Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.

Bild:
<< vorherige Seite

man hat die Wirkung anstatt der Beschaffenheit gesetzt. Wenn man das Erhabene denkt, so wird man allezeit den Begriff einer gewissen Größe in der Seele haben: allein dieses Große muß so beschaffen seyn, daß es nicht gemein ist, es muß den Stempel des Außerordentlichen zeigen. Das Erhabne ist demnach, was über unsre Sphäre geht. Der Gegenstand ist also erhaben, welcher so groß ist, daß er außer unserm Gesichtspunkt sich erstreckt. Das Erhabne in den Empfindungen ist dasjenige, welches so groß ist, daß es über die Sphäre unsrer Empfindungen zu gehen scheint.

Wenn wir Gegenstände denken oder empfinden wollen, die von der Größe sind, daß sie über unsre Sphäre hinausreichen, so müssen wir sie, wenn wir anders Ideen davon erlangen wollen, durch Vergleichung oder Unterscheidung uns vorstellen; also nicht anders, als durch Witz oder Scharfsinnigkeit, erkennen. Da nun diese Gegenstände von der ersten Größe sind, und eine wahre Empfindung der empfundenen Sache proportionirt seyn muß; dieses aber nur durch Hülfe des scharfsinnigen Witzes geschehen kann; so wird allezeit ein sehr hoher Grad des Witzes und der Scharfsinnigkeit dazu erfordert werden. Eine erhabene Empfindung ist also diejenige, welche durch Hülfe eines sehr hohen Grades des Witzes und der Scharfsinnigkeit in der Seele hervorgebracht wird. Daher folgt, daß eine erhabne Empfindung, wenn sie einem andern mitgetheilet wird, allezeit Erstaunen bey demselben verursacht*). Die Eigenschaften der erhabnen

*) La Motte hat bereits eine Erklärung von dem Erhabnen in seiner Abhandlung von der Ode gegeben. Er sagt, das Erhabene ist die Vereinigung des Wahren und Neuen in einer großen Idee, die zierlich und kurz ausgedrückt ist. Bodmer hat in den kritischen Briefen, Zürch 1746, eine Abhandlung von dem Wesen der erhabnen Schreibart und vom Erhabnen in der Sprache S. 94-108. Gegenwärtig ist man in diesen Gegenstand, vermittelst scharfsinniger Beobachtungen und einer gründlichen Philosophie, tiefer eingedrungen. Die zween vorzüglichsten Schriftsteller sind: Moses in seiner Ab-

man hat die Wirkung anstatt der Beschaffenheit gesetzt. Wenn man das Erhabene denkt, so wird man allezeit den Begriff einer gewissen Größe in der Seele haben: allein dieses Große muß so beschaffen seyn, daß es nicht gemein ist, es muß den Stempel des Außerordentlichen zeigen. Das Erhabne ist demnach, was über unsre Sphäre geht. Der Gegenstand ist also erhaben, welcher so groß ist, daß er außer unserm Gesichtspunkt sich erstreckt. Das Erhabne in den Empfindungen ist dasjenige, welches so groß ist, daß es über die Sphäre unsrer Empfindungen zu gehen scheint.

Wenn wir Gegenstände denken oder empfinden wollen, die von der Größe sind, daß sie über unsre Sphäre hinausreichen, so müssen wir sie, wenn wir anders Ideen davon erlangen wollen, durch Vergleichung oder Unterscheidung uns vorstellen; also nicht anders, als durch Witz oder Scharfsinnigkeit, erkennen. Da nun diese Gegenstände von der ersten Größe sind, und eine wahre Empfindung der empfundenen Sache proportionirt seyn muß; dieses aber nur durch Hülfe des scharfsinnigen Witzes geschehen kann; so wird allezeit ein sehr hoher Grad des Witzes und der Scharfsinnigkeit dazu erfordert werden. Eine erhabene Empfindung ist also diejenige, welche durch Hülfe eines sehr hohen Grades des Witzes und der Scharfsinnigkeit in der Seele hervorgebracht wird. Daher folgt, daß eine erhabne Empfindung, wenn sie einem andern mitgetheilet wird, allezeit Erstaunen bey demselben verursacht*). Die Eigenschaften der erhabnen

