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Reichspost. Nr. 227, Wien, 05.10.1906.

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227 Wien, Freitag Reichspost 5. Oktober 1906

[Spaltenumbruch]
Streiflichter.
Was man von den Kirchengemeinden zu
erwarten hat.

Jetzt, da man den französischen Katholiken
die Kirchengemeinden aufnötigen will und auch
Lust hätte, sie den österreichischen Katholiken und
auch jenen Ungarns, letzteren unter dem Namen
der "Katholiken-Autonomie" aufzu-
schwatzen, kommt gerade die Wahrnehmung zu-
recht, welche ein bekannter deutscher Journalist
bei den amerikanischen Kirchengemein-
den
machen konnte. Der Betreffende, Adam
Röder in Wiesbaden, hat Menschen und Dinge
in Amerika aufmerksam studiert und in einer vor
kurzem erschienenen Broschüre objektiv besprochen.
In dem Kapitel "Kirchliches" sagt er:

"Die kirchliche Gemeinschaft ist in den Vereinigten
Staaten Erziehungs-, Versorgungs-, Vergnügungs-
anstalt. Sie gibt Wohltätigkeitsvorstellungen,
veranstaltet Basare, Tanzkränzchen und Aus-
flüge
für die jungen Leute beiderlei Geschlechts. Ihr
sind angegliedert die Jünglings- und Jungfrauen-
vereine und alle sonstigen Vereinigungen, die auf
sozialpädagogische Wirksamkeit gerichtet sind. Der
junge Kaufmann, der junge Beamte, der Handwerker,
der Arbeiter, die Maschinschreiberin, Haustochter und
Verkäuferin -- sie alle sind an die Kirche gegliedert.
Von hier aus werden Verlöbnisse und Heiraten
geschlossen. Insbesondere die Mäßigkeitsbewegung hat
in der kirchengemeindlichen Organisation ihre mächtige
Pflegerin. Mancher junge Mann, der sich verloben
oder verheiraten will, muß erst dem Mädchen seiner
Wahl das Versprechen geben, daß er vom Alkohol
läßt und "Teetotaler" (Antialkoholiker) wird. So ersetzt
die Kirche in Wahrheit die mangelnde Polizei
und ist mit ihren den ganzen Menschen umklammern-
den Organen der wichtigste Faktor der gesellschafts-
moralischen Erziehung. Daß die Religion an sich
hierbei zu kurz kommt und eine entsetzliche innerlich-
religiöse Verflachung
zeitigt, die sich im ge-
gebenen Augenblick auch ethisch zeigt, bedarf hier keines
besonderen Beweises."

Aus diesen Beobachtungen eines nüchternen
Richters ist schon zu erkennen, wie die kirchlichen
Gemeinschaften in Amerika zu Handlangern
des öffentlichen Lebens herabgesunken sind und
zwar eine äußere Herrschaft behaupten, die
Herrschaft über die Herzen ihrer "Mitglieder" aber
verloren haben. Adam Röder führt für diese
Tatsache auch einen sehr konkreten Beweis. Er
erzählt:

"In Washington ist ein hervorragendes Mitglied
des Presbyteriums im begründeten Verdacht, daß er
als Ehemann sich eine käufliche Weibsperson "aus-
hält." Man tritt zusammen und erklärt, daß der
Mann aus seiner leitenden Stellung entfernt werden
müsse. Da schlägt der Kirchenverwalter sein Journal
auf und konstatiert, daß der betreffende Ehemann mit
dem größten Beitrag zur Bestreitung der kirchlichen
Bedürfnisse "zu Buch steht", einem Beitrag, den man
nicht entbehren kann. Nach langem Hin- und Her-
reden entschließt man sich, von der Ausschließung ab-
zustehen,
fintemalen eine konkurrierende
andere kirchliche
Gesellschaft, den hervorragen-
den und zahlungsfähigen Herrn wahrscheinlich mit
offenen Armen aufnehmen würde.

Und so blieb Mister Jonathan leitendes Mitglied der
Presbyterialgemeinde."

So sehen die Kirchengemeinden in Amerika
aus.




Prinz Eugenius -- gemaßregelt.

In der südungarischen Stadt Zenta, bei
welcher der große österreichische Heerführer Prinz
Eugeu von Savoyen einen seiner ruhmvollsten
Siege erfocht, hätte jetzt dem genialen Helden ein
Reiterdenkmal errichtet werden sollen. Hätte sollen
-- doch die Stadtgewaltigen von Zenta haben
sich die Sache noch rechtzeitig überlegt und durch
einen kräftigen Entschluß es verhindert, daß ein
Nichtmagyar, ein Oesterreicher und noch dazu
ein Gegner Rakoczys -- wie sie hervorhoben
-- in ihrer Gemarkung ein Monument erhält.
Die Uebernahme des Standbildes ist von der Ge-
meindevertretung zurückgewiesen und der Platz für
dasselbe verweigert worden. Die Nachricht
wird dort, wo man die Magyaren noch
nicht richtig einschätzen gelernt hat, Kopfschütteln
erregen. Die Stadt ist seinerzeit durch Prinz
Eugen vom Joch der Türkenherrschaft
befreit worden,
was die Epigonen der
einstigen Herren von Zenta nicht bestreiten können.
Trotzdem weigern sie sich mit Entschiedenheit, den
Manen ihres Befreiers durch ein Denkmal Dank
zu zollen. Es wäre doch gut, wenn man die
ganze Stadt Zenta ein bescheidenes Jährchen bei
den Türken von einst "in die Kost" geben könnte.
Die Stadtväter von Zenta würden wahrscheinlich
schon nach dem ersten Monate mit aufgehobenen
Händen um einen Prinz Eugen bitten. -- Aber
die heutigen Zentaer Denkmalgegner haben recht:
Sie
verdienten einen Prinz Eugen wirklich nicht.




[Spaltenumbruch]
Aufgeklärte gegen die Aufklärung.

Iglau ist ein Städtchen, in dem der mährische
Freisinn noch in floribus ist. Dort hat es sich
zugetragen, daß die Wochenausgabe der "Reichs-
post" in öffentlichen Verkaufsstellen Eingang
fand. Sie wurde gekauft und immer mehr gekauft;
es wanderte jeden Sonntag ein ansehnlicher Stoß
"Reichspost"-Blätter nach Iglau und immer
waren es noch zu wenig. Von dieser schrecklichen
Häresie, die durch diese Invasion christlich-sozialer
Zeitungen in der Bevölkerung Iglaus auszubrechen
drohte, erhielten einige Stadtgewaltige Kenntnis.
Was, Aufklärung durch die Presse? -- Schrecklich!
In ihrer Angst gegen das Gedruckte haben die
besagten hohen Herren von Iglau es glücklich so
weit gebracht, daß sie die Inhaber der Verkaufs-
stellen einschüchterten und durchsetzten, daß der von
ihnen gegen die "Reichspost" verhängte Iglauer
Bann respektiert wurde. Die "Reichspost" darf
deshalb zunächst in Iglau nicht mehr öffentlich
verkauft werden -- die Kreuzelschreiber von Iglau
wollen es so. Wir werden uns darüber zu trösten
wissen, daß sie Gedrucktes so schwer vertragen
können. Aber zum ewigen Gedächtnis sei hier fest-
genagelt, wie die liberalen Herren für ihre Burgen
fürchten, wo die christliche Presse stürmt.




