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Reichspost. Nr. 283, Wien, 10.12.1895.

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Wien, Dienstag Reichspost 10. December 1895 283

[Spaltenumbruch]
Volkswirthschaftlicher Theil.
Die Mißwirthschaft bei der
"Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und
Unterstützungs-Casse in Wien".

II.

Fch. In dem Jahresberichte der allgemeinen
Arbeiterkranken-Unterstützungscasse für 1894; dessen
Ausfolgung, so nebenbei gesagt, der Redaction der
"Reichspost" schon einmal verweigert worden war,
findet sich auf der ersten Seite folgende Stelle:

"Ein System der Zerfahrenheit und Gedanken-
losigkeit durchsetzt mit Corruption war soeben
zusammengebrochen. Fünf Beamte in Vertrauens-
stellung mußten dem Strafgerichte ausge-
liefert, andere müssen entlassen werden." "Von
Arbeit konnte man viel weniger, als von dem Be-
mühen, die Arbeitsstunden todtzuschlagen, reden."

Die "Genossen Kanzleiproletarier" entblödeten sich
also nicht, sich an den Kreuzern ihrer "arbeitenden"
Genossen zu vergreifen, beziehungsweise auf deren
Kosten ein Faullenzerleben zu führen.

Man darf aber nicht glauben, daß die neue Ver-
waltung in einem Momente sittlicher Entrüstung diese
Gebahrungsweise festnagelte. O nein! Seit die regie-
renden Socialdemokraten genöthigt waren, allen social-
demokratischen Principien zum Hohn, einige Genossen
dem Staatsanwalt auszuliefern, seit der Zeit sprach
man in Genossenkreisen und darüber hinaus allerlei,
was die Cassenleitung zwang, Farbe zu bekennen und
Sündenböcke zu suchen.

Der ziffermäßige Nachweis der Höhe der De-
fraudationen
stellt fest, daß die erwähnten
fünf Genossen fl. 17.601·09 defraudirten, hiezn
kommt noch ein in den Ortsgruppen Atzgersdorf,
Brunn
und Pottendorf veruntreuter Betrag
von fl. 444·75, so daß sich insgesammt ein Manco
von fl. 18.045·84 ergeben hat. Dazu wird bemerkt,
daß wegen Vernichtung älterer Belege, zu der
Niemand den Auftrag ertheilt haben will, über
das Jahr 1893 zurück die Ausgaben nicht verfolgt
werden können. Im Einschreibeort Kaisermühlen
wurde ein theilweise bereits gedeckter Abgang von
fl. 210·45 entdeckt. Außerdem soll auf ein schon früher
festgestelltes Manco im Betrage von fl. 999·61 ein
Theilbetrag hereingebracht worden sein. Ueber eine
von einem Genossen Pamelzig entwendete Summe,
sowie über noch andere soll der 1895er Bericht Auf-
schluß geben.

Es herrschten also in der allgemeinen Arbeiter-
kranken- und Unterstützungscasse Zustände, die erst seit
dem wohl etwas verspäteten Einschreiten des Staats-
anwaltes der Sanirung zugeführt wurden.

Bezeichnend für die Entlohnung, wie sie von den
socialdemokratischen Arbeitsgebern bei der Casse ihren
Beamten gewährt wurde, ist das Eingeständniß im
Jahresberichte:

"Man mußte sich sagen, daß zum Theil die
Möglichkeit von Defraudationen durch die bis dahin
jammervolle Besoldung geschaffen wurde".

Wir bitten die Leser, diesen Passus im Gedächtniß
zu behalten, denn wir werden später von den Ge-
hältern der Leiter sprechen, wie wir im letzten Auf-
satze von den "Wochenlöhnen" der Führer gesprochen
haben. Die bei der Casse provisorisch Angestellten
hatten 45 fl., die desinitiv Angestellten 50 fl.
Monatsgehalt. Herr Reumann, Herr
[Spaltenumbruch] Schumeier und Herr Walecka aber beziehen
dieselbe Summe als "Wochenlohn".

Unter der neuen Verwaltung wurden die Löhne
gebessert. Dieses Capitel der Gehalte und der Ver-
waltungsauslagen überhaupt, wird separat nach
"cassen"-ämtlichen Quellen behandelt werden. Dann
soll auch die Verwaltung einer Kritik unterzogen
werden. Dieses letztere, in der oft genannten Broschüre
"Die Corruption in der österreichischen Social-
demokratie" (Verlag der "Volkswehr", V/2) leider
nicht ausführlich genug behandelte Thema, dürfte unter
unserer Behandlung manchen nicht ganz verbohrten
"Genossen" die Augen öffnen und die Behörden noch-
mals zu dem Versuch der Vornahme einer Ueber-
prüfung der Geschäftsgebahrung, im Interesse der
Mitglieder veranlassen. Im Zeitalter der "eisernen
Hand" dürften auch unsere Behörden den Muth, der
sie schon so oft wirthschaftlichen von Socialdemokraten
geleiteten Institvtionen gegenüber verlassen hat wieder
finden. Und nun geben wir wieder dem Broschüren-
schreiber das Wort. Er sagt:

Heute ist die Leitung dieses Institutes, welches
von Arbeiterkreuzern und Fabrikanterspenden, sowie
von Landes- und Sparcassen-Subventionen aufgebaut
wurde, in socialdemokratischen Führerhänden. Leute,
wie Herr Schumeier z. B., die vom Vereinsgelde
(wozu ja auch die capitalistischen Spenden gehören)
jährliche Pfründen, pardon Functionärsgehalte, be-
ziehen, die halten wüthende Brandreden gegen die
Capitalisten, gegen die Regierung, die den Verein
subventionirt und somit in die Lage versetzt, daß Herr
Schumeier eine jährliche Pfründe von 400 fl. als
Obmann bezahlt erhalten kann, trotzdem er ohnehin
50 fl. Wochenlohn hat von der Partei.

Dürfte es da nicht eines schönen Tages passiren,
daß man dem Verein, dessen Obmann doch so
"wüthend" gegen Capital und Regierung donnert, die
Subvention entzieht mit der Motivirung: "Wenn das
Vereinshaupt gegen uns, werden auch die Glieder
gegen uns sein. Was sollen wir da geben?" Würde
das dem Vereine nicht riesigen Schaden bringen?

Herr Walecka ist Secretär. Sein Jahres-
gehalt ist 2400 fl. Also beinahe 7 fl. per Tag, gerade
so viel als ein mittlerer Arbeiter in Wien per Woche
Lohn erhält. In der Casse sind 69 "Beamte" angestellt
sammt drei Diener 72 Personen mithin, die zusammen
einen jährlichen Gehalt von über Achtundsech-
zigtausend Gulden
beziehen. An Provisionen
aber werden nebenbei über Sechzehntausend
Gulden ausbezahlt. Für Reisespesen entfallen
1700 fl.

Wir wollen nicht untersuchen, wie es kommt, daß
neben den Löhnen noch so viele "Provisionen", die
man füglich Trinkgelder nennen könnte, ausgezahlt
werden. 16.000 fl. Trinkgelder per Jahr verabreichen,
das ist doch ein bischen stark.

