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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 8. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 195
[Beginn Spaltensatz]

Doch schon hat der Herr Graf in den Glockenzug gerissen.
Diener stürzten herein....

-- Werft diesen unverschämten Menschen -- diesen Wahn-
sinnigen hinaus, und sagt dem Portier, er solle ihn verhaften
lassen, sobald er es wagt, wiederzukehren.

-- Coignard, Du siehst Deinen Bagno=Bruder Darius
wieder -- und auch das Bagno von Toulon!

Der Minister des Jnnern, Herzog von Decazes, geht in
großer Aufregung in seinem Cabinet auf und ab.. -- Unmög-
lich! -- Welcher Skandal! Der -- der Graf Pontis de St.
H e l e ne hat erst gestern Abend mit der Herzogin von Decazes
iu den Tuilerien eine Quadrille getanzt und heute... Nein,
Jhr seid verrückt, guter Freund!

-- Jch bitte den Herrn Herzog nur, mich dem lieben Grafen
gegenüberzustellen. Jch werde dem Biedermanne da einige schöne
Geschichtchen in's Gesicht sagen, daß ihm gelb und roth und
grün vor Augen werden soll, wie eitel Jacken und Hosen und
Kappen im Bagno zu Toulon. Und dann bitte ich Excellenz,
auf das nervöse Zucken seines Mundes und seiner Nase zu achten.
Das hat die famose Galeerenpeitsche dem Galeerensträfling
Coigrard beigebracht und ich habe mit Vergnügen gesehen, daß
der Herr Graf Pontis es noch nicht ganz verlernt hat. Jm
Uebrigen findet der Herr Herzog im Bagno zu Toulon noch so
manchen wackeren alten Burschen, der den Coignard an der Kette
gekannt hat -- und auch Meister Duport, der die Peitsche so
lustig handhabt und den armen Coignard besonders gern damit
tractirte, weil ihm dessen Gesichterschneiden so viel Spaß machte,
lebt noch und wird mit Vergnügen die Wahrheit meiner Worte
bezeugen...

-- Die Sache soll untersucht werden. Jhr bleibt vorläufig
in meinem Hotel unter der Aufsicht zweier Gendarmen. Aber
wehe Euch, wenn ein Wort von diesen Geschichten über Eure
Lippen kommt, bis ich zurückkehre.

Der Minister fährt sogleich in die Tuilerien, um dem Könige
über diese Angelegenheit Vortrag zu halten und seine Befehle zu
erbitten. Der lustige dicke achtzehnte Ludwig lacht seinen Minister
erst tüchtig aus -- wird aber bei der näheren Erzählung doch
ernsthaft und nachdenklich und stimmt dem Herzog von Decazes
schließlich ganz kleinlaut bei, daß eine discrete Untersuchung der
Angelegenheit unvermeidlich sei. -- Aber ganz im Geheimen,
mein Herr Herzog, und ohne alles Aufsehen. Wir wollen
wenistens vor der Welt den Skandal nicht haben, daß ein König
von Frankreich einem Galeerensklaven die Hand gedrückt und
ihm in Anerkernung seiner Verdienste die Ehrenlegion und das
Ludwigkreuz verliehen hat...

Der Herzog von Decazes mochte mit dieser fatalen Ange-
legenheit auch nicht gern viel zu schaffen haben und betrachtet sie
zunächst als eine streng militärische. Er schickte Mr. Darius in
Gesellschaft der beiden Gendarmen und eines Billets zum Ge-
neral Despinoy, bittet ihn, sich von dem beigefügten Jndividuum
den ganzen Casus ausführlich erzählen zu lassen und dann
säuberlich zu untersuchen -- ganz geheim und ohne alles Auf-
sehen -- par ordre de Roi!

