Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Unterhaltung und Belehrung. 87
[Beginn Spaltensatz] und wenn die Herrschaft der Ritter und Bischöfe dauern soll,
werden sie ihre Eroberung wenigstens nicht in Ruhe genießen.

-- Was meinst Du damit?

-- Habt Jhr von den Landstreichern gehört?

-- Ja, mehrmals. Aber wir freien Bauern in Dithmarsen
kommen mit ihnen nicht zusammen. Wir kennen hier weder
Ritter noch Bischöfe. Nach der alten Sitte wählt jeder Stamm
einen Häuptling und diese Häuptlinge bilden einen obersten Rath,
welcher Dithmarsen regiert. So war es in alten Zeiten; so ist
es noch heute, und so wird es hoffentlich immer sein, trotz der
Regierung der verfluchten Dänenritter in Angelsachsenland, denn
unser Dithmarsen wird von diesen Schurken erst dann erobert
sein, wenn der letzte Krieger nicht mehr lebt.. Jetzt sage, Freund,
die Landstreicher stehen jetzt gegen die Ritter auf? Desto besser,
so werden sie sich ihrer Eroberung wenigstens nicht in Frieden
erfreuen. Die Landstreicher sind wohl wackere Helden?

-- Sie sind es, guter, alter Vater, sie sind es, glaub mir,
ich habe sie selbst gesehen..

-- Die Landstreicher sind also zahlreiche, entschlossene be-
waffnete Schaaren?

-- Erhitze Dich nicht so, Gerd!

-- Das böse Kind denkt an nichts, als an Schlacht, Em-
pörung und Abenteuer, sagte die Mutter, die dann dem alten
Jens zuflüsterte: warum spricht der Fremde vor meinen Kindern
von solchen Dingen? Jch behaupte noch immer, ein böses Geschick
hat ihn in unser Haus geführt.

Und die ängstliche Mutter seufzte, während der Gast dem
jungen Gerd, der an den Lippen des Fremden hing, antwortete:

-- Die Landstreicher, mein Sohn, sind schrecklich für die
Unterdrücker und theuer dem Volke.

-- Das Volk liebt sie?

-- Ob es sie liebt! Es singt ihr Lob in seinen Liedern.

-- Welch' großer Ruhm für sie! Hörst Du es, Großvater?

-- Jch höre es wohl und Deine Mutter auch. Sieh, wie
Du sie betrübst.

Das böse Kind aber, wie die Mutter ihren Gerd nannte,
der in Gedanken schon bei den Landstreichern war, fragte mit
blitzenden neugierigen Augen weiter:

-- Hast Du die Landstreicher gesehen? Waren sie zahlreich?
Hatten sie schon die Ritter und die Bischöfe angegriffen? Jst es
schon lange her, daß Du sie gesehen?

-- Vor drei Wochen reiste ich im Norden der Eider. Eines
Tages hatte ich mich in einem Walde verirrt, und die Nacht brach
herein. Nachdem ich lange, lange gegangen und tief in den
Wald hineingekommen war, bemerkte ich in der Ferne einen
hellen Lichtschein; ich eilte darauf zu und fand da etwa hundert
lustige Burschen, die mit ihren Mädchen -- denn sie haben oft
entschlossene Frauen bei sich -- um das Feuer saßen. Jn den
andern Nächten hatten sie wie gewöhnlich einen Parteigängerkrieg
gegen die dänischen Herren, die Unterdrücker, geführt, die Burgen
derselben angegriffen, wüthend gekämpft ohne Schonung, die
Kirchen und Bischofssitze geplündert, manche der Priester sogar
gehängt und die Steuereinnehmer erschlagen, aber freigebig
ihren Raub mit den armen Leuten getheilt und die Leibeigenen
befreit, denen sie begegneten. Bei Hengist und Horsa, es ist ein
lustiges Leben!

-- Was muß man thun, um unter die Braven aufgenommen
zu werden?

-- Vor Allem muß man seine Haut opfern, stark, gewandt
und muthig sein, die Armen lieben, den Rittern und den Bischöfen
Haß schwören, am Tage lustig sein und die Nacht kämpfen.

