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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 118. Leipzig (Sachsen), 5. April 1855.

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[Beginn Spaltensatz] selten die Europäer. Die Geschicklichkeit ihrer, im
Verhältniß zu ihrem mittelgroßen Körper wirklich klei-
nen Hände verdient wahre Bewunderung. Obgleich
ihr Handwerkszeug und Hausgeräthe äußerst einfach
ist, so erscheinen ihre Arbeiten doch oft recht kunstvoll;
ihre Zeuche weben sie ohne Maschinen mit Meister-
hand. An Putz und Schmuck hängen die Hindus mit
Leidenschaft, daher besonders die Vornehmen und die
Frauen neben ihrem einfachen Gewande den Körper
mit Edelsteinen sowie mit Fuß=, Arm= und Halsbän-
dern schmücken. Jn Bezug auf ihre Lebensweise wird
vor Allem ihre Mäßigkeit gerühmt, welche durch die
Religionsvorschriften der Hindus zum Gesetz gemacht
ist, weshalb auch der Genuß geistiger Getränke unter-
bleibt. Reis, Früchte und Wasser gehören zu ihren
Hauptnahrungsmitteln, daher es kein Wunder ist, daß
sie wenig von Krankheiten wissen und meist ein sehr
hohes Alter erreichen. Eigenthümlich ist ihre Art zu
trinken. Sie setzen nämlich nie ein Trinkgefäß an die
Lippen, sondern gießen sich jedes Getränk mit himmel-
wärts gerichtetem Gesicht in den offenen Mund.

Der Charakter der Hindus ist mild und sanft.
Sie behandeln alle Fremden mit Freundlichkeit und
Gastfreundschaft; ihre Frauen halten sie werth; Viel-
weiberei findet sich nur unter den Vornehmsten und
Ehelosigkeit gilt ihnen als eine Schande. Daß man den
Hindus Feigheit, Geiz, Lüge, Hinterlist und Hang
zur Gemächlichkeit nicht ohne Grund nachsagen muß,
daran tragen einen großen Theil der Schuld die Un-
terjocher des Landes selbst. Sie haben die Hindus in
Sklaverei geschlagen, sie haben dieselben körperlich und
geistig bedrückt und herabgewürdigt, sie haben ihnen
die Strebsamkeit verkümmert und mit der Selbstän-
digkeit zugleich den Sinn für politische Freiheit ge-
raubt. Daher ist es kein Wunder, daß das Volk
nach und nach in Unwissenheit und Aberglauben und
in mancherlei Sittenverderbniß versank, daß es sich der
Trägheit hingab und endlich nur noch an den Tände-
leien der Seiltänzer und Gaukler sowie am Rauchen,
Betelkauen, am Schachspiel und an dem Tanze der
Bajaderen Geschmack fand, obgleich heute noch ihre
Arbeiten von einem viel reinern, bessern Sinne Zeug-
niß ablegen.

Ungeachtet aller Unterjochungen ist man aber bis
heute noch nicht im Stande gewesen, den Hindus ihre
Vorliebe für alte Sitten und Gebräuche zu entreißen,
welche seit Jahrtausenden sich bei ihnen eingebürgert
haben. Hierher gehört auch die Eintheilung des Volks
in vier Hauptkasten, die so streng voneinander geschie-
den sind, daß kein Mitglied derselben aus einer an-
dern Kaste heirathen oder in irgend eine andere Kaste
übertreten darf. Die Geburt weist also den Hindus
sofort ihre Stellung an. Jede Kaste hat wieder ihre
besondern Abtheilungen, von welchen einige thierische
Nahrung genießen, andere nicht, einige ihre Todten
beerdigen, andere sie verbrennen, einige wol gar Wit-
wen lebendig begraben, während andere dieselben mit
den Leichen ihrer Männer verbrennen lassen oder ihnen
auch gestatten, sich wieder zu verheirathen.

