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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 13. Prag, 1834.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] gezählt wird, liegt am Ufer des Flusses die kleine
Festung Chippeway, und hier endet jede Schiff-
fahrt; wehe dem Fahrzeug, welches noch einige Ru-
derschläge in der Richtung des Niagara=Falles
thun wollte; es würde unfehlbar von der heftigen
Strömung fortgerissen, und entweder an den Felsen
zerschmettert, oder, wenn es durch ein Wunder zwi-
schen diesen unverletzt vorüber käme, durch unwider-
stehliche Gewalt in den Wasserrachen hinabgerissen
werden, der keines seiner Opfer wiedergibt.

Je mehr sich der Fluß dem Abgrund nähert,
der seine Wassermasse verschlingen soll, desto heftiger
wird seine Strömung, die tosenden Wellen schlagen
mit einer Art von Wuth gegen die Felsmassen, die
ihrem Lauf entgegen stehen, bis sie endlich, nachdem
sie gleichsam alle überwunden haben, plötzlich hinab-
stürzen. Eine heftige und plötzliche Bewegung gegen
die linke Seite, gibt der furchtbaren Wassermasse an
diesem Punkte eine schiefe Richtung, welche ihre
Breite noch vermehrt. Hier bietet sich dem kühnen
Reisenden das wunderbarste Schauspiel dar, welches
diese wüsten Gegenden aufzuweisen haben.

Lange Zeit ehe man den Wasserfall erreicht, sieht
man eine weißliche und durchsichtige Säule aus der
Mitte desselben emporsteigen und sich wirbelnd in die
Lüfte erheben, oder sich auf Wolken stützen, welche
den Stürmen vorangehen. Ein Getöse wie der stärkste
Donner des schweren Geschützes begleitet den Fall,
und ist in eine Entfernung von 5 Meilen hörbar,
und ein dichter Wassernebel, welcher längs des Ge-
stades Alles befeuchtet wie die Wellen selbst, erfüllt
die Atmosphäre ( Dunstkreis ) .

Dieser mächtige Fall theilt sich in 3 Wasser-
spiegel, der wichtigste derselben, welcher eine kreis-
runde Form hat, ist 1800 Fuß breit, und stützt sich
an einer Seite auf steile Felsmassen, an der andern
auf die Ziegeninsel, welche den ganzen Fall beherrscht
und durch eine Brücke mit dem festen Lande verbun-
den ist. Nächst diesem Eiland von etwa 350 Schritt
im Umfange, stürzt sich der heftigste Arm des Was-
serfalls herab, der aber nur ungefähr 15 Fuß breit
ist; zur Seite anderer Felsmassen ergießt sich endlich
der dritte Wasserspiegel in einer Breite von 1050
Fuß. Diese ungeheure Wassermasse hat also eine
Breite von 2865 Fuß und stürzt senkrecht in eine
Tiefe von 164 Fuß, mit einer Gewalt herab, daß
man den Erdboden zittern fühlt. Die Wassermenge,
welche in einer Minute herabfällt, beträgt 672,000
Tonnen Wasser, deren unberechenbare Last, in steter
Wiederkehr, den Abgrund ins Grundlose ausgehöhlt
hat. Das herabstürzende Wasser wirbelt in blenden-
der Weiße herab, und steigt aus der Tiefe schäumend
wieder in bekrächtliche Höhe empor. Jm Winter
reißen die Wogen ungeheure Eistafeln mit sich in
den Schlund, welche der Fluß aus dem großen See
mit sich geführt hat, diese Eismassen thürmen sich
empor, brechen und zerschellen im Sturz und tauchen
als drohende Felsgestalten wieder aus dem dichten
Schaum am Fuße des Wasserfalles empor.

Alle Reisenden, die diesen See besucht haben, verei-
nigen sich in dem Geständniß, daß sie beim Anblick dieses
ergreifenden Schauspiels von einer nie gefühlten Bewun-
derung ergriffen worden, und einige Augenblicke nicht
im Stande waren, sich zu fassen. Verblendet von
dem schimmernden Schaum, betäubt von der unge-
heuern Masse, die sich in jedem Augenblick zu ver-
doppeln scheint, von dem furchtbaren Tosen, welches
die Lüfte mit donnerndem Brüllen erfüllt, blieben sie
[Spaltenumbruch] in dumpfem Staunen versunken, und wurden erst nach
und nach wieder Herren ihrer Gedanken. Die meisten Be-
sucher dieser Gegenden bleiben auch mehrere Tage zu
Chippeway, um ein Naturschauspiel wiederhohlt zu
genießen, dessen Anblick den Reiz der Neuheit stets
bewahrt, und selbst die Gefahren vergessen macht,
welche mit seinem Genuß verbunden sind.

