Neue Rheinische Zeitung. Nr. 281. Köln, 25. April 1849.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 281. Köln, Mittwoch, den 25. April 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. - Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. - Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. - Nur frankirte Briefe werden angenommen. - Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro.17. Uebersicht. Deutschland. Köln (Zur "schlesischen Milliarde." - Oberschlesien.) Berlin (Klatsch.) Danzig (Blockade.) Königsberg (Landwehrangelegenheit.) Schleswig-Holstein (Die Regierung. - Kaiserschüsse.) Gravenstein und Apenrade (Einrücken nach Jütland. - Rüstungen.) Frankfurt (Wahlverweigerung in Baden: - Ritter Schmerling.) Stuttgart (Die Ministerkrisis.) Ungarn. Vom Kriegsschauplatze. Polen. Krakau (Steigende Aufregung unter dem Landvolk.) Lemberg (Oestreichische Regierungs-Brutalitäten.) Italien. (Insurrektion in Livorno). Florenz. (Die Contrerevolution). Rom. (Die Zwangsanleihe. - Protest in Paris). Palermo. (Vernichtung der Neapolitaner in Trapani). Turin. (Unterhandlung mit Oestreich). Mailand. (Exekutionen). Französische Republik. Paris. (Protestation des römischen Gesandten. - Fould, Goudchaux und Rothschild. - Odilon Barrot und die römische Expedition. - Vermischtes). Deutschland. * Köln, 21. April. In einer Reihe von Artikeln über die "schlesische Milliarde" ist nachgewiesen worden, was Schlesien, und namentlich die schlesischen Bauern, unter dem gottbegnadeten Regimente der Hohenzollern und ihrer untergebenen Raubritter, blos in den letzten dreißig Jahren theils auf Grund eines betrügerischen Ablösungsgesetzes, theils in Form fortwährender Robotdienste oder Hofetage, Zinsen und Naturalleistungen an die Fürsten, Grafen und Herren zu zahlen gezwungen worden und endlich wie groß annäherungsweise die Summe ist, welche das schlesische Landvolk von seinen Junkern und Heu-Baronen am Abrechnungstage zurückzufordern hat. An den schlesischen Zuständen haben wir die Zustände des ganzen feudalen Deutschlands abgespiegelt. Die Ausbeutung des Landvolks durch das Raubritterthum "von Gottes Gnaden" hat sich lediglich dort durch ein Mehr, dort durch ein Minder unterschieden. Bei unsern Schilderungen hatten wir bisher hauptsächlich Niederschlesien, den deutschen Theil, im Auge. Heute werden wir speziell von Oberschlesien, dem vorwiegend wasserpolnischen Theile sprechen. Schon der Wunsch nach einiger Vollständigkeit würde das verlangen. Viel mehr drängt uns aber dazu der von Oberschlesien her auf's Neu sich erhebende Verzweiflungsschrei einer dem Hungertode und der Hungerpest in den Rachen gejagten Bevölkerung. Um zu begreifen, wie es mit der bekannten "Perle" in der Hohenzollern'sche Krone bis auf diesen äußersten Punkt hat kommen können, dazu bedarf es nach den vorausgegangenen Artikeln über die "schlesische Milliarde" nur noch einiger Worte. Denn das dort Gesagte gilt nicht blos vollständig, sondern noch in verstärktem Maaße für Oberschlesien. Hier haus'ten die Raubritter noch unverschämter, hier prellten und plünderten sie die Bauern rücksichtsloser, hier behandelten sie ihn noch weit brutaler als im deutschen Theile, in Niederschlesien. Der Eine ist die zweite Potenz des Andern. Deutschland erinnert sich der Aufrufe, die im Winter 1847-48 für die "bedrängten oberschlesischen" Brüder, zur "Linderung und Abhülfe der erschrecklichen Noth" von Breslau und andern Orten her erlassen wurden. Ganz Deutschland sammelte in dieses Sieb des Elends seine ersparten Heller, von denen, wie wir erfahren, ein recht artiger Rest von etwa 100,000 Thalern noch immer in den Händen der Regierung sich befindet. Wenige von denen, die ihre Pfennige mitleidsvoll nach Schlesien sandten, mochten daran denken, daß sie lediglich der preußischen Regierung und ihrer Ritterschaft ein Almosen gaben. Es wären ohne die Beisteuern aus Deutschland nicht mehr Personen dem Hunger und dem Typhus zum Opfer gefallen, als es so geschehen. Entweder die Regierung hätte eine eben so große Summe, als aus Deutschland zusammenkam, herbeischaffen müssen. Dann freilich konnte sie etwas weniger Erziehungsgelder, Gratifikationen und Geschenke an adlige unverschämte Arme (arm mit 10, 15, 20 und mehr Tausend Thalern jährlichen Einkommens) austheilen und vielleicht einige Wildnetze weniger anfertigen lassen. Oder die oberschlesische Ritterschaft selber mußte Einiges von ihren Raubthalern abgeben. Denn jener rein proletarischen Krankheit, dem Hungertyphus, durfte man nicht fortwährend ruhig zuschauen. Nicht wegen des "Bauernpacks", wie es die Herren Ritter nennen: was zum Henker! sollte man sich darum kümmern! Aber einmal fehlt es zeitweise an Arbeitern, wenn ungewöhnlich große Massen jenes "Bauernpacks" hingerafft werden. Wer verrichtet dem "gnädigen" Herrn die Hofedienste? und wer zahlt ihm die gutsherrlichen Abgaben? Er muß stunden oder bekommt in vielen Fällen gar nichts. Drum leidet der raubritterliche Geldbeutel und das ist - auf Ehre - gerade so der empfindlichste Theil bei einem "Gnädigen" von 340 Ahnen, Stallknechte und Kuhmägde mit eingerechnet, wie bei dem raffinirtesten Bourgeois oder dem schmutzigsten Börsenjuden. Zweitens ist jene proletarische Krankheit in ihrer weitern Entwicklung bösartig genug, die Todeshand bis in die raubritterlichen Reihen selber auszustrecken. Die beiden theuersten Dinge: Leben und Geldbeutel, bedroht: das wäre genug gewesen, um die gnädigen Herrn zu einem vollen Griff in die Tasche, zu Maßregeln einiger Abhülfe und Linderung, zu vermögen. Deutschland ersparte ihnen durch seine Sammlungen den größten Theil einer Ausgabe für das "Bauernpack", das in den Augen des Ritters keinen andern Werth hat, als sein Vieh, in soweit er eben das eine wie das andre ausbeuten kann. Jetzt wüthet abermals der Hunger und sein Bundesgenosse, der Typhus, in jenen Distrikten, die bereits voriges Jahr so unendlich gelitten. Sogar die Krautjunker- und Geldsack-Kammer zu Berlin hat den greulichen Zuständen in den Kreisen Rybnick und Pleß ihre hohe Aufmerksamkeit und ihre philantropischen Redensarten zugewandt. Deutschland wird nun wohl um etwas klüger geworden sein und dem seit 30 Jahren angefüllten (!) Staatsschatze der Hohenzollern die Sorge für das oberschlesische Irland überlassen. Der Hunger, der ganze Landstrecken Oberschlesiens verheert und die aus ihm erzeugte Epidemie: sie rühren wahrlich nicht von dem durchaus gefunden Klima und einer Mißärnte oder Ueberschwemmung her. Es gab weder Mißärnte noch Ueberschwemmung. Hunger und Epidemie und das ganze oberschlesische Elend sind nur die unvermeidlichen Folgen der Unverschämtheit jener ausbeutenden Raubritter, jener "todten Hand" der Domänen-Wirthschaft, jener Indolenz der Regierung, die Alles gehen und geschehen ließ, was nicht wider das heilige preußische Landrecht und die Ruhe und Bequemlichkeit einer christlich-germanischen Beamtenkaste verstieß. Zur größern Hälfte ist Grund und Boden in den Händen großer Grundbesitzer, des Fiskus und der "todten Hand". Nur zwei Fünftel der gesammten Ländereien sind in den Händen der Bauern und mit Frohnden und Abgaben an die Gutsherrn, wie mit Steuern an den Staat, an Kirche, Schule, Kreis und Gemeinde auf's Unglaublichste und Schamloseste überlastet, während die "gnädigen" Herren im Verhältniß zu den Bauern höchstens eine wahre Lumperei an den Staat entrichten. Bebaut werden die zwei Fünftel Land der kleinen Leute von einer dreifach größeren Zahl Menschen, als jene drei Fünftel Land der "gnädigen" Herren. Der Bauer ist aus Mangel an Kapital und Einsicht in der Kultur zurückgeblieben, während die großen Gütermassen oft von mehr als 30-40,000 Morgen aus Mangel an Arbeitskraft, Uebersicht und Sorgfalt ebenfalls einen weit geringern Ertrag liefern, als andere, aber besser verwaltete Länderstriche Deutschlands, wo bei gleicher Bodengüte das Vierfache produzirt wird. Dem in der Residenz, in Bädern, auf Reisen etc. schwelgenden Standesherrn verschlägt es wenig, wie der Boden bewirthschaftet wird. Er bezieht bei der Größe seines Besitzthums an Ackerland, Wiesen, Forsten, Teichen, Bergwerken, Schafheerden, Branntweinbrennereien etc., bei den geringen oder keinen Abgaben an den Staat und bei den desto größeren Einnahmen an Laudemien, Silberzinsen etc. aus den bäuerlichen Taschen doch immer eine größere Summe, als er auf gewöhnlichem Wege zu vergeuden im Stande ist. Was frägt der Bureaukrat danach, ob die Domänen brach liegen in den Händen fauler Schützlinge? Wenn der Tag der Rente kommt, werden die Silberzinsen mittelst der Knute vom Bauer eingetrieben, wenn er sie nicht freiwillig zahlen will. Und so zwangen Mangel an Kapital und Kredit und Ueberfluß an Abgaben und Leistungen an die Raubritter, wie an Staat und Kirche, den Bauer, sich dem Juden in die Arme zu werfen und in den Schlingen des pfiffigen Wuchrers ohnmächtig zappelnd zu verenden. In der langen Erniedrigung und Knechtschaft, in welchen das oberschlesische Landvolk durch die christlich-germanische Regierung und ihre Raubritterschaft danieder gehalten worden, hat der Bauer