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Reichspost. Nr. 179, Wien, 08.08.1905.

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Preis 8 h



Redaction, Administration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigasse 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldschmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briefe werden nicht ange-
nommen; Manuskripte werden nicht
zurückgestellt. Unverschlossene Rekla-
mationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse 41,
sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7




Erscheint täglich 6 Uhr nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Österreich-Ungarns.

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Preis 8 h



Bezugspreise:
Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Post
10 h.

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Österreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig ......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutschland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpostvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark




Telephon 18082.




XII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 8. August 1905, Nr. 179.



[Spaltenumbruch]
Im Zeichen des Herrn Rouvier.
(Von unserem Pariser Korrespondenten.)

[Es wird fortgespitzelt. -- Kulturkämpfer im Richter-
amte. -- Die Großen und die Kleinen. -- Die Denkmal-
wut. -- Vergünstigungen des Judentums. -- Unan-
gebrachter Kleinmut. -- Der König von Spanien in
Verdacht.]



Man fragt sich heute, warum Combes und
Kriegsminister Andre eigentlich gegangen sind. Es
ist ja doch alles beim alten geblieben. Als die
schmählichen Denunziationsgeschichten ans Licht
kamen, da herrschte große Entrüstung in ganz
Frankreich. Der "Freundschaftsbund alter Offiziere
von Cote d'Or" stieß den Kriegsminister sofort aus
seiner Mitte und wurde deshalb aufgelöst, doch immer
höher und höher schwoll die Entrüstung; bis sie
Combes und Andre hinweggeschwemmt hatte. Der
Nachfolger Rouvier protestierte mit großem Wort-
schwall gegen das Spitzeltum, welches Monsieur
Combes installiert hatte, aber insgeheim hegt und
pflegt er doch dasselbe System. So wurde in Le Randon
ein Diener, der um Verlegung seiner Waffenübung
eingereicht hatte, von einem Abgesandten des Prä-
fekten über seine politischen und religiösen Ansichten
befragt und ihm ganz offen erklärt, daß er nicht auf
eine günstige Erledigung seines Gesuches rechnen
dürfe, wenn seine Antworten nicht befriedigen.
Aehnliche Fälle werden trotz der feierlichen Er-
klärung Rouviers und Etiennes aus Olivet und
Ham berichtet. Ein weiteres Opfer des Entrüstungs-
sturmes war Professor Crescent in Lyon. Dieser
gelehrte Herr hat es ganz gut mit seiner Standes-
ehre vereinbar gefunden, seine besten Bekannten dem
Groß-Orient zu denunzieren. Um einer schmählichen
[Spaltenumbruch] Enthebung auszuweichen, reichte er damals sein
Urlaubsgesuch ein. Und jetzt -- da die
Wogen sich etwas geglättet haben -- wagt
es dasselbe Ministerium, das sich noch
vor kurzem so schön moralisch entrüsten konnte,
diesen edlen Herrn an die Schule Colbert nach
Paris zu berufen, eine Versetzung, die einem
Avancement gleichkommt.

Das Ministerium geht noch weiter. Es hat
nun auch den Leiter der ganzen Denunzianten-
Organisation, den General Peigne, der nach Auf-
deckung der Skandale sofort aus der Armee ausscheiden
mußte und den man nach seinen Schandtaten für
endgiltig abgetan hielt, zum Mitglied des technischen
Artillerie-Komitees befördert, mit der Aussicht, in
einigen Monaten Präsident dieses Komitees zu
werden. Die Freimaurerei hatte befohlen, ihre
getreuen Diener wieder in Amt und Würde einzu-
setzen und das Ministerium hat gehorcht.

Welchen Erfolg hat man also mit diesem Mi-
nisterwechsel erzielt? In der Frage der Trennung
der Kirche vom Staate haben die neuen Männer
denselben gehässigen Eifer bewiesen, wie ihre Vor-
gänger, das Denunziationssystem wird insgeheim
lustig weitergeführt, man belohut die Denunzianten,
und jene ehrenhaften Offiziere, welche damals laut
ihre Entrüstung kundgaben und dafür kassiert wurden,
bleiben kassiert. Kann sich Monsteur Combes
wünschen, daß sein Vermächtnis treuer behütet
wird?

