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Reichspost. Nr. 212, Wien, 18.09.1906.

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[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Redaktion, Administration,
Expedition und Druckerei:

VIII., Strozzigasse 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldschmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briese werden nicht ange-
nommen; Manuskripte werden nicht
zurückgestellt. Unverschlossene Rekla-
mationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse 41,
sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erscheint täglich 6 Uhr na[ch]
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Österreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreise:
Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 st

Einzelne Nummern 8 h, per Poh
10 h.

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Österreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig ......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutschland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Welipostvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark.




Telephon 18082.




XIII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 18. September 1906. Nr. 212.



[Spaltenumbruch]
Die Früchte der Koalitions-
herrschaft.

(Von einem Mitarbeiter in Ober-Ungarn.)

Daß mit der Uebernahme der Regierung durch
die magyarische Koalition für die Nationalitäten
Ungarns eine neue Periode noch größerer Leiden
beginne, daß wußte jeder vorurteilslose Beobachter
unseres öffentlichen Lebens. Aber wenigstens hoffte
man allgemein, daß mit der Vernichtung der durch
und durch korrupten liberalen Partei reinere Elemente
zur Geltung kommen und damit gegenüber dem
jüdisch-freimaurerischen Geiste der liberalen Aera
leichter der christliche Gedanke zum Durchbruche ge-
langen werde. Die Leitung der Wahlen in den
Nationalitätengebieten und alle bisherigen Taten der
jetzigen Machthaber bezeugen aber, daß alles versinkt
in den Gelüten eines bis zur Glühhitze erhitzten
Chauvinismus.

Als wähend der letzten Reichstagswahlen ein
hervorragende Magyare hörte, welchen Vandalismus
sich die Neutaer Behörden und Liberalen, die nun-
mehr Kossuhisten geworden sind, den Slovaken
gegenüber [er]laubten, da meinte er mit gelassener
Offenheit: "Den Nationalitäten gegenüber halte ich
jedes Mitte für erlaubt und ich glaube, daß die
magyarische Gesellschaft mir darin Recht geben
wird." Die Ausrottung der Nichtmagyaren auf
allen Gebietet, das scheint jetzt in der Tat das zu-
nächst angestrbte Ziel der magyarischen Politik zu
sein. Zur Illistrierung wollen wir einige Fälle aus
der jüngsten Vergangenheit anführen.

In dem nördlichsten, ärmsten, rein slovakisch-
polnischen Komitate Arva liegt das slovakische
Dörfchen Zubcec; es zählt rund 1000 Einwohner. Das-
[Spaltenumbruch] selbe erhielt einen Lehrer, der ein Kernmagyare von Ge-
burt, kein Wort Slovakisch versteht. Seine Lehrmethode
war nun in dem Konsumvereine der genannten Gemeinde
Gegenstand einer Kritik und ein gewisser Julius
Banjari äußerte darin, einen solchen Lehrer, der sich
mit den Schulkindern nicht verständigen könne und
dieselben noch obendrein unbarmherzig prügle, sollte
man aus der Schule jagen. Der Mann hatte im
Grunde recht, in Ungarn war es aber sehr unbe-
dacht, solche Worte auszusprechen. Seine Aeußerung
brachte Banjari vor das Rosenberger Gericht, wo sie
ihm dieser Tage wegen "Aufreizung" drei Monate
Staatsgefängnis, eine Geldstrafe und Deckung der
Gerichtskosten eintrug.

Wozu sich in dem magyarischen Freiheitslande
selbst die kleinsten Beamten versteigen, das zeigt ein
Fall, der sich am 8. September in der Gemeinde
Novotj zugetragen hat. Der Reichstags-Abgeordnete
Szycak berief in das Haus, beziehungsweise den Hof
eines Parteigängers seine Wähler ein, um. ihnen
einen Rechenschaftsbericht zu erstatten. Einige Schritte
vor ihm stellten sich zu Beginn der Versammlung
Gendarmen auf, seitwärts aber ein Notär, mit
einem Stock bewaffnet. Der Abgeordnete hatte kaum
seine Rede angefangen und einige harmlose Redens-
arten vorgebracht, als [er v]om Notär mit der Be-
merkung unterbrochen wurde, daß er dem Abgeordneten
das Wort entziehe und die Versammlung schließe,
weil der Abgeordnete gegen die Behörden aufreize.
Jeder Einwand, daß nicht das leiseste darauf hin-
deutende Wort gefallen sei, war vergebens. Mit der
Berichterstattung des slovakischen Abgeordneten war
es zu Ende ... Dazu kommen noch die immer-
währenden Einschüchterungen des Volkes durch
Tendenzprozesse und strenge Verhöre. Oft stehen in
Rosenberg ganze Scharen "Angeklagter" vor dem
[Spaltenumbruch] Hause des Bezirkshauptmannes. So setzt man die
Dörfer harmloser Menschen in Furcht und Schrecken
vor der Allgewalt des neuen Regimes.

