Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 151. Leipzig (Sachsen), 20. Februar 18.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz] sich dann in einen Stein verwandeln, der Lynkur ge-
nannt wurde. Dieser Stein, die Blasensteine, auch das
Fett, wurden gegen Steinbeschwerden gebraucht. Außer-
dem schrieb man dem Luchs ein sehr kurzes Gedächt-
niß zu, indem er das vergrabene Wild so wenig wieder
aufsuche, weil er den Platz vergessen habe; dagegen sollte
er mit seinem scharfen Gesicht sogar undurchsichtige
Dinge durchschauen können.



Madrid.
( Beschluß aus Nr. 150. )

Die ältern Häuser in Madrid sind sich ziemlich
gleich und ihr Äußeres hat wenig Auffallendes. Sie
sind meist von Holz, selten über drei Stockwerke hoch
und haben sehr schmale Fenster und kleine, schlecht ge-
baute Balcone. Der obere Theil des Hauses ragt
weit über den untern hervor, und die Vorderseite ist
gewöhnlich mit Figuren, Scenen aus den Stiergefechten
und andern Gegenständen verziert, welche an die Volks-
gewohnheiten erinnern. Die Fenster des Erdgeschosses
haben gewöhnlich Eisengitter, welche dem Fremden die
alten Geschichten von der Eifersucht der Spanier zu-
rückrufen, und die starke Hausthüre ist mit dicken Nä-
geln beschlagen. Die neuern Gebäude sind höher, fester,
gewöhnlich von Granit gebaut, aber selbst die Häuser
der Vornehmen unterscheiden sich von den geringern
Privatwohnungen meist nur durch ihre Größe, und
wenn auch nicht mit Malereien verziert, haben auch die
neuern Häuser von außen ihre Crucifixe und Heiligen-
bilder. Jn der Mitte der Hausthüre befindet sich ge-
wöhnlich ein kleines Fenster, das vergittert ist und ei-
nen Schieber hat. Wenn geklingelt wird, ruft eine
Stimme heraus: "Wer ist da?" Wer eingelassen wer-
den will, muß ausdrücklich ankündigen, daß er zu den
friedlichen Leuten ( gente de paz ) gehört. Der Thor-
wärter sieht dann aus dem Fenster und betrachtet den
Besucher. Kennt er ihn nicht, so erfolgt erst eine Un-
terredung, ehe sich ihm die Thüre öffnet. Diese Vor-
sicht ist nicht überflüssig in einer Stadt, wo Räuber
nicht selten bei Tage in ein Haus dringen, wenn sie
wissen, daß die Männer ausgegangen und nur die
Frauen zu Hause sind.

Jn Madrid und der nächsten Umgegend gibt es fünf
königliche Paläste. Das Residenzschloß, der neue Palast,
steht auf der Stelle eines maurischen Schlosses und wurde
1734 nach dem Brande des alten Palastes von dem
genuesischen Baumeister Sacchetti erbaut. Philipp V.
hatte die Absicht, ein ungeheures Gebäude von vier
Facaden, jede von 1600 Fuß, mit 23 Höfen und 34
Eingängen, zu errichten, aber dieser großartige Plan mußte
unausgeführt bleiben. Das Gebäude, einer der präch-
tigsten Königspaläste in Europa, hat vier Hauptseiten,
jede von 470 Fuß Länge und 100 Fuß Höhe. Er ist
sehr dauerhaft und feuerfest gebaut und hat, außer dem
mit Blei gedeckten Dache, den Fußböden, Thüren und
Fenstern, kein Holzwerk. Das Jnnere ist prachtvoll
und kostbar ausgeschmückt, und erinnert an die Zeit,
wo den Spaniern die Reichthümer einer halben Welt
zuflossen. Die Zimmer sind geräumig, besonders das
Audienzzimmer der Gesandten. Eine reiche Sammlung
von Gemälden der besten italienischen, spanischen und
flandrischen Meister schmückt das Jnnere. Das alte
Schloß Buen Retiro am östlichen Ende der Stadt,
schon unter Philipp IV. angefangen und zu verschiede-
[Spaltenumbruch] nen Zeiten weiter ausgebaut, bildet eine unharmonische
Masse und ist ziemlich verfallen. Es hat gleichfalls
eine Gemäldesammlung und große prächtige Gärten, wo
eine Bronzestatue Philipp II. auf einem galopiren-
den Pferde sehenswerth ist. Minder bedeutend ist das
kleine Schloß Casino im volkreichsten Stadttheile.