Selbst die Gerichtshöfe sind schon von dem
Geiste unduldsamer Verfolgung erfüllt. Den Lesern
der "Reichspost" dürfte noch der interessante Fall
erinnerlich sein, der noch immer den Lyoner Gerichts-
hof beschäftigt. Am 8. Dezember 1904 feierten die
[Spaltenumbruch] Katholiken Lyons diesen Tag durch festliche Be-
leuchtung und eine großartige Prozession. Dies
brachte die "Freidenker" und ihr Organ
"Fortschritt" in Raserei. Infolgedessen beriefen sie
sämtliche Apachen Lyons zu einer Gegendemonstration.
Es kam zu einem Zusammenstoße, bei welchem ein
Kaufmann, Vater von fünf Kindern, getötet wurde.
Trotz der eifrigen Bemühungen der Polizei, den
Mörder nicht zu entdecken, wurde er zwei Monate
später verhaftet und gestand seine Tat. Obwohl
auch eine überaus belastende Aussage eines jungen
Mannes, namens Franchet, vorlag, bemühten sich
Präsident und Staatsanwalt, den Angeklagten frei-
zusprechen.
Da der Zeuge Franchet sich nicht ein-
schüchtern ließ, rief ihm der Präsident schließlich
erbittert zu: Vous etes un miserable! "Sie sind
ein elender Kerl!" Der beleidigte Zeuge verlangte,
daß diese Worte zu Protokoll genommen werden,
was auch geschah. Trotz allem wurde der angeklagte
Mörder freigesprochen. Franchet aber erhob, gestützt
auf das Protokoll, beim Lyoner Gerichtshof die
Ehrenbeleidigungsklage, verlangte einen Franken
Schadenersatz und Veröffentlichung des Urteils in
hundert Zeitungen. Bei der Verhandlung lehnte der
Angeklagte die Kompetenz des Gerichtshofes ab,
fand jedoch bei seinen Kollegen keine Zustimmung.
Das Urteil wird erst in einigen Tagen publiziert
werden.

Wenn die Großen bei Tag in Kirchen und
Klöster einbrechen und gleich ganze Häuser in Be-
schlag nehmen, so holen sich die Kleinen den Profit
bei Nacht, wie es im Verlaufe eines Monats drei-
mal in den Kirchen von Bordeaux geschah. Oder sie
gönnen sich wenigstens die Unterhaltung in Ville-
franche-Saint-Phal
ein kunstvolles Kreuz bei Nacht




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Kritizismus und Weltgeschichte.

Es geschieht uns Oesterreichern eigentlich
recht mit dem, was uns täglich geschieht: Wir
selber machen aus uns nichts, wir blicken zu gerne
erschauernd auf die fremde Größe und übersehen
zu leichtfertig das eigene Gute und die andern
fühlen sich nicht verpflichtet, uns eine Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen, die wir in der Regel selbst
nicht zu beanspruchen pflegen. Nur so konnte es
geschehen, daß im Deutschen Reiche und namentlich
in Preußen leider nur zu oft schon auch ernste
Autoren sich eine einseitige Darstellung historischer
Ereignisse zurechtlegen und wir Oesterreicher zu-
sehen müssen, wie man uns nachgerade systematisch
aus geschichtlichen Ehrenplätzen expropriiert. Wenn
auch nicht alle soweit gehen, wie jenes deutsche
Flottenbuch, das die Ruhmestaten eines Tegetthoff
in eine nur die Flotte des Deutschen Reiches
umfassende Darstellung einreiht, so hat
sich doch schon in gewissen Partien der Geschichts-
forschung eine Schulmeinung eingebürgert, die
nichts ist als ein preußisches Landesprodukt und
als schlimmes Vorurteil dann allgemein in den
Gemeinbesitz übergeht.

Die verdienstvolle Allgemeine Verlagsgesell-
schaft in München hat kürzlich mit der Herausgabe
einer illustrierten Weltgeschichte *) begonnen; das
Werk ist inhaltlich wie in der Ausstattung als
ein erstklassiges Werk gedacht und mit prächtigen
[Spaltenumbruch] Porträts, Faksimilien und einem durchwegs wert-
vollen Buchschmuck ausgestattet. Das in vier
Bänden erscheinende Werk wurde mit der Geschichte
des neunzehnten Jahrhunderts begonnen, dessen
Bearbeitung der königliche Gymnasialdirektor
S. Widmann, ein Autor von gutem Ruf, über-
nommen hat. Die Darstellung ist eine glänzende;
von dem düsteren Hintergrunde der napoleonischen
Epoche hebt sich eine frische, farbenkräftige Einzel-
malerei ab, die geschickt den Gang der großen
Ereignisse belebt.

Da ist die Zusammenkunft in Erfurt vom
Jahre 1808. Napoleon sieht schon auf der Höhe seiner
Macht, Deutschland ist tief erniedrigt; schon ein
Jahr ist es her, daß die Dresdener, demütig die
Köpfe in den Staub gedrückt, den Eroberer mit
der schmählichen Lobinschrift empfingen: Nationis
Alemannicae Protector, Orbis Legislator,
Europae Ordinator Napoleon.
Selbst der Zar
huldigt geblendet. Abends spielt zu Erfurt der
berühmte Talma "vor einem Parterre von
Königen" und als er im "Oedipe" zu der Stelle
kommt: "L'amitie d'un grand homme est un
bienfait de dieu"
"die Freundschaft eines großen
Mannes ist eine Gnade Gottes", da erhebt sich
der Zar Alexander und reicht Napoleon unter
dem donnernden Beifall der Höflinge und Fürsten
die Hand. -- Und Napoleon behandelt sie alle,
die 34 Könige und Regenten, um sich herum, mit der
herablassenden Kälte des rücksichtslosen Tyrannen
und hinab bis zum letzten Soldaten zeigt jeder, daß
alles, was hier versammelt ist, nur das gedemütigte,
entmannte Europa darstellt.