-- Wo halten sie sich auf?

-- Eben so gut kannst Du die Vögel der Luft fragen, wo
[Spaltenumbruch] sie sitzen, oder die Thiere des Waldes, wo sie liegen. Gestern
waren sie im Moore, morgen werden sie im Walde sein; bald
ziehen sie in einer Nacht zehn Stunden weit, bald bleiben sie
acht Tage lang still in ihrem Versteck liegen. Der Landstreicher
weiß nie, wo er am nächsten Tage sein wird.

-- Man kann also nur durch einen glücklichen Zufall mit
ihnen zusammentreffen?

-- Ja, ein glücklicher Zufall ist es für gute Leute, ein
schlimmer aber für den Ritter, den Bischof oder den Steuer-
einnehmer.

-- Jenseits der Eider hast Du sie gesehen?

-- Ja, in einem Walde, etwa acht Stunden von Husum,
wohin ich reiste.

-- Sieh nur den Gerd, Mutter; wenn er die Nacht nicht
von Elfen träumt, träumt er gewiß von Landstreichern. Habe
ich Recht, mein Sohn?

-- Großvater, ich sage, die Dithmarsen und die Land-
streicher sind die einzigen Männer in der Welt. Wenn ich nicht
Dithmarse wäre, möchte ich den Angelsachsen als Landstreicher
gegen die Ritter und Bischöfe helfen.

-- Du wirst ihnen helfen, sobald Du auf dem Lager liegst;
träume also von ihnen, ich wünsche es Dir. Lege Dich nieder,
es ist schon spät und Du beunruhigest ohne Grund Deine arme
Mutter.



Als Beerwulf, der Gast, seine Wanderung früh Morgens
fortsetzte, hatte der Sturm sich gelegt. Jens aber sprach zur
Mutter Gerd's, indem er auf den schon weit entfernten Frem-
den wies:

-- Nun, Du arme ängstliche Mutter, haben die Elfen im
Zorne Gerd heimgesucht, um ihn dafür zu strafen, daß er sie
sehen wollte? Wo ist das Unglück, das der Fremde in unser
Haus bringen sollte? Der Sturm hat sich gelegt, der Himmel
ist klar, das Meer ruhig und blau. Warum also siehst Du noch
immer traurig aus?

-- Du hast Recht, guter Vater.. Meine Ahnungen haben
mich betrogen, und doch bin ich betrübt und bedauere noch immer,
daß mein Sohn so gesprochen hat.

-- Da kommt unser Gerd mit seinem Hunde, den Bogen
in der Hand, den Pfeil an der Seite. Wie schön er ist, wie
gewandt und entschlossen er aussieht!

-- Wohin gehst Du, mein Sohn?

-- Gestern, Mutter, sagtest Du: es fehlt uns seit zwei
Tagen an Wild. Die Zeit ist günstig, und ich will versuchen,
einen Hirsch im Walde zu erlegen. Die Jagd kann lange wäh-
ren, deshalb nehme ich mir Lebensmittel mit.

-- Nein, Gerd, gehe heute nicht auf die Jagd.. Jch will
es nicht.

-- Warum nicht, liebe Mutter?

-- Du könntest Dich verirren oder in eine Grube fallen.

-- Beruhige Dich, Mutter, ich kenne alle Wege und Stege
im Walde.

-- Nein, Du gehst heute nicht auf die Jagd.

-- Großvater, bitte Du für mich.

-- Recht gern, denn ich freue mich, wieder einmal Wild zu
essen; aber versprich mir, mein Sohn, nicht nach den Quellen zu
gehen, an denen man Elfen begegnen kann.

-- Jch schwöre es Dir, Großvater.

-- So laß meinen guten Schützen auf die Jagd gehen,
versage es ihm nicht, er schwört ja, an die kleinen Elfen nicht
zu denken.

-- Du willst es, Vater.

[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 87
[Beginn Spaltensatz] und wenn die Herrschaft der Ritter und Bischöfe dauern soll,
werden sie ihre Eroberung wenigstens nicht in Ruhe genießen.

