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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 119. Leipzig (Sachsen), 12. April 1855.

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[Beginn Spaltensatz] ter anzubieten. Nachdem sie nun einige Straßen und
Durchhäuser durchwandert, wies der Begleiter mit dem
Zeigefinger auf den nicht weit entfernten Nebenbau
eines größern imponirenden Hauptgebäudes: " C'est ici,
Monsieur
!" und entfernte sich unter den verbindlich-
sten Danksagungen des Fremden. Jm Hause ange-
langt, schritt der Oberst durch einen bedeckten Gang,
kam durch eine Glasthür in einen ziemlich geräumigen
Hof und klirrte bald über die breite Treppe zur Bel=Etage
hinan, wo einige sehr einfach gekleidete Diener im
Vorsaale den Fremden mit stummer Höflichkeitsbezei-
gung empfingen. Jn dem großen Saale selbst, der
vor ihm geöffnet war und in den er jetzt eintrat, war
schon die Tafel zum Diner hergerichtet, einfach, ge-
schmackvoll, mit ungefähr 20 Gedecken. Der Oberst
machte es sich in der Galauniform so bequem als mög-
lich, ließ sich auf einen der Stühle an der Tafel nie-
der und manoeuvrirte fürs erste mit glänzender Taktik
in ein Quarre von Milchbrötchen hinein, während seine
Rechte eine vor ihm aufgepflanzte Weinflasche herzhaft
attakirte. Jn demselben Augenblicke wurde es lebhaf-
ter im Saale; die hohen Saalthüren öffneten sich und
eine größere Gesellschaft trat ein. Voran schritt ein
hochbetagter, bürgerlich gekleideter Mann, in dessen ed-
lem Antlitz sich eine wunderbare Mischung von Würde
und liebevoller Heiterkeit kundgab, dessen feuriges, küh-
nes Auge der Last der Jahre zu spotten schien. An
seiner Rechten hing ein grazienartiges, niedliches Mäd-
chen mit elfenschlanker Taille und sinnig beredtem, dun-
kelbraunem Auge. Es war, das konnte nicht geleug-
net werden, die Tochter des würdigen Alten; aber auch
die nachfolgenden, sich einhertummelnden Knaben tru-
gen im Antlitz und in dem ganzen äußern Wesen die
Züge des Vaters, die Milde und doch wieder durch-
dringende Schärfe des Blicks, Einfachheit und Adel
der Repräsentation in jeder Bewegung. Dieser Fami-
lie folgten noch einige ältere und jüngere Männer, die
man für Lehrer, Erzieher und Secretäre in diesem
Familienkreise hätte ansehen mögen.

So anspruchslos die hier flüchtig skizzirte Gesell-
schaft auch eintrat, der taktfeine Franzose fühlte sich
dennoch veranlaßt, sich vom Stuhl zu erheben und
mit der dem Franzosen eigenen Nonchalance zu grü-
ßen. Der Gruß wurde von sämmtlichen Gästen mit
schlichter Einfachheit erwidert, und nachdem die Fami-
lie noch einige Momente schweigsam, wahrscheinlich in
stiller Gebetbetrachtung, stehend zugebracht und der
Chef einem Diener einige Worte zugeflüstert hatte,
wurden die Plätze an der Tafel eingenommen. Bald
war die kräftige soupe aux fines herbes servirt, welche
dem Gaumen des französischen Obersten sehr behagen
mußte, da er dem hinter ihm stehenden Diener den
Teller zur zweiten Auflage hinreichte. So ging es
auch mit den Zwischengerichten, mit den hingehauchten
Omelettes, den feinen Ragouts und endlich mit dem
köstlichen, in mancherlei Zubereitung präsentirten Rind-
fleisch. Der Oberst entwickelte einen ganz bewunderns-
würdigen Appetit und hielt sich nebenbei auch ganz
wacker an die Bouteille des lieblichen Bordeaux-
weins, die ihm ein geschäftiger Diener vorgestellt hatte.
