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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 111. Leipzig (Sachsen), 16. Februar 1855.

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[Beginn Spaltensatz] zu den herrschenden Sünden der ehelosen katholischen
Geistlichkeit wurde sogar die Ehelichung von den Pre-
digern des Evangeliums bald gefodert, nachdem das
erste Gemurmel des Volks durchs Evangelium be-
schwichtigt war. So entschloß sich nach andern Vor-
gängen auch Zwingli in seinem 40. Jahre zu dem
ernsten Schritte.

Gleich von seinem ersten Auftreten an war Anna
eine seiner aufmerksamsten Zuhörerinnen gewesen, mochte
er in der Stadt predigen, oder im Kloster am Oeten-
bach den Nonnen die Lehre von dem Reiche Gottes
nach der Schrift verkündigen, oder den Stiftsfrauen
am Frauenmünster die Bibel erklären. Jhre Fröm-
migkeit, Bescheidenheit und Muttertreue konnten dem
Seelsorger, in dessen Nähe sie wohnte, nicht verbor-
gen bleiben. Gerold und dessen kindliche Liebe für den
Lehrer und Leiter seines Lernens wurden das Mittel,
den Pflegevater und die sorgsame Mutter noch näher
miteinander zu verbinden. Anna war über die Ju-
gendzeit hinaus, schwere Erfahrungen hatten ihrem
ganzen Wesen und Benehmen einen Ernst aufgedrückt,
aus dem ihre stillen, aber thätigen Tugenden desto
lieblicher hervorleuchteten. Jhr Vermögen bestand aus
nicht mehr denn 400 Gulden. Aus dem ganzen gro-
ßen Nachlasse, der nach des Großvaters und seiner
zweiten Ehefrau Ableben den Kindern zufiel, war ihr
nur ein Leibgeding von 30 Gulden vorbehalten. Sie
konnte, obschon mit dem "Weinstocke" tiefinnerlich ver-
bunden, der seine Reben nicht welken noch verderben
läßt, doch eine Stütze in ihrer Schwachheit brauchen,
und an wen unter Menschen durfte sie sich getroster
anlehnen als an einen Mann, der wie Zwingli die
tiefe Bedeutung der Ehe aus dem Evangelium erkannt
hatte.

Er hatte gesehen, wie Anna in schwieriger Lage,
aller häuslichen Misverhältnisse ungeachtet, als Toch-
ter, Gattin und Mutter sich auszeichnete, daß in ih-
ren Kindern bereits edle Früchte einer echt christlichen
Kinderzucht heranreiften, dazu war sie ganz geeignet
für sein munter ernstes Wesen; er konnte nicht zwei-
feln, durch ihre Ehelichung ein evangelisches Vorbild
weiter für seine Heerde zu geben. Nachdem er die
vom Herrn ihm zugesandte Freundin an der Hand der
Schrift dem ernsten Berufe der Pfarrfrau einige Jahre
hindurch näher zugebildet hatte, ließ er sich Samstags
den 2. April 1524 mit ihr ehelich einsegnen. Bei der
Hochzeit war manch ehrlicher, redlicher Mann. Freunde
wünschten ihm Glück, und namentlich Capito ( Wolf
Köpflin ) , Propst zu St.=Thomas in Strasburg, schrieb
ihm: "Herzlich wünsch ich, daß deine Gattin, die treu
bewährte Schwester, in der Erkenntniß täglich wachse.
Sie ist durch die Verbindung mit dir gewissermaßen
mit Christo selbst in eheliches Verlöbniß getreten. Sie
ist eine Mitdienerin des Wortes als Gehülfin eines
solchen Apostels."