seinen einzigen Trost, wie seine Stärkung und halbe Nahrung im Branntwein gefunden. Man muß es den "gnädigen" Herren lassen, daß sie dem Bauer diesen Artikel aus ihren großen Brennereien reichlich und zu immer billigern Preisen verschafften. In diesem stärksten Consumtionsartikel des oberschlesischen Bauern, machten sie vortreffliche Geschäfte. Von welcher Seite man also auch den Bauer betrachtet, überall erblickt man einen raubritterlichen Saugrüssel, der jeden neuen Blutstropfen des Landmannes an sich zieht und in seiner gottbegnadeten Wirksamkeit nur durch rasches vollständiges Abhauen gehemmt werden kann. Neben den Lehmhütten der wasserpolakischen Bauern, wo Hunger, Typhus und Verthierung ihre Stätte aufgeschlagen: nehmen sich die prachtvollen Schlösser, Burgen und übrigen Besitzthümer der oberschlesischen Magnaten desto romantischer aus. Man braucht hier nur an die großen Herrschaften der Grafen Henkel und Renard (dieses Urheulers und philantropischen Fuchses mit 240,000 Thlrn. jährlichen Einkommens), des Herzogs von Ratibor, des Grafen Hochberg, der Fürsten Hohenloh, der Herren von Tost, des Baron Rothschild und vieler anderer Grafen, Barone etc. zu erinnern. Dort in Oberschlesien liegen auch die buchstäblich verschleuderten Staatsgüter, der ehemalige Schul- und Kirchenbesitz, dessen Revenuen noch immer als Renten in diese unverantwortlichen Kassen fallen. Auf der einen Seite unglaublich schnelle Anhäufung von Reichthümern, kolossale Jahresrevenuen der "Gnädigen". Ein unlängst verstorbener Hr. v. Godulla, zur untern Stufe der "gnädigen" Herren zählend, hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von 6 Mill. Thalern, das ihm während c. 40 Jahren durch Bewohner Oberschlesiens erarbeitet worden. Auf der andern Seite fortschreitende Massenverarmung. Der Tagelohn für ländliche Arbeiter ist äußerst niedrig: für den Mann 5-6 Sgr., für die Frau 2 1/2 - 3 Sgr. ist schon als ein hoher Satz zu betrachten. Viele arbeiten nothgedrungen um ein Tagelohn von resp. 4 und 2 Sgr. und sogar darunter. Die Nahrung besteht fast einzig und allein aus Kartoffeln und Schnaps. Hätte der Arbeiter noch diese beiden Gegenstände in hinreichender Menge gehabt: so wären wenigstens Hungertod und Typhus von Oberschlesien fern geblieben. Als aber in Folge der Kartoffelkrankheit das Hauptnahrungsmittel immer theurer und seltener wurde, der Tagelohn aber nicht blos nicht stieg, sondern fiel: da griffen die Menschen nach Kräutern, die sie auf Feldern und in Wäldern pflückten, nach Quecken und Wurzeln und kochten sich Suppen aus gestohlnem Heu und aßen krepirtes Vieh. Ihre Kräfte schwanden. Der Schnaps wurde theurer und - noch schlechter als zuvor. "Schenker" heißen die meistentheils jüdischen Personen, welche gegen eine enorme Pacht an den "gnädigen" Herrn den Schnaps an das Volk verkaufen. Der "Schenker," auch "Arendator" genannt, war schon früher gewöhnt, den Schnaps, den er durch gehörige Portionen Wassers verdünnte, um die hohe Pacht für den Gnädigen und auch ein hübsches Sümmchen für sich selber herauszuschlagen, durch allerlei Ingredienzen, worunter Vitriolöl eine Hauptrolle spielt, zu kräftigen. Diese Giftmischerei nahm von Jahr zu Jahr zu und wurde nach dem Auftreten der Kartoffelfäule auf die höchste Spitze getrieben. Der durch Heu- und Queckensuppen und durch den Genuß roher Wurzeln geschwächte Magen des Landmanns konnte solcherlei Medizin nicht mehr überwinden. Bedenkt man ferner die schlechte Kleidung, die schmutzigen ungesunden Wohnungen, die Kälte im Winter, entweder Mangel an Arbeit oder an Kraft zur Arbeit: so wird man begreifen wie aus den Hungerzuständen sich sehr bald nicht mehr und nicht minder als in Irland der Typhus entwickelte. "Die Leute hatten nichts zum Zusetzen!" Damit ist Alles erklärt. Sie waren fortwährend von den Raubrittern und vom Staat so ausgesaugt und ausgepumpt worden, daß sie bei der geringsten Steigerung ihres Elends zu Grunde gehen mußten, wofern nicht der Staat und die Raubritterschaft, oder beide vereint, sich ins Mittel legten. Wie sie letzteres gethan, davon haben die Tausende und aber Tausende von Leichen, die der überfluthende Strom des Elends hinwegspülte, genügendes Zeugniß abgelegt. Die Raubritter, die Beamtenkaste und die ganze gottbegnadete königlich-preußische Regierungsschaar machte Geschäfte, bezog Gehälter, vertheilte Gratifikationen und führte Prachtbauten auf, während da unten, in den gemeinen Schichten des Volks, die vom Hunger und Typhus Gepeitschten hundertweise gleich dem Vieh zu krepiren anfingen und zu krepiren fortfuhren. Nicht viel besser, als mit den gewöhnlichen Tagearbeitern, stehts mit den Wirthen oder denjenigen, die ein Haus und ein größeres oder kleineres Stück Land dazu besitzen. Auch ihre Hauptnahrung ist: Kartoffeln und Schnaps. Was sie produziren, müssen sie verkaufen, um die Abgaben an den Gutsherrn, an den Staat etc. aufzubringen. Das Mästen von Schweinen, aus deren Verkauf sonst der Haupterlös gewonnen wurde, mußte in Folge der Kartoffelkrankheit entweder theilweise oder ganz unterbleiben. Fehlte doch die eigne Nahrung. Und noch Hofedienste thun zu müssen, hier vom "Gnädigen" oder dessen Beamten mit dem Kantschu barbarisch malträtirt zu werden, arbeitend, hungernd und geprügelt den Luxus und den Uebermuth der Raubritter und einer anschnauzenden Beamtenkaste mit ansehen und ertragen zu müssen! Das war und das ist das Loos eines großen Theils der wasserpolnischen Bevölkerung. Der kleine Mann, der durch Robotdienst an seiner Arbeitszeit verkürzt und aus Mangel an Kapital und Einsicht seine Aecker meist nur nach dem alten Schlendrian bestellt, mußte noch von dem in vielen Distrikten unendlich zahlreichen, weil zärtlich geschonten, herrschaftlichen Wilde seine Saaten zerwühlen und verwüsten und oft sein Ein und Alles vernichten sehen. Welche Behandlung dem "Hofgesinde," den Knechten und Mägden der "Gnädigen" zu Theil wird, läßt sich schon aus derjenigen ermessen, welche die robotpflichtigen Dorf-"Unterthanen" und die sogenannten Lohnarbeiter zu erdulden haben. Der Kantschu ist auch hier das Alpha und Omega des raubritterlichen Evangeliums. Der Ritter lebt indeß nicht umsonst im 19. Jahrhundert. Er hat von der Bourgeoisie tüchtig gelernt. Wie der Fabrikant durch eine Menge feinausgesponnener Strafbestimmungen seine Arbeiter um einen Theil ihres ohnehin niedrigen Lohnes zu prellen weiß, so nicht minder der ahnenreiche Raubritter, der eben außer seinen Ahnen und den bäuerlichen Silberzinsen und Robotdiensten ganz modernisirt und zu 3/4 Bourgeois geworden ist. Einer der oberschlesischen Standesherrn, der über 60,000 Morgen Land besitzt, hat auf seinen Gütern neben dem Kantschu auch fabrikmäßige Geldstrafen eingeführt. Wir wollen nur eins der tausend Beispiele anführen, wie man diese anwendet, weil wir bei dieser raubritterlichen Prozedur zugegen waren. Ein Pferdeknecht auf den Gütern des Standesherrn hatte Sonntags ein Glas Schnaps über den Durst getrunken: Er begegnet einem ahnenreichen Wirthschafts-Eleven, Hrn. v. N. N., von dem er sogleich mit den Worten angeredet wird: "Du verfluchter Schweinhund, wo kommst Du her? Du kommst gewiß aus dem Wirthshause?" (Wir bemerken, daß dies zur Zeit der "Enthaltsamkeits"-Tollwuth geschah). Der Knecht, der Soldat gewesen, erwiderte, das gehe heute, da Sonntag sei, den gnädigen Herrn nichts an; er kümmere sich ja nicht, wie viel Flaschen Champagner die gnädigen Herrn ausgestochen hätten; er (der Knecht) könne bei seinem Lohn freilich nur Schnaps saufen." Auf diese plebejische Antwort regnete es nicht blos zwei Backpfeifen, sondern dem Knecht wurden als Ordnungsstrafe und wegen "ungeziemender Begegnung" eines Vorgesetzten 24 Sgr. am Lohne abgezogen. Der Knecht hatte aber nur 25 Sgr. monatlichen Lohn, so daß ihm für einen ganzen Monat auf Kleider, Stiefeln, Taback etc. - 1 Sgr. übrig blieb. Und nebenbei bemerkt, der gnädige Herr war bei weitem mehr besoffen als der Knecht. Wird übrigens einer der herrschaftlichen Dienstboten alt oder sonst arbeitsunfähig, so entläßt man ihn und er fällt der Gemeinde, deren Gutsherrn er Jahre lang gedient, zur Last. Die Raubritterschaft schaltet und waltet nach Belieben. Aus ihren Reihen werden die Landräthe genommen; sie übt die Dominial- und Distriktspolizei und die ganze Büreaukratie arbeitet in ihrem Interesse. Dazu kommt, daß dem wasserpolnischen Bauer nicht blos ein deutsches - das wäre vielleicht zu humanisiren - sondern ein altpreußisches Beamtenthum mit seiner preußischen Sprache und seinem Landrecht gegenübersteht. Von allen Seiten ausgesaugt, malträtirt, verhöhnt, gekantschut und in Fesseln geschlagen, mußte das oberschlesische Landvolk endlich auf den Punkt gelangen, auf dem es angekommen ist. Hun- Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 281. Köln, Mittwoch, den 25. April 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau. Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. ‒ Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. ‒ Nur frankirte Briefe werden angenommen. ‒ Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro.17. Uebersicht. Deutschland. Köln (Zur „schlesischen Milliarde.