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Reichspost. Nr. 27, Wien, 28.01.1896. Beilage.

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Preis 2 kr.



Redartion, Administration-
Erpedition und Druckerei:

VIII., Strozzigasse 41.




Stadterpedition I., Wollzeile 15.
Zeitungsbureau Weis.




Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuskripte werden
nicht zurückgestellt. Unverschlossene
Reclamationen sind portofrei.




Ankündigungs-Bureau:
VIII., Strozzigasse 41, sowie bei
dem Annoncenbureau für kath.-con-
serv. Blätter, Hubert Friedl
Wien, V./1.




Das Morgenblatt erscheint um
6 Uhr Früh täglich, mit Aus-
nahme
der auf Sonn- und Feier-
tage folgenden Tage; das
Abendblatt an jedem Wochen-
tage
um 1 Uhr Nachmittags.


[Spaltenumbruch]
Abendblatt.
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 2 kr.



Bezugspreise:
Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig fl. 18.--, vierteljährig
fl. 4.50, monatlich fl. 1.50.

Einzelne Nummern: Morgenblatt
4 kr., Abendblatt 2 kr.

Für Oesterreich-Ungarn, sammt
Abendblatt: Mit einmaliger
Postversendung ganzjährig fl. 20.--,
halbjährig fl. 10.--, vierteljährig
fl. 5.--, monatlich fl. 1.70; mit
zweimaliger Postversendung
ganzjährig fl. 23.--, halbjährig
fl. 11.50, vierteljährig fl. 5.75,
monatlich fl. 2.--.

Für Deutschland mit einmaliger
Versendung vierteljährig fl. 6.--,
für die übrigen Länder des
Weltpostvereines
vierteljährig
fl. 7.--.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7




Telephon 1828.




III. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 28. Jänner 1896. Nr. 27.



[Spaltenumbruch]
Politische Rundschau.

Am Samstag wurde unser Abendblatt con-
fiscirt. Bis jetzt wissen wir officiell nur, an
welcher Stelle des Blattes wir etwas ver-
brochen haben, was wir verbrochen haben, ist
noch ein Geheimniß des Staatsanwaltes. Freilich
ganz gut scheint man im Preßbändigungsamte
das Geheimniß nicht gewahrt zu haben, denn der
"Pester Lloyd" wußte schon vorgestern, welches
Verbrechen in unserem beschlagnahmten Artikel
enthalten war. "Schmähung des Balles der Stadt
Wien" heißt dieses neueste Preßdelict, wobei
leider der "P. Ll." verschweigt, mit wie viel Jahren
Kerker ein solch schweres Vergehen bestraft wird.
Die Juristen des "Pester Lloyd" imponiren uns
thatsächlich und können uns geradezu fürchterlich
werden, wenn sie noch öfter dem Staatsanwalt
auf die Fährte helfen, falls er um den Grund
für die Beschlagnahme in Verlegenheit ist. Jeder
Empfangsabend, jeder Jour fixe und jedes Kränz-
chen kann sich dann durch eine scharfe Kritik
beleidigt fühlen und der Fasching würde dann
nicht nur zur Gefahr für die Hagestolze, sondern
auch für die Zeitungsschreiber. Doch wir sind
schon wieder beruhigt, denn nach eifrigem Studium
des Gesetzbuches haben wir gefunden, daß weder
der elastische § 300, noch der protectionistische
§ 302 sich in diesem Falle anwenden lassen und
selbst der § 431 nicht recht passen will.

Einer Lemberger Nachricht des Brünner
"Hlas" zu Folge sollen jene griechisch-
katholischen Geistlichen,
welche sich
an der bekannten großen Ruthenen-Deputation
an den Kaiser betheiligten, vom Consistorium zur
Verantwortung gezogen werden. Das klingt denn
doch selbst aus Galizien unglaublich.

Die Reichsrathsersatzwahl in Steyr
[Spaltenumbruch] findet morgen statt. Das Mandat befand sich
bisher in Händen der Liberalen, jedoch ist gegrün-
dete Aussicht vorhanden, daß der von den ver-
einigten antiliberalen Parteien aufgestellte Candidat,
Professor Leopold Erb, die Majorität erlangt.
Jedenfalls wird der Wahlkampf ein sehr heißer
werden und hoffentlich mit einer Niederlage der
Liberalen endigen.

Die "N. L." kündigen mit Bestimmtheit an,
daß die Ernennung des Grafen Coudenhove
zum Statthalter von Böhmen bereits durch-
geführt
sei. Der neue Statthalter sei der
czechischen Sprache besser mächtig als Graf Thun
und ebenso als Marquis Bacquehem. Das Letztere
wäre freilich keine Kunst.

Bourgeois wiegelt ab, wenigsteus in der
ihm ergebenen Presse. Die radicalen Blätter er-
klären nämlich, daß die Entsetzung des Bot-
schafters Grafen Lefebore de Behaine
durch eine andere Persönlichkeit keineswegs
ein Anzeichen sei, daß das Cabinet Bourgeois
gegenüber dem Vatican eine schroffe Politik ein-
zuleiten beabsichtige; die Rede, welche der Mi-
nisterpräsident bei der Budgetberathung gegen die
Auflassung des Botschafterpostens beim heiligen
Stuhle gehalten, bilde allein schon eine Wider-
legung dieser Auffassung. Auch die beabsichtigte
Ernennung des Herrn Nifard an Stelle des
Grafen Lefebvre zeuge doch nicht von einer feind-
seligen Stimmung gegen den Vatican, denn dieser
sei eine sehr maßvolle Persönlichkeit, durch dessen
eventuelle Wirksamkeit beim heiligen Stuhle die
besten Traditionen der französischen Diplomatie
zur Geltung gelangen würden. -- Wir wollen's
hoffen. Ist aber Bourgeois frei von aller Feind-
schaft gegen den Vatican, warum dann die Ab-
berufung des Grafen Lefebvre de Behaine, der
mit dem Papste Leo XIII. in so freundschaftlichen
Beziehungen, auch persönlich, stand?!


