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Reichspost. Nr. 41, Wien, 11.02.1896.

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41 Wien, Dienstag Reichspost 11. Februar 1896

[Spaltenumbruch] erklärt: "Ich will mich nicht über die Bilderverkäufe
selbst äußern. Nach dieser Richtung wird der Minister
für Cultus und Unterricht die nöthigen Aufklärungen
bieten. Ich will mich nur mit den sachlichen Bemer-
kungen befassen, die Abg. Graf Apponyi bezüglich der
parlamentarischen Controle gethan hat. Die Reihenfolge
der Thatsachen, die Abg. Graf Apponyi angeführt hat,
entspricht der Wahrheit, (!) doch läßt sich meiner An-
sicht nach daraus nicht folgern, daß die Regierung dem
Controlrechte des Hauses ausweichen wollte." (Redner
spricht fort.)




Ausland.

Die Londoner "Daily Chronicle" brachte
jüngst eine bemerkenswerthe Nachricht über eine
bevorstehende Wendung in der macedonischen
Bewegung,
für deren Richtigkeit indeß das Blatt
allein bürgen muß. Die Nachricht besagt, daß die
macedonischen Comites in Serbien, Bulgarien und
Griechenland ihre Vorbereitungen für die Wieder-
erweckung des Aufstandes in Macedonien im Früh-
jahre auf einen Wink aus Rußland cingestellt
haben. Die russischen Botschafter in Wien und
Constantinopel hätten angeblich das bulgarische
Central-Comite gewarnt, irgend etwas zu unter-
nehmen, was den Frieden in der europäischen
Türkei stören könnte. Der Sultan habe überdies
Serbien, Bulgarien und Griechenland versichert,
er werde den Wünschen aller macedonischen Natio-
nalitäten willfahren.

Ministerpräsident Bourgeois ist in
einen heftigen Streit mit dem Senate verwickelt,
und zwar über den Antrag Trarieux, welcher
den Arbeitern der Staatseisenbahnen und Staats-
fabriken die Freiheit zu streiken verwehren wollte.
Bourgeois und Kriegsminister Cavaignac
bekämpften den Antrag, der trotzdem vom Senate
mit 159 gegen 82 Stimmen angenommen wurde.
Das war eine entschiedene Niederlage der Re-
gierung und natürlich der Anlaß für die gesammte
radicale Presse auf den Senat loszuschlagen, seine
Abschaffung zu begehren. Ob nun Herr Bourgeois
sich von seinen journalistischen Freunden zu einem
Kampfe mit dem Senate hinreißen lassen wird, ist
sehr fraglich, der Besitz der Macht hat seinen ganz
eigenartigen Reiz, und Bourgeois wäre kein
Franzose, wenn er sich so leichthin von diesem
Reize würde trennen können. Eine weitere Nieder-
lage wird das Cabinet sich im Senate holen bei
Berathung der Regierungsvorlage des Handels-
ministers Mesureur, nach welcher "jede Be-
hinderung der freien Ausübung der Rechte der
Arbeitergenossenschaften" mit Gefängniß bestraft
wird. Hierin erblicken die Senatoren -- und
wohl nicht ganz ohne Recht -- eine Vergewalti-
gung der Fabriksbesitzer und Arbeitgeber durch
die Syndicate, und deshalb werden sie den Antrag
auch ablehnen.




Aus den Landtagen.
Niederösterreich.

In fortgesetzter Debatte über das Armengesetz
bespricht Abg. Dr. Ofner die Wirkungen des Armen-
gesetzes für die Stadt St. Pölten. Die Stadt habe dem
Bezirksarmenfonds ein Armenvermögen im Werthe von
137.000 fl. übergeben. Mit diesem Vermögen und mit den
Spenden, die früher reichlich geflossen, seit Einführung
des neuen Armengesetzes aber versiegt sind, wurde das Aus-
langen gefunden, so daß keine besondere Umlage für die
Armenzwecke eingehoben zu werden brauchte. Jetzt müsse
das Gemeindegebiet St. Pölten eine 10%ige Armenumlage
im Betrage von 9500 fl. leisten, und die Armenpflege sei
keine bessere geworden. Redner stellt schließlich mehrere
Anträge, dahingehend, daß die die Steuerträger zu sehr be-
lastenden Bestimmungen dieses Gesetzes abgeändert und ins-
besondere kleinere, den Gemeindegebieten sich mehr an-
nähernde Armenbezirke geschaffen werden, daß Er-
leichterungen bei der Ausfertigung der Licenzgebühren platz-
greifen sollen und die Erlässe bezüglich der Controle
der Landbürgermeister durch die Gendarmerie aufgehoben
werden.

Abg. Josef Baumann beantragt, die Regierung auf-
zufordern, baldigst einen G[e]setzentwurf einzubringen, durch
welchen die Altersversorgung der bei der Industrie und den
Eisenbahnen beschäftigten Arbeiter obligatorisch eingeführt
wird; den Landesausschuß zu beauftragen, zu erheben, wie
viele verwaiste und verlassene Kinder im Lande auf öffent-
liche Kosten versorgt werden müssen und das aus Anlaß
des Regierungs-Jubiläums des Kaisers zu errichtende
Kinderheim dieser Ziffer entsprechend zu erweitern; weiters
den Landesausschuß zu beauftragen, bei Armenangelegen-
heiten einen solchen Geschäftsgang einzuführen, daß die Ab-
wicklung einer jeden Angelegenheit rascher und ohne Viel-
schreiberei stattfinden ka[n]n. Für den Fall der Ablehnung
dieser Anträge stellt Redner einen Eventualantrag auf
Abänderung des Armengesetzes in der Richtung, daß
das Erträgniß einer ausgiebiegen Börsen- und Luxus-
steuer
für die A[r]menversorgung herangezogen werde.

Abg. Faber bemerkt, seine Einwendungen richten sich
gegen die Größe der Armenbezirke, welche dem Obmanne
auf dem flachen Lande die Controle sehr erschweren und
ihn mit Geschäften überbürden.

Abg. Steiner bemerkt, man dürfe nur die Worte
Jagdgesetz und Armengesetz in den Mund nehmen, so geht
[Spaltenumbruch] ein Sturm der Entrüstung durch die Landbevölkerung. Die
Majorität hat sich mit der Schaffung von Gesetzen schon
gründlich blamirt, so beim Wiener Statut, beim Thier-
seuchengesetz, beim Armengesetz, welche alle schlecht sind. Die
falsche Scham nützt nichts, diese Gesetze müssen geändert
werden. Denjenigen Pflegern und Armencommissionen,
welche ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, ist der Dank
auszusprechen; denjenigen aber, welche gewissenlos ihres
Amtes gewaltet haben, kann man ihn nicht aussprechen. So
wurde in Tulln constatirt, daß ein Pfleger einem angeblich
Armen eine Pfründe zuweisen ließ, welcher ein paar fette
Schweine und Grundstücke sein Eigenthum nannte. Im Be-
zirke St. Pölten beschäftigt ein Großgrundbesitzer schon
jahrelang ständig eine Anzahl von Arbeitern. Dieselben sind
allerdings in vorgerücktem Alter, aber unbekümmert darum
bezahlt dieser Großgrundbesitzer ihnen die Löhne weiter. Die
Betreffenden haben um eine Pfründe angesucht und sie be-
kommen. In der Wiener Bevölkerung sei die stille, wahre,
herzliche Humanität noch vorhanden. Redner sei daher durch
den Passus in der gestrigen Arbeiterzeitung verletzt worden:
"Das ganze wienerische Protzenthum des verstockten dummen
Kerls von Wien drückt sich in der Thatsache aus, daß das
goldene Wiener Herz das Schäbigste ist, was es gibt." --
Speciell der Berichterstatter Dumba, einer der wenigen
Männer mit dem wahrhaft goldenen Wiener Herzen, möge
vielleicht die Güte haben, darauf zu reflectiren, wenn die
Wiener in so unerhörter Weise beleidigt werden. (Rufe: Es
hat's ja ein Jude geschrieben.) Von Denjenigen, welche die
Humanität in der Stille üben, müsse mit Bedauern con-
statirt werden, daß es durchwegs Christen sind. Wenn die
Großcapitalisten Geld hergeben, verlangen sie, daß es ver-
öffentlicht werde. Das ist keine christliche Humanität. Redner
hebt hervor, daß vor allem eine Aenderung des Hei-
matsgesetzes
und eine allgemeine Al-
ters- und Invaliden-Versorgung

seitens des Staates eintreten müsse, und unterstützt schließlich
den Antrag Ofner, indem er bemerkt, es würden bei den
zukünftigen Wahlen das Armengesetz und das
Jagdgesetz eines der wichtigsten Kampfmittel
sein.