Zufällig hält einmal die Wache den Wagen
des Königs von Württemberg für einen kaiser-
lichen und läßt dreimal die Trommel zur Ehren-
bezeugung rühren, da donnert der diensthabende
[Spaltenumbruch] Offizier, den Irrtum des Postens erkennend, den
Trommler an: Taisez-vous, ce n'est qu'un roi!
"Still damit, es ist bloß ein König!"

Und damals in dieser Zeit der allgemeinen
Erniedrigung ruhten die Hoffnungen des deutschen
Volkes auf Oesterreich, das noch einmal zum
Kriege gegen den Tyrannen Europas rüstete.
Widmann gibt dem Engländer Seeley recht, wenn
dieser mit Bitterkeit sagt, "der fernere Verlauf der
deutschen Geschichte würde ein anderer gewesen
sein, wenn Preußen und Oesterreich im Jahre 1809
ihre Eifersucht in einem ruhmreichen Widerstand
gegen Napoleon begraben hätten". Der preußische
König reichte aber nicht die Hand zum Bunde
und Widmann sagt vorwurfsvoll: Sonderpolitik
hatte Preußen ins Verderben gestürzt, seine
Sonderpolitik trug auch Mitschuld an dem Miß-
lingen der österreichischen Erhebung im Jahre 1809.
Daran schließt Widmann aber das Urteil, der
Krieg hätte auch ohne Preußen einen anderen
Ausgang haben können, "wäre nicht der tapfere,
aber zu vorsichtige, in veralteter Feldherrnkunst
verharrende und zu rasch verzagte Erzherzog Karl
der Führer gewesen."

Verblüfft steht man vor diesem Urteil, sich
fragend, wie denn ein Mann, dessen wohlwollendes
und nach einer gerechten Erfassung jeden Ver-
dienstes strebendes Urteil sonst überall ersichtlich
wird, gegenüber einem der edelsten Helden unserer
vaterländischen Geschichte zu einem derart herben
Schlusse kommt. Seine Darstellung der Schlacht
bei Aspern erklärt alles. Diese glänzende Waffen-
tat, die den Ruhm der Unbesieglichkeit Napoleons
brach und geradezu die Erhebung des tiefgebeugten
Deutschland vorbereitete, stellt Widmann mit
folgenden Sätzen dar: "Völlig entmutigt verharrte
Erzherzog Karl in unbegreiflicher Untätigkeit, als


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 12 Seiten stark. [Abbildung]
*) "Illustrierte Weltgeschichte." Allgemeine Verlags-
gesellschaft, München. 40 Hefte a 1 Mark. Heraus-
gegeben von Dr. S. Widmann, D. P. Fischer und
Dr. W. Felten.
[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Redaction, Adminiſtration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briefe werden nicht ange-
nommen; Manuſkripte werden nicht
zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla-
mationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe 41,
ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7




Erſcheint täglich 6 Uhr nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


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Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Poſt
10 h.

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Öſterreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig ......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutſchland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark




Telephon 18082.




XII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 8. Auguſt 1905, Nr. 179.



[Spaltenumbruch]
Im Zeichen des Herrn Rouvier.
(Von unſerem Pariſer Korreſpondenten.)

[Es wird fortgeſpitzelt. — Kulturkämpfer im Richter-
amte. — Die Großen und die Kleinen. — Die Denkmal-
wut. — Vergünſtigungen des Judentums. — Unan-
gebrachter Kleinmut. — Der König von Spanien in
Verdacht.]