[Spaltenumbruch]

Die in Paris erscheinenden "Nouvelles
d' Orient" treten wieder mit einer Scandal-
Affaire
der dortigen Presse hervor. Das Blatt
stellt dem türkischen Botschafter in Paris,
Munir Bey die Frage, ob es richtig sei,
daß er als ehemaliger Preßbureauchef der hohen
Pforte eine Reihe französischer Blätter im türkischen
Interesse "subventionirte"? Eine weitere Frage
stellt das Blatt an die Direction des "Voltaire",
ob dieselbe mit Munir Bey nicht einen förm-
lichen Vertrag geschlossen, wonach der "Voltaire"
sich gegen Zahlung einer "Subvention" zur Ver-
tretung der türkischen Interessen bereit finden
läßt. Eine Antwort der Interpellirten liegt bis
zur Stunde noch nicht vor.

Der Pariser "Figaro" berichtet, die Aus-
lieferung Arton's
sei so gut wie beschlossen
und der Advocat Demange beschäftige sich bereits
mit dem Falle, der gegen Ende Februar oder
längstens im Verlaufe des März vor den Assisen
verhandelt wird. Arton werde indeß nicht nur
als Angeklagter erscheinen, sondern auch als Zeuge
in den Affairen Dupas und Souligoux
auszusagen haben.

Scandale überall, auch in der freien
Schweiz. In Limmat-Athen, wie sich die Großstadt
Zürich gern nennen läßt, hat wider alles Recht
und Gesetz die Cantonsregierung in die Unter-
suchung gegen den obersten Polizei-
beamten (!)
der Stadt, den Hauptmann
Fischer, eingegriffen. Diesen sauberen, "schneidigen"
Mann hat sie nach siebzehntägiger Haft, entgegen
der Anordnung der obersten Gerichtsbehörde, gegen
Caution auf freien Fuß gesetzt. Hauptmann Fischer's
anstößiger Lebenswandel, seine geradezu empörende
Willkürherrschaft war stadtbekannt, trotzdem ließ
ihn die Cantonsregierung unangefochten in seinem
wichtigen, einflußreichen Amte. Man wußte, daß
dieser berüchtigte Weiberheld, Säufer, Stammgast
der verrufensten Kneipen und Schuldenmacher in




[Spaltenumbruch]
Der Spinnerlehrling.

[Nachdruck verboten.]

Darum müsse er den Angeklagten, so leid es ihm
thue, zur Deportation nach Australien verurtheilen.

Diese Strafe bedeutete thatsächlich ein Todesurtheil,
denn der arme alte Mann sah so elend und gebrochen
aus, daß es keinem Zweifel unterliegen konnte, er
würde die Reise bis ans andere Ende der Welt nicht
überleben.

Gegen 12 Uhr wurde der Name Mary Nelson
aufgerufen und Robins Mutter wurde von einem
Polizisten in den Saal geführt. Die feierliche Stille,
die in dem Saal herrschte, und die vielen Augen, die
sich auf sie richteten, verwirrten sie einen Augenblick
und sie blieb zitternd an der Thüre stehen.

Bald gewann sie jedoch ihre Selbstbeherrschung
wieder und ging festen Schrittes auf den Gerichtshof
zu. Im Vorbeigehen bemerkte sie Bartlett und Robin
und winkte ihnen einen freundlichen Gruß mit den
Augen zu.

Robin war in einem Zustand der höchsten Er-
regung, und Bartlett hatte die größte Mühe, ihn zu
beruhigen, um nicht den Richter auf ihn aufmerksam
zu machen und sich seinen Unwillen zuzuziehen.

Nachdem Blake einen prüfenden Blick auf die Ge-
fangene geworfen hatte, musterte er mit gespannter
Aufmerksamkeit die Mienen und Bewegungen der Ge-
schworenen.

"Sie macht einen guten Eindruck," flüsterte er
Chubb zu. "Diese blassen und feinen Züge, diese un-
schuldigen, treuherzigen Augen, ihre anständigen, wenn
auch etwas abgenutzten Kleider und ihr ganzes beschei-
[Spaltenumbruch] denes und passendes Auftreten sprechen zu ihren Gunsten.
Sie hat schon die Sympathie der Geschworenen ge-
wonnen. Sehen Sie nur, mit welchem Interesse sie
sie betrachten und wie sie sich über sie unterhalten."

"Dies ist die Gefangene, welche sich weigert, ihren
Namen und ihre Adresse anzugeben, Mylord," sagte
der Gerichtsschreiber. "Sie wird in den Acten "Mary
Nelson" bezeichnet -- ein Name, welcher auf einigen
in ihrem Besitz befindlichen Pfandscheinen gefunden
wurde."

"Der Name ist von nebensächlicher Bedeutung,"
bemerkte der Richter gleichgiltig, "übrigens wird sie auch
wohl "Nelson" heißen. Leute, die bei der Verübung
eines Verbrechens ertappt werden, pflegen gewöhnlich
mit der Wahrheit auf gespanntem Fuße zu stehen. --
Verlesen Sie die Anklageschrift."