Es ist auffallend, daß die spanische Hauptstadt
keine durch Großartigkeit und Schönheit ausgezeichnete
Kirche hat, dies erklärt sich aber aus dem Umstande,
daß Madrid zu der Zeit, wo die Kirchenbaukunst blühte,
noch ein unbedeutender Ort war. Viele haben zwar schöne
Thürme, andere haben hübsche Kuppeln, aber die freund-
lich gebauten sind zu klein, die großen geschmacklos und
mit phantastischen Bauverzierungen überladen. Zu den
besten Kirchen gehören die Jsidorkirche mit einer schönen
Kuppel, die Kirche der Menschwerdung mit einem präch-
tigen Hochaltar, die Klosterkirche der Salesianerinnen
mit schönen Gemälden, Bildwerken und Marmorsäulen.
Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden sind auszu-
zeichnen die Caserne der Garde, das größte Gebäude in
Madrid, aber mit Verzierungen überladen, das in neue-
rer Zeit erbaute, ganz freistehende Posthaus, das Stadt-
haus, der Regierungspalast, wo die obern Gerichtshöfe
ihre Sitzungen halten, das Staatsgefängniß auf dem
großen Platze, die Akademie San=Fernando, welche in
der Malerei, Bildhauerkunst und Baukunst unentgelt-
lichen Unterricht ertheilt und die Plane zu allen öffent-
lichen Gebäuden zu prüfen hat, und das Zeughaus,
welches die Waffen mancher berühmten Krieger besitzt,
die Spanien hervorgebracht oder besiegt hat. Das Mu-
seum, gleichfalls ein bedeutendes Gebäude, enthält eine
der erlesensten Gemäldesammlungen in Europa. Die
vier Säle, welche diese Kunstschätze aufbewahren, sind
trefflich zu diesem Zwecke eingerichtet; jeder ist 150 Fuß
lang und 32 Fuß breit, und sie sind in der Mitte von
einem 300 Fuß langen Gange durchschnitten. Die
Sammlung enthält Bilder von den ersten Meistern al-
ler Schulen, und mehre Gemälde, die zu den größten
Kleinoden der Kunst gehören, z. B. die Kreuztragung
von Rafael. Dieses ursprünglich auf Holz gemalte
Bild kam während des Krieges mit andern Schätzen
nach Frankreich, aber da das Holz ganz wurmstichig
geworden war, in einem Zustande, der dem Bilde den
Untergang drohte. Es gehörte zu der kleinen Zahl von
Gemälden, die nach Napoleon's Abdankung nach Spa-
nien zurückkehrten; doch dieses Bild hatte der Wande-
rung seine Erhaltung zu danken, da es den französischen
Künstlern gelungen war, die gemalte Oberfläche von
dem Holze auf Leinwand zu übertragen.

Unter den öffentlichen Spaziergängen steht oben an
der Prado, der Stolz der Madrider, berühmt in den
spanischen Romanzen und Schauspielen. Er läuft längs
einem großen Theile der Ostseite und einem Theil der
Nordseite der Stadt, und da er, ehe die Gebäude wei-
ter vorrückten, einsam lag und viele Unebenheiten hatte,
so war er der Schauplatz mancher Zweikämpfe, politischer
Verschwörungen und mörderischer Überfälle. Karl III.
ließ ihn ebnen und mit den Bäumen bepflanzen, die
ihm erquickende Schatten geben, und jetzt ist er so sicher
als jeder andere Stadttheil. Der Prado ist 600--900
Fuß breit und dehnt sich in einer Länge von ungefähr
einer halben Stunde aus. Er ist mit mehren Reihen
von Ulmen und Kastanienbäumen bepflanzt und mit
vielen schönen Springbrunnen verziert, die an Sommer-
abenden eine liebliche Kühlung gewähren. Der Theil
des Prado, der hauptsächlich von Spaziergängern be-
sucht wird, ist ungefähr eine Viertelstunde lang. Der
mittlere Weg ist für Wagen und auf beiden Seiten
[Ende Spaltensatz]

Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz] sich dann in einen Stein verwandeln, der Lynkur ge-
nannt wurde. Dieser Stein, die Blasensteine, auch das
Fett, wurden gegen Steinbeschwerden gebraucht. Außer-
dem schrieb man dem Luchs ein sehr kurzes Gedächt-
niß zu, indem er das vergrabene Wild so wenig wieder
aufsuche, weil er den Platz vergessen habe; dagegen sollte
er mit seinem scharfen Gesicht sogar undurchsichtige
Dinge durchschauen können.



