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Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 31
[Beginn Spaltensatz] Thron, sobald sie sich sicher fühlt, zum Schattenbilde, auf
dem ein "Bürgerkönig" sitzt. Fürchtet aber die Bourgeoisie
für ihren Geldsack, dann wirft sie sich dem Cäsarismus in
die Arme und opfert ihm alle politische Macht. Unter
allen Umständen aber durchdringt die Kapitalmacht die
ganze Staatsmaschinerie mit ihrem Einfluß und macht sie
sich dienstbar, indem sie die politisch mächtigen Männer zu
Kapitalisten, also zu ihren Klassengenossen macht.

Und dann nennt die Bourgeoisie zum Ueberfluß den
Thron: eins der theuren Heiligthümer, welches beschützt
werden müsse gegen den umstürzlerischen Socialismus.

Nun, diese Phrase verblüfft keinen Socialisten, welcher
weiß, welchen Erwägungen sie entspringt! --

Der Altar ist in Gefahr. Die Socialisten bedrohen
auch dies Heiligthum der Gesellschaft!

Wer spricht so, seid Jhr es, deren Klasse die Jdeen
von 1789 einführte und damit die Herrschaft des Priester-
thums brach. Sind die Umstürzer des Altars plötzlich
seine Vertheidiger geworden. Jn der That, die Bourgeoisie
hat aus dem alten Gerümpel auch den Altar hervorge-
sucht und stützt sich auf diesen. Natürlich hat sie die Re-
ligion gehörig umgewandelt; wie sie aus dem Thron, ihren
Thron, so hat sie aus dem Altar, ihren Altar gemacht.
Sie hat sogar ihr Lieblingsprinzip, die freie Konkurrenz,
eingeführt, die Religionsfreiheit, und der Pfaffe, welcher
am billigsten, oder auch mit der größten Reklame die Him-
melsspeise anbietet, wird sie auch am besten auf dem Markte
losschlagen können. Trotz aller Verschiedenheiten der Glau-
benslehren aber hat doch die Bourgeoisie ein Element allen
gemeinsam gemacht; sie müssen nämlich alle die heutigen
Gesellschaftszustände die Heiligthümer der Bourgeoisie, als
unantastbar darstellen. Der katholische, wie der protestantische
Pfaffe, wie der Rabbiner predigt im schroffen Widerspruch
mit Jesus von Nazareth die Ungleichheit des Eigenthums,
die Noth eines Theils der Menschen und das Wohlleben
des anderen. So predigen auch die Reformpfaffen, so predigen
vor Allem auch die Freigemeindler, welche den blinden
Glauben in religiöser Hinsicht zwar verwerfen und statt
seiner die wissenschaftliche Untersuchung fordern, welche
sich aber nicht schämen, den Glauben an die sociale Unfehl-
barkeit der modernen Ausbeutung als Dogma zu predigen.
Jn Joppe oder Kutte, einerlei, Pfaffe bleibt Pfaffe!

Der Altar ist somit nur Knecht des Kapitals, zum
Altar soll nur deshalb das Proletariat sich gewöhnen, da-
mit es sein Wohl und Wehe in anderen Welten, in Ein-
bildungen sucht und das nächstliegende, das Mein und
Dein vergißt. Es ist in Wahrheit heute jeder Altar, auf
den die Bourgeoisie sich stützt, der Altar des goldenen
Kalbes.

Und den wollt Jhr umstürzen, Jhr fluchwürdigen
Socialisten?

Warum nicht! Habt Jhr Bourgeois alle Altäre ge-
stürzt, um Euer Götzenbild an ihre Stelle zu setzen, was
soll uns da abhalten, das Volk durch die Wahrheit, durch
die Wissenschaft aufzuklären, damit es sich abwende von
allen Bourgeoispfaffen! --

Auch die Ehe bekämpft Jhr Verfluchten, Jhr wollt
die Weibergemeinschaft einführen!

[Spaltenumbruch]

Nun, was ist denn Eure moderne Ehe, Jhr Bour-
geois, wie kommt Jhr dazu, sie als geheiligten Grund-
pfeiler Eurer Gesellschaft zu betrachten?

