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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 72. Leipzig (Sachsen), 11. Mai 1854.

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[Beginn Spaltensatz] dernisse entgegengetreten; aber gerade am Osterfeste kam
von ihm ganz unerwartet in einem Briefe die Nach-
richt, daß er in kürzester Zeit in seine Heimat zurück-
kehren werde. Mit unendlicher Sehnsucht sah man
seiner Ankunft entgegen und bereitete Alles darauf vor,
ihn mit recht lebendiger Freude zu empfangen.

Die Pfingstfeiertage erschienen und Kurt war noch
nicht angekommen. Wenzel's veranstalteten, da das
Wetter so einladend war, in dem Schlößchen für sich,
Jutta und Albert eine kleine Frühlingsfeier, zu wel-
cher man sich schon in den Morgenstunden nach dem
geliebten kleinen Lustorte begab. Der Mittag kam her-
auf; die zu einer Familie Verschmolzenen saßen fröh-
lich bei Tische und sprachen von vergangenen Zeiten,
wobei Kurt's sehr häufig gedacht wurde. Eben hatte
Wenzel Jutta einen freundschaftlichen Trinkspruch ge-
bracht, in welchem er ihr Glück zu ihren Söhnen
wünschte, da klopfte es stark an die Thür.

"Wer kommt?" rief Jutta, und setzte schnell " Her-
ein!" hinzu.

Die Thür flog auf und herein trat ein kräftiger,
junger Mann, dessen halbes Gesicht mit einem schö-
nen schwarzen Barte überzogen war. Es war Kurt.

Gott zum Gruß, ihr Theuern! rief Kurt, und
"Kurt! Mein Kurt! Unser Kurt!" erscholl es aus
Aller Munde. Die Freude hatte die Familie fast
stumm gemacht; Kurt flog aus einer Umarmung in
die andere. Als man endlich wieder etwas gefaßter
war, wurden die Plätze an der Tafel wieder einge-
nommen und nun ging es an ein Erzählen, wodurch
die Tafelzeit wenigstens um eine Stunde verlängert
wurde. Die Nachmittagsstunden brachten die Wieder-
vereinigten in den Parkanlagen am Schlößchen zu und
als nach der Stadt zurückgekehrt werden sollte, ergriff
Wenzel Kurt's Hand und sprach: "Freund! Jch habe
dir dein Schlößchen, dein Vaterhaus nach Kräften her-
gerichtet; nimm es nun von mir zurück, sobald es dir
beliebt!"

O nein, entgegnete Kurt. Sie waren uns Freund
und Vater, und so lange Sie uns angehören, müssen
Sie Herr dieser Besitzung bleiben. Sie erlauben uns
gewiß, mit Jhnen vereint den lieben, freundlichen Ort
zu genießen.

Ja, mit Freuden! rief Wenzel und fügte hinzu:
"Jch betrachtete das Landhaus von jeher nur als an-
vertrautes Gut. Es ist mir lieb und werth geworden
und ich behalte darum gern einen Theil daran, so lange
Gott mir das Leben läßt."

Schon oft waren Jutta und Albert mit Wenzel's
fröhlich nach der Stadt gewandert, aber so überaus
glücklich wie an diesem Pfingsttage hatten sie sich noch
nicht gefühlt. Sie kamen in der Stadt an. Die
Nachricht von Kurt's Rückkehr hatte sich schon unter
Freunden und Bekannten verbreitet, daher sich noch
an demselben Abende Viele einfanden, um den Ame-
rikaner zu sehen. Spät erst kam er mit den Seinen
zur Ruhe.

Kurt war so sehr Kaufmann geworden, daß er am
zweiten Tage seines Verweilens in der Heimat vor
allem Andern zuerst mit Wenzel seine kaufmännischen
Angelegenheiten ordnete. Bei der Genauigkeit, mit
welcher dieselben von beiden Seiten geleitet worden wa-
ren, war das Geschäft bald zu Ende gebracht, worauf
sich die Kaufleute wieder ihrer Familie widmeten.

Um 9 Uhr rief Frau Wenzel zum Frühstück. Das
Beste, was Speisegewölbe und Keller aufzuweisen hat-
ten, wurde aufgetragen. Kurt mußte den Ehrenplatz
an der Tafel einnehmen und vermochte kaum sich satt
[Spaltenumbruch] zu essen, da er fast jeden Augenblick mit Fragen be-
stürmt wurde. Ein frommer Aufblick nach oben ging
dem Essen voraus und ein Dankgebet schloß dasselbe.
Nachmittags begleitete die überglückliche Jutta ihren
Sohn nach der Kirche, in welcher er getauft und con-
firmirt worden war.