Abg. Jax meint, das beste Armengesetz wäre die
Schaffung einer ordentlichen Socialreform, durch
welche der Armuth entgegengewirkt würde, indem man
Jedem Arbeit verschafft. Im gegenwärtigen Armengesetze
müssen bedeutende Mängel vorhanden sein, sonst wäre die
Mißstimmung gegen dasselbe in der Bevölkerung nicht er-
klärlich. Redner beleuchtet sodann die Mängel des Gesetzes
und bespricht hiebei auch die Verhältnisse in der Stadt-
gemeinde Waidhofen. Ein Director Rothschild's sei der
Dictator von Waidhofen und der Bürgermeister von Waid-
hofen sei der Rechtsvertreter des Rothschild. Bei den herr-
schenden Verhältnissen müsse man sich in Waidhofen fragen,
ob man noch unter österreichischen Gesetzen stehe oder der
orientalischen Herrschaft schon total verfallen sei. Der Bürger-
meister und Stadtrath sollten wegen Mißbrauch der Amts-
gewalt in Untersuchung gezogen und verurtheilt werden.
Was die Armengesetzgebung betreffe, so sei der Hauptvortheil,
der bisher geschaffen wurde, der, daß dadurch eine
Hebung der Papierfabrication in Oesterreich hervorgerufen
wurde. (Heiterkeit.) Redner plaidirt dafür, daß man statt
der Bezirksarmenräthe Armenispectoren schaffen solle, welche
die Controle zu führen hätten, und tritt dafür ein, daß
man auf die Pfarrarmeninstitute, und zwar in verbesserter
Form wieder zurückkommen solle. Dann werde die Privat-
wohlthätigkeit auch wieder größer werden. Schließlich befür-
wortet Redner die Errichtung von Idioten- und Siechen-
anstalten und erklärt, für die Anträge des Abg. Ofner
stimmen zu wollen.

Abg. Rigler klagt darüber, daß auch die Lasten des
Armengesetzes, wie so viele andere, nicht auf die Reichen,
sondern auf den Mittelstand gewälzt werden, und schließt
sich dem Antrag des Abg. Ofner an.

Abg. Oberndorser meint, Dr. Kvpp sei als Vater
des Armengesetzes verpflichtet, wenn das Kind auch ver-
wahrlost und ungeberdig ist, es zu retten und müsse suchen,
es in eine Versorgungsanstalt für verwahrloste Kinder unter-
zubringen. (Heiterkeit.) Auf seine Wähler hat sich der Abg.
Dr. Kopp nicht berufen. Redner führt aus, daß die Auf-
hebung des Gesetzes von allen Seiten verlangt werde, nicht
nur von Bauern, sondern auch von den gebildetsten Kreisen,
von Liberalen wie von Conservativen. Der Bericht des
Landesausschusses sollte wahrheitsgetreu sein. Die Zahl der
Armen ist in Wirklichkeit heute schon eine viel größere. Da
die Ausführungen des Abg. Dr. Kopp den Redner nicht
befriedigt haben, es auch nicht den Anschein habe, als ob
der Landesausschuß auf durchgreifende Aenderungen eingehen
wollte, stellt er den Antrag: das Gesetz vom 13. October
1893 wird aufgehoben.

Abg. Vergani führt aus, das Armengesetz könnte dann
aufgehoben werden, wenn der Staat an die Einführung
einer Alters- und Invaliditätsversorgung schreiten würde.
Wenn jemand von seinem 14. Lebensjahre angefangen einen
geringen Betrag in den. Alters- und Invaliditätsversorgungs-
fond einzuzahlen hätte, und er dann im Falle der Erwerbs-
unfähigkeit eine gewisse Rente bis zu seinem Tode bezieht,
so wäre das kein Almosen mehr; es würden mit einem
Schlage die Armen und Bettler verschwinden und ein
Armengesetz wäre nicht mehr nothwendig. Ein großer
Fehler war, daß Land und Stadt durcheinander geworfen
wurde. Auf dem Lande kann man sich nichts Schöneres
vorstellen, als daß die Armenerhaltung wieder den Gemeinden
überlassen und vom Pfarrer geleitet werde. Das ganze
muß einen patriarchalischen Anstrich bekommen.
Redner tritt für das geschlossene Armenwesen ein. Er unter-
stützt den Antrag Ofner, empfiehlt die Anträge des Abg.
Oberndorfer gleichfalls zur Berücksichtigung und stellt
folgenden Resolutionsantrag: Die Regierung wird auf-
gefordert, in der allernächsten Zeit ein allgemeines Alters-
versorgungs- und Invaliditätsgesetz dem Reichsrathe vor-
zulegen.

Abg. Dr. Kopp constatirt, daß die höchste Umlage, die
aber nicht ausgeschrieben, sondern nur ausgerechnet wurde,
in einem Bezirke 38% betrage, 21 Bezirke zahlen nicht
einmal 38%.

Berichterstatter Dumba: Die Debatte war im Allge-
meinen eine lehrreiche, die Erfahrungen, die aus der Be-
völkerung heraus zu uns kommen, müssen ein Fingerzeig
dafür sein, wo Abänderungen zu schaffen sind. Viele von
den gewünschten Verbesserungen sind aber im rein admini-
strativen Wege herbeizuführen. Daß in der Bevölkerung
[Spaltenumbruch] Unzufriedenheit über das Gesetz herrscht, daran ist kein
Zweifel. Ein Gesetz, welches der Bevölkerung Lasten auf-
erlegt, ist nie populär. Die Abg. müssen aber bestrebt sein,
wenn an einem Gesetz etwas gutes ist, der Bevölkerung
begreiflich zu machen, daß sie diese Opfer bringen muß.
Gerade die kleineren Gemeinden waren es, welche immerfort
um ein Armengesetz gebeten haben; sie hatten ungeheuere
Umlagen für die Armenversorgung und konnten für das
Armenwesen trotzdem nicht in menschenwürdiger Weise
sorgen. Wenn jetzt die Bezirksumlage kommt, einzelne Ge-
meinden aber jene Umlagen, die sie für die Armenver-
sorgung hatten, für andere Zwecke beibehalten, dann
empfindet die Bevölkerung nur, daß sie mehr zahlen muß,
und die Mißstimmung ist begreiflich.

Redner bemerkt, die vom Abg. Oberndorfer
gewünschte Aufhebung des Armengesetzes würde ein Chaos
schaffen; aber auch für die Abänderung des Gesetzes sei
heute der Moment noch nicht gekommen. Man möge dieselbe
dem neuen Landtage und dem neuen Landesausschusse über-
lassen, welche bereits über genügende Erfahrungen werden
verfügen können, alle im Laufe der Debatte gestellten An-
träge aber dem Landesausschusse zu überweisen. (Beifall.)

Bei der Abstimmung wird der Antrag Oberndorfer
abgelehnt, die Ausschußanträge werden angenommen, alle
übrigen im Laufe der Debatte gestellten Anträge dem Landes-
ausschusse zugewiesen.

Abg. Boschan referirt sodann Namens des Verwal-
tungsausschusses über die aus Anlaß des bevorstehenden
50jährigen Regierungsjubiläums des Kaisers zu errichtende
Landes-Siechenanstalt und einer Anstalt für arme, verwaiste
und verlassene Kinder.

Bei der Abstimmung werden die Anträge ohne
Debatte einstimmig angenommen.

Landmarschall (sich erhebend): Hohes Haus! Es
gereicht mir zur besonderen Freude, enunciren zu können,
daß das hohe Haus den Antrag des Verwaltungsausschusses
einstimmig zu seinem Beschlusse erhoben hat. (Beifall. Das
Haus erhebt sich.) Die Kundgebung, welche das hohe Haus
hiemit vollzogen hat, ist ein neuerlicher Beweis der unwan-
delbaren Gefühle, welche wir gewiß Alle die erhabene Person
unseres allergnädigsten Kaisers und Herrn stets in unserem
Herzen tragen und auch stets tragen werden. (Beifall.)
Stimmen Sie daher mit mir ein in den Ruf: Se. Majestät
unser allergnädigster Kaiser und Herr Franz Joseph I. lebe
hoch, hoch, hoch! (Die Versammlung bringt ein dreimaliges
begeistertes Hoch aus.)