— Was meinst Du damit?

— Habt Jhr von den Landstreichern gehört?

— Ja, mehrmals. Aber wir freien Bauern in Dithmarsen
kommen mit ihnen nicht zusammen. Wir kennen hier weder
Ritter noch Bischöfe. Nach der alten Sitte wählt jeder Stamm
einen Häuptling und diese Häuptlinge bilden einen obersten Rath,
welcher Dithmarsen regiert. So war es in alten Zeiten; so ist
es noch heute, und so wird es hoffentlich immer sein, trotz der
Regierung der verfluchten Dänenritter in Angelsachsenland, denn
unser Dithmarsen wird von diesen Schurken erst dann erobert
sein, wenn der letzte Krieger nicht mehr lebt.. Jetzt sage, Freund,
die Landstreicher stehen jetzt gegen die Ritter auf? Desto besser,
so werden sie sich ihrer Eroberung wenigstens nicht in Frieden
erfreuen. Die Landstreicher sind wohl wackere Helden?

— Sie sind es, guter, alter Vater, sie sind es, glaub mir,
ich habe sie selbst gesehen..

— Die Landstreicher sind also zahlreiche, entschlossene be-
waffnete Schaaren?

— Erhitze Dich nicht so, Gerd!

— Das böse Kind denkt an nichts, als an Schlacht, Em-
pörung und Abenteuer, sagte die Mutter, die dann dem alten
Jens zuflüsterte: warum spricht der Fremde vor meinen Kindern
von solchen Dingen? Jch behaupte noch immer, ein böses Geschick
hat ihn in unser Haus geführt.

Und die ängstliche Mutter seufzte, während der Gast dem
jungen Gerd, der an den Lippen des Fremden hing, antwortete:

— Die Landstreicher, mein Sohn, sind schrecklich für die
Unterdrücker und theuer dem Volke.

— Das Volk liebt sie?

— Ob es sie liebt! Es singt ihr Lob in seinen Liedern.

— Welch' großer Ruhm für sie! Hörst Du es, Großvater?

— Jch höre es wohl und Deine Mutter auch. Sieh, wie
Du sie betrübst.

Das böse Kind aber, wie die Mutter ihren Gerd nannte,
der in Gedanken schon bei den Landstreichern war, fragte mit
blitzenden neugierigen Augen weiter:

— Hast Du die Landstreicher gesehen? Waren sie zahlreich?
Hatten sie schon die Ritter und die Bischöfe angegriffen? Jst es
schon lange her, daß Du sie gesehen?

— Vor drei Wochen reiste ich im Norden der Eider. Eines
Tages hatte ich mich in einem Walde verirrt, und die Nacht brach
herein. Nachdem ich lange, lange gegangen und tief in den
Wald hineingekommen war, bemerkte ich in der Ferne einen
hellen Lichtschein; ich eilte darauf zu und fand da etwa hundert
lustige Burschen, die mit ihren Mädchen — denn sie haben oft
entschlossene Frauen bei sich — um das Feuer saßen. Jn den
andern Nächten hatten sie wie gewöhnlich einen Parteigängerkrieg
gegen die dänischen Herren, die Unterdrücker, geführt, die Burgen
derselben angegriffen, wüthend gekämpft ohne Schonung, die
Kirchen und Bischofssitze geplündert, manche der Priester sogar
gehängt und die Steuereinnehmer erschlagen, aber freigebig
ihren Raub mit den armen Leuten getheilt und die Leibeigenen
befreit, denen sie begegneten. Bei Hengist und Horsa, es ist ein
lustiges Leben!

— Was muß man thun, um unter die Braven aufgenommen
zu werden?

— Vor Allem muß man seine Haut opfern, stark, gewandt
und muthig sein, die Armen lieben, den Rittern und den Bischöfen
Haß schwören, am Tage lustig sein und die Nacht kämpfen.

— Wo halten sie sich auf?

