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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 13
[Beginn Spaltensatz] schehen in den täuschenden Formen des Rechts. Chinesische Man-
darinen beziehen ihre Prozente, und der portugiesische Prokurator,
der in Macao die Auswanderungsschiffe mustert, findet bei seinen
Revisionen Alles "vorschriftsmäßig". Die Gesammtkosten für
Anwerbung und Transportirung eines Kuli nach Westindien be-
ziffern sich auf etwa 307 Thaler. Nimmt man, wie Sachver-
ständige rechnen, den Reinertrag des Geschäfts für jeden Kuli
auf 100 Prozent des Kapitals an, so wird man anerkennen: diese
Spekulanten in Macao und Canton haben alle Anspruch darauf
-- "Gründer" eines Vermögens genannt zu werden.

Den Portugiesen gesellten sich alsbald, durch so große Er-
trägnisse angelockt, andere Nationalitäten zu. Die englisch=fran-
zösischen Verträge von 1860 stipuliren von China die "Freiheit
der Auswanderung." Seit jener Zeit ist ein englisches und ein
französisches Auswanderungsbureau in Canton eröffnet worden.

Wie es den Kulis auf dem Transporte ergeht, darüber sind
von Zeit zu Zeit Nachrichten in die Oeffentlichkeit gedrungen,
deren Wirkung eine nachhaltige sein würde, wenn sie in gebühren-
der Ordnung und in ihrem Zusammenhange gelesen und gewürdigt
werden könnten. Jn kleinen Notizen zerstreut, entgehen sie aber
der nachhaltigen Aufmerksamkeit; sie verfallen dem[unleserliches Material] Schicksal der
Vergessenheit mit dem Verschwinden der Zeitungsnummer, die
sie gebracht hatte. Höchst werthvolle Mittheilungen enthalten aber
die englischen Parlamentsberichte, welche diesem Gegenstande ge-
widmet sind. Ob sie Alles sagen? -- wer weiß es! Mehr als
die Wiederholung solcher Schreckensberichte bedeutet vielleicht die
statistische Ziffer. Jn dem 20jährigen Zwischenraume zwischen
1847 und 1866 sind allein nach Cuba 211 Fahrzeuge mit
85,786 Kulis verschifft worden, verstorben unterwegs 11,200!
Wie viele später an Krankheiten und an Selbstmord in kurzer
Zeit nach ihrer Ausschiffung endeten, bleibt dunkel. Jedenfalls
behält der Chinese nach seiner Landung kaum eine Hoffnung, seine
Heimath wieder zu sehen. Ein spanisches Gesetz aus dem Jahre
1860 verbot den Aufenthalt freier Chinesen auf Cuba; wer nach
Ablauf seines achtjährigen Arbeitskontraktes die Rückfahrt nicht
zu bezahlen vermag, hat nur die eine Möglichkeit, sich wieder
für acht weitere Jahre zu verdingen, und so fort. Begreiflich ist,
daß die Chinesen in ihrer Sprache das Kuli=Transportgeschäft
"Schweinehandel" nennen. Die englischen Richter in Hongkong
haben zu wiederholten Malen öffentlich in ihren Urtheilen ausge-
sprochen, daß das Kuligeschäft seiner ganzen Natur nach nichts Anderes
sein kann, als Sclavenhandel, und daß alle sogenannten " Regu-
lative " zur Veaufsichtigung dieses Gewerbes wirkungslos bleiben.
Jenen Richtern gereicht es zur besonderen Ehre, in dem oft ge-
nannten Prozeß Kwoka=a=Sing einen chinesischen Kuli freige-
sprochen zu haben von der Anklage des Todtschlages und der
Meuterei gegen den Capitän eines Kulischiffes. Es wurde ange-
nommen, daß unter den obwaltenden Umständen gewaltsame Be-
freiungsversuche auf hoher See nur als berechtigte Nothwehr an-
gesehen werden könnten. Und wie oft werden derartige Versuche
unternommen! Unterliegen die empörten Kulis der meistens trefflich
bewaffneten Schiffsmannschaft, so ist das Schicksal der Ueberle-
benden um so schrecklicher. Behalten die Kulis die Oberhand,
so schonen sie nur das Leben derer, welche erforderlich sind, das
Schiff in den nächsten chinesischen Hafen zurückzusteuern.