Die Verhandlung wird abgebrochen.




Der Landesordnungsausschuß setzte
heute seine Berathungen über die Abänderung der
Landtagswahlordnung
fort und gieng in die
Specialdebatte über die in der letzten Sitzung gefaßten prin-
cipiellen Beschlüsse ein. Bei § 7, welcher die Wahlorte in
den Landesgemeindebezirken bestimmt, beantragte Dr.
Weitlof die Wiederaufnahme der Debatte über die in
der letzten Sitzung beschlossene Bestimmung, nach welcher
jede Gemeinde mit mindestens 20 Wählern Wahlort sein
soll. -- Regierungsvertreter Statthaltereisecretär Ritter von
Wagner erklärte, daß eine Bestimmung, wonach schon
zwanzig Wähler hinreichend sein sollten, damit eine Ge-
meinde Wahlort sei, für die Regierung unan-
nehmbar sei, und das Zustandekommen
des Gesetzes
verhindern, und verwies darauf, daß
eine solche Bestimmung den wiederholt und auf das Schärfste
betonten principiellen Bedenken wiederspreche, daß eine correcte
Durchführung der Wahlen nicht möglich sein würde.
und [d]aß eine solche Bedingung der Bedeutung dieser An-
gelegenheit durchaus nicht entspreche. Die Regierung wäre
für die Erhöhung dieser Zahl von 20 auf 50. Der Antrag
auf Wiederaufnahme der Debatte wurde mit Stimmen-
gleichheit abgelehnt. Es wurde hierauf geltend
gemacht, daß es sich nicht empfehle, dem Hause einen Gesetz-
entwurf vorzulegen, von welchem keine Aussicht vorhanden
sei, daß er zur Sanction vorgelegt würde, daß daher jeden-
falls im Hauseselbst von jenen, welche die Aenderung
der Landtagswahlordnung wollen, ein diesbezüglicher Antrag
gestellt werden wird. Die übrigen Paragraphe wurden bis
zum § 31 im Sinne der früher gefaßten principiellen Be-
schlüsse angenommen.

Abendsitzung.

Abg. Boschan gibt Namens sämmtlicher Mitglieder
des Thierseuchenausschusses die Erklärung
ab, daß dieselben mit Rücksicht darauf, daß es ihnen im
Hause nicht einmal möglich war, in einer Generaldebatte
über das vom Ausschusse vorgelegte Gesetz ihre Meinung zu
äußern, ihre Mandate als Mitglieder des Ausschusses nieder-
legen.

Sodann wird die Tagesordnung fortgesetzt.

Der Antrag des Landesculturausschusses betreffend eine
Abänderung des Gesetzes über die Theilung gemeinschaftlicher
Grundstücke (Commassation) wird nach dem Referate des
Abg. Richter ohne Debatte angenommen.

Zum Antrag betreffend die Uebernahme des geometri-
schen Personales der Landescommission für agrarische Opera-
tionen in den Staatsdienst, wofür das Land den Betrag
von 40.000 fl. zu leisten hat, spricht contra Abg. Gregorig,
welcher verschiedene Mißstände, die bei den Commassationen
vorgekommen sind, anführt. Dieselben sucht zu widerlegen
Abg. Graf Gatterburg, worauf Abg. Dötz dem Abg.
Gregorig theilweise beistimmt, jedoch hervorhebt, daß
die Commassationen auch manches Gute mit sich bringen.
Sehr scharf spricht Abg. v. Pacher, der seinem Mißtrauen gegen
die von Ministern und Statthaltern geführten Geschäfte
Ausdruck verleiht. Als Redner im Verlaufe seiner Rede
die "Affaire Madeyski" bespricht und es als einen
Scandal bezeichnet daß ein Mann der sich offenkundig des
Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt
schuldig gemacht hat, in Ehre und Ansehen blieb, wird er
vom Landmarschall ermahnt den parlamentarischen Ton zu
beachten, worauf v. Pacher erwidert: "Ich bin gewohnt
den parlamentarischen Ton hochzuhalten, nicht wir sind es
die die Scandale verursachen, sondern ein Scandal ist es
daß ein Statthalter von Niederösterreich, nach dem, was ihm hier
schon gesagt wurde, noch Statthalter bleibt!" (Lebhafter
Beifall.) -- Nach dem Schlußworte des Berichterstatters
Prof. Richter werden die Ausschußanträge ange-
nommen.

Es werden hierauf noch eine Reihe kleinerer Vorlagen
erledigt, worauf die Sitzung wegen des heute Abends statt-

41 Wien, Dienſtag Reichspoſt 11. Februar 1896

[Spaltenumbruch] erklärt: „Ich will mich nicht über die Bilderverkäufe
ſelbſt äußern. Nach dieſer Richtung wird der Miniſter
für Cultus und Unterricht die nöthigen Aufklärungen
bieten. Ich will mich nur mit den ſachlichen Bemer-
kungen befaſſen, die Abg. Graf Apponyi bezüglich der
parlamentariſchen Controle gethan hat. Die Reihenfolge
der Thatſachen, die Abg. Graf Apponyi angeführt hat,
entſpricht der Wahrheit, (!) doch läßt ſich meiner An-
ſicht nach daraus nicht folgern, daß die Regierung dem
Controlrechte des Hauſes ausweichen wollte.“ (Redner
ſpricht fort.)




Ausland.

Die Londoner „Daily Chronicle“ brachte
jüngſt eine bemerkenswerthe Nachricht über eine
bevorſtehende Wendung in der macedoniſchen
Bewegung,
für deren Richtigkeit indeß das Blatt
allein bürgen muß. Die Nachricht beſagt, daß die
macedoniſchen Comites in Serbien, Bulgarien und
Griechenland ihre Vorbereitungen für die Wieder-
erweckung des Aufſtandes in Macedonien im Früh-
jahre auf einen Wink aus Rußland cingeſtellt
haben. Die ruſſiſchen Botſchafter in Wien und
Conſtantinopel hätten angeblich das bulgariſche
Central-Comite gewarnt, irgend etwas zu unter-
nehmen, was den Frieden in der europäiſchen
Türkei ſtören könnte. Der Sultan habe überdies
Serbien, Bulgarien und Griechenland verſichert,
er werde den Wünſchen aller macedoniſchen Natio-
nalitäten willfahren.

Miniſterpräſident Bourgeois iſt in
einen heftigen Streit mit dem Senate verwickelt,
und zwar über den Antrag Trarieux, welcher
den Arbeitern der Staatseiſenbahnen und Staats-
fabriken die Freiheit zu ſtreiken verwehren wollte.
Bourgeois und Kriegsminiſter Cavaignac
bekämpften den Antrag, der trotzdem vom Senate
mit 159 gegen 82 Stimmen angenommen wurde.
Das war eine entſchiedene Niederlage der Re-
gierung und natürlich der Anlaß für die geſammte
radicale Preſſe auf den Senat loszuſchlagen, ſeine
Abſchaffung zu begehren. Ob nun Herr Bourgeois
ſich von ſeinen journaliſtiſchen Freunden zu einem
Kampfe mit dem Senate hinreißen laſſen wird, iſt
ſehr fraglich, der Beſitz der Macht hat ſeinen ganz
eigenartigen Reiz, und Bourgeois wäre kein
Franzoſe, wenn er ſich ſo leichthin von dieſem
Reize würde trennen können. Eine weitere Nieder-
lage wird das Cabinet ſich im Senate holen bei
Berathung der Regierungsvorlage des Handels-
miniſters Meſureur, nach welcher „jede Be-
hinderung der freien Ausübung der Rechte der
Arbeitergenoſſenſchaften“ mit Gefängniß beſtraft
wird. Hierin erblicken die Senatoren — und
wohl nicht ganz ohne Recht — eine Vergewalti-
gung der Fabriksbeſitzer und Arbeitgeber durch
die Syndicate, und deshalb werden ſie den Antrag
auch ablehnen.




Aus den Landtagen.
Niederöſterreich.