Der General, ein alter ehrlicher Soldat und wackerer Hau-
degen, ist wüthend, daß ihm in seiner lieben 72. Division so
etwas passiren muß. Er sperrt Mr. Darius mit den Gensd'armen
in's Nebenzimmer und läßt sogleich den Oberstlieutenant Grafen
Pontis durch einen Ordonanzofficier zu sich rufen -- in dienst-
lichen Angelegenheiten.

Jn voller Paradeuniform, geschückt mit allen seinen Orden
und in größter Unbefangenheit tritt der Herr Graf ein: -- Sie
befehlen, mein General?

-- Jch befehle, daß der Galeerensträfling Peter Coignard
seine fluchwürdige Maske von sich werfe und mir die volle Wahr-
heit sage...

-- Jch verstehe Sie nicht, mein General. Wollen Sie die
Güte haben, sich deutlicher zu erklären...

-- Schurke! dieser hier wird Dir die Erinnerung an das
Bagno von Toulon am Besten zurückrufen...

Der General reißt die Thür auf und der entlassene Ga-
leerensträfling Darius steht mit höhnischem Lächeln dem reich be-
sternten Oberstlieutenant gegenüber: -- Mein ehrlicher Peter
Coignard, ich hab's Dir ja gesagt, daß wir uns bald wiedersehen
würden. Glück auf zur Galeere und grüße mir alle alten Freunde
in Toulon...

-- Mein General, dieser Mensch ist wahnsinnig. Er hat
mich schon in meinem Hause mit seiner fixen Jdee belästigt und
[Spaltenumbruch] ich bedaure aufrichtig, daß ich nicht sogleich für seine Aufnahme
in eine Heilanstalt Sorge getragen habe. Daß aber Sie, mein
General, einem Jrrsinnigen Glauben zu schenken scheinen und
ihm sogar gestatten, einen königlichen Offizier der 72. Division
in Jhrem eigenen Hause zu schmähen -- das zwingt mich, den
König um Schutz für meine Ehre anzuflehen...

-- Auf Befehl des Königs sind Sie hier, um mit diesem
alten Kameraden aus dem Bagno confrontirt zu werden.

-- Sehen Sie, mein General, wie seine Lippen und seine
Nase zucken? Habe ich Jhnen dies untrügliche Bagno=Zeichen
nicht vorhergesagt? -- Und Du, alter Junge, sträube Dich nicht
länger, alles Zappeln nutzt jetzt nichts mehr. Das Bagno und
die Kette und die Peitsche und die grüne Mütze und der gelbe
Aermel an der rothen Jacke -- Du hast doch nicht am Ende
dies Ehrenzeichen für den zweiten Besuch im Bagno auch schon
vergessen, wie Deinen unzertrennlichen Kettenbruder Darius? --
sind Dir sicher...

-- Mein General! Sie werden begreifen, daß Graf Pontis
de St. H e l e ne es verschmäht, einem Wahnsinnigen oder einem
Verbrecher auf solche gemeine Anschuldigungen zu antworten.
Glauben Sie diesem Vagabonden mehr, als einem ehrenhaften
Offizier Jhrer Division -- nun gut, so stellen Sie mich vor's
Kriegsgericht und ich werde mit Vergnügen Rede und Antwort
stehen. Aber bedenken Sie, Herr General, welche Verantwortung
Sie dadurch auf sich nehmen und daß man nicht ungestraft einen
Skandal in die Oeffentlichkeit zerrt. Meine Freisprechung ist
Jhre Verdammung. Jch bitte Sie daher, zunächst Jhnen meine
sämmtlichen Papiere vorlegen zu dürfen -- und wenn Sie nach
deren Prüfung auch nur den leisesten Zweifel an meiner Person
und an meinem Namen haben, so übergeben Sie mich dem
Kriegsgericht!