Man fragt ſich heute, warum Combes und
Kriegsminiſter André eigentlich gegangen ſind. Es
iſt ja doch alles beim alten geblieben. Als die
ſchmählichen Denunziationsgeſchichten ans Licht
kamen, da herrſchte große Entrüſtung in ganz
Frankreich. Der „Freundſchaftsbund alter Offiziere
von Côte d’Or“ ſtieß den Kriegsminiſter ſofort aus
ſeiner Mitte und wurde deshalb aufgelöſt, doch immer
höher und höher ſchwoll die Entrüſtung; bis ſie
Combes und André hinweggeſchwemmt hatte. Der
Nachfolger Rouvier proteſtierte mit großem Wort-
ſchwall gegen das Spitzeltum, welches Monſieur
Combes inſtalliert hatte, aber insgeheim hegt und
pflegt er doch dasſelbe Syſtem. So wurde in Le Randon
ein Diener, der um Verlegung ſeiner Waffenübung
eingereicht hatte, von einem Abgeſandten des Prä-
fekten über ſeine politiſchen und religiöſen Anſichten
befragt und ihm ganz offen erklärt, daß er nicht auf
eine günſtige Erledigung ſeines Geſuches rechnen
dürfe, wenn ſeine Antworten nicht befriedigen.
Aehnliche Fälle werden trotz der feierlichen Er-
klärung Rouviers und Etiennes aus Olivet und
Ham berichtet. Ein weiteres Opfer des Entrüſtungs-
ſturmes war Profeſſor Crescent in Lyon. Dieſer
gelehrte Herr hat es ganz gut mit ſeiner Standes-
ehre vereinbar gefunden, ſeine beſten Bekannten dem
Groß-Orient zu denunzieren. Um einer ſchmählichen
[Spaltenumbruch] Enthebung auszuweichen, reichte er damals ſein
Urlaubsgeſuch ein. Und jetzt — da die
Wogen ſich etwas geglättet haben — wagt
es dasſelbe Miniſterium, das ſich noch
vor kurzem ſo ſchön moraliſch entrüſten konnte,
dieſen edlen Herrn an die Schule Colbert nach
Paris zu berufen, eine Verſetzung, die einem
Avancement gleichkommt.

Das Miniſterium geht noch weiter. Es hat
nun auch den Leiter der ganzen Denunzianten-
Organiſation, den General Peigné, der nach Auf-
deckung der Skandale ſofort aus der Armee ausſcheiden
mußte und den man nach ſeinen Schandtaten für
endgiltig abgetan hielt, zum Mitglied des techniſchen
Artillerie-Komitees befördert, mit der Ausſicht, in
einigen Monaten Präſident dieſes Komitees zu
werden. Die Freimaurerei hatte befohlen, ihre
getreuen Diener wieder in Amt und Würde einzu-
ſetzen und das Miniſterium hat gehorcht.

Welchen Erfolg hat man alſo mit dieſem Mi-
niſterwechſel erzielt? In der Frage der Trennung
der Kirche vom Staate haben die neuen Männer
denſelben gehäſſigen Eifer bewieſen, wie ihre Vor-
gänger, das Denunziationsſyſtem wird insgeheim
luſtig weitergeführt, man belohut die Denunzianten,
und jene ehrenhaften Offiziere, welche damals laut
ihre Entrüſtung kundgaben und dafür kaſſiert wurden,
bleiben kaſſiert. Kann ſich Monſteur Combes
wünſchen, daß ſein Vermächtnis treuer behütet
wird?

Selbſt die Gerichtshöfe ſind ſchon von dem
Geiſte unduldſamer Verfolgung erfüllt. Den Leſern
der „Reichspoſt“ dürfte noch der intereſſante Fall
erinnerlich ſein, der noch immer den Lyoner Gerichts-
hof beſchäftigt. Am 8. Dezember 1904 feierten die
[Spaltenumbruch] Katholiken Lyons dieſen Tag durch feſtliche Be-
leuchtung und eine großartige Prozeſſion. Dies
brachte die „Freidenker“ und ihr Organ
„Fortſchritt“ in Raſerei. Infolgedeſſen beriefen ſie
ſämtliche Apachen Lyons zu einer Gegendemonſtration.
Es kam zu einem Zuſammenſtoße, bei welchem ein
Kaufmann, Vater von fünf Kindern, getötet wurde.
Trotz der eifrigen Bemühungen der Polizei, den
Mörder nicht zu entdecken, wurde er zwei Monate
ſpäter verhaftet und geſtand ſeine Tat. Obwohl
auch eine überaus belaſtende Ausſage eines jungen
Mannes, namens Franchet, vorlag, bemühten ſich
Präſident und Staatsanwalt, den Angeklagten frei-
zuſprechen.
Da der Zeuge Franchet ſich nicht ein-
ſchüchtern ließ, rief ihm der Präſident ſchließlich
erbittert zu: Vous êtes un misérable! „Sie ſind
ein elender Kerl!“ Der beleidigte Zeuge verlangte,
daß dieſe Worte zu Protokoll genommen werden,
was auch geſchah. Trotz allem wurde der angeklagte
Mörder freigeſprochen. Franchet aber erhob, geſtützt
auf das Protokoll, beim Lyoner Gerichtshof die
Ehrenbeleidigungsklage, verlangte einen Franken
Schadenerſatz und Veröffentlichung des Urteils in
hundert Zeitungen. Bei der Verhandlung lehnte der
Angeklagte die Kompetenz des Gerichtshofes ab,
fand jedoch bei ſeinen Kollegen keine Zuſtimmung.
Das Urteil wird erſt in einigen Tagen publiziert
werden.

