Neue Rheinische Zeitung. Nr. 290. Köln, 5. Mai 1849.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 290. Köln, Samstag, den 5. Mai. 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. - Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Hovas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. - Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. - Nur frankirte Briefe werden angenommen. - Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro. 17. Heute Morgen ist eine Beilage ausgegeben und so viel als thunlich versandt worden. Uebersicht. Deutschland. Koblenz. (Amtsentsetzung eines Ex-Deputirten). Berlin. (Klatsch). Breslau. (Ein Rescript des Justizministers Simons - Sitzung des demokratischen Hauptvereins. - Rückkehr des Standrechtsherzogs von Parma). Wien. (Vermischtes. - Stimmung der Wiener). Schleswig-Holstein. (Vom friedlichen Kriegsschauplatze). Fulda. (Volksversammlung). Frankfurt. (Ein Pröbchen von Bassermann'scher Wahrheitsliebe). München. (Bier-Aufregung). Nürnberg (Aufforderungen an die Soldaten polizeilich konfiszirt). Ungarn. Görgey. Franz. Republik. Paris. (Die Wahlagitation und Guizot. - Vermischtes. - National-Versammlung). Italien. (Die Unterwerfung Palermos. - Die Landung der Franzosen in Civita-Vecchia). Turin (Die östreichische Besatzung in Allessandria. - Neapolitaner gegen Rom). Florenz (Nahe Rückkehr des Landesvaters). Mantua. (Contribution). Treviso. (Erschießungen). Brescia. (Verlust der Oestreicher während des Kampfes in Brescia). Mailand. (Ausgabe von Schatzbillets). Großbritannien. London. (Unterhaus). Schweden Gothenburg. (Verschwundener Dänenenthusiasmus. - Kongreß der Reformvereine). Ostindien. (Die Folgen des Sieges von Gudscherat). Amerika. New-York. (Aus Canada, Californien, Yacatan, Südamerika und Port-au-Prince). Deutschland. Koblenz, 3. Mai. Der zur Fraktion Rodbertus gehörige Abgeordnete Müller aus Zell, welcher bei der Vereinbarungsversammlung und der eben geschlossenen zweiten Kammer den Kreis Zell vertrat und sich besonders für die Steuerinteressen der Mosel interessirte, ist ohne weitern Grund seines Amtes als Postexpediteur enthoben worden. Auf seine desfallsige Anfrage hat man sich sogar geweigert, irgend Motive anzugeben. Es kann also nicht zweifelhaft sein, daß blos seine, übrigens noch durchaus gemäßigte politische Gesinnung diese Maßregel hervorgerufen hat, und daß ein Mann, der das Vertrauen seiner Mitburger besitzt und deren besonderen Angelegenheiten sich mit Eifer widmet, eben dadurch die nöthige Qualität verliert, in dem "Königlichen" Postdienste in erforderlicher Weise zu wirken. Wäre Müller ein politischer Lump, so würde er jetzt noch einen würdigen Beamten darstellen; immerhin ein schätzbarer Beitrag zur Charakteristik der "loyalen Gesinnung" und des "Königlichen Bedienten-Geistes". * Berlin, 2. Mai. Der Ex-Abgeordnete Oberbürgermeister Ziegler war wegen Aufreizung zum Aufruhr und Verleitung zum Treubruch zur Untersuchung gezogen und der ersten Vorladung nicht nachgekommen. Er wurde zum zweiten Male, bei Strafe der Inhaftation, vorgeladen, ist aber jetzt nach Frankfurt abgereist, wo sich ein großer Kreis preußischer Abgeordneten zu sammeln scheint. Der Wirth des Hotel London, der früher sehr freisinnig that, ist durch den Besuch der Rechten, welche bei ihm ihre Parteisitzung hatte, vollkommen reaktionär geworden. Er hat sein Hotel am Freitag ganz besonders zum Ausgangspunkt der militärischen Exekutionen gemacht und fürchtet nun die Rache des Volkes. Er wird deßhalb auch durch ein Picket Soldaten geschützt. General Bem ist nicht allein als Feldherr so genial, er gehört auch zu den besten militärischen Schriftstellern. So ist es interessant, daß auf der hiesigen Artillerieschule nach seinem Lehrbuche docirt wird. Eine sehr geschickte Betrügerei ist wieder zu Tage gekommen, die viele arme Handwerker mit ihren Familien unglücklich gemacht hat. Schon seit längerer Zeit hörte man bekanntlich von dem Plan einer hiesigen Gesellschaft, nach Spanien auszuwandern, an deren Spitze der Geheimrath Wedecke und der bekannte Charlatan Dr. Scheel stehen sollten. Der Letztere war der eigentliche Unternehmer, und hatte den Leuten vorgeschwatzt, einige sehr reiche Prinzen wollten das Geld hergeben, und verlangten nur ganz allmählige Zurückerstattung. Nähere Fragen wies er immer mit der Hindeutung auf das natürlich höchst delikate Verhältniß zurück. Herr Wedecke sollte nach Spanien reisen, um Alles dort vorzubereiten, wurde aber scheinbar krank, bis seine Abreise sich so lange verzögerte, daß die Auswanderungslustigen doch Verdacht schöpften und nach langen Bemühungen in der letzten Vereinssitzung Scheel gezwungen wurde, einzugestehen, daß an allen seinen Aussagen auch nicht ein Wort wahr sei. - Wir wissen nicht, ob die Herren Wedecke und Scheel schon Geld bekommen hatten, es wäre das nicht unwahrscheinlich. Die meisten Familien aber, welche auf ihre Versprechungen hin auswandern wollten, haben alle ihre Verbindungen aufgegeben, ihr meistes Mobilar verkauft und sind jetzt im größten Elende. Vielleicht gewinnt diese Geschichte etwas mehr Licht, wenn man sich erinnert, daß Wedecke der vertrauteste Freund der Königl. Prinzen ist, daß er besonders der Agent des Prinzen Karl, bei dem berüchtigten schlesischen Güterkauf war. Während der Osterferien suchte der Herr Minister v. Manteuffel auf jede Art und Weise mit der Opposition der zweiten Kammer in Verbindung zu treten und knüpfte besonders mit den hervorragenderen Mitgliedern der Partei Unruh an. So haben z. B. die Herren Rodbertus und Arntz damals die dringendsten Einladungen erhalten zu einer Unterredung mit dem Minister. Sie glaubten mit Recht dem nachkommen zu müssen und gingen nach dem Hotel Manteuffel. Dieser sprach besonders über die deutsche Frage mit ihnen, verhielt sich jedoch fast ganz passiv und suchte mehr die Ansichten der Abgeordneten zu erforschen. Er ging alsdann auch auf die innere Politik des Ministeriums über, mußte aber auch hier sehr klare und entschiedene Ansichten hören. Die Unterredung hatte natürlich kein Resultat, sie zeigt aber, daß man außerordentlich bemüht war, die Oppositionsmänner zu gewinnen. Man entblödete sich sogar nicht, einem der entschiedensten Mitglieder der äußersten Linken lockende Anerbietungen zu machen, wenn er seiner Opposition entsagen wolle. Auch darüber haben wir die genauesten Details, welche wir zu seiner Zeit der Oeffentlichkeit übergeben werden. In einer Kneipe besprachen sich Mitglieder einer hiesigen Landsmannschaft über einen nächstens abzuhaltenden Kommers. Ein ihnen unbekannter Herr hatte bis jetzt ruhig zugehört, bis die Rede auch darauf kam, ob der Landesvater gemacht werden solle. Hier stutzte er und trat endlich mit den Worten heran, es dürften während des Belagerungszustandes keine politische Versammlungen gehalten werden, und er bäte deßhalb die Herren, sich zu entfernen, widrigenfalls er Hülfe herbeiholen müsse. Er zeigte zugleich einen Befehl vor, der ihn ermächtigte, politische Versammlungen aufzulösen!! Die Publikation des Standrechtes, die in der That im Werke war, scheiterte an der Unabhängigkeit und Menschlichkeit der Auditeure. Diese haben bestimmt erklärt, daß die geltende Gesetzgebung die Verkündigung des Martialgesetzes in Berlin und zumal unter den hier herrschenden Zuständen nicht rechtfertige. Bei den am Sonntage stattgehabten Kompagnieversammlungen der Landwehr ist den unverheiratheten Mannschaften des zweiten Aufgebots der Landwehr von den Feldwebeln mitgetheilt worden, daß sie sich auf ihre Einberufung und Einkleidung jeden Tag gefaßt zu halten hätten. 61 Breslau, 1. Mai. Der in seiner rothen rheinischen Robe unter dem Säbel-Ministerium sich äußerst drollig ausnehmende Justiz-Minister Simons hat, unstreitig in Folge allzueifriger Lektüre der in Nr. 278 der N. Rh. Ztg. enthaltenen Korrespondenz, an den dort erwähnten Referendarius ohne Gott, König und Vaterland, folgendes höchst schmeichelhafte Handbillet erlassen: "Auf Ihre Eingabe vom 30. Januar d. J. gereicht Ihnen (nach 3 Monaten!!) zum Bescheide, daß, nachdem Sie nicht nur seit langer Zeit der praktischen Beschäftigung im Justizdienste sich entzogen (hatte seine wohlbekannten, unwiderlegten Gründe), sondern auch (nun kommt's) durch die von Ihnen herausgegebene, dem Justiz-Minister (schon im August 1848) eingereichte Schmähschrift (? Schicksale eines rheinpreußischen Referendarius u. s. w.) an den Tag gelegt haben, daß es Ihnen an derjenigen sittlichen Befähigung (wie muckerisch-christlich-germanisch-komisch-wupperthalisch!), welche die Grundbedingung (Examina genügen also nicht?) eines erfolgreichen amtlichen Wirkens ist, durchaus gebricht (der Betroffene hat in der That keine kgl. preuß. Kreuzritter- dafür aber einige demokratische Standrechts-Befähigung), Ihre Anstellung im Justizdienste nicht erfolgen kann. Sie werden vielmehr auf Grund des § 60 des Gesetzes vom 29. März 1844 (wozu so vieler Umstände im Angesichte der oktroyirten Heuchelei vom 5. Dez. (§ 86 u. 89) und der bewaffneten Königsbande?) aus dem Dienste entlassen. (Bravo!) Berlin, den 23. April (unmittelbar nach der angedeuteten Lektüre) 1849: Der Justiz-Minister, (gez.) Simons." Dadurch