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Reichspost. Nr. 3, Wien, 04.01.1901.

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VIII., Strozzigasse 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 15.
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Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen: Manuscripte werden
nicht zurückgestellt. Unverschlossene
Reclamationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse
41, sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erscheint täglich, 6 Uhr Nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


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Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

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Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ...... 28 K
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monatlich ..... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h. per Post
10 h

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

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Telephon 1828.




VIII. Jahrgang. Wien, Freitag, 4. Jänner 1901. Nr. 3.



[Spaltenumbruch]
Bayern

wird in der Presse nicht bloß in der österreichischen,
sondern auch in der reichsdeutschen Presse, soweit sie
nicht bayrisch ist, ziemlich stiefmütterlich behandelt.
Man hat sich dort wie hier gewöhnt, von den vielen
Bundesstaaten des deutschen Reiches nur vom
führenden preußischen Bundesstaat eingehendst zu be-
richten und die Vorgänge im zweitgrößten Bundes-
staat ziemlich bagatellmäßig zu behandeln. Selbst
das ist eines der Symptome, wie "verpreußt", um
den bekannten kräftigen Sigl'schen Ansdruck hier der
Kürze wegen anzuwenden, die deutschen Bundes-
staaten und speciell Bayern sind, d. h. wie Bayern
als der zweite der vielen Bundesstaaten des deutschen
Reiches an Bedeutung verloren hat, während
Preußen als der erste an Bedeutung derart ge-
wonnen hat, daß man Preußen und Deutsches Reich
vielfach, freilich ganz fälschlich, sozusagen identificirt.
Nur bei ganz wichtigen Vorgängen nimmt nament-
lich die nicht reichsdeutsche Presse von Vorgängen
Bayerns Notiz, speciell auch die österreichische Presse;
und doch steht unserem Oesterreich Bayern so nahe,
nicht bloß geographisch und ethnographisch, nein, auch
den Herzen und den Sympathien und der geschicht-
lichen Tradition nach. Namentlich das katholische
Volk Oesterreichs interessiren Bayerns Freuden und
Leiden; denn Bayern ist ein katholisches Land wie
Oesterreich, und Bayern wird leider, so wie
Oesterreich, nicht im Geiste seines katholischen
Stamm-Volkes und seiner katholischen Tradition
regiert, obschon dort wie hier katholische Monarchen
den Thron zieren. Holen wir unsererseits wenigstens
an der Jahreswende das Versäumte in etwa nach,
indem wir einen kurzen Rückblick auf die bayrischen
Vorgänge des letzten Jahres werfen.

Um gleich da anzuknüpfen, wo wir so eben ge-
endet, so haben sich die Katholiken Bayerns leider
keines besonderen Wohlwollens, ja nicht einmal
paritätischer Behandlung zu erfreuen. Obschon sie im
Parlamente die Mehrheit bilden, nimmt die Regierung
auf sie nur Rücksicht, wo sie muß. Der Fall Kerschen-
steiner und Schnek, die Anstellung zweier katholischer
[Spaltenumbruch] Lehrer, die mit Protestantinen verheirathet, ihre
Kinder protestantisch erziehen lassen, an katholischen
Schulen, die Schwierigkeiten, die man den
Fronleichnamsprocessionen mehrfach machte, die
Berufung von Protestanten auf die wichtigsten Posten
in der Verwaltung und im Rathe des Prinzregenten,
die Haltung des liberalisirenden Justizministers, die
Haltung der liberalen Presse gegen die Katholiken
und das katholische Königshaus, mußten die Katholiken
mißstimmen und gegen das "Reich" verdrossen machen;
denn der protestantenfreundliche Wind, der jetzt in
Bayern bläst, bläst vom Reich herüber, ist
"preußischer Wind", wie wieder Dr. Sigl sagen
würde. Auch die Einheits-Gelüste, die sich z. B. bei
der Einführung des Reichsmilitärgerichtshofes, beim
Flaggen-Erlaß kundgaben, stammen von drüben
und tragen das Meiste bei zu der in Bayern that-
sächlich herrschenden "Reichsverdrossenheit".

Aber auch im Lande selbst sieht es nicht am er-
freulichsten aus. Das wirthschaftliche Leben leidet
Noth, besonders der Bauernstand, vom Hand-
werkerstand nicht zu reden. Die Landwirthe Bayerns,
die großen wie die kleinen, kämpfen um ihre Existenz
bei Erneuerung der Handelsverträge, während Liberale
und Socialdemokraten vereint als Gegner ihrer Interessen
auftreten. Vom Liberalismus ist das selbstverständlich,
er ist ja in Bayern wie bei uns der Hort des Groß-
capitalismus und des Freihandels; aber daß die
Socialdemokratie in Bayern bauernfeindlich ist, beweist
klipp und klar, daß sie keine Volkspartei ist; denn
die Mehrheit des bayerischen Volkes bildet die Bauern-
schaft. Sie ist nur eine Proletarier-Partei, die Bauern
sind nur reif für sie, wenn sie proletarisirt, an den
Bettelstab gebracht sind. Leider haben es aber die
baierischen Bauern demgegenüber noch nicht zu einer ein-
heitlichen Organisation, ja nicht einmal zu einem ein-
heitlichen Vorgehen gebracht. Dem bayerischen Bauern-
bund bleiben die Oberbayern fern und merkwürdiger-
weise verlegt er sich weniger auf die Förderung der
bäuerlichen Standesinteressen als auf die Bekämpfung
des Centrums und der christlichen Bauernvereine.
Das echt preußische Gewächs, der Bund der Land-
wirthe, hat man auch noch nach Bayern importirt.
[Spaltenumbruch] So sind drei Bauernvereinigungen da, aber dem Bauern
helfen können sie nicht, weil die Vereine unter sich
selbst nicht einig sind. Die christlichen Bauernvereine,
an deren Spitze Männer wie Pichler, Gerstenberger,
Heim u. s. w. stehen, und die in sich vollständig einig
sind, böten da das Heil. Aber gerade der christliche
Charakter und der Umstand, daß Männer des bayri-
schen Centrums sich derselben und der bäuerlichen
Interessen annehmen, ist Schuld daran, daß die Hetzer
die Bauern vom Anschlusse an dieselben ferne halten
und so die Bauernschaft in sich spalten und entzweien.