Diese Ruhe, diese Zuversicht und diese Würde imponicen
dem General. Er wird fast irre an den so bestimmten und
detaillirten Anschuldigungen des entlassenen Sträflings Darius.
Aber er ist ein vorsichtiger Mann, er giebt dem Grafen einen
Ordonnanzoffizier und zwei Gendarmen als Bedeckung mit in
sein Hotel, um jene Papiere zu holen. Er befiehlt dem Ordon-
nanzoffizier die strengste Discretion, das Vermeiden jedes Auf-
sehens -- aber auch zugleich die größte Wachsamkeit.

Graf Pontis unterhält sich auf dem Wege zu seinem Hotel
sehr heiter und liebenswürdig mit dem braven Kameraden, der
ihm da als Gefangenwächter beigegeben sei. Er scherzt über die
tolle Laune des Zufalls, daß man einen Grafen Pontis de St.
H e l e ne mit einem entsprungenen Galeerensträfling auch nur eine
Sekunde lang verwechseln könne... Jn seinem Hotel theilt
er selber dies närrische Abenteuer der Frau Gräfin lachend mit.
Auch sie lachte über diesen neuen pikanten Stoff für die chronique
scandalense
der eleganten Pariser Salons -- wenn auch mit
etwas blassen, zitternden Lippen. Man plaudert noch dies und
das über die närrische Geschichte. Man raucht eine Cigarre mit-
einander und trinkt eine Flasche feurigen spanischen Wein...
-- Mon Dieu! da hätte ich ja fast vergessen, daß der gute Ge-
neral mich und meine Papiere gewiß schon schmerzlich erwartet.
Sie liegen in meinem Arbeitscabinet nebenan. Jn einer Minute
bin ich wieder hier, mein Herr Kamerad und Galeerensträfling-
wächter -- ha! ha! ha!

Nein! es wäre gar zu brüsque, dieser charmanten Gräfin
wegen einer lächerlichen leeren Dienstform mitten aus der liebens-
würdigsten Conversation davonzulaufen, um ihrem Gemahl beim
Durchsuchen seiner Papiere auf die Finger zu sehen. Jm Uebrigen
behalte ich ja die Thür des Cabinets im Auge, ich höre sogar
das Oeffnen und Schließen der Schreibtischschiebladen und zum
Ueberfluß halten meine beiden Gendarmen als Cerberusse die
Thür des Hotels bewacht... Parbleu! die Gräfin ist ent-
zückend, die Cigarre deliciös und der Wein verteufelt ange-
nehm... Aber die Minute dauerte verdammt lange...
Morbleu! der Graf sucht nun fast seit einer Stunde nach seinen
Papieren da drinnen und mein General flucht mir sicher längst
zehn Tausend Millionen reitende Teufel auf den Nacken...
-- Frau Gräfin, Jhr Herr Gemahl bleibt lange fort. Es wird
ihm doch nichts zugestoßen sein? Gestatten Sie gnädigst, daß ich
mich von dem Wohlbefinden des Herrn Grafen überzeuge....

( Schluß folgt )



[Ende Spaltensatz]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 195
[Beginn Spaltensatz]

Doch schon hat der Herr Graf in den Glockenzug gerissen.
Diener stürzten herein....

— Werft diesen unverschämten Menschen — diesen Wahn-
sinnigen hinaus, und sagt dem Portier, er solle ihn verhaften
lassen, sobald er es wagt, wiederzukehren.

— Coignard, Du siehst Deinen Bagno=Bruder Darius
wieder — und auch das Bagno von Toulon!

Der Minister des Jnnern, Herzog von Decazes, geht in
großer Aufregung in seinem Cabinet auf und ab.. — Unmög-
lich! — Welcher Skandal! Der — der Graf Pontis de St.
H é l è ne hat erst gestern Abend mit der Herzogin von Decazes
iu den Tuilerien eine Quadrille getanzt und heute... Nein,
Jhr seid verrückt, guter Freund!