Diese besagte, daß die Gefangene Mary Nelson
"unbekannten Standes und Gewerbes" beschuldigt werde,
am Abend des 13. December einen Mantel im Werthe
von zehn Schilling aus dem Laden des Kaufmannes
Jakob Lazarus entgegen den Gesetzen und dem Willen
Sr. Majestät des Königs unrechtmäßig entwendet zu
haben.

"Angeklagte, bekennen Sie sich schuldig oder
nicht?" fragte der Richter im strengen Tone.

"Ich bin unschuldig," antwortete Sophie mit
leiser, aber doch deutlich vernehmbarer Stimm[e].

Die Verhandlung begann. Der erste von der
Anklagebehörde geladene Zeuge war John Smith,
welcher die Fragen des Staatsanwaltes dahin be-
antwortete, daß er den Diebstahl beobachtet habe, und
im Uebrigen seine vor dem Polizei-Richter gemachte
Aussage wiederholte. Blake nahm ihn in ein scharfes
Kreuzverhör, vermochte jedoch seine Aussagen nicht ab-
zuschwächen.

Der nächste Zeuge war Perkins, welcher bestimmt
versicherte, daß die Angeklagte nicht geflohen, sondern
[Spaltenumbruch] ihm entgegengekommen sei, als er sie an jenem Abend
traf. Er beschwor seine Aussage hoch und heilig und
versicherte, daß die Gefangene ihm sogleich ihr Be-
dauern über ihre That ausgesprochen habe und Willens
gewesen sei, den Mantel zurückzubringen.

"Es thut Ihnen jetzt wohl sehr leid, daß Sie die
Angeklagte damals nicht haben laufen lassen?" fragte
der Richter mit einem höhnischen Lächeln.

"Allerdings, Mylord, ich bedauere es von ganzem
Herzen," antwortete der brave Mensch treuherzig, "und
ich werde es Zeit meines Lebens bedauern."

Sodann wurde der Polizist vernommen, welcher
Sophie verhaftet hatte; dieses Verhör ergab jedoch keine
neuen oder wichtigen Momente für die Anklage.

Hierauf erhob sich Herr Blake und richtete in ehr-
erbietiger und höflicher Weise die Bitte an den Richter,
eine Vertheidigungsrede halten zu dürfen.

"Eine Vertheidigungsrede?!" rief Baron Hardreß
erstaunt aus. "Aber das ist ja gegen alle Regel und
Gewohnheit bei Capitalverbrechen. Womit wollen
Sie diese ungewöhnliche Bitte motiviren, Herr Blake?"

"Damit, daß die Angeklagte eine Frau ist,
Mylord, und damit, daß sie die Gattin eines Officiers
Sr. Majestät des Königs ist. Ich weiß sehr wohl,
daß meine Bitte ungewöhnlich ist, aber unter den ob-
waltenden Umständen hege ich die zuversichtliche Hoff-
nung, daß Sie eine Ausnahme zu Gunsten dieser Frau
machen werden."

"Die Gattin eines Officiers?!" rief Hardreß er-
staunt und ungläubig aus. "Aber womit wollen Sie
das beweisen?"

"Wenn Sie die Güte haben wollen, diesen Brief
zu lesen, Mylord, welcher im Besitz der Frau gefunden
wurde, so werden Sie sich davon überzeugen, daß ich
die Wahrheit sagte."

(Fortsetzung folgt.)


[Spaltenumbruch]
Preis 2 kr.



Redartion, Adminiſtration-
Erpedition und Druckerei:

VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadterpedition I., Wollzeile 15.
Zeitungsbureau Weis.




Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuſkripte werden
nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene
Reclamationen ſind portofrei.




Ankündigungs-Bureau:
VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie bei
dem Annoncenbureau für kath.-con-
ſerv. Blätter, Hubert Friedl
Wien, V./1.




Das Morgenblatt erſcheint um
6 Uhr Früh täglich, mit Aus-
nahme
der auf Sonn- und Feier-
tage folgenden Tage; das
Abendblatt an jedem Wochen-
tage
um 1 Uhr Nachmittags.


[Spaltenumbruch]
Abendblatt.
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 2 kr.



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig fl. 18.—, vierteljährig
fl. 4.50, monatlich fl. 1.50.

Einzelne Nummern: Morgenblatt
4 kr., Abendblatt 2 kr.

Für Oeſterreich-Ungarn, ſammt
Abendblatt: Mit einmaliger
Poſtverſendung ganzjährig fl. 20.—,
halbjährig fl. 10.—, vierteljährig
fl. 5.—, monatlich fl. 1.70; mit
zweimaliger Poſtverſendung
ganzjährig fl. 23.—, halbjährig
fl. 11.50, vierteljährig fl. 5.75,
monatlich fl. 2.—.

Für Deutſchland mit einmaliger
Verſendung vierteljährig fl. 6.—,
für die übrigen Länder des
Weltpoſtvereines
vierteljährig
fl. 7.—.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7




Telephon 1828.




III. Jahrgang. Wien, Dienſtag, den 28. Jänner 1896. Nr. 27.



[Spaltenumbruch]
Politiſche Rundſchau.