“ ‒ Oberschlesien.) Berlin (Klatsch.) Danzig (Blockade.) Königsberg (Landwehrangelegenheit.) Schleswig-Holstein (Die Regierung. ‒ Kaiserschüsse.) Gravenstein und Apenrade (Einrücken nach Jütland. ‒ Rüstungen.) Frankfurt (Wahlverweigerung in Baden: ‒ Ritter Schmerling.) Stuttgart (Die Ministerkrisis.) Ungarn. Vom Kriegsschauplatze. Polen. Krakau (Steigende Aufregung unter dem Landvolk.) Lemberg (Oestreichische Regierungs-Brutalitäten.) Italien. (Insurrektion in Livorno). Florenz. (Die Contrerevolution). Rom. (Die Zwangsanleihe. ‒ Protest in Paris). Palermo. (Vernichtung der Neapolitaner in Trapani). Turin. (Unterhandlung mit Oestreich). Mailand. (Exekutionen). Französische Republik. Paris. (Protestation des römischen Gesandten. ‒ Fould, Goudchaux und Rothschild. ‒ Odilon Barrot und die römische Expedition. ‒ Vermischtes). Deutschland. * Köln, 21. April. In einer Reihe von Artikeln über die „schlesische Milliarde“ ist nachgewiesen worden, was Schlesien, und namentlich die schlesischen Bauern, unter dem gottbegnadeten Regimente der Hohenzollern und ihrer untergebenen Raubritter, blos in den letzten dreißig Jahren theils auf Grund eines betrügerischen Ablösungsgesetzes, theils in Form fortwährender Robotdienste oder Hofetage, Zinsen und Naturalleistungen an die Fürsten, Grafen und Herren zu zahlen gezwungen worden und endlich wie groß annäherungsweise die Summe ist, welche das schlesische Landvolk von seinen Junkern und Heu-Baronen am Abrechnungstage zurückzufordern hat. An den schlesischen Zuständen haben wir die Zustände des ganzen feudalen Deutschlands abgespiegelt. Die Ausbeutung des Landvolks durch das Raubritterthum „von Gottes Gnaden“ hat sich lediglich dort durch ein Mehr, dort durch ein Minder unterschieden. Bei unsern Schilderungen hatten wir bisher hauptsächlich Niederschlesien, den deutschen Theil, im Auge. Heute werden wir speziell von Oberschlesien, dem vorwiegend wasserpolnischen Theile sprechen. Schon der Wunsch nach einiger Vollständigkeit würde das verlangen. Viel mehr drängt uns aber dazu der von Oberschlesien her auf's Neu sich erhebende Verzweiflungsschrei einer dem Hungertode und der Hungerpest in den Rachen gejagten Bevölkerung. Um zu begreifen, wie es mit der bekannten „Perle“ in der Hohenzollern'sche Krone bis auf diesen äußersten Punkt hat kommen können, dazu bedarf es nach den vorausgegangenen Artikeln über die „schlesische Milliarde“ nur noch einiger Worte. Denn das dort Gesagte gilt nicht blos vollständig, sondern noch in verstärktem Maaße für Oberschlesien. Hier haus'ten die Raubritter noch unverschämter, hier prellten und plünderten sie die Bauern rücksichtsloser, hier behandelten sie ihn noch weit brutaler als im deutschen Theile, in Niederschlesien. Der Eine ist die zweite Potenz des Andern. Deutschland erinnert sich der Aufrufe, die im Winter 1847‒48 für die „bedrängten oberschlesischen“ Brüder, zur „Linderung und Abhülfe der erschrecklichen Noth“ von Breslau und andern Orten her erlassen wurden. Ganz Deutschland sammelte in dieses Sieb des Elends seine ersparten Heller, von denen, wie wir erfahren, ein recht artiger Rest von etwa 100,000 Thalern noch immer in den Händen der Regierung sich befindet. Wenige von denen, die ihre Pfennige mitleidsvoll nach Schlesien sandten, mochten daran denken, daß sie lediglich der preußischen Regierung und ihrer Ritterschaft ein Almosen gaben. Es wären ohne die Beisteuern aus Deutschland nicht mehr Personen dem Hunger und dem Typhus zum Opfer gefallen, als es so geschehen. Entweder die Regierung hätte eine eben so große Summe, als aus Deutschland zusammenkam, herbeischaffen müssen. Dann freilich konnte sie etwas weniger Erziehungsgelder, Gratifikationen und Geschenke an adlige unverschämte Arme (arm mit 10, 15, 20 und mehr Tausend Thalern jährlichen Einkommens) austheilen und vielleicht einige Wildnetze weniger anfertigen lassen. Oder die oberschlesische Ritterschaft selber mußte Einiges von ihren Raubthalern abgeben. Denn jener rein proletarischen Krankheit, dem Hungertyphus, durfte man nicht fortwährend ruhig zuschauen. Nicht wegen des „Bauernpacks“, wie es die Herren Ritter nennen: was zum Henker! sollte man sich darum kümmern! Aber einmal fehlt es zeitweise an Arbeitern, wenn ungewöhnlich große Massen jenes „Bauernpacks“ hingerafft werden. Wer verrichtet dem „gnädigen“ Herrn die Hofedienste? und wer zahlt ihm die gutsherrlichen Abgaben? Er muß stunden oder bekommt in vielen Fällen gar nichts. Drum leidet der raubritterliche Geldbeutel und das ist ‒ auf Ehre ‒ gerade so der empfindlichste Theil bei einem „Gnädigen“ von 340 Ahnen, Stallknechte und Kuhmägde mit eingerechnet, wie bei dem raffinirtesten Bourgeois oder dem schmutzigsten Börsenjuden. Zweitens ist jene proletarische Krankheit in ihrer weitern Entwicklung bösartig genug, die Todeshand bis in die raubritterlichen Reihen selber auszustrecken. Die beiden theuersten Dinge: Leben und Geldbeutel, bedroht: das wäre genug gewesen, um die gnädigen Herrn zu einem vollen Griff in die Tasche, zu Maßregeln einiger Abhülfe und Linderung, zu vermögen. Deutschland ersparte ihnen durch seine Sammlungen den größten Theil einer Ausgabe für das „Bauernpack“, das in den Augen des Ritters keinen andern Werth hat, als sein Vieh, in soweit er eben das eine wie das andre ausbeuten kann. Jetzt wüthet abermals der Hunger und sein Bundesgenosse, der Typhus, in jenen Distrikten, die bereits voriges Jahr so unendlich gelitten. Sogar die Krautjunker- und Geldsack-Kammer zu Berlin hat den greulichen Zuständen in den Kreisen Rybnick und Pleß ihre hohe Aufmerksamkeit und ihre philantropischen Redensarten zugewandt. Deutschland wird nun wohl um etwas klüger geworden sein und dem seit 30 Jahren angefüllten (!) Staatsschatze der Hohenzollern die Sorge für das oberschlesische Irland überlassen. Der Hunger, der ganze Landstrecken Oberschlesiens verheert und die aus ihm erzeugte Epidemie: sie rühren wahrlich nicht von dem durchaus gefunden Klima und einer Mißärnte oder Ueberschwemmung her. Es gab weder Mißärnte noch Ueberschwemmung. Hunger und Epidemie und das ganze oberschlesische Elend sind nur die unvermeidlichen Folgen der Unverschämtheit jener ausbeutenden Raubritter, jener „todten Hand“ der Domänen-Wirthschaft, jener Indolenz der Regierung, die Alles gehen und geschehen ließ, was nicht wider das heilige preußische Landrecht und die Ruhe und Bequemlichkeit einer christlich-germanischen Beamtenkaste verstieß. Zur größern Hälfte ist Grund und Boden in den Händen großer Grundbesitzer, des Fiskus und der „todten Hand“. Nur zwei Fünftel der gesammten Ländereien sind in den Händen der Bauern und mit Frohnden und Abgaben an die Gutsherrn, wie mit Steuern an den Staat, an Kirche, Schule, Kreis und Gemeinde auf's Unglaublichste und Schamloseste überlastet, während die „gnädigen“ Herren im Verhältniß zu den Bauern höchstens eine wahre Lumperei an den Staat entrichten. Bebaut werden die zwei Fünftel Land der kleinen Leute von einer dreifach größeren Zahl Menschen, als jene drei Fünftel Land der „gnädigen“ Herren. Der Bauer ist aus Mangel an Kapital und Einsicht in der Kultur zurückgeblieben, während die großen Gütermassen oft von mehr als 30-40,000 Morgen aus Mangel an Arbeitskraft, Uebersicht und Sorgfalt ebenfalls einen weit geringern Ertrag liefern, als andere, aber besser verwaltete Länderstriche Deutschlands, wo bei gleicher Bodengüte das Vierfache produzirt wird. Dem in der Residenz, in Bädern, auf Reisen etc. schwelgenden Standesherrn verschlägt es wenig, wie der Boden bewirthschaftet wird. Er bezieht bei der Größe seines Besitzthums an Ackerland, Wiesen, Forsten, Teichen, Bergwerken, Schafheerden, Branntweinbrennereien etc., bei den geringen oder keinen Abgaben an den Staat und bei den desto größeren Einnahmen an Laudemien, Silberzinsen etc. aus den bäuerlichen Taschen doch immer eine größere Summe, als er auf gewöhnlichem Wege zu vergeuden im Stande ist. Was frägt der Bureaukrat danach, ob die Domänen brach liegen in den Händen fauler Schützlinge? Wenn der Tag der Rente kommt, werden die Silberzinsen mittelst der Knute vom Bauer eingetrieben, wenn er sie nicht freiwillig zahlen will. Und so zwangen Mangel an Kapital und Kredit und Ueberfluß an Abgaben und Leistungen an die Raubritter, wie an Staat und Kirche, den Bauer, sich dem Juden in die Arme zu werfen und in den Schlingen des pfiffigen Wuchrers ohnmächtig zappelnd zu verenden. In der langen Erniedrigung und Knechtschaft, in welchen das oberschlesische Landvolk durch die christlich-germanische Regierung und ihre Raubritterschaft danieder gehalten worden, hat der Bauer seinen einzigen Trost, wie seine Stärkung und halbe Nahrung im Branntwein gefunden. Man muß es den „gnädigen“ Herren lassen, daß sie dem Bauer diesen Artikel aus ihren großen Brennereien reichlich und zu immer billigern Preisen verschafften. In diesem stärksten Consumtionsartikel des oberschlesischen Bauern, machten sie vortreffliche Geschäfte. Von welcher Seite man also auch den Bauer betrachtet, überall