Das Interesse des Centrums für das Wohl
des Volkes hat sich doch hinlänglich gezeigt bei der
Steuerreform, die sein Werk ist. Sah sich doch erst
vor einigen Wochen ein liberaler Rechtsrath der
Stadt München gezwungen, in einem Vortrag an
der Hand amtlichen Materials zuzugeben, daß die
Steuerreform die kleinen Leute thatsächlich entlastet
hat. Er theilte mit, daß der Ertrag der Gewerbe-
steuer um eine volle Million sich erhöht hat. Die
ganze Mehrung vertheilt sich auf etwa 7500 Steuer-
pflichtige. Von 30.700 Steuerzahlern haben 23.200
eine niedrigere Steuer als früher gezahlt, 4400 haben
eine wesentliche Erhöhung erfahren. Wer sind aber
diese? Nach dem Bericht eines liberalen Blattes
sind es Bankgeschäfte, Bierbrauereien und Malz-
fabriken mit einer halben Million, weiter Händler
mit Liegenschaften, Versicherungsgesellschaften, Waaren-
häuser mit einer Viertelmillion.

Die edle, volksfreundliche und auch katholische
Gesinnung des Prinzregenten Luitpold ist über allen
Zweifel erhaben. Daß er nicht die besten Rathgeber
findet, scheint das Leidenslos der katholischen Mo-
narchen der Gegenwart zu sein. Der hoffende Blick
des Volkes, namentlich aber der Katholiken Bayerns,
richtet sich auf die ritterliche Gestalt des Prinzen
Ludwig, des Thronfolgers, der im Laufe dieses
Jahres zwei Worte sprach, die seine katholische und
seine national-bayerische Gesinnung laut und klar
documentirten. Bei einer gegebenen Gelegenheit sagte
er: "Ich habe die Klöster sehr gern!" und bei einer
anderen erinnerte er gewisse Kreise daran, daß
Bayern ein selbständiger Bundesstaat ist, indem er




[Spaltenumbruch]
Der Jubiläumsdichter.

(Schluß.)

Steputat's Reimlexikon aufschlagend, versuchte er
durch das Echo der gleichen Klänge sich in dich-
terische Stimmung zu versetzen. Alles umsonst.
Schließlich gab er es auf und legte sich zu Bette, um
von fürchterlichen Träumen gequält zu werden.
Kleine, schwarze Teufelchen erschienen ihm, an
rasselnden Ketten gefesselte Verse nachschleppend,
welche sie ihn unter fürchterlichem Getöse um Haupt
und Rücken schlugen. Er sah Beaten's reizende
Gestalt in eine Kröte verwandelt, die ihn unter herz-
zerreißendem Jammer in menschlicher Sprache bat,
durch ein Gedicht sie zu erlösen und er vermochte
es nicht.

An allen Gliedern zerschlagen, erhob sich Hofer
früh Morgens, entschlossen, durch einen Spaziergang
im Stadtgarten unter den thaublitzenden Bäumen und
dem frischen Duft der Gräser und Blumen seine
Seele für das Jubiläumsgedicht zuzubereiten. Der
Morgenwind blies leicht in die bereits ausgesteckten
Fahnen, daß sie sich lustig blähten und wunderliche
Bewegungen vollführten, die Morgenröthe warf ihre
purpurnen Strahlen auf die vielen Kränze und Schleifen
unter den Fenstern, und aus den Augen der ihm Be-
gegnenden leuchtete der Widerschein froher Erregung
und die sehnsüchtige Erwartung des großen Festes.
Hofer wurde wüthend; er allein, in der Mitte so
vieler Glücklichen, trug die schwere Last einer fürchter-
[Spaltenumbruch] lichen Pflicht in sich und vermochte nicht, sich der-
selben zu entledigen um in den Jubel der anderen
einstimmen zu können. Ein Bäckerjunge kam ihm ent-
gegen, heiter pfeifend; die freudige Stimmung, die
über der ganzen Stadt lag, hatte auch ihn mächtig
ergriffen und nach einem Ausdrucke derselben ringend,
fing er plötzlich laut zu singen an:

Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war;

Weiter jedoch kam er nicht, eine furchtbare Ohr-
feige hatte ihm den Mund verschlossen! Bestürzt
und rathlos schaute er dem davonstürmenden Manne
im blauen Mantel nach und eine Thräne gekränkten
Ehrgeizes kollerte über seine geröthete Wange; doch
das Bewußtsein, für eine große Sache gelitten zu
haben, erhob den Jungen über das Beleidigende
kleinlicher Vorurtheile und tapfer schritt er mit seinen
Semmeln weiter.

