gesprochen und sich, wahrscheinlich um seine Rüh-
rung zu verbergen, mittelst einer langen Tabakspfeife in eine
dichte Dampfwolke gehüllt hatte, -- ich glaube, Du bist schon
vor drei Tagen -- --

-- Ganz recht, unterbrach der junge Soldat den Vater,
aber während dieser drei Tage gab es noch gewaltig viel zu
ordnen, die Abschiedsbesuche nahmen viel Zeit weg und dabei
konnten doch unmöglich die üblichen Abschiedsgläschen wegfallen.
Daher mag wohl mein leidendes Aussehen rühren. -- --

Während dieser mit etwas Verlegenheit gesprochenen Worte
öffnete sich die Thür und ein junges Mädchen, in dessen Antlitz
sich Schönheit und Unschuld harmonisch vereinigten, trat ein.

Es war Marie. Es bedurfte übrigens nur eines prüfenden
Blickes, um Marie und Karl als Geschwister zu erkennen; die
beiderseitige Begrüßung entsprach auch ganz diesem Verhältniß.

Die biedere Familie verlebte unter den heitersten Gesprächen
diesen Abend in ungetrübter Glückseligkeit und Neumann gestand
nachher oft, daß dies der letzte glückliche Tag seines Lebens ge-
wesen wäre.

Des anderen Tages, und zwar wieder am Abende, hatte
jener mit seinem Sohne eine zweite Unterredung, deren Jnhalt
von dem des gestrigen Gesprächs sich bedeutend unterschied.

Mutter und Tochter hatten sich in das Wohnzimmer zurück-
gezogen, der Lehrbube hatte auf dem Boden seine Schlummer-
stätte aufgesucht und der Vater und Sohn blieben allein in der
Werkstelle zurück.

Der Alte schien diesen Augenblick erwartet zu haben. Be-
dächtig nahm er aus der Dose eine Prise und begann nach dieser
Stärkung mit ernster Stimme:

-- Lieber Karl, ich bin nicht mehr so rüstig, wie früher.
Sechzig Jahre und mehr haben die Glieder steif gemacht und
meine morschen Knochen sind zu schwach, um den Körper noch
lange zu tragen. Jch fühl's, daß meine Kräfte täglich abnehmen,
weil ich immer weniger schaffe, kaum so viel, um uns zu ernähren,
und lange nicht genug, um unsere bedeutenden Schulden zu be-
zahlen. Wie wär' es also, wenn Du mein Handwerk über-
nähmst und mich damit von einem Theil meiner schwer drücken-
den Bürde befreitest?

Der Greis schwieg einige Augenblicke, und als keine Ant-
wort erfolgte, fuhr er fort:

-- Gnadenbrot verlange ich nicht, ebensowenig Marie. So
viel, wie wir bedürfen, so viel werden wir auch ver-
dienen. -- Es ist also mehr Deiner Mutter wegen, daß ich eine
solche Bitte an Dich richte. -- Wenn Du unschlüssig bist, fuhr
der Greis fort, als noch immer keine Entgegnung erfolgte, so
gebe ich Dir zu einer bestimmten Antwort Frist.

-- Das ist nicht nöthig! sagte jetzt Karl, die Hände fest
zusammenpressend; wozu Ausflüche suchen, wo Du die Wahrheit
doch einst erfahren mußt! Jch muß also gestehen, daß es mir
unmöglich ist, auf Dein Anerbieten einzugehen.

-- Unmöglich?!

[Spaltenumbruch]

-- Ja, ganz unmöglich, denn ich werde mich binnen kurzer
Zeit verheirathen.

-- Verheirathen? Du?

-- Ja -- ich. Wozu soll ich es verhehlen! Jch liebe ein
Mädchen. Jhr Vater ist Tischler. Jhr Mitgift besteht in Allem,
was zum Haushalt und zur Profession für den Anfang gehört.
Vielleicht steh' ich binnen kurzer Zeit auf eigenem Fuße.

Wie trotzig und änstlich zugleich diese Antworten auch klangen,
unterschied ein aufmerksames Ohr doch sofort einen hohen Grad
von Entschlossenheit darin und auch der Greis merkte sofort, daß
sie das Produkt sorgfältiger Ueberlegung wären und jeder Wider-
spruch vergeblich sei. Trotzdem versuchte er ihn. -- Zum min-
desten, sprach er, hast Du hierbei unbesonnen und leichtsinnig
gehandelt. Erst 24 Jahr alt, ohne Kapital, wirst Du mit Sor-
gen und Schulden Deine selbstständige Laufbahn beginnen müssen,
wirst in die Hände hartherziger Wucherer fallen und endlich
untergehen. Stets aber wird Dich das Bewußtsein peinigen,
daß Dein Unglück auch das Unglück Unschuldiger nach sich zog.