Die folgenden Tage verliefen der Familie in nütz-
licher Thätigkeit. Kurt hatte verschiedene Reisen in an-
dere Städte zu machen, um Handelsgeschäfte abzu-
wickeln und seine erworbenen Reichthümer nützlich an-
zulegen; als aber dies nach Wünschen geschehen war,
kehrte er in sein freund=väterliches Haus zurück. Hier
blieb er etwa ein Vierteljahr, dann zog es ihn wieder
hinaus in die Fremde, um neue Handelsverbindungen
anzuknüpfen, was ihm sehr leicht wurde, da man ihm
mit einem unbegrenzten Vertrauen entgegenkam. Nach
seiner Rückkehr hielt er sich etwa noch zwei Monate
auf, dann unternahm er noch eine bedeutende Seereise
und zwar die letzte in seinem Leben. Sie lief glück-
lich für ihn ab. Er kam wieder gesund in seiner Va-
terstadt an, fest entschlossen, nun in seiner Vaterstadt
zu bleiben.

Niemanden war dies erwünschter als den Seinen.
Während er wieder auf Reisen war, hatte Wenzel Al-
bert als Compagnon angenommen, um ihn sich für
immer zu erhalten und, da er keine Kinder hatte, den
Erwerb seines Fleißes und seiner Sparsamkeit nicht in
fremde Hände kommen zu lassen. Jn aller Stille legte
Wenzel bald auch sein Testament nieder, in welchem
er bestimmte, daß die eine Hälfte seines Vermögens
nach seinem und seiner Gattin Tode den Brüdern Kurt
und Albert zufallen, die andere Hälfte aber zur Unter-
haltung der Bildungsanstalten in der Stadt verwendet
werden sollte.

Als Kurt wieder zurückgekehrt war, erbaute er ein
großes Gebäude, in welchem er später seine Hand-
lungsräume einrichtete. Sein Großhandel kam bei den
vielseitigen Verbindungen mit Freunden in Amerika zu
hoher Blüte und sein Reichthum nahm mit jedem
Jahre zu.

Ein besonderes Glück fanden Kurt und Albert
darin, daß ihre theure Mutter und die guten Wenzel's
noch lange mit ihnen vereint bleiben konnten. Als die
ehrwürdige Jutta und bald nach ihr auch Wenzels
starben, da kam den Brüdern die Stunde der Tren-
nung vom Liebsten, was sie auf Erden hatten, noch
viel zu früh und gern hätten sie sich noch einmal so
lange ihres Besitzes erfreut. Aber alles Jrdische ist flüch-
tig und darum konnten die treuen Brüder die Heiß-
geliebten dem Strome der Vergänglichkeit nicht entrei-
ßen, dem sie mitten in der Mannskraft doch auch
Schritt für Schritt zueilten, um auf ihm hinüberzu-
schiffen in das Land der unvergänglichen Freuden, die
dort jedem edlen, frommen Menschen vom Vater der
Liebe bereitet werden.

Kurt und Albert erreichten ebenfalls ein hohes Al-
ter und ihr Andenken blieb bei ihren Kindern in Se-
gen, bei allen Wohlgesinnten aber in hohen Ehren,
denn sie hatten viel gethan, um die von Gott ihnen
geschenkten Reichthümer zum Segen für die Mensch-
heit anzuwenden.

Jn Kurt's Familie wurde ein goldenes Medaillon
von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt, das Kurt stets
als ein Heiligthum betrachtet hatte. Es faßte die Blu-
men ein, welche einst dem scheidenden jungen Manne
am Grabe seines Vaters von seinen treuen Angehöri-
gen liebend überreicht worden waren.



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] dernisse entgegengetreten; aber gerade am Osterfeste kam
von ihm ganz unerwartet in einem Briefe die Nach-
richt, daß er in kürzester Zeit in seine Heimat zurück-
kehren werde. Mit unendlicher Sehnsucht sah man
seiner Ankunft entgegen und bereitete Alles darauf vor,
ihn mit recht lebendiger Freude zu empfangen.

Die Pfingstfeiertage erschienen und Kurt war noch
nicht angekommen. Wenzel's veranstalteten, da das
Wetter so einladend war, in dem Schlößchen für sich,
Jutta und Albert eine kleine Frühlingsfeier, zu wel-
cher man sich schon in den Morgenstunden nach dem
geliebten kleinen Lustorte begab. Der Mittag kam her-
auf; die zu einer Familie Verschmolzenen saßen fröh-
lich bei Tische und sprachen von vergangenen Zeiten,
wobei Kurt's sehr häufig gedacht wurde. Eben hatte
Wenzel Jutta einen freundschaftlichen Trinkspruch ge-
bracht, in welchem er ihr Glück zu ihren Söhnen
wünschte, da klopfte es stark an die Thür.