Eine etwas veränderte Gestalt zeigt der Menschenhandel in
der Südsee. Dort fehlen mancherlei Rücksichten, die an den
Küsten Chinas genommen werden müssen. Roher und gewalt-
samer vermag der Menschenfänger der Südsee zu verfahren. Auf
dem unermeßlichen Seegebiet Polynesiens ( Australien ) ist eine
Ueberwachung so gut wie unmöglich. Tiefer ist der Bildungs-
stand der zum staatlichen Leben noch nicht vorgeschrittenen Jnsu-
laner. Die hauptsächlichsten Absatzpunkte für den "schwarzen
Vogelfang" sind die nördlichsten der englischen Austral=Colonieen,
Queensland, die französischen Besitzungen von Neu=Caledonien
und die Fidschi=Jnseln, auf denen sich neben der eingeborenen
Bevölkerung in den letzten Jahren zahlreiche Engländer und Fran-
zosen niederließen, um unter König Kakobaus konstitutioneller Re-
gierung ihre Geldbeutel möglichst schnell zu füllen. Was zur
Abstellung des scheußlichsten Verbrechens, des Menschenfangs bisher
von der englischen Colonialregierung oder von der Marine unter-
nommen wurde, hat sich als eine Spiegelfechterei erwiesen.

Das Verfahren, das beim Einfangen der polynesischen Kulis
beobachtet wird, ist in der Regel dieses: Sobald in der Nähe
der Jnsel ein fremdes Schiff vor Anker geht, finden sich die Ein-
geborenen auf ihren Booten ein, um Tauschhandel zu treiben.
Jst dies geschehen, so werden durch allerlei Veranstaltungen die
[Spaltenumbruch] Eingeborenen entweder auf das Verdeck gelockt, wozu man als
Lockvögel einige Farbige mit sich führt, und alsdann eingefangen.
Oder die Boote der Eingeborenen werden von der Schiffsbe-
satzung mittels sorgfältig vorbereiteter Veranstaltung zum Um-
schlagen gebracht. Die alsdann Schwimmenden werden durch
Schrotschüsse leicht verwundet, oder mit Schlingen so lange ge-
würgt, auch mit Keulenschlägen betäubt, bis man sie an Bord
gebracht hat. Einzelne Menschenfänger verkleiden sich als Missio-
nare, vertheilen werthlose Kleinigkeiten, stimmen fromme Gesänge
an und täuschen dadurch die arglosen Jnsulaner. Jst die Ladung
ausreichend, so werden die Eingefangenen durch Zwangsmittel
aller Art belehrt, mittels Aufhebung mehrerer Finger und Her-
sagens einer entsprechenden Ziffer, beispielsweise "drei" oder "vier"
die Anzahl von Jahren auszudrücken, für welche sie sich freiwillig
verdungen haben. Sobald alsdann der revidirende Consul in
einem englischen Hafen die Eingefangenen mustert und besichtigt,
verfahren diese "vorschriftsmäßig" nach der ihnen gewordenen
Dressur; Alles wird amtlich in Ordnung befunden und das
Geschäft ist besorgt. Es ist unvermeidlich, daß auch in der Südsee
von dem Eingefangenen Befreiungsversuche mit meistentheils un-
glücklichem und blutigem Ausgange unternommen werden.

Den besten Aufschluß über den Hergang der Sache bietet
die Geschichte des Piratenschiffes "Karl" und der Strafprozeß,
welcher im Herbste 1872 theils in Sydney, theils in Melbourne
gegen die Schuldigen verhandelt wurde. Zwei der Betheiligten,
darunter der Capitän Armstrong, wurden in Sydney zum Tode
verurtheilt; der Hauptschuldige, der Eigenthümer des Schiffes, ein
Doktor der Medizin, blieb unverfolgt, nachdem er sich in seiner
Eigenschaft als Denunziant die Straflosigkeit als "Königszeuge"
durch einen englischen Consul hatte versprechen lassen, Dr. James
Patrik Murray, so hieß. der Nichtswürdige, segelte im Juni 1871
mit dem "Karl" nach Leonka auf den Fidschi=Jnseln, wechselte
dort aus Vorsicht die Schiffsbesatzung und begab sich auf zwei
Unternehmungen oder Geschäftsreisen. Auf einer dieser Reisen
brach unter den geraubten Jnsulanern ein Aufstand aus. Sie
bemächtigten sich einiger Pfähle von Schiffsplanken, gingen ihren
Peinigern zu Leibe, wurden aber durch den Gebrauch der Schuß-
waffen in ihren Käfig unter Deck zurückgetrieben und hier einge-
nagelt. Nicht nur die zahlreichen Todten wurden den Wellen
preisgegeben, sondern auch 16 Schwerverwundete, an Händen und
Füßen geknebelt, über Bord geworfen und gleich neugeborenen
Katzen ersäuft. Während die bereits Ueberwundenen eingesperrt
waren, ließ Dr. Murray durch den Schiffszimmermann ein zoll-
großes Loch durch die Planken bohren. Jn aller Bequemlichkeit
und ungesehen feuerte er durch diese Oeffnung seine Revolver-
kugeln unter den in der Dunkelheit zusammengeballten Menschen-
knäuel. Fünfunddreißig Todte wurden später über Bord geworfen.
