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Reichspost. Nr. 130, Wien, 11.05.1908.

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VIII. Strozzigasse 41.
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Das Blatt erscheint täglich ein-
mal (als Morgenausgabe).
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Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

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sowie in allen Annoncenbureaus des
In- und Auslandes angenommen.




XV. Jahrgang. Wien, Montag, den 11. Mai 1908. Nr. 130.


[Spaltenumbruch]
Der Streik gegen das Studium.


Morgen oder übermorgen soll der Streik der frei-
sinnigen Studenten an allen österreichischen Universitäten
beginnen, das heißt, es soll zur Einstellung jeder Tätigkeit
an den Universitäten gebracht werden und wo dies nicht
sofort erreicht wird, dort wird, wie die Fichtegäßnerin, die
sonst so beredte Verkünderin der feinen Lebensart und der
Zivilisation, triumphierend voraussieht, die freisinnige
Studentenschaft die einzelnen Kollegien durch Demonstrationen
so lange stören, bis der betreffende Professor die Vorlesung
abbricht. Man rechne damit, daß die Universitäten sofort
beim ersten Ansturm gesperrt werden, schon deshalb,
weil ja im gegenteiligen Falle scharfe Zusammen-
stöße
mit den "klerikalen" Studenten unvermeidlich wären
und offene Raufereien zu verhindern, liege vor
allem auch im Interesse der maßgebenden Universitäts-
behörden.

Der Streik soll Herrn Professor Wahrmund unter den
Schutz der freisinnigen Studentenschaft stellen und ihn gegen
alles schützen, was einer Maßregelung dieses Mannes
ähnlich sähe. -- Die Entfernung Professor Wahrmunds ist
heute zwar von allen erwachsenen Leuten von Bildung und
Geschmack als unerläßlich angesehen worden und gerade
aus dem deutschnationalen Lager haben sich in der letzten
Zeit die offenen, vorbehaltlosen Ablehnungen Wahrmunds
in großer Zahl eingestellt, aber die Herren deutschfreisinnigen
Studenten haben eine andere Meinung und so gehen sie
unter dem Beifall der Wiener jüdischen Presse daran, diese
Meinung der ganzen Oeffentlichkeit zu diktieren. Darin,
daß sich auch die tschechischen Studenten der Masarykschule
diesem jugendlichen Erpressungsversuche angeschlossen haben,
findet die "Neue Freie Presse" eine "imposante Erscheinung,
wie sie vielleicht noch nie erlebt worden ist und deren Be-
deutung in die Augen stechen muß".

Es ist wirklich sehr imposant, wenn an unseren Hochschulen
die Universitätsprofessoren -- freisinnige Männer von der
erprobten Gesinnung eines v. Scala und seiner Inns-
brucker Freunde! -- zu Nullen werden und nichts mehr
zu reden haben, wenn die Regierung und die Volksver-
tretung gehorsam die Obhut der ihnen anvertrauten
Interessen abzutreten haben und die liebe Jugend die
[Spaltenumbruch] Zügel der Staatsführung ergreifen und diktieren möchte,
was sie für freisinnig, fortschrittlich und zur Verteidigung
der Wissenschaft für notwendig hält!

Die Art, wie bei uns studentische Parteien in wichtige
Fragen des öffentlichen Lebens hineinsprechen dürfen, war
seit langem eine beschämende. Mehr als einmal wurden
durch irgend einen Universitätsskandal, der mitunter den
nichtigsten Anlässen entsprungen war, politische Arbeiten ersten
Ranges vereitelt. Nun ist man mit diesem Systeme, daß man
für den Staat die Obervormundschaft der Minderjährigen
anerkannte, so weit gekommen, daß einer Universität mit
Gewalt ein Mann aufgehalst werden soll, der sich wissen-
schaftlich schwer kompromittiert und die Sitten der An-
ständigkeit gröblich verletzt hat, ein Mann, für dessen Ent-
fernung sofort in einer Volksabstimmung Millionen von
Stimmen aufzubringen sind und den auch in Erkenntnis
der Tatsachen die freisinnigen Professoren und Abgeordneten
fallen gelassen haben.

Dieser Versuch gewisser gewalttätiger Fraktionen der
Studentenschaft, sich selbst das Recht der Berufung an die
Universitäten anzueignen und gestützt auf die Herrschaft des
Prügels dem Staate zu kommandieren, muß das Maß der
Geduld, mit dem man bisher die Universitäts-
angelegenheiten behandelt hat, überfließen machen. Es
gibt ausreichend Mittel, um dieser traurigen
Abirrung einzelner Teile der studierenden Jugend zu be-
gegnen: Man sperre ruhig die Universitäten, stelle in den
Dekanaten fest, wer sich aktiv und freiwillig an dem Streik
beteiligt, streiche diesen das jetzige Sommersemester und
ändere die Handhabung des Vereinswesens an unseren
Universitäten, indem man die Verantwortlichkeit der akade-
mischen Vereine erhöhe und damit eine Handhabe schaffe,
die Anstifter derartiger Bewegungen zu treffen. Die rück-
sichtslose Auflösung der schuldigen Korporationen und die
Bestrafung ihrer Leitungen wird bald die Ordnung wieder-
herstellen.

Es steht diesmal wirklich viel in Frage: Ob in
Oesterreich vor aller Welt Regierung und Parlament zu-
gunsten einer Schar gewalttätiger junger Herren abdanken
wollen oder nicht.