Der Fluß strömt nämlich zwischen steilen felsigen
Anhöhen mit dichtem Gesträuche und riesenhaften
Bäumen bewachsen, welche viele Jahrhunderte an sich
vorüber gehen sahen, und es wäre unmöglich an die
Ufer zu kommen, wenn nicht an ein paar Stellen
Risse oder Einschnitte zwischen den Massen sich ge-
staltet hätten. An einem derselben befindet sich die
sogenannte "Treppe der Wilden". Diese besteht aus
hohen, schlanken Tannen, längs deren Schaft man
unregelmäßige Einschnitte gemacht hat, um den Fuß
darauf zu setzen. Die andere bietet einen etwas
sichereren Stützpunkt dar, und ist in der That eine Art
von roher Treppe, welche ein Statthalter des Landes
für seine Gemahlin herstellen ließ, denn auch die
Frauen, welche in der Regel die starken Gemüths-
bewegungen lieben, haben Kühnheit genug, sich die-
sem gefährlichen Unternehmen nicht zu entziehen. Um
zu dem Fusse des Wasserfalles zu gelangen, klettert
man längs des Ufers durch enge Pässe über glatte
und feuchte Felsmassen und Erdfälle, und in beständiger
Gefahr Hals oder Beine zu brechen.

Schon in einiger Entfernung von dem Wasser-
sturze findet man am Ufer ungeheure Knochenberge
von Fischen, Eichhörnchen, Füchsen, Bären und an-
deren Thieren aufgehäuft, die von der Strömung mit
fortgerissen, in dem Schlund den Tod gefunden, und
deren Reste das Wasser dann wieder ausgeworfen
hat, wo sie nun mit moderartigem Geruch die Luft
verpesten, und eine Menge von Raubvögeln anlocken,
deren wildes Geschrei sich mit dem Tosen des Was-
serfalles vereinigt. Nachdem man dieß offene Bein-
haus durchschritten, gelangt man an den Fuß des
Wasserfalles. Mit gewaltiger Macht stürzt das
Wasser von der Höhe der Kalkfelsen hernieder, die
einen so geräumigen Vorsprung bilden, daß es mög-
lich wäre, hinter den ungeheuren Wasserspiegel zu
treten, wenn dieß der heftige Wirbelwind erlaubte,
der stets in diesem engen Raume herrscht.

Jm Jahre 1751 bauten die Franzosen, welche
damals im Besitze von Canada waren, das Fort
Niagara, welches jetzt zu dem Freistaat New=York
gehört. Am linken Ufer an der Mündung des Flusses
entstand die befestigte Stadt Niagara oder Ne-
wark
von 100 Häusern, ein für den Pelzhandel mit
den Wilden in Nordwesten bedeutender Stapelort.



Die Ruine von St. Florentin in Liebenthal
in Schlesien.

Bei Liebenthal in Schlesien waren die we-
nigen Ueberreste des ehemals reichen Klosters von
St. Florentin schon im 13ten Jahrhundert der
Gegenstand des Entsetzens aller Bewohner der Um-
gegend, welche sich denselben in der Dämmerung nur
mit Zittern nahten, und von ihnen folgende Sage
erzählten: Jm Jahre 1158 kam ein vornehmer Ritter
aus dem fernen Nordlande, Duncan genannt, an
die Klosterpforte, und bat um Einlaß. Als er vor
den Abt geführt wurde, bekannte derselbe, er habe
in seiner Heimath ein schweres Verbrechen begangen,
[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] gezählt wird, liegt am Ufer des Flusses die kleine
Festung Chippeway, und hier endet jede Schiff-
fahrt; wehe dem Fahrzeug, welches noch einige Ru-
derschläge in der Richtung des Niagara=Falles
thun wollte; es würde unfehlbar von der heftigen
Strömung fortgerissen, und entweder an den Felsen
zerschmettert, oder, wenn es durch ein Wunder zwi-
schen diesen unverletzt vorüber käme, durch unwider-
stehliche Gewalt in den Wasserrachen hinabgerissen
werden, der keines seiner Opfer wiedergibt.