Die Ehe war im Mittelalter und Alterthum etwas
unendlich Verschiedenes von dem, was sie heute darstellt.
Für das Weib war sie Zwang, für den Mann war sie
ein politischer Akt, um sich mächtige Verwandtschaft und
somit Einfluß durch ein dauerndes Band zu verschaffen.
Lediglich von diesem Standpunkt aus ist das gesammte
Erb= und Ehewesen in früheren Zeiten zu betrachten, und
daß die Priesterschaft ihren Einfluß hier nebenher geltend
machte, ist leicht begreiflich.

Was ist nun aber die Ehe in der heutigen Gesellschaft,
die Bourgeoisehe, besonders in der reinen Form der Civil-
ehe? Es ist die Vereinigung zweier Vermögen, die zwei
Personen gehören, damit die Nachkommenschaft dieser zwei
Menschen das gemeinsame Vermögen als Eigenthum er-
hält. Man beobachte doch nur, wie die Eheschließungen
der gesammten besitzenden Klasse sich als ebenso viele Ge-
schäftsspekulationen herausstellen. Und da sagt man: die
Ehe sei heilig!

Und wenn so die Kapitalmacht die Ehe lediglich zum
Handelsgeschäft macht, zu einer besonderen Bourgeoisehe,
so ist es nicht zu verwundern, daß die besitzlose Arbeiterehe
gewissermaßen ein Nichts geworden ist. Kann man es ein
Familienleben nennen, wenn unter dem Druck des ehernen
Lohngesetzes alle Familienbande zerrissen werden, Mann,
Frau und Kinder in verschiedenen Fabriken arbeiten müssen,
der Vater seine Kinder nur im Schlafe sieht, die Mutter
selbst das neugeborene "Krippen" und "Bewahranstalten"
überweisen muß? Selbst die legitime Arbeiterehe, das
sehen wir hier, ist ein Phantom in der heutigen Gesell-
schaft. Und nun gar die Prostitution, dieser vielleicht
ärgste Schandfleck der modernen Zeit! Bei ihr erkennen
wir so recht, daß für das Proletariat dies sechste Heilig-
thum der Gesellschaft ein leeres Wort bleibt. Als Waare
auf dem Markt kauft der Bourgeois auch die Leiber der
Töchter des Proletariats; so wird das Lebensglück Hundert-
tausender geopfert, und es klingt nur mehr wie Hohn,
wenn das Privilegium, wozu in der heutigen Gesellschaft
die Ehe geworden ist, dem enterbten Proletariat ein Heilig-
thum sein soll. Die moderne Ehe ist nichts als ein
Hülfsmittel des Erbrechts, also ein Mittel um die Un-
gleichheit und die Ausbeutung durch das Kapital zu ver-
ewigen.

Uns Socialisten, die wir diese Zustände enthüllen, brüllt
man nun zu: Jhr wollt die Weibergemeinschaft ein-
führen!

Weibergemeinschaft? Jst sie nicht voll und ganz in
der heutigen Gesellschaft, wo um das Weib geschachert wird,
wie um eine Waare?

Was wir Socialisten wollen, das ist: wir wollen das
Weib aus diesem unwürdigen Zustande befreien. Jndem
wir die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital verbannen,
indem wir die Produktionsinstrumente gemeinsam machen,
heben wir das Privilegium des Kapitalbesitzes auf. Damit
kann die auf persönlichen Eigenschaften und Zuneigungen
begründete Liebe erst in die Wirklichkeit eintreten, damit
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 31
[Beginn Spaltensatz] Thron, sobald sie sich sicher fühlt, zum Schattenbilde, auf
dem ein „Bürgerkönig“ sitzt. Fürchtet aber die Bourgeoisie
für ihren Geldsack, dann wirft sie sich dem Cäsarismus in
die Arme und opfert ihm alle politische Macht. Unter
allen Umständen aber durchdringt die Kapitalmacht die
ganze Staatsmaschinerie mit ihrem Einfluß und macht sie
sich dienstbar, indem sie die politisch mächtigen Männer zu
Kapitalisten, also zu ihren Klassengenossen macht.

Und dann nennt die Bourgeoisie zum Ueberfluß den
Thron: eins der theuren Heiligthümer, welches beschützt
werden müsse gegen den umstürzlerischen Socialismus.