Am Samſtag wurde unſer Abendblatt con-
fiscirt. Bis jetzt wiſſen wir officiell nur, an
welcher Stelle des Blattes wir etwas ver-
brochen haben, was wir verbrochen haben, iſt
noch ein Geheimniß des Staatsanwaltes. Freilich
ganz gut ſcheint man im Preßbändigungsamte
das Geheimniß nicht gewahrt zu haben, denn der
„Peſter Lloyd“ wußte ſchon vorgeſtern, welches
Verbrechen in unſerem beſchlagnahmten Artikel
enthalten war. „Schmähung des Balles der Stadt
Wien“ heißt dieſes neueſte Preßdelict, wobei
leider der „P. Ll.“ verſchweigt, mit wie viel Jahren
Kerker ein ſolch ſchweres Vergehen beſtraft wird.
Die Juriſten des „Peſter Lloyd“ imponiren uns
thatſächlich und können uns geradezu fürchterlich
werden, wenn ſie noch öfter dem Staatsanwalt
auf die Fährte helfen, falls er um den Grund
für die Beſchlagnahme in Verlegenheit iſt. Jeder
Empfangsabend, jeder Jour fixe und jedes Kränz-
chen kann ſich dann durch eine ſcharfe Kritik
beleidigt fühlen und der Faſching würde dann
nicht nur zur Gefahr für die Hageſtolze, ſondern
auch für die Zeitungsſchreiber. Doch wir ſind
ſchon wieder beruhigt, denn nach eifrigem Studium
des Geſetzbuches haben wir gefunden, daß weder
der elaſtiſche § 300, noch der protectioniſtiſche
§ 302 ſich in dieſem Falle anwenden laſſen und
ſelbſt der § 431 nicht recht paſſen will.

Einer Lemberger Nachricht des Brünner
„Hlas“ zu Folge ſollen jene griechiſch-
katholiſchen Geiſtlichen,
welche ſich
an der bekannten großen Ruthenen-Deputation
an den Kaiſer betheiligten, vom Conſiſtorium zur
Verantwortung gezogen werden. Das klingt denn
doch ſelbſt aus Galizien unglaublich.

Die Reichsrathserſatzwahl in Steyr
[Spaltenumbruch] findet morgen ſtatt. Das Mandat befand ſich
bisher in Händen der Liberalen, jedoch iſt gegrün-
dete Ausſicht vorhanden, daß der von den ver-
einigten antiliberalen Parteien aufgeſtellte Candidat,
Profeſſor Leopold Erb, die Majorität erlangt.
Jedenfalls wird der Wahlkampf ein ſehr heißer
werden und hoffentlich mit einer Niederlage der
Liberalen endigen.

Die „N. L.“ kündigen mit Beſtimmtheit an,
daß die Ernennung des Grafen Coudenhove
zum Statthalter von Böhmen bereits durch-
geführt
ſei. Der neue Statthalter ſei der
czechiſchen Sprache beſſer mächtig als Graf Thun
und ebenſo als Marquis Bacquehem. Das Letztere
wäre freilich keine Kunſt.

Bourgeois wiegelt ab, wenigſteus in der
ihm ergebenen Preſſe. Die radicalen Blätter er-
klären nämlich, daß die Entſetzung des Bot-
ſchafters Grafen Lefebore de Behaine
durch eine andere Perſönlichkeit keineswegs
ein Anzeichen ſei, daß das Cabinet Bourgeois
gegenüber dem Vatican eine ſchroffe Politik ein-
zuleiten beabſichtige; die Rede, welche der Mi-
niſterpräſident bei der Budgetberathung gegen die
Auflaſſung des Botſchafterpoſtens beim heiligen
Stuhle gehalten, bilde allein ſchon eine Wider-
legung dieſer Auffaſſung. Auch die beabſichtigte
Ernennung des Herrn Nifard an Stelle des
Grafen Lefebvre zeuge doch nicht von einer feind-
ſeligen Stimmung gegen den Vatican, denn dieſer
ſei eine ſehr maßvolle Perſönlichkeit, durch deſſen
eventuelle Wirkſamkeit beim heiligen Stuhle die
beſten Traditionen der franzöſiſchen Diplomatie
zur Geltung gelangen würden. — Wir wollen’s
hoffen. Iſt aber Bourgeois frei von aller Feind-
ſchaft gegen den Vatican, warum dann die Ab-
berufung des Grafen Lefebvre de Behaine, der
mit dem Papſte Leo XIII. in ſo freundſchaftlichen
Beziehungen, auch perſönlich, ſtand?!


[Spaltenumbruch]

Die in Paris erſcheinenden „Nouvelles
d’ Orient“ treten wieder mit einer Scandal-
Affaire
der dortigen Preſſe hervor. Das Blatt
ſtellt dem türkiſchen Botſchafter in Paris,
Munir Bey die Frage, ob es richtig ſei,
daß er als ehemaliger Preßbureauchef der hohen
Pforte eine Reihe franzöſiſcher Blätter im türkiſchen
Intereſſe „ſubventionirte“? Eine weitere Frage
ſtellt das Blatt an die Direction des „Voltaire“,
ob dieſelbe mit Munir Bey nicht einen förm-
lichen Vertrag geſchloſſen, wonach der „Voltaire“
ſich gegen Zahlung einer „Subvention“ zur Ver-
tretung der türkiſchen Intereſſen bereit finden
läßt. Eine Antwort der Interpellirten liegt bis
zur Stunde noch nicht vor.

Der Pariſer „Figaro“ berichtet, die Aus-
lieferung Arton’s
ſei ſo gut wie beſchloſſen
und der Advocat Demange beſchäftige ſich bereits
mit dem Falle, der gegen Ende Februar oder
längſtens im Verlaufe des März vor den Aſſiſen
verhandelt wird. Arton werde indeß nicht nur
als Angeklagter erſcheinen, ſondern auch als Zeuge
in den Affairen Dupas und Souligoux
auszuſagen haben.