Unterdessen ging es aber an dem Tafeltheile, den die
Familie und ihr würdiger Chef einnahm, keineswegs
in stiller Einsilbigkeit her. Obwol die jüngern Fami-
lienglieder nur pures Wasser und die ältern Herren
stark gewässerten Weißwein tranken, fehlte doch die
geistige Anregung zu belebter, feuriger Conversation
nicht. Es war der munterste und doch bemessenste
Austausch der Gedanken, den die Gesellschaft in bald
[Spaltenumbruch] scherzender, bald ernster Gesprächsweise darlegte. Zwi-
schen dem Oberhaupte dieser Familie und den einzel-
nen Gliedern derselben schienen zwar keine Schranken
der Ceremonie gezogen, doch wurde der sonoren Stimme
des würdigen alten Herrn, sobald sie in bestimmter
Redeweise anhob, eine lauschende Hingebung bewiesen
und Aller Augen hingen mit dem Ausdruck reinster
[unleserliches Material] ietät an diesen kräftig beredten Lippen. Selbst der
Oberst, der kein Wort Deutsch verstand und eben noch
sehr mit den französirenden cotelettes en papillotes
beschäftigt war, mußte sich durch den lebhaften Schwung
der Conversation berührt fühlen, denn er äußerte sei-
nem Tischnachbar, einem der bejahrten Herren der
Gesellschaft, wie sehr er bedaure, kein Wort Deutsch
zu verstehen und nicht an der heitern und gewiß geist-
reichen Conversation Antheil nehmen zu können. Diese
Bemerkung war dem Tischpräses nicht entgangen, denn
sogleich brachte er in leicht hingleitendem Französisch
eine flüchtig hingeworfene Bemerkung, und wie auf
ein gegebenes Signal wurde nun die Conversation in
leicht geschürztem, elegantem Französisch fortgeführt.
Den Franzosen schien diese gesellschaftliche Delikatesse
recht innerlich zu erfreuen, denn nachdem er sich selbst
in die allgemein werdende Conversation gemengt, brachte
er in höflicher Wendung die Bemerkung, wie er sich
auch heute neuerdings vom feinen gesellschaftlichen
Takt der Wiener, von der gastlichen Liebenswürdigkeit
derselben gegen Fremde so recht kräftig überzeugt habe
und schloß diese feurige Anerkennung mit den Wor-
ten, er hätte wol schon davon in Paris gehört, aber
doch nicht geglaubt, daß der erste Tag seiner Ankunft
in Wien und einige Augenblicke an einer wiener table
d'hote
ihm das stille, heitere Familienglück der Oest-
reicher in so edlem Familienkreise erschließen würden.

Bei dem Worte table d'hote überflog ein leichtes,
wol von dem Franzosen kaum wahrgenommenes Lä-
cheln die Physiognomie der Gesellschaft, doch das war
in Gedankenschnelle vorüber und nun bemächtigte sich
das Oberhaupt der Familie und der Oberst beinahe
ausschließlich der Conversation. Man ging von den
allgemeinen zu den speciellen Tagesfragen in Deutsch-
land und Frankreich über; der Franzose verrieth einen
lebhaften, fein gebildeten Geist, der Familienchef eine
Fülle von Kenntnissen und ein tiefes Eindringen in
französische politische und sociale Lebenszustände. Es
wurde bereits das Dessert herumgereicht, der brausende
Jacquesson schäumte vor dem Obersten, -- man sprach
von Krieg und Frieden, der Franzose war vor Jahren
schon zwei mal in Wien gewesen, aber auch der alte
würdige Herr deutete an, daß er einmal mit zahlrei-
cher Begleitung durch Paris gekommen. Der Fran-
zose pries die Waffenthaten seines großen und so un-
glücklichen Kaisers, rühmte aber auch den Muth, die
Ausdauer und Vaterlandsliebe der östreichischen Krie-
ger, den Heroismus ihres großen Feldherrn, des Erz-
herzogs Karl von Oestreich, und endete seine Lobrede
mit der scherzhaften Bemerkung, daß damals der Erz-
herzog Karl den französischen Militärs keinen so fried-
lichen Willkomm geboten habe, wie jetzt durch den Erz-
herzog Karl in Wien den französischen Gästen immer
ein solcher bereitet werde. Nun erhob sich der jüngere
Theil der Familie von der Tafel, grüßte freundlich die
Zurückbleibenden, küßte dem Vater ehrerbietig die Hand
und zog sich durch die offene Saalthür zurück.