Auf einer größeren oberungarischen Bahnstation
sprach kürzlich ein Slovak einen Beamten der Eisen-
bahn in slovakischer Sprache an Dieser wurde ganz
verlegen, führte den Bekannten auf die Seite und
sprach: "Ich bitte Sie, mich nicht slovakisch anzu-
sprechen. Wenn dies mein Vorgesetzter hört, so werde
ich mit 4 Kronen gestraft." So etwas geschieht auf
einem Territorium, auf dem zwei Millionen Slovaken
in dichten Massen beisammen wohnen.

Die schlimmste von allen Heimsuchungen ist
aber die Verwirrung, welche die unteren Schichten
des Volkes dadurch ergriffen hat, daß sie die an
ihrer Seite stehenden Seelsorger verfolgt,
diszipliniert, zum Schweigen verurteilt sieht. Das
Volk wird vielfach irre an der Unabhängigkeit der
kirchlichen Administration und gerät dadurch unter
verhängnisvolle Einflüsse. Was sich jetzt in Nord-
ungarn vorbereitet, die Verführung dieses schlichten,
arglosen Volkes zur Sozialdemokratie, ist eine Er-
scheinung, die leider nicht erklärt werden kann ohne
das viele Unrecht, das hier aufgehäuft worden ist.
Es sei hier nur ein kennzeichnender Fall angeführt:
Unter der Leitung des früheren Preßburger Kaplans,
des jetzigen Reichstagsabgeordneten Dr. Jehlicka,
erstarkte die christliche Arbeiterbewegung in Preß-
burg derart, daß die von dem katho-
lischen Arbeiterverein gemieteten Lokalitäten
zu klein wurden. Es wurde sogar in der Vorstadt
Blumental eine Filiale für die slovakischen Arbeiter
eröffnet. Dr. Jehlicka wurde nun in eine rein ma-
gyarische Gemeinde versetzt, da man ihn politisch
lahmlegen wollte. Nun verfiel die christliche Arbeiter-
bewegung in Preßburg. Es fand sich keine geeignete




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Nachdruck verboten.

Heinrich Laube -- zu seinem hundertsten
Geburtstag.

Laubes Lbensgeschichte ist ein Spiegel seiner Zeit.
Er wurde geboren, als die deutsche Romantik noch in
voller Blüte stand; seine Knabenzeit fiel in die
stürmischen Tage der Befreiungskriege; als Jüngling
sah er die Re[a]ktion und die Brutalitäten der Dema-
gogenhetze: [d]er junge Mann warf sich daher den
kecken Phanta[si]en der jungdeutschen Bewegung mit
Begeisterung in die Arme, um sich freilich diesem zügel-
losen Uebersch[w]ung allmählich zu entfremden, bis er
endlich nach niederholter politischer Kerkerhaft in den
ruhigen Hafen konservativer Lebenskunst einlief.

Heinrich Laube war am 18. September 1806 in
Schlesien zu [S]prottau geboren. Seine Schulbildung
genoß er auf den Gymnasien in Glogau und
Schweidnitz. In Halle und Breslau studierte er
Theologie. Seit 1832 lebte er in Leipzig als unab-
hängiger Schriftsteller. Seine Sympathie für die Rück-
wirkung der Julirevolution auf Deutschland zog ihm
eine Untersuchung zu, auch wurde er in die Demagogen-
affaire verwidelt und so wurde er 1834 in Leipzig ver-
haftet -- er [w]ar eben mit Gutzkow von einer Reise aus
Italien zurüchekehrt, aus Sachsen ausgewiesen und in
Berlin in der Hausvogtei neun Monate gefangen ge-
halten. Seine politischen Ansichten aus dieser Zeit
enthält der stürmische Roman "Das junge Europa",
der von 1833 bis 1837 in fünf Bänden erschien. Der
Roman gliedert sich in drei Teile: Die Poeten, die
Krieger und die Bürger. Im ersten Teile legt er seine
[Spaltenumbruch] revolutionären Lebensansichten dar. Er hält die
Institutionen der Kirche und des Staates für
völlig veraltet und verderbt. Sie müssen umgestaltet
oder ausgerottet werden. Ueber die Mittel und Wege
dieser Welterneuerung war Laube sich ebensowenig im
klaren wie die zahllosen Unzufriedenen unter seinen
Zeitgenossen. Zu einem zusammenhängenden System
hat er es nie gebracht. Nach seiner Freilassung lebte
Laube mehrfach auf Reisen. Im Jahre 1836 vermählte
er sich mit der Witwe des Professors Hänel in
Leipzig. Seine Frau folgte ihm, eine rechte
Lebensgenossin, nach Muskau in die Kerkerhaft, als
er nach kurzer Zeit von den preußischen Gerichten zu
einjähriger Haft verurteilt wurde; weil er in einer
Geschichte Polens gegen den russischen Kaiser heftige
Anklagen erhoben hatte. Einige Jahre vorher hatte
er in Heidelberg auf Grund eben dieser Schrift den
philosophichen Doktorgrad erworben. Eine Frucht seines
Aufenthaltes in Muskau war seine Geschichte
der deutschen Literatur, die 1840 in vier Bänden
erschien. Im Jahre 1838 griff er mit einer anonymen
Broschüre "Görres und Athanasius" in die großen
kirchenpolitischen Wirren ein, die 1837 durch die empör-
enden Gewaltmaßregeln der preußischen Regierung gegen
den edlen Kölner Erbischof Droste-Vischering verursacht
worden waren. Josef v. Görres, der alte Vorkämpfer
für Freiheit und Recht, hatte darauf mit seinem Atha-
nasius ganz Deutschland für die katholische Sache ent-
flammt.

