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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 46. Prag, 1835.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] Bozena und dem Herzog Udalrich, vom Eroberer
Ottokar, der das Land zwischen der Ostsee und
dem adriatischen Meere beherrschte, von den welt-
erschütternden Hussitenkriegen, von Zizka und den
Prokopen, vom König Georg von Podiebrad,
von Wallenstein und den Schlachten des dreißig-
jährigen Krieges, von tausend denkwürdigen Thaten,
die noch jetzt das Land und seine Erinnerungen mit
einem romantischen Sternenhimmel bedecken, unter
welchem Heldenlieder und Zaubergesänge wunder-
reizend leis' und laut erklingen? Tausend Denkmahle,
uralte, prangende Städte, zahlreiche Burgruinen,
Schlösser, Klöster, Kirchen und Grabmähler sprechen
von jener großen Zeit, und erfüllen noch jetzt des
Böhmen Brust mit gerechtem Stolze auf sein Vater-
land und seine Abkunft. Das Land bietet einen
ungeheuern Reichthum an Naturprodukten dar; die
Berge liefern Silber, Eisen, Blei, Kupfer, Schwefel,
Steinkohlen, seltene Edelsteine, darunter besonders
Granaten. Die zahlreichen Wälder beherbergen die
edelsten Arten von Wild -- der Böhmerwald sogar
noch Bären, Wölfe und Luchse. Der Boden bringt
Getreide in Menge und Güte hervor; Obst ist im
Ueberfluß vorhanden, man baut Wein und unge-
heuer viel Hopfen, welcher der beste in Europa ist.
Die Viehzucht ist stark, die Schafzucht wird immer
mehr veredelt. Böhmen ist eines der wichtigsten
Fabrikländer in Leinwand, Woll =, Baumwoll = und
Seidenzeug. Zahlreich sind seine Hut =, Papier=,
Metall =, Porzellain = und Fayancefabriken. Böh-
mische Glaswaaren, Spitzen und Zwirn sind durch
ganz Europa berühmt. Das Land hat 153 Mine-
ralquellen, darunter haben Karlsbad, Franzens-
brunn, Teplitz, Marienbad
einen europäischen
Ruf. Die zahlreichen Ströme und Flüsse sind reich
an Fischen; die böhmischen Fasanen, in zahlreichen
Gärten gehegt, werden geschätzt. Gute Landstraßen
durchschneiden es in allen Richtungen ( darunter eine
Eisenbahn von Budweis nach Linz ) und befördern
den Handelsverkehr ungemein. Das Land umfaßt
952 Quadratmeilen, und zählt 3,540,000 Einwoh-
ner. Für die wissenschaftliche Bildung sorgen eine
Universität, mehrere Lyceen, eine große Anzahl Gym-
nasien, das böhmische Nationalmuseum, das poly-
technische Jnstitut. Jn Prag ist ein Konservatorium
der Musik und eine Malerakademie, worin ausge-
zeichnete Künstler gebildet wurden. Der slawische
Theil der Bewohner Böhmens, die Czechen, gehören
zum großen slawischen Völkerstamme, der den größten
Theil des östlichen Europa's bewohnt, und theilen
mit diesem im Allgemeinen denselben Nationaltypus.
Sie sind kräftig, ausdauernd, tapfer, voll Scharf-
sinn, voll Talent, namentlich für Musik; ein schöner,
kräftiger, muskulöser Menschenschlag. Die im Lande
wohnenden Deutschen, seit alten Zeiten mit den Ur-
bewohnern vermischt, haben diesen germanischen
Sinn, Geschmeidigkeit, Fleiß, Treue eingeimpft. Eine
weise Regierung hat die Abkömmlinge zweier ver-
schiedener Nationen zu einem Brudervolke vereinigt.
Der gebildete Böhme spricht und schreibt deutsch und
böhmisch mit gleicher Geläufigkeit. Jn mehreren
Kreisen wird jedoch vom Landvolke nur böhmisch
gesprochen. Die Literatur fängt an national zu
werden; es gibt böhmische Dichter, und das Volk
liest seine Lieder, seine wunderbaren Sagen, in einer
wohlklingenden, schön ausgebildeten Sprache. Die
Böhminnen sind als schön bekannt. Herrliche Ge-
stalten, frische, blühende Gesichter, dunkles seidenes
[Spaltenumbruch] Haar, Fülle und Grazie der Formen, und nament-
lich ein blühender Mund mit Perlenreihen zeichnet
sie aus. Sie sind sinnig, schwärmerisch, kräftig und
feurig in der Liebe, gute Gattinnen und zärtliche
Mütter ihrer Kinder. Sie sind hochsinnig und mu-
thig -- in mancher blitzt noch der Geist jener hel-
denmüthigen Amazone Wlasta. "



Der Straßburger Münster.