In fortgeſetzter Debatte über das Armengeſetz
beſpricht Abg. Dr. Ofner die Wirkungen des Armen-
geſetzes für die Stadt St. Pölten. Die Stadt habe dem
Bezirksarmenfonds ein Armenvermögen im Werthe von
137.000 fl. übergeben. Mit dieſem Vermögen und mit den
Spenden, die früher reichlich gefloſſen, ſeit Einführung
des neuen Armengeſetzes aber verſiegt ſind, wurde das Aus-
langen gefunden, ſo daß keine beſondere Umlage für die
Armenzwecke eingehoben zu werden brauchte. Jetzt müſſe
das Gemeindegebiet St. Pölten eine 10%ige Armenumlage
im Betrage von 9500 fl. leiſten, und die Armenpflege ſei
keine beſſere geworden. Redner ſtellt ſchließlich mehrere
Anträge, dahingehend, daß die die Steuerträger zu ſehr be-
laſtenden Beſtimmungen dieſes Geſetzes abgeändert und ins-
beſondere kleinere, den Gemeindegebieten ſich mehr an-
nähernde Armenbezirke geſchaffen werden, daß Er-
leichterungen bei der Ausfertigung der Licenzgebühren platz-
greifen ſollen und die Erläſſe bezüglich der Controle
der Landbürgermeiſter durch die Gendarmerie aufgehoben
werden.

Abg. Joſef Baumann beantragt, die Regierung auf-
zufordern, baldigſt einen G[e]ſetzentwurf einzubringen, durch
welchen die Altersverſorgung der bei der Induſtrie und den
Eiſenbahnen beſchäftigten Arbeiter obligatoriſch eingeführt
wird; den Landesausſchuß zu beauftragen, zu erheben, wie
viele verwaiſte und verlaſſene Kinder im Lande auf öffent-
liche Koſten verſorgt werden müſſen und das aus Anlaß
des Regierungs-Jubiläums des Kaiſers zu errichtende
Kinderheim dieſer Ziffer entſprechend zu erweitern; weiters
den Landesausſchuß zu beauftragen, bei Armenangelegen-
heiten einen ſolchen Geſchäftsgang einzuführen, daß die Ab-
wicklung einer jeden Angelegenheit raſcher und ohne Viel-
ſchreiberei ſtattfinden ka[n]n. Für den Fall der Ablehnung
dieſer Anträge ſtellt Redner einen Eventualantrag auf
Abänderung des Armengeſetzes in der Richtung, daß
das Erträgniß einer ausgiebiegen Börſen- und Luxus-
ſteuer
für die A[r]menverſorgung herangezogen werde.

Abg. Faber bemerkt, ſeine Einwendungen richten ſich
gegen die Größe der Armenbezirke, welche dem Obmanne
auf dem flachen Lande die Controle ſehr erſchweren und
ihn mit Geſchäften überbürden.

Abg. Steiner bemerkt, man dürfe nur die Worte
Jagdgeſetz und Armengeſetz in den Mund nehmen, ſo geht
[Spaltenumbruch] ein Sturm der Entrüſtung durch die Landbevölkerung. Die
Majorität hat ſich mit der Schaffung von Geſetzen ſchon
gründlich blamirt, ſo beim Wiener Statut, beim Thier-
ſeuchengeſetz, beim Armengeſetz, welche alle ſchlecht ſind. Die
falſche Scham nützt nichts, dieſe Geſetze müſſen geändert
werden. Denjenigen Pflegern und Armencommiſſionen,
welche ihre Pflicht gewiſſenhaft erfüllt haben, iſt der Dank
auszuſprechen; denjenigen aber, welche gewiſſenlos ihres
Amtes gewaltet haben, kann man ihn nicht ausſprechen. So
wurde in Tulln conſtatirt, daß ein Pfleger einem angeblich
Armen eine Pfründe zuweiſen ließ, welcher ein paar fette
Schweine und Grundſtücke ſein Eigenthum nannte. Im Be-
zirke St. Pölten beſchäftigt ein Großgrundbeſitzer ſchon
jahrelang ſtändig eine Anzahl von Arbeitern. Dieſelben ſind
allerdings in vorgerücktem Alter, aber unbekümmert darum
bezahlt dieſer Großgrundbeſitzer ihnen die Löhne weiter. Die
Betreffenden haben um eine Pfründe angeſucht und ſie be-
kommen. In der Wiener Bevölkerung ſei die ſtille, wahre,
herzliche Humanität noch vorhanden. Redner ſei daher durch
den Paſſus in der geſtrigen Arbeiterzeitung verletzt worden:
„Das ganze wieneriſche Protzenthum des verſtockten dummen
Kerls von Wien drückt ſich in der Thatſache aus, daß das
goldene Wiener Herz das Schäbigſte iſt, was es gibt.“ —
Speciell der Berichterſtatter Dumba, einer der wenigen
Männer mit dem wahrhaft goldenen Wiener Herzen, möge
vielleicht die Güte haben, darauf zu reflectiren, wenn die
Wiener in ſo unerhörter Weiſe beleidigt werden. (Rufe: Es
hat’s ja ein Jude geſchrieben.) Von Denjenigen, welche die
Humanität in der Stille üben, müſſe mit Bedauern con-
ſtatirt werden, daß es durchwegs Chriſten ſind. Wenn die
Großcapitaliſten Geld hergeben, verlangen ſie, daß es ver-
öffentlicht werde. Das iſt keine chriſtliche Humanität. Redner
hebt hervor, daß vor allem eine Aenderung des Hei-
matsgeſetzes
und eine allgemeine Al-
ters- und Invaliden-Verſorgung

ſeitens des Staates eintreten müſſe, und unterſtützt ſchließlich
den Antrag Ofner, indem er bemerkt, es würden bei den
zukünftigen Wahlen das Armengeſetz und das
Jagdgeſetz eines der wichtigſten Kampfmittel
ſein.

Abg. Jax meint, das beſte Armengeſetz wäre die
Schaffung einer ordentlichen Socialreform, durch
welche der Armuth entgegengewirkt würde, indem man
Jedem Arbeit verſchafft. Im gegenwärtigen Armengeſetze
müſſen bedeutende Mängel vorhanden ſein, ſonſt wäre die
Mißſtimmung gegen dasſelbe in der Bevölkerung nicht er-
klärlich. Redner beleuchtet ſodann die Mängel des Geſetzes
und beſpricht hiebei auch die Verhältniſſe in der Stadt-
gemeinde Waidhofen. Ein Director Rothſchild’s ſei der
Dictator von Waidhofen und der Bürgermeiſter von Waid-
hofen ſei der Rechtsvertreter des Rothſchild. Bei den herr-
ſchenden Verhältniſſen müſſe man ſich in Waidhofen fragen,
ob man noch unter öſterreichiſchen Geſetzen ſtehe oder der
orientaliſchen Herrſchaft ſchon total verfallen ſei. Der Bürger-
meiſter und Stadtrath ſollten wegen Mißbrauch der Amts-
gewalt in Unterſuchung gezogen und verurtheilt werden.
Was die Armengeſetzgebung betreffe, ſo ſei der Hauptvortheil,
der bisher geſchaffen wurde, der, daß dadurch eine
Hebung der Papierfabrication in Oeſterreich hervorgerufen
wurde. (Heiterkeit.) Redner plaidirt dafür, daß man ſtatt
der Bezirksarmenräthe Armeniſpectoren ſchaffen ſolle, welche
die Controle zu führen hätten, und tritt dafür ein, daß
man auf die Pfarrarmeninſtitute, und zwar in verbeſſerter
Form wieder zurückkommen ſolle. Dann werde die Privat-
wohlthätigkeit auch wieder größer werden. Schließlich befür-
wortet Redner die Errichtung von Idioten- und Siechen-
anſtalten und erklärt, für die Anträge des Abg. Ofner
ſtimmen zu wollen.

Abg. Rigler klagt darüber, daß auch die Laſten des
Armengeſetzes, wie ſo viele andere, nicht auf die Reichen,
ſondern auf den Mittelſtand gewälzt werden, und ſchließt
ſich dem Antrag des Abg. Ofner an.