Hofer sah sich an den blühenden Perlen der
Parkbäume die Augen wund, zog seiner Nase
durch das öftere Riechen an Blumen einen ge-
waltigen Schnupfen zu, aber die Schleußen des
poetischen Stromes öffneten sich nicht. Mit flammenden
Blicken und wirrem Haar irrte er im Parke herum,
rannte auf die grünen Wiesen und buschigen Auen
hinaus, probirte selbst den dämmernden Waldes-
schatten, Alles vergeblich. Um 5 Uhr Nachmittags
sah man ihn endlich wie einen Verzweifelten in den
Laden des Tabakkrämers, der zugleich die erste Buch-
handlung der Stadt Ja ... hielt, hineinstürzen.

Alles ging prächtig. Der Fackelzug wurde in
schönster Ordnung abgehalten. Herr A. H. Schuß
[Spaltenumbruch] dankte in gerührten Worten dem Capellmeister der
Stadtmusikanten und ließ mehrere Fäßchen Bier im
Gasthofe "Zum grünen Igel" auffahren; am Fest-
tage selbst sah man vor Fahnen, Kränzen, Bändern
und Triumphpforten kaum die Häuser, die kirchlichen
Feierlichkeiten erhöhten die Feststimmung, das Fest-
bankett ging unter zahlreichen Reden glücklich vor-
über und Volk und Arbeiterschaft schwamm auf der
Gemeindewiese in einem Meere von Wonne.

Im Salon des Herrenhauses hatten die zahl-
reichen Gäste soeben die gediegenen Tableaux vivants
kräftig beklatscht, als auf dem Podium Hofer in
höchster Dichtergala erschien. Ueber dem tadellos
schwarzen Salonanzug schwebt ein geisterbleiches
Antlitz, aus tiefliegenden Augen sprühte ein blenden-
des Feuer und das Haar rieselte in Locken und
Löckchen auf den blühend weißen Kragen und die
Hemdbrust nieder, den stimmungsvollsten Contrast
bildend.

Als Hofer das blauseidene Band von der Papier-
rolle, welche er mitgebracht, löste, ertönte ein brau-
sender Beifallssturm, man rückte die Sesseln, um
zum reinen Genusse der poetischen Gabe bereit zu
sein, und auch der Jubilar formte seinen Mund zu
einem ermunternden Lächeln. Hofer begann erst mit
geheimnißvoller Flüsterstimme, um nach und nach
bis zum höchsten Pathos sich empor zu arbeiten. Die
Zuhörer gaben kein Zeichen der Bewunderung von
sich, höchstens daß Einer oder der Andere still mit
dem Kopfe zu nicken wagte, wenn Hofer in bilder-
reicher Emphase eine vorzügliche Eigenschaft des
Fabriksherrn pries. Man wartete, bis der-


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 10 Seiten stark. [Abbildung]
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Preis 8 h



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Expedition
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Stadtexpedition I., Wollzeile 15.
Zeitungsbureau Weis.




Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen: Manuſcripte werden
nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene
Reclamationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe
41, ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




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nommen außer in den Expeditionen
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Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ...... 28 K
halbjährig ...... 14 K
vierteljährig ...... 7 K
monatlich ..... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h. per Poſt
10 h

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für: Oeſterreich-Ungarn:
ganzjährig ...... 32 K
halbjährig ...... 16 K
vierteljährig ...... 8 K
monatlich ..... 2 K 75 h

Für: Deutſchland:
vierteljährig .... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljähr. 12 [K] oder 10 Mark.




Telephon 1828.




VIII. Jahrgang. Wien, Freitag, 4. Jänner 1901. Nr. 3.



[Spaltenumbruch]
Bayern

wird in der Preſſe nicht bloß in der öſterreichiſchen,
ſondern auch in der reichsdeutſchen Preſſe, ſoweit ſie
nicht bayriſch iſt, ziemlich ſtiefmütterlich behandelt.
Man hat ſich dort wie hier gewöhnt, von den vielen
Bundesſtaaten des deutſchen Reiches nur vom
führenden preußiſchen Bundesſtaat eingehendſt zu be-
richten und die Vorgänge im zweitgrößten Bundes-
ſtaat ziemlich bagatellmäßig zu behandeln. Selbſt
das iſt eines der Symptome, wie „verpreußt“, um
den bekannten kräftigen Sigl’ſchen Ansdruck hier der
Kürze wegen anzuwenden, die deutſchen Bundes-
ſtaaten und ſpeciell Bayern ſind, d. h. wie Bayern
als der zweite der vielen Bundesſtaaten des deutſchen
Reiches an Bedeutung verloren hat, während
Preußen als der erſte an Bedeutung derart ge-
wonnen hat, daß man Preußen und Deutſches Reich
vielfach, freilich ganz fälſchlich, ſozuſagen identificirt.
Nur bei ganz wichtigen Vorgängen nimmt nament-
lich die nicht reichsdeutſche Preſſe von Vorgängen
Bayerns Notiz, ſpeciell auch die öſterreichiſche Preſſe;
und doch ſteht unſerem Oeſterreich Bayern ſo nahe,
nicht bloß geographiſch und ethnographiſch, nein, auch
den Herzen und den Sympathien und der geſchicht-
lichen Tradition nach. Namentlich das katholiſche
Volk Oeſterreichs intereſſiren Bayerns Freuden und
Leiden; denn Bayern iſt ein katholiſches Land wie
Oeſterreich, und Bayern wird leider, ſo wie
Oeſterreich, nicht im Geiſte ſeines katholiſchen
Stamm-Volkes und ſeiner katholiſchen Tradition
regiert, obſchon dort wie hier katholiſche Monarchen
den Thron zieren. Holen wir unſererſeits wenigſtens
an der Jahreswende das Verſäumte in etwa nach,
indem wir einen kurzen Rückblick auf die bayriſchen
Vorgänge des letzten Jahres werfen.