Dieser merkwürdige Gottestempel rühmt sich
eines hohen Alterthumes; sein Bau wurde 1015
begonnen, und man behauptet sogar, das Chor sey
noch dasselbe, welches 770 auf Befehl Karl des
Großen erbaut worden. Die alten Chroniken erzäh-
len, daß während 13 Jahren mehr als 100,000
Andächtige, blos durch frommen Beruf angetrieben,
täglich an diesem Baue arbeiteten und dafür nur
Brod und Wurzeln zur Nahrung empfingen. Dieser
Eifer erkaltete nach und nach, und die Kirche wurde
erst nach 260 Jahren vollendet. Noch blieben die
Thürme aufzurichten. Jm Jahre 1277 legte der
Erzbischof von Straßburg zu dem berühmten
Hauptthurm den Grundstein. Nach dem ursprüng-
lichen Plane, den man in dem Archiv ( Urkunden-
sammlung ) des Kapitels sorgfältig verwahrt, sollte
die Kirche zwei ganz gleiche Thürme mit einer
Höhe von 594 Fuß erhalten; doch wurde nur einer,
der nördliche bis zur Höhe von 490 Straßburger
Fuß ( ungefähr 437 gewöhnliche F. ) vollendet. Der
zweite Thurm hat nur die Höhe der Plateforme,
und wurde im Jahre 1365 ausgebaut. Erdbeben
und Feuersbrünste brachten mehrmals die Kirche
und den Thurm in große Gefahr. 1654 vernichtete
der Blitz einen beträchtlichen Theil der obersten
Höhe des Thurmes, man mußte 58 Fuß desselben
abtragen, und es dauerte 3 Jahre, ehe er herge-
stellt wurde. 1759 schlug der Blitz in das bleige-
deckte Dach oberhalb des Kirchenschiffes ein, und
in weniger als einer Stunde war die ganze Beda-
chung von den Flammen verzehrt. Das Feuer war
so heftig, daß das geschmolzene Blei gleich einem
Wasserfalle vom Dach auf das Pflaster herabstürzte,
und bis in den Strom floß. Nachdem das Dach
wieder hergestellt war, wurde es mit rothen Ku-
pferplatten gedeckt. Am 15. August 1833 hat das
Wetter abermals in die Kirche eingeschlagen, und
großen Schaden angerichtet. Jnsbesondere wurde
eine Jnschrift zur Erinnerung an die Gefahren,
welche die Domkirche während des merkwürdigen
Erdbeben von 1728 lief, vom Blitz sehr beschädigt.
Die Facade des Tempels enthält 3 Portale, zu
deren Vorhalle man über mehrere Stufen gelangt.
Das mittelste, größte und schönste Portal ist mit
Säulen und Statuen geschmückt. Die Hauptthüre
bestand ursprünglich aus geschnitztem Erz; sie wurde
aber während der Revolution eingeschmolzen und
zu Scheidemünze ausgeprägt. Heutzutage findet
man an ihrer Stelle eine Thüre von Holz. Ober-
halb des Portals im ersten Stockwerk des Thurmes
sieht man die Reiterstatuen von Chlodewig, Da-
gobert, Rudolph
von Habsburg und Lud-
wig
XIV. Grade oberhalb denselben schimmert
die große Fensterrose von Glasmalerei. Jhr äußerer
Umfang beträgt 150, ihr Durchschnitt 48 Fuß.
Diese Rose, von den Strahlen der Sonne beleuchtet,
macht in der Kirche eine zauberische Wirkung. Der
[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] Bozena und dem Herzog Udalrich, vom Eroberer
Ottokar, der das Land zwischen der Ostsee und
dem adriatischen Meere beherrschte, von den welt-
erschütternden Hussitenkriegen, von Zizka und den
Prokopen, vom König Georg von Podiebrad,
von Wallenstein und den Schlachten des dreißig-
jährigen Krieges, von tausend denkwürdigen Thaten,
die noch jetzt das Land und seine Erinnerungen mit
einem romantischen Sternenhimmel bedecken, unter
welchem Heldenlieder und Zaubergesänge wunder-
reizend leis' und laut erklingen? Tausend Denkmahle,
uralte, prangende Städte, zahlreiche Burgruinen,
Schlösser, Klöster, Kirchen und Grabmähler sprechen
von jener großen Zeit, und erfüllen noch jetzt des
Böhmen Brust mit gerechtem Stolze auf sein Vater-
land und seine Abkunft. Das Land bietet einen
ungeheuern Reichthum an Naturprodukten dar; die
Berge liefern Silber, Eisen, Blei, Kupfer, Schwefel,
Steinkohlen, seltene Edelsteine, darunter besonders
Granaten. Die zahlreichen Wälder beherbergen die
edelsten Arten von Wild — der Böhmerwald sogar
noch Bären, Wölfe und Luchse. Der Boden bringt
Getreide in Menge und Güte hervor; Obst ist im
Ueberfluß vorhanden, man baut Wein und unge-
heuer viel Hopfen, welcher der beste in Europa ist.