Die Braminen nehmen unter den Kasten den
ersten Rang ein. Sie sind Priester, Lehrer, Richter
und Staatsbeamte der Hindus und werden von diesen
hoch geachtet, weil sie nach ihren religiösen Vorstellun-
gen aus dem Haupte ihrer höchsten Gottheit, des
Brahm, entsprangen. Daher wird ihre Person so hei-
lig gehalten, daß es eine untilgbare Schuld sein würde,
einen Braminen zu tödten. Hat ein solcher wirklich
ein todeswürdiges Verbrechen begangen, so wird er nur
[Spaltenumbruch] selten mit dem Tode bestraft; man stößt ihn höchstens
aus der Kaste oder sticht ihm die Augen aus. Nur
nach und nach können die Braminen zu höherm Range
aufsteigen, wobei sie sich unter mancherlei Zwang beu-
gen müssen. Sie haben sich des Fleisches, der Fische
und Eier als Nahrungsmittel zu enthalten, müssen in
den heiligen Büchern studiren, unterwerfen sich andern
strengen Prüfungen und üben sich vor allem im
Schweigen. Sie sind die Obersten ihres Volks, das
sie am Gängelbande führen. Als Heilige verehrt, kön-
nen sie mit den vernachlässigten Hindus machen, was
ihnen beliebt. Diesen ist nicht erlaubt, in den heili-
gen Religionsbüchern zu lesen, daher sie nie vorwärts
kommen können. Leider sind gerade die Braminen die
sittenlosesten und heuchlerischesten Menschen unter den
Hindus.

Nach den Braminen folgt die zweite Kaste, die der
Krieger oder Rajas, nach der Sage entsprungen
aus den Schultern und Armen des Brahm; die dritte
Kaste aber, aus Brahm's Leibe und Schenkel ent-
sprossen, sind die Waischis, die Landbebauer, Vieh-
züchter und Kaufleute, und die vierte, aus Brahm's
Füßen entstandene Kaste umfaßt die Sudras, näm-
lich die Handwerker und Gewerbtreibenden. Sowol
bei dieser als bei allen andern Kasten besteht das Ge-
setz, daß der Sohn werden muß, was der Vater ist
und war, woher es kommt, daß das Volk einerseits
so langsam vorwärtsschreitet und daß sich andererseits
in gewissen Abtheilungen desselben Kunstgriffe und Ge-
heimnisse forterhalten, welche für alle andere Kasten
ganz unzugänglich sind.

Außer diesen vier Kasten findet man in Hindostan
noch die unglücklichen, allgemein verachteten Parias,
welche fast den Thieren gleichgestellt sind. Sie dürfen
weder einen Tempel betreten noch neben andern Hin-
dus wohnen; bekommen sie ja die Erlaubniß, mit
einem Hindu zu reden, so müssen sie, um diesen mit
ihrem Athem nicht zu verunreinigen, den Mund zu-
halten, wenn sie nicht sofort getödtet sein wollen; sie
werden zu den ekelhaftesten Arbeiten verwendet und
nähren sich oft vom Fleische gefallener Thiere. Jhr
Körper ist schmuzig, ihre Hautfarbe schwarz. Die
Engländer werben sie an und machen aus ihnen gute
Soldaten.