— Eben so gut kannst Du die Vögel der Luft fragen, wo
[Spaltenumbruch] sie sitzen, oder die Thiere des Waldes, wo sie liegen. Gestern
waren sie im Moore, morgen werden sie im Walde sein; bald
ziehen sie in einer Nacht zehn Stunden weit, bald bleiben sie
acht Tage lang still in ihrem Versteck liegen. Der Landstreicher
weiß nie, wo er am nächsten Tage sein wird.

— Man kann also nur durch einen glücklichen Zufall mit
ihnen zusammentreffen?

— Ja, ein glücklicher Zufall ist es für gute Leute, ein
schlimmer aber für den Ritter, den Bischof oder den Steuer-
einnehmer.

— Jenseits der Eider hast Du sie gesehen?

— Ja, in einem Walde, etwa acht Stunden von Husum,
wohin ich reiste.

— Sieh nur den Gerd, Mutter; wenn er die Nacht nicht
von Elfen träumt, träumt er gewiß von Landstreichern. Habe
ich Recht, mein Sohn?

— Großvater, ich sage, die Dithmarsen und die Land-
streicher sind die einzigen Männer in der Welt. Wenn ich nicht
Dithmarse wäre, möchte ich den Angelsachsen als Landstreicher
gegen die Ritter und Bischöfe helfen.

— Du wirst ihnen helfen, sobald Du auf dem Lager liegst;
träume also von ihnen, ich wünsche es Dir. Lege Dich nieder,
es ist schon spät und Du beunruhigest ohne Grund Deine arme
Mutter.



Als Beerwulf, der Gast, seine Wanderung früh Morgens
fortsetzte, hatte der Sturm sich gelegt. Jens aber sprach zur
Mutter Gerd's, indem er auf den schon weit entfernten Frem-
den wies:

— Nun, Du arme ängstliche Mutter, haben die Elfen im
Zorne Gerd heimgesucht, um ihn dafür zu strafen, daß er sie
sehen wollte? Wo ist das Unglück, das der Fremde in unser
Haus bringen sollte? Der Sturm hat sich gelegt, der Himmel
ist klar, das Meer ruhig und blau. Warum also siehst Du noch
immer traurig aus?

— Du hast Recht, guter Vater.. Meine Ahnungen haben
mich betrogen, und doch bin ich betrübt und bedauere noch immer,
daß mein Sohn so gesprochen hat.

— Da kommt unser Gerd mit seinem Hunde, den Bogen
in der Hand, den Pfeil an der Seite. Wie schön er ist, wie
gewandt und entschlossen er aussieht!

— Wohin gehst Du, mein Sohn?

— Gestern, Mutter, sagtest Du: es fehlt uns seit zwei
Tagen an Wild. Die Zeit ist günstig, und ich will versuchen,
einen Hirsch im Walde zu erlegen. Die Jagd kann lange wäh-
ren, deshalb nehme ich mir Lebensmittel mit.

— Nein, Gerd, gehe heute nicht auf die Jagd.. Jch will
es nicht.

— Warum nicht, liebe Mutter?

— Du könntest Dich verirren oder in eine Grube fallen.

— Beruhige Dich, Mutter, ich kenne alle Wege und Stege
im Walde.

— Nein, Du gehst heute nicht auf die Jagd.

— Großvater, bitte Du für mich.

— Recht gern, denn ich freue mich, wieder einmal Wild zu
essen; aber versprich mir, mein Sohn, nicht nach den Quellen zu
gehen, an denen man Elfen begegnen kann.

— Jch schwöre es Dir, Großvater.

— So laß meinen guten Schützen auf die Jagd gehen,
versage es ihm nicht, er schwört ja, an die kleinen Elfen nicht
zu denken.