Die Viehzucht ist stark, die Schafzucht wird immer
mehr veredelt. Böhmen ist eines der wichtigsten
Fabrikländer in Leinwand, Woll =, Baumwoll = und
Seidenzeug. Zahlreich sind seine Hut =, Papier=,
Metall =, Porzellain = und Fayancefabriken. Böh-
mische Glaswaaren, Spitzen und Zwirn sind durch
ganz Europa berühmt. Das Land hat 153 Mine-
ralquellen, darunter haben Karlsbad, Franzens-
brunn, Teplitz, Marienbad
einen europäischen
Ruf. Die zahlreichen Ströme und Flüsse sind reich
an Fischen; die böhmischen Fasanen, in zahlreichen
Gärten gehegt, werden geschätzt. Gute Landstraßen
durchschneiden es in allen Richtungen ( darunter eine
Eisenbahn von Budweis nach Linz ) und befördern
den Handelsverkehr ungemein. Das Land umfaßt
952 Quadratmeilen, und zählt 3,540,000 Einwoh-
ner. Für die wissenschaftliche Bildung sorgen eine
Universität, mehrere Lyceen, eine große Anzahl Gym-
nasien, das böhmische Nationalmuseum, das poly-
technische Jnstitut. Jn Prag ist ein Konservatorium
der Musik und eine Malerakademie, worin ausge-
zeichnete Künstler gebildet wurden. Der slawische
Theil der Bewohner Böhmens, die Czechen, gehören
zum großen slawischen Völkerstamme, der den größten
Theil des östlichen Europa's bewohnt, und theilen
mit diesem im Allgemeinen denselben Nationaltypus.
Sie sind kräftig, ausdauernd, tapfer, voll Scharf-
sinn, voll Talent, namentlich für Musik; ein schöner,
kräftiger, muskulöser Menschenschlag. Die im Lande
wohnenden Deutschen, seit alten Zeiten mit den Ur-
bewohnern vermischt, haben diesen germanischen
Sinn, Geschmeidigkeit, Fleiß, Treue eingeimpft. Eine
weise Regierung hat die Abkömmlinge zweier ver-
schiedener Nationen zu einem Brudervolke vereinigt.
Der gebildete Böhme spricht und schreibt deutsch und
böhmisch mit gleicher Geläufigkeit. Jn mehreren
Kreisen wird jedoch vom Landvolke nur böhmisch
gesprochen. Die Literatur fängt an national zu
werden; es gibt böhmische Dichter, und das Volk
liest seine Lieder, seine wunderbaren Sagen, in einer
wohlklingenden, schön ausgebildeten Sprache. Die
Böhminnen sind als schön bekannt. Herrliche Ge-
stalten, frische, blühende Gesichter, dunkles seidenes
[Spaltenumbruch] Haar, Fülle und Grazie der Formen, und nament-
lich ein blühender Mund mit Perlenreihen zeichnet
sie aus. Sie sind sinnig, schwärmerisch, kräftig und
feurig in der Liebe, gute Gattinnen und zärtliche
Mütter ihrer Kinder. Sie sind hochsinnig und mu-
thig — in mancher blitzt noch der Geist jener hel-
denmüthigen Amazone Wlasta.



Der Straßburger Münster.