Die Ueberlebenden, bei ihrer Ankunft im Ausschiffungshafen ge-
mustert, erklärten, in üblicher Weise auf drei Jahre kontraktlich
gemiethet zu sein, und wurden "durch die inspizirenden Behörden"
sämmtlich in gehöriger Ordnung befunden. Dr. Murray behielt
seinen Geschäftsgewinn. Ein Mitglied der gesetzgebenden Ver-
sammlung von Adelaide in Süd=Australien, Herr Blackmore,
berichtete in englischen Journalen über diesen Fall mit dem Be-
merken, daß alle erdenklichen Maßregeln der Aufsicht vergeblich
sein würden, und daß es nur ein einziges wirksames Mittel gebe:
völliges, absolutes Verbot von Menscheneinfuhr. Daß die auf-
gebrachten Südsee=Jnsulaner von Zeit zu Zeit an irgend einem
beliebigen Weißen einen Akt der Blutrache vollziehen, ist nicht zu
verwundern. Bischof Patterson fiel in seiner missionaren Thätig-
keit als eines der Opfer für die Schandthaten Anderer. Dieser
ausgezeichnete Mann bemerkte übrigens aus Anlaß des Men-
schenfanges, es sei empörend sowohl als lächerlich, von " Arbeits-
kontrakten " zu sprechen, keiner der Südsee=Jnsulaner sei im
Stande, den Begriff des Kontraktes zu verstehen.

War der alte Sclavenhandel an den afrikanischen Küsten im
Vergleich zu diesen Unternehmungen nicht ein ehrliches Gewerbe?
Jch meine, ja! Damals kaufte der Sclavenhändler von einem
siegreichen Negerhäuptling die Kriegsgefangenen, die er nach bar-
barischer Sitte einfach hätte abschlachten können. Dem afrikanischen
Sclaven ward durch Ankauf das Leben gerettet. Der asiatische
Kulihandel ist nicht bloß Gewaltthat, sondern mehr als Barbarei.
Es ist jener schnöde, die Formen des Rechts äußerlich annehmende,
aber die Gerechtigkeit schändende Hohn auf die Menschheit, den
man zu den schwersten Sünden gegen den heiligen Geist zu zählen
hat. Den Negerhandel nach Amerika haben die Staatsverträge
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 13
[Beginn Spaltensatz] schehen in den täuschenden Formen des Rechts. Chinesische Man-
darinen beziehen ihre Prozente, und der portugiesische Prokurator,
der in Macao die Auswanderungsschiffe mustert, findet bei seinen
Revisionen Alles „vorschriftsmäßig“. Die Gesammtkosten für
Anwerbung und Transportirung eines Kuli nach Westindien be-
ziffern sich auf etwa 307 Thaler. Nimmt man, wie Sachver-
ständige rechnen, den Reinertrag des Geschäfts für jeden Kuli
auf 100 Prozent des Kapitals an, so wird man anerkennen: diese
Spekulanten in Macao und Canton haben alle Anspruch darauf
— „Gründer“ eines Vermögens genannt zu werden.

Den Portugiesen gesellten sich alsbald, durch so große Er-
trägnisse angelockt, andere Nationalitäten zu. Die englisch=fran-
zösischen Verträge von 1860 stipuliren von China die „Freiheit
der Auswanderung.“ Seit jener Zeit ist ein englisches und ein
französisches Auswanderungsbureau in Canton eröffnet worden.