-- Das ist Alles wahr, ja, ja -- ich bekenne, ich habe
auch schon daran gedacht, aber leider erst dann, als es zu
spät war.

-- Zu spät? frug der Alte und den abscheulichen Doppel-
sinn dieser Worte nur zu wohl verstehend, brach sein lang ver-
haltener Unwille los.

-- Zu spät?! wiederholte er. Also so weit ist es mit Dir
gekommen? Das sind die Früchte meiner Warnungen und meiner
Lehren, daß Du von heute an unwiderruflich Deinen schwachen
Vater an die Hobelbank fesselst, daß er sein Lebensende statt in
heiß ersehnter Ruhe in Mühe und Sorge verbringen muß.
Wahrlich, es gäbe keinen Gott, wenn die Strafe bierfür aus-
bliebe und wenn auch eine Zeit lang dieser Frevel ungestraft
bleiben wird, so, verlaß Dich darauf, wird einst für Dich eine
Zeit kommen, welche die armseligen Vortheile, die Du Dir jetzt
erringst, vollkommen aufwiegt.

-- Was ich gethan, sagte Karl, ist das Werk sorgfältiger
Ueberlegung. Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen;
übrigens bin ich jetzt und war damals mein eigner Herr und
wußte als solcher, was ich zu thun und zu lassen hatte.

-- Auch ich weiß es, sagte Neumann. Daß Du wie ein
leichtsinniger Mensch handeltest, daß -- --

-- Darüber zu urtheilen, erlaube ich Niemandem.

-- Jst auch nicht nöthig, ich werde sprechen, was ich will.
Jch versichere Dir, es ist alles Wahrheit -- --

-- Jch will sie aber nicht hören! Wozu alles Geplapper?
Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern.

-- Aber ich will reden und Du mußt mich anhören! rief
der Greis heftig, und wer weiß, was jetzt geschehen wäre, wenn
nicht das Erscheinen der Frau Neumann die Erhitzten etwas be-
sänftigt hätte.

( Fortsetzung folgt. )



Liebesbriefe nach Elle und Gewicht.

Die Liebe macht nicht nur glücklich, sie verschafft auch mit-
unter lohnenden Erwerb. Jn Großward ein lebt ein gewandter
Geschäftsmann; er befaßt sich -- wie das dortige Lokalblatt
"Nagyvarad" schreibt -- mit dem Verfassen von Liebesbriefen
für solche, die wohl lieben, aber nicht schreiben können. Der
Mann ist mit Aufträgen überhäuft, hat wöchentlich bei 200
Aufträge zu besorgen, die ihm ein ganz hübsches Einkommen ab-
werfen. Der Preis wird sowohl nach der Länge, wie nach der
Qualität des Briefes bemessen. Ein "recht zu Herzen sprechen-
der " -- so lautet die Bezeichnung der höchsten Stilklasse --
Brief wird von den liebeglühenden Stubenkätzchen, Küchen-
prinzessinnen und Herrendienern, welche die Kunden des schreib-
kundigen Geschäftsmannes bilden, mitunter mit 50 kr. bezahlt.



[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 9. Lieferung. Nr. 1. 1. Die Concurrenz der Zuchthausarbeit. -- 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) -- 3. Ein
Dichter des Proletariats. -- 4. Eine Handwerkerfamilie. -- 5. Liebesbriefe nach Elle und Gewicht.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. -- Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

Zur Unterhaltung und Belehrung. 220
[Beginn Spaltensatz] Ecke! Er ist es, er ist es und gar in Uniform! und mit dem Rufe:
mein Karl! eilte sie hinaus, während der Mann bedächtig folgte.

Das war ein Empfang! So freundlich, so herzlich, daß
der Jnfanterist, dem es galt, vor lauter Umarmungen und Fra-
gen gar nicht zu Worte kommen konnte.

Endlich begaben sich Alle in die geräumige Wohnstube.

— Thomas, sagte der Meister launig, laß den Schwindel
heut ruhen und hol' mir Marien. Du weißt ja, wo sie jetzt
näht. Sag' ihr, sie solle sofort zu Hause kommen, Karl ist da.
Und Du, Alte, wandte er sich zur Meisterin, mach' uns was
zurecht!