Zur Wahrmundaffäre erfährt die "Salzburger
Chronik
" aus bester Quelle folgende Einzelheiten:


[Spaltenumbruch]

Das Unterrichtsministerium will demnächst die außer-
ordentlichen Professoren an der Czernowitzer Universität Dr.
Kogler und Dr. Robert Mayer zu ordentlichen Pro-
fessoren ernennen. Professor Robert Mayer sollte bekanntlich
nach Innsbruck kommen und war vom Senate der Czerno-
witzer Universität selbst dahin empfohlen worden. [Als] man
aber in Innsbruck hörte, Professor Robert Mayer se[i] katho-
lischer Gesinnung, da legten die "freiheitlichen" Clique-Pro-
fessoren Verwahrung gegen dessen Berufung ein und
ihre studentischen Nachbeter drohten mit Demonstrationen.
Die Berufung unterblieb. Das scheint jetzt Unterrichtsminister
Marchet einigermaßen gut machen zu wollen. Was aber ge-
schieht mit Wahrmund, dessen Rückkehr auf die Inns-
brucker Lehrkanzel ausgeschlossen ist? Die Regierung plant, ihn
nach -- -- -- Graz zu berufen, wohl in der berechtigten
Voraussicht, daß Wahrmund zu seinen dortigen Kollegen aufs
beste passen wird. Wenn das Unterrichtsministerium diesen
Plan durchführt, so wird das katholische Volk Steiermarks
auch ein Wort dreinreden. Freilich ist noch sehr die Frage, ob
die Grazer Professoren, die an ihrer Hochschule Zündstoff in
Massen lagern haben, der jeden Augenblick explodieren kann,
Lust haben werden, diesen durch einen Wahrmund noch zu ver-
mehren.




Politische Rundschau.
Oesterreich-Ungarn.


Die Beeidigung des deutschen Landsmann-
ministers.

Der Kaiser wird, wie wir erfahren,
Donnerstag den 14. d., vormittags vor Beginn der all-
gemeinen Audienzen den neuernannten Minister Geheimen
Rat Heinrich Prade beeidigen.

Die Sprachenkonflikte.

Wie die "Deutsche
Wehr" meldet, wurde kürzlich einem deutschen Advokaten
in einer Strafsache vom Troppauer Landesgerichte
als Berufungsgericht ein tschechischer Bescheid zugestellt,
in welchem über Rekurs des Gegners der von dem
Advokaten vertretenen Partei ein ihm in erster Instanz
auferlegter Kostenersatz als nicht gerechtfertigt erklärt
wird. Die Beschlußausfertigung ist vom Oberlandes-
gerichtsrate Hruby unterschrieben. Die "Narodni Listy"
melden: Vor kurzem hat das Bezirksgericht in
Petschau eine Entscheidung über die Tagfahrt zur
Zeugeneinvernahme in dem durchgeführten Prozesse be-
treffend eine Wohnungskündigung an das Bezirksgericht
Deutschrod in deutscher Sprache erlassen. Da-
gegen haben zwei tschechische Advokaten in Deutschbrod
den Rekurs an das Egerer Kreisgericht er-
hoben, den Landesgerichtsrat Johann Augsten




[Spaltenumbruch]

38. Folge. Nachdruck verboten.

Die Sierramühle.

Er stieg leichtfüßig auf einen breiten, überhängenden
Felsblock und winkte mit der Hand.

Nehmen Sie sich in acht! rief Collinson erschrocken.
Diese Felsen sind mächtig kitzlich, und der gerade ganz
besonders. Eine einzige kleine Berührung bringt sie
manchmal zum Kippen.

Chivers sprang eilig herunter, winkte noch einmal
und verschwand in der Richtung nach dem Hause.

Aber Collinson fühlte sich nicht mehr einsam. Bisher
hatten seine Träumereien der Vergangenheit gegolten;
es waren Erinnerungen, die allein das Gedächtnis
wachrief, bei denen die Hoffnung aber nur sehr
wenig Raum fand. Unter dem Zauber von
Chivers Worten begann nunmehr seine Phantasie sich
zu regen. Er dachte daran, wie seine Frau wohl jetzt
aussehen, wie es ihr ergehen mochte -- vielleicht war sie
krank, irrte verzweifelnd umher, wohl gar in Lumpen
und mit wunden Füßen; oder hatte sie sich -- wenn sie
ihn für tot hielt -- ebenso geduldig in ihr Geschick
ergeben wie er seit der Nachricht von ihrem Tode in das
seine? Das Bild, welches ihm hiebei vorschwebte, war
aber nicht seine alte Sadie, nein, die hatte ganz anders
ausgesehen. Eine leise Furcht, ein Schatten von Zweifel
durchzitterte zum erstenmal sein starkes Herz und traf
es mit eisiger Kälte. Er schulterte seine Waffe und schritt
rasch nach dem Rande des Waldes. Die Düfte des Lorbeers
und der Sprossenfichte, welche der Sonnenschein des
langen Tages durchglüht hatte, wehten ihm noch warm
entgegen. -- Merkwürdig, was es doch hier für wunder-
bar schnell wechselnde Temperaturveränderungen gab!
Bald heiß, bald kalt wehte es ihm beim Auf- und Ab-
schreiten an. Es schien ihm so verkehrt, daß er jetzt
nach ihr suchen sollte, anstatt daß sie zu ihm kam. Sie
wiederzufinden fern von dem Haus, das er für sie ge-
[Spaltenumbruch] baut, würde freilich ganz anders sein, als wie er es
stets erträumt hatte. -- Er wanderte hin und her
und warf immer von neuem einen Blick hinunter
auf die alte Mühle drüben an der Felswand. Friedlich
übergoß der Mond sie mit seinen weißen Strahlen und
dämpfte das Blinken der Lichter in den Fenstern; aber
das rohe Singen und Lachen, welches bis zu ihm her-
über drang, berührte seine sonst eben nicht verwöhnten
Ohren wie ein widriger Mißklang. Rastlos schritt er
vor dem dichten Walde auf und ab. Plötzlich blieb er
stehen und horchte.

Kein anderes Ohr als ein an die Einsamkeit der
Berge gewöhntes würde etwas vernommen haben. Aber,
vertraut mit all den unzähligen Geräuschen, die die
Stille des Waldes unterbrechen, stutzte Collinson jetzt
doch bei einem sich wiederholenden Ton, der keinem der
übrigen Laute glich. Es kam ihm vor wie ein ge-
dämpftes, in ungleichen Pausen sich erneuerndes Pochen,
das immer, wenn es wieder vernehmbar wurde, denselben
regelmäßigen Takt beibehielt. Er erkannte es als den
leichten Galopp eines Pferdes. Die Pausen entstanden
jedenfalls durch die stellenweise den Weg bedeckenden
Blätter. Die mitunter veränderte Gangart des Pferdes
konnte man wohl dem Gestrüpp und anderen Hinder-
nissen zuschreiben. Augenscheinlich verfolgte der Reiter
den geheimen Pfad, der ihm, Collinson, zur Be-
wachung übertragen war. Nach dem öfteren
Richtungswechsel, den der Klang der Hufe ver-
riet, hatte der Reiter offenbar große Schwierigkeit, sich
in dem Gewirr zurechtzufinden. Trotzdem zeugten aber
die immer wieder beschleunigt erklingenden Hufschläge von
Eile und Entschlossenheit.