Wie es den Kulis auf dem Transporte ergeht, darüber sind
von Zeit zu Zeit Nachrichten in die Oeffentlichkeit gedrungen,
deren Wirkung eine nachhaltige sein würde, wenn sie in gebühren-
der Ordnung und in ihrem Zusammenhange gelesen und gewürdigt
werden könnten. Jn kleinen Notizen zerstreut, entgehen sie aber
der nachhaltigen Aufmerksamkeit; sie verfallen dem[unleserliches Material] Schicksal der
Vergessenheit mit dem Verschwinden der Zeitungsnummer, die
sie gebracht hatte. Höchst werthvolle Mittheilungen enthalten aber
die englischen Parlamentsberichte, welche diesem Gegenstande ge-
widmet sind. Ob sie Alles sagen? — wer weiß es! Mehr als
die Wiederholung solcher Schreckensberichte bedeutet vielleicht die
statistische Ziffer. Jn dem 20jährigen Zwischenraume zwischen
1847 und 1866 sind allein nach Cuba 211 Fahrzeuge mit
85,786 Kulis verschifft worden, verstorben unterwegs 11,200!
Wie viele später an Krankheiten und an Selbstmord in kurzer
Zeit nach ihrer Ausschiffung endeten, bleibt dunkel. Jedenfalls
behält der Chinese nach seiner Landung kaum eine Hoffnung, seine
Heimath wieder zu sehen. Ein spanisches Gesetz aus dem Jahre
1860 verbot den Aufenthalt freier Chinesen auf Cuba; wer nach
Ablauf seines achtjährigen Arbeitskontraktes die Rückfahrt nicht
zu bezahlen vermag, hat nur die eine Möglichkeit, sich wieder
für acht weitere Jahre zu verdingen, und so fort. Begreiflich ist,
daß die Chinesen in ihrer Sprache das Kuli=Transportgeschäft
„Schweinehandel“ nennen. Die englischen Richter in Hongkong
haben zu wiederholten Malen öffentlich in ihren Urtheilen ausge-
sprochen, daß das Kuligeschäft seiner ganzen Natur nach nichts Anderes
sein kann, als Sclavenhandel, und daß alle sogenannten „ Regu-
lative “ zur Veaufsichtigung dieses Gewerbes wirkungslos bleiben.
Jenen Richtern gereicht es zur besonderen Ehre, in dem oft ge-
nannten Prozeß Kwoka=a=Sing einen chinesischen Kuli freige-
sprochen zu haben von der Anklage des Todtschlages und der
Meuterei gegen den Capitän eines Kulischiffes. Es wurde ange-
nommen, daß unter den obwaltenden Umständen gewaltsame Be-
freiungsversuche auf hoher See nur als berechtigte Nothwehr an-
gesehen werden könnten. Und wie oft werden derartige Versuche
unternommen! Unterliegen die empörten Kulis der meistens trefflich
bewaffneten Schiffsmannschaft, so ist das Schicksal der Ueberle-
benden um so schrecklicher. Behalten die Kulis die Oberhand,
so schonen sie nur das Leben derer, welche erforderlich sind, das
Schiff in den nächsten chinesischen Hafen zurückzusteuern.

Eine etwas veränderte Gestalt zeigt der Menschenhandel in
der Südsee. Dort fehlen mancherlei Rücksichten, die an den
Küsten Chinas genommen werden müssen. Roher und gewalt-
samer vermag der Menschenfänger der Südsee zu verfahren. Auf
dem unermeßlichen Seegebiet Polynesiens ( Australien ) ist eine
Ueberwachung so gut wie unmöglich. Tiefer ist der Bildungs-
stand der zum staatlichen Leben noch nicht vorgeschrittenen Jnsu-
laner. Die hauptsächlichsten Absatzpunkte für den „schwarzen
Vogelfang“ sind die nördlichsten der englischen Austral=Colonieen,
Queensland, die französischen Besitzungen von Neu=Caledonien
und die Fidschi=Jnseln, auf denen sich neben der eingeborenen
Bevölkerung in den letzten Jahren zahlreiche Engländer und Fran-
zosen niederließen, um unter König Kakobaus konstitutioneller Re-
gierung ihre Geldbeutel möglichst schnell zu füllen. Was zur
Abstellung des scheußlichsten Verbrechens, des Menschenfangs bisher
von der englischen Colonialregierung oder von der Marine unter-
nommen wurde, hat sich als eine Spiegelfechterei erwiesen.

Das Verfahren, das beim Einfangen der polynesischen Kulis
beobachtet wird, ist in der Regel dieses: Sobald in der Nähe
der Jnsel ein fremdes Schiff vor Anker geht, finden sich die Ein-
geborenen auf ihren Booten ein, um Tauschhandel zu treiben.