Um gleich da anzuknüpfen, wo wir ſo eben ge-
endet, ſo haben ſich die Katholiken Bayerns leider
keines beſonderen Wohlwollens, ja nicht einmal
paritätiſcher Behandlung zu erfreuen. Obſchon ſie im
Parlamente die Mehrheit bilden, nimmt die Regierung
auf ſie nur Rückſicht, wo ſie muß. Der Fall Kerſchen-
ſteiner und Schnek, die Anſtellung zweier katholiſcher
[Spaltenumbruch] Lehrer, die mit Proteſtantinen verheirathet, ihre
Kinder proteſtantiſch erziehen laſſen, an katholiſchen
Schulen, die Schwierigkeiten, die man den
Fronleichnamsproceſſionen mehrfach machte, die
Berufung von Proteſtanten auf die wichtigſten Poſten
in der Verwaltung und im Rathe des Prinzregenten,
die Haltung des liberaliſirenden Juſtizminiſters, die
Haltung der liberalen Preſſe gegen die Katholiken
und das katholiſche Königshaus, mußten die Katholiken
mißſtimmen und gegen das „Reich“ verdroſſen machen;
denn der proteſtantenfreundliche Wind, der jetzt in
Bayern bläſt, bläſt vom Reich herüber, iſt
„preußiſcher Wind“, wie wieder Dr. Sigl ſagen
würde. Auch die Einheits-Gelüſte, die ſich z. B. bei
der Einführung des Reichsmilitärgerichtshofes, beim
Flaggen-Erlaß kundgaben, ſtammen von drüben
und tragen das Meiſte bei zu der in Bayern that-
ſächlich herrſchenden „Reichsverdroſſenheit“.

Aber auch im Lande ſelbſt ſieht es nicht am er-
freulichſten aus. Das wirthſchaftliche Leben leidet
Noth, beſonders der Bauernſtand, vom Hand-
werkerſtand nicht zu reden. Die Landwirthe Bayerns,
die großen wie die kleinen, kämpfen um ihre Exiſtenz
bei Erneuerung der Handelsverträge, während Liberale
und Socialdemokraten vereint als Gegner ihrer Intereſſen
auftreten. Vom Liberalismus iſt das ſelbſtverſtändlich,
er iſt ja in Bayern wie bei uns der Hort des Groß-
capitalismus und des Freihandels; aber daß die
Socialdemokratie in Bayern bauernfeindlich iſt, beweiſt
klipp und klar, daß ſie keine Volkspartei iſt; denn
die Mehrheit des bayeriſchen Volkes bildet die Bauern-
ſchaft. Sie iſt nur eine Proletarier-Partei, die Bauern
ſind nur reif für ſie, wenn ſie proletariſirt, an den
Bettelſtab gebracht ſind. Leider haben es aber die
baieriſchen Bauern demgegenüber noch nicht zu einer ein-
heitlichen Organiſation, ja nicht einmal zu einem ein-
heitlichen Vorgehen gebracht. Dem bayeriſchen Bauern-
bund bleiben die Oberbayern fern und merkwürdiger-
weiſe verlegt er ſich weniger auf die Förderung der
bäuerlichen Standesintereſſen als auf die Bekämpfung
des Centrums und der chriſtlichen Bauernvereine.
Das echt preußiſche Gewächs, der Bund der Land-
wirthe, hat man auch noch nach Bayern importirt.
[Spaltenumbruch] So ſind drei Bauernvereinigungen da, aber dem Bauern
helfen können ſie nicht, weil die Vereine unter ſich
ſelbſt nicht einig ſind. Die chriſtlichen Bauernvereine,
an deren Spitze Männer wie Pichler, Gerſtenberger,
Heim u. ſ. w. ſtehen, und die in ſich vollſtändig einig
ſind, böten da das Heil. Aber gerade der chriſtliche
Charakter und der Umſtand, daß Männer des bayri-
ſchen Centrums ſich derſelben und der bäuerlichen
Intereſſen annehmen, iſt Schuld daran, daß die Hetzer
die Bauern vom Anſchluſſe an dieſelben ferne halten
und ſo die Bauernſchaft in ſich ſpalten und entzweien.

Das Intereſſe des Centrums für das Wohl
des Volkes hat ſich doch hinlänglich gezeigt bei der
Steuerreform, die ſein Werk iſt. Sah ſich doch erſt
vor einigen Wochen ein liberaler Rechtsrath der
Stadt München gezwungen, in einem Vortrag an
der Hand amtlichen Materials zuzugeben, daß die
Steuerreform die kleinen Leute thatſächlich entlaſtet
hat. Er theilte mit, daß der Ertrag der Gewerbe-
ſteuer um eine volle Million ſich erhöht hat. Die
ganze Mehrung vertheilt ſich auf etwa 7500 Steuer-
pflichtige. Von 30.700 Steuerzahlern haben 23.200
eine niedrigere Steuer als früher gezahlt, 4400 haben
eine weſentliche Erhöhung erfahren. Wer ſind aber
dieſe? Nach dem Bericht eines liberalen Blattes
ſind es Bankgeſchäfte, Bierbrauereien und Malz-
fabriken mit einer halben Million, weiter Händler
mit Liegenſchaften, Verſicherungsgeſellſchaften, Waaren-
häuſer mit einer Viertelmillion.