Nun, diese Phrase verblüfft keinen Socialisten, welcher
weiß, welchen Erwägungen sie entspringt! —

Der Altar ist in Gefahr. Die Socialisten bedrohen
auch dies Heiligthum der Gesellschaft!

Wer spricht so, seid Jhr es, deren Klasse die Jdeen
von 1789 einführte und damit die Herrschaft des Priester-
thums brach. Sind die Umstürzer des Altars plötzlich
seine Vertheidiger geworden. Jn der That, die Bourgeoisie
hat aus dem alten Gerümpel auch den Altar hervorge-
sucht und stützt sich auf diesen. Natürlich hat sie die Re-
ligion gehörig umgewandelt; wie sie aus dem Thron, ihren
Thron, so hat sie aus dem Altar, ihren Altar gemacht.
Sie hat sogar ihr Lieblingsprinzip, die freie Konkurrenz,
eingeführt, die Religionsfreiheit, und der Pfaffe, welcher
am billigsten, oder auch mit der größten Reklame die Him-
melsspeise anbietet, wird sie auch am besten auf dem Markte
losschlagen können. Trotz aller Verschiedenheiten der Glau-
benslehren aber hat doch die Bourgeoisie ein Element allen
gemeinsam gemacht; sie müssen nämlich alle die heutigen
Gesellschaftszustände die Heiligthümer der Bourgeoisie, als
unantastbar darstellen. Der katholische, wie der protestantische
Pfaffe, wie der Rabbiner predigt im schroffen Widerspruch
mit Jesus von Nazareth die Ungleichheit des Eigenthums,
die Noth eines Theils der Menschen und das Wohlleben
des anderen. So predigen auch die Reformpfaffen, so predigen
vor Allem auch die Freigemeindler, welche den blinden
Glauben in religiöser Hinsicht zwar verwerfen und statt
seiner die wissenschaftliche Untersuchung fordern, welche
sich aber nicht schämen, den Glauben an die sociale Unfehl-
barkeit der modernen Ausbeutung als Dogma zu predigen.
Jn Joppe oder Kutte, einerlei, Pfaffe bleibt Pfaffe!

Der Altar ist somit nur Knecht des Kapitals, zum
Altar soll nur deshalb das Proletariat sich gewöhnen, da-
mit es sein Wohl und Wehe in anderen Welten, in Ein-
bildungen sucht und das nächstliegende, das Mein und
Dein vergißt. Es ist in Wahrheit heute jeder Altar, auf
den die Bourgeoisie sich stützt, der Altar des goldenen
Kalbes.

Und den wollt Jhr umstürzen, Jhr fluchwürdigen
Socialisten?

Warum nicht! Habt Jhr Bourgeois alle Altäre ge-
stürzt, um Euer Götzenbild an ihre Stelle zu setzen, was
soll uns da abhalten, das Volk durch die Wahrheit, durch
die Wissenschaft aufzuklären, damit es sich abwende von
allen Bourgeoispfaffen! —

Auch die Ehe bekämpft Jhr Verfluchten, Jhr wollt
die Weibergemeinschaft einführen!

[Spaltenumbruch]

Nun, was ist denn Eure moderne Ehe, Jhr Bour-
geois, wie kommt Jhr dazu, sie als geheiligten Grund-
pfeiler Eurer Gesellschaft zu betrachten?

Die Ehe war im Mittelalter und Alterthum etwas
unendlich Verschiedenes von dem, was sie heute darstellt.
Für das Weib war sie Zwang, für den Mann war sie
ein politischer Akt, um sich mächtige Verwandtschaft und
somit Einfluß durch ein dauerndes Band zu verschaffen.
Lediglich von diesem Standpunkt aus ist das gesammte
Erb= und Ehewesen in früheren Zeiten zu betrachten, und
daß die Priesterschaft ihren Einfluß hier nebenher geltend
machte, ist leicht begreiflich.

Was ist nun aber die Ehe in der heutigen Gesellschaft,
die Bourgeoisehe, besonders in der reinen Form der Civil-
ehe? Es ist die Vereinigung zweier Vermögen, die zwei
Personen gehören, damit die Nachkommenschaft dieser zwei
Menschen das gemeinsame Vermögen als Eigenthum er-
hält. Man beobachte doch nur, wie die Eheschließungen
der gesammten besitzenden Klasse sich als ebenso viele Ge-
schäftsspekulationen herausstellen. Und da sagt man: die
Ehe sei heilig!