Die Kirchenbausubventionen und der
Verwaltungsgerichtshof.

Wir veröffentlichten vergangenen Sonntag
eine wissenschaftliche Darlegung für die Begründung
der Rechtmäßigkeit des durch Gemeinderat Schuh-
meier
angefo[ch]tenen Gemeinderatsbeschlusses betref-
fend die Subventionierung des Baues der Wiener
Kaiser-jubiläumskirche. In Ergänzung eines in diesem
Aufsatze nur angedeuteten Punktes wäre noch,
konform mit den Ausführungen des Anwaltes
der Gemeinde in diesem Prozesse, Herrn Doktor
Gröll, zu konstatieren:

Dem angefochtenen Beschlusse fehlt es an der
objektiven Rechtswidrigkeit. Ist aber diese nicht
vorhanden, so erscheint die Auslage als eine
Gemeindelast, die nach dem Statute für Wien
gesetzlich von den Gemeindemitgliedern zu tragen
ist, so daß sich ihr gegenüber niemand auf Artikel
IX des Ges. v. 25./V. 1868 berufen kann. Durch
Schaffung eines Zweckverbandes (hier Pfarr-
gemeinden) wird einer Gemeinde die freiwillige
Erfüllung solcher Zwecke nicht entzogen. Wenn
z. B. die Schulgesetzgebung bestimmte Verbände
zur Realisierung der notwendigen Schul-
zwecke
schafft, so ist dadurch einer Gemeinde die
freiwillige Erfüllung solcher aus eigenen
Mitteln nicht verboten. Der Verwaltungsgerichts-
hof hat sich in seinen Präjudikaten darauf gestützt,
daß nach der gesetzlichen Definition des selbst-
ständigen Wirkungskreises der Gemeinde nur das
in denselben fällt, was ihre Interessen zu-
nächst berührt.
Katholische Kultuswecke be-
rühren aber "zunächst" die Pfarrgemeinden,
daher nicht zunächst die Ortsgemeinden (!). Ab-
gesehen davon, daß dieses Wörtchen "zunächst"
nur in sachlicher Beziehung aufzufassen ist und
nur die Abgrenzung der Gemeindesphäre gegen-
über dem Gebiete der höheren politischen Verbände:
Land und Staat bezweckt, fehlt dieses Wort
"zunächst"
im § 45 des Wiener Gemeinde-
statutes, das nur sagt:
In den selbst-
ständigen Wirkungkreis
der Ge-
meinde fällt ... was ihre Interessen be-
rührt.
Und die religiösen Verhältnisse berühren
ihre Interessen in der höchsten Weise. Man braucht
nur hinzuweisen auf das Interesse, das die Ge-
meinde an der Sittlichkeit und an der Erziehung
der Bevölkerung hat. Und hier bildet die Religion
den wesentlichsten Faktor. Für die Gemeinde liegt
daher die Erfüllung eines Gemeinde zweckes,
nicht eines Kultus zweckes vor. Aehnlich ist die
Förderung des Religionsunterrichtes für
den Staat kein konfessioneller, sondern ein
Schulzweck.
Die Behauptung, durch die Bildung
von katholischen Pfarrgemeinden sei den Orts-
gemeinden die Förderung von katholischen Kultus-
zwecken entzogen, muß schon aus dem Grunde
fallen, weil Pfarrgemeinden noch nicht konstituiert
sind. Ohne auf die strittigen Kompetenz-
fragen einzugehen, muß man sagen: Mit
der Ministerial-Verordnung vom 31. Dezember
1877, mit welcher die Besorgung der
Angelegenheiten der katholischen Pfarrgemeinden
den Ortsgemeindevertretungen "wie bisher" über-
tragen wurde, hat das Ministerium die gesetzliche
Ermächtigung überschritten. Die Verordnung
widerspricht der Absicht des Gesetzgebers, dem
Geiste des Gesetzes. Das Gesetz will den Orts-
[Spaltenumbruch] gemeinden die pflichtgemäße Besorgung der
katholischen Kultusangelegenheiten entziehen, das
Ministerium aber überträgt sie wieder denselben.
Aber selbst die Legalität der erwähnten Ver-
ordnung angenommen, beweist sie nichts. Jeden-
falls kann die Schaffung von provisorischen Ge-
schäftsführern nicht die rechtliche Existenz eines
Organismus ersetzen. Ueberdies wurde die Art und
Weise der Erfüllung der bezüglichen Aufgaben
nach der Erklärung des Ministeriums den Orts-
gemeinden überlassen. Das Wort "wie bisher"
könnte man auslegen, daß die Ortsgemeinde als
solche handeln kann.




Richtigstellung: Bei dem Sonntag veröffent-
lichten Aufsatze haben sich in die Wiedergabe einige
Fehler eingeschlichen, die unsere geehrten Leser wohl
schon selbst korrigiert haben dürften. Seite 10, Spalte 2,
Zeile 13 soll es heißen "nicht schützt"; Seite 10,
Spalte 2, Zeile 15: "keine Verletzung"; Seite 10,
Spalte 1, Zeile 29 von unten: "über ihr Nicht-
angehörige
".




Parlamentarisches.
Der Wahlreformausschuß.
Pluralität und Wahlpflicht.