Freilich die angestellten Beamten, die "Unteren",
die participiren am wenigsten an diesen Trinkgeldern,
denn die "Provisionen" erhalten meist die in
den auswärtigen Ortsgruppen Nichtange-
stellten
"Ortsgruppenleiter", welche zugleich die
politischen Agitatoren für die Socialdemokratie sind.
Die Socialdemokratie ist doch sonst gegen die Verab-
reichung und ebenso gegen die Trinkgelder-Annahme?
Wie kommen da die "Provisionen" "in die Social-
demokratie?"

Diese "Provisionen" spielen bei der Vergleichung
der Ausgaben für die humanen Zwecke der Casse und
[Spaltenumbruch] jenen für Verwaltung eine ganz entscheidende Rolle.
Wir wollen darüber ebenfalls in einem nächsten Artikel
schreiben und auch eines Memorandums gedenken, da
die Beamten des "socialdemokratischen Musterstaates"
an ihre zum Theile aus den verschiedenen "Mastfonds"
schöpfenden "Brotgeber" richteten.




Die Vorstehung des gewerblichen Bezirksver-
bandes Braunau am Inn

hat im Einverständniß mit
sämmtlichen gewerblichen Bezirksverbänden Cisleithaniens
an den Abgeordneten des W[a]hlbezirkes, Herrn Eduard
Kyrle
in Schärding ein Schreiben gerichtet, worin es
heißt: Der Gewerbestand verlangt in entschiedener Weise
die en[d]liche Durchführung der zu seinem Bestande noth-
wendigen Reform des Gewerbegesetzes und die Erfüllung
seiner Forderungen. Der Gewerbestand Oesterreichs hat in
seinen im Verlaufe der letzten Zeit stattgesundenen Ver-
sammlungen, bei welchen insgesammt über 300.000 Ge-
werbetreibende waren, einstimmig nachstehende Kundmachung
an die Regierung ergehen zu lassen beschlossen: "Die Ge-
werbepartei hält hinsichtlich der Abänderung des Gewerbe-
gesetzes an den Beschlüssen der Gewerbe Congresse von
Graz und Reichenberg fest und fordert die schleunigste Ein-
bringung der von der hohen Regierung bereits fertig ge-
stellten, im hohen Hause einstimmig als dringlich erkannten
Gewerbegesetznovelle. Die Gewerbepartei beharrt auf der For-
derung der Bildung einer Wahlcurie, in welcher die Mitglieder
alle Gewerbe-Genossenschaften ohne Unterschied des Steuer-
satzes inbegriffen sind, verwahrt sich jedoch, mit den Arbeitern
in eine Wahlcurie einverleibt zu werden." Der Abge-
ordnete wird dann ersucht, in der nächsten Reichsrathssession
auf die schleunigste Vorlage der bereits von der hohen Re-
gierung ausgearbeiteten Gewerbegesetznovelle mit allem
Nachdrucke zu drängen, sowie bei Berathung derselben sich
für die bereits landläufig gewordenen Wünsche und For-
derungen des Gewerbestandes Oesterreichs einzusetzen.

Die Bankfrage.

Wie man aus Budapest meldet,
soll in den beidersertigen Regierungskreisen die Absicht be-
siehen, alsbald nach Beginn der parlamentarischen Weih-
nachtsferien der Banksrage näher zu treten. Ob dies noch
in diesem Jahre, oder erst zu Beginn des Jänner der Fall
sein werde, soll noch nicht endgiltig festgestellt sein, doch soll
es als zweifellos gelten, daß diese Frage im Lause der
nächsten Wochen actuell werden wird.




Eine sociale That.

Die im deutschen Reiche von Reichswegen ein-
geführte Krankenversicherung hat sich im Laufe der
Jahre immer mehr als unzulänglich erwiesen. Die
gesetzlichen Gemeinde-, Orts- oder Betriebs-Kranken-
cassen leisten nicht im Entferntesten das Höchstmaß
dessen, was sie zu leisten im Stande wären, sondern
sie beschränken sich auf die im Gesetze angegebene
Mindestleistung und erfüllen dadurch ihren socialen
Zweck in durchaus ungenügendem Maße. Dieser
Einsicht haben sich weder die Arbeiter noch die arbeiter-
freundlichen Socialpolitiker entziehen können.

Die natürliche Folge dieser Erkenntniß war, daß
zunächst die Arbeiter selbst sich um einen Ersatz um-
sahen; es sind denn auch schon mehr als eine Million
Arbeiter bei anderen Krankencassen, also doppelt,
versichert, und zwar meistens in sogenannten Zuschuß-
cassen, welche fast alle unter socialdemokratischer und
antikatholischer Leitung stehen und somit eine Gefahr
für die bei ihnen versicherten katholischen Arbeiter
bilden. Diese, besonders soweit sie Mitglieder katho-
lischer Vereine sind, vor materiellem und sittlichem
Schaden zu bewahren, wurde allseits als Pflicht der
katholischen Arbeiterfreunde erkannt, und diese Er-
kenntniß wurde, entsprechend der rühmenswerthen
Thatkraft der katholischen Partei Deutschlands, ent-




[Spaltenumbruch]
Die goldene Hoffnung.

65. Fort[s]etzung. (Nachdruck verboten.)

Agathe lauschte dem Erzähler mit einer Art kind-
licher Theilnahme. Nur Forsberg ließ seinen Blick auf
ihr ruhen, während die Anderen unverwandt auf
auf Arendt blickten, als ob er die einzige außer ihnen
in der Cajüte anwesende Person wäre.

"Vor allen Dingen suchten wir dann nach Wasser
und fanden es auch."

"Ich weiß, wo," unterbrach ihn Stein. "Es
war lauwarm und schmeckte, als ob Schwefelhölzer
darin abgekocht worden wären."

"Ja," fuhr Arendt fort. "Später merkten wir
jedoch, daß der Schwefelgeschmack sich verlor, wenn
wir das Wasser einige Zeit stehen ließen.

Wir fanden auch einige Cocosnüsse, sowie Krebse,
und davon bereiteten wir uns eine Mahlzeit, zu der
wir die Krebse einfach auf einem Feuer rösteten, zu
dem ich etwas trockenes Buschwerk zusammengetragen
und es mit Hilfe eines Brennglases angezündet hatte.
Letzteres hatte ich vom Schiff mitgebracht, wo ich es
zum Anzünden meiner Pfeife benutzt hatte. Unsere
Kleider ließen wir an der Sonne trocknen, und dann
machte ich mich auf, die Insel zu durchforschen. Ich
fand mehrere Höhlen, in die ich Gras und Laub zu-
sammentrug, damit Fräulein Fuchs doch wenigstens
eine Art von Lager und Obdach hätte."

Als sie jetzt ihren Namen hörte, blickte Agathe
lächelnd auf Forsberg, und alle hielten gespannt den
Athem an in der Erwartung, daß sich vielleicht schon
etwas in ihrer Erinnerung regte; aber das Lächeln
erstarb bald wieder auf ihren Lippen, und wiederum
stützte sie -- still zuhorchend -- den Kopf auf ihre
Hände.


