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Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 154. Leipzig (Sachsen), 12. März 1836.

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Das Pfennig=Magazin
der
Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse.


Nr. 154. ] Erscheint jeden Sonnabend. [März 12, 1836.


Leonardo da Vinci und sein Abendmahl.
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]

Leonardo da Vinci, dessen ausdrucksvolles Bildniß wir
hier in der Abbildung mittheilen, der berühmte Stifter
der florentinischen Malerschule, ward um 1450 in dem
Flecken Vinci unweit Florenz geboren. Er beschäftigte
sich schon in früher Jugend mit Malerei, Bildhauerei,
Baukunst, Poesie und Musik, und wurde noch sehr
jung von dem Herzog Sforza nach Mailand be-
rufen. Hier stiftete er eine Zeichnenakademie, und er-
warb sich auch als einsichtsvoller Baumeister große Ver-
dienste, ging aber 1499 nach Florenz zurück, erwarb
sich dort, fleißig arbeitend, durch seine herrlichen Ge-
mälde ein beträchtliches Vermögen, und sein Haus stand
an Pracht der Einrichtung den Palästen der Fürsten nicht
nach; er hielt sich, wie diese, Pagen und eine ansehn-
liche Dienerschaft, und war geehrt und geliebt von Al-
len, die ihn kannten. Von Florenz ging er nach Rom,
wo er jedoch nicht lange verweilte, und 1515 folgte er
einer Einladung des Königs Franz I. nach Frankreich,
hier aber beschäftigte er sich fast nur mit Alchemie und
starb daselbst 1519, nicht aber, wie bisher angenommen
wurde, in den Armen seines königlichen Freundes.

Leonardo da Vinci war ein Meister, der seiner
Kunst sein ganzes Leben hindurch das tiefste Studium
widmete. Die höchste Wahrheit in der Darstellung war
das Ziel, das er sich vorgesteckt hatte. Darum war
der verschiedenartige Ausdruck im menschlichen Charakter
für ihn ein Gegenstand unausgesetzter Beobachtungen.
Er pflegte deshalb selbst Menschen aus den niedern
Ständen um sich zu versammeln, die er durch Wein
[Spaltenumbruch] und Scherze aufregte, bis sie sich in ihrer frohen Laune
ohne Rückhalt gehen ließen. Alsdann zeichnete Leo-
nardo die ausdrucksvollsten Gesichter der lustigen Gesell-
schaft für seine Studien. Oft begleitete er auch Ver-
brecher zum Richtplatz und studirte auf ihren bleichen
Gesichtern die allmälige Steigerung der Todesangst.
Stets trug er ein Taschenbuch bei sich, in welches er
jede auffallende Gestalt, besonders ausdrucksvolle Köpfe
mit wenigen kühnen Zügen zeichnete. Aus diesen flüch-
tigen Skizzen ist die Sammlung von Caricaturen entstan-
den, welche bald nach seinem Tode bekannt gemacht wurde.

Das berühmteste Gemälde dieses Meisters ist das auf
S. 88 dargestellte Abendmahl des Herrn im ehemaligen
Refectorium der Dominikaner von Sta. [unleserliches Material - 6 Zeichen fehlen]=Maria delle Grazie
zu Mailand. Der Maler hat zu seiner Darstellung den
Augenblick gewählt, wo Christus die Worte spricht: Einer
unter Euch wird mich verrathen! Er hat den Gesichtszügen
der Apostel mit bewunderungswürdiger Kunst einen Aus-
druck gegeben, in welchem Neugier, Furcht und das
Verlangen, ihre Unschuld an den Tag zu legen, sich
vermischen. Der Kopf des Judas machte dem Künst-
ler die meiste Schwierigkeit, da er demselben den Aus-
druck der höchsten Bosheit und Treulosigkeit zu geben
bemüht war; daß er aber, wie wol erzählt wird, in
seinem Judaskopf den Prior des Klosters abgebildet
habe, ist eine Fabel. Ebenso ungegründet ist es, wenn
Einige erzählen, daß Leonardo da Vinci, so viele Ver-
suche er auch gemacht habe, nie den Kopf des Heilandes
habe vollenden können, weil es ihm unmöglich geschie-
[Ende Spaltensatz]

Das Pfennig=Magazin
der
Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse.