erklärt sich nun auch, wie Polizeiknecht Hinkeldey unsern Referendarius schon anticipando einen "vormaligen" zu nennen sich erfrechen konnte. Die Kreuzritter-Spionage nach allen vier Weltgegenden hatte unsern Knecht auch zu seinem Standrechtsbruder Simons geführt, der ihm dann die Bescherung vorwies. Die sogenannte Schmähschrift enthüllt übrigens die von den Kreuzrittern der Themis zu Berlin und im damals veruckermarkten Rheinpreußen seines freisinnigen Charakters wegen wider den Referendarius verübten bureaukratischen Schurkereien. Der Referendarius, das mag Simons sich merken, wird auch gegen die Fortsetzung dieser Schurkereien protestiren, wenn der Protesttag des demokratischen Standrechts gekommen und, [unleserliches Material] Herr Simons! Der Gewitterschwefelduft, mit welchem die europäische Luft sich stündlich stärker anfüllt, hatte die Frequenz des demokratischen Hauptvereins gestern ansehnlich erhöht. Entzückend war der Anblick so vieler Soldaten, die der Kamaschenordre zum Trotz sich im Klub eingestellt hatten und regen Antheil an der Sitzung zu nehmen schienen. Man vertheilte sofort unter sie Pyat's Toast auf die Soldaten. Elsner übernahm den Vorsitz, worauf das Verlesen des Trennungsschreibens der äußersten Frankfurter Linken den Märzverein abermals auf's Tapet brachte. Ein Mitglied des bei dieser Gelegenheit von einem Redner als politisches Centrum bezeichneten Volksvereins hob nun als dessen demokratische Gipfelpunkte und Autoritäten die Herren Pflücker, Fröbel und Simon von Trier hervor und rechtfertigte damit das Festhalten des Volksvereins am Märzverein und sein Nichtanschließen an Frankfurt's "äußerste Linke. Nach ihm ergriff Elsner das Wort und sagte unter Anderem: Es gibt keine Versöhnung in der Politik, sie ist Verrath an der Partei. Auch die äußerste Frankfurter Linke hat solchen Verrath begangen, und ich selbst bin davon nicht frei geblieben. Doch nun bin ich aus meinem Traume erwacht, bin radikal kurirt. Ein Narr, ein Halunke ist, wer unter den gegenwärtigen Umständen nicht erwacht. Wer noch nicht im Stande, jetzt sich selbst und sein Hab und Gut zu opfern, der möge aus dem Vereine austreten. Die Versöhnung ist ein Bündniß mit dem Verbrechen; das Volk muß zu seinem Rechte kommen, sei's auch über unsere Leichen. (Ungeheurer Beifall.) Stein hat über zwei Lappalien (!?!) zu reden. Die erste betrifft die Auflösung der zweiten Kammer. Er sagt: Die erste Auflösung hatte etwas Imponirendes (auch Manteuffel's Ansicht, Manteuffel weiß also Herrn Stein zu imponiren!), es war ein Kampf zwischen zwei gleichberechtigten (ei, ei, Herr Stein! und Sie vertreten die Demokratie?) Gewalten. Hinter der einen standen die Bajonette, hinter der andern das Volk (und das nennen Sie Gleichberechtigung!). Jetzt ist die Auflösung ein Hohn. Man hat die Kammer gerade darum aufgelöst, weil Frankfurt die Regierungen ersucht hatte, dieselben zusammen zu lassen. Stein's zweite Lappalie betrifft die deutsche Frage. Statt selber Reue zu erwecken, wie Elsner, beschränkt er sich darauf, die Frankfurter Gesellschaft mit denen von Ihnen von Uranfang an vorgebrachten, allbekannten Vorwürfen zu überhäufen. Wir (die äußerste Linke), sprach Stein, haben die deutsche Frage von Anfang an für verloren (!!) gegeben, wir haben aber dennoch für die Verfassung gestimmt, weil wir die Frankfurter Versammlung, da sie aus Urwahlen hervorgegangen, für eine souveraine halten (sehr schmeichelhaftes Urtheil). Man muß sich jetzt (aha!) überzeugen, daß keine deutsche Einheit möglich ist, so lange es deutsche Fürsten gibt. Ich bin gestern Abend von Berlin abgereist, Berlin ist eine revolutionäre Stadt, revolutionärer als Breslau. Es ist mir merkwürdig gewesen, daß das Berliner Volk versucht hat, selbst diese zweite Kammer in Schutz zu nehmen. Nachdem hierauf das in diesem groß werdenden Augenblicke gewiß höchst wichtige Antwortschreiben an Frankfurt's äußerste Linke angenommen und der Verfasser bestimmt ist, schreitet der demokratische Hauptverein zu seiner zweiten Hauptthat. - Die in Nummer 283 der N. Rh. Ztg. enthaltene Breslauer Correspondenz gibt nämlich, wahrscheinlich auf andere Veranlassung, dem Herrn Schumann Veranlassung, gegen deren Verfasser einen höchst ledernen und nichtssagenden Vortrag zu halten, hinter welchem etwas ganz anderes hervorzugucken schien, als das wahre demokratische Interesse. Schumann stellte den Antrag, die Redaktion aufzufordern, einen andern Correspondenten zu ernennen. Die Versammlung ging jedoch auf einige sehr richtige Bemerkungen Elsner's zur Tagesordnung über. Auch Rübl wurde wegen des Aufsatzes: "die Sozialpfaffen", interpellirt. Neid, Persönlichkeiten, deutsche Kleinkrämerjämmerlichkeit, scheinen im demokratischen Hauptverein noch starke Wurzeln zu haben und das Motiv zu Mancherlei zu bilden Es vergeht keine Sitzung, wo sie nicht fast den Hauptstoff liefern. Wenn der demokratische Hauptverein im Angesicht der gegen die Mordbanden von drei Kaiserreichen (das Reich Homunculi nicht einbegriffen) mit nie dagewesenem Heroismus kämpfenden Magyaren, im Angesichte der auf deutschem Boden stehenden asiatischen Barbarenhorden, im Angesichte der in Berlin jüngst verübten gottbegnadeten Scheußlichkeiten civilisirter Banditen nichts Besseres zu thun weiß, als sich mit den abgeschmacktesten Märzvereinplänkeleien, mit den abgemacktesten Persönlichkeiten und mit dem stupidesten, resultatlosen Vereinshader abzugeben, und damit namentlich das anwesende, willige Militär zu langweilen, so soll er zu Hause bleiben. Ich wenigstens schäme mich dann, über ihn ferner zu berichten. Breslau, 30. April. Vorgestern langten der Herzog und die Herzogin von Parma auf ihrer Rückkehr von England nach Italien hier an, und setzten gestern Nachmittags auf der Oberschlesischen Eisenbahn ihre Reise nach Olmütz fort. (Schles. Z.) * Wien, 30. April. Gestern wurde auf einem Altan in der Vorstadt Wieden, von der daselbst wohnenden Besitzerin, eine Plache (Plaue oder Markise) vorgerichtet, worauf mit großen Worten stand: "Hoch lebe Kossuth!" Es versammelte sich alsbald eine Menge Volkes, und der Auftritt endete mit Verhaftung der ungarischen Patriotin. Der Austritt des Grafen Stadion aus dem Kabinet ist nunmehr gewiß; Dr. Bach tritt an seine Stelle und Dr. Fischer, Regierungspräsident in Linz, übernimmt das Portefeuille des Justizministeriums. Man sieht, die Hofpolitik verbraucht ihre Männer sehr rasch; Stadion war ein zu fester Charakter, um lange Zeit am Ruder bleiben zu können. Der bekannte Literat und frühere Redakteur Andreas Schuhmacher, welcher zu zwölfjähriger schwerer Kerkerstrafe verurtheilt war, ist auf fünfjährigen einfachen Kriminalarrest begnadigt worden, und soll sich diese Nachsicht durch wichtige Enthüllungen erwirkt haben. Wien, 29. April. Wenn gestern "die Gutgesinnten" und die Neugierigen hinauseilten an die Eisenbahn, um Russen zu sehen, oder wenigstens mit Bestimmheit zu erfahren, ob "die Retter" wirklich schon in Gänserndorf seien, so war es heute eine Bewegung anderer, mehr freudiger Art, welche unsere niedergedrückte bang athmende Bevölkerung in eine Aufregung versetzte, wie wir sie seit den Sommertagen des vorigen Jahres nicht kannten. Der herrliche, warme Sonnenschein hatte Alles aus den Häusern auf die Straßen, die Basteien und die Glacis gelockt; gedrängte Gruppen standen an allen Straßenecken, am Stephansplatz, am Graben und vor allen Kaffeehäusern; der Vorstädter, welcher lange jeden Gang in die innere Stadt gescheuet, der Arbeiter, welcher sich kaum in Blouse und Mütze hatte sehen lassen dürfen, auch einige "Bassermann'sche Gestalten", wie Sie in Berlin sagen würden, mit mächtigen Bärten und Blicken, aus denen ein Dutzend geballter Fäuste droheten, ja selbst einige schmucke Akademiker mit dem Kalabreser und der wallenden Feder gaben der wogenden Menge einen Charakter, welcher an das belebte Bild unserer Straßen im Mai und September v. J. erinnerte. Dabei lag ein gewisser Frohsinn unverkennbar auf den Gesichtern der Meisten ausgedrückt, und offenbarte sich in lebendiger Gestikulation und einer Lebhaftigkeit der Unterhaltung in den verschiedenen Gruppen, welche vor acht Tagen noch hinreichend gewesen wäre, um mit wenigstens 24stündigem Stabsstockhaus-Arrest bestraft zu werden. Nur einzelne Gestalten, welche durch die frohe, bewegte Menge schlichen, erinnerten an die Zeit und Umstände, worunter wir leben. Es waren theils Flüchtlinge aus Pesth, Osen und Preßburg, welche meistens mit Sack und Pack dahergeschleppt kamen, theils ängst- Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 290. Köln, Samstag, den 5. Mai. 