Wenn die Großen bei Tag in Kirchen und
Klöſter einbrechen und gleich ganze Häuſer in Be-
ſchlag nehmen, ſo holen ſich die Kleinen den Profit
bei Nacht, wie es im Verlaufe eines Monats drei-
mal in den Kirchen von Bordeaux geſchah. Oder ſie
gönnen ſich wenigſtens die Unterhaltung in Ville-
franche-Saint-Phal
ein kunſtvolles Kreuz bei Nacht




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Kritizismus und Weltgeſchichte.

Es geſchieht uns Oeſterreichern eigentlich
recht mit dem, was uns täglich geſchieht: Wir
ſelber machen aus uns nichts, wir blicken zu gerne
erſchauernd auf die fremde Größe und überſehen
zu leichtfertig das eigene Gute und die andern
fühlen ſich nicht verpflichtet, uns eine Gerechtigkeit
widerfahren zu laſſen, die wir in der Regel ſelbſt
nicht zu beanſpruchen pflegen. Nur ſo konnte es
geſchehen, daß im Deutſchen Reiche und namentlich
in Preußen leider nur zu oft ſchon auch ernſte
Autoren ſich eine einſeitige Darſtellung hiſtoriſcher
Ereigniſſe zurechtlegen und wir Oeſterreicher zu-
ſehen müſſen, wie man uns nachgerade ſyſtematiſch
aus geſchichtlichen Ehrenplätzen expropriiert. Wenn
auch nicht alle ſoweit gehen, wie jenes deutſche
Flottenbuch, das die Ruhmestaten eines Tegetthoff
in eine nur die Flotte des Deutſchen Reiches
umfaſſende Darſtellung einreiht, ſo hat
ſich doch ſchon in gewiſſen Partien der Geſchichts-
forſchung eine Schulmeinung eingebürgert, die
nichts iſt als ein preußiſches Landesprodukt und
als ſchlimmes Vorurteil dann allgemein in den
Gemeinbeſitz übergeht.

Die verdienſtvolle Allgemeine Verlagsgeſell-
ſchaft in München hat kürzlich mit der Herausgabe
einer illuſtrierten Weltgeſchichte *) begonnen; das
Werk iſt inhaltlich wie in der Ausſtattung als
ein erſtklaſſiges Werk gedacht und mit prächtigen
[Spaltenumbruch] Porträts, Fakſimilien und einem durchwegs wert-
vollen Buchſchmuck ausgeſtattet. Das in vier
Bänden erſcheinende Werk wurde mit der Geſchichte
des neunzehnten Jahrhunderts begonnen, deſſen
Bearbeitung der königliche Gymnaſialdirektor
S. Widmann, ein Autor von gutem Ruf, über-
nommen hat. Die Darſtellung iſt eine glänzende;
von dem düſteren Hintergrunde der napoleoniſchen
Epoche hebt ſich eine friſche, farbenkräftige Einzel-
malerei ab, die geſchickt den Gang der großen
Ereigniſſe belebt.

Da iſt die Zuſammenkunft in Erfurt vom
Jahre 1808. Napoleon ſieht ſchon auf der Höhe ſeiner
Macht, Deutſchland iſt tief erniedrigt; ſchon ein
Jahr iſt es her, daß die Dresdener, demütig die
Köpfe in den Staub gedrückt, den Eroberer mit
der ſchmählichen Lobinſchrift empfingen: Nationis
Alemannicae Protector, Orbis Legislator,
Europae Ordinator Napoleon.
Selbſt der Zar
huldigt geblendet. Abends ſpielt zu Erfurt der
berühmte Talma „vor einem Parterre von
Königen“ und als er im »Oedipe« zu der Stelle
kommt: »L’amitié d’un grand homme est un
bienfait de dieu«
„die Freundſchaft eines großen
Mannes iſt eine Gnade Gottes“, da erhebt ſich
der Zar Alexander und reicht Napoleon unter
dem donnernden Beifall der Höflinge und Fürſten
die Hand. — Und Napoleon behandelt ſie alle,
die 34 Könige und Regenten, um ſich herum, mit der
herablaſſenden Kälte des rückſichtsloſen Tyrannen
und hinab bis zum letzten Soldaten zeigt jeder, daß
alles, was hier verſammelt iſt, nur das gedemütigte,
entmannte Europa darſtellt.