Jst dies geschehen, so werden durch allerlei Veranstaltungen die
[Spaltenumbruch] Eingeborenen entweder auf das Verdeck gelockt, wozu man als
Lockvögel einige Farbige mit sich führt, und alsdann eingefangen.
Oder die Boote der Eingeborenen werden von der Schiffsbe-
satzung mittels sorgfältig vorbereiteter Veranstaltung zum Um-
schlagen gebracht. Die alsdann Schwimmenden werden durch
Schrotschüsse leicht verwundet, oder mit Schlingen so lange ge-
würgt, auch mit Keulenschlägen betäubt, bis man sie an Bord
gebracht hat. Einzelne Menschenfänger verkleiden sich als Missio-
nare, vertheilen werthlose Kleinigkeiten, stimmen fromme Gesänge
an und täuschen dadurch die arglosen Jnsulaner. Jst die Ladung
ausreichend, so werden die Eingefangenen durch Zwangsmittel
aller Art belehrt, mittels Aufhebung mehrerer Finger und Her-
sagens einer entsprechenden Ziffer, beispielsweise „drei“ oder „vier“
die Anzahl von Jahren auszudrücken, für welche sie sich freiwillig
verdungen haben. Sobald alsdann der revidirende Consul in
einem englischen Hafen die Eingefangenen mustert und besichtigt,
verfahren diese „vorschriftsmäßig“ nach der ihnen gewordenen
Dressur; Alles wird amtlich in Ordnung befunden und das
Geschäft ist besorgt. Es ist unvermeidlich, daß auch in der Südsee
von dem Eingefangenen Befreiungsversuche mit meistentheils un-
glücklichem und blutigem Ausgange unternommen werden.

Den besten Aufschluß über den Hergang der Sache bietet
die Geschichte des Piratenschiffes „Karl“ und der Strafprozeß,
welcher im Herbste 1872 theils in Sydney, theils in Melbourne
gegen die Schuldigen verhandelt wurde. Zwei der Betheiligten,
darunter der Capitän Armstrong, wurden in Sydney zum Tode
verurtheilt; der Hauptschuldige, der Eigenthümer des Schiffes, ein
Doktor der Medizin, blieb unverfolgt, nachdem er sich in seiner
Eigenschaft als Denunziant die Straflosigkeit als „Königszeuge“
durch einen englischen Consul hatte versprechen lassen, Dr. James
Patrik Murray, so hieß. der Nichtswürdige, segelte im Juni 1871
mit dem „Karl“ nach Leonka auf den Fidschi=Jnseln, wechselte
dort aus Vorsicht die Schiffsbesatzung und begab sich auf zwei
Unternehmungen oder Geschäftsreisen. Auf einer dieser Reisen
brach unter den geraubten Jnsulanern ein Aufstand aus. Sie
bemächtigten sich einiger Pfähle von Schiffsplanken, gingen ihren
Peinigern zu Leibe, wurden aber durch den Gebrauch der Schuß-
waffen in ihren Käfig unter Deck zurückgetrieben und hier einge-
nagelt. Nicht nur die zahlreichen Todten wurden den Wellen
preisgegeben, sondern auch 16 Schwerverwundete, an Händen und
Füßen geknebelt, über Bord geworfen und gleich neugeborenen
Katzen ersäuft. Während die bereits Ueberwundenen eingesperrt
waren, ließ Dr. Murray durch den Schiffszimmermann ein zoll-
großes Loch durch die Planken bohren. Jn aller Bequemlichkeit
und ungesehen feuerte er durch diese Oeffnung seine Revolver-
kugeln unter den in der Dunkelheit zusammengeballten Menschen-
knäuel. Fünfunddreißig Todte wurden später über Bord geworfen.