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Hovas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. ‒ Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. ‒ Nur frankirte Briefe werden angenommen. ‒ Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro. 17. Heute Morgen ist eine Beilage ausgegeben und so viel als thunlich versandt worden. Uebersicht. Deutschland. Koblenz. (Amtsentsetzung eines Ex-Deputirten). Berlin. (Klatsch). Breslau. (Ein Rescript des Justizministers Simons ‒ Sitzung des demokratischen Hauptvereins. ‒ Rückkehr des Standrechtsherzogs von Parma). Wien. (Vermischtes. ‒ Stimmung der Wiener). Schleswig-Holstein. (Vom friedlichen Kriegsschauplatze). Fulda. (Volksversammlung). Frankfurt. (Ein Pröbchen von Bassermann'scher Wahrheitsliebe). München. (Bier-Aufregung). Nürnberg (Aufforderungen an die Soldaten polizeilich konfiszirt). Ungarn. Görgey. Franz. Republik. Paris. (Die Wahlagitation und Guizot. ‒ Vermischtes. ‒ National-Versammlung). Italien. (Die Unterwerfung Palermos. ‒ Die Landung der Franzosen in Civita-Vecchia). Turin (Die östreichische Besatzung in Allessandria. ‒ Neapolitaner gegen Rom). Florenz (Nahe Rückkehr des Landesvaters). Mantua. (Contribution). Treviso. (Erschießungen). Brescia. (Verlust der Oestreicher während des Kampfes in Brescia). Mailand. (Ausgabe von Schatzbillets). Großbritannien. London. (Unterhaus). Schweden Gothenburg. (Verschwundener Dänenenthusiasmus. ‒ Kongreß der Reformvereine). Ostindien. (Die Folgen des Sieges von Gudscherat). Amerika. New-York. (Aus Canada, Californien, Yacatan, Südamerika und Port-au-Prince). Deutschland. Koblenz, 3. Mai. Der zur Fraktion Rodbertus gehörige Abgeordnete Müller aus Zell, welcher bei der Vereinbarungsversammlung und der eben geschlossenen zweiten Kammer den Kreis Zell vertrat und sich besonders für die Steuerinteressen der Mosel interessirte, ist ohne weitern Grund seines Amtes als Postexpediteur enthoben worden. Auf seine desfallsige Anfrage hat man sich sogar geweigert, irgend Motive anzugeben. Es kann also nicht zweifelhaft sein, daß blos seine, übrigens noch durchaus gemäßigte politische Gesinnung diese Maßregel hervorgerufen hat, und daß ein Mann, der das Vertrauen seiner Mitburger besitzt und deren besonderen Angelegenheiten sich mit Eifer widmet, eben dadurch die nöthige Qualität verliert, in dem „Königlichen“ Postdienste in erforderlicher Weise zu wirken. Wäre Müller ein politischer Lump, so würde er jetzt noch einen würdigen Beamten darstellen; immerhin ein schätzbarer Beitrag zur Charakteristik der „loyalen Gesinnung“ und des „Königlichen Bedienten-Geistes“. * Berlin, 2. Mai. Der Ex-Abgeordnete Oberbürgermeister Ziegler war wegen Aufreizung zum Aufruhr und Verleitung zum Treubruch zur Untersuchung gezogen und der ersten Vorladung nicht nachgekommen. Er wurde zum zweiten Male, bei Strafe der Inhaftation, vorgeladen, ist aber jetzt nach Frankfurt abgereist, wo sich ein großer Kreis preußischer Abgeordneten zu sammeln scheint. Der Wirth des Hotel London, der früher sehr freisinnig that, ist durch den Besuch der Rechten, welche bei ihm ihre Parteisitzung hatte, vollkommen reaktionär geworden. Er hat sein Hotel am Freitag ganz besonders zum Ausgangspunkt der militärischen Exekutionen gemacht und fürchtet nun die Rache des Volkes. Er wird deßhalb auch durch ein Picket Soldaten geschützt. General Bem ist nicht allein als Feldherr so genial, er gehört auch zu den besten militärischen Schriftstellern. So ist es interessant, daß auf der hiesigen Artillerieschule nach seinem Lehrbuche docirt wird. Eine sehr geschickte Betrügerei ist wieder zu Tage gekommen, die viele arme Handwerker mit ihren Familien unglücklich gemacht hat. Schon seit längerer Zeit hörte man bekanntlich von dem Plan einer hiesigen Gesellschaft, nach Spanien auszuwandern, an deren Spitze der Geheimrath Wedecke und der bekannte Charlatan Dr. Scheel stehen sollten. Der Letztere war der eigentliche Unternehmer, und hatte den Leuten vorgeschwatzt, einige sehr reiche Prinzen wollten das Geld hergeben, und verlangten nur ganz allmählige Zurückerstattung. Nähere Fragen wies er immer mit der Hindeutung auf das natürlich höchst delikate Verhältniß zurück. Herr Wedecke sollte nach Spanien reisen, um Alles dort vorzubereiten, wurde aber scheinbar krank, bis seine Abreise sich so lange verzögerte, daß die Auswanderungslustigen doch Verdacht schöpften und nach langen Bemühungen in der letzten Vereinssitzung Scheel gezwungen wurde, einzugestehen, daß an allen seinen Aussagen auch nicht ein Wort wahr sei. ‒ Wir wissen nicht, ob die Herren Wedecke und Scheel schon Geld bekommen hatten, es wäre das nicht unwahrscheinlich. Die meisten Familien aber, welche auf ihre Versprechungen hin auswandern wollten, haben alle ihre Verbindungen aufgegeben, ihr meistes Mobilar verkauft und sind jetzt im größten Elende. Vielleicht gewinnt diese Geschichte etwas mehr Licht, wenn man sich erinnert, daß Wedecke der vertrauteste Freund der Königl. Prinzen ist, daß er besonders der Agent des Prinzen Karl, bei dem berüchtigten schlesischen Güterkauf war. Während der Osterferien suchte der Herr Minister v. Manteuffel auf jede Art und Weise mit der Opposition der zweiten Kammer in Verbindung zu treten und knüpfte besonders mit den hervorragenderen Mitgliedern der Partei Unruh an. So haben z. B. die Herren Rodbertus und Arntz damals die dringendsten Einladungen erhalten zu einer Unterredung mit dem Minister. Sie glaubten mit Recht dem nachkommen zu müssen und gingen nach dem Hotel Manteuffel. Dieser sprach besonders über die deutsche Frage mit ihnen, verhielt sich jedoch fast ganz passiv und suchte mehr die Ansichten der Abgeordneten zu erforschen. Er ging alsdann auch auf die innere Politik des Ministeriums über, mußte aber auch hier sehr klare und entschiedene Ansichten hören. Die Unterredung hatte natürlich kein Resultat, sie zeigt aber, daß man außerordentlich bemüht war, die Oppositionsmänner zu gewinnen. Man entblödete sich sogar nicht, einem der entschiedensten Mitglieder der äußersten Linken lockende Anerbietungen zu machen, wenn er seiner Opposition entsagen wolle. Auch darüber haben wir die genauesten Details, welche wir zu seiner Zeit der Oeffentlichkeit übergeben werden. In einer Kneipe besprachen sich Mitglieder einer hiesigen Landsmannschaft über einen nächstens abzuhaltenden Kommers. Ein ihnen unbekannter Herr hatte bis jetzt ruhig zugehört, bis die Rede auch darauf kam, ob der Landesvater gemacht werden solle. Hier stutzte er und trat endlich mit den Worten heran, es dürften während des Belagerungszustandes keine politische Versammlungen gehalten werden, und er bäte deßhalb die Herren, sich zu entfernen, widrigenfalls er Hülfe herbeiholen müsse. Er zeigte zugleich einen Befehl vor, der ihn ermächtigte, politische Versammlungen aufzulösen!! Die Publikation des Standrechtes, die in der That im Werke war, scheiterte an der Unabhängigkeit und Menschlichkeit der Auditeure. Diese haben bestimmt erklärt, daß die geltende Gesetzgebung die Verkündigung des Martialgesetzes in Berlin und zumal unter den hier herrschenden Zuständen nicht rechtfertige. Bei den am Sonntage stattgehabten Kompagnieversammlungen der Landwehr ist den unverheiratheten Mannschaften des zweiten Aufgebots der Landwehr von den Feldwebeln mitgetheilt worden, daß sie sich auf ihre Einberufung und Einkleidung jeden Tag gefaßt zu halten hätten. 61 Breslau, 1. Mai. Der in seiner rothen rheinischen Robe unter dem Säbel-Ministerium sich äußerst drollig ausnehmende Justiz-Minister Simons hat, unstreitig in Folge allzueifriger Lektüre der in Nr. 278 der N. Rh. Ztg. enthaltenen Korrespondenz, an den dort erwähnten Referendarius ohne Gott, König und Vaterland, folgendes höchst schmeichelhafte Handbillet erlassen: „Auf Ihre Eingabe vom 30. Januar d. J. gereicht Ihnen (nach 3 Monaten!!) zum Bescheide, daß, nachdem Sie nicht nur seit langer Zeit der praktischen Beschäftigung im Justizdienste sich entzogen (hatte seine wohlbekannten, unwiderlegten Gründe), sondern auch (nun kommt's) durch die von Ihnen herausgegebene, dem Justiz-Minister (schon im August 1848) eingereichte Schmähschrift (? Schicksale eines rheinpreußischen Referendarius u. s. w.) an den Tag gelegt haben, daß es Ihnen an derjenigen sittlichen Befähigung (wie muckerisch-christlich-germanisch-komisch-wupperthalisch!), welche die Grundbedingung (Examina genügen also nicht?) eines erfolgreichen amtlichen Wirkens ist, durchaus gebricht (der Betroffene hat in der That keine kgl. preuß. Kreuzritter- dafür aber einige demokratische Standrechts-Befähigung), Ihre Anstellung im Justizdienste nicht erfolgen kann. Sie werden vielmehr auf Grund des § 60 des Gesetzes vom 29. März 1844 (wozu so vieler Umstände im Angesichte der oktroyirten Heuchelei vom 5. Dez. (§ 86 u. 89) und der bewaffneten Königsbande?) aus dem Dienste entlassen. (Bravo!) Berlin, den 23. April (unmittelbar nach der angedeuteten Lektüre) 1849: Der Justiz-Minister, (gez.) Simons.