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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 71. Leipzig (Sachsen), 4. Mai 1854.

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[Beginn Spaltensatz] feommer, biederer, braver Mann und kehre gesund
zurück! Gott mit dir, mein Jüngling; sein Engel ge-
leite dich!"

Herr Wenzel war so bewegt, daß er zwischen jedem
Satze eine lange Pause machen mußte; seine Segens-
worte wurden vom Weinen und Schluchzen der Uebri-
gen begleitet.

Als Jutta sich gefaßt hatte, trocknete sie ihre Au-
gen und sprach mit einem unbeschreiblichen Tone sanf-
ter Mutterliebe: "Mich verlangt noch, mein Kurt, mit
dir einen wichtigen Weg zu gehen, den darfst du nicht
unterlassen, und du, mein Albert, auch Jhr, befreun-
dete theure Wenzel's, mögt uns begleiten!"

Jutta erhob sich und Alle folgten ihr hinaus ins
Freie. Der Mond schien hell vom Himmel herab und
beleuchtete den Pfad der stillen Wanderer. Nur we-
nig Worte wurden zwischen ihnen gewechselt. Die Mut-
ter schritt mit Kurt einem Kirchlein zu, welches auf
dem Friedhofe stand, und Wenzel merkte bald, daß
für Kurt die letzten Minuten in der Heimat dem An-
denken seines Vaters geweiht sein sollten. Er hatte
richtig geschlossen.

Jutta leitete Kurt bis an das Grab seines Vaters
und die Übrigen umstanden dasselbe mit. Die bewegte
Mutter blickte himmelwärts mit einer bewundernswür-
digen Fassuug, erhob betend die Hände und sprach:
"Vater der Liebe! Du hast meine Bitten bisher erhört
und meine Söhne wohl gerathen lassen; ich danke dir
dafür! Einer will nun hinaus aufs Meer, in unbe-
kannte Länder, wohin mein schwaches Mutterauge nicht
reicht! Sei du nun um ihn, mein Gott, mit deinem
Schutze, wenn ihn Gefahr umlagert; stärke du ihm
seinen frommen Willen, wenn er straucheln will; er-
hebe du ihn, wenn er sich entmuthigt fühlt; leite du
ihn, wie du bisher gethan und führe ihn gut und
rein ins Vaterland zurück, zurück ans Mutterherz,
daß ich ihn einmal, einmal noch im Leben, wiedersehe!
Amen! Amen!"

Jutta konnte nicht weiter sprechen; die wehmü-
thigste Bewegung ihres Herzens überwältigte sie. Da
ergriff Herr Wenzel die Hand Kurt's, der an der an-
dern Seite des Grabes neben seiner Mutter stand und
sprach: "Du reichst mir deine Hand über diesem klei-
nen Hügel. Viel, sehr viel liegt jetzt zwischen uns
Beiden! Da unten ruht eine Hülle, welche einen
Geist umschloß, der jetzt bittend, mahnend, warnend
aus unbekannten Höhen auf dich niederblickt und sein
Gebet mit dem unsern vereinigt. Mein Kurt, mein
Sohn, am Grabe deines Vaters versprich mir, daß du
nichts thun willst, was dich schändet, daß du leben
willst, wie wir es dich gelehrt haben, daß du nur nach
deiner eigenen Veredlung, nach dem Wahren und Gu-
ten streben willst, um einst fromm und glücklich zu
uns zurückzukehren!"

Kurt drückte seinem väterlichen Freunde mit inni-
ger Rührung die Hand und rief: "Ja, ja, ich will es
und hoffe, daß der Vater des Lebens stets bei mir sein
und mich führen und leiten werde!" Dann erhob er
den Blick zum mondhellen Himmel und betete: "Herr
Gott, schütze gnädig alle die Theuren, die mit mir
hier an diesem Grabe stehen und führe mich einst
glücklich zu ihnen zurück! Amen, Amen!" Als er
dies gesagt hatte, fiel er seinen Lieben um den Hals
und weinte sich aus.

Als Jutta endlich eine Bewegung zur Rückkehr
machte, da bückte sich Herr Wenzel auf das Grab
nieder, pflückte einen Rautenzweig ab, überreichte ihn
Kurt und sprach: "Bewahre ihn zum Andenken an
[Spaltenumbruch] diese Stunde; er sagt dir: Zeit und Raum trennen
die Herzen nicht!"

Frau Wenzel wollte dem lieben Pfleglinge auch ein
Andenken mitgeben und brach von der kleinen, am
Grabe aufwachsenden Esche einen frischen, jungen
Trieb ab, den sie Kurt mit den Worten überreichte:
"Sei standhaft, wenn des Lebens Stürme wüthen!"