Nr. 154. ] Erscheint jeden Sonnabend. [März 12, 1836.


Leonardo da Vinci und sein Abendmahl.
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]

Leonardo da Vinci, dessen ausdrucksvolles Bildniß wir
hier in der Abbildung mittheilen, der berühmte Stifter
der florentinischen Malerschule, ward um 1450 in dem
Flecken Vinci unweit Florenz geboren. Er beschäftigte
sich schon in früher Jugend mit Malerei, Bildhauerei,
Baukunst, Poesie und Musik, und wurde noch sehr
jung von dem Herzog Sforza nach Mailand be-
rufen. Hier stiftete er eine Zeichnenakademie, und er-
warb sich auch als einsichtsvoller Baumeister große Ver-
dienste, ging aber 1499 nach Florenz zurück, erwarb
sich dort, fleißig arbeitend, durch seine herrlichen Ge-
mälde ein beträchtliches Vermögen, und sein Haus stand
an Pracht der Einrichtung den Palästen der Fürsten nicht
nach; er hielt sich, wie diese, Pagen und eine ansehn-
liche Dienerschaft, und war geehrt und geliebt von Al-
len, die ihn kannten. Von Florenz ging er nach Rom,
wo er jedoch nicht lange verweilte, und 1515 folgte er
einer Einladung des Königs Franz I. nach Frankreich,
hier aber beschäftigte er sich fast nur mit Alchemie und
starb daselbst 1519, nicht aber, wie bisher angenommen
wurde, in den Armen seines königlichen Freundes.

Leonardo da Vinci war ein Meister, der seiner
Kunst sein ganzes Leben hindurch das tiefste Studium
widmete. Die höchste Wahrheit in der Darstellung war
das Ziel, das er sich vorgesteckt hatte. Darum war
der verschiedenartige Ausdruck im menschlichen Charakter
für ihn ein Gegenstand unausgesetzter Beobachtungen.
Er pflegte deshalb selbst Menschen aus den niedern
Ständen um sich zu versammeln, die er durch Wein
[Spaltenumbruch] und Scherze aufregte, bis sie sich in ihrer frohen Laune
ohne Rückhalt gehen ließen. Alsdann zeichnete Leo-
nardo die ausdrucksvollsten Gesichter der lustigen Gesell-
schaft für seine Studien. Oft begleitete er auch Ver-
brecher zum Richtplatz und studirte auf ihren bleichen
Gesichtern die allmälige Steigerung der Todesangst.
Stets trug er ein Taschenbuch bei sich, in welches er
jede auffallende Gestalt, besonders ausdrucksvolle Köpfe
mit wenigen kühnen Zügen zeichnete. Aus diesen flüch-
tigen Skizzen ist die Sammlung von Caricaturen entstan-
den, welche bald nach seinem Tode bekannt gemacht wurde.

Das berühmteste Gemälde dieses Meisters ist das auf
S. 88 dargestellte Abendmahl des Herrn im ehemaligen
Refectorium der Dominikaner von Sta. [unleserliches Material – 6 Zeichen fehlen]=Maria delle Grazie
zu Mailand. Der Maler hat zu seiner Darstellung den
Augenblick gewählt, wo Christus die Worte spricht: Einer
unter Euch wird mich verrathen! Er hat den Gesichtszügen
der Apostel mit bewunderungswürdiger Kunst einen Aus-
druck gegeben, in welchem Neugier, Furcht und das
Verlangen, ihre Unschuld an den Tag zu legen, sich
vermischen. Der Kopf des Judas machte dem Künst-
ler die meiste Schwierigkeit, da er demselben den Aus-
druck der höchsten Bosheit und Treulosigkeit zu geben
bemüht war; daß er aber, wie wol erzählt wird, in
seinem Judaskopf den Prior des Klosters abgebildet
habe, ist eine Fabel. Ebenso ungegründet ist es, wenn
Einige erzählen, daß Leonardo da Vinci, so viele Ver-
suche er auch gemacht habe, nie den Kopf des Heilandes
habe vollenden können, weil es ihm unmöglich geschie-
[Ende Spaltensatz]