Collinson machte sich schußfertig und untersuchte sein
Zündhütchen. Als der Ton näher kam, trat er hinter
eine junge Sprossenfichte am Rande des Dickichts. Das
Haus zu alarmieren oder die anderen Posten heran-
zurufen erschien ihm unnötig. War es doch nur ein
einziger Reiter und mit dem würde er allein fertig. Er
wartete ruhig und mit seiner gewöhnlichen Geduld, aber
[Spaltenumbruch] sogar in diesem Augenblick schweiften seine Gedanken zu
seiner Frau zurück.

Der Reiter kam jetzt dicht heran. Die Büsche teilten
sich. Staunen und Verwunderung erfaßten Collinson --
auf schweißtriefendem, aber nochmutigem Pferd kam ein
Weib zum Vorschein. -- Halt! rief er vortretend.

Das Pferd prallte zur Seite und warf die Reiterin
beinahe ab. Collinson sprang herzu und ergriff die Zügel.
Die Frau hob mechanisch die Peitsche, hielt sie aber zit-
ternd in der Luft, als sie in dem vergeblichen Bestreben,
ihren verlorenen Sieg wiederzugewinnen, haltlos aus dem
Sattel glitt. Sie wäre gefallen, doch Collinson, schnell
zur Hand, umfaßte sie mit kräftigem Griff und ließ sie
auf den Boden nieder. Ein Aufschrei entfuhr ihr.

Collinson stand wie vom Schlage getroffen!

Sadie! keuchte er.

Seth! zitterte es tonlos von ihren Lippen.

Wie betäubt starrten sie einander an. Aber Collinson
fand rasch seine Fassung wieder. Der Mann von ein-
facher Geradheit und ohne Arg sah nichts, als daß sein
Weib vor ihm stand -- etwas atemlos, etwas verwirrt
und vom schnellen Ritt zerzaust, so, wie er sie auch
früher manchmal gesehen hatte, im übrigen aber unver-
ändert. Auch er war unverändert, er nahm sie auf, wie er
sie verlassen hatte. Sein ernstes Gesicht verzog sich zu einem
Lächeln und strahlte in lang entbehrtem Glück, als er
ihre beiden Hände in den seinen hielt.

Hab' ich Dich endlich wieder! O mein Gott! Und
noch eben erst dacht' ich, morgen Dich suchen zu gehen,
Sadie!

Sie blickte scheu umher. Mich -- mich suchen?
stammelte sie ungläubig.

Ja freilich; sieh doch, ich wollt' nüber nach dem
Kloster, um dort nach dir zu fragen.

Im Kloster? wiederholte sie mit Schreck und
Verwunderung.

(Fortsetzung folgt.)

[Abbildung] Die heutige Nummer ist 8 Seiten stark. [Abbildung]
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Inſerate
werden in der Verwaltung der
„Reichspoſt“, VIII. Strozzigaſſe 42,
ſowie in allen Annoncenbureaus des
In- und Auslandes angenommen.




XV. Jahrgang. Wien, Montag, den 11. Mai 1908. Nr. 130.


[Spaltenumbruch]
Der Streik gegen das Studium.


Morgen oder übermorgen ſoll der Streik der frei-
ſinnigen Studenten an allen öſterreichiſchen Univerſitäten
beginnen, das heißt, es ſoll zur Einſtellung jeder Tätigkeit
an den Univerſitäten gebracht werden und wo dies nicht
ſofort erreicht wird, dort wird, wie die Fichtegäßnerin, die
ſonſt ſo beredte Verkünderin der feinen Lebensart und der
Ziviliſation, triumphierend vorausſieht, die freiſinnige
Studentenſchaft die einzelnen Kollegien durch Demonſtrationen
ſo lange ſtören, bis der betreffende Profeſſor die Vorleſung
abbricht. Man rechne damit, daß die Univerſitäten ſofort
beim erſten Anſturm geſperrt werden, ſchon deshalb,
weil ja im gegenteiligen Falle ſcharfe Zuſammen-
ſtöße
mit den „klerikalen“ Studenten unvermeidlich wären
und offene Raufereien zu verhindern, liege vor
allem auch im Intereſſe der maßgebenden Univerſitäts-
behörden.

Der Streik ſoll Herrn Profeſſor Wahrmund unter den
Schutz der freiſinnigen Studentenſchaft ſtellen und ihn gegen
alles ſchützen, was einer Maßregelung dieſes Mannes
ähnlich ſähe. — Die Entfernung Profeſſor Wahrmunds iſt
heute zwar von allen erwachſenen Leuten von Bildung und
Geſchmack als unerläßlich angeſehen worden und gerade
aus dem deutſchnationalen Lager haben ſich in der letzten
Zeit die offenen, vorbehaltloſen Ablehnungen Wahrmunds
in großer Zahl eingeſtellt, aber die Herren deutſchfreiſinnigen
Studenten haben eine andere Meinung und ſo gehen ſie
unter dem Beifall der Wiener jüdiſchen Preſſe daran, dieſe
Meinung der ganzen Oeffentlichkeit zu diktieren. Darin,
daß ſich auch die tſchechiſchen Studenten der Maſarykſchule
dieſem jugendlichen Erpreſſungsverſuche angeſchloſſen haben,
findet die „Neue Freie Preſſe“ eine „impoſante Erſcheinung,
wie ſie vielleicht noch nie erlebt worden iſt und deren Be-
deutung in die Augen ſtechen muß“.