Die Ueberlebenden, bei ihrer Ankunft im Ausschiffungshafen ge-
mustert, erklärten, in üblicher Weise auf drei Jahre kontraktlich
gemiethet zu sein, und wurden „durch die inspizirenden Behörden“
sämmtlich in gehöriger Ordnung befunden. Dr. Murray behielt
seinen Geschäftsgewinn. Ein Mitglied der gesetzgebenden Ver-
sammlung von Adelaide in Süd=Australien, Herr Blackmore,
berichtete in englischen Journalen über diesen Fall mit dem Be-
merken, daß alle erdenklichen Maßregeln der Aufsicht vergeblich
sein würden, und daß es nur ein einziges wirksames Mittel gebe:
völliges, absolutes Verbot von Menscheneinfuhr. Daß die auf-
gebrachten Südsee=Jnsulaner von Zeit zu Zeit an irgend einem
beliebigen Weißen einen Akt der Blutrache vollziehen, ist nicht zu
verwundern. Bischof Patterson fiel in seiner missionaren Thätig-
keit als eines der Opfer für die Schandthaten Anderer. Dieser
ausgezeichnete Mann bemerkte übrigens aus Anlaß des Men-
schenfanges, es sei empörend sowohl als lächerlich, von „ Arbeits-
kontrakten “ zu sprechen, keiner der Südsee=Jnsulaner sei im
Stande, den Begriff des Kontraktes zu verstehen.

War der alte Sclavenhandel an den afrikanischen Küsten im
Vergleich zu diesen Unternehmungen nicht ein ehrliches Gewerbe?
Jch meine, ja! Damals kaufte der Sclavenhändler von einem
siegreichen Negerhäuptling die Kriegsgefangenen, die er nach bar-
barischer Sitte einfach hätte abschlachten können. Dem afrikanischen
Sclaven ward durch Ankauf das Leben gerettet. Der asiatische
Kulihandel ist nicht bloß Gewaltthat, sondern mehr als Barbarei.
Es ist jener schnöde, die Formen des Rechts äußerlich annehmende,
aber die Gerechtigkeit schändende Hohn auf die Menschheit, den
man zu den schwersten Sünden gegen den heiligen Geist zu zählen
hat. Den Negerhandel nach Amerika haben die Staatsverträge
[Ende Spaltensatz]

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[13/0013] Zur Unterhaltung und Belehrung. 13 schehen in den täuschenden Formen des Rechts. Chinesische Man- darinen beziehen ihre Prozente, und der portugiesische Prokurator, der in Macao die Auswanderungsschiffe mustert, findet bei seinen Revisionen Alles „vorschriftsmäßig“. Die Gesammtkosten für Anwerbung und Transportirung eines Kuli nach Westindien be- ziffern sich auf etwa 307 Thaler. Nimmt man, wie Sachver- ständige rechnen, den Reinertrag des Geschäfts für jeden Kuli auf 100 Prozent des Kapitals an, so wird man anerkennen: diese Spekulanten in Macao und Canton haben alle Anspruch darauf — „Gründer“ eines Vermögens genannt zu werden. Den Portugiesen gesellten sich alsbald, durch so große Er- trägnisse angelockt, andere Nationalitäten zu. Die englisch=fran- zösischen Verträge von 1860 stipuliren von China die „Freiheit der Auswanderung.“ Seit jener Zeit ist ein englisches und ein französisches Auswanderungsbureau in Canton eröffnet worden. Wie es den Kulis auf dem Transporte ergeht, darüber sind von Zeit zu Zeit Nachrichten in die Oeffentlichkeit gedrungen, deren Wirkung eine nachhaltige sein würde, wenn sie in gebühren- der Ordnung und in ihrem Zusammenhange gelesen und gewürdigt werden könnten. Jn kleinen Notizen zerstreut, entgehen sie aber der nachhaltigen Aufmerksamkeit; sie verfallen dem_ Schicksal der Vergessenheit mit dem Verschwinden der Zeitungsnummer, die sie gebracht hatte. Höchst werthvolle Mittheilungen enthalten aber die englischen Parlamentsberichte, welche diesem Gegenstande ge- widmet sind. Ob sie Alles sagen? — wer weiß es! Mehr als die Wiederholung solcher Schreckensberichte bedeutet vielleicht die statistische Ziffer. Jn dem 20jährigen Zwischenraume zwischen 1847 und 1866 sind allein nach Cuba 211 Fahrzeuge mit 85,786 Kulis verschifft worden, verstorben unterwegs 11,200! Wie viele später an Krankheiten und an Selbstmord in kurzer Zeit nach ihrer Ausschiffung endeten, bleibt dunkel. Jedenfalls behält der