Madrid.
( Beschluß aus Nr. 150. )

Die ältern Häuser in Madrid sind sich ziemlich
gleich und ihr Äußeres hat wenig Auffallendes. Sie
sind meist von Holz, selten über drei Stockwerke hoch
und haben sehr schmale Fenster und kleine, schlecht ge-
baute Balcone. Der obere Theil des Hauses ragt
weit über den untern hervor, und die Vorderseite ist
gewöhnlich mit Figuren, Scenen aus den Stiergefechten
und andern Gegenständen verziert, welche an die Volks-
gewohnheiten erinnern. Die Fenster des Erdgeschosses
haben gewöhnlich Eisengitter, welche dem Fremden die
alten Geschichten von der Eifersucht der Spanier zu-
rückrufen, und die starke Hausthüre ist mit dicken Nä-
geln beschlagen. Die neuern Gebäude sind höher, fester,
gewöhnlich von Granit gebaut, aber selbst die Häuser
der Vornehmen unterscheiden sich von den geringern
Privatwohnungen meist nur durch ihre Größe, und
wenn auch nicht mit Malereien verziert, haben auch die
neuern Häuser von außen ihre Crucifixe und Heiligen-
bilder. Jn der Mitte der Hausthüre befindet sich ge-
wöhnlich ein kleines Fenster, das vergittert ist und ei-
nen Schieber hat. Wenn geklingelt wird, ruft eine
Stimme heraus: „Wer ist da?“ Wer eingelassen wer-
den will, muß ausdrücklich ankündigen, daß er zu den
friedlichen Leuten ( gente de paz ) gehört. Der Thor-
wärter sieht dann aus dem Fenster und betrachtet den
Besucher. Kennt er ihn nicht, so erfolgt erst eine Un-
terredung, ehe sich ihm die Thüre öffnet. Diese Vor-
sicht ist nicht überflüssig in einer Stadt, wo Räuber
nicht selten bei Tage in ein Haus dringen, wenn sie
wissen, daß die Männer ausgegangen und nur die
Frauen zu Hause sind.

Jn Madrid und der nächsten Umgegend gibt es fünf
königliche Paläste. Das Residenzschloß, der neue Palast,
steht auf der Stelle eines maurischen Schlosses und wurde
1734 nach dem Brande des alten Palastes von dem
genuesischen Baumeister Sacchetti erbaut. Philipp V.
hatte die Absicht, ein ungeheures Gebäude von vier
Façaden, jede von 1600 Fuß, mit 23 Höfen und 34
Eingängen, zu errichten, aber dieser großartige Plan mußte
unausgeführt bleiben. Das Gebäude, einer der präch-
tigsten Königspaläste in Europa, hat vier Hauptseiten,
jede von 470 Fuß Länge und 100 Fuß Höhe. Er ist
sehr dauerhaft und feuerfest gebaut und hat, außer dem
mit Blei gedeckten Dache, den Fußböden, Thüren und
Fenstern, kein Holzwerk. Das Jnnere ist prachtvoll
und kostbar ausgeschmückt, und erinnert an die Zeit,
wo den Spaniern die Reichthümer einer halben Welt
zuflossen. Die Zimmer sind geräumig, besonders das
Audienzzimmer der Gesandten. Eine reiche Sammlung
von Gemälden der besten italienischen, spanischen und
flandrischen Meister schmückt das Jnnere. Das alte
Schloß Buen Retiro am östlichen Ende der Stadt,
schon unter Philipp IV. angefangen und zu verschiede-
[Spaltenumbruch] nen Zeiten weiter ausgebaut, bildet eine unharmonische
Masse und ist ziemlich verfallen. Es hat gleichfalls
eine Gemäldesammlung und große prächtige Gärten, wo
eine Bronzestatue Philipp II. auf einem galopiren-
den Pferde sehenswerth ist. Minder bedeutend ist das
kleine Schloß Casino im volkreichsten Stadttheile.