“ Dadurch erklärt sich nun auch, wie Polizeiknecht Hinkeldey unsern Referendarius schon anticipando einen „vormaligen“ zu nennen sich erfrechen konnte. Die Kreuzritter-Spionage nach allen vier Weltgegenden hatte unsern Knecht auch zu seinem Standrechtsbruder Simons geführt, der ihm dann die Bescherung vorwies. Die sogenannte Schmähschrift enthüllt übrigens die von den Kreuzrittern der Themis zu Berlin und im damals veruckermarkten Rheinpreußen seines freisinnigen Charakters wegen wider den Referendarius verübten bureaukratischen Schurkereien. Der Referendarius, das mag Simons sich merken, wird auch gegen die Fortsetzung dieser Schurkereien protestiren, wenn der Protesttag des demokratischen Standrechts gekommen und, [unleserliches Material] Herr Simons! Der Gewitterschwefelduft, mit welchem die europäische Luft sich stündlich stärker anfüllt, hatte die Frequenz des demokratischen Hauptvereins gestern ansehnlich erhöht. Entzückend war der Anblick so vieler Soldaten, die der Kamaschenordre zum Trotz sich im Klub eingestellt hatten und regen Antheil an der Sitzung zu nehmen schienen. Man vertheilte sofort unter sie Pyat's Toast auf die Soldaten. Elsner übernahm den Vorsitz, worauf das Verlesen des Trennungsschreibens der äußersten Frankfurter Linken den Märzverein abermals auf's Tapet brachte. Ein Mitglied des bei dieser Gelegenheit von einem Redner als politisches Centrum bezeichneten Volksvereins hob nun als dessen demokratische Gipfelpunkte und Autoritäten die Herren Pflücker, Fröbel und Simon von Trier hervor und rechtfertigte damit das Festhalten des Volksvereins am Märzverein und sein Nichtanschließen an Frankfurt's „äußerste Linke. Nach ihm ergriff Elsner das Wort und sagte unter Anderem: Es gibt keine Versöhnung in der Politik, sie ist Verrath an der Partei. Auch die äußerste Frankfurter Linke hat solchen Verrath begangen, und ich selbst bin davon nicht frei geblieben. Doch nun bin ich aus meinem Traume erwacht, bin radikal kurirt. Ein Narr, ein Halunke ist, wer unter den gegenwärtigen Umständen nicht erwacht. Wer noch nicht im Stande, jetzt sich selbst und sein Hab und Gut zu opfern, der möge aus dem Vereine austreten. Die Versöhnung ist ein Bündniß mit dem Verbrechen; das Volk muß zu seinem Rechte kommen, sei's auch über unsere Leichen. (Ungeheurer Beifall.) Stein hat über zwei Lappalien (!?!) zu reden. Die erste betrifft die Auflösung der zweiten Kammer. Er sagt: Die erste Auflösung hatte etwas Imponirendes (auch Manteuffel's Ansicht, Manteuffel weiß also Herrn Stein zu imponiren!), es war ein Kampf zwischen zwei gleichberechtigten (ei, ei, Herr Stein! und Sie vertreten die Demokratie?) Gewalten. Hinter der einen standen die Bajonette, hinter der andern das Volk (und das nennen Sie Gleichberechtigung!). Jetzt ist die Auflösung ein Hohn. Man hat die Kammer gerade darum aufgelöst, weil Frankfurt die Regierungen ersucht hatte, dieselben zusammen zu lassen. Stein's zweite Lappalie betrifft die deutsche Frage. Statt selber Reue zu erwecken, wie Elsner, beschränkt er sich darauf, die Frankfurter Gesellschaft mit denen von Ihnen von Uranfang an vorgebrachten, allbekannten Vorwürfen zu überhäufen. Wir (die äußerste Linke), sprach Stein, haben die deutsche Frage von Anfang an für verloren (!!) gegeben, wir haben aber dennoch für die Verfassung gestimmt, weil wir die Frankfurter Versammlung, da sie aus Urwahlen hervorgegangen, für eine souveraine halten (sehr schmeichelhaftes Urtheil). Man muß sich jetzt (aha!) überzeugen, daß keine deutsche Einheit möglich ist, so lange es deutsche Fürsten gibt. Ich bin gestern Abend von Berlin abgereist, Berlin ist eine revolutionäre Stadt, revolutionärer als Breslau. Es ist mir merkwürdig gewesen, daß das Berliner Volk versucht hat, selbst diese zweite Kammer in Schutz zu nehmen. Nachdem hierauf das in diesem groß werdenden Augenblicke gewiß höchst wichtige Antwortschreiben an Frankfurt's äußerste Linke angenommen und der Verfasser bestimmt ist, schreitet der demokratische Hauptverein zu seiner zweiten Hauptthat. ‒ Die in Nummer 283 der N. Rh. Ztg. enthaltene Breslauer Correspondenz gibt nämlich, wahrscheinlich auf andere Veranlassung, dem Herrn Schumann Veranlassung, gegen deren Verfasser einen höchst ledernen und nichtssagenden Vortrag zu halten, hinter welchem etwas ganz anderes hervorzugucken schien, als das wahre demokratische Interesse. Schumann stellte den Antrag, die Redaktion aufzufordern, einen andern Correspondenten zu ernennen. Die Versammlung ging jedoch auf einige sehr richtige Bemerkungen Elsner's zur Tagesordnung über. Auch Rübl wurde wegen des Aufsatzes: „die Sozialpfaffen“, interpellirt. Neid, Persönlichkeiten, deutsche Kleinkrämerjämmerlichkeit, scheinen im demokratischen Hauptverein noch starke Wurzeln zu haben und das Motiv zu Mancherlei zu bilden Es vergeht keine Sitzung, wo sie nicht fast den Hauptstoff liefern. Wenn der demokratische Hauptverein im Angesicht der gegen die Mordbanden von drei Kaiserreichen (das Reich Homunculi nicht einbegriffen) mit nie dagewesenem Heroismus kämpfenden Magyaren, im Angesichte der auf deutschem Boden stehenden asiatischen Barbarenhorden, im Angesichte der in Berlin jüngst verübten gottbegnadeten Scheußlichkeiten civilisirter Banditen nichts Besseres zu thun weiß, als sich mit den abgeschmacktesten Märzvereinplänkeleien, mit den abgemacktesten Persönlichkeiten und mit dem stupidesten, resultatlosen Vereinshader abzugeben, und damit namentlich das anwesende, willige Militär zu langweilen, so soll er zu Hause bleiben. Ich wenigstens schäme mich dann, über ihn ferner zu berichten. Breslau, 30. April. Vorgestern langten der Herzog und die Herzogin von Parma auf ihrer Rückkehr von England nach Italien hier an, und setzten gestern Nachmittags auf der Oberschlesischen Eisenbahn ihre Reise nach Olmütz fort. (Schles. Z.) * Wien, 30. April. Gestern wurde auf einem Altan in der Vorstadt Wieden, von der daselbst wohnenden Besitzerin, eine Plache (Plaue oder Markise) vorgerichtet, worauf mit großen Worten stand: „Hoch lebe Kossuth!“ Es versammelte sich alsbald eine Menge Volkes, und der Auftritt endete mit Verhaftung der ungarischen Patriotin. Der Austritt des Grafen Stadion aus dem Kabinet ist nunmehr gewiß; Dr. Bach tritt an seine Stelle und Dr. Fischer, Regierungspräsident in Linz, übernimmt das Portefeuille des Justizministeriums. Man sieht, die Hofpolitik verbraucht ihre Männer sehr rasch; Stadion war ein zu fester Charakter, um lange Zeit am Ruder bleiben zu können. Der bekannte Literat und frühere Redakteur Andreas Schuhmacher, welcher zu zwölfjähriger schwerer Kerkerstrafe verurtheilt war, ist auf fünfjährigen einfachen Kriminalarrest begnadigt worden, und soll sich diese Nachsicht durch wichtige Enthüllungen erwirkt haben. Wien, 29. April. Wenn gestern „die Gutgesinnten“ und die Neugierigen hinauseilten an die Eisenbahn, um Russen zu sehen, oder wenigstens mit Bestimmheit zu erfahren, ob „die Retter“ wirklich schon in Gänserndorf seien, so war es heute eine Bewegung anderer, mehr freudiger Art, welche unsere niedergedrückte bang athmende Bevölkerung in eine Aufregung versetzte, wie wir sie seit den Sommertagen des vorigen Jahres nicht kannten. Der herrliche, warme Sonnenschein hatte Alles aus den Häusern auf die Straßen, die Basteien und die Glacis gelockt; gedrängte Gruppen standen an allen Straßenecken, am Stephansplatz, am Graben und vor allen Kaffeehäusern; der Vorstädter, welcher lange jeden Gang in die innere Stadt gescheuet, der Arbeiter, welcher sich kaum in Blouse und Mütze hatte sehen lassen dürfen, auch einige „Bassermann'sche Gestalten“, wie Sie in Berlin sagen würden, mit mächtigen Bärten und Blicken, aus denen ein Dutzend geballter Fäuste droheten, ja selbst einige schmucke Akademiker mit dem Kalabreser und der wallenden Feder gaben der wogenden Menge einen Charakter, welcher an das belebte Bild unserer Straßen im Mai und September v. J. erinnerte. Dabei lag ein gewisser Frohsinn unverkennbar auf den Gesichtern der Meisten ausgedrückt, und offenbarte sich in lebendiger Gestikulation und einer Lebhaftigkeit der Unterhaltung in den verschiedenen Gruppen, welche vor acht Tagen noch hinreichend gewesen wäre, um mit wenigstens 24stündigem Stabsstockhaus-Arrest bestraft zu werden. Nur einzelne Gestalten, welche durch die frohe, bewegte Menge schlichen, erinnerten an die Zeit und Umstände, worunter wir leben. Es waren theils Flüchtlinge aus Pesth, Osen und Preßburg, welche meistens mit Sack und Pack dahergeschleppt kamen, theils ängst- <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="1641"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 290. Köln, Samstag, den 5. Mai. 1849.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="jExpedition"> <p>Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Hovas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.</p> <p>Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. ‒ Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. ‒ Nur frankirte Briefe werden angenommen. ‒ Expedition in Aachen bei <hi rendition="#g">Ernst ter Meer;</hi> in Düsseldorf bei <hi rendition="#g">F. W. Schmitz,</hi> Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro. 17.</p> </div> <div n="1"> <p>Heute Morgen ist eine Beilage ausgegeben und so viel als thunlich versandt worden.</p> </div> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Koblenz. (Amtsentsetzung eines Ex-Deputirten). Berlin. (Klatsch). Breslau. (Ein Rescript des Justizministers Simons ‒ Sitzung des demokratischen Hauptvereins. ‒ Rückkehr des Standrechtsherzogs von Parma). Wien. (Vermischtes. ‒ Stimmung der Wiener). Schleswig-Holstein. (Vom friedlichen Kriegsschauplatze). Fulda. (Volksversammlung). Frankfurt. (Ein Pröbchen von Bassermann'scher Wahrheitsliebe). München. (Bier-Aufregung). Nürnberg (Aufforderungen an die Soldaten polizeilich konfiszirt).</p> <p><hi rendition="#g">Ungarn.</hi> Görgey.</p> <p><hi rendition="#g">Franz. Republik.