Chinese nach seiner Landung kaum eine Hoffnung, seine Heimath wieder zu sehen. Ein spanisches Gesetz aus dem Jahre 1860 verbot den Aufenthalt freier Chinesen auf Cuba; wer nach Ablauf seines achtjährigen Arbeitskontraktes die Rückfahrt nicht zu bezahlen vermag, hat nur die eine Möglichkeit, sich wieder für acht weitere Jahre zu verdingen, und so fort. Begreiflich ist, daß die Chinesen in ihrer Sprache das Kuli=Transportgeschäft „Schweinehandel“ nennen. Die englischen Richter in Hongkong haben zu wiederholten Malen öffentlich in ihren Urtheilen ausge- sprochen, daß das Kuligeschäft seiner ganzen Natur nach nichts Anderes sein kann, als Sclavenhandel, und daß alle sogenannten „ Regu- lative “ zur Veaufsichtigung dieses Gewerbes wirkungslos bleiben. Jenen Richtern gereicht es zur besonderen Ehre, in dem oft ge- nannten Prozeß Kwoka=a=Sing einen chinesischen Kuli freige- sprochen zu haben von der Anklage des Todtschlages und der Meuterei gegen den Capitän eines Kulischiffes. Es wurde ange- nommen, daß unter den obwaltenden Umständen gewaltsame Be- freiungsversuche auf hoher See nur als berechtigte Nothwehr an- gesehen werden könnten. Und wie oft werden derartige Versuche unternommen! Unterliegen die empörten Kulis der meistens trefflich bewaffneten Schiffsmannschaft, so ist das Schicksal der Ueberle- benden um so schrecklicher. Behalten die Kulis die Oberhand, so schonen sie nur das Leben derer, welche erforderlich sind, das Schiff in den nächsten chinesischen Hafen zurückzusteuern. Eine etwas veränderte Gestalt zeigt der Menschenhandel in der Südsee. Dort fehlen mancherlei Rücksichten, die an den Küsten Chinas genommen werden müssen. Roher und gewalt- samer vermag der Menschenfänger der Südsee zu verfahren. Auf dem unermeßlichen Seegebiet Polynesiens ( Australien ) ist eine Ueberwachung so gut wie unmöglich. Tiefer ist der Bildungs- stand der zum staatlichen Leben noch nicht vorgeschrittenen Jnsu- laner. Die hauptsächlichsten Absatzpunkte für den „schwarzen Vogelfang“ sind die nördlichsten der englischen Austral=Colonieen, Queensland, die französischen Besitzungen von Neu=Caledonien und die Fidschi=Jnseln, auf denen sich neben der eingeborenen Bevölkerung in den letzten Jahren zahlreiche Engländer und Fran- zosen niederließen, um unter König Kakobaus konstitutioneller Re- gierung ihre Geldbeutel möglichst schnell zu füllen. Was zur Abstellung des scheußlichsten Verbrechens, des Menschenfangs bisher von der englischen Colonialregierung oder von der Marine unter- nommen wurde, hat sich als eine Spiegelfechterei erwiesen. Das Verfahren, das beim Einfangen der polynesischen Kulis beobachtet wird, ist in der Regel dieses: Sobald in der Nähe der Jnsel ein fremdes Schiff vor Anker geht, finden sich die Ein- geborenen auf ihren Booten ein, um Tauschhandel zu treiben. Jst dies geschehen, so werden durch allerlei Veranstaltungen die Eingeborenen entweder auf das Verdeck gelockt, wozu man als Lockvögel einige Farbige mit sich führt, und alsdann eingefangen. Oder die Boote der Eingeborenen werden von der Schiffsbe- satzung mittels sorgfältig vorbereiteter Veranstaltung zum Um- schlagen gebracht. Die alsdann Schwimmenden werden durch Schrotschüsse leicht verwundet, oder mit Schlingen so lange ge- würgt, auch mit Keulenschlägen betäubt, bis man sie an Bord gebracht hat. Einzelne Menschenfänger verkleiden sich als Missio- nare, vertheilen werthlose Kleinigkeiten, stimmen fromme Gesänge an und täuschen dadurch die arglosen Jnsulaner. Jst die Ladung ausreichend, so werden die Eingefangenen durch Zwangsmittel aller Art belehrt, mittels Aufhebung mehrerer Finger und Her- sagens einer entsprechenden Ziffer, beispielsweise „drei“ oder „vier“ die Anzahl von Jahren auszudrücken, für welche sie sich freiwillig verdungen haben. Sobald alsdann der revidirende Consul in einem englischen Hafen die