— Du willst es, Vater.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Streich3" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="87"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 87</fw><cb type="start"/>
und wenn die Herrschaft der Ritter und Bischöfe dauern soll,<lb/>
werden sie ihre Eroberung wenigstens nicht in Ruhe genießen.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Was meinst Du damit? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Habt Jhr von den Landstreichern gehört? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Ja, mehrmals. Aber wir freien Bauern in Dithmarsen<lb/>
kommen mit ihnen nicht zusammen. Wir kennen hier weder<lb/>
Ritter noch Bischöfe. Nach der alten Sitte wählt jeder Stamm<lb/>
einen Häuptling und diese Häuptlinge bilden einen obersten Rath,<lb/>
welcher Dithmarsen regiert. So war es in alten Zeiten; so ist<lb/>
es noch heute, und so wird es hoffentlich immer sein, trotz der<lb/>
Regierung der verfluchten Dänenritter in Angelsachsenland, denn<lb/>
unser Dithmarsen wird von diesen Schurken erst dann erobert<lb/>
sein, wenn der letzte Krieger nicht mehr lebt.. Jetzt sage, Freund,<lb/>
die Landstreicher stehen jetzt gegen die Ritter auf? Desto besser,<lb/>
so werden sie sich ihrer Eroberung wenigstens nicht in Frieden<lb/>
erfreuen. Die Landstreicher sind wohl wackere Helden? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Sie sind es, guter, alter Vater, sie sind es, glaub mir,<lb/>
ich habe sie selbst gesehen..</p><lb/>
        <p>&#x2014; Die Landstreicher sind also zahlreiche, entschlossene be-<lb/>
waffnete Schaaren? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Erhitze Dich nicht so, Gerd! </p><lb/>
        <p>&#x2014; Das böse Kind denkt an nichts, als an Schlacht, Em-<lb/>
pörung und Abenteuer, sagte die Mutter, die dann dem alten<lb/>
Jens zuflüsterte: warum spricht der Fremde vor meinen Kindern<lb/>
von solchen Dingen? Jch behaupte noch immer, ein böses Geschick<lb/>
hat ihn in unser Haus geführt. </p><lb/>
        <p>Und die ängstliche Mutter seufzte, während der Gast dem<lb/>
jungen Gerd, der an den Lippen des Fremden hing, antwortete:</p><lb/>
        <p>&#x2014; Die Landstreicher, mein Sohn, sind schrecklich für die<lb/>
Unterdrücker und theuer dem Volke. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Das Volk liebt sie? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Ob es sie liebt! Es singt ihr Lob in seinen Liedern. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Welch' großer Ruhm für sie! Hörst Du es, Großvater? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Jch höre es wohl und Deine Mutter auch. Sieh, wie<lb/>
Du sie betrübst. </p><lb/>
        <p>Das böse Kind aber, wie die Mutter ihren Gerd nannte,<lb/>
der in Gedanken schon bei den Landstreichern war, fragte mit<lb/>
blitzenden neugierigen Augen weiter:</p><lb/>
        <p>&#x2014; Hast Du die Landstreicher gesehen? Waren sie zahlreich?<lb/>
Hatten sie schon die Ritter und die Bischöfe angegriffen? Jst es<lb/>
schon lange her, daß Du sie gesehen? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Vor drei Wochen reiste ich im Norden der Eider. Eines<lb/>
Tages hatte ich mich in einem Walde verirrt, und die Nacht brach<lb/>
herein. Nachdem ich lange, lange gegangen und tief in den<lb/>
Wald hineingekommen war, bemerkte ich in der Ferne einen<lb/>
hellen Lichtschein; ich eilte darauf zu und fand da etwa hundert<lb/>
lustige Burschen, die mit ihren Mädchen &#x2014; denn sie haben oft<lb/>
entschlossene Frauen bei sich &#x2014; um das Feuer saßen. Jn den<lb/>
andern Nächten hatten sie wie gewöhnlich einen Parteigängerkrieg<lb/>
gegen die dänischen Herren, die Unterdrücker, geführt, die Burgen<lb/>
derselben angegriffen, wüthend gekämpft ohne Schonung, die<lb/>