Wie glücklich sind Sie, mein Herr! rief nun der
Oberst mit dem Ausdruck des tiefsten Ergriffenseins
aus, da Sie so anmuthige, kräftige und gewiß auch
herzensgute Kinder besitzen; wie doppelt glücklich, der
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ter anzubieten. Nachdem sie nun einige Straßen und
Durchhäuser durchwandert, wies der Begleiter mit dem
Zeigefinger auf den nicht weit entfernten Nebenbau
eines größern imponirenden Hauptgebäudes: „ C'est ici,
Monsieur
!“ und entfernte sich unter den verbindlich-
sten Danksagungen des Fremden. Jm Hause ange-
langt, schritt der Oberst durch einen bedeckten Gang,
kam durch eine Glasthür in einen ziemlich geräumigen
Hof und klirrte bald über die breite Treppe zur Bel=Etage
hinan, wo einige sehr einfach gekleidete Diener im
Vorsaale den Fremden mit stummer Höflichkeitsbezei-
gung empfingen. Jn dem großen Saale selbst, der
vor ihm geöffnet war und in den er jetzt eintrat, war
schon die Tafel zum Diner hergerichtet, einfach, ge-
schmackvoll, mit ungefähr 20 Gedecken. Der Oberst
machte es sich in der Galauniform so bequem als mög-
lich, ließ sich auf einen der Stühle an der Tafel nie-
der und manoeuvrirte fürs erste mit glänzender Taktik
in ein Quarré von Milchbrötchen hinein, während seine
Rechte eine vor ihm aufgepflanzte Weinflasche herzhaft
attakirte. Jn demselben Augenblicke wurde es lebhaf-
ter im Saale; die hohen Saalthüren öffneten sich und
eine größere Gesellschaft trat ein. Voran schritt ein
hochbetagter, bürgerlich gekleideter Mann, in dessen ed-
lem Antlitz sich eine wunderbare Mischung von Würde
und liebevoller Heiterkeit kundgab, dessen feuriges, küh-
nes Auge der Last der Jahre zu spotten schien. An
seiner Rechten hing ein grazienartiges, niedliches Mäd-
chen mit elfenschlanker Taille und sinnig beredtem, dun-
kelbraunem Auge. Es war, das konnte nicht geleug-
net werden, die Tochter des würdigen Alten; aber auch
die nachfolgenden, sich einhertummelnden Knaben tru-
gen im Antlitz und in dem ganzen äußern Wesen die
Züge des Vaters, die Milde und doch wieder durch-
dringende Schärfe des Blicks, Einfachheit und Adel
der Repräsentation in jeder Bewegung. Dieser Fami-
lie folgten noch einige ältere und jüngere Männer, die
man für Lehrer, Erzieher und Secretäre in diesem
Familienkreise hätte ansehen mögen.

So anspruchslos die hier flüchtig skizzirte Gesell-
schaft auch eintrat, der taktfeine Franzose fühlte sich
dennoch veranlaßt, sich vom Stuhl zu erheben und
mit der dem Franzosen eigenen Nonchalance zu grü-
ßen. Der Gruß wurde von sämmtlichen Gästen mit
schlichter Einfachheit erwidert, und nachdem die Fami-
lie noch einige Momente schweigsam, wahrscheinlich in
stiller Gebetbetrachtung, stehend zugebracht und der
Chef einem Diener einige Worte zugeflüstert hatte,
wurden die Plätze an der Tafel eingenommen. Bald
war die kräftige soupe aux fines herbes servirt, welche
dem Gaumen des französischen Obersten sehr behagen
mußte, da er dem hinter ihm stehenden Diener den
Teller zur zweiten Auflage hinreichte. So ging es
auch mit den Zwischengerichten, mit den hingehauchten
Omelettes, den feinen Ragouts und endlich mit dem
köstlichen, in mancherlei Zubereitung präsentirten Rind-
fleisch. Der Oberst entwickelte einen ganz bewunderns-
würdigen Appetit und hielt sich nebenbei auch ganz
wacker an die Bouteille des lieblichen Bordeaux-
weins, die ihm ein geschäftiger Diener vorgestellt hatte.