Die edle, volksfreundliche und auch katholiſche
Geſinnung des Prinzregenten Luitpold iſt über allen
Zweifel erhaben. Daß er nicht die beſten Rathgeber
findet, ſcheint das Leidenslos der katholiſchen Mo-
narchen der Gegenwart zu ſein. Der hoffende Blick
des Volkes, namentlich aber der Katholiken Bayerns,
richtet ſich auf die ritterliche Geſtalt des Prinzen
Ludwig, des Thronfolgers, der im Laufe dieſes
Jahres zwei Worte ſprach, die ſeine katholiſche und
ſeine national-bayeriſche Geſinnung laut und klar
documentirten. Bei einer gegebenen Gelegenheit ſagte
er: „Ich habe die Klöſter ſehr gern!“ und bei einer
anderen erinnerte er gewiſſe Kreiſe daran, daß
Bayern ein ſelbſtändiger Bundesſtaat iſt, indem er




[Spaltenumbruch]
Der Jubiläumsdichter.

(Schluß.)

Steputat’s Reimlexikon aufſchlagend, verſuchte er
durch das Echo der gleichen Klänge ſich in dich-
teriſche Stimmung zu verſetzen. Alles umſonſt.
Schließlich gab er es auf und legte ſich zu Bette, um
von fürchterlichen Träumen gequält zu werden.
Kleine, ſchwarze Teufelchen erſchienen ihm, an
raſſelnden Ketten gefeſſelte Verſe nachſchleppend,
welche ſie ihn unter fürchterlichem Getöſe um Haupt
und Rücken ſchlugen. Er ſah Beaten’s reizende
Geſtalt in eine Kröte verwandelt, die ihn unter herz-
zerreißendem Jammer in menſchlicher Sprache bat,
durch ein Gedicht ſie zu erlöſen und er vermochte
es nicht.

An allen Gliedern zerſchlagen, erhob ſich Hofer
früh Morgens, entſchloſſen, durch einen Spaziergang
im Stadtgarten unter den thaublitzenden Bäumen und
dem friſchen Duft der Gräſer und Blumen ſeine
Seele für das Jubiläumsgedicht zuzubereiten. Der
Morgenwind blies leicht in die bereits ausgeſteckten
Fahnen, daß ſie ſich luſtig blähten und wunderliche
Bewegungen vollführten, die Morgenröthe warf ihre
purpurnen Strahlen auf die vielen Kränze und Schleifen
unter den Fenſtern, und aus den Augen der ihm Be-
gegnenden leuchtete der Widerſchein froher Erregung
und die ſehnſüchtige Erwartung des großen Feſtes.
Hofer wurde wüthend; er allein, in der Mitte ſo
vieler Glücklichen, trug die ſchwere Laſt einer fürchter-
[Spaltenumbruch] lichen Pflicht in ſich und vermochte nicht, ſich der-
ſelben zu entledigen um in den Jubel der anderen
einſtimmen zu können. Ein Bäckerjunge kam ihm ent-
gegen, heiter pfeifend; die freudige Stimmung, die
über der ganzen Stadt lag, hatte auch ihn mächtig
ergriffen und nach einem Ausdrucke derſelben ringend,
fing er plötzlich laut zu ſingen an:

Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war;

Weiter jedoch kam er nicht, eine furchtbare Ohr-
feige hatte ihm den Mund verſchloſſen! Beſtürzt
und rathlos ſchaute er dem davonſtürmenden Manne
im blauen Mantel nach und eine Thräne gekränkten
Ehrgeizes kollerte über ſeine geröthete Wange; doch
das Bewußtſein, für eine große Sache gelitten zu
haben, erhob den Jungen über das Beleidigende
kleinlicher Vorurtheile und tapfer ſchritt er mit ſeinen
Semmeln weiter.

Hofer ſah ſich an den blühenden Perlen der
Parkbäume die Augen wund, zog ſeiner Naſe
durch das öftere Riechen an Blumen einen ge-
waltigen Schnupfen zu, aber die Schleußen des
poetiſchen Stromes öffneten ſich nicht. Mit flammenden
Blicken und wirrem Haar irrte er im Parke herum,
rannte auf die grünen Wieſen und buſchigen Auen
hinaus, probirte ſelbſt den dämmernden Waldes-
ſchatten, Alles vergeblich. Um 5 Uhr Nachmittags
ſah man ihn endlich wie einen Verzweifelten in den
Laden des Tabakkrämers, der zugleich die erſte Buch-
handlung der Stadt Ja ... hielt, hineinſtürzen.

Alles ging prächtig. Der Fackelzug wurde in
ſchönſter Ordnung abgehalten. Herr A. H. Schuß
[Spaltenumbruch] dankte in gerührten Worten dem Capellmeiſter der
Stadtmuſikanten und ließ mehrere Fäßchen Bier im
Gaſthofe „Zum grünen Igel“ auffahren; am Feſt-
tage ſelbſt ſah man vor Fahnen, Kränzen, Bändern
und Triumphpforten kaum die Häuſer, die kirchlichen
Feierlichkeiten erhöhten die Feſtſtimmung, das Feſt-
bankett ging unter zahlreichen Reden glücklich vor-
über und Volk und Arbeiterſchaft ſchwamm auf der
Gemeindewieſe in einem Meere von Wonne.