*) La Motte hat bereits eine Erklärung von dem Erhabnen in seiner Abhandlung von der Ode gegeben. Er sagt, das Erhabene ist die Vereinigung des Wahren und Neuen in einer großen Idee, die zierlich und kurz ausgedrückt ist. Bodmer hat in den kritischen Briefen, Zürch 1746, eine Abhandlung von dem Wesen der erhabnen Schreibart und vom Erhabnen in der Sprache S. 94-108. Gegenwärtig ist man in diesen Gegenstand, vermittelst scharfsinniger Beobachtungen und einer gründlichen Philosophie, tiefer eingedrungen. Die zween vorzüglichsten Schriftsteller sind: Moses in seiner Ab-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0016" n="166"/>
man hat die Wirkung anstatt der   Beschaffenheit gesetzt. Wenn man das Erhabene denkt, so wird man   allezeit den Begriff einer gewissen Größe in der Seele   haben: allein dieses Große muß so beschaffen seyn, daß   es nicht gemein ist, es muß den Stempel des Außerordentlichen   zeigen. Das Erhabne ist demnach, was über unsre Sphäre geht.   Der Gegenstand ist also erhaben, welcher so groß ist, daß   er außer unserm Gesichtspunkt sich erstreckt. Das Erhabne in den   Empfindungen ist dasjenige, welches so groß ist, daß es   über die Sphäre unsrer Empfindungen zu gehen scheint.  </p>
          <p>  Wenn wir Gegenstände denken oder empfinden wollen, die von der   Größe sind, daß sie über unsre Sphäre   hinausreichen, so müssen wir sie, wenn wir anders Ideen davon   erlangen wollen, durch Vergleichung oder Unterscheidung uns vorstellen;   also nicht anders, als durch Witz oder Scharfsinnigkeit, erkennen.   Da nun diese Gegenstände von der ersten Größe sind,   und eine wahre Empfindung der empfundenen Sache proportionirt seyn muß;   dieses aber nur durch Hülfe des scharfsinnigen Witzes geschehen kann;   so wird allezeit ein sehr hoher Grad des Witzes und der Scharfsinnigkeit   dazu erfordert werden. Eine erhabene Empfindung ist also diejenige, welche   durch Hülfe eines sehr hohen Grades des Witzes und der Scharfsinnigkeit   in der Seele hervorgebracht wird. Daher folgt, daß eine erhabne   Empfindung, wenn sie einem andern mitgetheilet wird, allezeit Erstaunen bey   demselben verursacht<note xml:id="ID_01" next="#ID_02" place="foot" n="*)">La Motte hat bereits eine Erklärung von dem Erhabnen       in seiner Abhandlung von der Ode gegeben. Er sagt, das Erhabene ist       die Vereinigung des Wahren und Neuen in einer großen Idee, die       zierlich und kurz ausgedrückt ist. Bodmer hat in den kritischen       Briefen, Zürch 1746, eine Abhandlung von dem Wesen der erhabnen       Schreibart und vom Erhabnen in der Sprache S. 94-108. Gegenwärtig       ist man in diesen Gegenstand, vermittelst scharfsinniger Beobachtungen       und einer gründlichen Philosophie, tiefer eingedrungen. Die zween       vorzüglichsten Schriftsteller sind: Moses in seiner Ab-</note>. Die Eigenschaften der erhabnen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0016] man hat die Wirkung anstatt der Beschaffenheit gesetzt. Wenn man das Erhabene denkt, so wird man allezeit den Begriff einer gewissen Größe in der Seele haben: allein dieses Große muß so beschaffen seyn, daß es nicht gemein ist, es muß den Stempel des Außerordentlichen zeigen. Das Erhabne ist demnach, was über unsre Sphäre geht. Der Gegenstand ist also erhaben, welcher so groß ist, daß er außer unserm Gesichtspunkt sich erstreckt. Das Erhabne in den Empfindungen ist dasjenige, welches so groß ist, daß es über die Sphäre unsrer Empfindungen zu gehen scheint. Wenn wir Gegenstände denken oder empfinden wollen, die von der Größe sind, daß sie über unsre Sphäre hinausreichen, so müssen wir sie, wenn wir anders Ideen davon erlangen wollen, durch Vergleichung oder Unterscheidung uns vorstellen; also nicht anders, als durch Witz oder Scharfsinnigkeit, erkennen. Da nun diese Gegenstände von der ersten Größe sind, und eine wahre Empfindung der empfundenen Sache proportionirt seyn muß; dieses aber nur durch Hülfe des scharfsinnigen Witzes geschehen kann; so wird allezeit ein sehr hoher Grad des Witzes und der Scharfsinnigkeit dazu erfordert werden. Eine erhabene Empfindung ist also diejenige, welche durch Hülfe eines sehr hohen Grades des Witzes und der Scharfsinnigkeit in der Seele hervorgebracht wird. Daher folgt, daß eine erhabne Empfindung, wenn sie einem andern mitgetheilet wird, allezeit Erstaunen bey demselben verursacht *). Die Eigenschaften der erhabnen *) La Motte hat bereits eine Erklärung von dem Erhabnen in seiner Abhandlung von der Ode gegeben. Er sagt, das Erhabene ist die Vereinigung des Wahren und Neuen in einer großen Idee, die zierlich und kurz ausgedrückt ist. Bodmer hat in den kritischen Briefen, Zürch 1746, eine Abhandlung von dem Wesen der erhabnen Schreibart und vom Erhabnen in der Sprache S. 94-108. Gegenwärtig ist man in diesen Gegenstand, vermittelst scharfsinniger Beobachtungen und einer gründlichen Philosophie, tiefer eingedrungen. Die zween vorzüglichsten Schriftsteller sind: Moses in seiner Ab-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-16T15:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-16T15:00:00Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/16
Zitationshilfe: [N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177, hier S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/16>, abgerufen am 02.05.2024.