erblickt man einen raubritterlichen Saugrüssel, der jeden neuen Blutstropfen des Landmannes an sich zieht und in seiner gottbegnadeten Wirksamkeit nur durch rasches vollständiges Abhauen gehemmt werden kann. Neben den Lehmhütten der wasserpolakischen Bauern, wo Hunger, Typhus und Verthierung ihre Stätte aufgeschlagen: nehmen sich die prachtvollen Schlösser, Burgen und übrigen Besitzthümer der oberschlesischen Magnaten desto romantischer aus. Man braucht hier nur an die großen Herrschaften der Grafen Henkel und Renard (dieses Urheulers und philantropischen Fuchses mit 240,000 Thlrn. jährlichen Einkommens), des Herzogs von Ratibor, des Grafen Hochberg, der Fürsten Hohenloh, der Herren von Tost, des Baron Rothschild und vieler anderer Grafen, Barone etc. zu erinnern. Dort in Oberschlesien liegen auch die buchstäblich verschleuderten Staatsgüter, der ehemalige Schul- und Kirchenbesitz, dessen Revenuen noch immer als Renten in diese unverantwortlichen Kassen fallen. Auf der einen Seite unglaublich schnelle Anhäufung von Reichthümern, kolossale Jahresrevenuen der „Gnädigen“. Ein unlängst verstorbener Hr. v. Godulla, zur untern Stufe der „gnädigen“ Herren zählend, hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von 6 Mill. Thalern, das ihm während c. 40 Jahren durch Bewohner Oberschlesiens erarbeitet worden. Auf der andern Seite fortschreitende Massenverarmung. Der Tagelohn für ländliche Arbeiter ist äußerst niedrig: für den Mann 5-6 Sgr., für die Frau 2 1/2 - 3 Sgr. ist schon als ein hoher Satz zu betrachten. Viele arbeiten nothgedrungen um ein Tagelohn von resp. 4 und 2 Sgr. und sogar darunter. Die Nahrung besteht fast einzig und allein aus Kartoffeln und Schnaps. Hätte der Arbeiter noch diese beiden Gegenstände in hinreichender Menge gehabt: so wären wenigstens Hungertod und Typhus von Oberschlesien fern geblieben. Als aber in Folge der Kartoffelkrankheit das Hauptnahrungsmittel immer theurer und seltener wurde, der Tagelohn aber nicht blos nicht stieg, sondern fiel: da griffen die Menschen nach Kräutern, die sie auf Feldern und in Wäldern pflückten, nach Quecken und Wurzeln und kochten sich Suppen aus gestohlnem Heu und aßen krepirtes Vieh. Ihre Kräfte schwanden. Der Schnaps wurde theurer und ‒ noch schlechter als zuvor. „Schenker“ heißen die meistentheils jüdischen Personen, welche gegen eine enorme Pacht an den „gnädigen“ Herrn den Schnaps an das Volk verkaufen. Der „Schenker,“ auch „Arendator“ genannt, war schon früher gewöhnt, den Schnaps, den er durch gehörige Portionen Wassers verdünnte, um die hohe Pacht für den Gnädigen und auch ein hübsches Sümmchen für sich selber herauszuschlagen, durch allerlei Ingredienzen, worunter Vitriolöl eine Hauptrolle spielt, zu kräftigen. Diese Giftmischerei nahm von Jahr zu Jahr zu und wurde nach dem Auftreten der Kartoffelfäule auf die höchste Spitze getrieben. Der durch Heu- und Queckensuppen und durch den Genuß roher Wurzeln geschwächte Magen des Landmanns konnte solcherlei Medizin nicht mehr überwinden. Bedenkt man ferner die schlechte Kleidung, die schmutzigen ungesunden Wohnungen, die Kälte im Winter, entweder Mangel an Arbeit oder an Kraft zur Arbeit: so wird man begreifen wie aus den Hungerzuständen sich sehr bald nicht mehr und nicht minder als in Irland der Typhus entwickelte. „Die Leute hatten nichts zum Zusetzen!“ Damit ist Alles erklärt. Sie waren fortwährend von den Raubrittern und vom Staat so ausgesaugt und ausgepumpt worden, daß sie bei der geringsten Steigerung ihres Elends zu Grunde gehen mußten, wofern nicht der Staat und die Raubritterschaft, oder beide vereint, sich ins Mittel legten. Wie sie letzteres gethan, davon haben die Tausende und aber Tausende von Leichen, die der überfluthende Strom des Elends hinwegspülte, genügendes Zeugniß abgelegt. Die Raubritter, die Beamtenkaste und die ganze gottbegnadete königlich-preußische Regierungsschaar machte Geschäfte, bezog Gehälter, vertheilte Gratifikationen und führte Prachtbauten auf, während da unten, in den gemeinen Schichten des Volks, die vom Hunger und Typhus Gepeitschten hundertweise gleich dem Vieh zu krepiren anfingen und zu krepiren fortfuhren. Nicht viel besser, als mit den gewöhnlichen Tagearbeitern, stehts mit den Wirthen oder denjenigen, die ein Haus und ein größeres oder kleineres Stück Land dazu besitzen. Auch ihre Hauptnahrung ist: Kartoffeln und Schnaps. Was sie produziren, müssen sie verkaufen, um die Abgaben an den Gutsherrn, an den Staat etc. aufzubringen. Das Mästen von Schweinen, aus deren Verkauf sonst der Haupterlös gewonnen wurde, mußte in Folge der Kartoffelkrankheit entweder theilweise oder ganz unterbleiben. Fehlte doch die eigne Nahrung. Und noch Hofedienste thun zu müssen, hier vom „Gnädigen“ oder dessen Beamten mit dem Kantschu barbarisch malträtirt zu werden, arbeitend, hungernd und geprügelt den Luxus und den Uebermuth der Raubritter und einer anschnauzenden Beamtenkaste mit ansehen und ertragen zu müssen! Das war und das ist das Loos eines großen Theils der wasserpolnischen Bevölkerung. Der kleine Mann, der durch Robotdienst an seiner Arbeitszeit verkürzt und aus Mangel an Kapital und Einsicht seine Aecker meist nur nach dem alten Schlendrian bestellt, mußte noch von dem in vielen Distrikten unendlich zahlreichen, weil zärtlich geschonten, herrschaftlichen Wilde seine Saaten zerwühlen und verwüsten und oft sein Ein und Alles vernichten sehen. Welche Behandlung dem „Hofgesinde,“ den Knechten und Mägden der „Gnädigen“ zu Theil wird, läßt sich schon aus derjenigen ermessen, welche die robotpflichtigen Dorf-„Unterthanen“ und die sogenannten Lohnarbeiter zu erdulden haben. Der Kantschu ist auch hier das Alpha und Omega des raubritterlichen Evangeliums. Der Ritter lebt indeß nicht umsonst im 19. Jahrhundert. Er hat von der Bourgeoisie tüchtig gelernt. Wie der Fabrikant durch eine Menge feinausgesponnener Strafbestimmungen seine Arbeiter um einen Theil ihres ohnehin niedrigen Lohnes zu prellen weiß, so nicht minder der ahnenreiche Raubritter, der eben außer seinen Ahnen und den bäuerlichen Silberzinsen und Robotdiensten ganz modernisirt und zu 3/4 Bourgeois geworden ist. Einer der oberschlesischen Standesherrn, der über 60,000 Morgen Land besitzt, hat auf seinen Gütern neben dem Kantschu auch fabrikmäßige Geldstrafen eingeführt. Wir wollen nur eins der tausend Beispiele anführen, wie man diese anwendet, weil wir bei dieser raubritterlichen Prozedur zugegen waren. Ein Pferdeknecht auf den Gütern des Standesherrn hatte Sonntags ein Glas Schnaps über den Durst getrunken: Er begegnet einem ahnenreichen Wirthschafts-Eleven, Hrn. v. N. N., von dem er sogleich mit den Worten angeredet wird: „Du verfluchter Schweinhund, wo kommst Du her? Du kommst gewiß aus dem Wirthshause?“ (Wir bemerken, daß dies zur Zeit der „Enthaltsamkeits“-Tollwuth geschah). Der Knecht, der Soldat gewesen, erwiderte, das gehe heute, da Sonntag sei, den gnädigen Herrn nichts an; er kümmere sich ja nicht, wie viel Flaschen Champagner die gnädigen Herrn ausgestochen hätten; er (der Knecht) könne bei seinem Lohn freilich nur Schnaps saufen.“ Auf diese plebejische Antwort regnete es nicht blos zwei Backpfeifen, sondern dem Knecht wurden als Ordnungsstrafe und wegen „ungeziemender Begegnung“ eines Vorgesetzten 24 Sgr. am Lohne abgezogen. Der Knecht hatte aber nur 25 Sgr. monatlichen Lohn, so daß ihm für einen ganzen Monat auf Kleider, Stiefeln, Taback etc. ‒ 1 Sgr. übrig blieb. Und nebenbei bemerkt, der gnädige Herr war bei weitem mehr besoffen als der Knecht. Wird übrigens einer der herrschaftlichen Dienstboten alt oder sonst arbeitsunfähig, so entläßt man ihn und er fällt der Gemeinde, deren Gutsherrn er Jahre lang gedient, zur Last. Die Raubritterschaft schaltet und waltet nach Belieben. Aus ihren Reihen werden die Landräthe genommen; sie übt die Dominial- und Distriktspolizei und die ganze Büreaukratie arbeitet in ihrem Interesse. Dazu kommt, daß dem wasserpolnischen Bauer nicht blos ein deutsches ‒ das wäre vielleicht zu humanisiren ‒ sondern ein altpreußisches Beamtenthum mit seiner preußischen Sprache und seinem Landrecht gegenübersteht. Von allen Seiten ausgesaugt, malträtirt, verhöhnt, gekantschut und in Fesseln geschlagen, mußte das oberschlesische Landvolk endlich auf den Punkt gelangen, auf dem es angekommen ist. Hun- <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="1585"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 281. Köln, Mittwoch, den 25. April 1849.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="jExpedition"> <p>Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.</p> <p>Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. ‒ Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. ‒ Nur frankirte Briefe werden angenommen. ‒ Expedition in Aachen bei <hi rendition="#g">Ernst ter Meer;</hi> in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro.17.</p> </div> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <div xml:id="ar281_001" type="jArticle"> <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Köln (Zur „schlesischen Milliarde.