Es fehlte nicht an hämischen Feinden und Läste-
rern, namentlich hörten Zwingli's Gegner in seinem
Vaterlande Toggenburg nicht auf, ihn beim dortigen
Landrathe zu verunglimpfen, er habe eine reiche Witwe
geheirathet und lebe mit ihr jetzt flott und locker zum
Aergerniß einer ehrbaren Welt. Da rechtfertigte er
sich in einem Schreiben, worin er angibt, seiner lie-
ben Ehefrau baares Vermögen bestehe aus mehr nicht
als 400 Gulden. "Mit schönen Kleidern, Ringen
und allerlei Geschmeide ist sie zwar versehen, aber von
dem Tage ihrer Verehelichung an hat sie den Plunder
nicht angerührt, geschweige ihn zur Schau getragen.
Wie sich's für eine ehrbare Altfrau geziemt, ist sie
[Spaltenumbruch] gerade wie unsere Bürgerweiber gekleidet, schlecht und
recht, daß man ihr den vorigen ( adeligen ) Stand nun
gar nicht anmerkt. Das Geld der Kinder berührt die
Gattin nicht, als was sie für den Leib bedarf, und
jährlich 30 Gulden Leibdingzinses. Die Brautgeschenke,
welche ihr gesetzlich gehört hätten, wollte ich nicht ein-
mal rechtlich einfodern. All ihr Vermögen aber sehe
ich an als fremdes, mir anvertrautes Gut." Jn glei-
cher Weise erwiderte er dem konstanzer Vicar Johann
Faber, der sich sogar über Zwingli's Freude an Mu-
sik und Saitenspiel ärgerte. Den Schluß seiner der-
ben Antwort machte er mit dem Worte des alten
Dichters: Er hasse solch gemeines Volk und es soll
ihm von der Schwelle bleiben.



Für den Reformator begann mit seiner Vereheli-
chung ein neues Leben. Er arbeitete noch einmal so
munter und leicht, denn Leid und Freud theilte Anna
mit ihm wie sein zweites Jch. Sie betrachtete sich nur
als Gehülfin ihres Mannes und erleichterte ihm seine
mannichfaltigen Berufspflichten, schriftstellerischen Ar-
beiten, seinen ausgebreiteten Briefwechsel. Jn trüben
Stunden erheiterte sie ihn. Jhr verständiges und un-
befangenes Urtheil diente ihm nicht selten als gewichti-
ger Rath und bei dem allgemeinen Vertrauen, das sie
genoß, und bei dem reichen Schatze ihres für Gott und
den Nächsten schlagenden Herzens befriedete und beru-
higte sie, wenn der Gatte von Geschäften überladen
sich nicht jedem der vielen Besuche unbedingt hingeben
konnte, manches des Trostes und Rathes bedürftige
Gemüth durch die freundliche und herzliche Auskunft,
den ihr theilnehmendes Wort gewährte. Die züricher
Rathsherren, die Prediger und übrigen Gelehrten, die
sich häufig in Zwingli's Hause einfanden, waren alle
voll Achtung für die verständige Hausfrau und für ihr
immer bescheidenes und schüchternes, aber desto richti-
geres Benehmen, das oft durch bloße Fragen manchem
raschen Worte die gefährliche Spitze abbrach. Da war
Anna nicht blos die alle Hausgeschäfte pünktlich be-
sorgende Martha, die selbst vieles Amtliche dem Manne
abzunehmen wußte, sondern die anmuthige Gesellschaf-
terin, welche die Gäste sogar lehrreich unterhielt, bis
der Gatte erschien und das Gespräch fortsetzte, bei dem
er sie gern behielt, wenn sie Zeit hatte. Die neuen
Zeit und Flugblätter und die andern gelehrten Sachen
aus Basel, welche immer frisch von der Presse oder
Messe ankamen, gaben reichen Stoff zur Unterredung.