Es iſt wirklich ſehr impoſant, wenn an unſeren Hochſchulen
die Univerſitätsprofeſſoren — freiſinnige Männer von der
erprobten Geſinnung eines v. Scala und ſeiner Inns-
brucker Freunde! — zu Nullen werden und nichts mehr
zu reden haben, wenn die Regierung und die Volksver-
tretung gehorſam die Obhut der ihnen anvertrauten
Intereſſen abzutreten haben und die liebe Jugend die
[Spaltenumbruch] Zügel der Staatsführung ergreifen und diktieren möchte,
was ſie für freiſinnig, fortſchrittlich und zur Verteidigung
der Wiſſenſchaft für notwendig hält!

Die Art, wie bei uns ſtudentiſche Parteien in wichtige
Fragen des öffentlichen Lebens hineinſprechen dürfen, war
ſeit langem eine beſchämende. Mehr als einmal wurden
durch irgend einen Univerſitätsſkandal, der mitunter den
nichtigſten Anläſſen entſprungen war, politiſche Arbeiten erſten
Ranges vereitelt. Nun iſt man mit dieſem Syſteme, daß man
für den Staat die Obervormundſchaft der Minderjährigen
anerkannte, ſo weit gekommen, daß einer Univerſität mit
Gewalt ein Mann aufgehalſt werden ſoll, der ſich wiſſen-
ſchaftlich ſchwer kompromittiert und die Sitten der An-
ſtändigkeit gröblich verletzt hat, ein Mann, für deſſen Ent-
fernung ſofort in einer Volksabſtimmung Millionen von
Stimmen aufzubringen ſind und den auch in Erkenntnis
der Tatſachen die freiſinnigen Profeſſoren und Abgeordneten
fallen gelaſſen haben.

Dieſer Verſuch gewiſſer gewalttätiger Fraktionen der
Studentenſchaft, ſich ſelbſt das Recht der Berufung an die
Univerſitäten anzueignen und geſtützt auf die Herrſchaft des
Prügels dem Staate zu kommandieren, muß das Maß der
Geduld, mit dem man bisher die Univerſitäts-
angelegenheiten behandelt hat, überfließen machen. Es
gibt ausreichend Mittel, um dieſer traurigen
Abirrung einzelner Teile der ſtudierenden Jugend zu be-
gegnen: Man ſperre ruhig die Univerſitäten, ſtelle in den
Dekanaten feſt, wer ſich aktiv und freiwillig an dem Streik
beteiligt, ſtreiche dieſen das jetzige Sommerſemeſter und
ändere die Handhabung des Vereinsweſens an unſeren
Univerſitäten, indem man die Verantwortlichkeit der akade-
miſchen Vereine erhöhe und damit eine Handhabe ſchaffe,
die Anſtifter derartiger Bewegungen zu treffen. Die rück-
ſichtsloſe Auflöſung der ſchuldigen Korporationen und die
Beſtrafung ihrer Leitungen wird bald die Ordnung wieder-
herſtellen.

Es ſteht diesmal wirklich viel in Frage: Ob in
Oeſterreich vor aller Welt Regierung und Parlament zu-
gunſten einer Schar gewalttätiger junger Herren abdanken
wollen oder nicht.




Zur Wahrmundaffäre erfährt die „Salzburger
Chronik
“ aus beſter Quelle folgende Einzelheiten:


[Spaltenumbruch]

Das Unterrichtsminiſterium will demnächſt die außer-
ordentlichen Profeſſoren an der Czernowitzer Univerſität Dr.
Kogler und Dr. Robert Mayer zu ordentlichen Pro-
feſſoren ernennen. Profeſſor Robert Mayer ſollte bekanntlich
nach Innsbruck kommen und war vom Senate der Czerno-
witzer Univerſität ſelbſt dahin empfohlen worden. [Als] man
aber in Innsbruck hörte, Profeſſor Robert Mayer ſe[i] katho-
liſcher Geſinnung, da legten die „freiheitlichen“ Clique-Pro-
feſſoren Verwahrung gegen deſſen Berufung ein und
ihre ſtudentiſchen Nachbeter drohten mit Demonſtrationen.
Die Berufung unterblieb. Das ſcheint jetzt Unterrichtsminiſter
Marchet einigermaßen gut machen zu wollen. Was aber ge-
ſchieht mit Wahrmund, deſſen Rückkehr auf die Inns-
brucker Lehrkanzel ausgeſchloſſen iſt? Die Regierung plant, ihn
nach — — — Graz zu berufen, wohl in der berechtigten
Vorausſicht, daß Wahrmund zu ſeinen dortigen Kollegen aufs
beſte paſſen wird. Wenn das Unterrichtsminiſterium dieſen
Plan durchführt, ſo wird das katholiſche Volk Steiermarks
auch ein Wort dreinreden. Freilich iſt noch ſehr die Frage, ob
die Grazer Profeſſoren, die an ihrer Hochſchule Zündſtoff in
Maſſen lagern haben, der jeden Augenblick explodieren kann,
Luſt haben werden, dieſen durch einen Wahrmund noch zu ver-
mehren.




Politiſche Rundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.


Die Beeidigung des deutſchen Landsmann-
miniſters.

Der Kaiſer wird, wie wir erfahren,
Donnerstag den 14. d., vormittags vor Beginn der all-
gemeinen Audienzen den neuernannten Miniſter Geheimen
Rat Heinrich Prade beeidigen.

Die Sprachenkonflikte.

Wie die „Deutſche
Wehr“ meldet, wurde kürzlich einem deutſchen Advokaten
in einer Strafſache vom Troppauer Landesgerichte
als Berufungsgericht ein tſchechiſcher Beſcheid zugeſtellt,
in welchem über Rekurs des Gegners der von dem
Advokaten vertretenen Partei ein ihm in erſter Inſtanz
auferlegter Koſtenerſatz als nicht gerechtfertigt erklärt
wird. Die Beſchlußausfertigung iſt vom Oberlandes-
gerichtsrate Hruby unterſchrieben. Die „Narodni Liſty“
melden: Vor kurzem hat das Bezirksgericht in
Petſchau eine Entſcheidung über die Tagfahrt zur
Zeugeneinvernahme in dem durchgeführten Prozeſſe be-
treffend eine Wohnungskündigung an das Bezirksgericht
Deutſchrod in deutſcher Sprache erlaſſen. Da-
gegen haben zwei tſchechiſche Advokaten in Deutſchbrod
den Rekurs an das Egerer Kreisgericht er-
hoben, den Landesgerichtsrat Johann Augſten




[Spaltenumbruch]

38. Folge. Nachdruck verboten.

Die Sierramühle.