“ ‒ Oberschlesien.) Berlin (Klatsch.) Danzig (Blockade.) Königsberg (Landwehrangelegenheit.) Schleswig-Holstein (Die Regierung. ‒ Kaiserschüsse.) Gravenstein und Apenrade (Einrücken nach Jütland. ‒ Rüstungen.) Frankfurt (Wahlverweigerung in Baden: ‒ Ritter Schmerling.) Stuttgart (Die Ministerkrisis.)</p> <p><hi rendition="#g">Ungarn.</hi> Vom Kriegsschauplatze.</p> <p><hi rendition="#g">Polen.</hi> Krakau (Steigende Aufregung unter dem Landvolk.) Lemberg (Oestreichische Regierungs-Brutalitäten.)</p> <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> (Insurrektion in Livorno). Florenz. (Die Contrerevolution). Rom. (Die Zwangsanleihe. ‒ Protest in Paris). Palermo. (Vernichtung der Neapolitaner in Trapani). Turin. (Unterhandlung mit Oestreich). Mailand. (Exekutionen).</p> <p><hi rendition="#g">Französische Republik.</hi> Paris. (Protestation des römischen Gesandten. ‒ Fould, Goudchaux und Rothschild. ‒ Odilon Barrot und die römische Expedition. ‒ Vermischtes).</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar281_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 21. April.</head> <p>In einer Reihe von Artikeln über die „<hi rendition="#g">schlesische Milliarde</hi>“ ist nachgewiesen worden, was Schlesien, und namentlich die schlesischen Bauern, unter dem gottbegnadeten Regimente der Hohenzollern und ihrer untergebenen Raubritter, blos in den letzten dreißig Jahren theils auf Grund eines betrügerischen Ablösungsgesetzes, theils in Form fortwährender Robotdienste oder Hofetage, Zinsen und Naturalleistungen an die Fürsten, Grafen und Herren zu zahlen gezwungen worden und endlich wie groß annäherungsweise die Summe ist, welche das schlesische Landvolk von seinen Junkern und Heu-Baronen am Abrechnungstage zurückzufordern hat.</p> <p>An den schlesischen Zuständen haben wir die Zustände des ganzen feudalen Deutschlands abgespiegelt. Die Ausbeutung des Landvolks durch das Raubritterthum „von Gottes Gnaden“ hat sich lediglich dort durch ein Mehr, dort durch ein Minder unterschieden. Bei unsern Schilderungen hatten wir bisher hauptsächlich Niederschlesien, den deutschen Theil, im Auge.</p> <p>Heute werden wir speziell von Oberschlesien, dem vorwiegend wasserpolnischen Theile sprechen. Schon der Wunsch nach einiger Vollständigkeit würde das verlangen. Viel mehr drängt uns aber dazu der von Oberschlesien her auf's Neu sich erhebende Verzweiflungsschrei einer dem Hungertode und der Hungerpest in den Rachen gejagten Bevölkerung.</p> <p>Um zu begreifen, wie es mit der bekannten „Perle“ in der Hohenzollern'sche Krone bis auf diesen äußersten Punkt hat kommen können, dazu bedarf es nach den vorausgegangenen Artikeln über die „schlesische Milliarde“ nur noch einiger Worte. Denn das dort Gesagte gilt nicht blos vollständig, sondern noch in verstärktem Maaße für Oberschlesien. Hier haus'ten die Raubritter noch unverschämter, hier prellten und plünderten sie die Bauern rücksichtsloser, hier behandelten sie ihn noch weit brutaler als im deutschen Theile, in Niederschlesien. Der Eine ist die zweite Potenz des Andern.</p> <p>Deutschland erinnert sich der Aufrufe, die im Winter 1847‒48 für die „bedrängten oberschlesischen“ Brüder, zur „Linderung und Abhülfe der erschrecklichen Noth“ von Breslau und andern Orten her erlassen wurden. Ganz Deutschland sammelte in dieses Sieb des Elends seine ersparten Heller, von denen, wie wir erfahren, ein recht artiger Rest von etwa <hi rendition="#b">100,000 Thalern noch immer in den Händen der Regierung sich befindet.</hi> Wenige von denen, die ihre Pfennige mitleidsvoll nach Schlesien sandten, mochten daran denken, daß sie lediglich der preußischen Regierung und ihrer Ritterschaft ein Almosen gaben. Es wären ohne die Beisteuern aus Deutschland nicht mehr Personen dem Hunger und dem Typhus zum Opfer gefallen, als es so geschehen. Entweder die Regierung hätte eine eben so große Summe, als aus Deutschland zusammenkam, herbeischaffen müssen. Dann freilich konnte sie etwas weniger Erziehungsgelder, Gratifikationen und Geschenke an adlige unverschämte Arme (arm mit 10, 15, 20 und mehr Tausend Thalern jährlichen Einkommens) austheilen und vielleicht einige Wildnetze weniger anfertigen lassen. Oder die oberschlesische Ritterschaft selber mußte Einiges von ihren Raubthalern abgeben. Denn jener rein proletarischen Krankheit, dem Hungertyphus, durfte man nicht fortwährend ruhig zuschauen. Nicht wegen des „Bauernpacks“, wie es die Herren Ritter nennen: was zum Henker! sollte man sich darum kümmern! Aber einmal fehlt es zeitweise an Arbeitern, wenn ungewöhnlich große Massen jenes „Bauernpacks“ hingerafft werden. Wer verrichtet dem „gnädigen“ Herrn die Hofedienste? und wer zahlt ihm die gutsherrlichen Abgaben? Er muß stunden oder bekommt in vielen Fällen gar nichts. Drum leidet der raubritterliche Geldbeutel und das ist ‒ auf Ehre ‒ gerade so der empfindlichste Theil bei einem „Gnädigen“ von 340 Ahnen, Stallknechte und Kuhmägde mit eingerechnet, wie bei dem raffinirtesten Bourgeois oder dem schmutzigsten Börsenjuden. Zweitens ist jene proletarische Krankheit in ihrer weitern Entwicklung bösartig genug, die Todeshand bis in die raubritterlichen Reihen selber auszustrecken. Die beiden theuersten Dinge: Leben und Geldbeutel, bedroht: das wäre genug gewesen, um die gnädigen Herrn zu einem vollen Griff in die Tasche, zu Maßregeln einiger Abhülfe und Linderung, zu vermögen. Deutschland ersparte ihnen durch seine Sammlungen den größten Theil einer Ausgabe für das „Bauernpack“, das in den Augen des Ritters keinen andern Werth hat, als sein Vieh, in soweit er eben das eine wie das andre ausbeuten kann.</p> <p>Jetzt wüthet abermals der Hunger und sein Bundesgenosse, der Typhus, in jenen Distrikten, die bereits voriges Jahr so unendlich gelitten. Sogar die Krautjunker- und Geldsack-Kammer zu Berlin hat den greulichen Zuständen in den Kreisen <hi rendition="#g">Rybnick</hi> und <hi rendition="#g">Pleß</hi> ihre hohe Aufmerksamkeit und ihre philantropischen Redensarten zugewandt.</p> <p>Deutschland wird nun wohl um etwas klüger geworden sein und dem seit 30 Jahren angefüllten (!) Staatsschatze der Hohenzollern die Sorge für das oberschlesische Irland überlassen.</p> <p>Der Hunger, der ganze Landstrecken Oberschlesiens verheert und die aus ihm erzeugte Epidemie: sie rühren wahrlich nicht von dem durchaus gefunden Klima und einer Mißärnte oder Ueberschwemmung her. Es gab weder Mißärnte noch Ueberschwemmung. Hunger und Epidemie und das ganze oberschlesische Elend sind nur die unvermeidlichen Folgen der Unverschämtheit jener ausbeutenden Raubritter, jener „todten Hand“ der Domänen-Wirthschaft, jener Indolenz der Regierung, die Alles gehen und geschehen ließ, was nicht wider das heilige preußische Landrecht und die Ruhe und Bequemlichkeit einer christlich-germanischen Beamtenkaste verstieß.</p> <p>Zur größern Hälfte ist Grund und Boden in den Händen großer Grundbesitzer, des Fiskus und der „todten Hand“. Nur zwei Fünftel der gesammten Ländereien sind in den Händen der Bauern und mit Frohnden und Abgaben an die Gutsherrn, wie mit Steuern an den Staat, an Kirche, Schule, Kreis und Gemeinde auf's Unglaublichste und Schamloseste überlastet, während die „gnädigen“ Herren im Verhältniß zu den Bauern höchstens eine wahre Lumperei an den Staat entrichten. Bebaut werden die zwei Fünftel Land der kleinen Leute von einer dreifach größeren Zahl Menschen, als jene drei Fünftel Land der „gnädigen“ Herren. Der Bauer ist aus Mangel an Kapital und Einsicht in der Kultur zurückgeblieben, während die großen Gütermassen oft von mehr als 30-40,000 Morgen aus Mangel an Arbeitskraft, Uebersicht und Sorgfalt ebenfalls einen weit geringern Ertrag liefern, als andere, aber besser verwaltete Länderstriche Deutschlands, wo bei gleicher Bodengüte das Vierfache produzirt wird. Dem in der Residenz, in Bädern, auf Reisen etc. schwelgenden Standesherrn verschlägt es wenig, wie der Boden bewirthschaftet wird. Er bezieht bei der Größe seines Besitzthums an Ackerland, Wiesen, Forsten, Teichen, Bergwerken, Schafheerden, Branntweinbrennereien etc., bei den geringen oder keinen Abgaben an den Staat und bei den desto größeren Einnahmen an Laudemien, Silberzinsen etc. aus den bäuerlichen Taschen doch immer eine größere Summe, als er auf gewöhnlichem Wege zu vergeuden im Stande ist. Was frägt der Bureaukrat danach, ob die Domänen brach liegen in den Händen fauler Schützlinge? Wenn der Tag der Rente kommt, werden die Silberzinsen mittelst der Knute vom Bauer eingetrieben, wenn er sie nicht freiwillig zahlen will. Und so zwangen Mangel an Kapital und Kredit und Ueberfluß an Abgaben und Leistungen an die Raubritter, wie an Staat und Kirche, den Bauer, sich dem Juden in die Arme zu werfen und in den Schlingen des pfiffigen Wuchrers ohnmächtig zappelnd zu verenden.