Zufällig hält einmal die Wache den Wagen
des Königs von Württemberg für einen kaiſer-
lichen und läßt dreimal die Trommel zur Ehren-
bezeugung rühren, da donnert der dienſthabende
[Spaltenumbruch] Offizier, den Irrtum des Poſtens erkennend, den
Trommler an: Taisez-vous, ce n’est qu’un roi!
„Still damit, es iſt bloß ein König!“

Und damals in dieſer Zeit der allgemeinen
Erniedrigung ruhten die Hoffnungen des deutſchen
Volkes auf Oeſterreich, das noch einmal zum
Kriege gegen den Tyrannen Europas rüſtete.
Widmann gibt dem Engländer Seeley recht, wenn
dieſer mit Bitterkeit ſagt, „der fernere Verlauf der
deutſchen Geſchichte würde ein anderer geweſen
ſein, wenn Preußen und Oeſterreich im Jahre 1809
ihre Eiferſucht in einem ruhmreichen Widerſtand
gegen Napoleon begraben hätten“. Der preußiſche
König reichte aber nicht die Hand zum Bunde
und Widmann ſagt vorwurfsvoll: Sonderpolitik
hatte Preußen ins Verderben geſtürzt, ſeine
Sonderpolitik trug auch Mitſchuld an dem Miß-
lingen der öſterreichiſchen Erhebung im Jahre 1809.
Daran ſchließt Widmann aber das Urteil, der
Krieg hätte auch ohne Preußen einen anderen
Ausgang haben können, „wäre nicht der tapfere,
aber zu vorſichtige, in veralteter Feldherrnkunſt
verharrende und zu raſch verzagte Erzherzog Karl
der Führer geweſen.“

Verblüfft ſteht man vor dieſem Urteil, ſich
fragend, wie denn ein Mann, deſſen wohlwollendes
und nach einer gerechten Erfaſſung jeden Ver-
dienſtes ſtrebendes Urteil ſonſt überall erſichtlich
wird, gegenüber einem der edelſten Helden unſerer
vaterländiſchen Geſchichte zu einem derart herben
Schluſſe kommt. Seine Darſtellung der Schlacht
bei Aſpern erklärt alles. Dieſe glänzende Waffen-
tat, die den Ruhm der Unbeſieglichkeit Napoleons
brach und geradezu die Erhebung des tiefgebeugten
Deutſchland vorbereitete, ſtellt Widmann mit
folgenden Sätzen dar: „Völlig entmutigt verharrte
Erzherzog Karl in unbegreiflicher Untätigkeit, als