Scandale überall, auch in der freien
Schweiz. In Limmat-Athen, wie ſich die Großſtadt
Zürich gern nennen läßt, hat wider alles Recht
und Geſetz die Cantonsregierung in die Unter-
ſuchung gegen den oberſten Polizei-
beamten (!)
der Stadt, den Hauptmann
Fiſcher, eingegriffen. Dieſen ſauberen, „ſchneidigen“
Mann hat ſie nach ſiebzehntägiger Haft, entgegen
der Anordnung der oberſten Gerichtsbehörde, gegen
Caution auf freien Fuß geſetzt. Hauptmann Fiſcher’s
anſtößiger Lebenswandel, ſeine geradezu empörende
Willkürherrſchaft war ſtadtbekannt, trotzdem ließ
ihn die Cantonsregierung unangefochten in ſeinem
wichtigen, einflußreichen Amte. Man wußte, daß
dieſer berüchtigte Weiberheld, Säufer, Stammgaſt
der verrufenſten Kneipen und Schuldenmacher in




[Spaltenumbruch]
Der Spinnerlehrling.

[Nachdruck verboten.]

Darum müſſe er den Angeklagten, ſo leid es ihm
thue, zur Deportation nach Auſtralien verurtheilen.

Dieſe Strafe bedeutete thatſächlich ein Todesurtheil,
denn der arme alte Mann ſah ſo elend und gebrochen
aus, daß es keinem Zweifel unterliegen konnte, er
würde die Reiſe bis ans andere Ende der Welt nicht
überleben.

Gegen 12 Uhr wurde der Name Mary Nelſon
aufgerufen und Robins Mutter wurde von einem
Poliziſten in den Saal geführt. Die feierliche Stille,
die in dem Saal herrſchte, und die vielen Augen, die
ſich auf ſie richteten, verwirrten ſie einen Augenblick
und ſie blieb zitternd an der Thüre ſtehen.

Bald gewann ſie jedoch ihre Selbſtbeherrſchung
wieder und ging feſten Schrittes auf den Gerichtshof
zu. Im Vorbeigehen bemerkte ſie Bartlett und Robin
und winkte ihnen einen freundlichen Gruß mit den
Augen zu.

Robin war in einem Zuſtand der höchſten Er-
regung, und Bartlett hatte die größte Mühe, ihn zu
beruhigen, um nicht den Richter auf ihn aufmerkſam
zu machen und ſich ſeinen Unwillen zuzuziehen.

Nachdem Blake einen prüfenden Blick auf die Ge-
fangene geworfen hatte, muſterte er mit geſpannter
Aufmerkſamkeit die Mienen und Bewegungen der Ge-
ſchworenen.

„Sie macht einen guten Eindruck,“ flüſterte er
Chubb zu. „Dieſe blaſſen und feinen Züge, dieſe un-
ſchuldigen, treuherzigen Augen, ihre anſtändigen, wenn
auch etwas abgenutzten Kleider und ihr ganzes beſchei-
[Spaltenumbruch] denes und paſſendes Auftreten ſprechen zu ihren Gunſten.
Sie hat ſchon die Sympathie der Geſchworenen ge-
wonnen. Sehen Sie nur, mit welchem Intereſſe ſie
ſie betrachten und wie ſie ſich über ſie unterhalten.“

„Dies iſt die Gefangene, welche ſich weigert, ihren
Namen und ihre Adreſſe anzugeben, Mylord,“ ſagte
der Gerichtsſchreiber. „Sie wird in den Acten „Mary
Nelſon“ bezeichnet — ein Name, welcher auf einigen
in ihrem Beſitz befindlichen Pfandſcheinen gefunden
wurde.“

„Der Name iſt von nebenſächlicher Bedeutung,“
bemerkte der Richter gleichgiltig, „übrigens wird ſie auch
wohl „Nelſon“ heißen. Leute, die bei der Verübung
eines Verbrechens ertappt werden, pflegen gewöhnlich
mit der Wahrheit auf geſpanntem Fuße zu ſtehen. —
Verleſen Sie die Anklageſchrift.“

Dieſe beſagte, daß die Gefangene Mary Nelſon
„unbekannten Standes und Gewerbes“ beſchuldigt werde,
am Abend des 13. December einen Mantel im Werthe
von zehn Schilling aus dem Laden des Kaufmannes
Jakob Lazarus entgegen den Geſetzen und dem Willen
Sr. Majeſtät des Königs unrechtmäßig entwendet zu
haben.

„Angeklagte, bekennen Sie ſich ſchuldig oder
nicht?“ fragte der Richter im ſtrengen Tone.

„Ich bin unſchuldig,“ antwortete Sophie mit
leiſer, aber doch deutlich vernehmbarer Stimm[e].

Die Verhandlung begann. Der erſte von der
Anklagebehörde geladene Zeuge war John Smith,
welcher die Fragen des Staatsanwaltes dahin be-
antwortete, daß er den Diebſtahl beobachtet habe, und
im Uebrigen ſeine vor dem Polizei-Richter gemachte
Ausſage wiederholte. Blake nahm ihn in ein ſcharfes
Kreuzverhör, vermochte jedoch ſeine Ausſagen nicht ab-
zuſchwächen.

Der nächſte Zeuge war Perkins, welcher beſtimmt
verſicherte, daß die Angeklagte nicht geflohen, ſondern
[Spaltenumbruch] ihm entgegengekommen ſei, als er ſie an jenem Abend
traf. Er beſchwor ſeine Ausſage hoch und heilig und
verſicherte, daß die Gefangene ihm ſogleich ihr Be-
dauern über ihre That ausgeſprochen habe und Willens
geweſen ſei, den Mantel zurückzubringen.