Kirchen und Bischofssitze geplündert, manche der Priester sogar<lb/>
gehängt und die Steuereinnehmer erschlagen, aber freigebig<lb/>
ihren Raub mit den armen Leuten getheilt und die Leibeigenen<lb/>
befreit, denen sie begegneten. Bei Hengist und Horsa, es ist ein<lb/>
lustiges Leben! </p><lb/>
        <p>&#x2014; Was muß man thun, um unter die Braven aufgenommen<lb/>
zu werden? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Vor Allem muß man seine Haut opfern, stark, gewandt<lb/>
und muthig sein, die Armen lieben, den Rittern und den Bischöfen<lb/>
Haß schwören, am Tage lustig sein und die Nacht kämpfen. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Wo halten sie sich auf? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Eben so gut kannst Du die Vögel der Luft fragen, wo<lb/><cb n="2"/>
sie sitzen, oder die Thiere des Waldes, wo sie liegen. Gestern<lb/>
waren sie im Moore, morgen werden sie im Walde sein; bald<lb/>
ziehen sie in einer Nacht zehn Stunden weit, bald bleiben sie<lb/>
acht Tage lang still in ihrem Versteck liegen. Der Landstreicher<lb/>
weiß nie, wo er am nächsten Tage sein wird.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Man kann also nur durch einen glücklichen Zufall mit<lb/>
ihnen zusammentreffen? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Ja, ein glücklicher Zufall ist es für gute Leute, ein<lb/>
schlimmer aber für den Ritter, den Bischof oder den Steuer-<lb/>
einnehmer. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Jenseits der Eider hast Du sie gesehen? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Ja, in einem Walde, etwa acht Stunden von Husum,<lb/>
wohin ich reiste. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Sieh nur den Gerd, Mutter; wenn er die Nacht nicht<lb/>
von Elfen träumt, träumt er gewiß von Landstreichern. Habe<lb/>
ich Recht, mein Sohn? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Großvater, ich sage, die Dithmarsen und die Land-<lb/>
streicher sind die einzigen Männer in der Welt. Wenn ich nicht<lb/>
Dithmarse wäre, möchte ich den Angelsachsen als Landstreicher<lb/>
gegen die Ritter und Bischöfe helfen. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Du wirst ihnen helfen, sobald Du auf dem Lager liegst;<lb/>
träume also von ihnen, ich wünsche es Dir. Lege Dich nieder,<lb/>
es ist schon spät und Du beunruhigest ohne Grund Deine arme<lb/>
Mutter. </p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Als Beerwulf, der Gast, seine Wanderung früh Morgens<lb/>
fortsetzte, hatte der Sturm sich gelegt. Jens aber sprach zur<lb/>
Mutter Gerd's, indem er auf den schon weit entfernten Frem-<lb/>
den wies:</p><lb/>
        <p>&#x2014; Nun, Du arme ängstliche Mutter, haben die Elfen im<lb/>
Zorne Gerd heimgesucht, um ihn dafür zu strafen, daß er sie<lb/>
sehen wollte? Wo ist das Unglück, das der Fremde in unser<lb/>
Haus bringen sollte? Der Sturm hat sich gelegt, der Himmel<lb/>
ist klar, das Meer ruhig und blau. Warum also siehst Du noch<lb/>
immer traurig aus? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Du hast Recht, guter Vater.. Meine Ahnungen haben<lb/>
mich betrogen, und doch bin ich betrübt und bedauere noch immer,<lb/>
daß mein Sohn so gesprochen hat. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Da kommt unser Gerd mit seinem Hunde, den Bogen<lb/>
in der Hand, den Pfeil an der Seite. Wie schön er ist, wie<lb/>
gewandt und entschlossen er aussieht! </p><lb/>
        <p>&#x2014; Wohin gehst Du, mein Sohn? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Gestern, Mutter, sagtest Du: es fehlt uns seit zwei<lb/>
Tagen an Wild. Die Zeit ist günstig, und ich will versuchen,<lb/>
einen Hirsch im Walde zu erlegen. Die Jagd kann lange wäh-<lb/>