[Spaltenumbruch]

"Was es für eine Insel sein konnte, davon hatten
wir keine Ahnung, waren wir doch 14 Tage lang auf
dem offenen Meer umhergetrieben, ohne irgend welche
Berechnungen oder Muthmaßungen über unsere
Richtung anstellen zu können. Von dem Gipfel des
Hügels aus war nichts zu sehen, uns umgab die leere
Oede des Weltmeeres, und während der ganzen neun
Monate, die wir auf dieser Insel zubrachten, habe
ich auch nicht ein einziges Mal ein Segel entdeckt.
Anfangs machten wir jeden Morgen ein großes Rauch-
feuer und hielten es den Tag über an; dabei ver-
brauchten wir den Vorrath an trockenem Holz sehr
schnell und beschlossen daher, unsere Feuerung nicht
ferner zu vergeuden, sondern zu sammeln und auf-
zustapeln und scharfen Auslug zu halten, das auf-
gespeicherte Holz aber nur noch zum Kochen -- oder
richtiger zum Rösten der Schildkröten, Krebse und
anderen Thieren zu verwenden, die wir fingen und
mit Hilfe eines aus harten Zweigen und Grasfasern
hergestellten scheerenförmigen Rostes zur Nahrung
zubereiteten. Die Dame grämte sich schrecklich.
Lange bemühte sie sich, muthig ihr Schicksal zu
tragen, ruhig und zuversichtlich zu bleiben, aber
ihre Lage -- so allein mit drei Matrosen auf
einer verlassenen Insel -- und dann die immer
wieder getäuschten Hoffnungen, als Tag auf Tag ver-
floß, ohne uns irgend eine Möglichkeit oder Aussicht
auf Rettung zu bringen -- darunter erlag schließlich
ihre Kraft. Sie verzehrte sich in Gram und schwand
förmlich dahin. Oft nahm sie auch einen ganzen Tag
über keinen einzigen Bissen Nahrung zu sich. Dabei
wurde sie auch in ihrem Wesen sehr zurückhaltend und
wollte nicht mehr mit uns sprechen, so daß ich schon
zu fürchten begann, sie möchte den Verstand verlieren.
Eines Morgens -- ich glaube, es war gegen das
Ende der sechsten Woche nach unser Ankunft auf der
Insel -- theilte sie mir mit, daß sie vor dem einen der
Matrosen sich ängstige.


[Spaltenumbruch]

Sie wollte bemerkt haben, daß er sie stets in
einer Weise anschaue, die sie in Schrecken setze, und in
der letzten Nacht habe sie im Licht des Mondes deutlich
seine Gestalt vor dem Eingang der Höhle, in der sie
schlief, sich hin- und herbewegen sehen. Sie fügte
hinzu, daß sie nicht gewagt habe, um Hilfe zu rufen,
aus Furcht, daß er sie auf losstürzen würde. Da ich aber
selber noch nichts Verdächtiges bemerkt hatte -- beide
Matrosen schienen mir sehr höflich gegen sie zu sein --
so hielt ich ihre Angst für den Ausfluß ihrer be-
ginnenden Geistesverwirrung, denn ich habe immer ge-
hört, das erste Symptom eintretenden Irrsinns bestehe
darin, daß die Erkrankten sich vor Anderen fürchteten
und sich von ihnen bedroht glaubten.

"Trotzdem aber nahm ich mir vor, scharf aufzu-
passen, denn von Anfang an hatte ich mir selber das
Gelübde gethan, der jungen Dame, möge auch kommen,
was da wolle, treu zur Seite zu stehen, nicht nur
um ihrer selbst willen, -- obgleich mir nie eine bessere,
liebenswürdigere Dame begegnet ist, -- noch auch
wegen der schrecklichen Lage, in der sie sich befand,
sondern auch um meiner eigenen Gattin willen daheim
und meiner Tochter willen, eines Mädchens von zwölf
Jahren, und darin habe ich auch redlich mein Gelübde
gehalten, Herr Doctor, und jene Zuneigung, die sie
für mich zu empfinden scheint, rührt nur daher, daß sie
in dem Zeitraum, über den hinaus ihr Gedächtniß
nicht mehr zurückreicht, mich allein um sich hatte, daß
ich inzwischen ihr alleiniger Gefährte und treuer Be-
schützer war. Das ist der einzige Grund ihrer Zu-
neigung zu mir."

Er hielt inne und blickte auf sie, als ob er er-
warte, sie möchte seine Worte bestätigen; aber sie
saß jetzt, in Gedanken versunken, mit niedergeschlagenen
Augen da, ohne ihm die geringste Beachtung zu
schenken. Forsberg hingegen erhob sich, um mit
dankbarer Wärme dem Hochbootsmann die Hand zu
drücken.     (Forts. folgt.)


Wien, Dienſtag Reichspoſt 10. December 1895 283

[Spaltenumbruch]
Volkswirthſchaftlicher Theil.
Die Mißwirthſchaft bei der
„Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und
Unterſtützungs-Caſſe in Wien“.

II.

Fch. In dem Jahresberichte der allgemeinen
Arbeiterkranken-Unterſtützungscaſſe für 1894; deſſen
Ausfolgung, ſo nebenbei geſagt, der Redaction der
„Reichspoſt“ ſchon einmal verweigert worden war,
findet ſich auf der erſten Seite folgende Stelle:

„Ein Syſtem der Zerfahrenheit und Gedanken-
loſigkeit durchſetzt mit Corruption war ſoeben
zuſammengebrochen. Fünf Beamte in Vertrauens-
ſtellung mußten dem Strafgerichte ausge-
liefert, andere müſſen entlaſſen werden.“ „Von
Arbeit konnte man viel weniger, als von dem Be-
mühen, die Arbeitsſtunden todtzuſchlagen, reden.“

Die „Genoſſen Kanzleiproletarier“ entblödeten ſich
alſo nicht, ſich an den Kreuzern ihrer „arbeitenden“
Genoſſen zu vergreifen, beziehungsweiſe auf deren
Koſten ein Faullenzerleben zu führen.

Man darf aber nicht glauben, daß die neue Ver-
waltung in einem Momente ſittlicher Entrüſtung dieſe
Gebahrungsweiſe feſtnagelte. O nein! Seit die regie-
renden Socialdemokraten genöthigt waren, allen ſocial-
demokratiſchen Principien zum Hohn, einige Genoſſen
dem Staatsanwalt auszuliefern, ſeit der Zeit ſprach
man in Genoſſenkreiſen und darüber hinaus allerlei,
was die Caſſenleitung zwang, Farbe zu bekennen und
Sündenböcke zu ſuchen.

Der ziffermäßige Nachweis der Höhe der De-
fraudationen
ſtellt feſt, daß die erwähnten
fünf Genoſſen fl. 17.601·09 defraudirten, hiezn
kommt noch ein in den Ortsgruppen Atzgersdorf,
Brunn
und Pottendorf veruntreuter Betrag
von fl. 444·75, ſo daß ſich insgeſammt ein Manco
von fl. 18.045·84 ergeben hat. Dazu wird bemerkt,
daß wegen Vernichtung älterer Belege, zu der
Niemand den Auftrag ertheilt haben will, über
das Jahr 1893 zurück die Ausgaben nicht verfolgt
werden können. Im Einſchreibeort Kaiſermühlen
wurde ein theilweiſe bereits gedeckter Abgang von
fl. 210·45 entdeckt. Außerdem ſoll auf ein ſchon früher
feſtgeſtelltes Manco im Betrage von fl. 999·61 ein
Theilbetrag hereingebracht worden ſein. Ueber eine
von einem Genoſſen Pamelzig entwendete Summe,
ſowie über noch andere ſoll der 1895er Bericht Auf-
ſchluß geben.

Es herrſchten alſo in der allgemeinen Arbeiter-
kranken- und Unterſtützungscaſſe Zuſtände, die erſt ſeit
dem wohl etwas verſpäteten Einſchreiten des Staats-
anwaltes der Sanirung zugeführt wurden.