Je mehr sich der Fluß dem Abgrund nähert,
der seine Wassermasse verschlingen soll, desto heftiger
wird seine Strömung, die tosenden Wellen schlagen
mit einer Art von Wuth gegen die Felsmassen, die
ihrem Lauf entgegen stehen, bis sie endlich, nachdem
sie gleichsam alle überwunden haben, plötzlich hinab-
stürzen. Eine heftige und plötzliche Bewegung gegen
die linke Seite, gibt der furchtbaren Wassermasse an
diesem Punkte eine schiefe Richtung, welche ihre
Breite noch vermehrt. Hier bietet sich dem kühnen
Reisenden das wunderbarste Schauspiel dar, welches
diese wüsten Gegenden aufzuweisen haben.

Lange Zeit ehe man den Wasserfall erreicht, sieht
man eine weißliche und durchsichtige Säule aus der
Mitte desselben emporsteigen und sich wirbelnd in die
Lüfte erheben, oder sich auf Wolken stützen, welche
den Stürmen vorangehen. Ein Getöse wie der stärkste
Donner des schweren Geschützes begleitet den Fall,
und ist in eine Entfernung von 5 Meilen hörbar,
und ein dichter Wassernebel, welcher längs des Ge-
stades Alles befeuchtet wie die Wellen selbst, erfüllt
die Atmosphäre ( Dunstkreis ) .

Dieser mächtige Fall theilt sich in 3 Wasser-
spiegel, der wichtigste derselben, welcher eine kreis-
runde Form hat, ist 1800 Fuß breit, und stützt sich
an einer Seite auf steile Felsmassen, an der andern
auf die Ziegeninsel, welche den ganzen Fall beherrscht
und durch eine Brücke mit dem festen Lande verbun-
den ist. Nächst diesem Eiland von etwa 350 Schritt
im Umfange, stürzt sich der heftigste Arm des Was-
serfalls herab, der aber nur ungefähr 15 Fuß breit
ist; zur Seite anderer Felsmassen ergießt sich endlich
der dritte Wasserspiegel in einer Breite von 1050
Fuß. Diese ungeheure Wassermasse hat also eine
Breite von 2865 Fuß und stürzt senkrecht in eine
Tiefe von 164 Fuß, mit einer Gewalt herab, daß
man den Erdboden zittern fühlt. Die Wassermenge,
welche in einer Minute herabfällt, beträgt 672,000
Tonnen Wasser, deren unberechenbare Last, in steter
Wiederkehr, den Abgrund ins Grundlose ausgehöhlt
hat. Das herabstürzende Wasser wirbelt in blenden-
der Weiße herab, und steigt aus der Tiefe schäumend
wieder in bekrächtliche Höhe empor. Jm Winter
reißen die Wogen ungeheure Eistafeln mit sich in
den Schlund, welche der Fluß aus dem großen See
mit sich geführt hat, diese Eismassen thürmen sich
empor, brechen und zerschellen im Sturz und tauchen
als drohende Felsgestalten wieder aus dem dichten
Schaum am Fuße des Wasserfalles empor.

Alle Reisenden, die diesen See besucht haben, verei-
nigen sich in dem Geständniß, daß sie beim Anblick dieses
ergreifenden Schauspiels von einer nie gefühlten Bewun-
derung ergriffen worden, und einige Augenblicke nicht
im Stande waren, sich zu fassen. Verblendet von
dem schimmernden Schaum, betäubt von der unge-
heuern Masse, die sich in jedem Augenblick zu ver-
doppeln scheint, von dem furchtbaren Tosen, welches
die Lüfte mit donnerndem Brüllen erfüllt, blieben sie
[Spaltenumbruch] in dumpfem Staunen versunken, und wurden erst nach
und nach wieder Herren ihrer Gedanken. Die meisten Be-
sucher dieser Gegenden bleiben auch mehrere Tage zu
Chippeway, um ein Naturschauspiel wiederhohlt zu
genießen, dessen Anblick den Reiz der Neuheit stets
bewahrt, und selbst die Gefahren vergessen macht,
welche mit seinem Genuß verbunden sind.