— Schon Alles gethan, sagte diese, indem sie den Tisch deckte.

Es war rührend, wie die zärtliche Mutter sich fortwährend
in ihrer Beschäftigung unterbrach, um sich alle Augenblicke nach
den Wünschen ihres Lieblings zu erkundigen.

— Wie blaß und angegriffen Du aussiehst! sagte sie zu Karl.

— Ja, der Dienst war in letzter Zeit besonders streng!
lautete die Antwort.

— Hm — fiel hier der Alte ein, welcher bis dahin nicht
das Geringste gesprochen und sich, wahrscheinlich um seine Rüh-
rung zu verbergen, mittelst einer langen Tabakspfeife in eine
dichte Dampfwolke gehüllt hatte, — ich glaube, Du bist schon
vor drei Tagen — —

— Ganz recht, unterbrach der junge Soldat den Vater,
aber während dieser drei Tage gab es noch gewaltig viel zu
ordnen, die Abschiedsbesuche nahmen viel Zeit weg und dabei
konnten doch unmöglich die üblichen Abschiedsgläschen wegfallen.
Daher mag wohl mein leidendes Aussehen rühren. — —

Während dieser mit etwas Verlegenheit gesprochenen Worte
öffnete sich die Thür und ein junges Mädchen, in dessen Antlitz
sich Schönheit und Unschuld harmonisch vereinigten, trat ein.

Es war Marie. Es bedurfte übrigens nur eines prüfenden
Blickes, um Marie und Karl als Geschwister zu erkennen; die
beiderseitige Begrüßung entsprach auch ganz diesem Verhältniß.

Die biedere Familie verlebte unter den heitersten Gesprächen
diesen Abend in ungetrübter Glückseligkeit und Neumann gestand
nachher oft, daß dies der letzte glückliche Tag seines Lebens ge-
wesen wäre.

Des anderen Tages, und zwar wieder am Abende, hatte
jener mit seinem Sohne eine zweite Unterredung, deren Jnhalt
von dem des gestrigen Gesprächs sich bedeutend unterschied.

Mutter und Tochter hatten sich in das Wohnzimmer zurück-
gezogen, der Lehrbube hatte auf dem Boden seine Schlummer-
stätte aufgesucht und der Vater und Sohn blieben allein in der
Werkstelle zurück.

Der Alte schien diesen Augenblick erwartet zu haben. Be-
dächtig nahm er aus der Dose eine Prise und begann nach dieser
Stärkung mit ernster Stimme:

— Lieber Karl, ich bin nicht mehr so rüstig, wie früher.
Sechzig Jahre und mehr haben die Glieder steif gemacht und
meine morschen Knochen sind zu schwach, um den Körper noch
lange zu tragen. Jch fühl's, daß meine Kräfte täglich abnehmen,
weil ich immer weniger schaffe, kaum so viel, um uns zu ernähren,
und lange nicht genug, um unsere bedeutenden Schulden zu be-
zahlen. Wie wär' es also, wenn Du mein Handwerk über-
nähmst und mich damit von einem Theil meiner schwer drücken-
den Bürde befreitest?

Der Greis schwieg einige Augenblicke, und als keine Ant-
wort erfolgte, fuhr er fort:

— Gnadenbrot verlange ich nicht, ebensowenig Marie. So
viel, wie wir bedürfen, so viel werden wir auch ver-
dienen. — Es ist also mehr Deiner Mutter wegen, daß ich eine
solche Bitte an Dich richte. — Wenn Du unschlüssig bist, fuhr
der Greis fort, als noch immer keine Entgegnung erfolgte, so
gebe ich Dir zu einer bestimmten Antwort Frist.

— Das ist nicht nöthig! sagte jetzt Karl, die Hände fest
zusammenpressend; wozu Ausflüche suchen, wo Du die Wahrheit
doch einst erfahren mußt! Jch muß also gestehen, daß es mir
unmöglich ist, auf Dein Anerbieten einzugehen.

— Unmöglich?!

[Spaltenumbruch]

— Ja, ganz unmöglich, denn ich werde mich binnen kurzer
Zeit verheirathen.

— Verheirathen? Du?

— Ja — ich. Wozu soll ich es verhehlen! Jch liebe ein
Mädchen. Jhr Vater ist Tischler. Jhr Mitgift besteht in Allem,
was zum Haushalt und zur Profession für den Anfang gehört.
Vielleicht steh' ich binnen kurzer Zeit auf eigenem Fuße.