„Wer kommt?“ rief Jutta, und setzte schnell „ Her-
ein!“ hinzu.

Die Thür flog auf und herein trat ein kräftiger,
junger Mann, dessen halbes Gesicht mit einem schö-
nen schwarzen Barte überzogen war. Es war Kurt.

Gott zum Gruß, ihr Theuern! rief Kurt, und
„Kurt! Mein Kurt! Unser Kurt!“ erscholl es aus
Aller Munde. Die Freude hatte die Familie fast
stumm gemacht; Kurt flog aus einer Umarmung in
die andere. Als man endlich wieder etwas gefaßter
war, wurden die Plätze an der Tafel wieder einge-
nommen und nun ging es an ein Erzählen, wodurch
die Tafelzeit wenigstens um eine Stunde verlängert
wurde. Die Nachmittagsstunden brachten die Wieder-
vereinigten in den Parkanlagen am Schlößchen zu und
als nach der Stadt zurückgekehrt werden sollte, ergriff
Wenzel Kurt's Hand und sprach: „Freund! Jch habe
dir dein Schlößchen, dein Vaterhaus nach Kräften her-
gerichtet; nimm es nun von mir zurück, sobald es dir
beliebt!“

O nein, entgegnete Kurt. Sie waren uns Freund
und Vater, und so lange Sie uns angehören, müssen
Sie Herr dieser Besitzung bleiben. Sie erlauben uns
gewiß, mit Jhnen vereint den lieben, freundlichen Ort
zu genießen.

Ja, mit Freuden! rief Wenzel und fügte hinzu:
„Jch betrachtete das Landhaus von jeher nur als an-
vertrautes Gut. Es ist mir lieb und werth geworden
und ich behalte darum gern einen Theil daran, so lange
Gott mir das Leben läßt.“

Schon oft waren Jutta und Albert mit Wenzel's
fröhlich nach der Stadt gewandert, aber so überaus
glücklich wie an diesem Pfingsttage hatten sie sich noch
nicht gefühlt. Sie kamen in der Stadt an. Die
Nachricht von Kurt's Rückkehr hatte sich schon unter
Freunden und Bekannten verbreitet, daher sich noch
an demselben Abende Viele einfanden, um den Ame-
rikaner zu sehen. Spät erst kam er mit den Seinen
zur Ruhe.

Kurt war so sehr Kaufmann geworden, daß er am
zweiten Tage seines Verweilens in der Heimat vor
allem Andern zuerst mit Wenzel seine kaufmännischen
Angelegenheiten ordnete. Bei der Genauigkeit, mit
welcher dieselben von beiden Seiten geleitet worden wa-
ren, war das Geschäft bald zu Ende gebracht, worauf
sich die Kaufleute wieder ihrer Familie widmeten.

Um 9 Uhr rief Frau Wenzel zum Frühstück. Das
Beste, was Speisegewölbe und Keller aufzuweisen hat-
ten, wurde aufgetragen. Kurt mußte den Ehrenplatz
an der Tafel einnehmen und vermochte kaum sich satt
[Spaltenumbruch] zu essen, da er fast jeden Augenblick mit Fragen be-
stürmt wurde. Ein frommer Aufblick nach oben ging
dem Essen voraus und ein Dankgebet schloß dasselbe.
Nachmittags begleitete die überglückliche Jutta ihren
Sohn nach der Kirche, in welcher er getauft und con-
firmirt worden war.

Die folgenden Tage verliefen der Familie in nütz-
licher Thätigkeit. Kurt hatte verschiedene Reisen in an-
dere Städte zu machen, um Handelsgeschäfte abzu-
wickeln und seine erworbenen Reichthümer nützlich an-
zulegen; als aber dies nach Wünschen geschehen war,
kehrte er in sein freund=väterliches Haus zurück. Hier
blieb er etwa ein Vierteljahr, dann zog es ihn wieder
hinaus in die Fremde, um neue Handelsverbindungen
anzuknüpfen, was ihm sehr leicht wurde, da man ihm
mit einem unbegrenzten Vertrauen entgegenkam. Nach
seiner Rückkehr hielt er sich etwa noch zwei Monate
auf, dann unternahm er noch eine bedeutende Seereise
und zwar die letzte in seinem Leben. Sie lief glück-
lich für ihn ab. Er kam wieder gesund in seiner Va-
terstadt an, fest entschlossen, nun in seiner Vaterstadt
zu bleiben.

Niemanden war dies erwünschter als den Seinen.
Während er wieder auf Reisen war, hatte Wenzel Al-
bert als Compagnon angenommen, um ihn sich für
immer zu erhalten und, da er keine Kinder hatte, den
Erwerb seines Fleißes und seiner Sparsamkeit nicht in
fremde Hände kommen zu lassen. Jn aller Stille legte
Wenzel bald auch sein Testament nieder, in welchem
er bestimmte, daß die eine Hälfte seines Vermögens
nach seinem und seiner Gattin Tode den Brüdern Kurt
und Albert zufallen, die andere Hälfte aber zur Unter-
haltung der Bildungsanstalten in der Stadt verwendet
werden sollte.