Bezeichnend für die Entlohnung, wie ſie von den
ſocialdemokratiſchen Arbeitsgebern bei der Caſſe ihren
Beamten gewährt wurde, iſt das Eingeſtändniß im
Jahresberichte:

„Man mußte ſich ſagen, daß zum Theil die
Möglichkeit von Defraudationen durch die bis dahin
jammervolle Beſoldung geſchaffen wurde“.

Wir bitten die Leſer, dieſen Paſſus im Gedächtniß
zu behalten, denn wir werden ſpäter von den Ge-
hältern der Leiter ſprechen, wie wir im letzten Auf-
ſatze von den „Wochenlöhnen“ der Führer geſprochen
haben. Die bei der Caſſe proviſoriſch Angeſtellten
hatten 45 fl., die deſinitiv Angeſtellten 50 fl.
Monatsgehalt. Herr Reumann, Herr
[Spaltenumbruch] Schumeier und Herr Walecka aber beziehen
dieſelbe Summe als „Wochenlohn“.

Unter der neuen Verwaltung wurden die Löhne
gebeſſert. Dieſes Capitel der Gehalte und der Ver-
waltungsauslagen überhaupt, wird ſeparat nach
„caſſen“-ämtlichen Quellen behandelt werden. Dann
ſoll auch die Verwaltung einer Kritik unterzogen
werden. Dieſes letztere, in der oft genannten Broſchüre
„Die Corruption in der öſterreichiſchen Social-
demokratie“ (Verlag der „Volkswehr“, V/2) leider
nicht ausführlich genug behandelte Thema, dürfte unter
unſerer Behandlung manchen nicht ganz verbohrten
„Genoſſen“ die Augen öffnen und die Behörden noch-
mals zu dem Verſuch der Vornahme einer Ueber-
prüfung der Geſchäftsgebahrung, im Intereſſe der
Mitglieder veranlaſſen. Im Zeitalter der „eiſernen
Hand“ dürften auch unſere Behörden den Muth, der
ſie ſchon ſo oft wirthſchaftlichen von Socialdemokraten
geleiteten Inſtitvtionen gegenüber verlaſſen hat wieder
finden. Und nun geben wir wieder dem Broſchüren-
ſchreiber das Wort. Er ſagt:

Heute iſt die Leitung dieſes Inſtitutes, welches
von Arbeiterkreuzern und Fabrikanterſpenden, ſowie
von Landes- und Sparcaſſen-Subventionen aufgebaut
wurde, in ſocialdemokratiſchen Führerhänden. Leute,
wie Herr Schumeier z. B., die vom Vereinsgelde
(wozu ja auch die capitaliſtiſchen Spenden gehören)
jährliche Pfründen, pardon Functionärsgehalte, be-
ziehen, die halten wüthende Brandreden gegen die
Capitaliſten, gegen die Regierung, die den Verein
ſubventionirt und ſomit in die Lage verſetzt, daß Herr
Schumeier eine jährliche Pfründe von 400 fl. als
Obmann bezahlt erhalten kann, trotzdem er ohnehin
50 fl. Wochenlohn hat von der Partei.

Dürfte es da nicht eines ſchönen Tages paſſiren,
daß man dem Verein, deſſen Obmann doch ſo
„wüthend“ gegen Capital und Regierung donnert, die
Subvention entzieht mit der Motivirung: „Wenn das
Vereinshaupt gegen uns, werden auch die Glieder
gegen uns ſein. Was ſollen wir da geben?“ Würde
das dem Vereine nicht rieſigen Schaden bringen?

Herr Walecka iſt Secretär. Sein Jahres-
gehalt iſt 2400 fl. Alſo beinahe 7 fl. per Tag, gerade
ſo viel als ein mittlerer Arbeiter in Wien per Woche
Lohn erhält. In der Caſſe ſind 69 „Beamte“ angeſtellt
ſammt drei Diener 72 Perſonen mithin, die zuſammen
einen jährlichen Gehalt von über Achtundſech-
zigtauſend Gulden
beziehen. An Proviſionen
aber werden nebenbei über Sechzehntauſend
Gulden ausbezahlt. Für Reiſeſpeſen entfallen
1700 fl.

Wir wollen nicht unterſuchen, wie es kommt, daß
neben den Löhnen noch ſo viele „Proviſionen“, die
man füglich Trinkgelder nennen könnte, ausgezahlt
werden. 16.000 fl. Trinkgelder per Jahr verabreichen,
das iſt doch ein bischen ſtark.

Freilich die angeſtellten Beamten, die „Unteren“,
die participiren am wenigſten an dieſen Trinkgeldern,
denn die „Proviſionen“ erhalten meiſt die in
den auswärtigen Ortsgruppen Nichtange-
ſtellten
„Ortsgruppenleiter“, welche zugleich die
politiſchen Agitatoren für die Socialdemokratie ſind.
Die Socialdemokratie iſt doch ſonſt gegen die Verab-
reichung und ebenſo gegen die Trinkgelder-Annahme?
Wie kommen da die „Proviſionen“ „in die Social-
demokratie?“

Dieſe „Proviſionen“ ſpielen bei der Vergleichung
der Ausgaben für die humanen Zwecke der Caſſe und
[Spaltenumbruch] jenen für Verwaltung eine ganz entſcheidende Rolle.
Wir wollen darüber ebenfalls in einem nächſten Artikel
ſchreiben und auch eines Memorandums gedenken, da
die Beamten des „ſocialdemokratiſchen Muſterſtaates“
an ihre zum Theile aus den verſchiedenen „Maſtfonds“
ſchöpfenden „Brotgeber“ richteten.




Die Vorſtehung des gewerblichen Bezirksver-
bandes Braunau am Inn

hat im Einverſtändniß mit
ſämmtlichen gewerblichen Bezirksverbänden Cisleithaniens
an den Abgeordneten des W[a]hlbezirkes, Herrn Eduard
Kyrle
in Schärding ein Schreiben gerichtet, worin es
heißt: Der Gewerbeſtand verlangt in entſchiedener Weiſe
die en[d]liche Durchführung der zu ſeinem Beſtande noth-
wendigen Reform des Gewerbegeſetzes und die Erfüllung
ſeiner Forderungen. Der Gewerbeſtand Oeſterreichs hat in
ſeinen im Verlaufe der letzten Zeit ſtattgeſundenen Ver-
ſammlungen, bei welchen insgeſammt über 300.000 Ge-
werbetreibende waren, einſtimmig nachſtehende Kundmachung
an die Regierung ergehen zu laſſen beſchloſſen: „Die Ge-
werbepartei hält hinſichtlich der Abänderung des Gewerbe-
geſetzes an den Beſchlüſſen der Gewerbe Congreſſe von
Graz und Reichenberg feſt und fordert die ſchleunigſte Ein-
bringung der von der hohen Regierung bereits fertig ge-
ſtellten, im hohen Hauſe einſtimmig als dringlich erkannten
Gewerbegeſetznovelle. Die Gewerbepartei beharrt auf der For-
derung der Bildung einer Wahlcurie, in welcher die Mitglieder
alle Gewerbe-Genoſſenſchaften ohne Unterſchied des Steuer-
ſatzes inbegriffen ſind, verwahrt ſich jedoch, mit den Arbeitern
in eine Wahlcurie einverleibt zu werden.“ Der Abge-
ordnete wird dann erſucht, in der nächſten Reichsrathsſeſſion
auf die ſchleunigſte Vorlage der bereits von der hohen Re-
gierung ausgearbeiteten Gewerbegeſetznovelle mit allem
Nachdrucke zu drängen, ſowie bei Berathung derſelben ſich
für die bereits landläufig gewordenen Wünſche und For-
derungen des Gewerbeſtandes Oeſterreichs einzuſetzen.