Dieser merkwürdige Gottestempel rühmt sich
eines hohen Alterthumes; sein Bau wurde 1015
begonnen, und man behauptet sogar, das Chor sey
noch dasselbe, welches 770 auf Befehl Karl des
Großen erbaut worden. Die alten Chroniken erzäh-
len, daß während 13 Jahren mehr als 100,000
Andächtige, blos durch frommen Beruf angetrieben,
täglich an diesem Baue arbeiteten und dafür nur
Brod und Wurzeln zur Nahrung empfingen. Dieser
Eifer erkaltete nach und nach, und die Kirche wurde
erst nach 260 Jahren vollendet. Noch blieben die
Thürme aufzurichten. Jm Jahre 1277 legte der
Erzbischof von Straßburg zu dem berühmten
Hauptthurm den Grundstein. Nach dem ursprüng-
lichen Plane, den man in dem Archiv ( Urkunden-
sammlung ) des Kapitels sorgfältig verwahrt, sollte
die Kirche zwei ganz gleiche Thürme mit einer
Höhe von 594 Fuß erhalten; doch wurde nur einer,
der nördliche bis zur Höhe von 490 Straßburger
Fuß ( ungefähr 437 gewöhnliche F. ) vollendet. Der
zweite Thurm hat nur die Höhe der Plateforme,
und wurde im Jahre 1365 ausgebaut. Erdbeben
und Feuersbrünste brachten mehrmals die Kirche
und den Thurm in große Gefahr. 1654 vernichtete
der Blitz einen beträchtlichen Theil der obersten
Höhe des Thurmes, man mußte 58 Fuß desselben
abtragen, und es dauerte 3 Jahre, ehe er herge-
stellt wurde. 1759 schlug der Blitz in das bleige-
deckte Dach oberhalb des Kirchenschiffes ein, und
in weniger als einer Stunde war die ganze Beda-
chung von den Flammen verzehrt. Das Feuer war
so heftig, daß das geschmolzene Blei gleich einem
Wasserfalle vom Dach auf das Pflaster herabstürzte,
und bis in den Strom floß. Nachdem das Dach
wieder hergestellt war, wurde es mit rothen Ku-
pferplatten gedeckt. Am 15. August 1833 hat das
Wetter abermals in die Kirche eingeschlagen, und
großen Schaden angerichtet. Jnsbesondere wurde
eine Jnschrift zur Erinnerung an die Gefahren,
welche die Domkirche während des merkwürdigen
Erdbeben von 1728 lief, vom Blitz sehr beschädigt.
Die Facade des Tempels enthält 3 Portale, zu
deren Vorhalle man über mehrere Stufen gelangt.
Das mittelste, größte und schönste Portal ist mit
Säulen und Statuen geschmückt. Die Hauptthüre
bestand ursprünglich aus geschnitztem Erz; sie wurde
aber während der Revolution eingeschmolzen und
zu Scheidemünze ausgeprägt. Heutzutage findet
man an ihrer Stelle eine Thüre von Holz. Ober-
halb des Portals im ersten Stockwerk des Thurmes
sieht man die Reiterstatuen von Chlodewig, Da-
gobert, Rudolph
von Habsburg und Lud-
wig
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die große Fensterrose von Glasmalerei. Jhr äußerer
Umfang beträgt 150, ihr Durchschnitt 48 Fuß.
Diese Rose, von den Strahlen der Sonne beleuchtet,
macht in der Kirche eine zauberische Wirkung. Der
[Ende Spaltensatz]

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Die zahlreichen Wälder beherbergen die edelsten Arten von Wild — der Böhmerwald sogar noch Bären, Wölfe und Luchse. Der Boden bringt Getreide in Menge und Güte hervor; Obst ist im Ueberfluß vorhanden, man baut Wein und unge- heuer viel Hopfen, welcher der beste in Europa ist. Die Viehzucht ist stark, die Schafzucht wird immer mehr veredelt. Böhmen ist eines der wichtigsten Fabrikländer in Leinwand, Woll =, Baumwoll = und Seidenzeug. Zahlreich sind seine Hut =, Papier=, Metall =, Porzellain = und Fayancefabriken. Böh- mische Glaswaaren, Spitzen und Zwirn sind durch ganz Europa berühmt. Das Land hat 153 Mine- ralquellen, darunter haben Karlsbad, Franzens- brunn, Teplitz, Marienbad einen europäischen Ruf. Die zahlreichen Ströme und Flüsse sind reich an Fischen; die böhmischen Fasanen, in zahlreichen Gärten gehegt, werden geschätzt. Gute Landstraßen durchschneiden es in allen Richtungen ( darunter eine Eisenbahn von Budweis nach Linz ) und befördern den Handelsverkehr ungemein. 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Jnsbesondere wurde eine Jnschrift zur Erinnerung an die Gefahren, welche die Domkirche während des merkwürdigen Erdbeben von 1728 lief, vom Blitz sehr beschädigt. Die Facade des Tempels enthält 3 Portale, zu deren Vorhalle man über mehrere Stufen gelangt. Das mittelste, größte und schönste Portal ist mit Säulen und Statuen geschmückt. Die Hauptthüre bestand ursprünglich aus geschnitztem Erz; sie wurde aber während der Revolution eingeschmolzen und zu Scheidemünze ausgeprägt. Heutzutage findet man an ihrer Stelle eine Thüre von Holz. Ober- halb des Portals im ersten Stockwerk des Thurmes sieht man die Reiterstatuen von Chlodewig, Da- gobert, Rudolph von Habsburg und Lud- wig XIV. Grade oberhalb denselben schimmert die große Fensterrose von Glasmalerei. Jhr äußerer Umfang beträgt 150, ihr Durchschnitt 48 Fuß. Diese Rose, von den Strahlen der Sonne beleuchtet, macht in der Kirche eine zauberische Wirkung. Der

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 46. Prag, 1835, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama46_1835/3>, abgerufen am 06.06.2024.