Jndessen hatte sich auch schon Jutta nach dem
Grabe niedergebückt. Sie überreichte Kurt zuerst eine
Federnelke und sprach: "Bewahre deine Unschuld!"
Dann gab sie ihm eine Lebensblume mit den Worten:
"Bedenke das Ende!" und endlich fügte sie eine Jm-
mortelle hinzu, sprechend: "Sei treu bis zum Tode!"

Albert war bei seinem weichen Herzen in den stum-
men Schmerz der Trennung versunken; da aber Alle
dem theuern Bruder ein sinniges Andenken überreich-
ten, so wollte er auch nicht zurückbleiben, daher griff
er nach einer kleinen Monatsrose und nach einem Ver-
gißmeinnicht, drückte sie Kurt in die Hand und rief
schluchzend: "Denke an uns! Erhalte dir die Rein-
heit des Herzens und du bewahrst dir ewige Jugend!"

Ernst und bewegt verließen Alle den stillen Fried-
hof und waren bald wieder in Herrn Wenzel's Hause
angekommen. Ehe noch der Tag anbrach, nämlich
früh 2 Uhr, ging die Post ab, mit welcher Kurt rei-
sen sollte. Allen war, als hätten sie in den letzten
drei Stunden noch einander unendlich viel zu sagen,
aber die Wehmuth ließ es nicht dazu kommen.

Schlag 2 Uhr blies der Postillon. Noch einmal
drückte Kurt alle die Seinen stürmisch an das Herz, noch
einmal hing er lange an den Lippen seiner theuern
Mutter, dann stieg er in den Postwagen und dieser
rollte in wenigen Minuten zur Stadt hinaus.

Jutta empfing von Kurt aus Hamburg noch einen
Brief, dann aber mußte sie sehr lange warten, ehe
ihr wieder eine Nachricht zuging; die Wochen schienen
ihr zu Jahren geworden zu sein. Endlich kam ein
Brief aus Neuyork an. Welche Freude empfanden
Kurt's Angehörige, als sie erfuhren, daß es dem jun-
gen Kaufmanne in der Neuen Welt sogleich gelungen
war, ein ganz erwünschtes Unterkommen zu finden,
wozu vorzüglich Wenzel's Empfehlung beigetragen hatte.

Jm Verlaufe der Jahre kamen von Kurt nur gün-
stige Mittheilungen, welche durch Briefe von dem Chef
seines Handelshauses glänzend bestätigt wurden. Dem
Kurt vertraute sein Herr in Amerika bald sehr viel an,
wodurch er sich in immer größere Selbständigkeit ver-
setzt sah. Nachdem er sich in das Handelswesen Ame-
rikas eingelebt und tüchtige Erfahrungen gesammelt
hatte, versuchte er Geschäfte auf eigene Hand, bei wel-
chen er ausgezeichnetes Glück hatte. Zuletzt trat er
mit Herrn Wenzel in Handelsverbindung und sendete
diesem überseeische Artikel zu billigsten Preisen, wofür
er durch Herrn Wenzel deutsche Producte und Fabri-
kate nach Amerika kommen ließ. Fortuna war beiden
Handelsmännern auf eine seltene Weise günstig. Mit
jedem Jahre mehrte sich ihr Reichthum und Kurt's
Geschäft kam in einen so hohen Aufschwung, daß er
im Stande war, nach fünf Jahren auf eigene Kosten
ein Handelsschiff, zwei Jahre darauf aber noch ein
zweites auszurüsten. Sein höchstes Ziel war dadurch
erreicht und zugleich sein Lieblingswunsch erfüllt. So
manche Fahrt unternahm er mit seinen Schiffen und
Tausende flossen als Gewinn in seine Kasse.

( Beschluß folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] feommer, biederer, braver Mann und kehre gesund
zurück! Gott mit dir, mein Jüngling; sein Engel ge-
leite dich!“

Herr Wenzel war so bewegt, daß er zwischen jedem
Satze eine lange Pause machen mußte; seine Segens-
worte wurden vom Weinen und Schluchzen der Uebri-
gen begleitet.

Als Jutta sich gefaßt hatte, trocknete sie ihre Au-
gen und sprach mit einem unbeschreiblichen Tone sanf-
ter Mutterliebe: „Mich verlangt noch, mein Kurt, mit
dir einen wichtigen Weg zu gehen, den darfst du nicht
unterlassen, und du, mein Albert, auch Jhr, befreun-
dete theure Wenzel's, mögt uns begleiten!“

Jutta erhob sich und Alle folgten ihr hinaus ins
Freie. Der Mond schien hell vom Himmel herab und
beleuchtete den Pfad der stillen Wanderer. Nur we-
nig Worte wurden zwischen ihnen gewechselt. Die Mut-
ter schritt mit Kurt einem Kirchlein zu, welches auf
dem Friedhofe stand, und Wenzel merkte bald, daß
für Kurt die letzten Minuten in der Heimat dem An-
denken seines Vaters geweiht sein sollten. Er hatte
richtig geschlossen.