Die Bankfrage.

Wie man aus Budapeſt meldet,
ſoll in den beiderſertigen Regierungskreiſen die Abſicht be-
ſiehen, alsbald nach Beginn der parlamentariſchen Weih-
nachtsferien der Bankſrage näher zu treten. Ob dies noch
in dieſem Jahre, oder erſt zu Beginn des Jänner der Fall
ſein werde, ſoll noch nicht endgiltig feſtgeſtellt ſein, doch ſoll
es als zweifellos gelten, daß dieſe Frage im Lauſe der
nächſten Wochen actuell werden wird.




Eine ſociale That.

Die im deutſchen Reiche von Reichswegen ein-
geführte Krankenverſicherung hat ſich im Laufe der
Jahre immer mehr als unzulänglich erwieſen. Die
geſetzlichen Gemeinde-, Orts- oder Betriebs-Kranken-
caſſen leiſten nicht im Entfernteſten das Höchſtmaß
deſſen, was ſie zu leiſten im Stande wären, ſondern
ſie beſchränken ſich auf die im Geſetze angegebene
Mindeſtleiſtung und erfüllen dadurch ihren ſocialen
Zweck in durchaus ungenügendem Maße. Dieſer
Einſicht haben ſich weder die Arbeiter noch die arbeiter-
freundlichen Socialpolitiker entziehen können.

Die natürliche Folge dieſer Erkenntniß war, daß
zunächſt die Arbeiter ſelbſt ſich um einen Erſatz um-
ſahen; es ſind denn auch ſchon mehr als eine Million
Arbeiter bei anderen Krankencaſſen, alſo doppelt,
verſichert, und zwar meiſtens in ſogenannten Zuſchuß-
caſſen, welche faſt alle unter ſocialdemokratiſcher und
antikatholiſcher Leitung ſtehen und ſomit eine Gefahr
für die bei ihnen verſicherten katholiſchen Arbeiter
bilden. Dieſe, beſonders ſoweit ſie Mitglieder katho-
liſcher Vereine ſind, vor materiellem und ſittlichem
Schaden zu bewahren, wurde allſeits als Pflicht der
katholiſchen Arbeiterfreunde erkannt, und dieſe Er-
kenntniß wurde, entſprechend der rühmenswerthen
Thatkraft der katholiſchen Partei Deutſchlands, ent-




[Spaltenumbruch]
Die goldene Hoffnung.

65. Fort[ſ]etzung. (Nachdruck verboten.)

Agathe lauſchte dem Erzähler mit einer Art kind-
licher Theilnahme. Nur Forsberg ließ ſeinen Blick auf
ihr ruhen, während die Anderen unverwandt auf
auf Arendt blickten, als ob er die einzige außer ihnen
in der Cajüte anweſende Perſon wäre.

„Vor allen Dingen ſuchten wir dann nach Waſſer
und fanden es auch.“

„Ich weiß, wo,“ unterbrach ihn Stein. „Es
war lauwarm und ſchmeckte, als ob Schwefelhölzer
darin abgekocht worden wären.“

„Ja,“ fuhr Arendt fort. „Später merkten wir
jedoch, daß der Schwefelgeſchmack ſich verlor, wenn
wir das Waſſer einige Zeit ſtehen ließen.

Wir fanden auch einige Cocosnüſſe, ſowie Krebſe,
und davon bereiteten wir uns eine Mahlzeit, zu der
wir die Krebſe einfach auf einem Feuer röſteten, zu
dem ich etwas trockenes Buſchwerk zuſammengetragen
und es mit Hilfe eines Brennglaſes angezündet hatte.
Letzteres hatte ich vom Schiff mitgebracht, wo ich es
zum Anzünden meiner Pfeife benutzt hatte. Unſere
Kleider ließen wir an der Sonne trocknen, und dann
machte ich mich auf, die Inſel zu durchforſchen. Ich
fand mehrere Höhlen, in die ich Gras und Laub zu-
ſammentrug, damit Fräulein Fuchs doch wenigſtens
eine Art von Lager und Obdach hätte.“

Als ſie jetzt ihren Namen hörte, blickte Agathe
lächelnd auf Forsberg, und alle hielten geſpannt den
Athem an in der Erwartung, daß ſich vielleicht ſchon
etwas in ihrer Erinnerung regte; aber das Lächeln
erſtarb bald wieder auf ihren Lippen, und wiederum
ſtützte ſie — ſtill zuhorchend — den Kopf auf ihre
Hände.


[Spaltenumbruch]

„Was es für eine Inſel ſein konnte, davon hatten
wir keine Ahnung, waren wir doch 14 Tage lang auf
dem offenen Meer umhergetrieben, ohne irgend welche
Berechnungen oder Muthmaßungen über unſere
Richtung anſtellen zu können. Von dem Gipfel des
Hügels aus war nichts zu ſehen, uns umgab die leere
Oede des Weltmeeres, und während der ganzen neun
Monate, die wir auf dieſer Inſel zubrachten, habe
ich auch nicht ein einziges Mal ein Segel entdeckt.
Anfangs machten wir jeden Morgen ein großes Rauch-
feuer und hielten es den Tag über an; dabei ver-
brauchten wir den Vorrath an trockenem Holz ſehr
ſchnell und beſchloſſen daher, unſere Feuerung nicht
ferner zu vergeuden, ſondern zu ſammeln und auf-
zuſtapeln und ſcharfen Auslug zu halten, das auf-
geſpeicherte Holz aber nur noch zum Kochen — oder
richtiger zum Röſten der Schildkröten, Krebſe und
anderen Thieren zu verwenden, die wir fingen und
mit Hilfe eines aus harten Zweigen und Grasfaſern
hergeſtellten ſcheerenförmigen Roſtes zur Nahrung
zubereiteten. Die Dame grämte ſich ſchrecklich.
Lange bemühte ſie ſich, muthig ihr Schickſal zu
tragen, ruhig und zuverſichtlich zu bleiben, aber
ihre Lage — ſo allein mit drei Matroſen auf
einer verlaſſenen Inſel — und dann die immer
wieder getäuſchten Hoffnungen, als Tag auf Tag ver-
floß, ohne uns irgend eine Möglichkeit oder Ausſicht
auf Rettung zu bringen — darunter erlag ſchließlich
ihre Kraft. Sie verzehrte ſich in Gram und ſchwand
förmlich dahin. Oft nahm ſie auch einen ganzen Tag
über keinen einzigen Biſſen Nahrung zu ſich. Dabei
wurde ſie auch in ihrem Weſen ſehr zurückhaltend und
wollte nicht mehr mit uns ſprechen, ſo daß ich ſchon
zu fürchten begann, ſie möchte den Verſtand verlieren.
Eines Morgens — ich glaube, es war gegen das
Ende der ſechſten Woche nach unſer Ankunft auf der
Inſel — theilte ſie mir mit, daß ſie vor dem einen der
Matroſen ſich ängſtige.