Abg. Oberndorſer meint, Dr. Kvpp ſei als Vater
des Armengeſetzes verpflichtet, wenn das Kind auch ver-
wahrloſt und ungeberdig iſt, es zu retten und müſſe ſuchen,
es in eine Verſorgungsanſtalt für verwahrloſte Kinder unter-
zubringen. (Heiterkeit.) Auf ſeine Wähler hat ſich der Abg.
Dr. Kopp nicht berufen. Redner führt aus, daß die Auf-
hebung des Geſetzes von allen Seiten verlangt werde, nicht
nur von Bauern, ſondern auch von den gebildetſten Kreiſen,
von Liberalen wie von Conſervativen. Der Bericht des
Landesausſchuſſes ſollte wahrheitsgetreu ſein. Die Zahl der
Armen iſt in Wirklichkeit heute ſchon eine viel größere. Da
die Ausführungen des Abg. Dr. Kopp den Redner nicht
befriedigt haben, es auch nicht den Anſchein habe, als ob
der Landesausſchuß auf durchgreifende Aenderungen eingehen
wollte, ſtellt er den Antrag: das Geſetz vom 13. October
1893 wird aufgehoben.

Abg. Vergani führt aus, das Armengeſetz könnte dann
aufgehoben werden, wenn der Staat an die Einführung
einer Alters- und Invaliditätsverſorgung ſchreiten würde.
Wenn jemand von ſeinem 14. Lebensjahre angefangen einen
geringen Betrag in den. Alters- und Invaliditätsverſorgungs-
fond einzuzahlen hätte, und er dann im Falle der Erwerbs-
unfähigkeit eine gewiſſe Rente bis zu ſeinem Tode bezieht,
ſo wäre das kein Almoſen mehr; es würden mit einem
Schlage die Armen und Bettler verſchwinden und ein
Armengeſetz wäre nicht mehr nothwendig. Ein großer
Fehler war, daß Land und Stadt durcheinander geworfen
wurde. Auf dem Lande kann man ſich nichts Schöneres
vorſtellen, als daß die Armenerhaltung wieder den Gemeinden
überlaſſen und vom Pfarrer geleitet werde. Das ganze
muß einen patriarchaliſchen Anſtrich bekommen.
Redner tritt für das geſchloſſene Armenweſen ein. Er unter-
ſtützt den Antrag Ofner, empfiehlt die Anträge des Abg.
Oberndorfer gleichfalls zur Berückſichtigung und ſtellt
folgenden Reſolutionsantrag: Die Regierung wird auf-
gefordert, in der allernächſten Zeit ein allgemeines Alters-
verſorgungs- und Invaliditätsgeſetz dem Reichsrathe vor-
zulegen.

Abg. Dr. Kopp conſtatirt, daß die höchſte Umlage, die
aber nicht ausgeſchrieben, ſondern nur ausgerechnet wurde,
in einem Bezirke 38% betrage, 21 Bezirke zahlen nicht
einmal 38%.

Berichterſtatter Dumba: Die Debatte war im Allge-
meinen eine lehrreiche, die Erfahrungen, die aus der Be-
völkerung heraus zu uns kommen, müſſen ein Fingerzeig
dafür ſein, wo Abänderungen zu ſchaffen ſind. Viele von
den gewünſchten Verbeſſerungen ſind aber im rein admini-
ſtrativen Wege herbeizuführen. Daß in der Bevölkerung
[Spaltenumbruch] Unzufriedenheit über das Geſetz herrſcht, daran iſt kein
Zweifel. Ein Geſetz, welches der Bevölkerung Laſten auf-
erlegt, iſt nie populär. Die Abg. müſſen aber beſtrebt ſein,
wenn an einem Geſetz etwas gutes iſt, der Bevölkerung
begreiflich zu machen, daß ſie dieſe Opfer bringen muß.
Gerade die kleineren Gemeinden waren es, welche immerfort
um ein Armengeſetz gebeten haben; ſie hatten ungeheuere
Umlagen für die Armenverſorgung und konnten für das
Armenweſen trotzdem nicht in menſchenwürdiger Weiſe
ſorgen. Wenn jetzt die Bezirksumlage kommt, einzelne Ge-
meinden aber jene Umlagen, die ſie für die Armenver-
ſorgung hatten, für andere Zwecke beibehalten, dann
empfindet die Bevölkerung nur, daß ſie mehr zahlen muß,
und die Mißſtimmung iſt begreiflich.

Redner bemerkt, die vom Abg. Oberndorfer
gewünſchte Aufhebung des Armengeſetzes würde ein Chaos
ſchaffen; aber auch für die Abänderung des Geſetzes ſei
heute der Moment noch nicht gekommen. Man möge dieſelbe
dem neuen Landtage und dem neuen Landesausſchuſſe über-
laſſen, welche bereits über genügende Erfahrungen werden
verfügen können, alle im Laufe der Debatte geſtellten An-
träge aber dem Landesausſchuſſe zu überweiſen. (Beifall.)

Bei der Abſtimmung wird der Antrag Oberndorfer
abgelehnt, die Ausſchußanträge werden angenommen, alle
übrigen im Laufe der Debatte geſtellten Anträge dem Landes-
ausſchuſſe zugewieſen.

Abg. Boſchan referirt ſodann Namens des Verwal-
tungsausſchuſſes über die aus Anlaß des bevorſtehenden
50jährigen Regierungsjubiläums des Kaiſers zu errichtende
Landes-Siechenanſtalt und einer Anſtalt für arme, verwaiſte
und verlaſſene Kinder.

Bei der Abſtimmung werden die Anträge ohne
Debatte einſtimmig angenommen.

Landmarſchall (ſich erhebend): Hohes Haus! Es
gereicht mir zur beſonderen Freude, enunciren zu können,
daß das hohe Haus den Antrag des Verwaltungsausſchuſſes
einſtimmig zu ſeinem Beſchluſſe erhoben hat. (Beifall. Das
Haus erhebt ſich.) Die Kundgebung, welche das hohe Haus
hiemit vollzogen hat, iſt ein neuerlicher Beweis der unwan-
delbaren Gefühle, welche wir gewiß Alle die erhabene Perſon
unſeres allergnädigſten Kaiſers und Herrn ſtets in unſerem
Herzen tragen und auch ſtets tragen werden. (Beifall.)
Stimmen Sie daher mit mir ein in den Ruf: Se. Majeſtät
unſer allergnädigſter Kaiſer und Herr Franz Joſeph I. lebe
hoch, hoch, hoch! (Die Verſammlung bringt ein dreimaliges
begeiſtertes Hoch aus.)

Die Verhandlung wird abgebrochen.




Der Landesordnungsausſchuß ſetzte
heute ſeine Berathungen über die Abänderung der
Landtagswahlordnung
fort und gieng in die
Specialdebatte über die in der letzten Sitzung gefaßten prin-
cipiellen Beſchlüſſe ein. Bei § 7, welcher die Wahlorte in
den Landesgemeindebezirken beſtimmt, beantragte Dr.
Weitlof die Wiederaufnahme der Debatte über die in
der letzten Sitzung beſchloſſene Beſtimmung, nach welcher
jede Gemeinde mit mindeſtens 20 Wählern Wahlort ſein
ſoll. — Regierungsvertreter Statthaltereiſecretär Ritter von
Wagner erklärte, daß eine Beſtimmung, wonach ſchon
zwanzig Wähler hinreichend ſein ſollten, damit eine Ge-
meinde Wahlort ſei, für die Regierung unan-
nehmbar ſei, und das Zuſtandekommen
des Geſetzes
verhindern, und verwies darauf, daß
eine ſolche Beſtimmung den wiederholt und auf das Schärfſte
betonten principiellen Bedenken wiederſpreche, daß eine correcte
Durchführung der Wahlen nicht möglich ſein würde.
und [d]aß eine ſolche Bedingung der Bedeutung dieſer An-
gelegenheit durchaus nicht entſpreche. Die Regierung wäre
für die Erhöhung dieſer Zahl von 20 auf 50. Der Antrag
auf Wiederaufnahme der Debatte wurde mit Stimmen-
gleichheit abgelehnt. Es wurde hierauf geltend
gemacht, daß es ſich nicht empfehle, dem Hauſe einen Geſetz-
entwurf vorzulegen, von welchem keine Ausſicht vorhanden
ſei, daß er zur Sanction vorgelegt würde, daß daher jeden-
falls im Hauſeſelbſt von jenen, welche die Aenderung
der Landtagswahlordnung wollen, ein diesbezüglicher Antrag
geſtellt werden wird. Die übrigen Paragraphe wurden bis
zum § 31 im Sinne der früher gefaßten principiellen Be-
ſchlüſſe angenommen.