Im Salon des Herrenhauſes hatten die zahl-
reichen Gäſte ſoeben die gediegenen Tableaux vivants
kräftig beklatſcht, als auf dem Podium Hofer in
höchſter Dichtergala erſchien. Ueber dem tadellos
ſchwarzen Salonanzug ſchwebt ein geiſterbleiches
Antlitz, aus tiefliegenden Augen ſprühte ein blenden-
des Feuer und das Haar rieſelte in Locken und
Löckchen auf den blühend weißen Kragen und die
Hemdbruſt nieder, den ſtimmungsvollſten Contraſt
bildend.

Als Hofer das blauſeidene Band von der Papier-
rolle, welche er mitgebracht, löſte, ertönte ein brau-
ſender Beifallsſturm, man rückte die Seſſeln, um
zum reinen Genuſſe der poetiſchen Gabe bereit zu
ſein, und auch der Jubilar formte ſeinen Mund zu
einem ermunternden Lächeln. Hofer begann erſt mit
geheimnißvoller Flüſterſtimme, um nach und nach
bis zum höchſten Pathos ſich empor zu arbeiten. Die
Zuhörer gaben kein Zeichen der Bewunderung von
ſich, höchſtens daß Einer oder der Andere ſtill mit
dem Kopfe zu nicken wagte, wenn Hofer in bilder-
reicher Emphaſe eine vorzügliche Eigenſchaft des
Fabriksherrn pries. Man wartete, bis der-