</hi> Paris. (Die Wahlagitation und Guizot. ‒ Vermischtes. ‒ National-Versammlung).</p> <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> (Die Unterwerfung Palermos. ‒ Die Landung der Franzosen in Civita-Vecchia). Turin (Die östreichische Besatzung in Allessandria. ‒ Neapolitaner gegen Rom). Florenz (Nahe Rückkehr des Landesvaters). Mantua. (Contribution). Treviso. (Erschießungen). Brescia. (Verlust der Oestreicher während des Kampfes in Brescia). Mailand. (Ausgabe von Schatzbillets).</p> <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London. (Unterhaus).</p> <p><hi rendition="#g">Schweden</hi> Gothenburg. (Verschwundener Dänenenthusiasmus. ‒ Kongreß der Reformvereine).</p> <p><hi rendition="#g">Ostindien.</hi> (Die Folgen des Sieges von Gudscherat).</p> <p><hi rendition="#g">Amerika.</hi> New-York. (Aus Canada, Californien, Yacatan, Südamerika und Port-au-Prince).</p> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar290_001" type="jArticle"> <head>Koblenz, 3. Mai.</head> <p>Der zur Fraktion Rodbertus gehörige Abgeordnete Müller aus Zell, welcher bei der Vereinbarungsversammlung und der eben geschlossenen zweiten Kammer den Kreis Zell vertrat und sich besonders für die Steuerinteressen der Mosel interessirte, ist ohne weitern Grund seines Amtes als Postexpediteur enthoben worden. Auf seine desfallsige Anfrage hat man sich sogar geweigert, irgend Motive anzugeben. Es kann also nicht zweifelhaft sein, daß blos seine, übrigens noch durchaus gemäßigte politische Gesinnung diese Maßregel hervorgerufen hat, und daß ein Mann, der das Vertrauen seiner Mitburger besitzt und deren besonderen Angelegenheiten sich mit Eifer widmet, eben dadurch die nöthige Qualität verliert, in dem „Königlichen“ Postdienste in erforderlicher Weise zu wirken. Wäre Müller ein politischer Lump, so würde er jetzt noch einen würdigen Beamten darstellen; immerhin ein schätzbarer Beitrag zur Charakteristik der „loyalen Gesinnung“ und des „Königlichen Bedienten-Geistes“.</p> </div> <div xml:id="ar290_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Berlin, 2. Mai.</head> <p>Der Ex-Abgeordnete Oberbürgermeister <hi rendition="#g">Ziegler</hi> war wegen Aufreizung zum Aufruhr und Verleitung zum Treubruch zur Untersuchung gezogen und der ersten Vorladung nicht nachgekommen. Er wurde zum zweiten Male, bei Strafe der Inhaftation, vorgeladen, ist aber jetzt nach Frankfurt abgereist, wo sich ein großer Kreis preußischer Abgeordneten zu sammeln scheint.</p> <p>Der Wirth des Hotel London, der früher sehr freisinnig that, ist durch den Besuch der Rechten, welche bei ihm ihre Parteisitzung hatte, vollkommen reaktionär geworden. Er hat sein Hotel am Freitag ganz besonders zum Ausgangspunkt der militärischen Exekutionen gemacht und fürchtet nun die Rache des Volkes. Er wird deßhalb auch durch ein Picket Soldaten geschützt.</p> <p>General Bem ist nicht allein als Feldherr so genial, er gehört auch zu den besten militärischen Schriftstellern. So ist es interessant, daß <hi rendition="#g">auf der hiesigen Artillerieschule nach seinem Lehrbuche docirt wird.</hi> </p> <p>Eine sehr geschickte Betrügerei ist wieder zu Tage gekommen, die viele arme Handwerker mit ihren Familien unglücklich gemacht hat. Schon seit längerer Zeit hörte man bekanntlich von dem Plan einer hiesigen Gesellschaft, nach Spanien auszuwandern, an deren Spitze der Geheimrath <hi rendition="#g">Wedecke</hi> und der bekannte Charlatan Dr. <hi rendition="#g">Scheel</hi> stehen sollten. Der Letztere war der eigentliche Unternehmer, und hatte den Leuten vorgeschwatzt, einige sehr reiche Prinzen wollten das Geld hergeben, und verlangten nur ganz allmählige Zurückerstattung. Nähere Fragen wies er immer mit der Hindeutung auf das natürlich höchst delikate Verhältniß zurück. Herr <hi rendition="#g">Wedecke</hi> sollte nach Spanien reisen, um Alles dort vorzubereiten, wurde aber scheinbar krank, bis seine Abreise sich so lange verzögerte, daß die Auswanderungslustigen doch Verdacht schöpften und nach langen Bemühungen in der letzten Vereinssitzung <hi rendition="#g">Scheel</hi> gezwungen wurde, einzugestehen, daß an allen seinen Aussagen auch nicht ein Wort wahr sei. ‒ Wir wissen nicht, ob die Herren <hi rendition="#g">Wedecke</hi> und <hi rendition="#g">Scheel</hi> schon Geld bekommen hatten, es wäre das nicht unwahrscheinlich. Die meisten Familien aber, welche auf ihre Versprechungen hin auswandern wollten, haben alle ihre Verbindungen aufgegeben, ihr meistes Mobilar verkauft und sind jetzt im größten Elende.</p> <p>Vielleicht gewinnt diese Geschichte etwas mehr Licht, wenn man sich erinnert, daß <hi rendition="#g">Wedecke</hi> der vertrauteste Freund der Königl. <hi rendition="#g">Prinzen</hi> ist, daß er besonders der Agent des Prinzen <hi rendition="#g">Karl,</hi> bei dem berüchtigten schlesischen Güterkauf war.</p> <p>Während der Osterferien suchte der Herr Minister v. <hi rendition="#g">Manteuffel</hi> auf jede Art und Weise mit der Opposition der zweiten Kammer in Verbindung zu treten und knüpfte besonders mit den hervorragenderen Mitgliedern der Partei <hi rendition="#g">Unruh</hi> an. So haben z. B. die Herren <hi rendition="#g">Rodbertus</hi> und <hi rendition="#g">Arntz</hi> damals die dringendsten Einladungen erhalten zu einer Unterredung mit dem Minister. Sie glaubten mit Recht dem nachkommen zu müssen und gingen nach dem Hotel Manteuffel. Dieser sprach besonders über die deutsche Frage mit ihnen, verhielt sich jedoch fast ganz passiv und suchte mehr die Ansichten der Abgeordneten zu erforschen. Er ging alsdann auch auf die innere Politik des Ministeriums über, mußte aber auch hier sehr klare und entschiedene Ansichten hören. Die Unterredung hatte natürlich kein Resultat, sie zeigt aber, daß man außerordentlich bemüht war, die Oppositionsmänner zu gewinnen.</p> <p>Man entblödete sich sogar nicht, einem der entschiedensten Mitglieder der <hi rendition="#g">äußersten</hi> Linken lockende Anerbietungen zu machen, wenn er seiner Opposition entsagen wolle. Auch darüber haben wir die genauesten Details, welche wir zu seiner Zeit der Oeffentlichkeit übergeben werden.</p> <p>In einer Kneipe besprachen sich Mitglieder einer hiesigen Landsmannschaft über einen nächstens abzuhaltenden Kommers. Ein ihnen unbekannter Herr hatte bis jetzt ruhig zugehört, bis die Rede auch darauf kam, ob der Landesvater gemacht werden solle. Hier stutzte er und trat endlich mit den Worten heran, es dürften während des Belagerungszustandes keine politische Versammlungen gehalten werden, und er bäte deßhalb die Herren, sich zu entfernen, widrigenfalls er Hülfe herbeiholen müsse. Er zeigte zugleich einen Befehl vor, der ihn ermächtigte, politische Versammlungen aufzulösen!!</p> <p>Die Publikation des Standrechtes, die in der That im Werke war, scheiterte an der Unabhängigkeit und Menschlichkeit der Auditeure. Diese haben bestimmt erklärt, daß die geltende Gesetzgebung die Verkündigung des Martialgesetzes in Berlin und zumal unter den hier herrschenden Zuständen nicht rechtfertige.</p> <p>Bei den am Sonntage stattgehabten Kompagnieversammlungen der Landwehr ist den unverheiratheten Mannschaften des zweiten Aufgebots der Landwehr von den Feldwebeln mitgetheilt worden, daß sie sich auf ihre Einberufung und Einkleidung jeden Tag gefaßt zu halten hätten.</p> </div> <div xml:id="ar290_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>61</author></bibl> Breslau, 1. Mai.</head> <p>Der in seiner rothen rheinischen Robe unter dem Säbel-Ministerium sich äußerst drollig ausnehmende Justiz-Minister <hi rendition="#g">Simons</hi> hat, unstreitig in Folge allzueifriger Lektüre der in Nr. 278 der N. Rh. Ztg. enthaltenen Korrespondenz, an den dort erwähnten Referendarius ohne Gott, König und Vaterland, folgendes höchst schmeichelhafte Handbillet erlassen:</p> <p>„Auf Ihre Eingabe vom 30. Januar d. J. gereicht Ihnen (nach 3 Monaten!!) zum Bescheide, daß, nachdem Sie nicht nur seit langer Zeit der praktischen Beschäftigung im Justizdienste sich entzogen (hatte seine wohlbekannten, unwiderlegten Gründe), sondern auch (nun kommt's) durch die von Ihnen herausgegebene, dem Justiz-Minister (schon im August 1848) eingereichte Schmähschrift (? Schicksale eines rheinpreußischen Referendarius u. s. w.) an den Tag gelegt haben, daß es Ihnen an derjenigen <hi rendition="#g">sittlichen Befähigung</hi> (wie <hi rendition="#g">muckerisch-</hi>christlich-germanisch-komisch-wupperthalisch!), welche die Grundbedingung (Examina genügen also nicht?) eines erfolgreichen amtlichen Wirkens ist, durchaus gebricht (der Betroffene hat in der That keine kgl. preuß. Kreuzritter- dafür aber einige demokratische Standrechts-Befähigung), Ihre Anstellung im Justizdienste nicht erfolgen kann.</p> <p>Sie werden vielmehr auf Grund des § 60 des Gesetzes vom 29. März 1844 (wozu so vieler Umstände im Angesichte der oktroyirten Heuchelei vom 5. Dez. (§ 86 u. 89) und der bewaffneten Königsbande?) <hi rendition="#g">aus dem Dienste entlassen.</hi> (Bravo!)</p> <p>Berlin, den 23. April (unmittelbar nach der angedeuteten Lektüre) 1849:</p> <p>Der Justiz-Minister, (gez.) Simons.