Abendſitzung.

Abg. Boſchan gibt Namens ſämmtlicher Mitglieder
des Thierſeuchenausſchuſſes die Erklärung
ab, daß dieſelben mit Rückſicht darauf, daß es ihnen im
Hauſe nicht einmal möglich war, in einer Generaldebatte
über das vom Ausſchuſſe vorgelegte Geſetz ihre Meinung zu
äußern, ihre Mandate als Mitglieder des Ausſchuſſes nieder-
legen.

Sodann wird die Tagesordnung fortgeſetzt.

Der Antrag des Landesculturausſchuſſes betreffend eine
Abänderung des Geſetzes über die Theilung gemeinſchaftlicher
Grundſtücke (Commaſſation) wird nach dem Referate des
Abg. Richter ohne Debatte angenommen.

Zum Antrag betreffend die Uebernahme des geometri-
ſchen Perſonales der Landescommiſſion für agrariſche Opera-
tionen in den Staatsdienſt, wofür das Land den Betrag
von 40.000 fl. zu leiſten hat, ſpricht contra Abg. Gregorig,
welcher verſchiedene Mißſtände, die bei den Commaſſationen
vorgekommen ſind, anführt. Dieſelben ſucht zu widerlegen
Abg. Graf Gatterburg, worauf Abg. Dötz dem Abg.
Gregorig theilweiſe beiſtimmt, jedoch hervorhebt, daß
die Commaſſationen auch manches Gute mit ſich bringen.
Sehr ſcharf ſpricht Abg. v. Pacher, der ſeinem Mißtrauen gegen
die von Miniſtern und Statthaltern geführten Geſchäfte
Ausdruck verleiht. Als Redner im Verlaufe ſeiner Rede
die „Affaire Madeyski“ beſpricht und es als einen
Scandal bezeichnet daß ein Mann der ſich offenkundig des
Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt
ſchuldig gemacht hat, in Ehre und Anſehen blieb, wird er
vom Landmarſchall ermahnt den parlamentariſchen Ton zu
beachten, worauf v. Pacher erwidert: „Ich bin gewohnt
den parlamentariſchen Ton hochzuhalten, nicht wir ſind es
die die Scandale verurſachen, ſondern ein Scandal iſt es
daß ein Statthalter von Niederöſterreich, nach dem, was ihm hier
ſchon geſagt wurde, noch Statthalter bleibt!“ (Lebhafter
Beifall.) — Nach dem Schlußworte des Berichterſtatters
Prof. Richter werden die Ausſchußanträge ange-
nommen.

Es werden hierauf noch eine Reihe kleinerer Vorlagen
erledigt, worauf die Sitzung wegen des heute Abends ſtatt-