Es ist auffallend, daß die spanische Hauptstadt
keine durch Großartigkeit und Schönheit ausgezeichnete
Kirche hat, dies erklärt sich aber aus dem Umstande,
daß Madrid zu der Zeit, wo die Kirchenbaukunst blühte,
noch ein unbedeutender Ort war. Viele haben zwar schöne
Thürme, andere haben hübsche Kuppeln, aber die freund-
lich gebauten sind zu klein, die großen geschmacklos und
mit phantastischen Bauverzierungen überladen. Zu den
besten Kirchen gehören die Jsidorkirche mit einer schönen
Kuppel, die Kirche der Menschwerdung mit einem präch-
tigen Hochaltar, die Klosterkirche der Salesianerinnen
mit schönen Gemälden, Bildwerken und Marmorsäulen.
Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden sind auszu-
zeichnen die Caserne der Garde, das größte Gebäude in
Madrid, aber mit Verzierungen überladen, das in neue-
rer Zeit erbaute, ganz freistehende Posthaus, das Stadt-
haus, der Regierungspalast, wo die obern Gerichtshöfe
ihre Sitzungen halten, das Staatsgefängniß auf dem
großen Platze, die Akademie San=Fernando, welche in
der Malerei, Bildhauerkunst und Baukunst unentgelt-
lichen Unterricht ertheilt und die Plane zu allen öffent-
lichen Gebäuden zu prüfen hat, und das Zeughaus,
welches die Waffen mancher berühmten Krieger besitzt,
die Spanien hervorgebracht oder besiegt hat. Das Mu-
seum, gleichfalls ein bedeutendes Gebäude, enthält eine
der erlesensten Gemäldesammlungen in Europa. Die
vier Säle, welche diese Kunstschätze aufbewahren, sind
trefflich zu diesem Zwecke eingerichtet; jeder ist 150 Fuß
lang und 32 Fuß breit, und sie sind in der Mitte von
einem 300 Fuß langen Gange durchschnitten. Die
Sammlung enthält Bilder von den ersten Meistern al-
ler Schulen, und mehre Gemälde, die zu den größten
Kleinoden der Kunst gehören, z. B. die Kreuztragung
von Rafael. Dieses ursprünglich auf Holz gemalte
Bild kam während des Krieges mit andern Schätzen
nach Frankreich, aber da das Holz ganz wurmstichig
geworden war, in einem Zustande, der dem Bilde den
Untergang drohte. Es gehörte zu der kleinen Zahl von
Gemälden, die nach Napoleon's Abdankung nach Spa-
nien zurückkehrten; doch dieses Bild hatte der Wande-
rung seine Erhaltung zu danken, da es den französischen
Künstlern gelungen war, die gemalte Oberfläche von
dem Holze auf Leinwand zu übertragen.

Unter den öffentlichen Spaziergängen steht oben an
der Prado, der Stolz der Madrider, berühmt in den
spanischen Romanzen und Schauspielen. Er läuft längs
einem großen Theile der Ostseite und einem Theil der
Nordseite der Stadt, und da er, ehe die Gebäude wei-
ter vorrückten, einsam lag und viele Unebenheiten hatte,
so war er der Schauplatz mancher Zweikämpfe, politischer
Verschwörungen und mörderischer Überfälle. Karl III.
ließ ihn ebnen und mit den Bäumen bepflanzen, die
ihm erquickende Schatten geben, und jetzt ist er so sicher
als jeder andere Stadttheil. Der Prado ist 600—900
Fuß breit und dehnt sich in einer Länge von ungefähr
einer halben Stunde aus. Er ist mit mehren Reihen
von Ulmen und Kastanienbäumen bepflanzt und mit
vielen schönen Springbrunnen verziert, die an Sommer-
abenden eine liebliche Kühlung gewähren. Der Theil
des Prado, der hauptsächlich von Spaziergängern be-
sucht wird, ist ungefähr eine Viertelstunde lang. Der
mittlere Weg ist für Wagen und auf beiden Seiten
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0003" n="59"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Das Pfennig=Magazin.</hi></fw><cb type="start"/>
sich dann in einen Stein verwandeln, der Lynkur ge-<lb/>
nannt wurde. Dieser Stein, die Blasensteine, auch das<lb/>
Fett, wurden gegen Steinbeschwerden gebraucht. Außer-<lb/>
dem schrieb man dem Luchs ein sehr kurzes Gedächt-<lb/>