In der gestrigen Nachmittagssitzung des Wahl-
reformausschusses sprach zunächst der Abg. Kaiser
für den Antrag Tollinger. Im künftigen Hause
werde die Landwirtschaft fast gar keine (!) Vertreter
haben, daher sei die Pluralität notwendig. (Ja
werden denn die industriellen und städtischen Wahl-
kreise durch die Pluralität in ländliche verwandelt?
Anm. d. Red.) Redner appelliert an das Herren-
haus, die Pluralität einzuführen, da ein auf Grund
des gleichen Wahlrechtes gewähltes Haus das
Herrenhaus abschaffen würde. Das künftige Abge-
ordnetenhaus werde arbeitsunfähig sein und von
Obstruktion und dem § 14 beherrscht werden. Er
stimme aus voller Ueberzeugung für den Antrag
Tollinger. -- Abg. Dr. Kramar polemisiert
gegen Kaiser und sagt, es wäre töricht, gegen die
Arbeiterschaft mit solchen Mitteln, wie es die
Pluralität sei, zu kämpfen. Das müßte sie revo-
lutionieren. Solle man dann mit Mannlicher-Ge-
wehren losgehen? Ist es denn ein so großes Unglück,
wenn statt der jetzigen Obstruktions- und radikalen
Parteien eine geschlossene sozialdemokratische Partei
ins Parlament komme? Werde diese dann nicht
gemäßigter auftreten müssen als bisher? Verant-
wortung ändert ja die Politik. In der Vorlage sei
bisher zwar nicht die nationale, wohl aber die soziale
Gleichheit bestehen geblieben; solle nun auch diese
durch die Pluralität verschwinden? -- Abg. Doktor
Adler sagt, die Erklärung des Ministerpräsidenten
habe ihn, obwohl sie sehr abgetönt und in der Form
nicht entschieden war, beruhigt. Wenn die Regierung
nicht imstande war, ein brauchbares Pluralitäts-
system zu finden, so werde dies dem Ausschusse erst
recht nicht gelingen. Weder die Arbeiterschaft noch
ein großer Teil des Bürger- und Bauernstandes
würde sich die Pluralität gefallen lassen.
Keinen Tag könnte das Parlament arbeiten.
Der Antrag Tollinger sei für die Wahlreform wie
eine Dynamitpatrone. Seit Jahrzehnten sei in
Oesterreich nichts Größeres geleistet worden als die
Arbeiten des Wahlreformausschusses. Und nun
wolle man das alles mit einem Schlage vernichten?
Die Sozialdemokraten bekämpfe man am besten,
wenn man den Arbeitern die gleichen Rechte nicht
vorenthalte. Den grö[ß]ten Vorteil von der Wahl-
reform werde nicht die sozialdemokratische Partei
sondern der Staat haben.

Hierauf wurde die Verhandlung abgebrochen
und die Sitzung geschlossen, worauf das
Subtomitee für die Wahlpfl[i]cht
unter dem Vorsitze des Obmannes Abgeordneten
Dr. Ivcevic eine Sitzung abhielt, der auch der
Ministerpräsident Baron Beck und Minister Baron
Bienerth beiwohnten In Verhandlung stand der
Antrag Dr. Schlegel.

Abg. Hruby stellt folgenden Abänderungs-
antrag: "Die Landesgesetzgebung kann bestimmen, daß
die innerhalb des betreffenden Landes Wahlberechtigten
verpflichtet seien, bei der Wahl des Mitgliedes des
Abgeordnetenhauses das aktive Wahlrecht auszuüben.
In diesem Falle ist die Erlassung näherer Vorschriften
über die Wahlpflicht, insbesondere die Erlassung von
Durchführungs- und Strafbestimmungen unter even-
tueller Einführung des Mandatsverfahrens der
Landesgesetzgebung vorbehalten."

Abg. Dr. Geßmann beantragt die
Annahme folgender Bestimmung: "Hinsichtlich
der Verpflichtung der Wähler zur
Ausübung des aktiven Wahlrechtes in das
Abgeordnetenhaus bleibt es der Landes-
gesetzgebung überlassen, Strafbestim-
mungen
für die Enthaltung von der Stimmabgabe
unter Beobachtung der folgenden Grundsätze zu treffen:
a) Es dürfen nur Geldstrafen im Betrage von
höchstens zehn Kronen festgesetzt werden, welche
nicht in Arreststrafen umgewandelt werden dürfen;
b) die Strafausschließungsgründe sind fest-
zusetzen, als welche Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit,
längere Abwesenheit, berufsmäßige Verhinderung,
Kommunikationshindernisse und -Erschwerungen u. s. w.
zu betrachten sind; c) das Strafverfahren obliegt den

227 Wien, Freitag Reichspoſt 5. Oktober 1906

[Spaltenumbruch]
Streiflichter.
Was man von den Kirchengemeinden zu
erwarten hat.

Jetzt, da man den franzöſiſchen Katholiken
die Kirchengemeinden aufnötigen will und auch
Luſt hätte, ſie den öſterreichiſchen Katholiken und
auch jenen Ungarns, letzteren unter dem Namen
der „Katholiken-Autonomie“ aufzu-
ſchwatzen, kommt gerade die Wahrnehmung zu-
recht, welche ein bekannter deutſcher Journaliſt
bei den amerikaniſchen Kirchengemein-
den
machen konnte. Der Betreffende, Adam
Röder in Wiesbaden, hat Menſchen und Dinge
in Amerika aufmerkſam ſtudiert und in einer vor
kurzem erſchienenen Broſchüre objektiv beſprochen.
In dem Kapitel „Kirchliches“ ſagt er:

„Die kirchliche Gemeinſchaft iſt in den Vereinigten
Staaten Erziehungs-, Verſorgungs-, Vergnügungs-
anſtalt. Sie gibt Wohltätigkeitsvorſtellungen,
veranſtaltet Baſare, Tanzkränzchen und Aus-
flüge
für die jungen Leute beiderlei Geſchlechts. Ihr
ſind angegliedert die Jünglings- und Jungfrauen-
vereine und alle ſonſtigen Vereinigungen, die auf
ſozialpädagogiſche Wirkſamkeit gerichtet ſind. Der
junge Kaufmann, der junge Beamte, der Handwerker,
der Arbeiter, die Maſchinſchreiberin, Haustochter und
Verkäuferin — ſie alle ſind an die Kirche gegliedert.
Von hier aus werden Verlöbniſſe und Heiraten
geſchloſſen. Insbeſondere die Mäßigkeitsbewegung hat
in der kirchengemeindlichen Organiſation ihre mächtige
Pflegerin. Mancher junge Mann, der ſich verloben
oder verheiraten will, muß erſt dem Mädchen ſeiner
Wahl das Verſprechen geben, daß er vom Alkohol
läßt und „Teetotaler“ (Antialkoholiker) wird. So erſetzt
die Kirche in Wahrheit die mangelnde Polizei
und iſt mit ihren den ganzen Menſchen umklammern-
den Organen der wichtigſte Faktor der geſellſchafts-
moraliſchen Erziehung. Daß die Religion an ſich
hierbei zu kurz kommt und eine entſetzliche innerlich-
religiöſe Verflachung
zeitigt, die ſich im ge-
gebenen Augenblick auch ethiſch zeigt, bedarf hier keines
beſonderen Beweiſes.“