Diese Schriften las Anna aufs begierigste und
theilte sie ihren vertrauten Freundinnen mit. Durch
ihre Besuche bei den Nonnen am Oetenbach und bei
den Stiftsfrauen zu Münster wirkte sie eine schnellere
Bekehrung vom Papstthum zum Evangelium. Nicht
selten war sie Veranlassung zu ihrer Verehelichung mit
wackern Pfarrherren. Denn, sagte sie, "Priester und
Nonnen passen wol am besten zusammen und beide
schmachten nach Erlösung aus ihrem bisherigen Klo-
sterhimmel. Sie sind auch nicht verzärtelt, ja gewisser-
maßen der Welt abgestorben und machen nicht viel
Geräusch. Wer sollte besser wissen als sie, was keu-
scher Wandel ist und was der Weiber Zierde sein
soll?"

Vor allen Schriften aber war für Anna die wich-
tigste die Heilige Schrift. Zwingli las ihr gewöhnlich,
ehe sie sich zur Ruhe legte, die ersten aus der Presse
kommenden Bogen der züricher Bibelübersetzung vor,
welche bei Froschauer vom Herbste 1525 an heraus-
kam und woran er soviel Antheil hatte, daß man sie
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] zu den herrschenden Sünden der ehelosen katholischen
Geistlichkeit wurde sogar die Ehelichung von den Pre-
digern des Evangeliums bald gefodert, nachdem das
erste Gemurmel des Volks durchs Evangelium be-
schwichtigt war. So entschloß sich nach andern Vor-
gängen auch Zwingli in seinem 40. Jahre zu dem
ernsten Schritte.

Gleich von seinem ersten Auftreten an war Anna
eine seiner aufmerksamsten Zuhörerinnen gewesen, mochte
er in der Stadt predigen, oder im Kloster am Oeten-
bach den Nonnen die Lehre von dem Reiche Gottes
nach der Schrift verkündigen, oder den Stiftsfrauen
am Frauenmünster die Bibel erklären. Jhre Fröm-
migkeit, Bescheidenheit und Muttertreue konnten dem
Seelsorger, in dessen Nähe sie wohnte, nicht verbor-
gen bleiben. Gerold und dessen kindliche Liebe für den
Lehrer und Leiter seines Lernens wurden das Mittel,
den Pflegevater und die sorgsame Mutter noch näher
miteinander zu verbinden. Anna war über die Ju-
gendzeit hinaus, schwere Erfahrungen hatten ihrem
ganzen Wesen und Benehmen einen Ernst aufgedrückt,
aus dem ihre stillen, aber thätigen Tugenden desto
lieblicher hervorleuchteten. Jhr Vermögen bestand aus
nicht mehr denn 400 Gulden. Aus dem ganzen gro-
ßen Nachlasse, der nach des Großvaters und seiner
zweiten Ehefrau Ableben den Kindern zufiel, war ihr
nur ein Leibgeding von 30 Gulden vorbehalten. Sie
konnte, obschon mit dem „Weinstocke“ tiefinnerlich ver-
bunden, der seine Reben nicht welken noch verderben
läßt, doch eine Stütze in ihrer Schwachheit brauchen,
und an wen unter Menschen durfte sie sich getroster
anlehnen als an einen Mann, der wie Zwingli die
tiefe Bedeutung der Ehe aus dem Evangelium erkannt
hatte.

Er hatte gesehen, wie Anna in schwieriger Lage,
aller häuslichen Misverhältnisse ungeachtet, als Toch-
ter, Gattin und Mutter sich auszeichnete, daß in ih-
ren Kindern bereits edle Früchte einer echt christlichen
Kinderzucht heranreiften, dazu war sie ganz geeignet
für sein munter ernstes Wesen; er konnte nicht zwei-
feln, durch ihre Ehelichung ein evangelisches Vorbild
weiter für seine Heerde zu geben. Nachdem er die
vom Herrn ihm zugesandte Freundin an der Hand der
Schrift dem ernsten Berufe der Pfarrfrau einige Jahre
hindurch näher zugebildet hatte, ließ er sich Samstags
den 2. April 1524 mit ihr ehelich einsegnen. Bei der
Hochzeit war manch ehrlicher, redlicher Mann. Freunde
wünschten ihm Glück, und namentlich Capito ( Wolf
Köpflin ) , Propst zu St.=Thomas in Strasburg, schrieb
ihm: „Herzlich wünsch ich, daß deine Gattin, die treu
bewährte Schwester, in der Erkenntniß täglich wachse.
Sie ist durch die Verbindung mit dir gewissermaßen
mit Christo selbst in eheliches Verlöbniß getreten. Sie
ist eine Mitdienerin des Wortes als Gehülfin eines
solchen Apostels.“