[Spaltenumbruch]

Sie wollte bemerkt haben, daß er ſie ſtets in
einer Weiſe anſchaue, die ſie in Schrecken ſetze, und in
der letzten Nacht habe ſie im Licht des Mondes deutlich
ſeine Geſtalt vor dem Eingang der Höhle, in der ſie
ſchlief, ſich hin- und herbewegen ſehen. Sie fügte
hinzu, daß ſie nicht gewagt habe, um Hilfe zu rufen,
aus Furcht, daß er ſie auf losſtürzen würde. Da ich aber
ſelber noch nichts Verdächtiges bemerkt hatte — beide
Matroſen ſchienen mir ſehr höflich gegen ſie zu ſein —
ſo hielt ich ihre Angſt für den Ausfluß ihrer be-
ginnenden Geiſtesverwirrung, denn ich habe immer ge-
hört, das erſte Symptom eintretenden Irrſinns beſtehe
darin, daß die Erkrankten ſich vor Anderen fürchteten
und ſich von ihnen bedroht glaubten.

„Trotzdem aber nahm ich mir vor, ſcharf aufzu-
paſſen, denn von Anfang an hatte ich mir ſelber das
Gelübde gethan, der jungen Dame, möge auch kommen,
was da wolle, treu zur Seite zu ſtehen, nicht nur
um ihrer ſelbſt willen, — obgleich mir nie eine beſſere,
liebenswürdigere Dame begegnet iſt, — noch auch
wegen der ſchrecklichen Lage, in der ſie ſich befand,
ſondern auch um meiner eigenen Gattin willen daheim
und meiner Tochter willen, eines Mädchens von zwölf
Jahren, und darin habe ich auch redlich mein Gelübde
gehalten, Herr Doctor, und jene Zuneigung, die ſie
für mich zu empfinden ſcheint, rührt nur daher, daß ſie
in dem Zeitraum, über den hinaus ihr Gedächtniß
nicht mehr zurückreicht, mich allein um ſich hatte, daß
ich inzwiſchen ihr alleiniger Gefährte und treuer Be-
ſchützer war. Das iſt der einzige Grund ihrer Zu-
neigung zu mir.“

Er hielt inne und blickte auf ſie, als ob er er-
warte, ſie möchte ſeine Worte beſtätigen; aber ſie
ſaß jetzt, in Gedanken verſunken, mit niedergeſchlagenen
Augen da, ohne ihm die geringſte Beachtung zu
ſchenken. Forsberg hingegen erhob ſich, um mit
dankbarer Wärme dem Hochbootsmann die Hand zu
drücken.     (Fortſ. folgt.)