„Es thut Ihnen jetzt wohl ſehr leid, daß Sie die
Angeklagte damals nicht haben laufen laſſen?“ fragte
der Richter mit einem höhniſchen Lächeln.

„Allerdings, Mylord, ich bedauere es von ganzem
Herzen,“ antwortete der brave Menſch treuherzig, „und
ich werde es Zeit meines Lebens bedauern.“

Sodann wurde der Poliziſt vernommen, welcher
Sophie verhaftet hatte; dieſes Verhör ergab jedoch keine
neuen oder wichtigen Momente für die Anklage.

Hierauf erhob ſich Herr Blake und richtete in ehr-
erbietiger und höflicher Weiſe die Bitte an den Richter,
eine Vertheidigungsrede halten zu dürfen.

„Eine Vertheidigungsrede?!“ rief Baron Hardreß
erſtaunt aus. „Aber das iſt ja gegen alle Regel und
Gewohnheit bei Capitalverbrechen. Womit wollen
Sie dieſe ungewöhnliche Bitte motiviren, Herr Blake?“

„Damit, daß die Angeklagte eine Frau iſt,
Mylord, und damit, daß ſie die Gattin eines Officiers
Sr. Majeſtät des Königs iſt. Ich weiß ſehr wohl,
daß meine Bitte ungewöhnlich iſt, aber unter den ob-
waltenden Umſtänden hege ich die zuverſichtliche Hoff-
nung, daß Sie eine Ausnahme zu Gunſten dieſer Frau
machen werden.“

„Die Gattin eines Officiers?!“ rief Hardreß er-
ſtaunt und ungläubig aus. „Aber womit wollen Sie
das beweiſen?“

„Wenn Sie die Güte haben wollen, dieſen Brief
zu leſen, Mylord, welcher im Beſitz der Frau gefunden
wurde, ſo werden Sie ſich davon überzeugen, daß ich
die Wahrheit ſagte.“

(Fortſetzung folgt.)