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 8 h Redaction, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Zeitungsbureau Weis. Unfrankirte Briefe werden nicht an- genommen: Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Reclamationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ...... 28 K halbjährig ...... 14 K vierteljährig ...... 7 K monatlich ..... 2 K 35 h Einzelne Nummern 8 h. per Poſt 10 h Bei Abholung in unſerer Adminiſtra- tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K Für: Oeſterreich-Ungarn: ganzjährig ...... 32 K halbjährig ...... 16 K vierteljährig ...... 8 K monatlich ..... 2 K 75 h Für: Deutſchland: vierteljährig .... 9 K 50 h oder 8 Mark. Länder des Weltpoſtvereines: vierteljähr. 12 K oder 10 Mark. Telephon 1828. VIII. Jahrgang. Wien, Freitag, 4. Jänner 1901. Nr. 3. Bayern wird in der Preſſe nicht bloß in der öſterreichiſchen, ſondern auch in der reichsdeutſchen Preſſe, ſoweit ſie nicht bayriſch iſt, ziemlich ſtiefmütterlich behandelt. Man hat ſich dort wie hier gewöhnt, von den vielen Bundesſtaaten des deutſchen Reiches nur vom führenden preußiſchen Bundesſtaat eingehendſt zu be- richten und die Vorgänge im zweitgrößten Bundes- ſtaat ziemlich bagatellmäßig zu behandeln. Selbſt das iſt eines der Symptome, wie „verpreußt“, um den bekannten kräftigen Sigl’ſchen Ansdruck hier der Kürze wegen anzuwenden, die deutſchen Bundes- ſtaaten und ſpeciell Bayern ſind, d. h. wie Bayern als der zweite der vielen Bundesſtaaten des deutſchen Reiches an Bedeutung verloren hat, während Preußen als der erſte an Bedeutung derart ge- wonnen hat, daß man Preußen und Deutſches Reich vielfach, freilich ganz fälſchlich, ſozuſagen identificirt. Nur bei ganz wichtigen Vorgängen nimmt nament- lich die nicht reichsdeutſche Preſſe von Vorgängen Bayerns Notiz, ſpeciell auch die öſterreichiſche Preſſe; und doch ſteht unſerem Oeſterreich Bayern ſo nahe, nicht bloß geographiſch und ethnographiſch, nein, auch den Herzen und den Sympathien und der geſchicht- lichen Tradition nach. Namentlich das katholiſche Volk Oeſterreichs intereſſiren Bayerns Freuden und Leiden; denn Bayern iſt ein katholiſches Land wie Oeſterreich, und Bayern wird leider, ſo wie Oeſterreich, nicht im Geiſte ſeines katholiſchen Stamm-Volkes und ſeiner katholiſchen Tradition regiert, obſchon dort wie hier katholiſche Monarchen den Thron zieren. Holen wir unſererſeits wenigſtens an der Jahreswende das Verſäumte in etwa nach, indem wir einen kurzen Rückblick auf die bayriſchen Vorgänge des letzten Jahres werfen. Um gleich da anzuknüpfen, wo wir ſo eben ge- endet, ſo haben ſich die Katholiken Bayerns leider keines beſonderen Wohlwollens, ja nicht einmal paritätiſcher Behandlung zu erfreuen. Obſchon ſie im Parlamente die Mehrheit bilden, nimmt die Regierung auf ſie nur Rückſicht, wo ſie muß. Der Fall Kerſchen- ſteiner und Schnek, die Anſtellung zweier katholiſcher Lehrer, die mit Proteſtantinen verheirathet, ihre Kinder proteſtantiſch erziehen laſſen, an katholiſchen Schulen, die Schwierigkeiten, die man den Fronleichnamsproceſſionen mehrfach machte, die Berufung von Proteſtanten auf die wichtigſten Poſten in der Verwaltung und im Rathe des Prinzregenten, die Haltung des liberaliſirenden Juſtizminiſters, die Haltung der liberalen Preſſe gegen die Katholiken und das katholiſche Königshaus, mußten die Katholiken mißſtimmen und gegen das „Reich“ verdroſſen machen; denn der proteſtantenfreundliche Wind, der jetzt in Bayern bläſt, bläſt vom Reich herüber, iſt „preußiſcher Wind“, wie wieder Dr. Sigl ſagen würde. Auch die Einheits-Gelüſte, die ſich z. B. bei der Einführung des Reichsmilitärgerichtshofes, beim Flaggen-Erlaß kundgaben, ſtammen von drüben und tragen das Meiſte bei zu der in Bayern that- ſächlich herrſchenden „Reichsverdroſſenheit“. Aber auch im Lande ſelbſt ſieht es nicht am er- freulichſten aus. Das wirthſchaftliche Leben leidet Noth, beſonders der Bauernſtand, vom Hand- werkerſtand nicht zu reden. Die Landwirthe Bayerns, die großen wie die kleinen, kämpfen um ihre Exiſtenz bei Erneuerung der Handelsverträge, während Liberale und Socialdemokraten vereint als Gegner ihrer Intereſſen auftreten. Vom Liberalismus iſt das ſelbſtverſtändlich, er iſt ja in Bayern wie bei uns der Hort des Groß- capitalismus und des Freihandels; aber daß die Socialdemokratie in Bayern bauernfeindlich iſt, beweiſt klipp und klar, daß ſie keine Volkspartei iſt; denn die Mehrheit des bayeriſchen Volkes bildet die Bauern- ſchaft. Sie iſt nur eine Proletarier-Partei, die Bauern ſind nur reif für ſie, wenn ſie proletariſirt, an den Bettelſtab gebracht ſind. Leider haben es aber die baieriſchen Bauern demgegenüber noch nicht zu einer ein- heitlichen Organiſation, ja nicht einmal zu einem ein- heitlichen Vorgehen gebracht. Dem bayeriſchen Bauern- bund bleiben die Oberbayern fern und merkwürdiger- weiſe verlegt er ſich weniger auf die Förderung der bäuerlichen Standesintereſſen als auf die Bekämpfung des Centrums und der chriſtlichen Bauernvereine. Das echt preußiſche Gewächs, der Bund der Land- wirthe, hat man auch noch nach Bayern importirt. So ſind drei Bauernvereinigungen da, aber dem Bauern helfen können ſie nicht, weil die Vereine unter ſich ſelbſt nicht einig ſind. Die chriſtlichen Bauernvereine, an deren Spitze Männer wie Pichler, Gerſtenberger, Heim u. ſ. w. ſtehen, und die in ſich vollſtändig einig ſind, böten da das Heil. Aber gerade der chriſtliche Charakter und der Umſtand, daß Männer des bayri- ſchen Centrums ſich derſelben und der bäuerlichen Intereſſen annehmen, iſt Schuld daran, daß die Hetzer die Bauern vom Anſchluſſe an dieſelben ferne halten und ſo die Bauernſchaft in ſich ſpalten und entzweien. Das Intereſſe des Centrums für das Wohl des Volkes hat ſich doch hinlänglich gezeigt bei der Steuerreform, die ſein Werk iſt. Sah ſich doch erſt vor einigen Wochen ein liberaler Rechtsrath der Stadt München gezwungen, in einem