— Jch bitte den Herrn Herzog nur, mich dem lieben Grafen
gegenüberzustellen. Jch werde dem Biedermanne da einige schöne
Geschichtchen in's Gesicht sagen, daß ihm gelb und roth und
grün vor Augen werden soll, wie eitel Jacken und Hosen und
Kappen im Bagno zu Toulon. Und dann bitte ich Excellenz,
auf das nervöse Zucken seines Mundes und seiner Nase zu achten.
Das hat die famose Galeerenpeitsche dem Galeerensträfling
Coigrard beigebracht und ich habe mit Vergnügen gesehen, daß
der Herr Graf Pontis es noch nicht ganz verlernt hat. Jm
Uebrigen findet der Herr Herzog im Bagno zu Toulon noch so
manchen wackeren alten Burschen, der den Coignard an der Kette
gekannt hat — und auch Meister Duport, der die Peitsche so
lustig handhabt und den armen Coignard besonders gern damit
tractirte, weil ihm dessen Gesichterschneiden so viel Spaß machte,
lebt noch und wird mit Vergnügen die Wahrheit meiner Worte
bezeugen...

— Die Sache soll untersucht werden. Jhr bleibt vorläufig
in meinem Hotel unter der Aufsicht zweier Gendarmen. Aber
wehe Euch, wenn ein Wort von diesen Geschichten über Eure
Lippen kommt, bis ich zurückkehre.

Der Minister fährt sogleich in die Tuilerien, um dem Könige
über diese Angelegenheit Vortrag zu halten und seine Befehle zu
erbitten. Der lustige dicke achtzehnte Ludwig lacht seinen Minister
erst tüchtig aus — wird aber bei der näheren Erzählung doch
ernsthaft und nachdenklich und stimmt dem Herzog von Decazes
schließlich ganz kleinlaut bei, daß eine discrete Untersuchung der
Angelegenheit unvermeidlich sei. — Aber ganz im Geheimen,
mein Herr Herzog, und ohne alles Aufsehen. Wir wollen
wenistens vor der Welt den Skandal nicht haben, daß ein König
von Frankreich einem Galeerensklaven die Hand gedrückt und
ihm in Anerkernung seiner Verdienste die Ehrenlegion und das
Ludwigkreuz verliehen hat...

Der Herzog von Decazes mochte mit dieser fatalen Ange-
legenheit auch nicht gern viel zu schaffen haben und betrachtet sie
zunächst als eine streng militärische. Er schickte Mr. Darius in
Gesellschaft der beiden Gendarmen und eines Billets zum Ge-
neral Despinoy, bittet ihn, sich von dem beigefügten Jndividuum
den ganzen Casus ausführlich erzählen zu lassen und dann
säuberlich zu untersuchen — ganz geheim und ohne alles Auf-
sehen — par ordre de Roi!

Der General, ein alter ehrlicher Soldat und wackerer Hau-
degen, ist wüthend, daß ihm in seiner lieben 72. Division so
etwas passiren muß. Er sperrt Mr. Darius mit den Gensd'armen
in's Nebenzimmer und läßt sogleich den Oberstlieutenant Grafen
Pontis durch einen Ordonanzofficier zu sich rufen — in dienst-
lichen Angelegenheiten.

Jn voller Paradeuniform, geschückt mit allen seinen Orden
und in größter Unbefangenheit tritt der Herr Graf ein: — Sie
befehlen, mein General?

— Jch befehle, daß der Galeerensträfling Peter Coignard
seine fluchwürdige Maske von sich werfe und mir die volle Wahr-
heit sage...

— Jch verstehe Sie nicht, mein General. Wollen Sie die
Güte haben, sich deutlicher zu erklären...

— Schurke! dieser hier wird Dir die Erinnerung an das
Bagno von Toulon am Besten zurückrufen...

Der General reißt die Thür auf und der entlassene Ga-
leerensträfling Darius steht mit höhnischem Lächeln dem reich be-
sternten Oberstlieutenant gegenüber: — Mein ehrlicher Peter
Coignard, ich hab's Dir ja gesagt, daß wir uns bald wiedersehen
würden. Glück auf zur Galeere und grüße mir alle alten Freunde
in Toulon...