Der Fluß strömt nämlich zwischen steilen felsigen
Anhöhen mit dichtem Gesträuche und riesenhaften
Bäumen bewachsen, welche viele Jahrhunderte an sich
vorüber gehen sahen, und es wäre unmöglich an die
Ufer zu kommen, wenn nicht an ein paar Stellen
Risse oder Einschnitte zwischen den Massen sich ge-
staltet hätten. An einem derselben befindet sich die
sogenannte „Treppe der Wilden“. Diese besteht aus
hohen, schlanken Tannen, längs deren Schaft man
unregelmäßige Einschnitte gemacht hat, um den Fuß
darauf zu setzen. Die andere bietet einen etwas
sichereren Stützpunkt dar, und ist in der That eine Art
von roher Treppe, welche ein Statthalter des Landes
für seine Gemahlin herstellen ließ, denn auch die
Frauen, welche in der Regel die starken Gemüths-
bewegungen lieben, haben Kühnheit genug, sich die-
sem gefährlichen Unternehmen nicht zu entziehen. Um
zu dem Fusse des Wasserfalles zu gelangen, klettert
man längs des Ufers durch enge Pässe über glatte
und feuchte Felsmassen und Erdfälle, und in beständiger
Gefahr Hals oder Beine zu brechen.

Schon in einiger Entfernung von dem Wasser-
sturze findet man am Ufer ungeheure Knochenberge
von Fischen, Eichhörnchen, Füchsen, Bären und an-
deren Thieren aufgehäuft, die von der Strömung mit
fortgerissen, in dem Schlund den Tod gefunden, und
deren Reste das Wasser dann wieder ausgeworfen
hat, wo sie nun mit moderartigem Geruch die Luft
verpesten, und eine Menge von Raubvögeln anlocken,
deren wildes Geschrei sich mit dem Tosen des Was-
serfalles vereinigt. Nachdem man dieß offene Bein-
haus durchschritten, gelangt man an den Fuß des
Wasserfalles. Mit gewaltiger Macht stürzt das
Wasser von der Höhe der Kalkfelsen hernieder, die
einen so geräumigen Vorsprung bilden, daß es mög-
lich wäre, hinter den ungeheuren Wasserspiegel zu
treten, wenn dieß der heftige Wirbelwind erlaubte,
der stets in diesem engen Raume herrscht.

Jm Jahre 1751 bauten die Franzosen, welche
damals im Besitze von Canada waren, das Fort
Niagara, welches jetzt zu dem Freistaat New=York
gehört. Am linken Ufer an der Mündung des Flusses
entstand die befestigte Stadt Niagara oder Ne-
wark
von 100 Häusern, ein für den Pelzhandel mit
den Wilden in Nordwesten bedeutender Stapelort.



Die Ruine von St. Florentin in Liebenthal
in Schlesien.

Bei Liebenthal in Schlesien waren die we-
nigen Ueberreste des ehemals reichen Klosters von
St. Florentin schon im 13ten Jahrhundert der
Gegenstand des Entsetzens aller Bewohner der Um-
gegend, welche sich denselben in der Dämmerung nur
mit Zittern nahten, und von ihnen folgende Sage
erzählten: Jm Jahre 1158 kam ein vornehmer Ritter
aus dem fernen Nordlande, Duncan genannt, an
die Klosterpforte, und bat um Einlaß. Als er vor
den Abt geführt wurde, bekannte derselbe, er habe
in seiner Heimath ein schweres Verbrechen begangen,
[Ende Spaltensatz]