</p> <p>In der langen Erniedrigung und Knechtschaft, in welchen das oberschlesische Landvolk durch die christlich-germanische Regierung und ihre Raubritterschaft danieder gehalten worden, hat der Bauer seinen einzigen Trost, wie seine Stärkung und halbe Nahrung im <hi rendition="#g">Branntwein</hi> gefunden. Man muß es den „gnädigen“ Herren lassen, daß sie dem Bauer diesen Artikel aus ihren großen Brennereien reichlich und zu immer billigern Preisen verschafften. In diesem stärksten Consumtionsartikel des oberschlesischen Bauern, machten sie vortreffliche Geschäfte. Von welcher Seite man also auch den Bauer betrachtet, überall erblickt man einen raubritterlichen Saugrüssel, der jeden neuen Blutstropfen des Landmannes an sich zieht und in seiner gottbegnadeten Wirksamkeit nur durch rasches vollständiges Abhauen gehemmt werden kann.</p> <p>Neben den Lehmhütten der wasserpolakischen Bauern, wo Hunger, Typhus und Verthierung ihre Stätte aufgeschlagen: nehmen sich die prachtvollen Schlösser, Burgen und übrigen Besitzthümer der oberschlesischen Magnaten desto romantischer aus. Man braucht hier nur an die großen Herrschaften der Grafen Henkel und Renard (dieses Urheulers und philantropischen Fuchses mit 240,000 Thlrn. jährlichen Einkommens), des Herzogs von Ratibor, des Grafen Hochberg, der Fürsten Hohenloh, der Herren von Tost, des Baron Rothschild und vieler anderer Grafen, Barone etc. zu erinnern. Dort in Oberschlesien liegen auch die buchstäblich verschleuderten Staatsgüter, der ehemalige Schul- und Kirchenbesitz, dessen Revenuen noch immer als Renten in diese unverantwortlichen Kassen fallen. Auf der einen Seite unglaublich schnelle Anhäufung von Reichthümern, kolossale Jahresrevenuen der „Gnädigen“. Ein unlängst verstorbener Hr. v. Godulla, zur <hi rendition="#g">untern</hi> Stufe der „gnädigen“ Herren zählend, hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von 6 Mill. Thalern, das ihm während c. 40 Jahren durch Bewohner Oberschlesiens erarbeitet worden.</p> <p>Auf der andern Seite fortschreitende Massenverarmung.</p> <p>Der Tagelohn für ländliche Arbeiter ist äußerst niedrig: für den Mann 5-6 Sgr., für die Frau 2 1/2 - 3 Sgr. ist schon als ein hoher Satz zu betrachten. Viele arbeiten nothgedrungen um ein Tagelohn von resp. 4 und 2 Sgr. und sogar darunter. Die Nahrung besteht fast einzig und allein aus Kartoffeln und Schnaps. Hätte der Arbeiter noch diese beiden Gegenstände in hinreichender Menge gehabt: so wären wenigstens Hungertod und Typhus von Oberschlesien fern geblieben. Als aber in Folge der Kartoffelkrankheit das Hauptnahrungsmittel immer theurer und seltener wurde, der Tagelohn aber nicht blos nicht stieg, sondern <hi rendition="#g">fiel:</hi> da griffen die Menschen nach Kräutern, die sie auf Feldern und in Wäldern pflückten, nach Quecken und Wurzeln und kochten sich Suppen aus gestohlnem Heu und aßen krepirtes Vieh. Ihre Kräfte schwanden. Der Schnaps wurde theurer und ‒ noch schlechter als zuvor. „Schenker“ heißen die meistentheils jüdischen Personen, welche gegen eine enorme Pacht an den „gnädigen“ Herrn den Schnaps an das Volk verkaufen. Der „Schenker,“ auch „Arendator“ genannt, war schon früher gewöhnt, den Schnaps, den er durch gehörige Portionen Wassers verdünnte, um die hohe Pacht für den Gnädigen und auch ein hübsches Sümmchen für sich selber herauszuschlagen, durch allerlei Ingredienzen, worunter <hi rendition="#g">Vitriolöl</hi> eine Hauptrolle spielt, zu kräftigen. Diese Giftmischerei nahm von Jahr zu Jahr zu und wurde nach dem Auftreten der Kartoffelfäule auf die höchste Spitze getrieben. Der durch Heu- und Queckensuppen und durch den Genuß roher Wurzeln geschwächte Magen des Landmanns konnte solcherlei Medizin nicht mehr überwinden. Bedenkt man ferner die schlechte Kleidung, die schmutzigen ungesunden Wohnungen, die Kälte im Winter, entweder Mangel an Arbeit oder an Kraft zur Arbeit: so wird man begreifen wie aus den Hungerzuständen sich sehr bald nicht mehr und nicht minder als in Irland der Typhus entwickelte. „Die Leute hatten nichts zum Zusetzen!“ Damit ist Alles erklärt. Sie waren fortwährend von den Raubrittern und vom Staat so ausgesaugt und ausgepumpt worden, daß sie bei der geringsten Steigerung ihres Elends zu Grunde gehen mußten, wofern nicht der Staat und die Raubritterschaft, oder beide vereint, sich ins Mittel legten. Wie sie letzteres gethan, davon haben die Tausende und aber Tausende von Leichen, die der überfluthende Strom des Elends hinwegspülte, genügendes Zeugniß abgelegt. Die Raubritter, die Beamtenkaste und die ganze gottbegnadete königlich-preußische Regierungsschaar machte Geschäfte, bezog Gehälter, vertheilte Gratifikationen und führte Prachtbauten auf, während da unten, in den gemeinen Schichten des Volks, die vom Hunger und Typhus Gepeitschten hundertweise gleich dem Vieh zu krepiren anfingen und zu krepiren fortfuhren.</p> <p>Nicht viel besser, als mit den gewöhnlichen Tagearbeitern, stehts mit den Wirthen oder denjenigen, die ein Haus und ein größeres oder kleineres Stück Land dazu besitzen. Auch ihre Hauptnahrung ist: Kartoffeln und Schnaps. Was sie produziren, müssen sie verkaufen, um die Abgaben an den Gutsherrn, an den Staat etc. aufzubringen. Das Mästen von Schweinen, aus deren Verkauf sonst der Haupterlös gewonnen wurde, mußte in Folge der Kartoffelkrankheit entweder theilweise oder ganz unterbleiben. Fehlte doch die eigne Nahrung. Und noch Hofedienste thun zu müssen, hier vom „Gnädigen“ oder dessen Beamten mit dem Kantschu barbarisch malträtirt zu werden, arbeitend, hungernd und geprügelt den Luxus und den Uebermuth der Raubritter und einer anschnauzenden Beamtenkaste mit ansehen und ertragen zu müssen! Das war und das ist das Loos eines großen Theils der wasserpolnischen Bevölkerung. Der kleine Mann, der durch Robotdienst an seiner Arbeitszeit verkürzt und aus Mangel an Kapital und Einsicht seine Aecker meist nur nach dem alten Schlendrian bestellt, mußte noch von dem in vielen Distrikten unendlich zahlreichen, weil zärtlich geschonten, herrschaftlichen Wilde seine Saaten zerwühlen und verwüsten und oft sein Ein und Alles vernichten sehen.</p> <p>Welche Behandlung dem „Hofgesinde,“ den Knechten und Mägden der „Gnädigen“ zu Theil wird, läßt sich schon aus derjenigen ermessen, welche die robotpflichtigen Dorf-„Unterthanen“ und die sogenannten Lohnarbeiter zu erdulden haben. Der Kantschu ist auch hier das Alpha und Omega des raubritterlichen Evangeliums. Der Ritter lebt indeß nicht umsonst im 19. Jahrhundert. Er hat von der Bourgeoisie tüchtig gelernt. Wie der Fabrikant durch eine Menge feinausgesponnener Strafbestimmungen seine Arbeiter um einen Theil ihres ohnehin niedrigen Lohnes zu prellen weiß, so nicht minder der ahnenreiche Raubritter, der eben außer seinen Ahnen und den bäuerlichen Silberzinsen und Robotdiensten ganz modernisirt und zu 3/4 Bourgeois geworden ist. Einer der oberschlesischen Standesherrn, der über 60,000 Morgen Land besitzt, hat auf seinen Gütern neben dem Kantschu auch fabrikmäßige Geldstrafen eingeführt. Wir wollen nur eins der tausend Beispiele anführen, wie man diese anwendet, weil wir bei dieser raubritterlichen Prozedur zugegen waren. Ein Pferdeknecht auf den Gütern des Standesherrn hatte Sonntags ein Glas Schnaps über den Durst getrunken: Er begegnet einem ahnenreichen Wirthschafts-Eleven, Hrn. v. N. N., von dem er sogleich mit den Worten angeredet wird: „Du verfluchter Schweinhund, wo kommst Du her? Du kommst gewiß aus dem Wirthshause?“ (Wir bemerken, daß dies zur Zeit der „Enthaltsamkeits“-Tollwuth geschah). Der Knecht, der Soldat gewesen, erwiderte, das gehe heute, da Sonntag sei, den gnädigen Herrn nichts an; er kümmere sich ja nicht, wie viel Flaschen Champagner die gnädigen Herrn ausgestochen hätten; er (der Knecht) könne bei seinem Lohn freilich nur Schnaps saufen.“ Auf diese plebejische Antwort regnete es nicht blos zwei Backpfeifen, sondern dem Knecht wurden als Ordnungsstrafe und wegen „ungeziemender Begegnung“ eines Vorgesetzten 24 Sgr. am Lohne abgezogen. Der Knecht hatte aber nur 25 Sgr. monatlichen Lohn, so daß ihm für einen ganzen Monat auf Kleider, Stiefeln, Taback etc. ‒ 1 Sgr. übrig blieb. Und nebenbei bemerkt, der gnädige Herr war bei weitem mehr besoffen als der Knecht. Wird übrigens einer der herrschaftlichen Dienstboten alt oder sonst arbeitsunfähig, so entläßt man ihn und er fällt der Gemeinde, deren Gutsherrn er Jahre lang gedient, zur Last.</p> <p>Die Raubritterschaft schaltet und waltet nach Belieben. Aus ihren Reihen werden die Landräthe genommen; sie übt die Dominial- und Distriktspolizei und die ganze Büreaukratie arbeitet in ihrem Interesse. Dazu kommt, daß dem wasserpolnischen Bauer nicht blos ein deutsches ‒ das wäre vielleicht zu humanisiren ‒ sondern ein altpreußisches Beamtenthum mit seiner preußischen Sprache und seinem Landrecht gegenübersteht.</p> <p>Von allen Seiten ausgesaugt, malträtirt, verhöhnt, gekantschut und in Fesseln geschlagen, mußte das oberschlesische Landvolk endlich auf den Punkt gelangen, auf dem es angekommen ist. Hun- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1585/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 281. Köln, Mittwoch, den 25. April 1849. Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. ‒ Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Jean Jacques Rousseau.
Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet. ‒ Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis. ‒ Nur frankirte Briefe werden angenommen. ‒ Expedition in Aachen bei Ernst ter Meer; in Düsseldorf bei F. W. Schmitz, Burgplatz; in Köln Unter Hutmacher Nro.17.
Uebersicht. Deutschland. Köln (Zur „schlesischen Milliarde.“ ‒ Oberschlesien.) Berlin (Klatsch.) Danzig (Blockade.) Königsberg (Landwehrangelegenheit.) Schleswig-Holstein (Die Regierung. ‒ Kaiserschüsse.) Gravenstein und Apenrade (Einrücken nach Jütland. ‒ Rüstungen.) Frankfurt (Wahlverweigerung in Baden: ‒ Ritter Schmerling.) Stuttgart (Die Ministerkrisis.)
Ungarn. Vom Kriegsschauplatze.
Polen. Krakau (Steigende Aufregung unter dem Landvolk.) Lemberg (Oestreichische Regierungs-Brutalitäten.)
Italien. (Insurrektion in Livorno). Florenz. (Die Contrerevolution). Rom. (Die Zwangsanleihe. ‒ Protest in Paris). Palermo. (Vernichtung der Neapolitaner in Trapani). Turin. (Unterhandlung mit Oestreich). Mailand. (Exekutionen).
Französische Republik. Paris. (Protestation des römischen Gesandten. ‒ Fould, Goudchaux und Rothschild. ‒ Odilon Barrot und die römische Expedition. ‒ Vermischtes).
Deutschland. * Köln, 21. April. In einer Reihe von Artikeln über die „schlesische Milliarde“ ist nachgewiesen worden, was Schlesien, und namentlich die schlesischen Bauern, unter dem gottbegnadeten Regimente der Hohenzollern und ihrer untergebenen Raubritter, blos in den letzten dreißig Jahren theils auf Grund eines betrügerischen Ablösungsgesetzes, theils in Form fortwährender Robotdienste oder Hofetage, Zinsen und Naturalleistungen an die Fürsten, Grafen und Herren zu zahlen gezwungen worden und endlich wie groß annäherungsweise die Summe ist, welche das schlesische Landvolk von seinen Junkern und Heu-Baronen am Abrechnungstage zurückzufordern hat.
An den schlesischen Zuständen haben wir die Zustände des ganzen feudalen Deutschlands abgespiegelt. Die Ausbeutung des Landvolks durch das Raubritterthum „von Gottes Gnaden“ hat sich lediglich dort durch ein Mehr, dort durch ein Minder unterschieden. Bei unsern Schilderungen hatten wir bisher hauptsächlich Niederschlesien, den deutschen Theil, im Auge.
Heute werden wir speziell von Oberschlesien, dem vorwiegend wasserpolnischen Theile sprechen. Schon der Wunsch nach einiger Vollständigkeit würde das verlangen. Viel mehr drängt uns aber dazu der von Oberschlesien her auf's Neu sich erhebende Verzweiflungsschrei einer dem Hungertode und der Hungerpest in den Rachen gejagten Bevölkerung.
Um zu begreifen, wie es mit der bekannten „Perle“ in der Hohenzollern'sche Krone bis auf diesen äußersten Punkt hat kommen können, dazu bedarf es nach den vorausgegangenen Artikeln über die „schlesische Milliarde“ nur noch einiger Worte. Denn das dort Gesagte gilt nicht blos vollständig, sondern noch in verstärktem Maaße für Oberschlesien. Hier haus'ten die Raubritter noch unverschämter, hier prellten und plünderten sie die Bauern rücksichtsloser, hier behandelten sie ihn noch weit brutaler als im deutschen Theile, in Niederschlesien. Der Eine ist die zweite Potenz des Andern.
Deutschland erinnert sich der Aufrufe, die im Winter 1847‒48 für die „bedrängten oberschlesischen“ Brüder, zur „Linderung und Abhülfe der erschrecklichen Noth“ von Breslau und andern Orten her erlassen wurden. Ganz Deutschland sammelte in dieses Sieb des Elends seine ersparten Heller, von denen, wie wir erfahren, ein recht artiger Rest von etwa 100,000 Thalern noch immer in den Händen der Regierung sich befindet. Wenige von denen, die ihre Pfennige mitleidsvoll nach Schlesien sandten, mochten daran denken, daß sie lediglich der preußischen Regierung und ihrer Ritterschaft ein Almosen gaben. Es wären ohne die Beisteuern aus Deutschland nicht mehr Personen dem Hunger und dem Typhus zum Opfer gefallen, als es so geschehen. Entweder die Regierung hätte eine eben so große Summe, als aus Deutschland zusammenkam, herbeischaffen müssen. Dann freilich konnte sie etwas weniger Erziehungsgelder, Gratifikationen und Geschenke an adlige unverschämte Arme (arm mit 10, 15, 20 und mehr Tausend Thalern jährlichen Einkommens) austheilen und vielleicht einige Wildnetze weniger anfertigen lassen. Oder die oberschlesische Ritterschaft selber mußte Einiges von ihren Raubthalern abgeben. Denn jener rein proletarischen Krankheit, dem Hungertyphus, durfte man nicht fortwährend ruhig zuschauen. Nicht wegen des „Bauernpacks“, wie es die Herren Ritter nennen: was zum Henker! sollte man sich darum kümmern! Aber einmal fehlt es zeitweise an Arbeitern, wenn ungewöhnlich große Massen jenes „Bauernpacks“ hingerafft werden. Wer verrichtet dem „gnädigen“ Herrn die Hofedienste? und wer zahlt ihm die gutsherrlichen Abgaben? Er muß stunden oder bekommt in vielen Fällen gar nichts. Drum leidet der raubritterliche Geldbeutel und das ist ‒ auf Ehre ‒ gerade so der empfindlichste Theil bei einem „Gnädigen“ von 340 Ahnen, Stallknechte und Kuhmägde mit eingerechnet, wie bei dem raffinirtesten Bourgeois oder dem schmutzigsten Börsenjuden. Zweitens ist jene proletarische Krankheit in ihrer weitern Entwicklung bösartig genug, die Todeshand bis in die raubritterlichen Reihen selber auszustrecken. Die beiden theuersten Dinge: Leben und Geldbeutel, bedroht: das wäre genug gewesen, um die gnädigen Herrn zu einem vollen Griff in die Tasche, zu Maßregeln einiger Abhülfe und Linderung, zu vermögen. Deutschland ersparte ihnen durch seine Sammlungen den größten Theil einer Ausgabe für das „Bauernpack“, das in den Augen des Ritters keinen andern Werth hat, als sein Vieh, in soweit er eben das eine wie das andre ausbeuten kann.
Jetzt wüthet abermals der Hunger und sein Bundesgenosse, der Typhus, in jenen Distrikten, die bereits voriges Jahr so unendlich gelitten. Sogar die Krautjunker- und Geldsack-Kammer zu Berlin hat den greulichen Zuständen in den Kreisen Rybnick und Pleß ihre hohe Aufmerksamkeit und ihre philantropischen Redensarten zugewandt.
Deutschland wird nun wohl um etwas klüger geworden sein und dem seit 30 Jahren angefüllten (!) Staatsschatze der Hohenzollern die Sorge für das oberschlesische Irland überlassen.
Der Hunger, der ganze Landstrecken Oberschlesiens verheert und die aus ihm erzeugte Epidemie: sie rühren wahrlich nicht von dem durchaus gefunden Klima und einer Mißärnte oder Ueberschwemmung her. Es gab weder Mißärnte noch Ueberschwemmung. Hunger und Epidemie und das ganze oberschlesische Elend sind nur die unvermeidlichen Folgen der Unverschämtheit jener ausbeutenden Raubritter, jener „todten Hand“ der Domänen-Wirthschaft, jener Indolenz der Regierung, die Alles gehen und geschehen ließ, was nicht wider das heilige preußische Landrecht und die Ruhe und Bequemlichkeit einer christlich-germanischen Beamtenkaste verstieß.