Im Jahre 1839 bereiste Laube Frankreich und
Algier und ließ sich dann in Leipzig nieder. Als er
neun Jahre später vom böhmischen Wahlkreise Elbogen
in die deutsche Nationalversammlung entsandt wurde,
hielt er zur erbkaiserlichen Partei. Sein politisches
Programm war im Laufe der Jahre ein ganz anderes
geworden. Seine Parteigängerschaft für Heine war
[Spaltenumbruch] längst vorbei, er zog sich von Jungdeutschland zurück.
In seinem Roman "Das junge Europa" zeigt sich in
den späteren Teilen seine allmähliche innere Entwick-
lung. Vom feurigsten Umsturz kam er schließlich zur
kühlsten Auffassung der bestehenden Verhältnisse.
Wie die Stürmer und Dränger, wie die Romantiker,
so kehrte eben auch Laube im reiferen Alter zu
gemäßigterer Lebensanschauung zurück. Das ist ja
eine psychologische Metamorphose, die man bei vielen
Männern beobachten kann; als Feuerköpfe stürmen
sie hinaus in das Leben und gelangen dann
erst langsam zur Besonnenheit. Dem großen Görres,
dem Max Klinger und unseren Weimarer Klassikern
ist es genau so ergangen, Laube geriet bezüglich der
Kaiserfrage mit seinen Wählern in Widerspruch und
trat daher im März 1849 von seiner Wahlsendung
zurück. Sein Buch "Das erste deutsche Parlament"
(1849, 3 Bände) schildert die Ereignisse jener bewegten
Tage.

Noch im selben Jahre wurde Laube durch die
Vermittlung des österreichischen Reichsministers
v. Schmerling als Direktor des Hofburgtheaters nach
Wien berufen. Damit begann ein neuer Abschnitt in
seinem an Wechselfällen reichen Leben. In den
Jahren 1849 bis 1867 leitete Laube das Wiener Burg-
theater. Von 69 bis 70 war er in Leipzig Direktor
des dortigen Stadttheaters, dann kehrte er wieder
nach Wien zurück. Im Jahre 1872 veranlaßte er die
Gründung des Wiener Stadttheaters, das er von
72 bis 79 leitete. In Wien starb er auch am
1. August 1884.

Als Schriftsteller hat sich Laube auf verschiedenen
Gebieten der Literatur versucht. Der Roman und die
Novelle wie das Drama lockten ihn in gleicher Weise.
Er besaß große Anmut des Stils, geistige Gewandtheit
und lebendige Phantasie. Er war kein schöpferisches


[Abbildung] Die beutige Nummer ist 12 Seiten stark. [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Redaktion, Adminiſtration,
Expedition und Druckerei:

VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Brieſe werden nicht ange-
nommen; Manuſkripte werden nicht
zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla-
mationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe 41,
ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erſcheint täglich 6 Uhr na[ch]
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 ſt

Einzelne Nummern 8 h, per Poh
10 h.

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Öſterreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig ......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutſchland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Welipoſtvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark.




Telephon 18082.




XIII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 18. September 1906. Nr. 212.



[Spaltenumbruch]
Die Früchte der Koalitions-
herrſchaft.

(Von einem Mitarbeiter in Ober-Ungarn.)

Daß mit der Uebernahme der Regierung durch
die magyariſche Koalition für die Nationalitäten
Ungarns eine neue Periode noch größerer Leiden
beginne, daß wußte jeder vorurteilsloſe Beobachter
unſeres öffentlichen Lebens. Aber wenigſtens hoffte
man allgemein, daß mit der Vernichtung der durch
und durch korrupten liberalen Partei reinere Elemente
zur Geltung kommen und damit gegenüber dem
jüdiſch-freimaureriſchen Geiſte der liberalen Aera
leichter der chriſtliche Gedanke zum Durchbruche ge-
langen werde. Die Leitung der Wahlen in den
Nationalitätengebieten und alle bisherigen Taten der
jetzigen Machthaber bezeugen aber, daß alles verſinkt
in den Gelüten eines bis zur Glühhitze erhitzten
Chauvinismus.