Eingefangenen mustert und besichtigt, verfahren diese „vorschriftsmäßig“ nach der ihnen gewordenen Dressur; Alles wird amtlich in Ordnung befunden und das Geschäft ist besorgt. Es ist unvermeidlich, daß auch in der Südsee von dem Eingefangenen Befreiungsversuche mit meistentheils un- glücklichem und blutigem Ausgange unternommen werden. Den besten Aufschluß über den Hergang der Sache bietet die Geschichte des Piratenschiffes „Karl“ und der Strafprozeß, welcher im Herbste 1872 theils in Sydney, theils in Melbourne gegen die Schuldigen verhandelt wurde. Zwei der Betheiligten, darunter der Capitän Armstrong, wurden in Sydney zum Tode verurtheilt; der Hauptschuldige, der Eigenthümer des Schiffes, ein Doktor der Medizin, blieb unverfolgt, nachdem er sich in seiner Eigenschaft als Denunziant die Straflosigkeit als „Königszeuge“ durch einen englischen Consul hatte versprechen lassen, Dr. James Patrik Murray, so hieß. der Nichtswürdige, segelte im Juni 1871 mit dem „Karl“ nach Leonka auf den Fidschi=Jnseln, wechselte dort aus Vorsicht die Schiffsbesatzung und begab sich auf zwei Unternehmungen oder Geschäftsreisen. Auf einer dieser Reisen brach unter den geraubten Jnsulanern ein Aufstand aus. Sie bemächtigten sich einiger Pfähle von Schiffsplanken, gingen ihren Peinigern zu Leibe, wurden aber durch den Gebrauch der Schuß- waffen in ihren Käfig unter Deck zurückgetrieben und hier einge- nagelt. Nicht nur die zahlreichen Todten wurden den Wellen preisgegeben, sondern auch 16 Schwerverwundete, an Händen und Füßen geknebelt, über Bord geworfen und gleich neugeborenen Katzen ersäuft. Während die bereits Ueberwundenen eingesperrt waren, ließ Dr. Murray durch den Schiffszimmermann ein zoll- großes Loch durch die Planken bohren. Jn aller Bequemlichkeit und ungesehen feuerte er durch diese Oeffnung seine Revolver- kugeln unter den in der Dunkelheit zusammengeballten Menschen- knäuel. Fünfunddreißig Todte wurden später über Bord geworfen. Die Ueberlebenden, bei ihrer Ankunft im Ausschiffungshafen ge- mustert, erklärten, in üblicher Weise auf drei Jahre kontraktlich gemiethet zu sein, und wurden „durch die inspizirenden Behörden“ sämmtlich in gehöriger Ordnung befunden. Dr. Murray behielt seinen Geschäftsgewinn. Ein Mitglied der gesetzgebenden Ver- sammlung von Adelaide in Süd=Australien, Herr Blackmore, berichtete in englischen Journalen über diesen Fall mit dem Be- merken, daß alle erdenklichen Maßregeln der Aufsicht vergeblich sein würden, und daß es nur ein einziges wirksames Mittel gebe: völliges, absolutes Verbot von Menscheneinfuhr. Daß die auf- gebrachten Südsee=Jnsulaner von Zeit zu Zeit an irgend einem beliebigen Weißen einen Akt der Blutrache vollziehen, ist nicht zu verwundern. Bischof Patterson fiel in seiner missionaren Thätig- keit als eines der Opfer für die Schandthaten Anderer. Dieser ausgezeichnete Mann bemerkte übrigens aus Anlaß des Men- schenfanges, es sei empörend sowohl als lächerlich, von „ Arbeits- kontrakten “ zu sprechen, keiner der Südsee=Jnsulaner sei im Stande, den Begriff des Kontraktes zu verstehen. War der alte Sclavenhandel an den afrikanischen Küsten im Vergleich zu diesen Unternehmungen nicht ein ehrliches Gewerbe? Jch meine, ja! Damals kaufte der Sclavenhändler von einem siegreichen Negerhäuptling die Kriegsgefangenen, die er nach bar- barischer Sitte einfach hätte abschlachten können. Dem afrikanischen Sclaven ward durch Ankauf das Leben gerettet. Der asiatische Kulihandel ist nicht bloß Gewaltthat, sondern mehr als Barbarei. Es ist jener schnöde, die Formen des Rechts äußerlich annehmende, aber die Gerechtigkeit schändende Hohn auf die Menschheit, den man zu den schwersten Sünden gegen den heiligen Geist zu zählen hat. Den Negerhandel nach Amerika haben die Staatsverträge

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/13>, abgerufen am 24.11.2024.