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[[81]/0001] Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 154. ] Erscheint jeden Sonnabend. [März 12, 1836. Leonardo da Vinci und sein Abendmahl. [Abbildung] Leonardo da Vinci, dessen ausdrucksvolles Bildniß wir hier in der Abbildung mittheilen, der berühmte Stifter der florentinischen Malerschule, ward um 1450 in dem Flecken Vinci unweit Florenz geboren. Er beschäftigte sich schon in früher Jugend mit Malerei, Bildhauerei, Baukunst, Poesie und Musik, und wurde noch sehr jung von dem Herzog Sforza nach Mailand be- rufen. Hier stiftete er eine Zeichnenakademie, und er- warb sich auch als einsichtsvoller Baumeister große Ver- dienste, ging aber 1499 nach Florenz zurück, erwarb sich dort, fleißig arbeitend, durch seine herrlichen Ge- mälde ein beträchtliches Vermögen, und sein Haus stand an Pracht der Einrichtung den Palästen der Fürsten nicht nach; er hielt sich, wie diese, Pagen und eine ansehn- liche Dienerschaft, und war geehrt und geliebt von Al- len, die ihn kannten. Von Florenz ging er nach Rom, wo er jedoch nicht lange verweilte, und 1515 folgte er einer Einladung des Königs Franz I. nach Frankreich, hier aber beschäftigte er sich fast nur mit Alchemie und starb daselbst 1519, nicht aber, wie bisher angenommen wurde, in den Armen seines königlichen Freundes. Leonardo da Vinci war ein Meister, der seiner Kunst sein ganzes Leben hindurch das tiefste Studium widmete. Die höchste Wahrheit in der Darstellung war das Ziel, das er sich vorgesteckt hatte. Darum war der verschiedenartige Ausdruck im menschlichen Charakter für ihn ein Gegenstand unausgesetzter Beobachtungen. Er pflegte deshalb selbst Menschen aus den niedern Ständen um sich zu versammeln, die er durch Wein und Scherze aufregte, bis sie sich in ihrer frohen Laune ohne Rückhalt gehen ließen. Alsdann zeichnete Leo- nardo die ausdrucksvollsten Gesichter der lustigen Gesell- schaft für seine Studien. Oft begleitete er auch Ver- brecher zum Richtplatz und studirte auf ihren bleichen Gesichtern die allmälige Steigerung der Todesangst. Stets trug er ein Taschenbuch bei sich, in welches er jede auffallende Gestalt, besonders ausdrucksvolle Köpfe mit wenigen kühnen Zügen zeichnete. Aus diesen flüch- tigen Skizzen ist die Sammlung von Caricaturen entstan- den, welche bald nach seinem Tode bekannt gemacht wurde. Das berühmteste Gemälde dieses Meisters ist das auf S. 88 dargestellte Abendmahl des Herrn im ehemaligen Refectorium der Dominikaner von Sta. ______=Maria delle Grazie zu Mailand. Der Maler hat zu seiner Darstellung den Augenblick gewählt, wo Christus die Worte spricht: Einer unter Euch wird mich verrathen! Er hat den Gesichtszügen der Apostel mit bewunderungswürdiger Kunst einen Aus- druck gegeben, in welchem Neugier, Furcht und das Verlangen, ihre Unschuld an den Tag zu legen, sich vermischen. Der Kopf des Judas machte dem Künst- ler die meiste Schwierigkeit, da er demselben den Aus- druck der höchsten Bosheit und Treulosigkeit zu geben bemüht war; daß er aber, wie wol erzählt wird, in seinem Judaskopf den Prior des Klosters abgebildet habe, ist eine Fabel. Ebenso ungegründet ist es, wenn Einige erzählen, daß Leonardo da Vinci, so viele Ver- suche er auch gemacht habe, nie den Kopf des Heilandes habe vollenden können, weil es ihm unmöglich geschie-

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 154. Leipzig (Sachsen), 12. März 1836, S. [81]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig154_1836/1>, abgerufen am 23.11.2024.