Als wähend der letzten Reichstagswahlen ein
hervorragende Magyare hörte, welchen Vandalismus
ſich die Neutaer Behörden und Liberalen, die nun-
mehr Koſſuhiſten geworden ſind, den Slovaken
gegenüber [er]laubten, da meinte er mit gelaſſener
Offenheit: „Den Nationalitäten gegenüber halte ich
jedes Mitte für erlaubt und ich glaube, daß die
magyariſche Geſellſchaft mir darin Recht geben
wird.“ Die Ausrottung der Nichtmagyaren auf
allen Gebietet, das ſcheint jetzt in der Tat das zu-
nächſt angeſtrbte Ziel der magyariſchen Politik zu
ſein. Zur Illiſtrierung wollen wir einige Fälle aus
der jüngſten Vergangenheit anführen.

In dem nördlichſten, ärmſten, rein ſlovakiſch-
polniſchen Komitate Arva liegt das ſlovakiſche
Dörfchen Zubcec; es zählt rund 1000 Einwohner. Das-
[Spaltenumbruch] ſelbe erhielt einen Lehrer, der ein Kernmagyare von Ge-
burt, kein Wort Slovakiſch verſteht. Seine Lehrmethode
war nun in dem Konſumvereine der genannten Gemeinde
Gegenſtand einer Kritik und ein gewiſſer Julius
Banjari äußerte darin, einen ſolchen Lehrer, der ſich
mit den Schulkindern nicht verſtändigen könne und
dieſelben noch obendrein unbarmherzig prügle, ſollte
man aus der Schule jagen. Der Mann hatte im
Grunde recht, in Ungarn war es aber ſehr unbe-
dacht, ſolche Worte auszuſprechen. Seine Aeußerung
brachte Banjari vor das Roſenberger Gericht, wo ſie
ihm dieſer Tage wegen „Aufreizung“ drei Monate
Staatsgefängnis, eine Geldſtrafe und Deckung der
Gerichtskoſten eintrug.

Wozu ſich in dem magyariſchen Freiheitslande
ſelbſt die kleinſten Beamten verſteigen, das zeigt ein
Fall, der ſich am 8. September in der Gemeinde
Novotj zugetragen hat. Der Reichstags-Abgeordnete
Szycak berief in das Haus, beziehungsweiſe den Hof
eines Parteigängers ſeine Wähler ein, um. ihnen
einen Rechenſchaftsbericht zu erſtatten. Einige Schritte
vor ihm ſtellten ſich zu Beginn der Verſammlung
Gendarmen auf, ſeitwärts aber ein Notär, mit
einem Stock bewaffnet. Der Abgeordnete hatte kaum
ſeine Rede angefangen und einige harmloſe Redens-
arten vorgebracht, als [er v]om Notär mit der Be-
merkung unterbrochen wurde, daß er dem Abgeordneten
das Wort entziehe und die Verſammlung ſchließe,
weil der Abgeordnete gegen die Behörden aufreize.
Jeder Einwand, daß nicht das leiſeſte darauf hin-
deutende Wort gefallen ſei, war vergebens. Mit der
Berichterſtattung des ſlovakiſchen Abgeordneten war
es zu Ende ... Dazu kommen noch die immer-
währenden Einſchüchterungen des Volkes durch
Tendenzprozeſſe und ſtrenge Verhöre. Oft ſtehen in
Roſenberg ganze Scharen „Angeklagter“ vor dem
[Spaltenumbruch] Hauſe des Bezirkshauptmannes. So ſetzt man die
Dörfer harmloſer Menſchen in Furcht und Schrecken
vor der Allgewalt des neuen Regimes.

Auf einer größeren oberungariſchen Bahnſtation
ſprach kürzlich ein Slovak einen Beamten der Eiſen-
bahn in ſlovakiſcher Sprache an Dieſer wurde ganz
verlegen, führte den Bekannten auf die Seite und
ſprach: „Ich bitte Sie, mich nicht ſlovakiſch anzu-
ſprechen. Wenn dies mein Vorgeſetzter hört, ſo werde
ich mit 4 Kronen geſtraft.“ So etwas geſchieht auf
einem Territorium, auf dem zwei Millionen Slovaken
in dichten Maſſen beiſammen wohnen.

Die ſchlimmſte von allen Heimſuchungen iſt
aber die Verwirrung, welche die unteren Schichten
des Volkes dadurch ergriffen hat, daß ſie die an
ihrer Seite ſtehenden Seelſorger verfolgt,
diszipliniert, zum Schweigen verurteilt ſieht. Das
Volk wird vielfach irre an der Unabhängigkeit der
kirchlichen Adminiſtration und gerät dadurch unter
verhängnisvolle Einflüſſe. Was ſich jetzt in Nord-
ungarn vorbereitet, die Verführung dieſes ſchlichten,
argloſen Volkes zur Sozialdemokratie, iſt eine Er-
ſcheinung, die leider nicht erklärt werden kann ohne
das viele Unrecht, das hier aufgehäuft worden iſt.
Es ſei hier nur ein kennzeichnender Fall angeführt:
Unter der Leitung des früheren Preßburger Kaplans,
des jetzigen Reichstagsabgeordneten Dr. Jehlicka,
erſtarkte die chriſtliche Arbeiterbewegung in Preß-
burg derart, daß die von dem katho-
liſchen Arbeiterverein gemieteten Lokalitäten
zu klein wurden. Es wurde ſogar in der Vorſtadt
Blumental eine Filiale für die ſlovakiſchen Arbeiter
eröffnet. Dr. Jehlička wurde nun in eine rein ma-
gyariſche Gemeinde verſetzt, da man ihn politiſch
lahmlegen wollte. Nun verfiel die chriſtliche Arbeiter-
bewegung in Preßburg. Es fand ſich keine geeignete




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Nachdruck verboten.