— Mein General, dieser Mensch ist wahnsinnig. Er hat
mich schon in meinem Hause mit seiner fixen Jdee belästigt und
[Spaltenumbruch] ich bedaure aufrichtig, daß ich nicht sogleich für seine Aufnahme
in eine Heilanstalt Sorge getragen habe. Daß aber Sie, mein
General, einem Jrrsinnigen Glauben zu schenken scheinen und
ihm sogar gestatten, einen königlichen Offizier der 72. Division
in Jhrem eigenen Hause zu schmähen — das zwingt mich, den
König um Schutz für meine Ehre anzuflehen...

— Auf Befehl des Königs sind Sie hier, um mit diesem
alten Kameraden aus dem Bagno confrontirt zu werden.

— Sehen Sie, mein General, wie seine Lippen und seine
Nase zucken? Habe ich Jhnen dies untrügliche Bagno=Zeichen
nicht vorhergesagt? — Und Du, alter Junge, sträube Dich nicht
länger, alles Zappeln nutzt jetzt nichts mehr. Das Bagno und
die Kette und die Peitsche und die grüne Mütze und der gelbe
Aermel an der rothen Jacke — Du hast doch nicht am Ende
dies Ehrenzeichen für den zweiten Besuch im Bagno auch schon
vergessen, wie Deinen unzertrennlichen Kettenbruder Darius? —
sind Dir sicher...

— Mein General! Sie werden begreifen, daß Graf Pontis
de St. H é l è ne es verschmäht, einem Wahnsinnigen oder einem
Verbrecher auf solche gemeine Anschuldigungen zu antworten.
Glauben Sie diesem Vagabonden mehr, als einem ehrenhaften
Offizier Jhrer Division — nun gut, so stellen Sie mich vor's
Kriegsgericht und ich werde mit Vergnügen Rede und Antwort
stehen. Aber bedenken Sie, Herr General, welche Verantwortung
Sie dadurch auf sich nehmen und daß man nicht ungestraft einen
Skandal in die Oeffentlichkeit zerrt. Meine Freisprechung ist
Jhre Verdammung. Jch bitte Sie daher, zunächst Jhnen meine
sämmtlichen Papiere vorlegen zu dürfen — und wenn Sie nach
deren Prüfung auch nur den leisesten Zweifel an meiner Person
und an meinem Namen haben, so übergeben Sie mich dem
Kriegsgericht!

Diese Ruhe, diese Zuversicht und diese Würde imponicen
dem General. Er wird fast irre an den so bestimmten und
detaillirten Anschuldigungen des entlassenen Sträflings Darius.
Aber er ist ein vorsichtiger Mann, er giebt dem Grafen einen
Ordonnanzoffizier und zwei Gendarmen als Bedeckung mit in
sein Hotel, um jene Papiere zu holen. Er befiehlt dem Ordon-
nanzoffizier die strengste Discretion, das Vermeiden jedes Auf-
sehens — aber auch zugleich die größte Wachsamkeit.

Graf Pontis unterhält sich auf dem Wege zu seinem Hotel
sehr heiter und liebenswürdig mit dem braven Kameraden, der
ihm da als Gefangenwächter beigegeben sei. Er scherzt über die
tolle Laune des Zufalls, daß man einen Grafen Pontis de St.
H é l è ne mit einem entsprungenen Galeerensträfling auch nur eine
Sekunde lang verwechseln könne... Jn seinem Hotel theilt
er selber dies närrische Abenteuer der Frau Gräfin lachend mit.
Auch sie lachte über diesen neuen pikanten Stoff für die chronique
scandalense
der eleganten Pariser Salons — wenn auch mit
etwas blassen, zitternden Lippen. Man plaudert noch dies und
das über die närrische Geschichte. Man raucht eine Cigarre mit-
einander und trinkt eine Flasche feurigen spanischen Wein...
Mon Dieu! da hätte ich ja fast vergessen, daß der gute Ge-
neral mich und meine Papiere gewiß schon schmerzlich erwartet.
Sie liegen in meinem Arbeitscabinet nebenan. Jn einer Minute
bin ich wieder hier, mein Herr Kamerad und Galeerensträfling-
wächter — ha! ha! ha!