niß zu, indem er das vergrabene Wild so wenig wieder<lb/>
aufsuche, weil er den Platz vergessen habe; dagegen sollte<lb/>
er mit seinem scharfen Gesicht sogar undurchsichtige<lb/>
Dinge durchschauen können.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Madrid</hi>.</hi><lb/>
( Beschluß aus Nr. 150. )</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>ie ältern Häuser in Madrid sind sich ziemlich<lb/>
gleich und ihr Äußeres hat wenig Auffallendes. Sie<lb/>
sind meist von Holz, selten über drei Stockwerke hoch<lb/>
und haben sehr schmale Fenster und kleine, schlecht ge-<lb/>
baute Balcone. Der obere Theil des Hauses ragt<lb/>
weit über den untern hervor, und die Vorderseite ist<lb/>
gewöhnlich mit Figuren, Scenen aus den Stiergefechten<lb/>
und andern Gegenständen verziert, welche an die Volks-<lb/>
gewohnheiten erinnern. Die Fenster des Erdgeschosses<lb/>
haben gewöhnlich Eisengitter, welche dem Fremden die<lb/>
alten Geschichten von der Eifersucht der Spanier zu-<lb/>
rückrufen, und die starke Hausthüre ist mit dicken Nä-<lb/>
geln beschlagen. Die neuern Gebäude sind höher, fester,<lb/>
gewöhnlich von Granit gebaut, aber selbst die Häuser<lb/>
der Vornehmen unterscheiden sich von den geringern<lb/>
Privatwohnungen meist nur durch ihre Größe, und<lb/>
wenn auch nicht mit Malereien verziert, haben auch die<lb/>
neuern Häuser von außen ihre Crucifixe und Heiligen-<lb/>
bilder. Jn der Mitte der Hausthüre befindet sich ge-<lb/>
wöhnlich ein kleines Fenster, das vergittert ist und ei-<lb/>
nen Schieber hat. Wenn geklingelt wird, ruft eine<lb/>
Stimme heraus: &#x201E;Wer ist da?&#x201C; Wer eingelassen wer-<lb/>
den will, muß ausdrücklich ankündigen, daß er zu den<lb/>
friedlichen Leuten ( <hi rendition="#aq">gente de paz</hi> ) gehört. Der Thor-<lb/>
wärter sieht dann aus dem Fenster und betrachtet den<lb/>
Besucher. Kennt er ihn nicht, so erfolgt erst eine Un-<lb/>
terredung, ehe sich ihm die Thüre öffnet. Diese Vor-<lb/>
sicht ist nicht überflüssig in einer Stadt, wo Räuber<lb/>
nicht selten bei Tage in ein Haus dringen, wenn sie<lb/>
wissen, daß die Männer ausgegangen und nur die<lb/>
Frauen zu Hause sind.</p><lb/>
        <p>Jn Madrid und der nächsten Umgegend gibt es fünf<lb/>
königliche Paläste. Das Residenzschloß, der neue Palast,<lb/>
steht auf der Stelle eines maurischen Schlosses und wurde<lb/>
1734 nach dem Brande des alten Palastes von dem<lb/>
genuesischen Baumeister Sacchetti erbaut. Philipp <hi rendition="#aq">V.</hi><lb/>
hatte die Absicht, ein ungeheures Gebäude von vier<lb/>
Fa<hi rendition="#aq">ç</hi>aden, jede von 1600 Fuß, mit 23 Höfen und 34<lb/>
Eingängen, zu errichten, aber dieser großartige Plan mußte<lb/>
unausgeführt bleiben. Das Gebäude, einer der präch-<lb/>
tigsten Königspaläste in Europa, hat vier Hauptseiten,<lb/>
jede von 470 Fuß Länge und 100 Fuß Höhe. Er ist<lb/>
sehr dauerhaft und feuerfest gebaut und hat, außer dem<lb/>
mit Blei gedeckten Dache, den Fußböden, Thüren und<lb/>
Fenstern, kein Holzwerk. Das Jnnere ist prachtvoll<lb/>
und kostbar ausgeschmückt, und erinnert an die Zeit,<lb/>
wo den Spaniern die Reichthümer einer halben Welt<lb/>
zuflossen. Die Zimmer sind geräumig, besonders das<lb/>
Audienzzimmer der Gesandten. Eine reiche Sammlung<lb/>
von Gemälden der besten italienischen, spanischen und<lb/>
flandrischen Meister schmückt das Jnnere. Das alte<lb/>
Schloß Buen Retiro am östlichen Ende der Stadt,<lb/>
schon unter Philipp <hi rendition="#aq">IV</hi>. angefangen und zu verschiede-<lb/><cb n="2"/>
nen Zeiten weiter ausgebaut, bildet eine unharmonische<lb/>
Masse und ist ziemlich verfallen. Es hat gleichfalls<lb/>
eine Gemäldesammlung und große prächtige Gärten, wo<lb/>