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[4/0004] Wien, Dienſtag Reichspoſt 10. December 1895 283 Volkswirthſchaftlicher Theil. Die Mißwirthſchaft bei der „Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterſtützungs-Caſſe in Wien“. II. Fch. In dem Jahresberichte der allgemeinen Arbeiterkranken-Unterſtützungscaſſe für 1894; deſſen Ausfolgung, ſo nebenbei geſagt, der Redaction der „Reichspoſt“ ſchon einmal verweigert worden war, findet ſich auf der erſten Seite folgende Stelle: „Ein Syſtem der Zerfahrenheit und Gedanken- loſigkeit durchſetzt mit Corruption war ſoeben zuſammengebrochen. Fünf Beamte in Vertrauens- ſtellung mußten dem Strafgerichte ausge- liefert, andere müſſen entlaſſen werden.“ „Von Arbeit konnte man viel weniger, als von dem Be- mühen, die Arbeitsſtunden todtzuſchlagen, reden.“ Die „Genoſſen Kanzleiproletarier“ entblödeten ſich alſo nicht, ſich an den Kreuzern ihrer „arbeitenden“ Genoſſen zu vergreifen, beziehungsweiſe auf deren Koſten ein Faullenzerleben zu führen. Man darf aber nicht glauben, daß die neue Ver- waltung in einem Momente ſittlicher Entrüſtung dieſe Gebahrungsweiſe feſtnagelte. O nein! Seit die regie- renden Socialdemokraten genöthigt waren, allen ſocial- demokratiſchen Principien zum Hohn, einige Genoſſen dem Staatsanwalt auszuliefern, ſeit der Zeit ſprach man in Genoſſenkreiſen und darüber hinaus allerlei, was die Caſſenleitung zwang, Farbe zu bekennen und Sündenböcke zu ſuchen. Der ziffermäßige Nachweis der Höhe der De- fraudationen ſtellt feſt, daß die erwähnten fünf Genoſſen fl. 17.601·09 defraudirten, hiezn kommt noch ein in den Ortsgruppen Atzgersdorf, Brunn und Pottendorf veruntreuter Betrag von fl. 444·75, ſo daß ſich insgeſammt ein Manco von fl. 18.045·84 ergeben hat. Dazu wird bemerkt, daß wegen Vernichtung älterer Belege, zu der Niemand den Auftrag ertheilt haben will, über das Jahr 1893 zurück die Ausgaben nicht verfolgt werden können. Im Einſchreibeort Kaiſermühlen wurde ein theilweiſe bereits gedeckter Abgang von fl. 210·45 entdeckt. Außerdem ſoll auf ein ſchon früher feſtgeſtelltes Manco im Betrage von fl. 999·61 ein Theilbetrag hereingebracht worden ſein. Ueber eine von einem Genoſſen Pamelzig entwendete Summe, ſowie über noch andere ſoll der 1895er Bericht Auf- ſchluß geben. Es herrſchten alſo in der allgemeinen Arbeiter- kranken- und Unterſtützungscaſſe Zuſtände, die erſt ſeit dem wohl etwas verſpäteten Einſchreiten des Staats- anwaltes der Sanirung zugeführt wurden. Bezeichnend für die Entlohnung, wie ſie von den ſocialdemokratiſchen Arbeitsgebern bei der Caſſe ihren Beamten gewährt wurde, iſt das Eingeſtändniß im Jahresberichte: „Man mußte ſich ſagen, daß zum Theil die Möglichkeit von Defraudationen durch die bis dahin jammervolle Beſoldung geſchaffen wurde“. Wir bitten die Leſer, dieſen Paſſus im Gedächtniß zu behalten, denn wir werden ſpäter von den Ge- hältern der Leiter ſprechen, wie wir im letzten Auf- ſatze von den „Wochenlöhnen“ der Führer geſprochen haben. Die bei der Caſſe proviſoriſch Angeſtellten hatten 45 fl., die deſinitiv Angeſtellten 50 fl. Monatsgehalt. Herr Reumann, Herr Schumeier und Herr Walecka aber beziehen dieſelbe Summe als „Wochenlohn“. Unter der neuen Verwaltung wurden die Löhne gebeſſert. Dieſes Capitel der Gehalte und der Ver- waltungsauslagen überhaupt, wird ſeparat nach „caſſen“-ämtlichen Quellen behandelt werden. Dann ſoll auch die Verwaltung einer Kritik unterzogen werden. Dieſes letztere, in der oft genannten Broſchüre „Die Corruption in der öſterreichiſchen Social- demokratie“ (Verlag der „Volkswehr“, V/2) leider nicht ausführlich genug behandelte Thema, dürfte unter unſerer Behandlung manchen nicht ganz verbohrten „Genoſſen“ die Augen öffnen und die Behörden noch- mals zu dem Verſuch der Vornahme einer Ueber- prüfung der Geſchäftsgebahrung, im Intereſſe der Mitglieder veranlaſſen. Im Zeitalter der „eiſernen Hand“ dürften auch unſere Behörden den Muth, der ſie ſchon ſo oft wirthſchaftlichen von Socialdemokraten geleiteten Inſtitvtionen gegenüber verlaſſen hat wieder finden. Und nun geben wir wieder dem Broſchüren- ſchreiber das Wort. Er ſagt: Heute iſt die Leitung dieſes Inſtitutes, welches von Arbeiterkreuzern und Fabrikanterſpenden, ſowie von Landes- und Sparcaſſen-Subventionen aufgebaut wurde, in ſocialdemokratiſchen Führerhänden. Leute, wie Herr Schumeier z. B., die vom Vereinsgelde (wozu ja auch die capitaliſtiſchen Spenden gehören) jährliche Pfründen, pardon Functionärsgehalte, be- ziehen, die halten wüthende Brandreden gegen die Capitaliſten, gegen die Regierung, die den Verein ſubventionirt und ſomit in die Lage verſetzt, daß Herr Schumeier eine jährliche Pfründe von 400 fl. als Obmann bezahlt erhalten kann, trotzdem er ohnehin 50 fl. Wochenlohn hat von der Partei. Dürfte es da nicht eines ſchönen Tages paſſiren, daß man dem Verein, deſſen Obmann doch ſo „wüthend“ gegen Capital und Regierung donnert, die Subvention entzieht mit der Motivirung: „Wenn das Vereinshaupt gegen uns, werden auch die Glieder gegen uns ſein. Was ſollen wir da geben?“ Würde das dem Vereine nicht rieſigen Schaden bringen? Herr Walecka iſt Secretär. Sein Jahres- gehalt iſt 2400 fl. Alſo beinahe 7 fl. per Tag, gerade ſo viel als ein mittlerer Arbeiter in Wien per Woche Lohn erhält. In der Caſſe ſind 69 „Beamte“ angeſtellt ſammt drei Diener 72 Perſonen mithin, die zuſammen einen jährlichen Gehalt von über Achtundſech- zigtauſend Gulden beziehen. An Proviſionen aber werden nebenbei über Sechzehntauſend Gulden ausbezahlt. Für Reiſeſpeſen entfallen 1700 fl. Wir wollen nicht unterſuchen, wie es kommt, daß neben den Löhnen noch ſo viele „Proviſionen“, die man füglich Trinkgelder nennen könnte, ausgezahlt werden. 16.000 fl. Trinkgelder per Jahr verabreichen, das iſt doch ein bischen ſtark. Freilich die angeſtellten Beamten, die „Unteren“, die participiren am wenigſten an dieſen Trinkgeldern, denn die „Proviſionen“ erhalten meiſt die in den auswärtigen Ortsgruppen Nichtange- ſtellten „Ortsgruppenleiter“, welche zugleich die politiſchen Agitatoren für die Socialdemokratie ſind. Die Socialdemokratie iſt doch ſonſt gegen die Verab- reichung und ebenſo gegen die Trinkgelder-Annahme? Wie kommen da die „Proviſionen“ „in die Social- demokratie?“ Dieſe „Proviſionen“ ſpielen bei der Vergleichung der Ausgaben für die humanen Zwecke der Caſſe und jenen für Verwaltung eine ganz entſcheidende Rolle. Wir wollen darüber ebenfalls in einem nächſten Artikel ſchreiben und auch eines Memorandums gedenken, da die Beamten des „ſocialdemokratiſchen Muſterſtaates“ an ihre zum Theile aus den verſchiedenen „Maſtfonds“ ſchöpfenden „Brotgeber“ richteten. Die Vorſtehung des gewerblichen Bezirksver- bandes Braunau am Inn hat im Einverſtändniß mit ſämmtlichen gewerblichen Bezirksverbänden Cisleithaniens an den Abgeordneten des Wahlbezirkes, Herrn Eduard Kyrle in Schärding ein Schreiben gerichtet, worin es heißt: Der Gewerbeſtand verlangt in entſchiedener Weiſe die endliche Durchführung der zu ſeinem Beſtande noth- wendigen Reform des Gewerbegeſetzes und die Erfüllung ſeiner Forderungen. Der Gewerbeſtand Oeſterreichs hat in ſeinen im Verlaufe der letzten Zeit ſtattgeſundenen Ver- ſammlungen, bei welchen insgeſammt über 300.000 Ge- werbetreibende waren, einſtimmig nachſtehende Kundmachung an die Regierung ergehen zu laſſen beſchloſſen: „Die Ge- werbepartei hält hinſichtlich der Abänderung des Gewerbe- geſetzes an den Beſchlüſſen der Gewerbe Congreſſe von Graz und Reichenberg feſt und fordert die ſchleunigſte Ein- bringung der von der hohen Regierung bereits fertig ge- ſtellten, im hohen Hauſe einſtimmig als dringlich erkannten Gewerbegeſetznovelle. Die Gewerbepartei beharrt auf der For- derung der Bildung einer Wahlcurie, in welcher die Mitglieder alle Gewerbe-Genoſſenſchaften ohne Unterſchied des Steuer- ſatzes inbegriffen ſind, verwahrt ſich jedoch, mit den Arbeitern in eine Wahlcurie einverleibt zu werden.