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]
*) „Illuſtrierte Weltgeſchichte.“ Allgemeine Verlags-
geſellſchaft, München. 40 Hefte à 1 Mark. Heraus-
gegeben von Dr. S. Widmann, D. P. Fiſcher und
Dr. W. Felten.
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[[1]/0001] Preis 8 h Redaction, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadtexpedition I., Wollzeile 11 Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt. Unfrankierte und nicht genügend frankierte Briefe werden nicht ange- nommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla- mationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7 Erſcheint täglich 6 Uhr nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ......... 28 K halbjährig ......... 14 K vierteljährig ........ 7 K monatlich ....... 2 K 35 h Einzelne Nummern 8 h, per Poſt 10 h. 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Der „Freundſchaftsbund alter Offiziere von Côte d’Or“ ſtieß den Kriegsminiſter ſofort aus ſeiner Mitte und wurde deshalb aufgelöſt, doch immer höher und höher ſchwoll die Entrüſtung; bis ſie Combes und André hinweggeſchwemmt hatte. Der Nachfolger Rouvier proteſtierte mit großem Wort- ſchwall gegen das Spitzeltum, welches Monſieur Combes inſtalliert hatte, aber insgeheim hegt und pflegt er doch dasſelbe Syſtem. So wurde in Le Randon ein Diener, der um Verlegung ſeiner Waffenübung eingereicht hatte, von einem Abgeſandten des Prä- fekten über ſeine politiſchen und religiöſen Anſichten befragt und ihm ganz offen erklärt, daß er nicht auf eine günſtige Erledigung ſeines Geſuches rechnen dürfe, wenn ſeine Antworten nicht befriedigen. Aehnliche Fälle werden trotz der feierlichen Er- klärung Rouviers und Etiennes aus Olivet und Ham berichtet. Ein weiteres Opfer des Entrüſtungs- ſturmes war Profeſſor Crescent in Lyon. Dieſer gelehrte Herr hat es ganz gut mit ſeiner Standes- ehre vereinbar gefunden, ſeine beſten Bekannten dem Groß-Orient zu denunzieren. Um einer ſchmählichen Enthebung auszuweichen, reichte er damals ſein Urlaubsgeſuch ein. Und jetzt — da die Wogen ſich etwas geglättet haben — wagt es dasſelbe Miniſterium, das ſich noch vor kurzem ſo ſchön moraliſch entrüſten konnte, dieſen edlen Herrn an die Schule Colbert nach Paris zu berufen, eine Verſetzung, die einem Avancement gleichkommt. Das Miniſterium geht noch weiter. Es hat nun auch den Leiter der ganzen Denunzianten- Organiſation, den General Peigné, der nach Auf- deckung der Skandale ſofort aus der Armee ausſcheiden mußte und den man nach ſeinen Schandtaten für endgiltig abgetan hielt, zum Mitglied des techniſchen Artillerie-Komitees befördert, mit der Ausſicht, in einigen Monaten Präſident dieſes Komitees zu werden. Die Freimaurerei hatte befohlen, ihre getreuen Diener wieder in Amt und Würde einzu- ſetzen und das Miniſterium hat gehorcht. Welchen Erfolg hat man alſo mit dieſem Mi- niſterwechſel erzielt? In der Frage der Trennung der Kirche vom Staate haben die neuen Männer denſelben gehäſſigen Eifer bewieſen, wie ihre Vor- gänger, das Denunziationsſyſtem wird insgeheim luſtig weitergeführt, man belohut die Denunzianten, und jene ehrenhaften Offiziere, welche damals laut ihre Entrüſtung kundgaben und dafür kaſſiert wurden, bleiben kaſſiert. Kann ſich Monſteur Combes wünſchen, daß ſein Vermächtnis treuer behütet wird? Selbſt die Gerichtshöfe ſind ſchon von dem Geiſte unduldſamer Verfolgung erfüllt. Den Leſern der „Reichspoſt“ dürfte noch der intereſſante Fall erinnerlich ſein, der noch immer den Lyoner Gerichts- hof beſchäftigt. Am 8. Dezember 1904 feierten die Katholiken Lyons dieſen Tag durch feſtliche Be- leuchtung und eine großartige Prozeſſion. Dies brachte die „Freidenker“ und ihr Organ „Fortſchritt“ in Raſerei. Infolgedeſſen beriefen ſie ſämtliche Apachen Lyons zu einer Gegendemonſtration. Es kam zu einem Zuſammenſtoße, bei welchem ein Kaufmann, Vater von fünf Kindern, getötet wurde. Trotz der eifrigen Bemühungen der Polizei, den Mörder nicht zu entdecken, wurde er zwei Monate ſpäter verhaftet und geſtand ſeine Tat. Obwohl auch eine überaus belaſtende Ausſage eines jungen Mannes, namens Franchet, vorlag, bemühten ſich Präſident und Staatsanwalt, den Angeklagten frei- zuſprechen. Da der Zeuge Franchet ſich nicht ein- ſchüchtern ließ, rief ihm der Präſident ſchließlich erbittert zu: Vous êtes un misérable! „Sie ſind ein elender Kerl!“ Der beleidigte Zeuge verlangte, daß dieſe Worte zu Protokoll genommen werden, was auch geſchah. Trotz allem wurde der angeklagte Mörder freigeſprochen. Franchet aber erhob, geſtützt auf das Protokoll, beim Lyoner Gerichtshof die Ehrenbeleidigungsklage, verlangte einen Franken Schadenerſatz und Veröffentlichung des Urteils in hundert Zeitungen. Bei der Verhandlung lehnte der Angeklagte die Kompetenz des Gerichtshofes ab, fand jedoch bei ſeinen Kollegen keine Zuſtimmung. Das Urteil wird erſt in einigen Tagen publiziert werden. Wenn die Großen bei Tag in Kirchen und Klöſter einbrechen und gleich ganze Häuſer in Be- ſchlag nehmen, ſo holen ſich die Kleinen den Profit bei Nacht, wie es im Verlaufe eines Monats drei- mal in den Kirchen von Bordeaux geſchah. Oder ſie gönnen ſich wenigſtens die Unterhaltung in Ville- franche-Saint-Phal ein kunſtvolles