Es fehlte nicht an hämischen Feinden und Läste-
rern, namentlich hörten Zwingli's Gegner in seinem
Vaterlande Toggenburg nicht auf, ihn beim dortigen
Landrathe zu verunglimpfen, er habe eine reiche Witwe
geheirathet und lebe mit ihr jetzt flott und locker zum
Aergerniß einer ehrbaren Welt. Da rechtfertigte er
sich in einem Schreiben, worin er angibt, seiner lie-
ben Ehefrau baares Vermögen bestehe aus mehr nicht
als 400 Gulden. „Mit schönen Kleidern, Ringen
und allerlei Geschmeide ist sie zwar versehen, aber von
dem Tage ihrer Verehelichung an hat sie den Plunder
nicht angerührt, geschweige ihn zur Schau getragen.
Wie sich's für eine ehrbare Altfrau geziemt, ist sie
[Spaltenumbruch] gerade wie unsere Bürgerweiber gekleidet, schlecht und
recht, daß man ihr den vorigen ( adeligen ) Stand nun
gar nicht anmerkt. Das Geld der Kinder berührt die
Gattin nicht, als was sie für den Leib bedarf, und
jährlich 30 Gulden Leibdingzinses. Die Brautgeschenke,
welche ihr gesetzlich gehört hätten, wollte ich nicht ein-
mal rechtlich einfodern. All ihr Vermögen aber sehe
ich an als fremdes, mir anvertrautes Gut.“ Jn glei-
cher Weise erwiderte er dem konstanzer Vicar Johann
Faber, der sich sogar über Zwingli's Freude an Mu-
sik und Saitenspiel ärgerte. Den Schluß seiner der-
ben Antwort machte er mit dem Worte des alten
Dichters: Er hasse solch gemeines Volk und es soll
ihm von der Schwelle bleiben.



Für den Reformator begann mit seiner Vereheli-
chung ein neues Leben. Er arbeitete noch einmal so
munter und leicht, denn Leid und Freud theilte Anna
mit ihm wie sein zweites Jch. Sie betrachtete sich nur
als Gehülfin ihres Mannes und erleichterte ihm seine
mannichfaltigen Berufspflichten, schriftstellerischen Ar-
beiten, seinen ausgebreiteten Briefwechsel. Jn trüben
Stunden erheiterte sie ihn. Jhr verständiges und un-
befangenes Urtheil diente ihm nicht selten als gewichti-
ger Rath und bei dem allgemeinen Vertrauen, das sie
genoß, und bei dem reichen Schatze ihres für Gott und
den Nächsten schlagenden Herzens befriedete und beru-
higte sie, wenn der Gatte von Geschäften überladen
sich nicht jedem der vielen Besuche unbedingt hingeben
konnte, manches des Trostes und Rathes bedürftige
Gemüth durch die freundliche und herzliche Auskunft,
den ihr theilnehmendes Wort gewährte. Die züricher
Rathsherren, die Prediger und übrigen Gelehrten, die
sich häufig in Zwingli's Hause einfanden, waren alle
voll Achtung für die verständige Hausfrau und für ihr
immer bescheidenes und schüchternes, aber desto richti-
geres Benehmen, das oft durch bloße Fragen manchem
raschen Worte die gefährliche Spitze abbrach. Da war
Anna nicht blos die alle Hausgeschäfte pünktlich be-
sorgende Martha, die selbst vieles Amtliche dem Manne
abzunehmen wußte, sondern die anmuthige Gesellschaf-
terin, welche die Gäste sogar lehrreich unterhielt, bis
der Gatte erschien und das Gespräch fortsetzte, bei dem
er sie gern behielt, wenn sie Zeit hatte. Die neuen
Zeit und Flugblätter und die andern gelehrten Sachen
aus Basel, welche immer frisch von der Presse oder
Messe ankamen, gaben reichen Stoff zur Unterredung.