Er ſtieg leichtfüßig auf einen breiten, überhängenden
Felsblock und winkte mit der Hand.

Nehmen Sie ſich in acht! rief Collinſon erſchrocken.
Dieſe Felſen ſind mächtig kitzlich, und der gerade ganz
beſonders. Eine einzige kleine Berührung bringt ſie
manchmal zum Kippen.

Chivers ſprang eilig herunter, winkte noch einmal
und verſchwand in der Richtung nach dem Hauſe.

Aber Collinſon fühlte ſich nicht mehr einſam. Bisher
hatten ſeine Träumereien der Vergangenheit gegolten;
es waren Erinnerungen, die allein das Gedächtnis
wachrief, bei denen die Hoffnung aber nur ſehr
wenig Raum fand. Unter dem Zauber von
Chivers Worten begann nunmehr ſeine Phantaſie ſich
zu regen. Er dachte daran, wie ſeine Frau wohl jetzt
ausſehen, wie es ihr ergehen mochte — vielleicht war ſie
krank, irrte verzweifelnd umher, wohl gar in Lumpen
und mit wunden Füßen; oder hatte ſie ſich — wenn ſie
ihn für tot hielt — ebenſo geduldig in ihr Geſchick
ergeben wie er ſeit der Nachricht von ihrem Tode in das
ſeine? Das Bild, welches ihm hiebei vorſchwebte, war
aber nicht ſeine alte Sadie, nein, die hatte ganz anders
ausgeſehen. Eine leiſe Furcht, ein Schatten von Zweifel
durchzitterte zum erſtenmal ſein ſtarkes Herz und traf
es mit eiſiger Kälte. Er ſchulterte ſeine Waffe und ſchritt
raſch nach dem Rande des Waldes. Die Düfte des Lorbeers
und der Sproſſenfichte, welche der Sonnenſchein des
langen Tages durchglüht hatte, wehten ihm noch warm
entgegen. — Merkwürdig, was es doch hier für wunder-
bar ſchnell wechſelnde Temperaturveränderungen gab!
Bald heiß, bald kalt wehte es ihm beim Auf- und Ab-
ſchreiten an. Es ſchien ihm ſo verkehrt, daß er jetzt
nach ihr ſuchen ſollte, anſtatt daß ſie zu ihm kam. Sie
wiederzufinden fern von dem Haus, das er für ſie ge-
[Spaltenumbruch] baut, würde freilich ganz anders ſein, als wie er es
ſtets erträumt hatte. — Er wanderte hin und her
und warf immer von neuem einen Blick hinunter
auf die alte Mühle drüben an der Felswand. Friedlich
übergoß der Mond ſie mit ſeinen weißen Strahlen und
dämpfte das Blinken der Lichter in den Fenſtern; aber
das rohe Singen und Lachen, welches bis zu ihm her-
über drang, berührte ſeine ſonſt eben nicht verwöhnten
Ohren wie ein widriger Mißklang. Raſtlos ſchritt er
vor dem dichten Walde auf und ab. Plötzlich blieb er
ſtehen und horchte.

Kein anderes Ohr als ein an die Einſamkeit der
Berge gewöhntes würde etwas vernommen haben. Aber,
vertraut mit all den unzähligen Geräuſchen, die die
Stille des Waldes unterbrechen, ſtutzte Collinſon jetzt
doch bei einem ſich wiederholenden Ton, der keinem der
übrigen Laute glich. Es kam ihm vor wie ein ge-
dämpftes, in ungleichen Pauſen ſich erneuerndes Pochen,
das immer, wenn es wieder vernehmbar wurde, denſelben
regelmäßigen Takt beibehielt. Er erkannte es als den
leichten Galopp eines Pferdes. Die Pauſen entſtanden
jedenfalls durch die ſtellenweiſe den Weg bedeckenden
Blätter. Die mitunter veränderte Gangart des Pferdes
konnte man wohl dem Geſtrüpp und anderen Hinder-
niſſen zuſchreiben. Augenſcheinlich verfolgte der Reiter
den geheimen Pfad, der ihm, Collinſon, zur Be-
wachung übertragen war. Nach dem öfteren
Richtungswechſel, den der Klang der Hufe ver-
riet, hatte der Reiter offenbar große Schwierigkeit, ſich
in dem Gewirr zurechtzufinden. Trotzdem zeugten aber
die immer wieder beſchleunigt erklingenden Hufſchläge von
Eile und Entſchloſſenheit.

Collinſon machte ſich ſchußfertig und unterſuchte ſein
Zündhütchen. Als der Ton näher kam, trat er hinter
eine junge Sproſſenfichte am Rande des Dickichts. Das
Haus zu alarmieren oder die anderen Poſten heran-
zurufen erſchien ihm unnötig. War es doch nur ein
einziger Reiter und mit dem würde er allein fertig. Er
wartete ruhig und mit ſeiner gewöhnlichen Geduld, aber
[Spaltenumbruch] ſogar in dieſem Augenblick ſchweiften ſeine Gedanken zu
ſeiner Frau zurück.

Der Reiter kam jetzt dicht heran. Die Büſche teilten
ſich. Staunen und Verwunderung erfaßten Collinſon —
auf ſchweißtriefendem, aber nochmutigem Pferd kam ein
Weib zum Vorſchein. — Halt! rief er vortretend.

Das Pferd prallte zur Seite und warf die Reiterin
beinahe ab. Collinſon ſprang herzu und ergriff die Zügel.
Die Frau hob mechaniſch die Peitſche, hielt ſie aber zit-
ternd in der Luft, als ſie in dem vergeblichen Beſtreben,
ihren verlorenen Sieg wiederzugewinnen, haltlos aus dem
Sattel glitt. Sie wäre gefallen, doch Collinſon, ſchnell
zur Hand, umfaßte ſie mit kräftigem Griff und ließ ſie
auf den Boden nieder. Ein Aufſchrei entfuhr ihr.