Kreuz bei Nacht Feuilleton. Kritizismus und Weltgeſchichte. Es geſchieht uns Oeſterreichern eigentlich recht mit dem, was uns täglich geſchieht: Wir ſelber machen aus uns nichts, wir blicken zu gerne erſchauernd auf die fremde Größe und überſehen zu leichtfertig das eigene Gute und die andern fühlen ſich nicht verpflichtet, uns eine Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, die wir in der Regel ſelbſt nicht zu beanſpruchen pflegen. Nur ſo konnte es geſchehen, daß im Deutſchen Reiche und namentlich in Preußen leider nur zu oft ſchon auch ernſte Autoren ſich eine einſeitige Darſtellung hiſtoriſcher Ereigniſſe zurechtlegen und wir Oeſterreicher zu- ſehen müſſen, wie man uns nachgerade ſyſtematiſch aus geſchichtlichen Ehrenplätzen expropriiert. Wenn auch nicht alle ſoweit gehen, wie jenes deutſche Flottenbuch, das die Ruhmestaten eines Tegetthoff in eine nur die Flotte des Deutſchen Reiches umfaſſende Darſtellung einreiht, ſo hat ſich doch ſchon in gewiſſen Partien der Geſchichts- forſchung eine Schulmeinung eingebürgert, die nichts iſt als ein preußiſches Landesprodukt und als ſchlimmes Vorurteil dann allgemein in den Gemeinbeſitz übergeht. Die verdienſtvolle Allgemeine Verlagsgeſell- ſchaft in München hat kürzlich mit der Herausgabe einer illuſtrierten Weltgeſchichte *) begonnen; das Werk iſt inhaltlich wie in der Ausſtattung als ein erſtklaſſiges Werk gedacht und mit prächtigen Porträts, Fakſimilien und einem durchwegs wert- vollen Buchſchmuck ausgeſtattet. Das in vier Bänden erſcheinende Werk wurde mit der Geſchichte des neunzehnten Jahrhunderts begonnen, deſſen Bearbeitung der königliche Gymnaſialdirektor S. Widmann, ein Autor von gutem Ruf, über- nommen hat. Die Darſtellung iſt eine glänzende; von dem düſteren Hintergrunde der napoleoniſchen Epoche hebt ſich eine friſche, farbenkräftige Einzel- malerei ab, die geſchickt den Gang der großen Ereigniſſe belebt. Da iſt die Zuſammenkunft in Erfurt vom Jahre 1808. Napoleon ſieht ſchon auf der Höhe ſeiner Macht, Deutſchland iſt tief erniedrigt; ſchon ein Jahr iſt es her, daß die Dresdener, demütig die Köpfe in den Staub gedrückt, den Eroberer mit der ſchmählichen Lobinſchrift empfingen: Nationis Alemannicae Protector, Orbis Legislator, Europae Ordinator Napoleon. Selbſt der Zar huldigt geblendet. Abends ſpielt zu Erfurt der berühmte Talma „vor einem Parterre von Königen“ und als er im »Oedipe« zu der Stelle kommt: »L’amitié d’un grand homme est un bienfait de dieu« „die Freundſchaft eines großen Mannes iſt eine Gnade Gottes“, da erhebt ſich der Zar Alexander und reicht Napoleon unter dem donnernden Beifall der Höflinge und Fürſten die Hand. — Und Napoleon behandelt ſie alle, die 34 Könige und Regenten, um ſich herum, mit der herablaſſenden Kälte des rückſichtsloſen Tyrannen und hinab bis zum letzten Soldaten zeigt jeder, daß alles, was hier verſammelt iſt, nur das gedemütigte, entmannte Europa darſtellt. Zufällig hält einmal die Wache den Wagen des Königs von Württemberg für einen kaiſer- lichen und läßt dreimal die Trommel zur Ehren- bezeugung rühren, da donnert der dienſthabende Offizier, den Irrtum des Poſtens erkennend, den Trommler an: Taisez-vous, ce n’est qu’un roi! „Still damit, es iſt bloß ein König!“ Und damals in dieſer Zeit der allgemeinen Erniedrigung ruhten die Hoffnungen des deutſchen Volkes auf Oeſterreich, das noch einmal zum Kriege gegen den Tyrannen Europas rüſtete. Widmann gibt dem Engländer Seeley recht, wenn dieſer mit Bitterkeit ſagt, „der fernere Verlauf der deutſchen Geſchichte würde ein anderer geweſen ſein, wenn Preußen und Oeſterreich im Jahre 1809 ihre Eiferſucht in einem ruhmreichen Widerſtand gegen Napoleon begraben hätten“. Der preußiſche König reichte aber nicht die Hand zum Bunde und Widmann ſagt vorwurfsvoll: Sonderpolitik hatte Preußen ins Verderben geſtürzt, ſeine Sonderpolitik trug auch Mitſchuld an dem Miß- lingen der öſterreichiſchen Erhebung im Jahre 1809. Daran ſchließt Widmann aber das Urteil, der Krieg hätte auch ohne Preußen einen anderen Ausgang haben können, „wäre nicht der tapfere, aber zu vorſichtige, in veralteter Feldherrnkunſt verharrende und zu raſch verzagte Erzherzog Karl der Führer geweſen.“ Verblüfft ſteht man vor dieſem Urteil, ſich fragend, wie denn ein Mann, deſſen wohlwollendes und nach einer gerechten Erfaſſung jeden Ver- dienſtes ſtrebendes Urteil ſonſt überall erſichtlich wird, gegenüber einem der edelſten Helden unſerer vaterländiſchen Geſchichte zu einem derart herben Schluſſe kommt. Seine Darſtellung der Schlacht bei Aſpern erklärt alles. Dieſe glänzende Waffen- tat, die den Ruhm der Unbeſieglichkeit Napoleons brach und geradezu die Erhebung des tiefgebeugten Deutſchland vorbereitete, ſtellt Widmann mit folgenden Sätzen dar: „Völlig entmutigt verharrte Erzherzog Karl in unbegreiflicher Untätigkeit, als [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung] *) „Illuſtrierte Weltgeſchichte.“ Allgemeine Verlags- geſellſchaft, München. 40 Hefte à 1 Mark. Heraus- gegeben von Dr. S. Widmann, D. P. Fiſcher und Dr. W. Felten.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 179, Wien, 08.08.1905, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost179_1905/1>, abgerufen am 28.03.2024.