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Dieser mächtige Fall theilt sich in 3 Wasser- spiegel, der wichtigste derselben, welcher eine kreis- runde Form hat, ist 1800 Fuß breit, und stützt sich an einer Seite auf steile Felsmassen, an der andern auf die Ziegeninsel, welche den ganzen Fall beherrscht und durch eine Brücke mit dem festen Lande verbun- den ist. Nächst diesem Eiland von etwa 350 Schritt im Umfange, stürzt sich der heftigste Arm des Was- serfalls herab, der aber nur ungefähr 15 Fuß breit ist; zur Seite anderer Felsmassen ergießt sich endlich der dritte Wasserspiegel in einer Breite von 1050 Fuß. Diese ungeheure Wassermasse hat also eine Breite von 2865 Fuß und stürzt senkrecht in eine Tiefe von 164 Fuß, mit einer Gewalt herab, daß man den Erdboden zittern fühlt. Die Wassermenge, welche in einer Minute herabfällt, beträgt 672,000 Tonnen Wasser, deren unberechenbare Last, in steter Wiederkehr, den Abgrund ins Grundlose ausgehöhlt hat. Das herabstürzende Wasser wirbelt in blenden- der Weiße herab, und steigt aus der Tiefe schäumend wieder in bekrächtliche Höhe empor. Jm Winter reißen die Wogen ungeheure Eistafeln mit sich in den Schlund, welche der Fluß aus dem großen See mit sich geführt hat, diese Eismassen thürmen sich empor, brechen und zerschellen im Sturz und tauchen als drohende Felsgestalten wieder aus dem dichten Schaum am Fuße des Wasserfalles empor. Alle Reisenden, die diesen See besucht haben, verei- nigen sich in dem Geständniß, daß sie beim Anblick dieses ergreifenden Schauspiels von einer nie gefühlten Bewun- derung ergriffen worden, und einige Augenblicke nicht im Stande waren, sich zu fassen. Verblendet von dem schimmernden Schaum, betäubt von der unge- heuern Masse, die sich in jedem Augenblick zu ver- doppeln scheint, von dem furchtbaren Tosen, welches die Lüfte mit donnerndem Brüllen erfüllt, blieben sie in dumpfem Staunen versunken, und wurden erst nach und nach wieder Herren ihrer Gedanken. 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Die andere bietet einen etwas sichereren Stützpunkt dar, und ist in der That eine Art von roher Treppe, welche ein Statthalter des Landes für seine Gemahlin herstellen ließ, denn auch die Frauen, welche in der Regel die starken Gemüths- bewegungen lieben, haben Kühnheit genug, sich die- sem gefährlichen Unternehmen nicht zu entziehen. Um zu dem Fusse des Wasserfalles zu gelangen, klettert man längs des Ufers durch enge Pässe über glatte und feuchte Felsmassen und Erdfälle, und in beständiger Gefahr Hals oder Beine zu brechen. Schon in einiger Entfernung von dem Wasser- sturze findet man am Ufer ungeheure Knochenberge von Fischen, Eichhörnchen, Füchsen, Bären und an- deren Thieren aufgehäuft, die von der Strömung mit fortgerissen, in dem Schlund den Tod gefunden, und deren Reste das Wasser dann wieder ausgeworfen hat, wo sie nun mit moderartigem Geruch die Luft verpesten, und eine Menge von Raubvögeln anlocken, deren wildes Geschrei sich mit dem Tosen des Was- serfalles vereinigt. Nachdem man dieß offene Bein- haus durchschritten, gelangt man an den Fuß des Wasserfalles. Mit gewaltiger Macht stürzt das Wasser von der Höhe der Kalkfelsen hernieder, die einen so geräumigen Vorsprung bilden, daß es mög- lich wäre, hinter den ungeheuren Wasserspiegel zu treten, wenn dieß der heftige Wirbelwind erlaubte, der stets in diesem engen Raume herrscht. Jm Jahre 1751 bauten die Franzosen, welche damals im Besitze von Canada waren, das Fort Niagara, welches jetzt zu dem Freistaat New=York gehört. Am linken Ufer an der Mündung des Flusses entstand die befestigte Stadt Niagara oder Ne- wark von 100 Häusern, ein für den Pelzhandel mit den Wilden in Nordwesten bedeutender Stapelort. Die Ruine von St. Florentin in Liebenthal in Schlesien. Bei Liebenthal in Schlesien waren die we- nigen Ueberreste des ehemals reichen Klosters von St. Florentin schon im 13ten Jahrhundert der Gegenstand des Entsetzens aller Bewohner der Um- gegend, welche sich denselben in der Dämmerung nur mit Zittern nahten, und von ihnen folgende Sage erzählten: Jm Jahre 1158 kam ein vornehmer Ritter aus dem fernen Nordlande, Duncan genannt, an die Klosterpforte, und bat um Einlaß. Als er vor den Abt geführt wurde, bekannte derselbe, er habe in seiner Heimath ein schweres Verbrechen begangen,

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 13. Prag, 1834, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama13_1834/2>, abgerufen am 21.06.2024.