Heinrich Laube — zu ſeinem hundertſten
Geburtstag.

Laubes Lbensgeſchichte iſt ein Spiegel ſeiner Zeit.
Er wurde geboren, als die deutſche Romantik noch in
voller Blüte ſtand; ſeine Knabenzeit fiel in die
ſtürmiſchen Tage der Befreiungskriege; als Jüngling
ſah er die Re[a]ktion und die Brutalitäten der Dema-
gogenhetze: [d]er junge Mann warf ſich daher den
kecken Phanta[ſi]en der jungdeutſchen Bewegung mit
Begeiſterung in die Arme, um ſich freilich dieſem zügel-
loſen Ueberſch[w]ung allmählich zu entfremden, bis er
endlich nach niederholter politiſcher Kerkerhaft in den
ruhigen Hafen konſervativer Lebenskunſt einlief.

Heinrich Laube war am 18. September 1806 in
Schleſien zu [S]prottau geboren. Seine Schulbildung
genoß er auf den Gymnaſien in Glogau und
Schweidnitz. In Halle und Breslau ſtudierte er
Theologie. Seit 1832 lebte er in Leipzig als unab-
hängiger Schriftſteller. Seine Sympathie für die Rück-
wirkung der Julirevolution auf Deutſchland zog ihm
eine Unterſuchung zu, auch wurde er in die Demagogen-
affaire verwidelt und ſo wurde er 1834 in Leipzig ver-
haftet — er [w]ar eben mit Gutzkow von einer Reiſe aus
Italien zurüchekehrt, aus Sachſen ausgewieſen und in
Berlin in der Hausvogtei neun Monate gefangen ge-
halten. Seine politiſchen Anſichten aus dieſer Zeit
enthält der ſtürmiſche Roman „Das junge Europa“,
der von 1833 bis 1837 in fünf Bänden erſchien. Der
Roman gliedert ſich in drei Teile: Die Poeten, die
Krieger und die Bürger. Im erſten Teile legt er ſeine
[Spaltenumbruch] revolutionären Lebensanſichten dar. Er hält die
Inſtitutionen der Kirche und des Staates für
völlig veraltet und verderbt. Sie müſſen umgeſtaltet
oder ausgerottet werden. Ueber die Mittel und Wege
dieſer Welterneuerung war Laube ſich ebenſowenig im
klaren wie die zahlloſen Unzufriedenen unter ſeinen
Zeitgenoſſen. Zu einem zuſammenhängenden Syſtem
hat er es nie gebracht. Nach ſeiner Freilaſſung lebte
Laube mehrfach auf Reiſen. Im Jahre 1836 vermählte
er ſich mit der Witwe des Profeſſors Hänel in
Leipzig. Seine Frau folgte ihm, eine rechte
Lebensgenoſſin, nach Muskau in die Kerkerhaft, als
er nach kurzer Zeit von den preußiſchen Gerichten zu
einjähriger Haft verurteilt wurde; weil er in einer
Geſchichte Polens gegen den ruſſiſchen Kaiſer heftige
Anklagen erhoben hatte. Einige Jahre vorher hatte
er in Heidelberg auf Grund eben dieſer Schrift den
philoſophichen Doktorgrad erworben. Eine Frucht ſeines
Aufenthaltes in Muskau war ſeine Geſchichte
der deutſchen Literatur, die 1840 in vier Bänden
erſchien. Im Jahre 1838 griff er mit einer anonymen
Broſchüre „Görres und Athanaſius“ in die großen
kirchenpolitiſchen Wirren ein, die 1837 durch die empör-
enden Gewaltmaßregeln der preußiſchen Regierung gegen
den edlen Kölner Erbiſchof Droſte-Viſchering verurſacht
worden waren. Joſef v. Görres, der alte Vorkämpfer
für Freiheit und Recht, hatte darauf mit ſeinem Atha-
naſius ganz Deutſchland für die katholiſche Sache ent-
flammt.