ren, deshalb nehme ich mir Lebensmittel mit. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Nein, Gerd, gehe heute nicht auf die Jagd.. Jch will<lb/>
es nicht. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Warum nicht, liebe Mutter? </p><lb/>
        <p>&#x2014; Du könntest Dich verirren oder in eine Grube fallen. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Beruhige Dich, Mutter, ich kenne alle Wege und Stege<lb/>
im Walde. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Nein, Du gehst heute nicht auf die Jagd. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Großvater, bitte Du für mich. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Recht gern, denn ich freue mich, wieder einmal Wild zu<lb/>
essen; aber versprich mir, mein Sohn, nicht nach den Quellen zu<lb/>
gehen, an denen man Elfen begegnen kann. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Jch schwöre es Dir, Großvater. </p><lb/>
        <p>&#x2014; So laß meinen guten Schützen auf die Jagd gehen,<lb/>
versage es ihm nicht, er schwört ja, an die kleinen Elfen nicht<lb/>
zu denken. </p><lb/>
        <p>&#x2014; Du willst es, Vater. </p><lb/>
        <cb type="end"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0015] Zur Unterhaltung und Belehrung. 87 und wenn die Herrschaft der Ritter und Bischöfe dauern soll, werden sie ihre Eroberung wenigstens nicht in Ruhe genießen. — Was meinst Du damit? — Habt Jhr von den Landstreichern gehört? — Ja, mehrmals. Aber wir freien Bauern in Dithmarsen kommen mit ihnen nicht zusammen. Wir kennen hier weder Ritter noch Bischöfe. Nach der alten Sitte wählt jeder Stamm einen Häuptling und diese Häuptlinge bilden einen obersten Rath, welcher Dithmarsen regiert. So war es in alten Zeiten; so ist es noch heute, und so wird es hoffentlich immer sein, trotz der Regierung der verfluchten Dänenritter in Angelsachsenland, denn unser Dithmarsen wird von diesen Schurken erst dann erobert sein, wenn der letzte Krieger nicht mehr lebt.. Jetzt sage, Freund, die Landstreicher stehen jetzt gegen die Ritter auf? Desto besser, so werden sie sich ihrer Eroberung wenigstens nicht in Frieden erfreuen. Die Landstreicher sind wohl wackere Helden? — Sie sind es, guter, alter Vater, sie sind es, glaub mir, ich habe sie selbst gesehen.. — Die Landstreicher sind also zahlreiche, entschlossene be- waffnete Schaaren? — Erhitze Dich nicht so, Gerd! — Das böse Kind denkt an nichts, als an Schlacht, Em- pörung und Abenteuer, sagte die Mutter, die dann dem alten Jens zuflüsterte: warum spricht der Fremde vor meinen Kindern von solchen Dingen? Jch behaupte noch immer, ein böses Geschick hat ihn in unser Haus geführt. Und die ängstliche Mutter seufzte, während der Gast dem jungen Gerd, der an den Lippen des Fremden hing, antwortete: — Die Landstreicher, mein Sohn, sind schrecklich für die Unterdrücker und theuer dem Volke. — Das Volk liebt sie? — Ob es sie liebt! Es singt ihr Lob in seinen Liedern. — Welch' großer Ruhm für sie! Hörst Du es, Großvater? — Jch höre es wohl und Deine Mutter auch. Sieh, wie Du sie betrübst. Das böse Kind aber, wie die Mutter ihren Gerd nannte, der in Gedanken schon bei den Landstreichern war, fragte mit blitzenden neugierigen Augen weiter: — Hast Du die Landstreicher gesehen? Waren sie zahlreich? Hatten sie schon die Ritter und die Bischöfe angegriffen? Jst es schon lange her, daß Du sie gesehen? — Vor drei Wochen reiste ich im Norden der Eider. Eines Tages hatte ich mich in einem Walde verirrt, und die Nacht brach herein. Nachdem ich lange, lange gegangen und tief in den Wald hineingekommen war, bemerkte ich in der Ferne einen hellen Lichtschein; ich eilte darauf zu und fand da etwa hundert lustige Burschen, die mit ihren Mädchen — denn sie haben oft entschlossene Frauen bei sich — um das Feuer saßen. Jn den andern Nächten hatten sie wie gewöhnlich einen Parteigängerkrieg gegen die dänischen Herren, die Unterdrücker, geführt, die Burgen derselben angegriffen, wüthend gekämpft ohne Schonung, die Kirchen und Bischofssitze geplündert, manche der Priester sogar gehängt und die Steuereinnehmer erschlagen, aber freigebig ihren Raub mit den armen Leuten getheilt und die Leibeigenen befreit, denen sie begegneten. Bei Hengist und Horsa, es ist ein lustiges Leben! — Was muß man thun, um unter die Braven aufgenommen zu werden? — Vor Allem muß man seine Haut opfern, stark, gewandt und muthig sein, die Armen lieben, den Rittern und den Bischöfen Haß schwören, am Tage lustig sein und die Nacht kämpfen. — Wo halten sie sich auf? — Eben so gut kannst Du die Vögel der Luft fragen, wo sie sitzen, oder die Thiere des Waldes, wo sie liegen. Gestern waren sie im Moore, morgen werden sie im Walde sein; bald ziehen sie in einer Nacht zehn Stunden weit, bald bleiben sie acht Tage lang still in ihrem Versteck liegen. Der Landstreicher weiß nie, wo er am nächsten Tage sein wird. — Man kann also nur durch einen glücklichen Zufall mit ihnen zusammentreffen? — Ja, ein glücklicher Zufall ist es für gute Leute, ein schlimmer aber für den Ritter, den Bischof oder den Steuer- einnehmer. — Jenseits der Eider hast Du sie gesehen? — Ja, in einem Walde, etwa acht Stunden von Husum, wohin ich reiste. — Sieh nur den Gerd, Mutter; wenn er die Nacht nicht von Elfen träumt, träumt er gewiß von Landstreichern. Habe ich Recht, mein Sohn? — Großvater, ich sage, die Dithmarsen und die Land- streicher sind die einzigen Männer in der Welt. Wenn ich nicht Dithmarse wäre, möchte ich den Angelsachsen als Landstreicher gegen die Ritter und Bischöfe helfen. — Du wirst ihnen helfen, sobald Du auf dem Lager liegst; träume also von ihnen, ich wünsche es Dir. Lege Dich nieder, es ist schon spät und Du beunruhigest ohne Grund Deine arme Mutter. Als Beerwulf, der Gast, seine Wanderung früh Morgens fortsetzte, hatte der Sturm sich gelegt. Jens aber sprach zur Mutter Gerd's, indem er auf den schon weit entfernten Frem- den wies: — Nun, Du arme ängstliche Mutter, haben die Elfen im Zorne Gerd heimgesucht, um ihn dafür zu strafen, daß er sie sehen wollte? Wo ist das Unglück, das der Fremde in unser Haus bringen sollte? Der Sturm hat sich gelegt, der Himmel ist klar, das Meer ruhig und blau. Warum also siehst Du noch immer traurig aus? — Du hast Recht, guter Vater.. Meine Ahnungen haben mich betrogen, und doch bin ich betrübt und bedauere noch immer, daß mein Sohn so gesprochen hat. — Da kommt unser Gerd mit seinem Hunde, den Bogen in der Hand, den Pfeil an der Seite. Wie schön er ist, wie gewandt und entschlossen er aussieht! — Wohin gehst Du, mein Sohn? — Gestern, Mutter, sagtest Du: es fehlt uns seit zwei Tagen an Wild. Die Zeit ist günstig, und ich will versuchen, einen Hirsch im Walde zu erlegen. Die Jagd kann lange wäh- ren, deshalb nehme ich mir Lebensmittel mit. — Nein, Gerd, gehe heute nicht auf die Jagd.. Jch will es nicht. — Warum nicht, liebe Mutter? — Du könntest Dich verirren oder in eine Grube fallen. — Beruhige Dich, Mutter, ich kenne alle Wege und Stege im Walde. — Nein, Du gehst heute nicht auf die Jagd. — Großvater, bitte Du für mich. — Recht gern, denn ich freue mich, wieder einmal Wild zu essen; aber versprich mir, mein Sohn, nicht nach den Quellen zu gehen, an denen man Elfen begegnen kann. — Jch schwöre es Dir, Großvater. — So laß meinen guten Schützen auf die Jagd gehen, versage es ihm nicht, er schwört ja, an die kleinen Elfen nicht zu denken. — Du willst es, Vater.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/15
Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/15>, abgerufen am 25.11.2024.