Collinſon ſtand wie vom Schlage getroffen!

Sadie! keuchte er.

Seth! zitterte es tonlos von ihren Lippen.

Wie betäubt ſtarrten ſie einander an. Aber Collinſon
fand raſch ſeine Faſſung wieder. Der Mann von ein-
facher Geradheit und ohne Arg ſah nichts, als daß ſein
Weib vor ihm ſtand — etwas atemlos, etwas verwirrt
und vom ſchnellen Ritt zerzauſt, ſo, wie er ſie auch
früher manchmal geſehen hatte, im übrigen aber unver-
ändert. Auch er war unverändert, er nahm ſie auf, wie er
ſie verlaſſen hatte. Sein ernſtes Geſicht verzog ſich zu einem
Lächeln und ſtrahlte in lang entbehrtem Glück, als er
ihre beiden Hände in den ſeinen hielt.

Hab’ ich Dich endlich wieder! O mein Gott! Und
noch eben erſt dacht’ ich, morgen Dich ſuchen zu gehen,
Sadie!

Sie blickte ſcheu umher. Mich — mich ſuchen?
ſtammelte ſie ungläubig.

Ja freilich; ſieh doch, ich wollt’ nüber nach dem
Kloſter, um dort nach dir zu fragen.

Im Kloſter? wiederholte ſie mit Schreck und
Verwunderung.

(Fortſetzung folgt.)