Im Jahre 1839 bereiſte Laube Frankreich und
Algier und ließ ſich dann in Leipzig nieder. Als er
neun Jahre ſpäter vom böhmiſchen Wahlkreiſe Elbogen
in die deutſche Nationalverſammlung entſandt wurde,
hielt er zur erbkaiſerlichen Partei. Sein politiſches
Programm war im Laufe der Jahre ein ganz anderes
geworden. Seine Parteigängerſchaft für Heine war
[Spaltenumbruch] längſt vorbei, er zog ſich von Jungdeutſchland zurück.
In ſeinem Roman „Das junge Europa“ zeigt ſich in
den ſpäteren Teilen ſeine allmähliche innere Entwick-
lung. Vom feurigſten Umſturz kam er ſchließlich zur
kühlſten Auffaſſung der beſtehenden Verhältniſſe.
Wie die Stürmer und Dränger, wie die Romantiker,
ſo kehrte eben auch Laube im reiferen Alter zu
gemäßigterer Lebensanſchauung zurück. Das iſt ja
eine pſychologiſche Metamorphoſe, die man bei vielen
Männern beobachten kann; als Feuerköpfe ſtürmen
ſie hinaus in das Leben und gelangen dann
erſt langſam zur Beſonnenheit. Dem großen Görres,
dem Max Klinger und unſeren Weimarer Klaſſikern
iſt es genau ſo ergangen, Laube geriet bezüglich der
Kaiſerfrage mit ſeinen Wählern in Widerſpruch und
trat daher im März 1849 von ſeiner Wahlſendung
zurück. Sein Buch „Das erſte deutſche Parlament“
(1849, 3 Bände) ſchildert die Ereigniſſe jener bewegten
Tage.

Noch im ſelben Jahre wurde Laube durch die
Vermittlung des öſterreichiſchen Reichsminiſters
v. Schmerling als Direktor des Hofburgtheaters nach
Wien berufen. Damit begann ein neuer Abſchnitt in
ſeinem an Wechſelfällen reichen Leben. In den
Jahren 1849 bis 1867 leitete Laube das Wiener Burg-
theater. Von 69 bis 70 war er in Leipzig Direktor
des dortigen Stadttheaters, dann kehrte er wieder
nach Wien zurück. Im Jahre 1872 veranlaßte er die
Gründung des Wiener Stadttheaters, das er von
72 bis 79 leitete. In Wien ſtarb er auch am
1. Auguſt 1884.

Als Schriftſteller hat ſich Laube auf verſchiedenen
Gebieten der Literatur verſucht. Der Roman und die
Novelle wie das Drama lockten ihn in gleicher Weiſe.
Er beſaß große Anmut des Stils, geiſtige Gewandtheit
und lebendige Phantaſie. Er war kein ſchöpferiſches