“</p> <p>Dadurch erklärt sich nun auch, wie Polizeiknecht Hinkeldey unsern Referendarius schon anticipando einen „<hi rendition="#g">vormaligen</hi>“ zu nennen sich erfrechen konnte. Die Kreuzritter-Spionage nach allen vier Weltgegenden hatte unsern Knecht auch zu seinem Standrechtsbruder Simons geführt, der ihm dann die Bescherung vorwies. Die sogenannte Schmähschrift enthüllt übrigens die von den Kreuzrittern der Themis zu Berlin und im damals veruckermarkten Rheinpreußen seines freisinnigen Charakters wegen wider den Referendarius verübten bureaukratischen Schurkereien. Der Referendarius, das mag Simons sich merken, wird auch gegen die Fortsetzung dieser Schurkereien protestiren, wenn der Protesttag des demokratischen Standrechts gekommen und, <gap reason="illegible"/> Herr Simons!</p> <p>Der Gewitterschwefelduft, mit welchem die europäische Luft sich stündlich stärker anfüllt, hatte die Frequenz des demokratischen Hauptvereins gestern ansehnlich erhöht. Entzückend war der Anblick so vieler Soldaten, die der Kamaschenordre zum Trotz sich im Klub eingestellt hatten und regen Antheil an der Sitzung zu nehmen schienen. Man vertheilte sofort unter sie Pyat's Toast auf die Soldaten. <hi rendition="#g">Elsner</hi> übernahm den Vorsitz, worauf das Verlesen des Trennungsschreibens der äußersten Frankfurter Linken den Märzverein abermals auf's Tapet brachte. Ein Mitglied des bei dieser Gelegenheit von einem Redner als politisches Centrum bezeichneten Volksvereins hob nun als dessen demokratische Gipfelpunkte und Autoritäten die Herren Pflücker, Fröbel und Simon von Trier hervor und rechtfertigte damit das Festhalten des Volksvereins am Märzverein und sein Nichtanschließen an Frankfurt's „äußerste Linke. Nach ihm ergriff Elsner das Wort und sagte unter Anderem: Es gibt keine Versöhnung in der Politik, sie ist Verrath an der Partei. Auch die äußerste Frankfurter Linke hat solchen Verrath begangen, und ich selbst bin davon nicht frei geblieben. Doch nun bin ich aus meinem Traume erwacht, bin radikal kurirt. Ein Narr, ein Halunke ist, wer unter den gegenwärtigen Umständen nicht erwacht. Wer noch nicht im Stande, jetzt sich selbst und sein Hab und Gut zu opfern, der möge aus dem Vereine austreten. Die Versöhnung ist ein Bündniß mit dem Verbrechen; das Volk muß zu seinem Rechte kommen, sei's auch über unsere Leichen. (Ungeheurer Beifall.) <hi rendition="#g">Stein</hi> hat über zwei <hi rendition="#g">Lappalien</hi> (!?!) zu reden. Die erste betrifft die Auflösung der zweiten Kammer. Er sagt: Die erste Auflösung hatte etwas Imponirendes (auch Manteuffel's Ansicht, Manteuffel weiß also Herrn Stein zu imponiren!), es war ein Kampf zwischen zwei gleichberechtigten (ei, ei, Herr Stein! und Sie vertreten die Demokratie?) Gewalten. Hinter der einen standen die Bajonette, hinter der andern das Volk (und das nennen Sie Gleichberechtigung!). Jetzt ist die Auflösung ein Hohn. Man hat die Kammer gerade darum aufgelöst, weil Frankfurt die Regierungen ersucht hatte, dieselben zusammen zu lassen. <hi rendition="#g">Stein's</hi> zweite <hi rendition="#g">Lappalie</hi> betrifft die deutsche Frage. Statt selber Reue zu erwecken, wie Elsner, beschränkt er sich darauf, die Frankfurter Gesellschaft mit denen von Ihnen von Uranfang an vorgebrachten, allbekannten Vorwürfen zu überhäufen. Wir (die äußerste Linke), sprach Stein, haben die deutsche Frage von Anfang an für verloren (!!) gegeben, wir haben aber dennoch für die Verfassung gestimmt, weil wir die Frankfurter Versammlung, da sie aus Urwahlen hervorgegangen, für eine souveraine <hi rendition="#g">halten</hi> (sehr schmeichelhaftes Urtheil). Man muß sich jetzt (aha!) überzeugen, daß keine deutsche Einheit möglich ist, so lange es deutsche Fürsten gibt. Ich bin gestern Abend von Berlin abgereist, Berlin ist eine revolutionäre Stadt, revolutionärer als Breslau. Es ist mir merkwürdig gewesen, daß das Berliner Volk versucht hat, selbst diese zweite Kammer in Schutz zu nehmen.</p> <p>Nachdem hierauf das in diesem groß werdenden Augenblicke gewiß höchst wichtige Antwortschreiben an Frankfurt's äußerste Linke angenommen und der Verfasser bestimmt ist, schreitet der demokratische Hauptverein zu seiner zweiten Hauptthat. ‒ Die in Nummer 283 der N. Rh. Ztg. enthaltene Breslauer Correspondenz gibt nämlich, wahrscheinlich auf andere Veranlassung, dem Herrn <hi rendition="#g">Schumann</hi> Veranlassung, gegen deren Verfasser einen höchst ledernen und nichtssagenden Vortrag zu halten, hinter welchem etwas ganz anderes hervorzugucken schien, als das wahre demokratische Interesse. <hi rendition="#g">Schumann</hi> stellte den Antrag, die Redaktion aufzufordern, einen andern Correspondenten zu ernennen. Die Versammlung ging jedoch auf einige sehr richtige Bemerkungen Elsner's zur Tagesordnung über. Auch Rübl wurde wegen des Aufsatzes: „die Sozialpfaffen“, interpellirt. Neid, Persönlichkeiten, deutsche Kleinkrämerjämmerlichkeit, scheinen im demokratischen Hauptverein noch starke Wurzeln zu haben und das Motiv zu Mancherlei zu bilden Es vergeht keine Sitzung, wo sie nicht fast den Hauptstoff liefern. Wenn der demokratische Hauptverein im Angesicht der gegen die Mordbanden von drei Kaiserreichen (das Reich Homunculi nicht einbegriffen) mit nie dagewesenem Heroismus kämpfenden Magyaren, im Angesichte der auf deutschem Boden stehenden asiatischen Barbarenhorden, im Angesichte der in Berlin jüngst verübten gottbegnadeten Scheußlichkeiten civilisirter Banditen nichts Besseres zu thun weiß, als sich mit den abgeschmacktesten Märzvereinplänkeleien, mit den abgemacktesten Persönlichkeiten und mit dem stupidesten, resultatlosen Vereinshader abzugeben, und damit namentlich das anwesende, willige Militär zu langweilen, so soll er zu Hause bleiben. Ich wenigstens schäme mich dann, über ihn ferner zu berichten.</p> </div> <div xml:id="ar290_004" type="jArticle"> <head>Breslau, 30. April.</head> <p>Vorgestern langten der Herzog und die Herzogin von Parma auf ihrer Rückkehr von England nach Italien hier an, und setzten gestern Nachmittags auf der Oberschlesischen Eisenbahn ihre Reise nach Olmütz fort.</p> <bibl>(Schles. Z.)</bibl> </div> <div xml:id="ar290_005" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Wien, 30. April.</head> <p>Gestern wurde auf einem Altan in der Vorstadt Wieden, von der daselbst wohnenden Besitzerin, eine Plache (Plaue oder Markise) vorgerichtet, worauf mit großen Worten stand: „Hoch lebe Kossuth!“ Es versammelte sich alsbald eine Menge Volkes, und der Auftritt endete mit Verhaftung der ungarischen Patriotin.</p> <p>Der Austritt des Grafen Stadion aus dem Kabinet ist nunmehr gewiß; Dr. Bach tritt an seine Stelle und Dr. Fischer, Regierungspräsident in Linz, übernimmt das Portefeuille des Justizministeriums. Man sieht, die Hofpolitik verbraucht ihre Männer sehr rasch; Stadion war ein zu fester Charakter, um lange Zeit am Ruder bleiben zu können.</p> <p>Der bekannte Literat und frühere Redakteur Andreas Schuhmacher, welcher zu zwölfjähriger schwerer Kerkerstrafe verurtheilt war, ist auf fünfjährigen einfachen Kriminalarrest begnadigt worden, und soll sich diese Nachsicht durch wichtige Enthüllungen erwirkt haben.</p> </div> <div xml:id="ar290_006" type="jArticle"> <head>Wien, 29. April.</head> <p>Wenn gestern „die Gutgesinnten“ und die Neugierigen hinauseilten an die Eisenbahn, um Russen zu sehen, oder wenigstens mit Bestimmheit zu erfahren, ob „die Retter“ wirklich schon in Gänserndorf seien, so war es heute eine Bewegung anderer, mehr freudiger Art, welche unsere niedergedrückte bang athmende Bevölkerung in eine Aufregung versetzte, wie wir sie seit den Sommertagen des vorigen Jahres nicht kannten. Der herrliche, warme Sonnenschein hatte Alles aus den Häusern auf die Straßen, die Basteien und die Glacis gelockt; gedrängte Gruppen standen an allen Straßenecken, am Stephansplatz, am Graben und vor allen Kaffeehäusern; der Vorstädter, welcher lange jeden Gang in die innere Stadt gescheuet, der Arbeiter, welcher sich kaum in Blouse und Mütze hatte sehen lassen dürfen, auch einige „Bassermann'sche Gestalten“, wie Sie in Berlin sagen würden, mit mächtigen Bärten und Blicken, aus denen ein Dutzend geballter Fäuste droheten, ja selbst einige schmucke Akademiker mit dem Kalabreser und der wallenden Feder gaben der wogenden Menge einen Charakter, welcher an das belebte Bild unserer Straßen im Mai und September v. J. erinnerte. Dabei lag ein gewisser Frohsinn unverkennbar auf den Gesichtern der Meisten ausgedrückt, und offenbarte sich in lebendiger Gestikulation und einer Lebhaftigkeit der Unterhaltung in den verschiedenen Gruppen, welche vor acht Tagen noch hinreichend gewesen wäre, um mit wenigstens 24stündigem Stabsstockhaus-Arrest bestraft zu werden. Nur einzelne Gestalten, welche durch die frohe, bewegte Menge schlichen, erinnerten an die Zeit und Umstände, worunter wir leben. Es waren theils Flüchtlinge aus Pesth, Osen und Preßburg, welche meistens mit Sack und Pack dahergeschleppt kamen, theils ängst- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1641/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 290. Köln, Samstag, den 5. Mai. 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Hovas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.
Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. ‒ Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. ‒ Nur frankirte Briefe werden angenommen. ‒ Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro. 17.
Heute Morgen ist eine Beilage ausgegeben und so viel als thunlich versandt worden.
Uebersicht. Deutschland. Koblenz. (Amtsentsetzung eines Ex-Deputirten). Berlin. (Klatsch). Breslau. (Ein Rescript des Justizministers Simons ‒ Sitzung des demokratischen Hauptvereins. ‒ Rückkehr des Standrechtsherzogs von Parma). Wien. (Vermischtes. ‒ Stimmung der Wiener). Schleswig-Holstein. (Vom friedlichen Kriegsschauplatze). Fulda. (Volksversammlung). Frankfurt. (Ein Pröbchen von Bassermann'scher Wahrheitsliebe). München. (Bier-Aufregung). Nürnberg (Aufforderungen an die Soldaten polizeilich konfiszirt).
Ungarn. Görgey.
Franz. Republik. Paris. (Die Wahlagitation und Guizot. ‒ Vermischtes. ‒ National-Versammlung).
Italien. (Die Unterwerfung Palermos. ‒ Die Landung der Franzosen in Civita-Vecchia). Turin (Die östreichische Besatzung in Allessandria. ‒ Neapolitaner gegen Rom). Florenz (Nahe Rückkehr des Landesvaters). Mantua. (Contribution). Treviso. (Erschießungen). Brescia. (Verlust der Oestreicher während des Kampfes in Brescia). Mailand. (Ausgabe von Schatzbillets).
Großbritannien. London. (Unterhaus).
Schweden Gothenburg. (Verschwundener Dänenenthusiasmus. ‒ Kongreß der Reformvereine).
Ostindien. (Die Folgen des Sieges von Gudscherat).
Amerika. New-York. (Aus Canada, Californien, Yacatan, Südamerika und Port-au-Prince).
Deutschland. Koblenz, 3. Mai. Der zur Fraktion Rodbertus gehörige Abgeordnete Müller aus Zell, welcher bei der Vereinbarungsversammlung und der eben geschlossenen zweiten Kammer den Kreis Zell vertrat und sich besonders für die Steuerinteressen der Mosel interessirte, ist ohne weitern Grund seines Amtes als Postexpediteur enthoben worden. Auf seine desfallsige Anfrage hat man sich sogar geweigert, irgend Motive anzugeben. Es kann also nicht zweifelhaft sein, daß blos seine, übrigens noch durchaus gemäßigte politische Gesinnung diese Maßregel hervorgerufen hat, und daß ein Mann, der das Vertrauen seiner Mitburger besitzt und deren besonderen Angelegenheiten sich mit Eifer widmet, eben dadurch die nöthige Qualität verliert, in dem „Königlichen“ Postdienste in erforderlicher Weise zu wirken. Wäre Müller ein politischer Lump, so würde er jetzt noch einen würdigen Beamten darstellen; immerhin ein schätzbarer Beitrag zur Charakteristik der „loyalen Gesinnung“ und des „Königlichen Bedienten-Geistes“.
* Berlin, 2. Mai. Der Ex-Abgeordnete Oberbürgermeister Ziegler war wegen Aufreizung zum Aufruhr und Verleitung zum Treubruch zur Untersuchung gezogen und der ersten Vorladung nicht nachgekommen. Er wurde zum zweiten Male, bei Strafe der Inhaftation, vorgeladen, ist aber jetzt nach Frankfurt abgereist, wo sich ein großer Kreis preußischer Abgeordneten zu sammeln scheint.
Der Wirth des Hotel London, der früher sehr freisinnig that, ist durch den Besuch der Rechten, welche bei ihm ihre Parteisitzung hatte, vollkommen reaktionär geworden. Er hat sein Hotel am Freitag ganz besonders zum Ausgangspunkt der militärischen Exekutionen gemacht und fürchtet nun die Rache des Volkes. Er wird deßhalb auch durch ein Picket Soldaten geschützt.
General Bem ist nicht allein als Feldherr so genial, er gehört auch zu den besten militärischen Schriftstellern. So ist es interessant, daß auf der hiesigen Artillerieschule nach seinem Lehrbuche docirt wird.
Eine sehr geschickte Betrügerei ist wieder zu Tage gekommen, die viele arme Handwerker mit ihren Familien unglücklich gemacht hat. Schon seit längerer Zeit hörte man bekanntlich von dem Plan einer hiesigen Gesellschaft, nach Spanien auszuwandern, an deren Spitze der Geheimrath Wedecke und der bekannte Charlatan Dr. Scheel stehen sollten. Der Letztere war der eigentliche Unternehmer, und hatte den Leuten vorgeschwatzt, einige sehr reiche Prinzen wollten das Geld hergeben, und verlangten nur ganz allmählige Zurückerstattung. Nähere Fragen wies er immer mit der Hindeutung auf das natürlich höchst delikate Verhältniß zurück. Herr Wedecke sollte nach Spanien reisen, um Alles dort vorzubereiten, wurde aber scheinbar krank, bis seine Abreise sich so lange verzögerte, daß die Auswanderungslustigen doch Verdacht schöpften und nach langen Bemühungen in der letzten Vereinssitzung Scheel gezwungen wurde, einzugestehen, daß an allen seinen Aussagen auch nicht ein Wort wahr sei. ‒ Wir wissen nicht, ob die Herren Wedecke und Scheel schon Geld bekommen hatten, es wäre das nicht unwahrscheinlich. Die meisten Familien aber, welche auf ihre Versprechungen hin auswandern wollten, haben alle ihre Verbindungen aufgegeben, ihr meistes Mobilar verkauft und sind jetzt im größten Elende.
Vielleicht gewinnt diese Geschichte etwas mehr Licht, wenn man sich erinnert, daß Wedecke der vertrauteste Freund der Königl. Prinzen ist, daß er besonders der Agent des Prinzen Karl, bei dem berüchtigten schlesischen Güterkauf war.
Während der Osterferien suchte der Herr Minister v. Manteuffel auf jede Art und Weise mit der Opposition der zweiten Kammer in Verbindung zu treten und knüpfte besonders mit den hervorragenderen Mitgliedern der Partei Unruh an. So haben z. B. die Herren Rodbertus und Arntz damals die dringendsten Einladungen erhalten zu einer Unterredung mit dem Minister. Sie glaubten mit Recht dem nachkommen zu müssen und gingen nach dem Hotel Manteuffel. Dieser sprach besonders über die deutsche Frage mit ihnen, verhielt sich jedoch fast ganz passiv und suchte mehr die Ansichten der Abgeordneten zu erforschen. Er ging alsdann auch auf die innere Politik des Ministeriums über, mußte aber auch hier sehr klare und entschiedene Ansichten hören. Die Unterredung hatte natürlich kein Resultat, sie zeigt aber, daß man außerordentlich bemüht war, die Oppositionsmänner zu gewinnen.
Man entblödete sich sogar nicht, einem der entschiedensten Mitglieder der äußersten Linken lockende Anerbietungen zu machen, wenn er seiner Opposition entsagen wolle. Auch darüber haben wir die genauesten Details, welche wir zu seiner Zeit der Oeffentlichkeit übergeben werden.
In einer Kneipe besprachen sich Mitglieder einer hiesigen Landsmannschaft über einen nächstens abzuhaltenden Kommers. Ein ihnen unbekannter Herr hatte bis jetzt ruhig zugehört, bis die Rede auch darauf kam, ob der Landesvater gemacht werden solle. Hier stutzte er und trat endlich mit den Worten heran, es dürften während des Belagerungszustandes keine politische Versammlungen gehalten werden, und er bäte deßhalb die Herren, sich zu entfernen, widrigenfalls er Hülfe herbeiholen müsse. Er zeigte zugleich einen Befehl vor, der ihn ermächtigte, politische Versammlungen aufzulösen!!
Die Publikation des Standrechtes, die in der That im Werke war, scheiterte an der Unabhängigkeit und Menschlichkeit der Auditeure. Diese haben bestimmt erklärt, daß die geltende Gesetzgebung die Verkündigung des Martialgesetzes in Berlin und zumal unter den hier herrschenden Zuständen nicht rechtfertige.
Bei den am Sonntage stattgehabten Kompagnieversammlungen der Landwehr ist den unverheiratheten Mannschaften des zweiten Aufgebots der Landwehr von den Feldwebeln mitgetheilt worden, daß sie sich auf ihre Einberufung und Einkleidung jeden Tag gefaßt zu halten hätten.
61 Breslau, 1. Mai. Der in seiner rothen rheinischen Robe unter dem Säbel-Ministerium sich äußerst drollig ausnehmende Justiz-Minister Simons hat, unstreitig in Folge allzueifriger Lektüre der in Nr. 278 der N. Rh. Ztg. enthaltenen Korrespondenz, an den dort erwähnten Referendarius ohne Gott, König und Vaterland, folgendes höchst schmeichelhafte Handbillet erlassen:
„Auf Ihre Eingabe vom 30. Januar d. J. gereicht Ihnen (nach 3 Monaten!!) zum Bescheide, daß, nachdem Sie nicht nur seit langer Zeit der praktischen Beschäftigung im Justizdienste sich entzogen (hatte seine wohlbekannten, unwiderlegten Gründe), sondern auch (nun kommt's) durch die von Ihnen herausgegebene, dem Justiz-Minister (schon im August 1848) eingereichte Schmähschrift (? Schicksale eines rheinpreußischen Referendarius u. s. w.) an den Tag gelegt haben, daß es Ihnen an derjenigen sittlichen Befähigung (wie muckerisch-christlich-germanisch-komisch-wupperthalisch!), welche die Grundbedingung (Examina genügen also nicht?) eines erfolgreichen amtlichen Wirkens ist, durchaus gebricht (der Betroffene hat in der That keine kgl. preuß. Kreuzritter- dafür aber einige demokratische Standrechts-Befähigung), Ihre Anstellung im Justizdienste nicht erfolgen kann.