eine Bronzestatue Philipp <hi rendition="#aq">II</hi>. auf einem galopiren-<lb/>
den Pferde sehenswerth ist. Minder bedeutend ist das<lb/>
kleine Schloß Casino im volkreichsten Stadttheile.</p><lb/>
        <p>Es ist auffallend, daß die spanische Hauptstadt<lb/>
keine durch Großartigkeit und Schönheit ausgezeichnete<lb/>
Kirche hat, dies erklärt sich aber aus dem Umstande,<lb/>
daß Madrid zu der Zeit, wo die Kirchenbaukunst blühte,<lb/>
noch ein unbedeutender Ort war. Viele haben zwar schöne<lb/>
Thürme, andere haben hübsche Kuppeln, aber die freund-<lb/>
lich gebauten sind zu klein, die großen geschmacklos und<lb/>
mit phantastischen Bauverzierungen überladen. Zu den<lb/>
besten Kirchen gehören die Jsidorkirche mit einer schönen<lb/>
Kuppel, die Kirche der Menschwerdung mit einem präch-<lb/>
tigen Hochaltar, die Klosterkirche der Salesianerinnen<lb/>
mit schönen Gemälden, Bildwerken und Marmorsäulen.<lb/>
Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden sind auszu-<lb/>
zeichnen die Caserne der Garde, das größte Gebäude in<lb/>
Madrid, aber mit Verzierungen überladen, das in neue-<lb/>
rer Zeit erbaute, ganz freistehende Posthaus, das Stadt-<lb/>
haus, der Regierungspalast, wo die obern Gerichtshöfe<lb/>
ihre Sitzungen halten, das Staatsgefängniß auf dem<lb/>
großen Platze, die Akademie San=Fernando, welche in<lb/>
der Malerei, Bildhauerkunst und Baukunst unentgelt-<lb/>
lichen Unterricht ertheilt und die Plane zu allen öffent-<lb/>
lichen Gebäuden zu prüfen hat, und das Zeughaus,<lb/>
welches die Waffen mancher berühmten Krieger besitzt,<lb/>
die Spanien hervorgebracht oder besiegt hat. Das Mu-<lb/>
seum, gleichfalls ein bedeutendes Gebäude, enthält eine<lb/>
der erlesensten Gemäldesammlungen in Europa. Die<lb/>
vier Säle, welche diese Kunstschätze aufbewahren, sind<lb/>
trefflich zu diesem Zwecke eingerichtet; jeder ist 150 Fuß<lb/>
lang und 32 Fuß breit, und sie sind in der Mitte von<lb/>
einem 300 Fuß langen Gange durchschnitten. Die<lb/>
Sammlung enthält Bilder von den ersten Meistern al-<lb/>
ler Schulen, und mehre Gemälde, die zu den größten<lb/>
Kleinoden der Kunst gehören, z. B. die Kreuztragung<lb/>
von Rafael. Dieses ursprünglich auf Holz gemalte<lb/>
Bild kam während des Krieges mit andern Schätzen<lb/>
nach Frankreich, aber da das Holz ganz wurmstichig<lb/>
geworden war, in einem Zustande, der dem Bilde den<lb/>
Untergang drohte. Es gehörte zu der kleinen Zahl von<lb/>
Gemälden, die nach Napoleon's Abdankung nach Spa-<lb/>
nien zurückkehrten; doch dieses Bild hatte der Wande-<lb/>
rung seine Erhaltung zu danken, da es den französischen<lb/>
Künstlern gelungen war, die gemalte Oberfläche von<lb/>
dem Holze auf Leinwand zu übertragen.</p><lb/>
        <p>Unter den öffentlichen Spaziergängen steht oben an<lb/>
der Prado, der Stolz der Madrider, berühmt in den<lb/>
spanischen Romanzen und Schauspielen. Er läuft längs<lb/>
einem großen Theile der Ostseite und einem Theil der<lb/>
Nordseite der Stadt, und da er, ehe die Gebäude wei-<lb/>
ter vorrückten, einsam lag und viele Unebenheiten hatte,<lb/>
so war er der Schauplatz mancher Zweikämpfe, politischer<lb/>
Verschwörungen und mörderischer Überfälle. Karl <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
ließ ihn ebnen und mit den Bäumen bepflanzen, die<lb/>
ihm erquickende Schatten geben, und jetzt ist er so sicher<lb/>
als jeder andere Stadttheil. Der Prado ist 600&#x2014;900<lb/>
Fuß breit und dehnt sich in einer Länge von ungefähr<lb/>
einer halben Stunde aus. Er ist mit mehren Reihen<lb/>
von Ulmen und Kastanienbäumen bepflanzt und mit<lb/>
vielen schönen Springbrunnen verziert, die an Sommer-<lb/>