Unterdessen ging es aber an dem Tafeltheile, den die
Familie und ihr würdiger Chef einnahm, keineswegs
in stiller Einsilbigkeit her. Obwol die jüngern Fami-
lienglieder nur pures Wasser und die ältern Herren
stark gewässerten Weißwein tranken, fehlte doch die
geistige Anregung zu belebter, feuriger Conversation
nicht. Es war der munterste und doch bemessenste
Austausch der Gedanken, den die Gesellschaft in bald
[Spaltenumbruch] scherzender, bald ernster Gesprächsweise darlegte. Zwi-
schen dem Oberhaupte dieser Familie und den einzel-
nen Gliedern derselben schienen zwar keine Schranken
der Ceremonie gezogen, doch wurde der sonoren Stimme
des würdigen alten Herrn, sobald sie in bestimmter
Redeweise anhob, eine lauschende Hingebung bewiesen
und Aller Augen hingen mit dem Ausdruck reinster
[unleserliches Material] ietät an diesen kräftig beredten Lippen. Selbst der
Oberst, der kein Wort Deutsch verstand und eben noch
sehr mit den französirenden cotelettes en papillotes
beschäftigt war, mußte sich durch den lebhaften Schwung
der Conversation berührt fühlen, denn er äußerte sei-
nem Tischnachbar, einem der bejahrten Herren der
Gesellschaft, wie sehr er bedaure, kein Wort Deutsch
zu verstehen und nicht an der heitern und gewiß geist-
reichen Conversation Antheil nehmen zu können. Diese
Bemerkung war dem Tischpräses nicht entgangen, denn
sogleich brachte er in leicht hingleitendem Französisch
eine flüchtig hingeworfene Bemerkung, und wie auf
ein gegebenes Signal wurde nun die Conversation in
leicht geschürztem, elegantem Französisch fortgeführt.
Den Franzosen schien diese gesellschaftliche Delikatesse
recht innerlich zu erfreuen, denn nachdem er sich selbst
in die allgemein werdende Conversation gemengt, brachte
er in höflicher Wendung die Bemerkung, wie er sich
auch heute neuerdings vom feinen gesellschaftlichen
Takt der Wiener, von der gastlichen Liebenswürdigkeit
derselben gegen Fremde so recht kräftig überzeugt habe
und schloß diese feurige Anerkennung mit den Wor-
ten, er hätte wol schon davon in Paris gehört, aber
doch nicht geglaubt, daß der erste Tag seiner Ankunft
in Wien und einige Augenblicke an einer wiener table
d'hôte
ihm das stille, heitere Familienglück der Oest-
reicher in so edlem Familienkreise erschließen würden.

Bei dem Worte table d'hôte überflog ein leichtes,
wol von dem Franzosen kaum wahrgenommenes Lä-
cheln die Physiognomie der Gesellschaft, doch das war
in Gedankenschnelle vorüber und nun bemächtigte sich
das Oberhaupt der Familie und der Oberst beinahe
ausschließlich der Conversation. Man ging von den
allgemeinen zu den speciellen Tagesfragen in Deutsch-
land und Frankreich über; der Franzose verrieth einen
lebhaften, fein gebildeten Geist, der Familienchef eine
Fülle von Kenntnissen und ein tiefes Eindringen in
französische politische und sociale Lebenszustände. Es
wurde bereits das Dessert herumgereicht, der brausende
Jacquesson schäumte vor dem Obersten, — man sprach
von Krieg und Frieden, der Franzose war vor Jahren
schon zwei mal in Wien gewesen, aber auch der alte
würdige Herr deutete an, daß er einmal mit zahlrei-
cher Begleitung durch Paris gekommen. Der Fran-
zose pries die Waffenthaten seines großen und so un-
glücklichen Kaisers, rühmte aber auch den Muth, die
Ausdauer und Vaterlandsliebe der östreichischen Krie-
ger, den Heroismus ihres großen Feldherrn, des Erz-
herzogs Karl von Oestreich, und endete seine Lobrede
mit der scherzhaften Bemerkung, daß damals der Erz-
herzog Karl den französischen Militärs keinen so fried-
lichen Willkomm geboten habe, wie jetzt durch den Erz-
herzog Karl in Wien den französischen Gästen immer
ein solcher bereitet werde. Nun erhob sich der jüngere
Theil der Familie von der Tafel, grüßte freundlich die
Zurückbleibenden, küßte dem Vater ehrerbietig die Hand
und zog sich durch die offene Saalthür zurück.