Und wenn so die Kapitalmacht die Ehe lediglich zum
Handelsgeschäft macht, zu einer besonderen Bourgeoisehe,
so ist es nicht zu verwundern, daß die besitzlose Arbeiterehe
gewissermaßen ein Nichts geworden ist. Kann man es ein
Familienleben nennen, wenn unter dem Druck des ehernen
Lohngesetzes alle Familienbande zerrissen werden, Mann,
Frau und Kinder in verschiedenen Fabriken arbeiten müssen,
der Vater seine Kinder nur im Schlafe sieht, die Mutter
selbst das neugeborene „Krippen“ und „Bewahranstalten“
überweisen muß? Selbst die legitime Arbeiterehe, das
sehen wir hier, ist ein Phantom in der heutigen Gesell-
schaft. Und nun gar die Prostitution, dieser vielleicht
ärgste Schandfleck der modernen Zeit! Bei ihr erkennen
wir so recht, daß für das Proletariat dies sechste Heilig-
thum der Gesellschaft ein leeres Wort bleibt. Als Waare
auf dem Markt kauft der Bourgeois auch die Leiber der
Töchter des Proletariats; so wird das Lebensglück Hundert-
tausender geopfert, und es klingt nur mehr wie Hohn,
wenn das Privilegium, wozu in der heutigen Gesellschaft
die Ehe geworden ist, dem enterbten Proletariat ein Heilig-
thum sein soll. Die moderne Ehe ist nichts als ein
Hülfsmittel des Erbrechts, also ein Mittel um die Un-
gleichheit und die Ausbeutung durch das Kapital zu ver-
ewigen.

Uns Socialisten, die wir diese Zustände enthüllen, brüllt
man nun zu: Jhr wollt die Weibergemeinschaft ein-
führen!

Weibergemeinschaft? Jst sie nicht voll und ganz in
der heutigen Gesellschaft, wo um das Weib geschachert wird,
wie um eine Waare?

Was wir Socialisten wollen, das ist: wir wollen das
Weib aus diesem unwürdigen Zustande befreien. Jndem
wir die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital verbannen,
indem wir die Produktionsinstrumente gemeinsam machen,
heben wir das Privilegium des Kapitalbesitzes auf. Damit
kann die auf persönlichen Eigenschaften und Zuneigungen
begründete Liebe erst in die Wirklichkeit eintreten, damit
[Ende Spaltensatz]

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Was ist nun aber die Ehe in der heutigen Gesellschaft, die Bourgeoisehe, besonders in der reinen Form der Civil- ehe? Es ist die Vereinigung zweier Vermögen, die zwei Personen gehören, damit die Nachkommenschaft dieser zwei Menschen das gemeinsame Vermögen als Eigenthum er- hält. Man beobachte doch nur, wie die Eheschließungen der gesammten besitzenden Klasse sich als ebenso viele Ge- schäftsspekulationen herausstellen. Und da sagt man: die Ehe sei heilig! Und wenn so die Kapitalmacht die Ehe lediglich zum Handelsgeschäft macht, zu einer besonderen Bourgeoisehe, so ist es nicht zu verwundern, daß die besitzlose Arbeiterehe gewissermaßen ein Nichts geworden ist. Kann man es ein Familienleben nennen, wenn unter dem Druck des ehernen Lohngesetzes alle Familienbande zerrissen werden, Mann, Frau und Kinder in verschiedenen Fabriken arbeiten müssen, der Vater seine Kinder nur im Schlafe sieht, die Mutter selbst das neugeborene „Krippen“ und „Bewahranstalten“ überweisen muß? 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Jst sie nicht voll und ganz in der heutigen Gesellschaft, wo um das Weib geschachert wird, wie um eine Waare? Was wir Socialisten wollen, das ist: wir wollen das Weib aus diesem unwürdigen Zustande befreien. Jndem wir die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital verbannen, indem wir die Produktionsinstrumente gemeinsam machen, heben wir das Privilegium des Kapitalbesitzes auf. Damit kann die auf persönlichen Eigenschaften und Zuneigungen begründete Liebe erst in die Wirklichkeit eintreten, damit

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/7>, abgerufen am 14.06.2024.