So stehen die Hindus in der Gegenwart als ein
herabgekommenes Volk da, während ihre Vorfahren
vor Jahrtausenden unstreitig zu den ideenreichsten, kräf-
tigsten und gebildetsten Völkern der Vorzeit gehörten.
Aber die Braminen haben im Laufe der Jahrhunderte
die tiefsinnigen, reinen Jdeen ihrer Vorfahren zu ih-
rem Vortheile ausgebeutet und ins Gemeine herabge-
zogen, sie haben durch ihre Sinnlosigkeiten die frühern
klaren Vorstellungen verdrängt und von dem schönen
Gebäude der Wissenschaften ihrer Vorältern nur noch
einen ärmlichen Schatten bewahrt. Und doch spricht
aus Allem, was den heutigen Hindus aus der grauen
Vergangenheit noch geblieben ist, eine unendliche Tiefe
des Gefühls, ein Streben nach sittlicher Vervollkomm-
nung und die Ahnung einer Fortdauer nach dem Tode.
Was mögen die alten Bewohner Hindostans gedacht
und gegrübelt haben, wenn von ihnen heute noch bei
aller Verdummung Formeln in Versen vorhanden sind,
nach welchen die jetzigen beschränkten Braminen ohne
Schreibwerkzeuge unter Benutzung kleiner Muscheln im
Stande sind, die Sterne nach ihrem Laufe zu berech-
nen, ohne dabei die alten Formeln selbst zu verstehen.
Zu welcher Höhe geistiger Bildung mußten die Vor-
ältern der Hindus gelangen, ehe sie ihre wenn auch
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] selten die Europäer. Die Geschicklichkeit ihrer, im
Verhältniß zu ihrem mittelgroßen Körper wirklich klei-
nen Hände verdient wahre Bewunderung. Obgleich
ihr Handwerkszeug und Hausgeräthe äußerst einfach
ist, so erscheinen ihre Arbeiten doch oft recht kunstvoll;
ihre Zeuche weben sie ohne Maschinen mit Meister-
hand. An Putz und Schmuck hängen die Hindus mit
Leidenschaft, daher besonders die Vornehmen und die
Frauen neben ihrem einfachen Gewande den Körper
mit Edelsteinen sowie mit Fuß=, Arm= und Halsbän-
dern schmücken. Jn Bezug auf ihre Lebensweise wird
vor Allem ihre Mäßigkeit gerühmt, welche durch die
Religionsvorschriften der Hindus zum Gesetz gemacht
ist, weshalb auch der Genuß geistiger Getränke unter-
bleibt. Reis, Früchte und Wasser gehören zu ihren
Hauptnahrungsmitteln, daher es kein Wunder ist, daß
sie wenig von Krankheiten wissen und meist ein sehr
hohes Alter erreichen. Eigenthümlich ist ihre Art zu
trinken. Sie setzen nämlich nie ein Trinkgefäß an die
Lippen, sondern gießen sich jedes Getränk mit himmel-
wärts gerichtetem Gesicht in den offenen Mund.

Der Charakter der Hindus ist mild und sanft.
Sie behandeln alle Fremden mit Freundlichkeit und
Gastfreundschaft; ihre Frauen halten sie werth; Viel-
weiberei findet sich nur unter den Vornehmsten und
Ehelosigkeit gilt ihnen als eine Schande. Daß man den
Hindus Feigheit, Geiz, Lüge, Hinterlist und Hang
zur Gemächlichkeit nicht ohne Grund nachsagen muß,
daran tragen einen großen Theil der Schuld die Un-
terjocher des Landes selbst. Sie haben die Hindus in
Sklaverei geschlagen, sie haben dieselben körperlich und
geistig bedrückt und herabgewürdigt, sie haben ihnen
die Strebsamkeit verkümmert und mit der Selbstän-
digkeit zugleich den Sinn für politische Freiheit ge-
raubt. Daher ist es kein Wunder, daß das Volk
nach und nach in Unwissenheit und Aberglauben und
in mancherlei Sittenverderbniß versank, daß es sich der
Trägheit hingab und endlich nur noch an den Tände-
leien der Seiltänzer und Gaukler sowie am Rauchen,
Betelkauen, am Schachspiel und an dem Tanze der
Bajaderen Geschmack fand, obgleich heute noch ihre
Arbeiten von einem viel reinern, bessern Sinne Zeug-
niß ablegen.

Ungeachtet aller Unterjochungen ist man aber bis
heute noch nicht im Stande gewesen, den Hindus ihre
Vorliebe für alte Sitten und Gebräuche zu entreißen,
welche seit Jahrtausenden sich bei ihnen eingebürgert
haben. Hierher gehört auch die Eintheilung des Volks
in vier Hauptkasten, die so streng voneinander geschie-
den sind, daß kein Mitglied derselben aus einer an-
dern Kaste heirathen oder in irgend eine andere Kaste
übertreten darf. Die Geburt weist also den Hindus
sofort ihre Stellung an. Jede Kaste hat wieder ihre
besondern Abtheilungen, von welchen einige thierische
Nahrung genießen, andere nicht, einige ihre Todten
beerdigen, andere sie verbrennen, einige wol gar Wit-
wen lebendig begraben, während andere dieselben mit
den Leichen ihrer Männer verbrennen lassen oder ihnen
auch gestatten, sich wieder zu verheirathen.