Wie glücklich sind Sie, mein Herr! rief nun der
Oberst mit dem Ausdruck des tiefsten Ergriffenseins
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Diese Bemerkung war dem Tischpräses nicht entgangen, denn sogleich brachte er in leicht hingleitendem Französisch eine flüchtig hingeworfene Bemerkung, und wie auf ein gegebenes Signal wurde nun die Conversation in leicht geschürztem, elegantem Französisch fortgeführt. Den Franzosen schien diese gesellschaftliche Delikatesse recht innerlich zu erfreuen, denn nachdem er sich selbst in die allgemein werdende Conversation gemengt, brachte er in höflicher Wendung die Bemerkung, wie er sich auch heute neuerdings vom feinen gesellschaftlichen Takt der Wiener, von der gastlichen Liebenswürdigkeit derselben gegen Fremde so recht kräftig überzeugt habe und schloß diese feurige Anerkennung mit den Wor- ten, er hätte wol schon davon in Paris gehört, aber doch nicht geglaubt, daß der erste Tag seiner Ankunft in Wien und einige Augenblicke an einer wiener table d'hôte ihm das stille, heitere Familienglück der Oest- reicher in so edlem Familienkreise erschließen würden. Bei dem Worte table d'hôte überflog ein leichtes, wol von dem Franzosen kaum wahrgenommenes Lä- cheln die Physiognomie der Gesellschaft, doch das war in Gedankenschnelle vorüber und nun bemächtigte sich das Oberhaupt der Familie und der Oberst beinahe ausschließlich der Conversation. Man ging von den allgemeinen zu den speciellen Tagesfragen in Deutsch- land und Frankreich über; der Franzose verrieth einen lebhaften, fein gebildeten Geist, der Familienchef eine Fülle von Kenntnissen und ein tiefes Eindringen in französische politische und sociale Lebenszustände. Es wurde bereits das Dessert herumgereicht, der brausende Jacquesson schäumte vor dem Obersten, — man sprach von Krieg und Frieden, der Franzose war vor Jahren schon zwei mal in Wien gewesen, aber auch der alte würdige Herr deutete an, daß er einmal mit zahlrei- cher Begleitung durch Paris gekommen. Der Fran- zose pries die Waffenthaten seines großen und so un- glücklichen Kaisers, rühmte aber auch den Muth, die Ausdauer und Vaterlandsliebe der östreichischen Krie- ger, den Heroismus ihres großen Feldherrn, des Erz- herzogs Karl von Oestreich, und endete seine Lobrede mit der scherzhaften Bemerkung, daß damals der Erz- herzog Karl den französischen Militärs keinen so fried- lichen Willkomm geboten habe, wie jetzt durch den Erz- herzog Karl in Wien den französischen Gästen immer ein solcher bereitet werde. Nun erhob sich der jüngere Theil der Familie von der Tafel, grüßte freundlich die Zurückbleibenden, küßte dem Vater ehrerbietig die Hand und zog sich durch die offene Saalthür zurück. Wie glücklich sind Sie, mein Herr! rief nun der Oberst mit dem Ausdruck des tiefsten Ergriffenseins aus, da Sie so anmuthige, kräftige und gewiß auch herzensgute Kinder besitzen; wie doppelt glücklich, der

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 119. Leipzig (Sachsen), 12. April 1855, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig119_1855/2>, abgerufen am 21.11.2024.