Wie trotzig und änstlich zugleich diese Antworten auch klangen,
unterschied ein aufmerksames Ohr doch sofort einen hohen Grad
von Entschlossenheit darin und auch der Greis merkte sofort, daß
sie das Produkt sorgfältiger Ueberlegung wären und jeder Wider-
spruch vergeblich sei. Trotzdem versuchte er ihn. — Zum min-
desten, sprach er, hast Du hierbei unbesonnen und leichtsinnig
gehandelt. Erst 24 Jahr alt, ohne Kapital, wirst Du mit Sor-
gen und Schulden Deine selbstständige Laufbahn beginnen müssen,
wirst in die Hände hartherziger Wucherer fallen und endlich
untergehen. Stets aber wird Dich das Bewußtsein peinigen,
daß Dein Unglück auch das Unglück Unschuldiger nach sich zog.

— Das ist Alles wahr, ja, ja — ich bekenne, ich habe
auch schon daran gedacht, aber leider erst dann, als es zu
spät war.

— Zu spät? frug der Alte und den abscheulichen Doppel-
sinn dieser Worte nur zu wohl verstehend, brach sein lang ver-
haltener Unwille los.

— Zu spät?! wiederholte er. Also so weit ist es mit Dir
gekommen? Das sind die Früchte meiner Warnungen und meiner
Lehren, daß Du von heute an unwiderruflich Deinen schwachen
Vater an die Hobelbank fesselst, daß er sein Lebensende statt in
heiß ersehnter Ruhe in Mühe und Sorge verbringen muß.
Wahrlich, es gäbe keinen Gott, wenn die Strafe bierfür aus-
bliebe und wenn auch eine Zeit lang dieser Frevel ungestraft
bleiben wird, so, verlaß Dich darauf, wird einst für Dich eine
Zeit kommen, welche die armseligen Vortheile, die Du Dir jetzt
erringst, vollkommen aufwiegt.

— Was ich gethan, sagte Karl, ist das Werk sorgfältiger
Ueberlegung. Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen;
übrigens bin ich jetzt und war damals mein eigner Herr und
wußte als solcher, was ich zu thun und zu lassen hatte.

— Auch ich weiß es, sagte Neumann. Daß Du wie ein
leichtsinniger Mensch handeltest, daß — —

— Darüber zu urtheilen, erlaube ich Niemandem.

— Jst auch nicht nöthig, ich werde sprechen, was ich will.
Jch versichere Dir, es ist alles Wahrheit — —

— Jch will sie aber nicht hören! Wozu alles Geplapper?
Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern.

— Aber ich will reden und Du mußt mich anhören! rief
der Greis heftig, und wer weiß, was jetzt geschehen wäre, wenn
nicht das Erscheinen der Frau Neumann die Erhitzten etwas be-
sänftigt hätte.

( Fortsetzung folgt. )



Liebesbriefe nach Elle und Gewicht.

Die Liebe macht nicht nur glücklich, sie verschafft auch mit-
unter lohnenden Erwerb. Jn Großward ein lebt ein gewandter
Geschäftsmann; er befaßt sich — wie das dortige Lokalblatt
„Nagyvarad“ schreibt — mit dem Verfassen von Liebesbriefen
für solche, die wohl lieben, aber nicht schreiben können. Der
Mann ist mit Aufträgen überhäuft, hat wöchentlich bei 200
Aufträge zu besorgen, die ihm ein ganz hübsches Einkommen ab-
werfen. Der Preis wird sowohl nach der Länge, wie nach der
Qualität des Briefes bemessen. Ein „recht zu Herzen sprechen-
der “ — so lautet die Bezeichnung der höchsten Stilklasse —
Brief wird von den liebeglühenden Stubenkätzchen, Küchen-
prinzessinnen und Herrendienern, welche die Kunden des schreib-
kundigen Geschäftsmannes bilden, mitunter mit 50 kr. bezahlt.