[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 8 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[1/0001] Preis 8 h Redaktion: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 18082. Verwaltung: VIII. Strozzig. 42. Telephon: 13870. Druckerei: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 22641. Stadtexpedition I. Wollzeile 11. Zeitungsbureau H. Goldſchmied. Blattbeſtellungen übernimmt auch J. Heindl, I. Stefansplatz 7. Das Blatt erſcheint täglich ein- mal (als Morgenausgabe). Montag erfolgt die Ausgabe um 2 Uhr nachmittags. Mittagsblatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien und Auswärts (ſamt Zuſtellung): ganzjährig .......... 32 K vierteljährig ........ 8 K monatlich ....... 2 K 75 h Für Deutſchland: vierteljährig ....... 12 K. Länder des Weltpoſtvereines: vierteljährig ........ 16 K. Inſerate werden in der Verwaltung der „Reichspoſt“, VIII. Strozzigaſſe 42, ſowie in allen Annoncenbureaus des In- und Auslandes angenommen. XV. Jahrgang. Wien, Montag, den 11. Mai 1908. Nr. 130. Der Streik gegen das Studium. Wien, am 11. Mai. Morgen oder übermorgen ſoll der Streik der frei- ſinnigen Studenten an allen öſterreichiſchen Univerſitäten beginnen, das heißt, es ſoll zur Einſtellung jeder Tätigkeit an den Univerſitäten gebracht werden und wo dies nicht ſofort erreicht wird, dort wird, wie die Fichtegäßnerin, die ſonſt ſo beredte Verkünderin der feinen Lebensart und der Ziviliſation, triumphierend vorausſieht, die freiſinnige Studentenſchaft die einzelnen Kollegien durch Demonſtrationen ſo lange ſtören, bis der betreffende Profeſſor die Vorleſung abbricht. Man rechne damit, daß die Univerſitäten ſofort beim erſten Anſturm geſperrt werden, ſchon deshalb, weil ja im gegenteiligen Falle ſcharfe Zuſammen- ſtöße mit den „klerikalen“ Studenten unvermeidlich wären und offene Raufereien zu verhindern, liege vor allem auch im Intereſſe der maßgebenden Univerſitäts- behörden. Der Streik ſoll Herrn Profeſſor Wahrmund unter den Schutz der freiſinnigen Studentenſchaft ſtellen und ihn gegen alles ſchützen, was einer Maßregelung dieſes Mannes ähnlich ſähe. — Die Entfernung Profeſſor Wahrmunds iſt heute zwar von allen erwachſenen Leuten von Bildung und Geſchmack als unerläßlich angeſehen worden und gerade aus dem deutſchnationalen Lager haben ſich in der letzten Zeit die offenen, vorbehaltloſen Ablehnungen Wahrmunds in großer Zahl eingeſtellt, aber die Herren deutſchfreiſinnigen Studenten haben eine andere Meinung und ſo gehen ſie unter dem Beifall der Wiener jüdiſchen Preſſe daran, dieſe Meinung der ganzen Oeffentlichkeit zu diktieren. Darin, daß ſich auch die tſchechiſchen Studenten der Maſarykſchule dieſem jugendlichen Erpreſſungsverſuche angeſchloſſen haben, findet die „Neue Freie Preſſe“ eine „impoſante Erſcheinung, wie ſie vielleicht noch nie erlebt worden iſt und deren Be- deutung in die Augen ſtechen muß“. Es iſt wirklich ſehr impoſant, wenn an unſeren Hochſchulen die Univerſitätsprofeſſoren — freiſinnige Männer von der erprobten Geſinnung eines v. Scala und ſeiner Inns- brucker Freunde! — zu Nullen werden und nichts mehr zu reden haben, wenn die Regierung und die Volksver- tretung gehorſam die Obhut der ihnen anvertrauten Intereſſen abzutreten haben und die liebe Jugend die Zügel der Staatsführung ergreifen und diktieren möchte, was ſie für freiſinnig, fortſchrittlich und zur Verteidigung der Wiſſenſchaft für notwendig hält! Die Art, wie bei uns ſtudentiſche Parteien in wichtige Fragen des öffentlichen Lebens hineinſprechen dürfen, war ſeit langem eine beſchämende. Mehr als einmal wurden durch irgend einen Univerſitätsſkandal, der mitunter den nichtigſten Anläſſen entſprungen war, politiſche Arbeiten erſten Ranges vereitelt. Nun iſt man mit dieſem Syſteme, daß man für den Staat die Obervormundſchaft der Minderjährigen anerkannte, ſo weit gekommen, daß einer Univerſität mit Gewalt ein Mann aufgehalſt werden ſoll, der ſich wiſſen- ſchaftlich ſchwer kompromittiert und die Sitten der An- ſtändigkeit gröblich verletzt hat, ein Mann, für deſſen Ent- fernung ſofort in einer Volksabſtimmung Millionen von Stimmen aufzubringen ſind und den auch in Erkenntnis der Tatſachen die freiſinnigen Profeſſoren und Abgeordneten fallen gelaſſen haben. Dieſer Verſuch gewiſſer gewalttätiger Fraktionen der Studentenſchaft, ſich ſelbſt das Recht der Berufung an die Univerſitäten anzueignen und geſtützt auf die Herrſchaft des Prügels dem Staate zu kommandieren, muß das Maß der Geduld, mit dem man bisher die Univerſitäts- angelegenheiten behandelt hat, überfließen machen. Es gibt ausreichend Mittel, um dieſer traurigen Abirrung einzelner Teile der ſtudierenden Jugend zu be- gegnen: Man ſperre ruhig die Univerſitäten, ſtelle in den Dekanaten feſt, wer ſich aktiv und freiwillig an dem Streik beteiligt, ſtreiche dieſen das jetzige Sommerſemeſter und ändere die Handhabung des Vereinsweſens an unſeren Univerſitäten, indem man die Verantwortlichkeit der akade- miſchen Vereine erhöhe und damit eine Handhabe ſchaffe, die Anſtifter derartiger Bewegungen zu treffen. Die rück- ſichtsloſe Auflöſung der ſchuldigen Korporationen und die Beſtrafung ihrer Leitungen wird bald die Ordnung wieder- herſtellen. Es ſteht diesmal wirklich viel in Frage: Ob in Oeſterreich vor aller Welt Regierung und Parlament zu- gunſten einer Schar gewalttätiger junger Herren abdanken wollen oder nicht. Zur Wahrmundaffäre erfährt die „Salzburger Chronik“ aus beſter Quelle folgende Einzelheiten: Das Unterrichtsminiſterium will demnächſt die außer- ordentlichen Profeſſoren an der Czernowitzer Univerſität Dr. Kogler und Dr. Robert Mayer zu ordentlichen Pro- feſſoren ernennen. Profeſſor Robert Mayer ſollte bekanntlich nach Innsbruck kommen und war vom Senate der Czerno- witzer Univerſität ſelbſt dahin empfohlen worden. Als man aber in Innsbruck hörte, Profeſſor Robert Mayer ſei katho- liſcher Geſinnung, da legten die „freiheitlichen“ Clique-Pro- feſſoren Verwahrung gegen deſſen Berufung ein und ihre ſtudentiſchen Nachbeter drohten mit Demonſtrationen. Die Berufung unterblieb. Das ſcheint jetzt Unterrichtsminiſter Marchet einigermaßen gut machen zu wollen. Was aber ge- ſchieht mit Wahrmund, deſſen Rückkehr auf die Inns- brucker Lehrkanzel ausgeſchloſſen iſt? Die Regierung plant, ihn nach — — — Graz zu berufen, wohl in der berechtigten Vorausſicht, daß Wahrmund zu ſeinen dortigen Kollegen aufs beſte paſſen wird. Wenn das Unterrichtsminiſterium dieſen Plan durchführt, ſo wird das katholiſche Volk Steiermarks auch ein Wort dreinreden. Freilich iſt noch ſehr die Frage, ob die Grazer Profeſſoren, die an ihrer Hochſchule Zündſtoff in Maſſen lagern haben, der jeden Augenblick explodieren kann, Luſt haben werden, dieſen durch einen Wahrmund noch zu ver- mehren. Politiſche Rundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, 