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[[1]/0001] Preis 2 kr. Redartion, Adminiſtration- Erpedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadterpedition I., Wollzeile 15. Zeitungsbureau Weis. Unfrankirte Briefe werden nicht an- genommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Reclamationen ſind portofrei. Ankündigungs-Bureau: VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie bei dem Annoncenbureau für kath.-con- ſerv. Blätter, Hubert Friedl Wien, V./1. Das Morgenblatt erſcheint um 6 Uhr Früh täglich, mit Aus- nahme der auf Sonn- und Feier- tage folgenden Tage; das Abendblatt an jedem Wochen- tage um 1 Uhr Nachmittags. Abendblatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 2 kr. Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig fl. 18.—, vierteljährig fl. 4.50, monatlich fl. 1.50. Einzelne Nummern: Morgenblatt 4 kr., Abendblatt 2 kr. Für Oeſterreich-Ungarn, ſammt Abendblatt: Mit einmaliger Poſtverſendung ganzjährig fl. 20.—, halbjährig fl. 10.—, vierteljährig fl. 5.—, monatlich fl. 1.70; mit zweimaliger Poſtverſendung ganzjährig fl. 23.—, halbjährig fl. 11.50, vierteljährig fl. 5.75, monatlich fl. 2.—. Für Deutſchland mit einmaliger Verſendung vierteljährig fl. 6.—, für die übrigen Länder des Weltpoſtvereines vierteljährig fl. 7.—. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7 Telephon 1828. III. Jahrgang. Wien, Dienſtag, den 28. Jänner 1896. Nr. 27. Politiſche Rundſchau. Am Samſtag wurde unſer Abendblatt con- fiscirt. Bis jetzt wiſſen wir officiell nur, an welcher Stelle des Blattes wir etwas ver- brochen haben, was wir verbrochen haben, iſt noch ein Geheimniß des Staatsanwaltes. Freilich ganz gut ſcheint man im Preßbändigungsamte das Geheimniß nicht gewahrt zu haben, denn der „Peſter Lloyd“ wußte ſchon vorgeſtern, welches Verbrechen in unſerem beſchlagnahmten Artikel enthalten war. „Schmähung des Balles der Stadt Wien“ heißt dieſes neueſte Preßdelict, wobei leider der „P. Ll.“ verſchweigt, mit wie viel Jahren Kerker ein ſolch ſchweres Vergehen beſtraft wird. Die Juriſten des „Peſter Lloyd“ imponiren uns thatſächlich und können uns geradezu fürchterlich werden, wenn ſie noch öfter dem Staatsanwalt auf die Fährte helfen, falls er um den Grund für die Beſchlagnahme in Verlegenheit iſt. Jeder Empfangsabend, jeder Jour fixe und jedes Kränz- chen kann ſich dann durch eine ſcharfe Kritik beleidigt fühlen und der Faſching würde dann nicht nur zur Gefahr für die Hageſtolze, ſondern auch für die Zeitungsſchreiber. Doch wir ſind ſchon wieder beruhigt, denn nach eifrigem Studium des Geſetzbuches haben wir gefunden, daß weder der elaſtiſche § 300, noch der protectioniſtiſche § 302 ſich in dieſem Falle anwenden laſſen und ſelbſt der § 431 nicht recht paſſen will. Einer Lemberger Nachricht des Brünner „Hlas“ zu Folge ſollen jene griechiſch- katholiſchen Geiſtlichen, welche ſich an der bekannten großen Ruthenen-Deputation an den Kaiſer betheiligten, vom Conſiſtorium zur Verantwortung gezogen werden. Das klingt denn doch ſelbſt aus Galizien unglaublich. Die Reichsrathserſatzwahl in Steyr findet morgen ſtatt. Das Mandat befand ſich bisher in Händen der Liberalen, jedoch iſt gegrün- dete Ausſicht vorhanden, daß der von den ver- einigten antiliberalen Parteien aufgeſtellte Candidat, Profeſſor Leopold Erb, die Majorität erlangt. Jedenfalls wird der Wahlkampf ein ſehr heißer werden und hoffentlich mit einer Niederlage der Liberalen endigen. Die „N. L.“ kündigen mit Beſtimmtheit an, daß die Ernennung des Grafen Coudenhove zum Statthalter von Böhmen bereits durch- geführt ſei. Der neue Statthalter ſei der czechiſchen Sprache beſſer mächtig als Graf Thun und ebenſo als Marquis Bacquehem. Das Letztere wäre freilich keine Kunſt. Bourgeois wiegelt ab, wenigſteus in der ihm ergebenen Preſſe. Die radicalen Blätter er- klären nämlich, daß die Entſetzung des Bot- ſchafters Grafen Lefebore de Behaine durch eine andere Perſönlichkeit keineswegs ein Anzeichen ſei, daß das Cabinet Bourgeois gegenüber dem Vatican eine ſchroffe Politik ein- zuleiten beabſichtige; die Rede, welche der Mi- niſterpräſident bei der Budgetberathung gegen die Auflaſſung des Botſchafterpoſtens beim heiligen Stuhle gehalten, bilde allein ſchon eine Wider- legung dieſer Auffaſſung. Auch die beabſichtigte Ernennung des Herrn Nifard an Stelle des Grafen Lefebvre zeuge doch nicht von einer feind- ſeligen Stimmung gegen den Vatican, denn dieſer ſei eine ſehr maßvolle Perſönlichkeit, durch deſſen eventuelle Wirkſamkeit beim heiligen Stuhle die beſten Traditionen der franzöſiſchen Diplomatie zur Geltung gelangen würden. — Wir wollen’s hoffen. Iſt aber Bourgeois frei von aller Feind- ſchaft gegen den Vatican, warum dann die Ab- berufung des Grafen Lefebvre de Behaine, der mit dem Papſte Leo XIII. in ſo freundſchaftlichen Beziehungen, auch perſönlich, ſtand?! Die in Paris erſcheinenden „Nouvelles d’ Orient“ treten wieder mit einer Scandal- Affaire der dortigen Preſſe hervor. Das Blatt ſtellt dem türkiſchen Botſchafter in Paris, Munir Bey die Frage, ob es richtig ſei, daß er als ehemaliger Preßbureauchef der hohen Pforte eine Reihe franzöſiſcher Blätter im türkiſchen Intereſſe „ſubventionirte“? Eine weitere Frage ſtellt das Blatt an die Direction des „Voltaire“, ob dieſelbe mit Munir Bey nicht einen förm- lichen Vertrag geſchloſſen, wonach der „Voltaire“ ſich gegen Zahlung einer „Subvention“ zur Ver- tretung der türkiſchen Intereſſen bereit finden läßt. Eine Antwort der Interpellirten liegt bis zur Stunde noch nicht vor. Der Pariſer „Figaro“ berichtet, die Aus- lieferung Arton’s ſei ſo gut wie beſchloſſen und der Advocat Demange beſchäftige ſich bereits mit dem Falle, der gegen Ende Februar oder längſtens im Verlaufe des März vor den Aſſiſen verhandelt wird. Arton werde indeß nicht nur als Angeklagter erſcheinen, ſondern auch als Zeuge in den Affairen Dupas und Souligoux auszuſagen