[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 9. Lieferung. Nr. 1. 1. Die Concurrenz der Zuchthausarbeit. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Ein
Dichter des Proletariats. — 4. Eine Handwerkerfamilie. — 5. Liebesbriefe nach Elle und Gewicht.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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[220/0008] Zur Unterhaltung und Belehrung. 220 Ecke! Er ist es, er ist es und gar in Uniform! und mit dem Rufe: mein Karl! eilte sie hinaus, während der Mann bedächtig folgte. Das war ein Empfang! So freundlich, so herzlich, daß der Jnfanterist, dem es galt, vor lauter Umarmungen und Fra- gen gar nicht zu Worte kommen konnte. Endlich begaben sich Alle in die geräumige Wohnstube. — Thomas, sagte der Meister launig, laß den Schwindel heut ruhen und hol' mir Marien. Du weißt ja, wo sie jetzt näht. Sag' ihr, sie solle sofort zu Hause kommen, Karl ist da. Und Du, Alte, wandte er sich zur Meisterin, mach' uns was zurecht! — Schon Alles gethan, sagte diese, indem sie den Tisch deckte. Es war rührend, wie die zärtliche Mutter sich fortwährend in ihrer Beschäftigung unterbrach, um sich alle Augenblicke nach den Wünschen ihres Lieblings zu erkundigen. — Wie blaß und angegriffen Du aussiehst! sagte sie zu Karl. — Ja, der Dienst war in letzter Zeit besonders streng! lautete die Antwort. — Hm — fiel hier der Alte ein, welcher bis dahin nicht das Geringste gesprochen und sich, wahrscheinlich um seine Rüh- rung zu verbergen, mittelst einer langen Tabakspfeife in eine dichte Dampfwolke gehüllt hatte, — ich glaube, Du bist schon vor drei Tagen — — — Ganz recht, unterbrach der junge Soldat den Vater, aber während dieser drei Tage gab es noch gewaltig viel zu ordnen, die Abschiedsbesuche nahmen viel Zeit weg und dabei konnten doch unmöglich die üblichen Abschiedsgläschen wegfallen. Daher mag wohl mein leidendes Aussehen rühren. — — Während dieser mit etwas Verlegenheit gesprochenen Worte öffnete sich die Thür und ein junges Mädchen, in dessen Antlitz sich Schönheit und Unschuld harmonisch vereinigten, trat ein. Es war Marie. Es bedurfte übrigens nur eines prüfenden Blickes, um Marie und Karl als Geschwister zu erkennen; die beiderseitige Begrüßung entsprach auch ganz diesem Verhältniß. Die biedere Familie verlebte unter den heitersten Gesprächen diesen Abend in ungetrübter Glückseligkeit und Neumann gestand nachher oft, daß dies der letzte glückliche Tag seines Lebens ge- wesen wäre. Des anderen Tages, und zwar wieder am Abende, hatte jener mit seinem Sohne eine zweite Unterredung, deren Jnhalt von dem des gestrigen Gesprächs sich bedeutend unterschied. Mutter und Tochter hatten sich in das Wohnzimmer zurück- gezogen, der Lehrbube hatte auf dem Boden seine Schlummer- stätte aufgesucht und der Vater und Sohn blieben allein in der Werkstelle zurück. Der Alte schien diesen Augenblick erwartet zu haben. Be- dächtig nahm er aus der Dose eine Prise und begann nach dieser Stärkung mit ernster Stimme: — Lieber Karl, ich bin nicht mehr so rüstig, wie früher. Sechzig Jahre und mehr haben die Glieder steif gemacht und meine morschen Knochen sind zu schwach, um den Körper noch lange zu tragen. Jch fühl's, daß meine Kräfte täglich abnehmen, weil ich immer weniger schaffe, kaum so viel, um uns zu ernähren, und lange nicht genug, um unsere bedeutenden Schulden zu be- zahlen. Wie wär' es also, wenn Du mein Handwerk über- nähmst und mich damit von einem Theil meiner schwer drücken- den Bürde befreitest? Der Greis schwieg einige Augenblicke, und als keine Ant- wort erfolgte, fuhr er fort: — Gnadenbrot verlange ich nicht, ebensowenig Marie. So viel, wie wir bedürfen, so viel werden wir auch ver- dienen. — Es ist also mehr Deiner Mutter wegen, daß ich eine solche Bitte an Dich richte. — Wenn Du unschlüssig bist, fuhr der Greis fort, als noch immer keine Entgegnung erfolgte, so gebe ich Dir zu einer bestimmten Antwort Frist. — Das ist nicht nöthig! sagte jetzt Karl, die Hände fest