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[3/0003] 41 Wien, Dienſtag Reichspoſt 11. Februar 1896 erklärt: „Ich will mich nicht über die Bilderverkäufe ſelbſt äußern. Nach dieſer Richtung wird der Miniſter für Cultus und Unterricht die nöthigen Aufklärungen bieten. Ich will mich nur mit den ſachlichen Bemer- kungen befaſſen, die Abg. Graf Apponyi bezüglich der parlamentariſchen Controle gethan hat. Die Reihenfolge der Thatſachen, die Abg. Graf Apponyi angeführt hat, entſpricht der Wahrheit, (!) doch läßt ſich meiner An- ſicht nach daraus nicht folgern, daß die Regierung dem Controlrechte des Hauſes ausweichen wollte.“ (Redner ſpricht fort.) Ausland. Die Londoner „Daily Chronicle“ brachte jüngſt eine bemerkenswerthe Nachricht über eine bevorſtehende Wendung in der macedoniſchen Bewegung, für deren Richtigkeit indeß das Blatt allein bürgen muß. Die Nachricht beſagt, daß die macedoniſchen Comites in Serbien, Bulgarien und Griechenland ihre Vorbereitungen für die Wieder- erweckung des Aufſtandes in Macedonien im Früh- jahre auf einen Wink aus Rußland cingeſtellt haben. Die ruſſiſchen Botſchafter in Wien und Conſtantinopel hätten angeblich das bulgariſche Central-Comite gewarnt, irgend etwas zu unter- nehmen, was den Frieden in der europäiſchen Türkei ſtören könnte. Der Sultan habe überdies Serbien, Bulgarien und Griechenland verſichert, er werde den Wünſchen aller macedoniſchen Natio- nalitäten willfahren. Miniſterpräſident Bourgeois iſt in einen heftigen Streit mit dem Senate verwickelt, und zwar über den Antrag Trarieux, welcher den Arbeitern der Staatseiſenbahnen und Staats- fabriken die Freiheit zu ſtreiken verwehren wollte. Bourgeois und Kriegsminiſter Cavaignac bekämpften den Antrag, der trotzdem vom Senate mit 159 gegen 82 Stimmen angenommen wurde. Das war eine entſchiedene Niederlage der Re- gierung und natürlich der Anlaß für die geſammte radicale Preſſe auf den Senat loszuſchlagen, ſeine Abſchaffung zu begehren. Ob nun Herr Bourgeois ſich von ſeinen journaliſtiſchen Freunden zu einem Kampfe mit dem Senate hinreißen laſſen wird, iſt ſehr fraglich, der Beſitz der Macht hat ſeinen ganz eigenartigen Reiz, und Bourgeois wäre kein Franzoſe, wenn er ſich ſo leichthin von dieſem Reize würde trennen können. Eine weitere Nieder- lage wird das Cabinet ſich im Senate holen bei Berathung der Regierungsvorlage des Handels- miniſters Meſureur, nach welcher „jede Be- hinderung der freien Ausübung der Rechte der Arbeitergenoſſenſchaften“ mit Gefängniß beſtraft wird. Hierin erblicken die Senatoren — und wohl nicht ganz ohne Recht — eine Vergewalti- gung der Fabriksbeſitzer und Arbeitgeber durch die Syndicate, und deshalb werden ſie den Antrag auch ablehnen. Aus den Landtagen. Niederöſterreich. In fortgeſetzter Debatte über das Armengeſetz beſpricht Abg. Dr. Ofner die Wirkungen des Armen- geſetzes für die Stadt St. Pölten. Die Stadt habe dem Bezirksarmenfonds ein Armenvermögen im Werthe von 137.000 fl. übergeben. Mit dieſem Vermögen und mit den Spenden, die früher reichlich gefloſſen, ſeit Einführung des neuen Armengeſetzes aber verſiegt ſind, wurde das Aus- langen gefunden, ſo daß keine beſondere Umlage für die Armenzwecke eingehoben zu werden brauchte. Jetzt müſſe das Gemeindegebiet St. Pölten eine 10%ige Armenumlage im Betrage von 9500 fl. leiſten, und die Armenpflege ſei keine beſſere geworden. Redner ſtellt ſchließlich mehrere Anträge, dahingehend, daß die die Steuerträger zu ſehr be- laſtenden Beſtimmungen dieſes Geſetzes abgeändert und ins- beſondere kleinere, den Gemeindegebieten ſich mehr an- nähernde Armenbezirke geſchaffen werden, daß Er- leichterungen bei der Ausfertigung der Licenzgebühren platz- greifen ſollen und die Erläſſe bezüglich der Controle der Landbürgermeiſter durch die Gendarmerie aufgehoben werden. Abg. Joſef Baumann beantragt, die Regierung auf- zufordern, baldigſt einen Geſetzentwurf einzubringen, durch welchen die Altersverſorgung der bei der Induſtrie und den Eiſenbahnen beſchäftigten Arbeiter obligatoriſch eingeführt wird; den Landesausſchuß zu beauftragen, zu erheben, wie viele verwaiſte und verlaſſene Kinder im Lande auf öffent- liche Koſten verſorgt werden müſſen und das aus Anlaß des Regierungs-Jubiläums des Kaiſers zu errichtende Kinderheim dieſer Ziffer entſprechend zu erweitern; weiters den Landesausſchuß zu beauftragen, bei Armenangelegen- heiten einen ſolchen Geſchäftsgang einzuführen, daß die Ab- wicklung einer jeden Angelegenheit raſcher und ohne Viel- ſchreiberei ſtattfinden kann. Für den Fall der Ablehnung dieſer Anträge ſtellt Redner einen Eventualantrag auf Abänderung des Armengeſetzes in der Richtung, daß das Erträgniß einer ausgiebiegen Börſen- und Luxus- ſteuer für die Armenverſorgung herangezogen werde. Abg. Faber bemerkt, ſeine Einwendungen richten ſich gegen die Größe der Armenbezirke, welche dem Obmanne auf dem flachen Lande die Controle ſehr erſchweren und ihn mit Geſchäften überbürden. Abg. Steiner bemerkt, man dürfe nur die Worte Jagdgeſetz und Armengeſetz in den Mund nehmen, ſo geht ein Sturm der Entrüſtung durch die Landbevölkerung. Die Majorität hat ſich mit der Schaffung von Geſetzen ſchon gründlich blamirt, ſo beim Wiener Statut, beim Thier- ſeuchengeſetz, beim Armengeſetz, welche alle ſchlecht ſind. Die falſche Scham nützt nichts, dieſe Geſetze müſſen geändert werden. Denjenigen Pflegern und Armencommiſſionen, welche ihre Pflicht gewiſſenhaft erfüllt haben, iſt der Dank auszuſprechen; denjenigen aber, welche gewiſſenlos ihres Amtes gewaltet haben, kann man ihn nicht ausſprechen. So wurde in Tulln conſtatirt, daß ein Pfleger einem angeblich Armen eine Pfründe zuweiſen ließ, welcher ein paar fette Schweine und Grundſtücke ſein Eigenthum nannte. Im Be- zirke St. Pölten beſchäftigt ein Großgrundbeſitzer ſchon jahrelang ſtändig eine Anzahl von Arbeitern. Dieſelben ſind allerdings in vorgerücktem Alter, aber unbekümmert darum bezahlt dieſer Großgrundbeſitzer ihnen die Löhne weiter. Die Betreffenden haben um eine Pfründe angeſucht und ſie be- kommen. In der Wiener Bevölkerung ſei die ſtille, wahre, herzliche Humanität noch vorhanden. Redner ſei daher durch den Paſſus in der geſtrigen Arbeiterzeitung verletzt worden: „Das ganze wieneriſche Protzenthum des verſtockten dummen Kerls von Wien drückt ſich in der Thatſache aus, daß das goldene Wiener Herz das Schäbigſte iſt, was es gibt.“ — Speciell der Berichterſtatter Dumba, einer der wenigen Männer mit dem wahrhaft goldenen Wiener Herzen, möge vielleicht die Güte haben, darauf zu reflectiren, wenn die Wiener in ſo unerhörter Weiſe beleidigt werden. (Rufe: Es hat’s ja ein Jude geſchrieben.) Von Denjenigen, welche die Humanität in der Stille üben, müſſe mit Bedauern con- ſtatirt werden, daß es durchwegs Chriſten ſind. Wenn die Großcapitaliſten Geld hergeben, verlangen ſie, daß es ver- öffentlicht werde. Das iſt keine chriſtliche Humanität. Redner hebt hervor, daß vor allem eine Aenderung des Hei- matsgeſetzes und eine allgemeine Al- ters- und Invaliden-Verſorgung ſeitens des Staates eintreten müſſe, und unterſtützt ſchließlich den Antrag Ofner, indem er bemerkt, es würden bei den zukünftigen Wahlen das Armengeſetz und das Jagdgeſetz eines der wichtigſten Kampfmittel ſein. Abg. Jax meint, das beſte Armengeſetz wäre die Schaffung einer ordentlichen Socialreform, durch welche der Armuth entgegengewirkt würde, indem man Jedem Arbeit verſchafft. Im gegenwärtigen Armengeſetze müſſen bedeutende Mängel vorhanden ſein, ſonſt wäre die Mißſtimmung gegen dasſelbe in der Bevölkerung nicht er- klärlich. Redner beleuchtet ſodann die Mängel des Geſetzes und beſpricht hiebei auch die Verhältniſſe in der Stadt- gemeinde Waidhofen. Ein Director Rothſchild’s ſei der Dictator von Waidhofen und der Bürgermeiſter von Waid- hofen ſei der Rechtsvertreter des Rothſchild. Bei den herr- ſchenden Verhältniſſen müſſe man ſich in Waidhofen fragen, ob man noch unter öſterreichiſchen Geſetzen ſtehe oder der orientaliſchen Herrſchaft ſchon total verfallen ſei. Der Bürger- meiſter und Stadtrath ſollten wegen Mißbrauch der Amts- gewalt in Unterſuchung gezogen und verurtheilt werden. Was die Armengeſetzgebung betreffe, ſo ſei der Hauptvortheil, der bisher geſchaffen wurde, der, daß dadurch eine Hebung der Papierfabrication in Oeſterreich hervorgerufen wurde. (Heiterkeit.) Redner plaidirt dafür, daß man ſtatt der Bezirksarmenräthe Armeniſpectoren ſchaffen ſolle, welche die Controle zu führen hätten, und tritt dafür ein, daß man auf die Pfarrarmeninſtitute, und zwar in verbeſſerter Form wieder zurückkommen ſolle. Dann werde die Privat- wohlthätigkeit auch wieder größer werden. Schließlich befür- wortet Redner die Errichtung von Idioten- und Siechen- anſtalten und erklärt, für die Anträge des Abg. Ofner ſtimmen zu wollen. Abg. Rigler klagt darüber, daß auch die Laſten des Armengeſetzes, wie ſo viele andere, nicht auf die Reichen, ſondern auf den Mittelſtand