Aus dieſen Beobachtungen eines nüchternen
Richters iſt ſchon zu erkennen, wie die kirchlichen
Gemeinſchaften in Amerika zu Handlangern
des öffentlichen Lebens herabgeſunken ſind und
zwar eine äußere Herrſchaft behaupten, die
Herrſchaft über die Herzen ihrer „Mitglieder“ aber
verloren haben. Adam Röder führt für dieſe
Tatſache auch einen ſehr konkreten Beweis. Er
erzählt:

„In Waſhington iſt ein hervorragendes Mitglied
des Presbyteriums im begründeten Verdacht, daß er
als Ehemann ſich eine käufliche Weibsperſon „aus-
hält.“ Man tritt zuſammen und erklärt, daß der
Mann aus ſeiner leitenden Stellung entfernt werden
müſſe. Da ſchlägt der Kirchenverwalter ſein Journal
auf und konſtatiert, daß der betreffende Ehemann mit
dem größten Beitrag zur Beſtreitung der kirchlichen
Bedürfniſſe „zu Buch ſteht“, einem Beitrag, den man
nicht entbehren kann. Nach langem Hin- und Her-
reden entſchließt man ſich, von der Ausſchließung ab-
zuſtehen,
fintemalen eine konkurrierende
andere kirchliche
Geſellſchaft, den hervorragen-
den und zahlungsfähigen Herrn wahrſcheinlich mit
offenen Armen aufnehmen würde.

Und ſo blieb Miſter Jonathan leitendes Mitglied der
Presbyterialgemeinde.“

So ſehen die Kirchengemeinden in Amerika
aus.




Prinz Eugenius — gemaßregelt.

In der ſüdungariſchen Stadt Zenta, bei
welcher der große öſterreichiſche Heerführer Prinz
Eugeu von Savoyen einen ſeiner ruhmvollſten
Siege erfocht, hätte jetzt dem genialen Helden ein
Reiterdenkmal errichtet werden ſollen. Hätte ſollen
— doch die Stadtgewaltigen von Zenta haben
ſich die Sache noch rechtzeitig überlegt und durch
einen kräftigen Entſchluß es verhindert, daß ein
Nichtmagyar, ein Oeſterreicher und noch dazu
ein Gegner Rakoczys — wie ſie hervorhoben
— in ihrer Gemarkung ein Monument erhält.
Die Uebernahme des Standbildes iſt von der Ge-
meindevertretung zurückgewieſen und der Platz für
dasſelbe verweigert worden. Die Nachricht
wird dort, wo man die Magyaren noch
nicht richtig einſchätzen gelernt hat, Kopfſchütteln
erregen. Die Stadt iſt ſeinerzeit durch Prinz
Eugen vom Joch der Türkenherrſchaft
befreit worden,
was die Epigonen der
einſtigen Herren von Zenta nicht beſtreiten können.
Trotzdem weigern ſie ſich mit Entſchiedenheit, den
Manen ihres Befreiers durch ein Denkmal Dank
zu zollen. Es wäre doch gut, wenn man die
ganze Stadt Zenta ein beſcheidenes Jährchen bei
den Türken von einſt „in die Koſt“ geben könnte.
Die Stadtväter von Zenta würden wahrſcheinlich
ſchon nach dem erſten Monate mit aufgehobenen
Händen um einen Prinz Eugen bitten. — Aber
die heutigen Zentaer Denkmalgegner haben recht:
Sie
verdienten einen Prinz Eugen wirklich nicht.




[Spaltenumbruch]
Aufgeklärte gegen die Aufklärung.

Iglau iſt ein Städtchen, in dem der mähriſche
Freiſinn noch in floribus iſt. Dort hat es ſich
zugetragen, daß die Wochenausgabe der „Reichs-
poſt“ in öffentlichen Verkaufsſtellen Eingang
fand. Sie wurde gekauft und immer mehr gekauft;
es wanderte jeden Sonntag ein anſehnlicher Stoß
„Reichspoſt“-Blätter nach Iglau und immer
waren es noch zu wenig. Von dieſer ſchrecklichen
Häreſie, die durch dieſe Invaſion chriſtlich-ſozialer
Zeitungen in der Bevölkerung Iglaus auszubrechen
drohte, erhielten einige Stadtgewaltige Kenntnis.
Was, Aufklärung durch die Preſſe? — Schrecklich!
In ihrer Angſt gegen das Gedruckte haben die
beſagten hohen Herren von Iglau es glücklich ſo
weit gebracht, daß ſie die Inhaber der Verkaufs-
ſtellen einſchüchterten und durchſetzten, daß der von
ihnen gegen die „Reichspoſt“ verhängte Iglauer
Bann reſpektiert wurde. Die „Reichspoſt“ darf
deshalb zunächſt in Iglau nicht mehr öffentlich
verkauft werden — die Kreuzelſchreiber von Iglau
wollen es ſo. Wir werden uns darüber zu tröſten
wiſſen, daß ſie Gedrucktes ſo ſchwer vertragen
können. Aber zum ewigen Gedächtnis ſei hier feſt-
genagelt, wie die liberalen Herren für ihre Burgen
fürchten, wo die chriſtliche Preſſe ſtürmt.




Die Kirchenbauſubventionen und der
Verwaltungsgerichtshof.

Wir veröffentlichten vergangenen Sonntag
eine wiſſenſchaftliche Darlegung für die Begründung
der Rechtmäßigkeit des durch Gemeinderat Schuh-
meier
angefo[ch]tenen Gemeinderatsbeſchluſſes betref-
fend die Subventionierung des Baues der Wiener
Kaiſer-jubiläumskirche. In Ergänzung eines in dieſem
Aufſatze nur angedeuteten Punktes wäre noch,
konform mit den Ausführungen des Anwaltes
der Gemeinde in dieſem Prozeſſe, Herrn Doktor
Gröll, zu konſtatieren:

Dem angefochtenen Beſchluſſe fehlt es an der
objektiven Rechtswidrigkeit. Iſt aber dieſe nicht
vorhanden, ſo erſcheint die Auslage als eine
Gemeindelaſt, die nach dem Statute für Wien
geſetzlich von den Gemeindemitgliedern zu tragen
iſt, ſo daß ſich ihr gegenüber niemand auf Artikel
IX des Geſ. v. 25./V. 1868 berufen kann. Durch
Schaffung eines Zweckverbandes (hier Pfarr-
gemeinden) wird einer Gemeinde die freiwillige
Erfüllung ſolcher Zwecke nicht entzogen. Wenn
z. B. die Schulgeſetzgebung beſtimmte Verbände
zur Realiſierung der notwendigen Schul-
zwecke
ſchafft, ſo iſt dadurch einer Gemeinde die
freiwillige Erfüllung ſolcher aus eigenen
Mitteln nicht verboten. Der Verwaltungsgerichts-
hof hat ſich in ſeinen Präjudikaten darauf geſtützt,
daß nach der geſetzlichen Definition des ſelbſt-
ſtändigen Wirkungskreiſes der Gemeinde nur das
in denſelben fällt, was ihre Intereſſen zu-
nächſt berührt.
Katholiſche Kultuswecke be-
rühren aber „zunächſt“ die Pfarrgemeinden,
daher nicht zunächſt die Ortsgemeinden (!). Ab-
geſehen davon, daß dieſes Wörtchen „zunächſt“
nur in ſachlicher Beziehung aufzufaſſen iſt und
nur die Abgrenzung der Gemeindeſphäre gegen-
über dem Gebiete der höheren politiſchen Verbände:
Land und Staat bezweckt, fehlt dieſes Wort
„zunächſt“
im § 45 des Wiener Gemeinde-
ſtatutes, das nur ſagt:
In den ſelbſt-
ſtändigen Wirkungkreis
der Ge-
meinde fällt ... was ihre Intereſſen be-
rührt.
Und die religiöſen Verhältniſſe berühren
ihre Intereſſen in der höchſten Weiſe. Man braucht
nur hinzuweiſen auf das Intereſſe, das die Ge-
meinde an der Sittlichkeit und an der Erziehung
der Bevölkerung hat. Und hier bildet die Religion
den weſentlichſten Faktor. Für die Gemeinde liegt
daher die Erfüllung eines Gemeinde zweckes,
nicht eines Kultus zweckes vor. Aehnlich iſt die
Förderung des Religionsunterrichtes für
den Staat kein konfeſſioneller, ſondern ein
Schulzweck.
Die Behauptung, durch die Bildung
von katholiſchen Pfarrgemeinden ſei den Orts-
gemeinden die Förderung von katholiſchen Kultus-
zwecken entzogen, muß ſchon aus dem Grunde
fallen, weil Pfarrgemeinden noch nicht konſtituiert
ſind. Ohne auf die ſtrittigen Kompetenz-
fragen einzugehen, muß man ſagen: Mit
der Miniſterial-Verordnung vom 31. Dezember
1877, mit welcher die Beſorgung der
Angelegenheiten der katholiſchen Pfarrgemeinden
den Ortsgemeindevertretungen „wie bisher“ über-
tragen wurde, hat das Miniſterium die geſetzliche
Ermächtigung überſchritten. Die Verordnung
widerſpricht der Abſicht des Geſetzgebers, dem
Geiſte des Geſetzes. Das Geſetz will den Orts-
[Spaltenumbruch] gemeinden die pflichtgemäße Beſorgung der
katholiſchen Kultusangelegenheiten entziehen, das
Miniſterium aber überträgt ſie wieder denſelben.
Aber ſelbſt die Legalität der erwähnten Ver-
ordnung angenommen, beweiſt ſie nichts. Jeden-
falls kann die Schaffung von proviſoriſchen Ge-
ſchäftsführern nicht die rechtliche Exiſtenz eines
Organismus erſetzen. Ueberdies wurde die Art und
Weiſe der Erfüllung der bezüglichen Aufgaben
nach der Erklärung des Miniſteriums den Orts-
gemeinden überlaſſen. Das Wort „wie bisher“
könnte man auslegen, daß die Ortsgemeinde als
ſolche handeln kann.




Richtigſtellung: Bei dem Sonntag veröffent-
lichten Aufſatze haben ſich in die Wiedergabe einige
Fehler eingeſchlichen, die unſere geehrten Leſer wohl
ſchon ſelbſt korrigiert haben dürften. Seite 10, Spalte 2,
Zeile 13 ſoll es heißen „nicht ſchützt“; Seite 10,
Spalte 2, Zeile 15: „keine Verletzung“; Seite 10,
Spalte 1, Zeile 29 von unten: „über ihr Nicht-
angehörige
“.




Parlamentariſches.
Der Wahlreformausſchuß.
Pluralität und Wahlpflicht.

In der geſtrigen Nachmittagsſitzung des Wahl-
reformausſchuſſes ſprach zunächſt der Abg. Kaiſer
für den Antrag Tollinger. Im künftigen Hauſe
werde die Landwirtſchaft faſt gar keine (!) Vertreter
haben, daher ſei die Pluralität notwendig. (Ja
werden denn die induſtriellen und ſtädtiſchen Wahl-
kreiſe durch die Pluralität in ländliche verwandelt?
Anm. d. Red.) Redner appelliert an das Herren-
haus, die Pluralität einzuführen, da ein auf Grund
des gleichen Wahlrechtes gewähltes Haus das
Herrenhaus abſchaffen würde. Das künftige Abge-
ordnetenhaus werde arbeitsunfähig ſein und von
Obſtruktion und dem § 14 beherrſcht werden. Er
ſtimme aus voller Ueberzeugung für den Antrag
Tollinger. — Abg. Dr. Kramar polemiſiert
gegen Kaiſer und ſagt, es wäre töricht, gegen die
Arbeiterſchaft mit ſolchen Mitteln, wie es die
Pluralität ſei, zu kämpfen. Das müßte ſie revo-
lutionieren. Solle man dann mit Mannlicher-Ge-
wehren losgehen? Iſt es denn ein ſo großes Unglück,
wenn ſtatt der jetzigen Obſtruktions- und radikalen
Parteien eine geſchloſſene ſozialdemokratiſche Partei
ins Parlament komme? Werde dieſe dann nicht
gemäßigter auftreten müſſen als bisher? Verant-
wortung ändert ja die Politik. In der Vorlage ſei
bisher zwar nicht die nationale, wohl aber die ſoziale
Gleichheit beſtehen geblieben; ſolle nun auch dieſe
durch die Pluralität verſchwinden? — Abg. Doktor
Adler ſagt, die Erklärung des Miniſterpräſidenten
habe ihn, obwohl ſie ſehr abgetönt und in der Form
nicht entſchieden war, beruhigt. Wenn die Regierung
nicht imſtande war, ein brauchbares Pluralitäts-
ſyſtem zu finden, ſo werde dies dem Ausſchuſſe erſt
recht nicht gelingen. Weder die Arbeiterſchaft noch
ein großer Teil des Bürger- und Bauernſtandes
würde ſich die Pluralität gefallen laſſen.
Keinen Tag könnte das Parlament arbeiten.
Der Antrag Tollinger ſei für die Wahlreform wie
eine Dynamitpatrone. Seit Jahrzehnten ſei in
Oeſterreich nichts Größeres geleiſtet worden als die
Arbeiten des Wahlreformausſchuſſes. Und nun
wolle man das alles mit einem Schlage vernichten?
Die Sozialdemokraten bekämpfe man am beſten,
wenn man den Arbeitern die gleichen Rechte nicht
vorenthalte. Den grö[ß]ten Vorteil von der Wahl-
reform werde nicht die ſozialdemokratiſche Partei
ſondern der Staat haben.