[Abbildung] Die beutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 8 h Redaktion, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadtexpedition I., Wollzeile 11 Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt. Unfrankierte und nicht genügend frankierte Brieſe werden nicht ange- nommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla- mationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich 6 Uhr nach mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ......... 28 K halbjährig ......... 14 K vierteljährig ........ 7 K monatlich ....... 2 K 35 ſt Einzelne Nummern 8 h, per Poh 10 h. 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Die Leitung der Wahlen in den Nationalitätengebieten und alle bisherigen Taten der jetzigen Machthaber bezeugen aber, daß alles verſinkt in den Gelüten eines bis zur Glühhitze erhitzten Chauvinismus. Als wähend der letzten Reichstagswahlen ein hervorragende Magyare hörte, welchen Vandalismus ſich die Neutaer Behörden und Liberalen, die nun- mehr Koſſuhiſten geworden ſind, den Slovaken gegenüber erlaubten, da meinte er mit gelaſſener Offenheit: „Den Nationalitäten gegenüber halte ich jedes Mitte für erlaubt und ich glaube, daß die magyariſche Geſellſchaft mir darin Recht geben wird.“ Die Ausrottung der Nichtmagyaren auf allen Gebietet, das ſcheint jetzt in der Tat das zu- nächſt angeſtrbte Ziel der magyariſchen Politik zu ſein. Zur Illiſtrierung wollen wir einige Fälle aus der jüngſten Vergangenheit anführen. In dem nördlichſten, ärmſten, rein ſlovakiſch- polniſchen Komitate Arva liegt das ſlovakiſche Dörfchen Zubcec; es zählt rund 1000 Einwohner. Das- ſelbe erhielt einen Lehrer, der ein Kernmagyare von Ge- burt, kein Wort Slovakiſch verſteht. Seine Lehrmethode war nun in dem Konſumvereine der genannten Gemeinde Gegenſtand einer Kritik und ein gewiſſer Julius Banjari äußerte darin, einen ſolchen Lehrer, der ſich mit den Schulkindern nicht verſtändigen könne und dieſelben noch obendrein unbarmherzig prügle, ſollte man aus der Schule jagen. Der Mann hatte im Grunde recht, in Ungarn war es aber ſehr unbe- dacht, ſolche Worte auszuſprechen. Seine Aeußerung brachte Banjari vor das Roſenberger Gericht, wo ſie ihm dieſer Tage wegen „Aufreizung“ drei Monate Staatsgefängnis, eine Geldſtrafe und Deckung der Gerichtskoſten eintrug. Wozu ſich in dem magyariſchen Freiheitslande ſelbſt die kleinſten Beamten verſteigen, das zeigt ein Fall, der ſich am 8. September in der Gemeinde Novotj zugetragen hat. Der Reichstags-Abgeordnete Szycak berief in das Haus, beziehungsweiſe den Hof eines Parteigängers ſeine Wähler ein, um. ihnen einen Rechenſchaftsbericht zu erſtatten. Einige Schritte vor ihm ſtellten ſich zu Beginn der Verſammlung Gendarmen auf, ſeitwärts aber ein Notär, mit einem Stock bewaffnet. Der Abgeordnete hatte kaum ſeine Rede angefangen und einige harmloſe Redens- arten vorgebracht, als er vom Notär mit der Be- merkung unterbrochen wurde, daß er dem Abgeordneten das Wort entziehe und die Verſammlung ſchließe, weil der Abgeordnete gegen die Behörden aufreize. Jeder Einwand, daß nicht das leiſeſte darauf hin- deutende Wort gefallen ſei, war vergebens. Mit der Berichterſtattung des ſlovakiſchen Abgeordneten war es zu Ende ... Dazu kommen noch die immer- währenden Einſchüchterungen des Volkes durch Tendenzprozeſſe und ſtrenge Verhöre. Oft ſtehen in Roſenberg ganze Scharen „Angeklagter“ vor dem Hauſe des Bezirkshauptmannes. So ſetzt man die Dörfer harmloſer Menſchen in Furcht und Schrecken vor der Allgewalt des neuen Regimes. Auf einer größeren oberungariſchen Bahnſtation ſprach kürzlich ein Slovak einen Beamten der Eiſen- bahn in ſlovakiſcher Sprache an Dieſer wurde ganz verlegen, führte den Bekannten auf die Seite und ſprach: „Ich bitte Sie, mich nicht ſlovakiſch anzu- ſprechen. Wenn dies mein Vorgeſetzter hört, ſo werde ich mit 4 Kronen geſtraft.“ So etwas geſchieht auf einem Territorium, auf dem zwei Millionen Slovaken in dichten Maſſen beiſammen wohnen. Die ſchlimmſte von allen Heimſuchungen iſt aber die Verwirrung, welche die unteren Schichten des Volkes dadurch ergriffen hat, daß ſie die an ihrer Seite ſtehenden Seelſorger verfolgt, diszipliniert, zum Schweigen verurteilt ſieht. Das Volk wird vielfach irre an der Unabhängigkeit der kirchlichen Adminiſtration und gerät dadurch unter verhängnisvolle Einflüſſe. Was ſich jetzt in Nord- ungarn vorbereitet, die Verführung dieſes ſchlichten, argloſen Volkes zur Sozialdemokratie, iſt eine Er- ſcheinung, die leider nicht erklärt werden kann ohne das viele Unrecht, das hier aufgehäuft worden iſt. Es ſei hier nur ein kennzeichnender Fall angeführt: Unter der Leitung des früheren Preßburger Kaplans, des jetzigen Reichstagsabgeordneten Dr. Jehlicka, erſtarkte die chriſtliche Arbeiterbewegung in Preß- burg derart, daß die von dem katho- liſchen Arbeiterverein gemieteten Lokalitäten zu klein wurden. Es wurde ſogar in der Vorſtadt Blumental eine Filiale für die ſlovakiſchen Arbeiter eröffnet. Dr. Jehlička wurde nun in eine rein ma- gyariſche Gemeinde verſetzt, da man ihn politiſch lahmlegen wollte. Nun verfiel die chriſtliche Arbeiter- bewegung in Preßburg. Es fand ſich keine geeignete Feuilleton. Nachdruck