haben. Scandale überall, auch in der freien Schweiz. In Limmat-Athen, wie ſich die Großſtadt Zürich gern nennen läßt, hat wider alles Recht und Geſetz die Cantonsregierung in die Unter- ſuchung gegen den oberſten Polizei- beamten (!) der Stadt, den Hauptmann Fiſcher, eingegriffen. Dieſen ſauberen, „ſchneidigen“ Mann hat ſie nach ſiebzehntägiger Haft, entgegen der Anordnung der oberſten Gerichtsbehörde, gegen Caution auf freien Fuß geſetzt. Hauptmann Fiſcher’s anſtößiger Lebenswandel, ſeine geradezu empörende Willkürherrſchaft war ſtadtbekannt, trotzdem ließ ihn die Cantonsregierung unangefochten in ſeinem wichtigen, einflußreichen Amte. Man wußte, daß dieſer berüchtigte Weiberheld, Säufer, Stammgaſt der verrufenſten Kneipen und Schuldenmacher in Der Spinnerlehrling. Von William Weſtall. Verdeutſcht von Axel Albrecht. (Mit Genehmigung des Verfaſſers.) [Nachdruck verboten.] Darum müſſe er den Angeklagten, ſo leid es ihm thue, zur Deportation nach Auſtralien verurtheilen. Dieſe Strafe bedeutete thatſächlich ein Todesurtheil, denn der arme alte Mann ſah ſo elend und gebrochen aus, daß es keinem Zweifel unterliegen konnte, er würde die Reiſe bis ans andere Ende der Welt nicht überleben. Gegen 12 Uhr wurde der Name Mary Nelſon aufgerufen und Robins Mutter wurde von einem Poliziſten in den Saal geführt. Die feierliche Stille, die in dem Saal herrſchte, und die vielen Augen, die ſich auf ſie richteten, verwirrten ſie einen Augenblick und ſie blieb zitternd an der Thüre ſtehen. Bald gewann ſie jedoch ihre Selbſtbeherrſchung wieder und ging feſten Schrittes auf den Gerichtshof zu. Im Vorbeigehen bemerkte ſie Bartlett und Robin und winkte ihnen einen freundlichen Gruß mit den Augen zu. Robin war in einem Zuſtand der höchſten Er- regung, und Bartlett hatte die größte Mühe, ihn zu beruhigen, um nicht den Richter auf ihn aufmerkſam zu machen und ſich ſeinen Unwillen zuzuziehen. Nachdem Blake einen prüfenden Blick auf die Ge- fangene geworfen hatte, muſterte er mit geſpannter Aufmerkſamkeit die Mienen und Bewegungen der Ge- ſchworenen. „Sie macht einen guten Eindruck,“ flüſterte er Chubb zu. „Dieſe blaſſen und feinen Züge, dieſe un- ſchuldigen, treuherzigen Augen, ihre anſtändigen, wenn auch etwas abgenutzten Kleider und ihr ganzes beſchei- denes und paſſendes Auftreten ſprechen zu ihren Gunſten. Sie hat ſchon die Sympathie der Geſchworenen ge- wonnen. Sehen Sie nur, mit welchem Intereſſe ſie ſie betrachten und wie ſie ſich über ſie unterhalten.“ „Dies iſt die Gefangene, welche ſich weigert, ihren Namen und ihre Adreſſe anzugeben, Mylord,“ ſagte der Gerichtsſchreiber. „Sie wird in den Acten „Mary Nelſon“ bezeichnet — ein Name, welcher auf einigen in ihrem Beſitz befindlichen Pfandſcheinen gefunden wurde.“ „Der Name iſt von nebenſächlicher Bedeutung,“ bemerkte der Richter gleichgiltig, „übrigens wird ſie auch wohl „Nelſon“ heißen. Leute, die bei der Verübung eines Verbrechens ertappt werden, pflegen gewöhnlich mit der Wahrheit auf geſpanntem Fuße zu ſtehen. — Verleſen Sie die Anklageſchrift.“ Dieſe beſagte, daß die Gefangene Mary Nelſon „unbekannten Standes und Gewerbes“ beſchuldigt werde, am Abend des 13. December einen Mantel im Werthe von zehn Schilling aus dem Laden des Kaufmannes Jakob Lazarus entgegen den Geſetzen und dem Willen Sr. Majeſtät des Königs unrechtmäßig entwendet zu haben. „Angeklagte, bekennen Sie ſich ſchuldig oder nicht?“ fragte der Richter im ſtrengen Tone. „Ich bin unſchuldig,“ antwortete Sophie mit leiſer, aber doch deutlich vernehmbarer Stimme. Die Verhandlung begann. Der erſte von der Anklagebehörde geladene Zeuge war John Smith, welcher die Fragen des Staatsanwaltes dahin be- antwortete, daß er den Diebſtahl beobachtet habe, und im Uebrigen ſeine vor dem Polizei-Richter gemachte Ausſage wiederholte. Blake nahm ihn in ein ſcharfes Kreuzverhör, vermochte jedoch ſeine Ausſagen nicht ab- zuſchwächen. Der nächſte Zeuge war Perkins, welcher beſtimmt verſicherte, daß die Angeklagte nicht geflohen, ſondern ihm entgegengekommen ſei, als er ſie an jenem Abend traf. Er beſchwor ſeine Ausſage hoch und heilig und verſicherte, daß die Gefangene ihm ſogleich ihr Be- dauern über ihre That ausgeſprochen habe und Willens geweſen ſei, den Mantel zurückzubringen. „Es thut Ihnen jetzt wohl ſehr leid, daß Sie die Angeklagte damals nicht haben laufen laſſen?“ fragte der Richter mit einem höhniſchen Lächeln. „Allerdings, Mylord, ich bedauere es von ganzem Herzen,“ antwortete der brave Menſch treuherzig, „und ich werde es Zeit meines Lebens bedauern.“ Sodann wurde der Poliziſt vernommen, welcher Sophie verhaftet hatte; dieſes Verhör ergab jedoch keine neuen oder wichtigen Momente für die Anklage. Hierauf erhob ſich Herr Blake und richtete in ehr- erbietiger und höflicher Weiſe die Bitte an den Richter, eine Vertheidigungsrede halten zu dürfen. „Eine Vertheidigungsrede?!“ rief Baron Hardreß erſtaunt aus. „Aber das iſt ja gegen alle Regel und Gewohnheit bei Capitalverbrechen. Womit wollen Sie dieſe ungewöhnliche Bitte motiviren, Herr Blake?“ „Damit, daß die Angeklagte eine Frau iſt, Mylord, und damit, daß ſie die Gattin eines Officiers Sr. Majeſtät des Königs iſt. Ich weiß ſehr wohl, daß meine Bitte ungewöhnlich iſt, aber unter den ob- waltenden Umſtänden hege ich die zuverſichtliche Hoff- nung, daß Sie eine Ausnahme zu Gunſten dieſer Frau machen werden.“ „Die Gattin eines Officiers?!“ rief Hardreß er- ſtaunt und ungläubig aus. „Aber womit wollen Sie das beweiſen?“ „Wenn Sie die Güte haben wollen, dieſen Brief zu leſen, Mylord, welcher im Beſitz der Frau gefunden wurde, ſo werden Sie ſich davon überzeugen, daß ich die Wahrheit ſagte.“ (Fortſetzung folgt.)

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Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 27, Wien, 28.01.1896. Beilage, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost027b_1896/1>, abgerufen am 21.11.2024.