Hierauf wurde die Verhandlung abgebrochen
und die Sitzung geſchloſſen, worauf das
Subtomitee für die Wahlpfl[i]cht
unter dem Vorſitze des Obmannes Abgeordneten
Dr. Ivcevic eine Sitzung abhielt, der auch der
Miniſterpräſident Baron Beck und Miniſter Baron
Bienerth beiwohnten In Verhandlung ſtand der
Antrag Dr. Schlegel.

Abg. Hruby ſtellt folgenden Abänderungs-
antrag: „Die Landesgeſetzgebung kann beſtimmen, daß
die innerhalb des betreffenden Landes Wahlberechtigten
verpflichtet ſeien, bei der Wahl des Mitgliedes des
Abgeordnetenhauſes das aktive Wahlrecht auszuüben.
In dieſem Falle iſt die Erlaſſung näherer Vorſchriften
über die Wahlpflicht, insbeſondere die Erlaſſung von
Durchführungs- und Strafbeſtimmungen unter even-
tueller Einführung des Mandatsverfahrens der
Landesgeſetzgebung vorbehalten.“

Abg. Dr. Geßmann beantragt die
Annahme folgender Beſtimmung: „Hinſichtlich
der Verpflichtung der Wähler zur
Ausübung des aktiven Wahlrechtes in das
Abgeordnetenhaus bleibt es der Landes-
geſetzgebung überlaſſen, Strafbeſtim-
mungen
für die Enthaltung von der Stimmabgabe
unter Beobachtung der folgenden Grundſätze zu treffen:
a) Es dürfen nur Geldſtrafen im Betrage von
höchſtens zehn Kronen feſtgeſetzt werden, welche
nicht in Arreſtſtrafen umgewandelt werden dürfen;
b) die Strafausſchließungsgründe ſind feſt-
zuſetzen, als welche Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit,
längere Abweſenheit, berufsmäßige Verhinderung,
Kommunikationshinderniſſe und -Erſchwerungen u. ſ. w.
zu betrachten ſind; c) das Strafverfahren obliegt den