verboten. Heinrich Laube — zu ſeinem hundertſten Geburtstag. Von Dr. W. Oehl. Laubes Lbensgeſchichte iſt ein Spiegel ſeiner Zeit. Er wurde geboren, als die deutſche Romantik noch in voller Blüte ſtand; ſeine Knabenzeit fiel in die ſtürmiſchen Tage der Befreiungskriege; als Jüngling ſah er die Reaktion und die Brutalitäten der Dema- gogenhetze: der junge Mann warf ſich daher den kecken Phantaſien der jungdeutſchen Bewegung mit Begeiſterung in die Arme, um ſich freilich dieſem zügel- loſen Ueberſchwung allmählich zu entfremden, bis er endlich nach niederholter politiſcher Kerkerhaft in den ruhigen Hafen konſervativer Lebenskunſt einlief. Heinrich Laube war am 18. September 1806 in Schleſien zu Sprottau geboren. Seine Schulbildung genoß er auf den Gymnaſien in Glogau und Schweidnitz. In Halle und Breslau ſtudierte er Theologie. Seit 1832 lebte er in Leipzig als unab- hängiger Schriftſteller. Seine Sympathie für die Rück- wirkung der Julirevolution auf Deutſchland zog ihm eine Unterſuchung zu, auch wurde er in die Demagogen- affaire verwidelt und ſo wurde er 1834 in Leipzig ver- haftet — er war eben mit Gutzkow von einer Reiſe aus Italien zurüchekehrt, aus Sachſen ausgewieſen und in Berlin in der Hausvogtei neun Monate gefangen ge- halten. Seine politiſchen Anſichten aus dieſer Zeit enthält der ſtürmiſche Roman „Das junge Europa“, der von 1833 bis 1837 in fünf Bänden erſchien. Der Roman gliedert ſich in drei Teile: Die Poeten, die Krieger und die Bürger. Im erſten Teile legt er ſeine revolutionären Lebensanſichten dar. Er hält die Inſtitutionen der Kirche und des Staates für völlig veraltet und verderbt. Sie müſſen umgeſtaltet oder ausgerottet werden. Ueber die Mittel und Wege dieſer Welterneuerung war Laube ſich ebenſowenig im klaren wie die zahlloſen Unzufriedenen unter ſeinen Zeitgenoſſen. Zu einem zuſammenhängenden Syſtem hat er es nie gebracht. Nach ſeiner Freilaſſung lebte Laube mehrfach auf Reiſen. Im Jahre 1836 vermählte er ſich mit der Witwe des Profeſſors Hänel in Leipzig. Seine Frau folgte ihm, eine rechte Lebensgenoſſin, nach Muskau in die Kerkerhaft, als er nach kurzer Zeit von den preußiſchen Gerichten zu einjähriger Haft verurteilt wurde; weil er in einer Geſchichte Polens gegen den ruſſiſchen Kaiſer heftige Anklagen erhoben hatte. Einige Jahre vorher hatte er in Heidelberg auf Grund eben dieſer Schrift den philoſophichen Doktorgrad erworben. Eine Frucht ſeines Aufenthaltes in Muskau war ſeine Geſchichte der deutſchen Literatur, die 1840 in vier Bänden erſchien. Im Jahre 1838 griff er mit einer anonymen Broſchüre „Görres und Athanaſius“ in die großen kirchenpolitiſchen Wirren ein, die 1837 durch die empör- enden Gewaltmaßregeln der preußiſchen Regierung gegen den edlen Kölner Erbiſchof Droſte-Viſchering verurſacht worden waren. Joſef v. Görres, der alte Vorkämpfer für Freiheit und Recht, hatte darauf mit ſeinem Atha- naſius ganz Deutſchland für die katholiſche Sache ent- flammt. Im Jahre 1839 bereiſte Laube Frankreich und Algier und ließ ſich dann in Leipzig nieder. Als er neun Jahre ſpäter vom böhmiſchen Wahlkreiſe Elbogen in die deutſche Nationalverſammlung entſandt wurde, hielt er zur erbkaiſerlichen Partei. Sein politiſches Programm war im Laufe der Jahre ein ganz anderes geworden. Seine Parteigängerſchaft für Heine war längſt vorbei, er zog ſich von Jungdeutſchland zurück. In ſeinem Roman „Das junge Europa“ zeigt ſich in den ſpäteren Teilen ſeine allmähliche innere Entwick- lung. Vom feurigſten Umſturz kam er ſchließlich zur kühlſten Auffaſſung der beſtehenden Verhältniſſe. Wie die Stürmer und Dränger, wie die Romantiker, ſo kehrte eben auch Laube im reiferen Alter zu gemäßigterer Lebensanſchauung zurück. Das iſt ja eine pſychologiſche Metamorphoſe, die man bei vielen Männern beobachten kann; als Feuerköpfe ſtürmen ſie hinaus in das Leben und gelangen dann erſt langſam zur Beſonnenheit. Dem großen Görres, dem Max Klinger und unſeren Weimarer Klaſſikern iſt es genau ſo ergangen, Laube geriet bezüglich der Kaiſerfrage mit ſeinen Wählern in Widerſpruch und trat daher im März 1849 von ſeiner Wahlſendung zurück. Sein Buch „Das erſte deutſche Parlament“ (1849, 3 Bände) ſchildert die Ereigniſſe jener bewegten Tage. Noch im ſelben Jahre wurde Laube durch die Vermittlung des öſterreichiſchen Reichsminiſters v. Schmerling als Direktor des Hofburgtheaters nach Wien berufen. Damit begann ein neuer Abſchnitt in ſeinem an Wechſelfällen reichen Leben. In den Jahren 1849 bis 1867 leitete Laube das Wiener Burg- theater. Von 69 bis 70 war er in Leipzig Direktor des dortigen Stadttheaters, dann kehrte er wieder nach Wien zurück. Im Jahre 1872 veranlaßte er die Gründung des Wiener Stadttheaters, das er von 72 bis 79 leitete. In Wien ſtarb er auch am 1. Auguſt 1884. Als Schriftſteller hat ſich Laube auf verſchiedenen Gebieten der Literatur verſucht. Der Roman und die Novelle wie das Drama lockten ihn in gleicher Weiſe. Er beſaß große Anmut des Stils, geiſtige Gewandtheit und lebendige Phantaſie. Er war kein ſchöpferiſches [Abbildung] Die beutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 212, Wien, 18.09.1906, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost212_1906/1>, abgerufen am 23.11.2024.