gewälzt werden, und ſchließt ſich dem Antrag des Abg. Ofner an. Abg. Oberndorſer meint, Dr. Kvpp ſei als Vater des Armengeſetzes verpflichtet, wenn das Kind auch ver- wahrloſt und ungeberdig iſt, es zu retten und müſſe ſuchen, es in eine Verſorgungsanſtalt für verwahrloſte Kinder unter- zubringen. (Heiterkeit.) Auf ſeine Wähler hat ſich der Abg. Dr. Kopp nicht berufen. Redner führt aus, daß die Auf- hebung des Geſetzes von allen Seiten verlangt werde, nicht nur von Bauern, ſondern auch von den gebildetſten Kreiſen, von Liberalen wie von Conſervativen. Der Bericht des Landesausſchuſſes ſollte wahrheitsgetreu ſein. Die Zahl der Armen iſt in Wirklichkeit heute ſchon eine viel größere. Da die Ausführungen des Abg. Dr. Kopp den Redner nicht befriedigt haben, es auch nicht den Anſchein habe, als ob der Landesausſchuß auf durchgreifende Aenderungen eingehen wollte, ſtellt er den Antrag: das Geſetz vom 13. October 1893 wird aufgehoben. Abg. Vergani führt aus, das Armengeſetz könnte dann aufgehoben werden, wenn der Staat an die Einführung einer Alters- und Invaliditätsverſorgung ſchreiten würde. Wenn jemand von ſeinem 14. Lebensjahre angefangen einen geringen Betrag in den. Alters- und Invaliditätsverſorgungs- fond einzuzahlen hätte, und er dann im Falle der Erwerbs- unfähigkeit eine gewiſſe Rente bis zu ſeinem Tode bezieht, ſo wäre das kein Almoſen mehr; es würden mit einem Schlage die Armen und Bettler verſchwinden und ein Armengeſetz wäre nicht mehr nothwendig. Ein großer Fehler war, daß Land und Stadt durcheinander geworfen wurde. Auf dem Lande kann man ſich nichts Schöneres vorſtellen, als daß die Armenerhaltung wieder den Gemeinden überlaſſen und vom Pfarrer geleitet werde. Das ganze muß einen patriarchaliſchen Anſtrich bekommen. Redner tritt für das geſchloſſene Armenweſen ein. Er unter- ſtützt den Antrag Ofner, empfiehlt die Anträge des Abg. Oberndorfer gleichfalls zur Berückſichtigung und ſtellt folgenden Reſolutionsantrag: Die Regierung wird auf- gefordert, in der allernächſten Zeit ein allgemeines Alters- verſorgungs- und Invaliditätsgeſetz dem Reichsrathe vor- zulegen. Abg. Dr. Kopp conſtatirt, daß die höchſte Umlage, die aber nicht ausgeſchrieben, ſondern nur ausgerechnet wurde, in einem Bezirke 38% betrage, 21 Bezirke zahlen nicht einmal 38%. Berichterſtatter Dumba: Die Debatte war im Allge- meinen eine lehrreiche, die Erfahrungen, die aus der Be- völkerung heraus zu uns kommen, müſſen ein Fingerzeig dafür ſein, wo Abänderungen zu ſchaffen ſind. Viele von den gewünſchten Verbeſſerungen ſind aber im rein admini- ſtrativen Wege herbeizuführen. Daß in der Bevölkerung Unzufriedenheit über das Geſetz herrſcht, daran iſt kein Zweifel. Ein Geſetz, welches der Bevölkerung Laſten auf- erlegt, iſt nie populär. Die Abg. müſſen aber beſtrebt ſein, wenn an einem Geſetz etwas gutes iſt, der Bevölkerung begreiflich zu machen, daß ſie dieſe Opfer bringen muß. Gerade die kleineren Gemeinden waren es, welche immerfort um ein Armengeſetz gebeten haben; ſie hatten ungeheuere Umlagen für die Armenverſorgung und konnten für das Armenweſen trotzdem nicht in menſchenwürdiger Weiſe ſorgen. Wenn jetzt die Bezirksumlage kommt, einzelne Ge- meinden aber jene Umlagen, die ſie für die Armenver- ſorgung hatten, für andere Zwecke beibehalten, dann empfindet die Bevölkerung nur, daß ſie mehr zahlen muß, und die Mißſtimmung iſt begreiflich. Redner bemerkt, die vom Abg. Oberndorfer gewünſchte Aufhebung des Armengeſetzes würde ein Chaos ſchaffen; aber auch für die Abänderung des Geſetzes ſei heute der Moment noch nicht gekommen. Man möge dieſelbe dem neuen Landtage und dem neuen Landesausſchuſſe über- laſſen, welche bereits über genügende Erfahrungen werden verfügen können, alle im Laufe der Debatte geſtellten An- träge aber dem Landesausſchuſſe zu überweiſen. (Beifall.) Bei der Abſtimmung wird der Antrag Oberndorfer abgelehnt, die Ausſchußanträge werden angenommen, alle übrigen im Laufe der Debatte geſtellten Anträge dem Landes- ausſchuſſe zugewieſen. Abg. Boſchan referirt ſodann Namens des Verwal- tungsausſchuſſes über die aus Anlaß des bevorſtehenden 50jährigen Regierungsjubiläums des Kaiſers zu errichtende Landes-Siechenanſtalt und einer Anſtalt für arme, verwaiſte und verlaſſene Kinder. Bei der Abſtimmung werden die Anträge ohne Debatte einſtimmig angenommen. Landmarſchall (ſich erhebend): Hohes Haus! Es gereicht mir zur beſonderen Freude, enunciren zu können, daß das hohe Haus den Antrag des Verwaltungsausſchuſſes einſtimmig zu ſeinem Beſchluſſe erhoben hat. (Beifall. Das Haus erhebt ſich.) Die Kundgebung, welche das hohe Haus hiemit vollzogen hat, iſt ein neuerlicher Beweis der unwan- delbaren Gefühle, welche wir gewiß Alle die erhabene Perſon unſeres allergnädigſten Kaiſers und Herrn ſtets in unſerem Herzen tragen und auch ſtets tragen werden. (Beifall.) Stimmen Sie daher mit mir ein in den Ruf: Se. Majeſtät unſer allergnädigſter Kaiſer und Herr Franz Joſeph I. lebe hoch, hoch, hoch! (Die Verſammlung bringt ein dreimaliges begeiſtertes Hoch aus.) Die Verhandlung wird abgebrochen. Der Landesordnungsausſchuß ſetzte heute ſeine Berathungen über die Abänderung der Landtagswahlordnung fort und gieng in die Specialdebatte über die in der letzten Sitzung gefaßten prin- cipiellen Beſchlüſſe ein. Bei § 7, welcher die Wahlorte in den Landesgemeindebezirken beſtimmt, beantragte Dr. Weitlof die Wiederaufnahme der Debatte über die in der letzten Sitzung beſchloſſene Beſtimmung, nach welcher jede Gemeinde mit mindeſtens 20 Wählern Wahlort ſein ſoll. — Regierungsvertreter Statthaltereiſecretär Ritter von Wagner erklärte, daß eine Beſtimmung, wonach ſchon zwanzig Wähler hinreichend ſein ſollten, damit eine Ge- meinde Wahlort ſei, für die Regierung unan- nehmbar ſei, und das Zuſtandekommen des Geſetzes verhindern, und verwies darauf, daß eine ſolche Beſtimmung den wiederholt und auf das Schärfſte betonten principiellen Bedenken wiederſpreche, daß eine correcte Durchführung der Wahlen nicht möglich ſein würde. und daß eine ſolche Bedingung der Bedeutung dieſer An- gelegenheit durchaus nicht entſpreche. Die Regierung wäre für die Erhöhung dieſer Zahl von 20 auf 50. Der Antrag auf Wiederaufnahme der Debatte wurde mit Stimmen- gleichheit abgelehnt. Es wurde hierauf geltend gemacht, daß es ſich nicht empfehle, dem Hauſe einen Geſetz- entwurf vorzulegen, von welchem keine Ausſicht vorhanden ſei, daß er zur Sanction vorgelegt würde, daß daher jeden- falls im Hauſeſelbſt von jenen, welche die Aenderung der Landtagswahlordnung wollen, ein diesbezüglicher Antrag geſtellt werden wird. Die übrigen Paragraphe wurden bis zum § 31 im Sinne der früher gefaßten principiellen Be- ſchlüſſe angenommen. Abendſitzung. Abg. Boſchan gibt Namens ſämmtlicher Mitglieder des Thierſeuchenausſchuſſes die Erklärung ab, daß dieſelben mit Rückſicht darauf, daß es ihnen im Hauſe nicht einmal möglich war, in einer Generaldebatte über das vom Ausſchuſſe vorgelegte Geſetz ihre Meinung zu äußern, ihre Mandate als Mitglieder des Ausſchuſſes nieder- legen. Sodann wird die Tagesordnung fortgeſetzt. Der Antrag des Landesculturausſchuſſes betreffend eine Abänderung des Geſetzes über die Theilung gemeinſchaftlicher Grundſtücke (Commaſſation) wird nach dem Referate des Abg. Richter ohne Debatte angenommen. Zum Antrag betreffend die Uebernahme des geometri- ſchen Perſonales der Landescommiſſion für agrariſche Opera- tionen in den Staatsdienſt, wofür das Land den Betrag von 40.000 fl. zu leiſten hat, ſpricht contra Abg. Gregorig, welcher verſchiedene Mißſtände, die bei den Commaſſationen vorgekommen ſind, anführt. Dieſelben ſucht zu widerlegen Abg. Graf Gatterburg, worauf Abg. Dötz dem Abg. Gregorig theilweiſe beiſtimmt, jedoch hervorhebt, daß die Commaſſationen auch manches Gute mit ſich bringen. Sehr ſcharf ſpricht Abg. v. Pacher, der ſeinem Mißtrauen gegen die von Miniſtern und Statthaltern geführten Geſchäfte Ausdruck verleiht. Als Redner im Verlaufe ſeiner Rede die „Affaire Madeyski“ beſpricht und es als einen Scandal bezeichnet daß ein Mann der ſich offenkundig des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt ſchuldig gemacht hat, in Ehre und Anſehen blieb, wird er vom Landmarſchall ermahnt den parlamentariſchen Ton zu beachten, worauf v. Pacher erwidert: „Ich bin gewohnt den parlamentariſchen Ton hochzuhalten, nicht wir ſind es die die Scandale verurſachen, ſondern ein Scandal iſt es daß ein Statthalter von Niederöſterreich, nach dem, was ihm hier ſchon geſagt wurde, noch Statthalter bleibt!“ (Lebhafter Beifall.) — Nach dem Schlußworte des Berichterſtatters Prof. Richter werden die Ausſchußanträge ange- nommen. Es werden hierauf noch eine Reihe kleinerer Vorlagen erledigt, worauf die Sitzung wegen des heute Abends ſtatt-

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 41, Wien, 11.02.1896, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost041_1896/3>, abgerufen am 22.11.2024.