abenden eine liebliche Kühlung gewähren. Der Theil<lb/>
des Prado, der hauptsächlich von Spaziergängern be-<lb/>
sucht wird, ist ungefähr eine Viertelstunde lang. Der<lb/>
mittlere Weg ist für Wagen und auf beiden Seiten<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0003] Das Pfennig=Magazin. sich dann in einen Stein verwandeln, der Lynkur ge- nannt wurde. Dieser Stein, die Blasensteine, auch das Fett, wurden gegen Steinbeschwerden gebraucht. Außer- dem schrieb man dem Luchs ein sehr kurzes Gedächt- niß zu, indem er das vergrabene Wild so wenig wieder aufsuche, weil er den Platz vergessen habe; dagegen sollte er mit seinem scharfen Gesicht sogar undurchsichtige Dinge durchschauen können. Madrid. ( Beschluß aus Nr. 150. ) Die ältern Häuser in Madrid sind sich ziemlich gleich und ihr Äußeres hat wenig Auffallendes. Sie sind meist von Holz, selten über drei Stockwerke hoch und haben sehr schmale Fenster und kleine, schlecht ge- baute Balcone. Der obere Theil des Hauses ragt weit über den untern hervor, und die Vorderseite ist gewöhnlich mit Figuren, Scenen aus den Stiergefechten und andern Gegenständen verziert, welche an die Volks- gewohnheiten erinnern. Die Fenster des Erdgeschosses haben gewöhnlich Eisengitter, welche dem Fremden die alten Geschichten von der Eifersucht der Spanier zu- rückrufen, und die starke Hausthüre ist mit dicken Nä- geln beschlagen. Die neuern Gebäude sind höher, fester, gewöhnlich von Granit gebaut, aber selbst die Häuser der Vornehmen unterscheiden sich von den geringern Privatwohnungen meist nur durch ihre Größe, und wenn auch nicht mit Malereien verziert, haben auch die neuern Häuser von außen ihre Crucifixe und Heiligen- bilder. Jn der Mitte der Hausthüre befindet sich ge- wöhnlich ein kleines Fenster, das vergittert ist und ei- nen Schieber hat. Wenn geklingelt wird, ruft eine Stimme heraus: „Wer ist da?“ Wer eingelassen wer- den will, muß ausdrücklich ankündigen, daß er zu den friedlichen Leuten ( gente de paz ) gehört. Der Thor- wärter sieht dann aus dem Fenster und betrachtet den Besucher. Kennt er ihn nicht, so erfolgt erst eine Un- terredung, ehe sich ihm die Thüre öffnet. Diese Vor- sicht ist nicht überflüssig in einer Stadt, wo Räuber nicht selten bei Tage in ein Haus dringen, wenn sie wissen, daß die Männer ausgegangen und nur die Frauen zu Hause sind. Jn Madrid und der nächsten Umgegend gibt es fünf königliche Paläste. Das Residenzschloß, der neue Palast, steht auf der Stelle eines maurischen Schlosses und wurde 1734 nach dem Brande des alten Palastes von dem genuesischen Baumeister Sacchetti erbaut. Philipp V. hatte die Absicht, ein ungeheures Gebäude von vier Façaden, jede von 1600 Fuß, mit 23 Höfen und 34 Eingängen, zu errichten, aber dieser großartige Plan mußte unausgeführt bleiben. Das Gebäude, einer der präch- tigsten Königspaläste in Europa, hat vier Hauptseiten, jede von 470 Fuß Länge und 100 Fuß Höhe. Er ist sehr dauerhaft und feuerfest gebaut und hat, außer dem mit Blei gedeckten Dache, den Fußböden, Thüren und Fenstern, kein Holzwerk. Das Jnnere ist prachtvoll und kostbar ausgeschmückt, und erinnert an die Zeit, wo den Spaniern die Reichthümer einer halben Welt zuflossen. Die Zimmer sind geräumig, besonders das Audienzzimmer der Gesandten. Eine reiche Sammlung von Gemälden der besten italienischen, spanischen und flandrischen Meister schmückt das Jnnere. Das alte Schloß Buen Retiro am östlichen Ende der Stadt, schon unter Philipp IV. angefangen und zu verschiede- nen Zeiten weiter ausgebaut, bildet eine unharmonische Masse und ist ziemlich verfallen. Es hat gleichfalls eine Gemäldesammlung und große prächtige Gärten, wo eine Bronzestatue Philipp II. auf einem galopiren- den