Nein! es wäre gar zu brüsque, dieser charmanten Gräfin
wegen einer lächerlichen leeren Dienstform mitten aus der liebens-
würdigsten Conversation davonzulaufen, um ihrem Gemahl beim
Durchsuchen seiner Papiere auf die Finger zu sehen. Jm Uebrigen
behalte ich ja die Thür des Cabinets im Auge, ich höre sogar
das Oeffnen und Schließen der Schreibtischschiebladen und zum
Ueberfluß halten meine beiden Gendarmen als Cerberusse die
Thür des Hotels bewacht... Parbleu! die Gräfin ist ent-
zückend, die Cigarre deliciös und der Wein verteufelt ange-
nehm... Aber die Minute dauerte verdammt lange...
Morbleu! der Graf sucht nun fast seit einer Stunde nach seinen
Papieren da drinnen und mein General flucht mir sicher längst
zehn Tausend Millionen reitende Teufel auf den Nacken...
— Frau Gräfin, Jhr Herr Gemahl bleibt lange fort. Es wird
ihm doch nichts zugestoßen sein? Gestatten Sie gnädigst, daß ich
mich von dem Wohlbefinden des Herrn Grafen überzeuge....

( Schluß folgt )



[Ende Spaltensatz]
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[195/0007] Zur Unterhaltung und Belehrung. 195 Doch schon hat der Herr Graf in den Glockenzug gerissen. Diener stürzten herein.... — Werft diesen unverschämten Menschen — diesen Wahn- sinnigen hinaus, und sagt dem Portier, er solle ihn verhaften lassen, sobald er es wagt, wiederzukehren. — Coignard, Du siehst Deinen Bagno=Bruder Darius wieder — und auch das Bagno von Toulon! Der Minister des Jnnern, Herzog von Decazes, geht in großer Aufregung in seinem Cabinet auf und ab.. — Unmög- lich! — Welcher Skandal! Der — der Graf Pontis de St. H é l è ne hat erst gestern Abend mit der Herzogin von Decazes iu den Tuilerien eine Quadrille getanzt und heute... Nein, Jhr seid verrückt, guter Freund! — Jch bitte den Herrn Herzog nur, mich dem lieben Grafen gegenüberzustellen. Jch werde dem Biedermanne da einige schöne Geschichtchen in's Gesicht sagen, daß ihm gelb und roth und grün vor Augen werden soll, wie eitel Jacken und Hosen und Kappen im Bagno zu Toulon. Und dann bitte ich Excellenz, auf das nervöse Zucken seines Mundes und seiner Nase zu achten. Das hat die famose Galeerenpeitsche dem Galeerensträfling Coigrard beigebracht und ich habe mit Vergnügen gesehen, daß der Herr Graf Pontis es noch nicht ganz verlernt hat. Jm Uebrigen findet der Herr Herzog im Bagno zu Toulon noch so manchen wackeren alten Burschen, der den Coignard an der Kette gekannt hat — und auch Meister Duport, der die Peitsche so lustig handhabt und den armen Coignard besonders gern damit tractirte, weil ihm dessen Gesichterschneiden so viel Spaß machte, lebt noch und wird mit Vergnügen die Wahrheit meiner Worte bezeugen... — Die Sache soll untersucht werden. Jhr bleibt vorläufig in meinem Hotel unter der Aufsicht zweier Gendarmen. Aber wehe Euch, wenn ein Wort von diesen Geschichten über Eure Lippen kommt, bis ich zurückkehre. Der Minister fährt sogleich in die Tuilerien, um dem Könige über diese Angelegenheit Vortrag zu halten und seine Befehle zu erbitten. Der lustige dicke achtzehnte Ludwig lacht seinen Minister erst tüchtig aus — wird aber bei der näheren Erzählung doch ernsthaft und nachdenklich und stimmt dem Herzog von Decazes schließlich ganz kleinlaut