Als Kurt wieder zurückgekehrt war, erbaute er ein
großes Gebäude, in welchem er später seine Hand-
lungsräume einrichtete. Sein Großhandel kam bei den
vielseitigen Verbindungen mit Freunden in Amerika zu
hoher Blüte und sein Reichthum nahm mit jedem
Jahre zu.

Ein besonderes Glück fanden Kurt und Albert
darin, daß ihre theure Mutter und die guten Wenzel's
noch lange mit ihnen vereint bleiben konnten. Als die
ehrwürdige Jutta und bald nach ihr auch Wenzels
starben, da kam den Brüdern die Stunde der Tren-
nung vom Liebsten, was sie auf Erden hatten, noch
viel zu früh und gern hätten sie sich noch einmal so
lange ihres Besitzes erfreut. Aber alles Jrdische ist flüch-
tig und darum konnten die treuen Brüder die Heiß-
geliebten dem Strome der Vergänglichkeit nicht entrei-
ßen, dem sie mitten in der Mannskraft doch auch
Schritt für Schritt zueilten, um auf ihm hinüberzu-
schiffen in das Land der unvergänglichen Freuden, die
dort jedem edlen, frommen Menschen vom Vater der
Liebe bereitet werden.

Kurt und Albert erreichten ebenfalls ein hohes Al-
ter und ihr Andenken blieb bei ihren Kindern in Se-
gen, bei allen Wohlgesinnten aber in hohen Ehren,
denn sie hatten viel gethan, um die von Gott ihnen
geschenkten Reichthümer zum Segen für die Mensch-
heit anzuwenden.

Jn Kurt's Familie wurde ein goldenes Medaillon
von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt, das Kurt stets
als ein Heiligthum betrachtet hatte. Es faßte die Blu-
men ein, welche einst dem scheidenden jungen Manne
am Grabe seines Vaters von seinen treuen Angehöri-
gen liebend überreicht worden waren.



[Ende Spaltensatz]
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Während er wieder auf Reisen war, hatte Wenzel Al- bert als Compagnon angenommen, um ihn sich für immer zu erhalten und, da er keine Kinder hatte, den Erwerb seines Fleißes und seiner Sparsamkeit nicht in fremde Hände kommen zu lassen. Jn aller Stille legte Wenzel bald auch sein Testament nieder, in welchem er bestimmte, daß die eine Hälfte seines Vermögens nach seinem und seiner Gattin Tode den Brüdern Kurt und Albert zufallen, die andere Hälfte aber zur Unter- haltung der Bildungsanstalten in der Stadt verwendet werden sollte. Als Kurt wieder zurückgekehrt war, erbaute er ein großes Gebäude, in welchem er später seine Hand- lungsräume einrichtete. Sein Großhandel kam bei den vielseitigen Verbindungen mit Freunden in Amerika zu hoher Blüte und sein Reichthum nahm mit jedem Jahre zu. Ein besonderes Glück fanden Kurt und Albert darin, daß ihre theure Mutter und die guten Wenzel's noch lange mit ihnen vereint bleiben konnten. Als die ehrwürdige Jutta und bald nach ihr auch Wenzels starben, da kam den Brüdern die Stunde der Tren- nung vom Liebsten, was sie auf Erden hatten, noch viel zu früh und gern hätten sie sich noch einmal so lange ihres Besitzes erfreut. Aber alles Jrdische ist flüch- tig und darum konnten die treuen Brüder die Heiß- geliebten dem Strome der Vergänglichkeit nicht entrei- ßen, dem sie mitten in der Mannskraft doch auch Schritt für Schritt zueilten, um auf ihm hinüberzu- schiffen in das Land der unvergänglichen Freuden, die dort jedem edlen, frommen Menschen vom Vater der Liebe bereitet werden. Kurt und Albert erreichten ebenfalls ein hohes Al- ter und ihr Andenken blieb bei ihren Kindern in Se- gen, bei allen Wohlgesinnten aber in hohen Ehren, denn sie hatten viel gethan, um die von Gott ihnen geschenkten Reichthümer zum Segen für die Mensch- heit anzuwenden. Jn Kurt's Familie wurde ein goldenes Medaillon von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt, das Kurt stets als ein Heiligthum betrachtet hatte. Es faßte die Blu- men ein, welche einst dem scheidenden jungen Manne am Grabe seines Vaters von seinen treuen Angehöri- gen liebend überreicht worden waren.

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