11. Mai. Die Beeidigung des deutſchen Landsmann- miniſters. Der Kaiſer wird, wie wir erfahren, Donnerstag den 14. d., vormittags vor Beginn der all- gemeinen Audienzen den neuernannten Miniſter Geheimen Rat Heinrich Prade beeidigen. Die Sprachenkonflikte. Wie die „Deutſche Wehr“ meldet, wurde kürzlich einem deutſchen Advokaten in einer Strafſache vom Troppauer Landesgerichte als Berufungsgericht ein tſchechiſcher Beſcheid zugeſtellt, in welchem über Rekurs des Gegners der von dem Advokaten vertretenen Partei ein ihm in erſter Inſtanz auferlegter Koſtenerſatz als nicht gerechtfertigt erklärt wird. Die Beſchlußausfertigung iſt vom Oberlandes- gerichtsrate Hruby unterſchrieben. Die „Narodni Liſty“ melden: Vor kurzem hat das Bezirksgericht in Petſchau eine Entſcheidung über die Tagfahrt zur Zeugeneinvernahme in dem durchgeführten Prozeſſe be- treffend eine Wohnungskündigung an das Bezirksgericht Deutſchrod in deutſcher Sprache erlaſſen. Da- gegen haben zwei tſchechiſche Advokaten in Deutſchbrod den Rekurs an das Egerer Kreisgericht er- hoben, den Landesgerichtsrat Johann Augſten 38. Folge. Nachdruck verboten. Die Sierramühle. Von Bret Harte. Er ſtieg leichtfüßig auf einen breiten, überhängenden Felsblock und winkte mit der Hand. Nehmen Sie ſich in acht! rief Collinſon erſchrocken. Dieſe Felſen ſind mächtig kitzlich, und der gerade ganz beſonders. Eine einzige kleine Berührung bringt ſie manchmal zum Kippen. Chivers ſprang eilig herunter, winkte noch einmal und verſchwand in der Richtung nach dem Hauſe. Aber Collinſon fühlte ſich nicht mehr einſam. Bisher hatten ſeine Träumereien der Vergangenheit gegolten; es waren Erinnerungen, die allein das Gedächtnis wachrief, bei denen die Hoffnung aber nur ſehr wenig Raum fand. Unter dem Zauber von Chivers Worten begann nunmehr ſeine Phantaſie ſich zu regen. Er dachte daran, wie ſeine Frau wohl jetzt ausſehen, wie es ihr ergehen mochte — vielleicht war ſie krank, irrte verzweifelnd umher, wohl gar in Lumpen und mit wunden Füßen; oder hatte ſie ſich — wenn ſie ihn für tot hielt — ebenſo geduldig in ihr Geſchick ergeben wie er ſeit der Nachricht von ihrem Tode in das ſeine? Das Bild, welches ihm hiebei vorſchwebte, war aber nicht ſeine alte Sadie, nein, die hatte ganz anders ausgeſehen. Eine leiſe Furcht, ein Schatten von Zweifel durchzitterte zum erſtenmal ſein ſtarkes Herz und traf es mit eiſiger Kälte. Er ſchulterte ſeine Waffe und ſchritt raſch nach dem Rande des Waldes. Die Düfte des Lorbeers und der Sproſſenfichte, welche der Sonnenſchein des langen Tages durchglüht hatte, wehten ihm noch warm entgegen. — Merkwürdig, was es doch hier für wunder- bar ſchnell wechſelnde Temperaturveränderungen gab! Bald heiß, bald kalt wehte es ihm beim Auf- und Ab- ſchreiten an. Es ſchien ihm ſo verkehrt, daß er jetzt nach ihr ſuchen ſollte, anſtatt daß ſie zu ihm kam. Sie wiederzufinden fern von dem Haus, das er für ſie ge- baut, würde freilich ganz anders ſein, als wie er es ſtets erträumt hatte. — Er wanderte hin und her und warf immer von neuem einen Blick hinunter auf die alte Mühle drüben an der Felswand. Friedlich übergoß der Mond ſie mit ſeinen weißen Strahlen und dämpfte das Blinken der Lichter in den Fenſtern; aber das rohe Singen und Lachen, welches bis zu ihm her- über drang, berührte ſeine ſonſt eben nicht verwöhnten Ohren wie ein widriger Mißklang. Raſtlos ſchritt er vor dem dichten Walde auf und ab. Plötzlich blieb er ſtehen und horchte. Kein anderes Ohr als ein an die Einſamkeit der Berge gewöhntes würde etwas vernommen haben. Aber, vertraut mit all den unzähligen Geräuſchen, die die Stille des Waldes unterbrechen, ſtutzte Collinſon jetzt doch bei einem ſich wiederholenden Ton, der keinem der übrigen Laute glich. Es kam ihm vor wie ein ge- dämpftes, in ungleichen Pauſen ſich erneuerndes Pochen, das immer, wenn es wieder vernehmbar wurde, denſelben regelmäßigen Takt beibehielt. Er erkannte es als den leichten Galopp eines Pferdes. Die Pauſen entſtanden jedenfalls durch die ſtellenweiſe den Weg bedeckenden Blätter. Die mitunter veränderte Gangart des Pferdes konnte man wohl dem Geſtrüpp und anderen Hinder- niſſen zuſchreiben. Augenſcheinlich verfolgte der Reiter den geheimen Pfad, der ihm, Collinſon, zur Be- wachung übertragen war. Nach dem öfteren Richtungswechſel, den der Klang der Hufe ver- riet, hatte der Reiter offenbar große Schwierigkeit, ſich in dem Gewirr zurechtzufinden. Trotzdem zeugten aber die immer wieder beſchleunigt erklingenden Hufſchläge von Eile und Entſchloſſenheit. Collinſon machte ſich ſchußfertig und unterſuchte ſein Zündhütchen. Als der Ton näher kam, trat er hinter eine junge Sproſſenfichte am Rande des Dickichts. Das Haus zu alarmieren oder die anderen Poſten heran- zurufen erſchien ihm unnötig. War es doch nur ein einziger Reiter und mit dem würde er allein fertig. Er wartete ruhig und mit ſeiner gewöhnlichen Geduld, aber ſogar in dieſem Augenblick ſchweiften ſeine Gedanken zu ſeiner Frau zurück. Der Reiter kam jetzt dicht heran. Die Büſche teilten ſich. Staunen und Verwunderung erfaßten Collinſon — auf ſchweißtriefendem, aber nochmutigem Pferd kam ein Weib zum Vorſchein. — Halt! rief er vortretend. Das Pferd prallte zur Seite und warf die Reiterin beinahe ab. Collinſon ſprang herzu und ergriff die Zügel. Die Frau hob mechaniſch die Peitſche, hielt ſie aber zit- ternd in der Luft, als ſie in dem vergeblichen Beſtreben, ihren verlorenen Sieg wiederzugewinnen, haltlos aus dem Sattel glitt. Sie wäre gefallen, doch Collinſon, ſchnell zur Hand, umfaßte ſie mit kräftigem Griff und ließ ſie auf den Boden nieder. Ein Aufſchrei entfuhr ihr. Collinſon ſtand wie vom Schlage getroffen! Sadie! keuchte er. Seth! zitterte es tonlos von ihren Lippen. Wie betäubt ſtarrten ſie einander an. Aber Collinſon fand raſch ſeine Faſſung wieder. Der Mann von ein- facher Geradheit und ohne Arg ſah nichts, als daß ſein Weib vor ihm ſtand — etwas atemlos, etwas verwirrt und vom ſchnellen Ritt zerzauſt, ſo, wie er ſie auch früher manchmal geſehen hatte, im übrigen aber unver- ändert. Auch er war unverändert, er nahm ſie auf, wie er ſie verlaſſen hatte. Sein ernſtes Geſicht verzog ſich zu einem Lächeln und ſtrahlte in lang entbehrtem Glück, als er ihre beiden Hände in den ſeinen hielt. Hab’ ich Dich endlich wieder! O mein Gott! Und noch eben erſt dacht’ ich, morgen Dich ſuchen zu gehen, Sadie! Sie blickte ſcheu umher. Mich — mich ſuchen? ſtammelte ſie ungläubig. Ja freilich; ſieh doch, ich wollt’ nüber nach dem Kloſter, um dort nach dir zu fragen. Im Kloſter? wiederholte ſie mit Schreck und Verwunderung. (Fortſetzung folgt.) [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 8 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 130, Wien, 11.05.1908, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost130_1908/1>, abgerufen am 16.04.2024.