Jutta leitete Kurt bis an das Grab seines Vaters
und die Übrigen umstanden dasselbe mit. Die bewegte
Mutter blickte himmelwärts mit einer bewundernswür-
digen Fassuug, erhob betend die Hände und sprach:
„Vater der Liebe! Du hast meine Bitten bisher erhört
und meine Söhne wohl gerathen lassen; ich danke dir
dafür! Einer will nun hinaus aufs Meer, in unbe-
kannte Länder, wohin mein schwaches Mutterauge nicht
reicht! Sei du nun um ihn, mein Gott, mit deinem
Schutze, wenn ihn Gefahr umlagert; stärke du ihm
seinen frommen Willen, wenn er straucheln will; er-
hebe du ihn, wenn er sich entmuthigt fühlt; leite du
ihn, wie du bisher gethan und führe ihn gut und
rein ins Vaterland zurück, zurück ans Mutterherz,
daß ich ihn einmal, einmal noch im Leben, wiedersehe!
Amen! Amen!“

Jutta konnte nicht weiter sprechen; die wehmü-
thigste Bewegung ihres Herzens überwältigte sie. Da
ergriff Herr Wenzel die Hand Kurt's, der an der an-
dern Seite des Grabes neben seiner Mutter stand und
sprach: „Du reichst mir deine Hand über diesem klei-
nen Hügel. Viel, sehr viel liegt jetzt zwischen uns
Beiden! Da unten ruht eine Hülle, welche einen
Geist umschloß, der jetzt bittend, mahnend, warnend
aus unbekannten Höhen auf dich niederblickt und sein
Gebet mit dem unsern vereinigt. Mein Kurt, mein
Sohn, am Grabe deines Vaters versprich mir, daß du
nichts thun willst, was dich schändet, daß du leben
willst, wie wir es dich gelehrt haben, daß du nur nach
deiner eigenen Veredlung, nach dem Wahren und Gu-
ten streben willst, um einst fromm und glücklich zu
uns zurückzukehren!“

Kurt drückte seinem väterlichen Freunde mit inni-
ger Rührung die Hand und rief: „Ja, ja, ich will es
und hoffe, daß der Vater des Lebens stets bei mir sein
und mich führen und leiten werde!“ Dann erhob er
den Blick zum mondhellen Himmel und betete: „Herr
Gott, schütze gnädig alle die Theuren, die mit mir
hier an diesem Grabe stehen und führe mich einst
glücklich zu ihnen zurück! Amen, Amen!“ Als er
dies gesagt hatte, fiel er seinen Lieben um den Hals
und weinte sich aus.

Als Jutta endlich eine Bewegung zur Rückkehr
machte, da bückte sich Herr Wenzel auf das Grab
nieder, pflückte einen Rautenzweig ab, überreichte ihn
Kurt und sprach: „Bewahre ihn zum Andenken an
[Spaltenumbruch] diese Stunde; er sagt dir: Zeit und Raum trennen
die Herzen nicht!“

Frau Wenzel wollte dem lieben Pfleglinge auch ein
Andenken mitgeben und brach von der kleinen, am
Grabe aufwachsenden Esche einen frischen, jungen
Trieb ab, den sie Kurt mit den Worten überreichte:
„Sei standhaft, wenn des Lebens Stürme wüthen!“

Jndessen hatte sich auch schon Jutta nach dem
Grabe niedergebückt. Sie überreichte Kurt zuerst eine
Federnelke und sprach: „Bewahre deine Unschuld!“
Dann gab sie ihm eine Lebensblume mit den Worten:
„Bedenke das Ende!“ und endlich fügte sie eine Jm-
mortelle hinzu, sprechend: „Sei treu bis zum Tode!“

Albert war bei seinem weichen Herzen in den stum-
men Schmerz der Trennung versunken; da aber Alle
dem theuern Bruder ein sinniges Andenken überreich-
ten, so wollte er auch nicht zurückbleiben, daher griff
er nach einer kleinen Monatsrose und nach einem Ver-
gißmeinnicht, drückte sie Kurt in die Hand und rief
schluchzend: „Denke an uns! Erhalte dir die Rein-
heit des Herzens und du bewahrst dir ewige Jugend!“

Ernst und bewegt verließen Alle den stillen Fried-
hof und waren bald wieder in Herrn Wenzel's Hause
angekommen. Ehe noch der Tag anbrach, nämlich
früh 2 Uhr, ging die Post ab, mit welcher Kurt rei-
sen sollte. Allen war, als hätten sie in den letzten
drei Stunden noch einander unendlich viel zu sagen,
aber die Wehmuth ließ es nicht dazu kommen.