Vortrag an der Hand amtlichen Materials zuzugeben, daß die Steuerreform die kleinen Leute thatſächlich entlaſtet hat. Er theilte mit, daß der Ertrag der Gewerbe- ſteuer um eine volle Million ſich erhöht hat. Die ganze Mehrung vertheilt ſich auf etwa 7500 Steuer- pflichtige. Von 30.700 Steuerzahlern haben 23.200 eine niedrigere Steuer als früher gezahlt, 4400 haben eine weſentliche Erhöhung erfahren. Wer ſind aber dieſe? Nach dem Bericht eines liberalen Blattes ſind es Bankgeſchäfte, Bierbrauereien und Malz- fabriken mit einer halben Million, weiter Händler mit Liegenſchaften, Verſicherungsgeſellſchaften, Waaren- häuſer mit einer Viertelmillion. Die edle, volksfreundliche und auch katholiſche Geſinnung des Prinzregenten Luitpold iſt über allen Zweifel erhaben. Daß er nicht die beſten Rathgeber findet, ſcheint das Leidenslos der katholiſchen Mo- narchen der Gegenwart zu ſein. Der hoffende Blick des Volkes, namentlich aber der Katholiken Bayerns, richtet ſich auf die ritterliche Geſtalt des Prinzen Ludwig, des Thronfolgers, der im Laufe dieſes Jahres zwei Worte ſprach, die ſeine katholiſche und ſeine national-bayeriſche Geſinnung laut und klar documentirten. Bei einer gegebenen Gelegenheit ſagte er: „Ich habe die Klöſter ſehr gern!“ und bei einer anderen erinnerte er gewiſſe Kreiſe daran, daß Bayern ein ſelbſtändiger Bundesſtaat iſt, indem er Der Jubiläumsdichter. Humoreske von J. Schneider. (Schluß.) Steputat’s Reimlexikon aufſchlagend, verſuchte er durch das Echo der gleichen Klänge ſich in dich- teriſche Stimmung zu verſetzen. Alles umſonſt. Schließlich gab er es auf und legte ſich zu Bette, um von fürchterlichen Träumen gequält zu werden. Kleine, ſchwarze Teufelchen erſchienen ihm, an raſſelnden Ketten gefeſſelte Verſe nachſchleppend, welche ſie ihn unter fürchterlichem Getöſe um Haupt und Rücken ſchlugen. Er ſah Beaten’s reizende Geſtalt in eine Kröte verwandelt, die ihn unter herz- zerreißendem Jammer in menſchlicher Sprache bat, durch ein Gedicht ſie zu erlöſen und er vermochte es nicht. An allen Gliedern zerſchlagen, erhob ſich Hofer früh Morgens, entſchloſſen, durch einen Spaziergang im Stadtgarten unter den thaublitzenden Bäumen und dem friſchen Duft der Gräſer und Blumen ſeine Seele für das Jubiläumsgedicht zuzubereiten. Der Morgenwind blies leicht in die bereits ausgeſteckten Fahnen, daß ſie ſich luſtig blähten und wunderliche Bewegungen vollführten, die Morgenröthe warf ihre purpurnen Strahlen auf die vielen Kränze und Schleifen unter den Fenſtern, und aus den Augen der ihm Be- gegnenden leuchtete der Widerſchein froher Erregung und die ſehnſüchtige Erwartung des großen Feſtes. Hofer wurde wüthend; er allein, in der Mitte ſo vieler Glücklichen, trug die ſchwere Laſt einer fürchter- lichen Pflicht in ſich und vermochte nicht, ſich der- ſelben zu entledigen um in den Jubel der anderen einſtimmen zu können. Ein Bäckerjunge kam ihm ent- gegen, heiter pfeifend; die freudige Stimmung, die über der ganzen Stadt lag, hatte auch ihn mächtig ergriffen und nach einem Ausdrucke derſelben ringend, fing er plötzlich laut zu ſingen an: Zu Mantua in Banden Der treue Hofer war; Weiter jedoch kam er nicht, eine furchtbare Ohr- feige hatte ihm den Mund verſchloſſen! Beſtürzt und rathlos ſchaute er dem davonſtürmenden Manne im blauen Mantel nach und eine Thräne gekränkten Ehrgeizes kollerte über ſeine geröthete Wange; doch das Bewußtſein, für eine große Sache gelitten zu haben, erhob den Jungen über das Beleidigende kleinlicher Vorurtheile und tapfer ſchritt er mit ſeinen Semmeln weiter. Hofer ſah ſich an den blühenden Perlen der Parkbäume die Augen wund, zog ſeiner Naſe durch das öftere Riechen an Blumen einen ge- waltigen Schnupfen zu, aber die Schleußen des poetiſchen Stromes öffneten ſich nicht. Mit flammenden Blicken und wirrem Haar irrte er im Parke herum, rannte auf die grünen Wieſen und buſchigen Auen hinaus, probirte ſelbſt den dämmernden Waldes- ſchatten, Alles vergeblich. Um 5 Uhr Nachmittags ſah man ihn endlich wie einen Verzweifelten in den Laden des Tabakkrämers, der zugleich die erſte Buch- handlung der Stadt Ja ... hielt, hineinſtürzen. Alles ging prächtig. Der Fackelzug wurde in ſchönſter Ordnung abgehalten. Herr A. H. Schuß dankte in gerührten Worten dem Capellmeiſter der Stadtmuſikanten und ließ mehrere Fäßchen Bier im Gaſthofe „Zum grünen Igel“ auffahren; am Feſt- tage ſelbſt ſah man vor Fahnen, Kränzen, Bändern und Triumphpforten kaum die Häuſer, die kirchlichen Feierlichkeiten erhöhten die Feſtſtimmung, das Feſt- bankett ging unter zahlreichen Reden glücklich vor- über und Volk und Arbeiterſchaft ſchwamm auf der Gemeindewieſe in einem Meere von Wonne. Im Salon des Herrenhauſes hatten die zahl- reichen Gäſte ſoeben die gediegenen Tableaux vivants kräftig beklatſcht, als auf dem Podium Hofer in höchſter Dichtergala erſchien. Ueber dem tadellos ſchwarzen Salonanzug ſchwebt ein geiſterbleiches Antlitz, aus tiefliegenden Augen ſprühte ein blenden- des Feuer und das Haar rieſelte in Locken und Löckchen auf den blühend weißen Kragen und die Hemdbruſt nieder, den ſtimmungsvollſten Contraſt bildend. Als Hofer das blauſeidene Band von der Papier- rolle, welche er mitgebracht, löſte, ertönte ein brau- ſender Beifallsſturm, man rückte die Seſſeln, um zum reinen Genuſſe der poetiſchen Gabe bereit zu ſein, und auch der Jubilar formte ſeinen Mund zu einem ermunternden Lächeln. Hofer begann erſt mit geheimnißvoller Flüſterſtimme, um nach und nach bis zum höchſten Pathos ſich empor zu arbeiten. Die Zuhörer gaben kein Zeichen der Bewunderung von ſich, höchſtens daß Einer oder der Andere ſtill mit dem Kopfe zu nicken wagte, wenn Hofer in bilder- reicher Emphaſe eine vorzügliche Eigenſchaft des Fabriksherrn pries. Man wartete, bis der- [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 3, Wien, 04.01.1901, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost003_1901/1>, abgerufen am 03.12.2024.