Pferde sehenswerth ist. Minder bedeutend ist das kleine Schloß Casino im volkreichsten Stadttheile. Es ist auffallend, daß die spanische Hauptstadt keine durch Großartigkeit und Schönheit ausgezeichnete Kirche hat, dies erklärt sich aber aus dem Umstande, daß Madrid zu der Zeit, wo die Kirchenbaukunst blühte, noch ein unbedeutender Ort war. Viele haben zwar schöne Thürme, andere haben hübsche Kuppeln, aber die freund- lich gebauten sind zu klein, die großen geschmacklos und mit phantastischen Bauverzierungen überladen. Zu den besten Kirchen gehören die Jsidorkirche mit einer schönen Kuppel, die Kirche der Menschwerdung mit einem präch- tigen Hochaltar, die Klosterkirche der Salesianerinnen mit schönen Gemälden, Bildwerken und Marmorsäulen. Unter den übrigen öffentlichen Gebäuden sind auszu- zeichnen die Caserne der Garde, das größte Gebäude in Madrid, aber mit Verzierungen überladen, das in neue- rer Zeit erbaute, ganz freistehende Posthaus, das Stadt- haus, der Regierungspalast, wo die obern Gerichtshöfe ihre Sitzungen halten, das Staatsgefängniß auf dem großen Platze, die Akademie San=Fernando, welche in der Malerei, Bildhauerkunst und Baukunst unentgelt- lichen Unterricht ertheilt und die Plane zu allen öffent- lichen Gebäuden zu prüfen hat, und das Zeughaus, welches die Waffen mancher berühmten Krieger besitzt, die Spanien hervorgebracht oder besiegt hat. Das Mu- seum, gleichfalls ein bedeutendes Gebäude, enthält eine der erlesensten Gemäldesammlungen in Europa. Die vier Säle, welche diese Kunstschätze aufbewahren, sind trefflich zu diesem Zwecke eingerichtet; jeder ist 150 Fuß lang und 32 Fuß breit, und sie sind in der Mitte von einem 300 Fuß langen Gange durchschnitten. Die Sammlung enthält Bilder von den ersten Meistern al- ler Schulen, und mehre Gemälde, die zu den größten Kleinoden der Kunst gehören, z. B. die Kreuztragung von Rafael. Dieses ursprünglich auf Holz gemalte Bild kam während des Krieges mit andern Schätzen nach Frankreich, aber da das Holz ganz wurmstichig geworden war, in einem Zustande, der dem Bilde den Untergang drohte. Es gehörte zu der kleinen Zahl von Gemälden, die nach Napoleon's Abdankung nach Spa- nien zurückkehrten; doch dieses Bild hatte der Wande- rung seine Erhaltung zu danken, da es den französischen Künstlern gelungen war, die gemalte Oberfläche von dem Holze auf Leinwand zu übertragen. Unter den öffentlichen Spaziergängen steht oben an der Prado, der Stolz der Madrider, berühmt in den spanischen Romanzen und Schauspielen. Er läuft längs einem großen Theile der Ostseite und einem Theil der Nordseite der Stadt, und da er, ehe die Gebäude wei- ter vorrückten, einsam lag und viele Unebenheiten hatte, so war er der Schauplatz mancher Zweikämpfe, politischer Verschwörungen und mörderischer Überfälle. Karl III. ließ ihn ebnen und mit den Bäumen bepflanzen, die ihm erquickende Schatten geben, und jetzt ist er so sicher als jeder andere Stadttheil. Der Prado ist 600—900 Fuß breit und dehnt sich in einer Länge von ungefähr einer halben Stunde aus. Er ist mit mehren Reihen von Ulmen und Kastanienbäumen bepflanzt und mit vielen schönen Springbrunnen verziert, die an Sommer- abenden eine liebliche Kühlung gewähren. Der Theil des Prado, der hauptsächlich von Spaziergängern be- sucht wird, ist ungefähr eine Viertelstunde lang. Der mittlere Weg ist für Wagen und auf beiden Seiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig151_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig151_1836/3
Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 151. Leipzig (Sachsen), 20. Februar 18, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig151_1836/3>, abgerufen am 22.11.2024.