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[9/0009] 227 Wien, Freitag Reichspoſt 5. Oktober 1906 Streiflichter. Was man von den Kirchengemeinden zu erwarten hat. Jetzt, da man den franzöſiſchen Katholiken die Kirchengemeinden aufnötigen will und auch Luſt hätte, ſie den öſterreichiſchen Katholiken und auch jenen Ungarns, letzteren unter dem Namen der „Katholiken-Autonomie“ aufzu- ſchwatzen, kommt gerade die Wahrnehmung zu- recht, welche ein bekannter deutſcher Journaliſt bei den amerikaniſchen Kirchengemein- den machen konnte. Der Betreffende, Adam Röder in Wiesbaden, hat Menſchen und Dinge in Amerika aufmerkſam ſtudiert und in einer vor kurzem erſchienenen Broſchüre objektiv beſprochen. In dem Kapitel „Kirchliches“ ſagt er: „Die kirchliche Gemeinſchaft iſt in den Vereinigten Staaten Erziehungs-, Verſorgungs-, Vergnügungs- anſtalt. Sie gibt Wohltätigkeitsvorſtellungen, veranſtaltet Baſare, Tanzkränzchen und Aus- flüge für die jungen Leute beiderlei Geſchlechts. Ihr ſind angegliedert die Jünglings- und Jungfrauen- vereine und alle ſonſtigen Vereinigungen, die auf ſozialpädagogiſche Wirkſamkeit gerichtet ſind. Der junge Kaufmann, der junge Beamte, der Handwerker, der Arbeiter, die Maſchinſchreiberin, Haustochter und Verkäuferin — ſie alle ſind an die Kirche gegliedert. Von hier aus werden Verlöbniſſe und Heiraten geſchloſſen. Insbeſondere die Mäßigkeitsbewegung hat in der kirchengemeindlichen Organiſation ihre mächtige Pflegerin. Mancher junge Mann, der ſich verloben oder verheiraten will, muß erſt dem Mädchen ſeiner Wahl das Verſprechen geben, daß er vom Alkohol läßt und „Teetotaler“ (Antialkoholiker) wird. So erſetzt die Kirche in Wahrheit die mangelnde Polizei und iſt mit ihren den ganzen Menſchen umklammern- den Organen der wichtigſte Faktor der geſellſchafts- moraliſchen Erziehung. Daß die Religion an ſich hierbei zu kurz kommt und eine entſetzliche innerlich- religiöſe Verflachung zeitigt, die ſich im ge- gebenen Augenblick auch ethiſch zeigt, bedarf hier keines beſonderen Beweiſes.“ Aus dieſen Beobachtungen eines nüchternen Richters iſt ſchon zu erkennen, wie die kirchlichen Gemeinſchaften in Amerika zu Handlangern des öffentlichen Lebens herabgeſunken ſind und zwar eine äußere Herrſchaft behaupten, die Herrſchaft über die Herzen ihrer „Mitglieder“ aber verloren haben. Adam Röder führt für dieſe Tatſache auch einen ſehr konkreten Beweis. Er erzählt: „In Waſhington iſt ein hervorragendes Mitglied des Presbyteriums im begründeten Verdacht, daß er als Ehemann ſich eine käufliche Weibsperſon „aus- hält.“ Man tritt zuſammen und erklärt, daß der Mann aus ſeiner leitenden Stellung entfernt werden müſſe. Da ſchlägt der Kirchenverwalter ſein Journal auf und konſtatiert, daß der betreffende Ehemann mit dem größten Beitrag zur Beſtreitung der kirchlichen Bedürfniſſe „zu Buch ſteht“, einem Beitrag, den man nicht entbehren kann. Nach langem Hin- und Her- reden entſchließt man ſich, von der Ausſchließung ab- zuſtehen, fintemalen eine konkurrierende andere kirchliche Geſellſchaft, den hervorragen- den und zahlungsfähigen Herrn wahrſcheinlich mit offenen Armen aufnehmen würde. Und ſo blieb Miſter Jonathan leitendes Mitglied der Presbyterialgemeinde.“ So ſehen die Kirchengemeinden in Amerika aus. Prinz Eugenius — gemaßregelt. In der ſüdungariſchen Stadt Zenta, bei welcher der große öſterreichiſche Heerführer Prinz Eugeu von Savoyen einen ſeiner ruhmvollſten Siege erfocht, hätte jetzt dem genialen Helden ein Reiterdenkmal errichtet werden ſollen. Hätte ſollen — doch die Stadtgewaltigen von Zenta haben ſich die Sache noch rechtzeitig überlegt und durch einen kräftigen Entſchluß es verhindert, daß ein Nichtmagyar, ein Oeſterreicher und noch dazu ein Gegner Rakoczys — wie ſie hervorhoben — in ihrer Gemarkung ein Monument erhält. Die Uebernahme des Standbildes iſt von der Ge- meindevertretung zurückgewieſen und der Platz für dasſelbe verweigert worden. Die Nachricht wird dort, wo man die Magyaren noch nicht richtig einſchätzen gelernt hat, Kopfſchütteln erregen. Die Stadt iſt ſeinerzeit durch Prinz Eugen vom Joch der Türkenherrſchaft befreit worden, was die Epigonen der einſtigen Herren von Zenta nicht beſtreiten können. Trotzdem weigern ſie ſich mit Entſchiedenheit, den Manen ihres Befreiers durch ein Denkmal Dank zu zollen. Es wäre doch gut, wenn man die ganze Stadt Zenta ein beſcheidenes Jährchen bei den Türken von einſt „in die Koſt“ geben könnte. Die Stadtväter von Zenta würden wahrſcheinlich ſchon nach dem erſten Monate mit aufgehobenen Händen um einen Prinz Eugen bitten. — Aber die heutigen Zentaer Denkmalgegner haben recht: Sie verdienten einen Prinz Eugen wirklich nicht. Aufgeklärte gegen die Aufklärung. Iglau iſt ein Städtchen, in dem der mähriſche Freiſinn noch in floribus iſt. Dort hat es ſich zugetragen, daß die Wochenausgabe der „Reichs- poſt“ in öffentlichen Verkaufsſtellen Eingang fand. Sie wurde gekauft und immer mehr gekauft; es wanderte jeden Sonntag ein anſehnlicher Stoß „Reichspoſt“-Blätter nach Iglau und immer waren es noch zu wenig. Von dieſer ſchrecklichen Häreſie, die durch dieſe Invaſion chriſtlich-ſozialer Zeitungen in der Bevölkerung Iglaus auszubrechen drohte, erhielten einige Stadtgewaltige Kenntnis. Was, Aufklärung durch die Preſſe? — Schrecklich! In ihrer Angſt gegen das Gedruckte haben die beſagten hohen Herren von Iglau es glücklich ſo weit gebracht, daß ſie die Inhaber der Verkaufs- ſtellen einſchüchterten und durchſetzten, daß der von ihnen gegen die „Reichspoſt“ verhängte Iglauer Bann reſpektiert wurde. Die „Reichspoſt“ darf deshalb zunächſt in Iglau nicht mehr öffentlich verkauft werden — die Kreuzelſchreiber von Iglau wollen es ſo. Wir werden uns darüber zu tröſten wiſſen, daß ſie Gedrucktes ſo ſchwer vertragen können. Aber zum ewigen Gedächtnis ſei hier feſt- genagelt, wie die liberalen Herren für ihre Burgen fürchten, wo die chriſtliche Preſſe ſtürmt. Die Kirchenbauſubventionen und der Verwaltungsgerichtshof. Wir veröffentlichten vergangenen Sonntag eine wiſſenſchaftliche Darlegung für die Begründung der Rechtmäßigkeit des durch Gemeinderat Schuh- meier angefochtenen Gemeinderatsbeſchluſſes betref- fend die Subventionierung des Baues der Wiener Kaiſer-jubiläumskirche. In Ergänzung eines in dieſem Aufſatze nur angedeuteten Punktes wäre noch, konform mit den Ausführungen des Anwaltes der Gemeinde in dieſem Prozeſſe, Herrn Doktor Gröll, zu konſtatieren: Dem angefochtenen Beſchluſſe fehlt es an der objektiven Rechtswidrigkeit. Iſt aber dieſe nicht vorhanden, ſo erſcheint die Auslage als eine Gemeindelaſt, die nach dem Statute für Wien geſetzlich von den Gemeindemitgliedern zu tragen iſt, ſo daß ſich ihr gegenüber niemand auf Artikel IX des Geſ. v. 25./V. 1868 berufen kann. Durch Schaffung eines Zweckverbandes (hier Pfarr- gemeinden) wird einer Gemeinde die freiwillige Erfüllung ſolcher Zwecke nicht entzogen. Wenn z. B. die Schulgeſetzgebung beſtimmte Verbände zur Realiſierung der notwendigen Schul- zwecke ſchafft, ſo iſt