“ Der Abge- ordnete wird dann erſucht, in der nächſten Reichsrathsſeſſion auf die ſchleunigſte Vorlage der bereits von der hohen Re- gierung ausgearbeiteten Gewerbegeſetznovelle mit allem Nachdrucke zu drängen, ſowie bei Berathung derſelben ſich für die bereits landläufig gewordenen Wünſche und For- derungen des Gewerbeſtandes Oeſterreichs einzuſetzen. Die Bankfrage. Wie man aus Budapeſt meldet, ſoll in den beiderſertigen Regierungskreiſen die Abſicht be- ſiehen, alsbald nach Beginn der parlamentariſchen Weih- nachtsferien der Bankſrage näher zu treten. Ob dies noch in dieſem Jahre, oder erſt zu Beginn des Jänner der Fall ſein werde, ſoll noch nicht endgiltig feſtgeſtellt ſein, doch ſoll es als zweifellos gelten, daß dieſe Frage im Lauſe der nächſten Wochen actuell werden wird. Eine ſociale That. Die im deutſchen Reiche von Reichswegen ein- geführte Krankenverſicherung hat ſich im Laufe der Jahre immer mehr als unzulänglich erwieſen. Die geſetzlichen Gemeinde-, Orts- oder Betriebs-Kranken- caſſen leiſten nicht im Entfernteſten das Höchſtmaß deſſen, was ſie zu leiſten im Stande wären, ſondern ſie beſchränken ſich auf die im Geſetze angegebene Mindeſtleiſtung und erfüllen dadurch ihren ſocialen Zweck in durchaus ungenügendem Maße. Dieſer Einſicht haben ſich weder die Arbeiter noch die arbeiter- freundlichen Socialpolitiker entziehen können. Die natürliche Folge dieſer Erkenntniß war, daß zunächſt die Arbeiter ſelbſt ſich um einen Erſatz um- ſahen; es ſind denn auch ſchon mehr als eine Million Arbeiter bei anderen Krankencaſſen, alſo doppelt, verſichert, und zwar meiſtens in ſogenannten Zuſchuß- caſſen, welche faſt alle unter ſocialdemokratiſcher und antikatholiſcher Leitung ſtehen und ſomit eine Gefahr für die bei ihnen verſicherten katholiſchen Arbeiter bilden. Dieſe, beſonders ſoweit ſie Mitglieder katho- liſcher Vereine ſind, vor materiellem und ſittlichem Schaden zu bewahren, wurde allſeits als Pflicht der katholiſchen Arbeiterfreunde erkannt, und dieſe Er- kenntniß wurde, entſprechend der rühmenswerthen Thatkraft der katholiſchen Partei Deutſchlands, ent- Die goldene Hoffnung. Roman von W. Clark Ruſſel. 65. Fortſetzung. (Nachdruck verboten.) Agathe lauſchte dem Erzähler mit einer Art kind- licher Theilnahme. Nur Forsberg ließ ſeinen Blick auf ihr ruhen, während die Anderen unverwandt auf auf Arendt blickten, als ob er die einzige außer ihnen in der Cajüte anweſende Perſon wäre. „Vor allen Dingen ſuchten wir dann nach Waſſer und fanden es auch.“ „Ich weiß, wo,“ unterbrach ihn Stein. „Es war lauwarm und ſchmeckte, als ob Schwefelhölzer darin abgekocht worden wären.“ „Ja,“ fuhr Arendt fort. „Später merkten wir jedoch, daß der Schwefelgeſchmack ſich verlor, wenn wir das Waſſer einige Zeit ſtehen ließen. Wir fanden auch einige Cocosnüſſe, ſowie Krebſe, und davon bereiteten wir uns eine Mahlzeit, zu der wir die Krebſe einfach auf einem Feuer röſteten, zu dem ich etwas trockenes Buſchwerk zuſammengetragen und es mit Hilfe eines Brennglaſes angezündet hatte. Letzteres hatte ich vom Schiff mitgebracht, wo ich es zum Anzünden meiner Pfeife benutzt hatte. Unſere Kleider ließen wir an der Sonne trocknen, und dann machte ich mich auf, die Inſel zu durchforſchen. Ich fand mehrere Höhlen, in die ich Gras und Laub zu- ſammentrug, damit Fräulein Fuchs doch wenigſtens eine Art von Lager und Obdach hätte.“ Als ſie jetzt ihren Namen hörte, blickte Agathe lächelnd auf Forsberg, und alle hielten geſpannt den Athem an in der Erwartung, daß ſich vielleicht ſchon etwas in ihrer Erinnerung regte; aber das Lächeln erſtarb bald wieder auf ihren Lippen, und wiederum ſtützte ſie — ſtill zuhorchend — den Kopf auf ihre Hände. „Was es für eine Inſel ſein konnte, davon hatten wir keine Ahnung, waren wir doch 14 Tage lang auf dem offenen Meer umhergetrieben, ohne irgend welche Berechnungen oder Muthmaßungen über unſere Richtung anſtellen zu können. Von dem Gipfel des Hügels aus war nichts zu ſehen, uns umgab die leere Oede des Weltmeeres, und während der ganzen neun Monate, die wir auf dieſer Inſel zubrachten, habe ich auch nicht ein einziges Mal ein Segel entdeckt. Anfangs machten wir jeden Morgen ein großes Rauch- feuer und hielten es den Tag über an; dabei ver- brauchten wir den Vorrath an trockenem Holz ſehr ſchnell und beſchloſſen daher, unſere Feuerung nicht ferner zu vergeuden, ſondern zu ſammeln und auf- zuſtapeln und ſcharfen Auslug zu halten, das auf- geſpeicherte Holz aber nur noch zum Kochen — oder richtiger zum Röſten der Schildkröten, Krebſe und anderen Thieren zu verwenden, die wir fingen und mit Hilfe eines aus harten Zweigen und Grasfaſern hergeſtellten ſcheerenförmigen Roſtes zur Nahrung zubereiteten. Die Dame grämte ſich ſchrecklich. Lange bemühte ſie ſich, muthig ihr Schickſal zu tragen, ruhig und zuverſichtlich zu bleiben, aber ihre Lage — ſo allein mit drei Matroſen auf einer verlaſſenen Inſel — und dann die immer wieder getäuſchten Hoffnungen, als Tag auf Tag ver- floß, ohne uns irgend eine Möglichkeit oder Ausſicht auf Rettung zu bringen — darunter erlag ſchließlich ihre Kraft. Sie verzehrte ſich in Gram und ſchwand förmlich dahin. Oft nahm ſie auch einen ganzen Tag über keinen einzigen Biſſen Nahrung zu ſich. Dabei wurde ſie auch in ihrem Weſen ſehr zurückhaltend und wollte nicht mehr mit uns ſprechen, ſo daß ich ſchon zu fürchten begann, ſie möchte den Verſtand verlieren. Eines Morgens — ich glaube, es war gegen das Ende der ſechſten Woche nach unſer Ankunft auf der Inſel — theilte ſie mir mit, daß ſie vor dem einen der Matroſen ſich ängſtige. Sie wollte bemerkt haben, daß er ſie ſtets in einer Weiſe anſchaue, die ſie in Schrecken ſetze, und in der letzten Nacht habe ſie im Licht des Mondes deutlich ſeine Geſtalt vor dem Eingang der Höhle, in der ſie ſchlief, ſich hin- und herbewegen ſehen. Sie fügte hinzu, daß ſie nicht gewagt habe, um Hilfe zu rufen, aus Furcht, daß er ſie auf losſtürzen würde. Da ich aber ſelber noch nichts Verdächtiges bemerkt hatte — beide Matroſen ſchienen mir ſehr höflich gegen ſie zu ſein — ſo hielt ich ihre Angſt für den Ausfluß ihrer be- ginnenden Geiſtesverwirrung, denn ich habe immer ge- hört, das erſte Symptom eintretenden Irrſinns beſtehe darin, daß die Erkrankten ſich vor Anderen fürchteten und ſich von ihnen bedroht glaubten. „Trotzdem aber nahm ich mir vor, ſcharf aufzu- paſſen, denn von Anfang an hatte ich mir ſelber das Gelübde gethan, der jungen Dame, möge auch kommen, was da wolle, treu zur Seite zu ſtehen, nicht nur um ihrer ſelbſt willen, — obgleich mir nie eine beſſere, liebenswürdigere Dame begegnet iſt, — noch auch wegen der ſchrecklichen Lage, in der ſie ſich befand, ſondern auch um meiner eigenen Gattin willen daheim und meiner Tochter willen, eines Mädchens von zwölf Jahren, und darin habe ich auch redlich mein Gelübde gehalten, Herr Doctor, und jene Zuneigung, die ſie für mich zu empfinden ſcheint, rührt nur daher, daß ſie in dem Zeitraum, über den hinaus ihr Gedächtniß nicht mehr zurückreicht, mich allein um ſich hatte, daß ich inzwiſchen ihr alleiniger Gefährte und treuer Be- ſchützer war. Das iſt der einzige Grund ihrer Zu- neigung zu mir.“ Er hielt inne und blickte auf ſie, als ob er er- warte, ſie möchte ſeine Worte beſtätigen; aber ſie ſaß jetzt, in Gedanken verſunken, mit niedergeſchlagenen Augen da, ohne ihm die geringſte Beachtung zu ſchenken. Forsberg hingegen erhob ſich, um mit dankbarer Wärme dem Hochbootsmann die Hand zu drücken. (Fortſ. folgt.)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 283, Wien, 10.12.1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost283_1895/4>, abgerufen am 28.11.2024.