Sie werden vielmehr auf Grund des § 60 des Gesetzes vom 29. März 1844 (wozu so vieler Umstände im Angesichte der oktroyirten Heuchelei vom 5. Dez. (§ 86 u. 89) und der bewaffneten Königsbande?) aus dem Dienste entlassen. (Bravo!)
Berlin, den 23. April (unmittelbar nach der angedeuteten Lektüre) 1849:
Der Justiz-Minister, (gez.) Simons.“
Dadurch erklärt sich nun auch, wie Polizeiknecht Hinkeldey unsern Referendarius schon anticipando einen „vormaligen“ zu nennen sich erfrechen konnte. Die Kreuzritter-Spionage nach allen vier Weltgegenden hatte unsern Knecht auch zu seinem Standrechtsbruder Simons geführt, der ihm dann die Bescherung vorwies. Die sogenannte Schmähschrift enthüllt übrigens die von den Kreuzrittern der Themis zu Berlin und im damals veruckermarkten Rheinpreußen seines freisinnigen Charakters wegen wider den Referendarius verübten bureaukratischen Schurkereien. Der Referendarius, das mag Simons sich merken, wird auch gegen die Fortsetzung dieser Schurkereien protestiren, wenn der Protesttag des demokratischen Standrechts gekommen und, _ Herr Simons!
Der Gewitterschwefelduft, mit welchem die europäische Luft sich stündlich stärker anfüllt, hatte die Frequenz des demokratischen Hauptvereins gestern ansehnlich erhöht. Entzückend war der Anblick so vieler Soldaten, die der Kamaschenordre zum Trotz sich im Klub eingestellt hatten und regen Antheil an der Sitzung zu nehmen schienen. Man vertheilte sofort unter sie Pyat's Toast auf die Soldaten. Elsner übernahm den Vorsitz, worauf das Verlesen des Trennungsschreibens der äußersten Frankfurter Linken den Märzverein abermals auf's Tapet brachte. Ein Mitglied des bei dieser Gelegenheit von einem Redner als politisches Centrum bezeichneten Volksvereins hob nun als dessen demokratische Gipfelpunkte und Autoritäten die Herren Pflücker, Fröbel und Simon von Trier hervor und rechtfertigte damit das Festhalten des Volksvereins am Märzverein und sein Nichtanschließen an Frankfurt's „äußerste Linke. Nach ihm ergriff Elsner das Wort und sagte unter Anderem: Es gibt keine Versöhnung in der Politik, sie ist Verrath an der Partei. Auch die äußerste Frankfurter Linke hat solchen Verrath begangen, und ich selbst bin davon nicht frei geblieben. Doch nun bin ich aus meinem Traume erwacht, bin radikal kurirt. Ein Narr, ein Halunke ist, wer unter den gegenwärtigen Umständen nicht erwacht. Wer noch nicht im Stande, jetzt sich selbst und sein Hab und Gut zu opfern, der möge aus dem Vereine austreten. Die Versöhnung ist ein Bündniß mit dem Verbrechen; das Volk muß zu seinem Rechte kommen, sei's auch über unsere Leichen. (Ungeheurer Beifall.) Stein hat über zwei Lappalien (!?!) zu reden. Die erste betrifft die Auflösung der zweiten Kammer. Er sagt: Die erste Auflösung hatte etwas Imponirendes (auch Manteuffel's Ansicht, Manteuffel weiß also Herrn Stein zu imponiren!), es war ein Kampf zwischen zwei gleichberechtigten (ei, ei, Herr Stein! und Sie vertreten die Demokratie?) Gewalten. Hinter der einen standen die Bajonette, hinter der andern das Volk (und das nennen Sie Gleichberechtigung!). Jetzt ist die Auflösung ein Hohn. Man hat die Kammer gerade darum aufgelöst, weil Frankfurt die Regierungen ersucht hatte, dieselben zusammen zu lassen. Stein's zweite Lappalie betrifft die deutsche Frage. Statt selber Reue zu erwecken, wie Elsner, beschränkt er sich darauf, die Frankfurter Gesellschaft mit denen von Ihnen von Uranfang an vorgebrachten, allbekannten Vorwürfen zu überhäufen. Wir (die äußerste Linke), sprach Stein, haben die deutsche Frage von Anfang an für verloren (!!) gegeben, wir haben aber dennoch für die Verfassung gestimmt, weil wir die Frankfurter Versammlung, da sie aus Urwahlen hervorgegangen, für eine souveraine halten (sehr schmeichelhaftes Urtheil). Man muß sich jetzt (aha!) überzeugen, daß keine deutsche Einheit möglich ist, so lange es deutsche Fürsten gibt. Ich bin gestern Abend von Berlin abgereist, Berlin ist eine revolutionäre Stadt, revolutionärer als Breslau. Es ist mir merkwürdig gewesen, daß das Berliner Volk versucht hat, selbst diese zweite Kammer in Schutz zu nehmen.
Nachdem hierauf das in diesem groß werdenden Augenblicke gewiß höchst wichtige Antwortschreiben an Frankfurt's äußerste Linke angenommen und der Verfasser bestimmt ist, schreitet der demokratische Hauptverein zu seiner zweiten Hauptthat. ‒ Die in Nummer 283 der N. Rh. Ztg. enthaltene Breslauer Correspondenz gibt nämlich, wahrscheinlich auf andere Veranlassung, dem Herrn Schumann Veranlassung, gegen deren Verfasser einen höchst ledernen und nichtssagenden Vortrag zu halten, hinter welchem etwas ganz anderes hervorzugucken schien, als das wahre demokratische Interesse. Schumann stellte den Antrag, die Redaktion aufzufordern, einen andern Correspondenten zu ernennen. Die Versammlung ging jedoch auf einige sehr richtige Bemerkungen Elsner's zur Tagesordnung über. Auch Rübl wurde wegen des Aufsatzes: „die Sozialpfaffen“, interpellirt. Neid, Persönlichkeiten, deutsche Kleinkrämerjämmerlichkeit, scheinen im demokratischen Hauptverein noch starke Wurzeln zu haben und das Motiv zu Mancherlei zu bilden Es vergeht keine Sitzung, wo sie nicht fast den Hauptstoff liefern. Wenn der demokratische Hauptverein im Angesicht der gegen die Mordbanden von drei Kaiserreichen (das Reich Homunculi nicht einbegriffen) mit nie dagewesenem Heroismus kämpfenden Magyaren, im Angesichte der auf deutschem Boden stehenden asiatischen Barbarenhorden, im Angesichte der in Berlin jüngst verübten gottbegnadeten Scheußlichkeiten civilisirter Banditen nichts Besseres zu thun weiß, als sich mit den abgeschmacktesten Märzvereinplänkeleien, mit den abgemacktesten Persönlichkeiten und mit dem stupidesten, resultatlosen Vereinshader abzugeben, und damit namentlich das anwesende, willige Militär zu langweilen, so soll er zu Hause bleiben. Ich wenigstens schäme mich dann, über ihn ferner zu berichten.
Breslau, 30. April. Vorgestern langten der Herzog und die Herzogin von Parma auf ihrer Rückkehr von England nach Italien hier an, und setzten gestern Nachmittags auf der Oberschlesischen Eisenbahn ihre Reise nach Olmütz fort.
(Schles. Z.) * Wien, 30. April. Gestern wurde auf einem Altan in der Vorstadt Wieden, von der daselbst wohnenden Besitzerin, eine Plache (Plaue oder Markise) vorgerichtet, worauf mit großen Worten stand: „Hoch lebe Kossuth!“ Es versammelte sich alsbald eine Menge Volkes, und der Auftritt endete mit Verhaftung der ungarischen Patriotin.
Der Austritt des Grafen Stadion aus dem Kabinet ist nunmehr gewiß; Dr. Bach tritt an seine Stelle und Dr. Fischer, Regierungspräsident in Linz, übernimmt das Portefeuille des Justizministeriums. Man sieht, die Hofpolitik verbraucht ihre Männer sehr rasch; Stadion war ein zu fester Charakter, um lange Zeit am Ruder bleiben zu können.
Der bekannte Literat und frühere Redakteur Andreas Schuhmacher, welcher zu zwölfjähriger schwerer Kerkerstrafe verurtheilt war, ist auf fünfjährigen einfachen Kriminalarrest begnadigt worden, und soll sich diese Nachsicht durch wichtige Enthüllungen erwirkt haben.
Wien, 29. April. Wenn gestern „die Gutgesinnten“ und die Neugierigen hinauseilten an die Eisenbahn, um Russen zu sehen, oder wenigstens mit Bestimmheit zu erfahren, ob „die Retter“ wirklich schon in Gänserndorf seien, so war es heute eine Bewegung anderer, mehr freudiger Art, welche unsere niedergedrückte bang athmende Bevölkerung in eine Aufregung versetzte, wie wir sie seit den Sommertagen des vorigen Jahres nicht kannten. Der herrliche, warme Sonnenschein hatte Alles aus den Häusern auf die Straßen, die Basteien und die Glacis gelockt; gedrängte Gruppen standen an allen Straßenecken, am Stephansplatz, am Graben und vor allen Kaffeehäusern; der Vorstädter, welcher lange jeden Gang in die innere Stadt gescheuet, der Arbeiter, welcher sich kaum in Blouse und Mütze hatte sehen lassen dürfen, auch einige „Bassermann'sche Gestalten“, wie Sie in Berlin sagen würden, mit mächtigen Bärten und Blicken, aus denen ein Dutzend geballter Fäuste droheten, ja selbst einige schmucke Akademiker mit dem Kalabreser und der wallenden Feder gaben der wogenden Menge einen Charakter, welcher an das belebte Bild unserer Straßen im Mai und September v. J. erinnerte. Dabei lag ein gewisser Frohsinn unverkennbar auf den Gesichtern der Meisten ausgedrückt, und offenbarte sich in lebendiger Gestikulation und einer Lebhaftigkeit der Unterhaltung in den verschiedenen Gruppen, welche vor acht Tagen noch hinreichend gewesen wäre, um mit wenigstens 24stündigem Stabsstockhaus-Arrest bestraft zu werden. Nur einzelne Gestalten, welche durch die frohe, bewegte Menge schlichen, erinnerten an die Zeit und Umstände, worunter wir leben. Es waren theils Flüchtlinge aus Pesth, Osen und Preßburg, welche meistens mit Sack und Pack dahergeschleppt kamen, theils ängst-
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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