Diese Schriften las Anna aufs begierigste und
theilte sie ihren vertrauten Freundinnen mit. Durch
ihre Besuche bei den Nonnen am Oetenbach und bei
den Stiftsfrauen zu Münster wirkte sie eine schnellere
Bekehrung vom Papstthum zum Evangelium. Nicht
selten war sie Veranlassung zu ihrer Verehelichung mit
wackern Pfarrherren. Denn, sagte sie, „Priester und
Nonnen passen wol am besten zusammen und beide
schmachten nach Erlösung aus ihrem bisherigen Klo-
sterhimmel. Sie sind auch nicht verzärtelt, ja gewisser-
maßen der Welt abgestorben und machen nicht viel
Geräusch. Wer sollte besser wissen als sie, was keu-
scher Wandel ist und was der Weiber Zierde sein
soll?“

Vor allen Schriften aber war für Anna die wich-
tigste die Heilige Schrift. Zwingli las ihr gewöhnlich,
ehe sie sich zur Ruhe legte, die ersten aus der Presse
kommenden Bogen der züricher Bibelübersetzung vor,
welche bei Froschauer vom Herbste 1525 an heraus-
kam und woran er soviel Antheil hatte, daß man sie
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[51/0003] 51 zu den herrschenden Sünden der ehelosen katholischen Geistlichkeit wurde sogar die Ehelichung von den Pre- digern des Evangeliums bald gefodert, nachdem das erste Gemurmel des Volks durchs Evangelium be- schwichtigt war. So entschloß sich nach andern Vor- gängen auch Zwingli in seinem 40. Jahre zu dem ernsten Schritte. Gleich von seinem ersten Auftreten an war Anna eine seiner aufmerksamsten Zuhörerinnen gewesen, mochte er in der Stadt predigen, oder im Kloster am Oeten- bach den Nonnen die Lehre von dem Reiche Gottes nach der Schrift verkündigen, oder den Stiftsfrauen am Frauenmünster die Bibel erklären. Jhre Fröm- migkeit, Bescheidenheit und Muttertreue konnten dem Seelsorger, in dessen Nähe sie wohnte, nicht verbor- gen bleiben. Gerold und dessen kindliche Liebe für den Lehrer und Leiter seines Lernens wurden das Mittel, den Pflegevater und die sorgsame Mutter noch näher miteinander zu verbinden. Anna war über die Ju- gendzeit hinaus, schwere Erfahrungen hatten ihrem ganzen Wesen und Benehmen einen Ernst aufgedrückt, aus dem ihre stillen, aber thätigen Tugenden desto lieblicher hervorleuchteten. Jhr Vermögen bestand aus nicht mehr denn 400 Gulden. Aus dem ganzen gro- ßen Nachlasse, der nach des Großvaters und seiner zweiten Ehefrau Ableben den Kindern zufiel, war ihr nur ein Leibgeding von 30 Gulden vorbehalten. Sie konnte, obschon mit dem „Weinstocke“ tiefinnerlich ver- bunden, der seine Reben nicht welken noch verderben läßt, doch eine Stütze in ihrer Schwachheit brauchen, und an wen unter Menschen durfte sie sich getroster anlehnen als an einen Mann, der wie Zwingli die tiefe Bedeutung der Ehe aus dem Evangelium erkannt hatte. 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Sie ist durch die Verbindung mit dir gewissermaßen mit Christo selbst in eheliches Verlöbniß getreten. Sie ist eine Mitdienerin des Wortes als Gehülfin eines solchen Apostels.