bei, daß eine discrete Untersuchung der Angelegenheit unvermeidlich sei. — Aber ganz im Geheimen, mein Herr Herzog, und ohne alles Aufsehen. Wir wollen wenistens vor der Welt den Skandal nicht haben, daß ein König von Frankreich einem Galeerensklaven die Hand gedrückt und ihm in Anerkernung seiner Verdienste die Ehrenlegion und das Ludwigkreuz verliehen hat... Der Herzog von Decazes mochte mit dieser fatalen Ange- legenheit auch nicht gern viel zu schaffen haben und betrachtet sie zunächst als eine streng militärische. Er schickte Mr. Darius in Gesellschaft der beiden Gendarmen und eines Billets zum Ge- neral Despinoy, bittet ihn, sich von dem beigefügten Jndividuum den ganzen Casus ausführlich erzählen zu lassen und dann säuberlich zu untersuchen — ganz geheim und ohne alles Auf- sehen — par ordre de Roi! Der General, ein alter ehrlicher Soldat und wackerer Hau- degen, ist wüthend, daß ihm in seiner lieben 72. Division so etwas passiren muß. Er sperrt Mr. Darius mit den Gensd'armen in's Nebenzimmer und läßt sogleich den Oberstlieutenant Grafen Pontis durch einen Ordonanzofficier zu sich rufen — in dienst- lichen Angelegenheiten. Jn voller Paradeuniform, geschückt mit allen seinen Orden und in größter Unbefangenheit tritt der Herr Graf ein: — Sie befehlen, mein General? — Jch befehle, daß der Galeerensträfling Peter Coignard seine fluchwürdige Maske von sich werfe und mir die volle Wahr- heit sage... — Jch verstehe Sie nicht, mein General. Wollen Sie die Güte haben, sich deutlicher zu erklären... — Schurke! dieser hier wird Dir die Erinnerung an das Bagno von Toulon am Besten zurückrufen... Der General reißt die Thür auf und der entlassene Ga- leerensträfling Darius steht mit höhnischem Lächeln dem reich be- sternten Oberstlieutenant gegenüber: — Mein ehrlicher Peter Coignard, ich hab's Dir ja gesagt, daß wir uns bald wiedersehen würden. Glück auf zur Galeere und grüße mir alle alten Freunde in Toulon... — Mein General, dieser Mensch ist wahnsinnig. Er hat mich schon in meinem Hause mit seiner fixen Jdee belästigt und ich bedaure aufrichtig, daß ich nicht sogleich für seine Aufnahme in eine Heilanstalt Sorge getragen habe. Daß aber Sie, mein General, einem Jrrsinnigen Glauben zu schenken scheinen und ihm sogar gestatten, einen königlichen Offizier der 72. Division in Jhrem eigenen Hause zu schmähen — das zwingt mich, den König um Schutz für meine Ehre anzuflehen... — Auf Befehl des Königs sind Sie hier, um mit diesem alten Kameraden aus dem Bagno confrontirt zu werden. — Sehen Sie, mein General, wie seine Lippen und seine Nase zucken? Habe ich Jhnen dies untrügliche Bagno=Zeichen nicht vorhergesagt? — Und Du, alter Junge, sträube Dich nicht länger, alles Zappeln nutzt jetzt nichts mehr. Das Bagno und die Kette und die Peitsche und die grüne Mütze und der gelbe Aermel an der rothen Jacke — Du hast doch nicht am Ende dies Ehrenzeichen für den zweiten Besuch im Bagno auch schon vergessen, wie Deinen unzertrennlichen Kettenbruder Darius? — sind Dir sicher... — Mein General! Sie werden begreifen, daß Graf Pontis de St. H é l è ne es verschmäht, einem Wahnsinnigen oder einem Verbrecher auf solche gemeine Anschuldigungen zu antworten. Glauben Sie diesem Vagabonden