Schlag 2 Uhr blies der Postillon. Noch einmal
drückte Kurt alle die Seinen stürmisch an das Herz, noch
einmal hing er lange an den Lippen seiner theuern
Mutter, dann stieg er in den Postwagen und dieser
rollte in wenigen Minuten zur Stadt hinaus.

Jutta empfing von Kurt aus Hamburg noch einen
Brief, dann aber mußte sie sehr lange warten, ehe
ihr wieder eine Nachricht zuging; die Wochen schienen
ihr zu Jahren geworden zu sein. Endlich kam ein
Brief aus Neuyork an. Welche Freude empfanden
Kurt's Angehörige, als sie erfuhren, daß es dem jun-
gen Kaufmanne in der Neuen Welt sogleich gelungen
war, ein ganz erwünschtes Unterkommen zu finden,
wozu vorzüglich Wenzel's Empfehlung beigetragen hatte.

Jm Verlaufe der Jahre kamen von Kurt nur gün-
stige Mittheilungen, welche durch Briefe von dem Chef
seines Handelshauses glänzend bestätigt wurden. Dem
Kurt vertraute sein Herr in Amerika bald sehr viel an,
wodurch er sich in immer größere Selbständigkeit ver-
setzt sah. Nachdem er sich in das Handelswesen Ame-
rikas eingelebt und tüchtige Erfahrungen gesammelt
hatte, versuchte er Geschäfte auf eigene Hand, bei wel-
chen er ausgezeichnetes Glück hatte. Zuletzt trat er
mit Herrn Wenzel in Handelsverbindung und sendete
diesem überseeische Artikel zu billigsten Preisen, wofür
er durch Herrn Wenzel deutsche Producte und Fabri-
kate nach Amerika kommen ließ. Fortuna war beiden
Handelsmännern auf eine seltene Weise günstig. Mit
jedem Jahre mehrte sich ihr Reichthum und Kurt's
Geschäft kam in einen so hohen Aufschwung, daß er
im Stande war, nach fünf Jahren auf eigene Kosten
ein Handelsschiff, zwei Jahre darauf aber noch ein
zweites auszurüsten. Sein höchstes Ziel war dadurch
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( Beschluß folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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Schlag 2 Uhr blies der Postillon. Noch einmal drückte Kurt alle die Seinen stürmisch an das Herz, noch einmal hing er lange an den Lippen seiner theuern Mutter, dann stieg er in den Postwagen und dieser rollte in wenigen Minuten zur Stadt hinaus. Jutta empfing von Kurt aus Hamburg noch einen Brief, dann aber mußte sie sehr lange warten, ehe ihr wieder eine Nachricht zuging; die Wochen schienen ihr zu Jahren geworden zu sein. Endlich kam ein Brief aus Neuyork an. Welche Freude empfanden Kurt's Angehörige, als sie erfuhren, daß es dem jun- gen Kaufmanne in der Neuen Welt sogleich gelungen war, ein ganz erwünschtes Unterkommen zu finden, wozu vorzüglich Wenzel's Empfehlung beigetragen hatte. Jm Verlaufe der Jahre kamen von Kurt nur gün- stige Mittheilungen, welche durch Briefe von dem Chef seines Handelshauses glänzend bestätigt wurden. Dem Kurt vertraute sein Herr in Amerika bald sehr viel an, wodurch er sich in immer größere Selbständigkeit ver- setzt sah. Nachdem er sich in das Handelswesen Ame- rikas eingelebt und tüchtige Erfahrungen gesammelt hatte, versuchte er Geschäfte auf eigene Hand, bei wel- chen er ausgezeichnetes Glück hatte. Zuletzt trat er mit Herrn Wenzel in Handelsverbindung und sendete diesem überseeische Artikel zu billigsten Preisen, wofür er durch Herrn Wenzel deutsche Producte und Fabri- kate nach Amerika kommen ließ. Fortuna war beiden Handelsmännern auf eine seltene Weise günstig. Mit jedem Jahre mehrte sich ihr Reichthum und Kurt's Geschäft kam in einen so hohen Aufschwung, daß er im Stande war, nach fünf Jahren auf eigene Kosten ein Handelsschiff, zwei Jahre darauf aber noch ein zweites auszurüsten. Sein höchstes Ziel war dadurch erreicht und zugleich sein Lieblingswunsch erfüllt. So manche Fahrt unternahm er mit seinen Schiffen und Tausende flossen als Gewinn in seine Kasse. ( Beschluß folgt. )

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 71. Leipzig (Sachsen), 4. Mai 1854, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig071_1854/3>, abgerufen am 24.11.2024.