“ Es fehlte nicht an hämischen Feinden und Läste- rern, namentlich hörten Zwingli's Gegner in seinem Vaterlande Toggenburg nicht auf, ihn beim dortigen Landrathe zu verunglimpfen, er habe eine reiche Witwe geheirathet und lebe mit ihr jetzt flott und locker zum Aergerniß einer ehrbaren Welt. Da rechtfertigte er sich in einem Schreiben, worin er angibt, seiner lie- ben Ehefrau baares Vermögen bestehe aus mehr nicht als 400 Gulden. „Mit schönen Kleidern, Ringen und allerlei Geschmeide ist sie zwar versehen, aber von dem Tage ihrer Verehelichung an hat sie den Plunder nicht angerührt, geschweige ihn zur Schau getragen. Wie sich's für eine ehrbare Altfrau geziemt, ist sie gerade wie unsere Bürgerweiber gekleidet, schlecht und recht, daß man ihr den vorigen ( adeligen ) Stand nun gar nicht anmerkt. 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Jhr verständiges und un- befangenes Urtheil diente ihm nicht selten als gewichti- ger Rath und bei dem allgemeinen Vertrauen, das sie genoß, und bei dem reichen Schatze ihres für Gott und den Nächsten schlagenden Herzens befriedete und beru- higte sie, wenn der Gatte von Geschäften überladen sich nicht jedem der vielen Besuche unbedingt hingeben konnte, manches des Trostes und Rathes bedürftige Gemüth durch die freundliche und herzliche Auskunft, den ihr theilnehmendes Wort gewährte. Die züricher Rathsherren, die Prediger und übrigen Gelehrten, die sich häufig in Zwingli's Hause einfanden, waren alle voll Achtung für die verständige Hausfrau und für ihr immer bescheidenes und schüchternes, aber desto richti- geres Benehmen, das oft durch bloße Fragen manchem raschen Worte die gefährliche Spitze abbrach. Da war Anna nicht blos die alle Hausgeschäfte pünktlich be- sorgende Martha, die selbst vieles Amtliche dem Manne abzunehmen wußte, sondern die anmuthige Gesellschaf- terin, welche die Gäste sogar lehrreich unterhielt, bis der Gatte erschien und das Gespräch fortsetzte, bei dem er sie gern behielt, wenn sie Zeit hatte. Die neuen Zeit und Flugblätter und die andern gelehrten Sachen aus Basel, welche immer frisch von der Presse oder Messe ankamen, gaben reichen Stoff zur Unterredung. Diese Schriften las Anna aufs begierigste und theilte sie ihren vertrauten Freundinnen mit. Durch ihre Besuche bei den Nonnen am Oetenbach und bei den Stiftsfrauen zu Münster wirkte sie eine schnellere Bekehrung vom Papstthum zum Evangelium. Nicht selten war sie Veranlassung zu ihrer Verehelichung mit wackern Pfarrherren. Denn, sagte sie, „Priester und Nonnen passen wol am besten zusammen und beide schmachten nach Erlösung aus ihrem bisherigen Klo- sterhimmel. Sie sind auch nicht verzärtelt, ja gewisser- maßen der Welt abgestorben und machen nicht viel Geräusch. Wer sollte besser wissen als sie, was keu- scher Wandel ist und was der Weiber Zierde sein soll?“ Vor allen Schriften aber war für Anna die wich- tigste die Heilige Schrift. Zwingli las ihr gewöhnlich, ehe sie sich zur Ruhe legte, die ersten aus der Presse kommenden Bogen der züricher Bibelübersetzung vor, welche bei Froschauer vom Herbste 1525 an heraus- kam und woran er soviel Antheil hatte, daß man sie

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig111_1855
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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 111. Leipzig (Sachsen), 16. Februar 1855, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig111_1855/3>, abgerufen am 16.06.2024.