mehr, als einem ehrenhaften Offizier Jhrer Division — nun gut, so stellen Sie mich vor's Kriegsgericht und ich werde mit Vergnügen Rede und Antwort stehen. Aber bedenken Sie, Herr General, welche Verantwortung Sie dadurch auf sich nehmen und daß man nicht ungestraft einen Skandal in die Oeffentlichkeit zerrt. Meine Freisprechung ist Jhre Verdammung. Jch bitte Sie daher, zunächst Jhnen meine sämmtlichen Papiere vorlegen zu dürfen — und wenn Sie nach deren Prüfung auch nur den leisesten Zweifel an meiner Person und an meinem Namen haben, so übergeben Sie mich dem Kriegsgericht! Diese Ruhe, diese Zuversicht und diese Würde imponicen dem General. Er wird fast irre an den so bestimmten und detaillirten Anschuldigungen des entlassenen Sträflings Darius. Aber er ist ein vorsichtiger Mann, er giebt dem Grafen einen Ordonnanzoffizier und zwei Gendarmen als Bedeckung mit in sein Hotel, um jene Papiere zu holen. Er befiehlt dem Ordon- nanzoffizier die strengste Discretion, das Vermeiden jedes Auf- sehens — aber auch zugleich die größte Wachsamkeit. Graf Pontis unterhält sich auf dem Wege zu seinem Hotel sehr heiter und liebenswürdig mit dem braven Kameraden, der ihm da als Gefangenwächter beigegeben sei. Er scherzt über die tolle Laune des Zufalls, daß man einen Grafen Pontis de St. H é l è ne mit einem entsprungenen Galeerensträfling auch nur eine Sekunde lang verwechseln könne... Jn seinem Hotel theilt er selber dies närrische Abenteuer der Frau Gräfin lachend mit. Auch sie lachte über diesen neuen pikanten Stoff für die chronique scandalense der eleganten Pariser Salons — wenn auch mit etwas blassen, zitternden Lippen. Man plaudert noch dies und das über die närrische Geschichte. Man raucht eine Cigarre mit- einander und trinkt eine Flasche feurigen spanischen Wein... — Mon Dieu! da hätte ich ja fast vergessen, daß der gute Ge- neral mich und meine Papiere gewiß schon schmerzlich erwartet. Sie liegen in meinem Arbeitscabinet nebenan. Jn einer Minute bin ich wieder hier, mein Herr Kamerad und Galeerensträfling- wächter — ha! ha! ha! Nein! es wäre gar zu brüsque, dieser charmanten Gräfin wegen einer lächerlichen leeren Dienstform mitten aus der liebens- würdigsten Conversation davonzulaufen, um ihrem Gemahl beim Durchsuchen seiner Papiere auf die Finger zu sehen. Jm Uebrigen behalte ich ja die Thür des Cabinets im Auge, ich höre sogar das Oeffnen und Schließen der Schreibtischschiebladen und zum Ueberfluß halten meine beiden Gendarmen als Cerberusse die Thür des Hotels bewacht... Parbleu! die Gräfin ist ent- zückend, die Cigarre deliciös und der Wein verteufelt ange- nehm... Aber die Minute dauerte verdammt lange... Morbleu! der Graf sucht nun fast seit einer Stunde nach seinen Papieren da drinnen und mein General flucht mir sicher längst zehn Tausend Millionen reitende Teufel auf den Nacken... — Frau Gräfin, Jhr Herr Gemahl bleibt lange fort. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein? Gestatten Sie gnädigst, daß ich mich von dem Wohlbefinden des Herrn Grafen überzeuge.... ( Schluß folgt )

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 8. August 1874, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0802_1874/7>, abgerufen am 23.11.2024.