Die Braminen nehmen unter den Kasten den
ersten Rang ein. Sie sind Priester, Lehrer, Richter
und Staatsbeamte der Hindus und werden von diesen
hoch geachtet, weil sie nach ihren religiösen Vorstellun-
gen aus dem Haupte ihrer höchsten Gottheit, des
Brahm, entsprangen. Daher wird ihre Person so hei-
lig gehalten, daß es eine untilgbare Schuld sein würde,
einen Braminen zu tödten. Hat ein solcher wirklich
ein todeswürdiges Verbrechen begangen, so wird er nur
[Spaltenumbruch] selten mit dem Tode bestraft; man stößt ihn höchstens
aus der Kaste oder sticht ihm die Augen aus. Nur
nach und nach können die Braminen zu höherm Range
aufsteigen, wobei sie sich unter mancherlei Zwang beu-
gen müssen. Sie haben sich des Fleisches, der Fische
und Eier als Nahrungsmittel zu enthalten, müssen in
den heiligen Büchern studiren, unterwerfen sich andern
strengen Prüfungen und üben sich vor allem im
Schweigen. Sie sind die Obersten ihres Volks, das
sie am Gängelbande führen. Als Heilige verehrt, kön-
nen sie mit den vernachlässigten Hindus machen, was
ihnen beliebt. Diesen ist nicht erlaubt, in den heili-
gen Religionsbüchern zu lesen, daher sie nie vorwärts
kommen können. Leider sind gerade die Braminen die
sittenlosesten und heuchlerischesten Menschen unter den
Hindus.

Nach den Braminen folgt die zweite Kaste, die der
Krieger oder Rajas, nach der Sage entsprungen
aus den Schultern und Armen des Brahm; die dritte
Kaste aber, aus Brahm's Leibe und Schenkel ent-
sprossen, sind die Waischis, die Landbebauer, Vieh-
züchter und Kaufleute, und die vierte, aus Brahm's
Füßen entstandene Kaste umfaßt die Sudras, näm-
lich die Handwerker und Gewerbtreibenden. Sowol
bei dieser als bei allen andern Kasten besteht das Ge-
setz, daß der Sohn werden muß, was der Vater ist
und war, woher es kommt, daß das Volk einerseits
so langsam vorwärtsschreitet und daß sich andererseits
in gewissen Abtheilungen desselben Kunstgriffe und Ge-
heimnisse forterhalten, welche für alle andere Kasten
ganz unzugänglich sind.

Außer diesen vier Kasten findet man in Hindostan
noch die unglücklichen, allgemein verachteten Parias,
welche fast den Thieren gleichgestellt sind. Sie dürfen
weder einen Tempel betreten noch neben andern Hin-
dus wohnen; bekommen sie ja die Erlaubniß, mit
einem Hindu zu reden, so müssen sie, um diesen mit
ihrem Athem nicht zu verunreinigen, den Mund zu-
halten, wenn sie nicht sofort getödtet sein wollen; sie
werden zu den ekelhaftesten Arbeiten verwendet und
nähren sich oft vom Fleische gefallener Thiere. Jhr
Körper ist schmuzig, ihre Hautfarbe schwarz. Die
Engländer werben sie an und machen aus ihnen gute
Soldaten.

So stehen die Hindus in der Gegenwart als ein
herabgekommenes Volk da, während ihre Vorfahren
vor Jahrtausenden unstreitig zu den ideenreichsten, kräf-
tigsten und gebildetsten Völkern der Vorzeit gehörten.
Aber die Braminen haben im Laufe der Jahrhunderte
die tiefsinnigen, reinen Jdeen ihrer Vorfahren zu ih-
rem Vortheile ausgebeutet und ins Gemeine herabge-
zogen, sie haben durch ihre Sinnlosigkeiten die frühern
klaren Vorstellungen verdrängt und von dem schönen
Gebäude der Wissenschaften ihrer Vorältern nur noch
einen ärmlichen Schatten bewahrt. Und doch spricht
aus Allem, was den heutigen Hindus aus der grauen
Vergangenheit noch geblieben ist, eine unendliche Tiefe
des Gefühls, ein Streben nach sittlicher Vervollkomm-
nung und die Ahnung einer Fortdauer nach dem Tode.
Was mögen die alten Bewohner Hindostans gedacht
und gegrübelt haben, wenn von ihnen heute noch bei
aller Verdummung Formeln in Versen vorhanden sind,
nach welchen die jetzigen beschränkten Braminen ohne
Schreibwerkzeuge unter Benutzung kleiner Muscheln im
Stande sind, die Sterne nach ihrem Laufe zu berech-
nen, ohne dabei die alten Formeln selbst zu verstehen.
Zu welcher Höhe geistiger Bildung mußten die Vor-
ältern der Hindus gelangen, ehe sie ihre wenn auch
[Ende Spaltensatz]