zusammenpressend; wozu Ausflüche suchen, wo Du die Wahrheit doch einst erfahren mußt! Jch muß also gestehen, daß es mir unmöglich ist, auf Dein Anerbieten einzugehen. — Unmöglich?! — Ja, ganz unmöglich, denn ich werde mich binnen kurzer Zeit verheirathen. — Verheirathen? Du? — Ja — ich. Wozu soll ich es verhehlen! Jch liebe ein Mädchen. Jhr Vater ist Tischler. Jhr Mitgift besteht in Allem, was zum Haushalt und zur Profession für den Anfang gehört. Vielleicht steh' ich binnen kurzer Zeit auf eigenem Fuße. Wie trotzig und änstlich zugleich diese Antworten auch klangen, unterschied ein aufmerksames Ohr doch sofort einen hohen Grad von Entschlossenheit darin und auch der Greis merkte sofort, daß sie das Produkt sorgfältiger Ueberlegung wären und jeder Wider- spruch vergeblich sei. Trotzdem versuchte er ihn. — Zum min- desten, sprach er, hast Du hierbei unbesonnen und leichtsinnig gehandelt. Erst 24 Jahr alt, ohne Kapital, wirst Du mit Sor- gen und Schulden Deine selbstständige Laufbahn beginnen müssen, wirst in die Hände hartherziger Wucherer fallen und endlich untergehen. Stets aber wird Dich das Bewußtsein peinigen, daß Dein Unglück auch das Unglück Unschuldiger nach sich zog. — Das ist Alles wahr, ja, ja — ich bekenne, ich habe auch schon daran gedacht, aber leider erst dann, als es zu spät war. — Zu spät? frug der Alte und den abscheulichen Doppel- sinn dieser Worte nur zu wohl verstehend, brach sein lang ver- haltener Unwille los. — Zu spät?! wiederholte er. Also so weit ist es mit Dir gekommen? Das sind die Früchte meiner Warnungen und meiner Lehren, daß Du von heute an unwiderruflich Deinen schwachen Vater an die Hobelbank fesselst, daß er sein Lebensende statt in heiß ersehnter Ruhe in Mühe und Sorge verbringen muß. Wahrlich, es gäbe keinen Gott, wenn die Strafe bierfür aus- bliebe und wenn auch eine Zeit lang dieser Frevel ungestraft bleiben wird, so, verlaß Dich darauf, wird einst für Dich eine Zeit kommen, welche die armseligen Vortheile, die Du Dir jetzt erringst, vollkommen aufwiegt. — Was ich gethan, sagte Karl, ist das Werk sorgfältiger Ueberlegung. Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen; übrigens bin ich jetzt und war damals mein eigner Herr und wußte als solcher, was ich zu thun und zu lassen hatte. — Auch ich weiß es, sagte Neumann. Daß Du wie ein leichtsinniger Mensch handeltest, daß — — — Darüber zu urtheilen, erlaube ich Niemandem. — Jst auch nicht nöthig, ich werde sprechen, was ich will. Jch versichere Dir, es ist alles Wahrheit — — — Jch will sie aber nicht hören! Wozu alles Geplapper? Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern. — Aber ich will reden und Du mußt mich anhören! rief der Greis heftig, und wer weiß, was jetzt geschehen wäre, wenn nicht das Erscheinen der Frau Neumann die Erhitzten etwas be- sänftigt hätte. ( Fortsetzung folgt. ) Liebesbriefe nach Elle und Gewicht. Die Liebe macht nicht nur glücklich, sie verschafft auch mit- unter lohnenden Erwerb. Jn Großward ein lebt ein gewandter Geschäftsmann; er befaßt sich — wie das dortige Lokalblatt „Nagyvarad“ schreibt — mit dem Verfassen von Liebesbriefen für solche, die wohl lieben, aber nicht schreiben können. Der Mann ist mit Aufträgen überhäuft, hat wöchentlich bei 200 Aufträge zu besorgen, die ihm ein ganz hübsches Einkommen ab- werfen. Der Preis wird sowohl nach der Länge, wie nach der Qualität des Briefes bemessen. Ein „recht zu Herzen sprechen- der “ — so lautet die Bezeichnung der höchsten Stilklasse — Brief wird von den liebeglühenden Stubenkätzchen, Küchen- prinzessinnen und Herrendienern, welche die Kunden des schreib- kundigen Geschäftsmannes bilden, mitunter mit 50 kr. bezahlt. Jnhalt der 9. Lieferung. Nr. 1. 1. Die Concurrenz der Zuchthausarbeit. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Ein Dichter des Proletariats. — 4. Eine Handwerkerfamilie. — 5. Liebesbriefe nach Elle und Gewicht. Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0805_1874/8>, abgerufen am 23.11.2024.