dadurch einer Gemeinde die freiwillige Erfüllung ſolcher aus eigenen Mitteln nicht verboten. Der Verwaltungsgerichts- hof hat ſich in ſeinen Präjudikaten darauf geſtützt, daß nach der geſetzlichen Definition des ſelbſt- ſtändigen Wirkungskreiſes der Gemeinde nur das in denſelben fällt, was ihre Intereſſen zu- nächſt berührt. Katholiſche Kultuswecke be- rühren aber „zunächſt“ die Pfarrgemeinden, daher nicht zunächſt die Ortsgemeinden (!). Ab- geſehen davon, daß dieſes Wörtchen „zunächſt“ nur in ſachlicher Beziehung aufzufaſſen iſt und nur die Abgrenzung der Gemeindeſphäre gegen- über dem Gebiete der höheren politiſchen Verbände: Land und Staat bezweckt, fehlt dieſes Wort „zunächſt“ im § 45 des Wiener Gemeinde- ſtatutes, das nur ſagt: In den ſelbſt- ſtändigen Wirkungkreis der Ge- meinde fällt ... was ihre Intereſſen be- rührt. Und die religiöſen Verhältniſſe berühren ihre Intereſſen in der höchſten Weiſe. Man braucht nur hinzuweiſen auf das Intereſſe, das die Ge- meinde an der Sittlichkeit und an der Erziehung der Bevölkerung hat. Und hier bildet die Religion den weſentlichſten Faktor. Für die Gemeinde liegt daher die Erfüllung eines Gemeinde zweckes, nicht eines Kultus zweckes vor. Aehnlich iſt die Förderung des Religionsunterrichtes für den Staat kein konfeſſioneller, ſondern ein Schulzweck. Die Behauptung, durch die Bildung von katholiſchen Pfarrgemeinden ſei den Orts- gemeinden die Förderung von katholiſchen Kultus- zwecken entzogen, muß ſchon aus dem Grunde fallen, weil Pfarrgemeinden noch nicht konſtituiert ſind. Ohne auf die ſtrittigen Kompetenz- fragen einzugehen, muß man ſagen: Mit der Miniſterial-Verordnung vom 31. Dezember 1877, mit welcher die Beſorgung der Angelegenheiten der katholiſchen Pfarrgemeinden den Ortsgemeindevertretungen „wie bisher“ über- tragen wurde, hat das Miniſterium die geſetzliche Ermächtigung überſchritten. Die Verordnung widerſpricht der Abſicht des Geſetzgebers, dem Geiſte des Geſetzes. Das Geſetz will den Orts- gemeinden die pflichtgemäße Beſorgung der katholiſchen Kultusangelegenheiten entziehen, das Miniſterium aber überträgt ſie wieder denſelben. Aber ſelbſt die Legalität der erwähnten Ver- ordnung angenommen, beweiſt ſie nichts. Jeden- falls kann die Schaffung von proviſoriſchen Ge- ſchäftsführern nicht die rechtliche Exiſtenz eines Organismus erſetzen. Ueberdies wurde die Art und Weiſe der Erfüllung der bezüglichen Aufgaben nach der Erklärung des Miniſteriums den Orts- gemeinden überlaſſen. Das Wort „wie bisher“ könnte man auslegen, daß die Ortsgemeinde als ſolche handeln kann. Richtigſtellung: Bei dem Sonntag veröffent- lichten Aufſatze haben ſich in die Wiedergabe einige Fehler eingeſchlichen, die unſere geehrten Leſer wohl ſchon ſelbſt korrigiert haben dürften. Seite 10, Spalte 2, Zeile 13 ſoll es heißen „nicht ſchützt“; Seite 10, Spalte 2, Zeile 15: „keine Verletzung“; Seite 10, Spalte 1, Zeile 29 von unten: „über ihr Nicht- angehörige“. Parlamentariſches. Der Wahlreformausſchuß. Pluralität und Wahlpflicht. In der geſtrigen Nachmittagsſitzung des Wahl- reformausſchuſſes ſprach zunächſt der Abg. Kaiſer für den Antrag Tollinger. Im künftigen Hauſe werde die Landwirtſchaft faſt gar keine (!) Vertreter haben, daher ſei die Pluralität notwendig. (Ja werden denn die induſtriellen und ſtädtiſchen Wahl- kreiſe durch die Pluralität in ländliche verwandelt? Anm. d. Red.) Redner appelliert an das Herren- haus, die Pluralität einzuführen, da ein auf Grund des gleichen Wahlrechtes gewähltes Haus das Herrenhaus abſchaffen würde. Das künftige Abge- ordnetenhaus werde arbeitsunfähig ſein und von Obſtruktion und dem § 14 beherrſcht werden. Er ſtimme aus voller Ueberzeugung für den Antrag Tollinger. — Abg. Dr. Kramar polemiſiert gegen Kaiſer und ſagt, es wäre töricht, gegen die Arbeiterſchaft mit ſolchen Mitteln, wie es die Pluralität ſei, zu kämpfen. Das müßte ſie revo- lutionieren. Solle man dann mit Mannlicher-Ge- wehren losgehen? Iſt es denn ein ſo großes Unglück, wenn ſtatt der jetzigen Obſtruktions- und radikalen Parteien eine geſchloſſene ſozialdemokratiſche Partei ins Parlament komme? Werde dieſe dann nicht gemäßigter auftreten müſſen als bisher? Verant- wortung ändert ja die Politik. In der Vorlage ſei bisher zwar nicht die nationale, wohl aber die ſoziale Gleichheit beſtehen geblieben; ſolle nun auch dieſe durch die Pluralität verſchwinden? — Abg. Doktor Adler ſagt, die Erklärung des Miniſterpräſidenten habe ihn, obwohl ſie ſehr abgetönt und in der Form nicht entſchieden war, beruhigt. Wenn die Regierung nicht imſtande war, ein brauchbares Pluralitäts- ſyſtem zu finden, ſo werde dies dem Ausſchuſſe erſt recht nicht gelingen. Weder die Arbeiterſchaft noch ein großer Teil des Bürger- und Bauernſtandes würde ſich die Pluralität gefallen laſſen. Keinen Tag könnte das Parlament arbeiten. Der Antrag Tollinger ſei für die Wahlreform wie eine Dynamitpatrone. Seit Jahrzehnten ſei in Oeſterreich nichts Größeres geleiſtet worden als die Arbeiten des Wahlreformausſchuſſes. Und nun wolle man das alles mit einem Schlage vernichten? Die Sozialdemokraten bekämpfe man am beſten, wenn man den Arbeitern die gleichen Rechte nicht vorenthalte. Den größten Vorteil von der Wahl- reform werde nicht die ſozialdemokratiſche Partei ſondern der Staat haben. Hierauf wurde die Verhandlung abgebrochen und die Sitzung geſchloſſen, worauf das Subtomitee für die Wahlpflicht unter dem Vorſitze des Obmannes Abgeordneten Dr. Ivcevic eine Sitzung abhielt, der auch der Miniſterpräſident Baron Beck und Miniſter Baron Bienerth beiwohnten In Verhandlung ſtand der Antrag Dr. Schlegel. Abg. Hruby ſtellt folgenden Abänderungs- antrag: „Die Landesgeſetzgebung kann beſtimmen, daß die innerhalb des betreffenden Landes Wahlberechtigten verpflichtet ſeien, bei der Wahl des Mitgliedes des Abgeordnetenhauſes das aktive Wahlrecht auszuüben. In dieſem Falle iſt die Erlaſſung näherer Vorſchriften über die Wahlpflicht, insbeſondere die Erlaſſung von Durchführungs- und Strafbeſtimmungen unter even- tueller Einführung des Mandatsverfahrens der Landesgeſetzgebung vorbehalten.“ Abg. Dr. Geßmann beantragt die Annahme folgender Beſtimmung: „Hinſichtlich der Verpflichtung der Wähler zur Ausübung des aktiven Wahlrechtes in das Abgeordnetenhaus bleibt es der Landes- geſetzgebung überlaſſen, Strafbeſtim- mungen für die Enthaltung von der Stimmabgabe unter Beobachtung der folgenden Grundſätze zu treffen: a) Es dürfen nur Geldſtrafen im Betrage von höchſtens zehn Kronen feſtgeſetzt werden, welche nicht in Arreſtſtrafen umgewandelt werden dürfen; b) die Strafausſchließungsgründe ſind feſt- zuſetzen, als welche Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit, längere Abweſenheit, berufsmäßige Verhinderung, Kommunikationshinderniſſe und -Erſchwerungen u. ſ. w. zu betrachten ſind; c) das Strafverfahren obliegt den

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 227, Wien, 05.10.1906, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost227_1906/9>, abgerufen am 29.03.2024.