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Daher ist es kein Wunder, daß das Volk nach und nach in Unwissenheit und Aberglauben und in mancherlei Sittenverderbniß versank, daß es sich der Trägheit hingab und endlich nur noch an den Tände- leien der Seiltänzer und Gaukler sowie am Rauchen, Betelkauen, am Schachspiel und an dem Tanze der Bajaderen Geschmack fand, obgleich heute noch ihre Arbeiten von einem viel reinern, bessern Sinne Zeug- niß ablegen. Ungeachtet aller Unterjochungen ist man aber bis heute noch nicht im Stande gewesen, den Hindus ihre Vorliebe für alte Sitten und Gebräuche zu entreißen, welche seit Jahrtausenden sich bei ihnen eingebürgert haben. Hierher gehört auch die Eintheilung des Volks in vier Hauptkasten, die so streng voneinander geschie- den sind, daß kein Mitglied derselben aus einer an- dern Kaste heirathen oder in irgend eine andere Kaste übertreten darf. Die Geburt weist also den Hindus sofort ihre Stellung an. 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Nach den Braminen folgt die zweite Kaste, die der Krieger oder Rajas, nach der Sage entsprungen aus den Schultern und Armen des Brahm; die dritte Kaste aber, aus Brahm's Leibe und Schenkel ent- sprossen, sind die Waischis, die Landbebauer, Vieh- züchter und Kaufleute, und die vierte, aus Brahm's Füßen entstandene Kaste umfaßt die Sudras, näm- lich die Handwerker und Gewerbtreibenden. Sowol bei dieser als bei allen andern Kasten besteht das Ge- setz, daß der Sohn werden muß, was der Vater ist und war, woher es kommt, daß das Volk einerseits so langsam vorwärtsschreitet und daß sich andererseits in gewissen Abtheilungen desselben Kunstgriffe und Ge- heimnisse forterhalten, welche für alle andere Kasten ganz unzugänglich sind. Außer diesen vier Kasten findet man in Hindostan noch die unglücklichen, allgemein verachteten Parias, welche fast den Thieren gleichgestellt sind. 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Aber die Braminen haben im Laufe der Jahrhunderte die tiefsinnigen, reinen Jdeen ihrer Vorfahren zu ih- rem Vortheile ausgebeutet und ins Gemeine herabge- zogen, sie haben durch ihre Sinnlosigkeiten die frühern klaren Vorstellungen verdrängt und von dem schönen Gebäude der Wissenschaften ihrer Vorältern nur noch einen ärmlichen Schatten bewahrt. Und doch spricht aus Allem, was den heutigen Hindus aus der grauen Vergangenheit noch geblieben ist, eine unendliche Tiefe des Gefühls, ein Streben nach sittlicher Vervollkomm- nung und die Ahnung einer Fortdauer nach dem Tode. Was mögen die alten Bewohner Hindostans gedacht und gegrübelt haben, wenn von ihnen heute noch bei aller Verdummung Formeln in Versen vorhanden sind, nach welchen die jetzigen beschränkten Braminen ohne Schreibwerkzeuge unter Benutzung kleiner Muscheln im Stande sind, die Sterne nach ihrem Laufe zu berech- nen, ohne dabei die alten Formeln selbst zu verstehen. Zu welcher Höhe geistiger Bildung mußten die Vor- ältern der Hindus gelangen, ehe sie ihre wenn auch

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 118. Leipzig (Sachsen), 5. April 1855, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig118_1855/2>, abgerufen am 21.11.2024.