Zur größern Hälfte ist Grund und Boden in den Händen großer Grundbesitzer, des Fiskus und der „todten Hand“. Nur zwei Fünftel der gesammten Ländereien sind in den Händen der Bauern und mit Frohnden und Abgaben an die Gutsherrn, wie mit Steuern an den Staat, an Kirche, Schule, Kreis und Gemeinde auf's Unglaublichste und Schamloseste überlastet, während die „gnädigen“ Herren im Verhältniß zu den Bauern höchstens eine wahre Lumperei an den Staat entrichten. Bebaut werden die zwei Fünftel Land der kleinen Leute von einer dreifach größeren Zahl Menschen, als jene drei Fünftel Land der „gnädigen“ Herren. Der Bauer ist aus Mangel an Kapital und Einsicht in der Kultur zurückgeblieben, während die großen Gütermassen oft von mehr als 30-40,000 Morgen aus Mangel an Arbeitskraft, Uebersicht und Sorgfalt ebenfalls einen weit geringern Ertrag liefern, als andere, aber besser verwaltete Länderstriche Deutschlands, wo bei gleicher Bodengüte das Vierfache produzirt wird. Dem in der Residenz, in Bädern, auf Reisen etc. schwelgenden Standesherrn verschlägt es wenig, wie der Boden bewirthschaftet wird. Er bezieht bei der Größe seines Besitzthums an Ackerland, Wiesen, Forsten, Teichen, Bergwerken, Schafheerden, Branntweinbrennereien etc., bei den geringen oder keinen Abgaben an den Staat und bei den desto größeren Einnahmen an Laudemien, Silberzinsen etc. aus den bäuerlichen Taschen doch immer eine größere Summe, als er auf gewöhnlichem Wege zu vergeuden im Stande ist. Was frägt der Bureaukrat danach, ob die Domänen brach liegen in den Händen fauler Schützlinge? Wenn der Tag der Rente kommt, werden die Silberzinsen mittelst der Knute vom Bauer eingetrieben, wenn er sie nicht freiwillig zahlen will. Und so zwangen Mangel an Kapital und Kredit und Ueberfluß an Abgaben und Leistungen an die Raubritter, wie an Staat und Kirche, den Bauer, sich dem Juden in die Arme zu werfen und in den Schlingen des pfiffigen Wuchrers ohnmächtig zappelnd zu verenden.
In der langen Erniedrigung und Knechtschaft, in welchen das oberschlesische Landvolk durch die christlich-germanische Regierung und ihre Raubritterschaft danieder gehalten worden, hat der Bauer seinen einzigen Trost, wie seine Stärkung und halbe Nahrung im Branntwein gefunden. Man muß es den „gnädigen“ Herren lassen, daß sie dem Bauer diesen Artikel aus ihren großen Brennereien reichlich und zu immer billigern Preisen verschafften. In diesem stärksten Consumtionsartikel des oberschlesischen Bauern, machten sie vortreffliche Geschäfte. Von welcher Seite man also auch den Bauer betrachtet, überall erblickt man einen raubritterlichen Saugrüssel, der jeden neuen Blutstropfen des Landmannes an sich zieht und in seiner gottbegnadeten Wirksamkeit nur durch rasches vollständiges Abhauen gehemmt werden kann.
Neben den Lehmhütten der wasserpolakischen Bauern, wo Hunger, Typhus und Verthierung ihre Stätte aufgeschlagen: nehmen sich die prachtvollen Schlösser, Burgen und übrigen Besitzthümer der oberschlesischen Magnaten desto romantischer aus. Man braucht hier nur an die großen Herrschaften der Grafen Henkel und Renard (dieses Urheulers und philantropischen Fuchses mit 240,000 Thlrn. jährlichen Einkommens), des Herzogs von Ratibor, des Grafen Hochberg, der Fürsten Hohenloh, der Herren von Tost, des Baron Rothschild und vieler anderer Grafen, Barone etc. zu erinnern. Dort in Oberschlesien liegen auch die buchstäblich verschleuderten Staatsgüter, der ehemalige Schul- und Kirchenbesitz, dessen Revenuen noch immer als Renten in diese unverantwortlichen Kassen fallen. Auf der einen Seite unglaublich schnelle Anhäufung von Reichthümern, kolossale Jahresrevenuen der „Gnädigen“. Ein unlängst verstorbener Hr. v. Godulla, zur untern Stufe der „gnädigen“ Herren zählend, hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von 6 Mill. Thalern, das ihm während c. 40 Jahren durch Bewohner Oberschlesiens erarbeitet worden.
Auf der andern Seite fortschreitende Massenverarmung.
Der Tagelohn für ländliche Arbeiter ist äußerst niedrig: für den Mann 5-6 Sgr., für die Frau 2 1/2 - 3 Sgr. ist schon als ein hoher Satz zu betrachten. Viele arbeiten nothgedrungen um ein Tagelohn von resp. 4 und 2 Sgr. und sogar darunter. Die Nahrung besteht fast einzig und allein aus Kartoffeln und Schnaps. Hätte der Arbeiter noch diese beiden Gegenstände in hinreichender Menge gehabt: so wären wenigstens Hungertod und Typhus von Oberschlesien fern geblieben. Als aber in Folge der Kartoffelkrankheit das Hauptnahrungsmittel immer theurer und seltener wurde, der Tagelohn aber nicht blos nicht stieg, sondern fiel: da griffen die Menschen nach Kräutern, die sie auf Feldern und in Wäldern pflückten, nach Quecken und Wurzeln und kochten sich Suppen aus gestohlnem Heu und aßen krepirtes Vieh. Ihre Kräfte schwanden. Der Schnaps wurde theurer und ‒ noch schlechter als zuvor. „Schenker“ heißen die meistentheils jüdischen Personen, welche gegen eine enorme Pacht an den „gnädigen“ Herrn den Schnaps an das Volk verkaufen. Der „Schenker,“ auch „Arendator“ genannt, war schon früher gewöhnt, den Schnaps, den er durch gehörige Portionen Wassers verdünnte, um die hohe Pacht für den Gnädigen und auch ein hübsches Sümmchen für sich selber herauszuschlagen, durch allerlei Ingredienzen, worunter Vitriolöl eine Hauptrolle spielt, zu kräftigen. Diese Giftmischerei nahm von Jahr zu Jahr zu und wurde nach dem Auftreten der Kartoffelfäule auf die höchste Spitze getrieben. Der durch Heu- und Queckensuppen und durch den Genuß roher Wurzeln geschwächte Magen des Landmanns konnte solcherlei Medizin nicht mehr überwinden. Bedenkt man ferner die schlechte Kleidung, die schmutzigen ungesunden Wohnungen, die Kälte im Winter, entweder Mangel an Arbeit oder an Kraft zur Arbeit: so wird man begreifen wie aus den Hungerzuständen sich sehr bald nicht mehr und nicht minder als in Irland der Typhus entwickelte. „Die Leute hatten nichts zum Zusetzen!“ Damit ist Alles erklärt. Sie waren fortwährend von den Raubrittern und vom Staat so ausgesaugt und ausgepumpt worden, daß sie bei der geringsten Steigerung ihres Elends zu Grunde gehen mußten, wofern nicht der Staat und die Raubritterschaft, oder beide vereint, sich ins Mittel legten. Wie sie letzteres gethan, davon haben die Tausende und aber Tausende von Leichen, die der überfluthende Strom des Elends hinwegspülte, genügendes Zeugniß abgelegt. Die Raubritter, die Beamtenkaste und die ganze gottbegnadete königlich-preußische Regierungsschaar machte Geschäfte, bezog Gehälter, vertheilte Gratifikationen und führte Prachtbauten auf, während da unten, in den gemeinen Schichten des Volks, die vom Hunger und Typhus Gepeitschten hundertweise gleich dem Vieh zu krepiren anfingen und zu krepiren fortfuhren.
Nicht viel besser, als mit den gewöhnlichen Tagearbeitern, stehts mit den Wirthen oder denjenigen, die ein Haus und ein größeres oder kleineres Stück Land dazu besitzen. Auch ihre Hauptnahrung ist: Kartoffeln und Schnaps. Was sie produziren, müssen sie verkaufen, um die Abgaben an den Gutsherrn, an den Staat etc. aufzubringen. Das Mästen von Schweinen, aus deren Verkauf sonst der Haupterlös gewonnen wurde, mußte in Folge der Kartoffelkrankheit entweder theilweise oder ganz unterbleiben. Fehlte doch die eigne Nahrung. Und noch Hofedienste thun zu müssen, hier vom „Gnädigen“ oder dessen Beamten mit dem Kantschu barbarisch malträtirt zu werden, arbeitend, hungernd und geprügelt den Luxus und den Uebermuth der Raubritter und einer anschnauzenden Beamtenkaste mit ansehen und ertragen zu müssen! Das war und das ist das Loos eines großen Theils der wasserpolnischen Bevölkerung. Der kleine Mann, der durch Robotdienst an seiner Arbeitszeit verkürzt und aus Mangel an Kapital und Einsicht seine Aecker meist nur nach dem alten Schlendrian bestellt, mußte noch von dem in vielen Distrikten unendlich zahlreichen, weil zärtlich geschonten, herrschaftlichen Wilde seine Saaten zerwühlen und verwüsten und oft sein Ein und Alles vernichten sehen.
Welche Behandlung dem „Hofgesinde,“ den Knechten und Mägden der „Gnädigen“ zu Theil wird, läßt sich schon aus derjenigen ermessen, welche die robotpflichtigen Dorf-„Unterthanen“ und die sogenannten Lohnarbeiter zu erdulden haben. Der Kantschu ist auch hier das Alpha und Omega des raubritterlichen Evangeliums. Der Ritter lebt indeß nicht umsonst im 19. Jahrhundert. Er hat von der Bourgeoisie tüchtig gelernt. Wie der Fabrikant durch eine Menge feinausgesponnener Strafbestimmungen seine Arbeiter um einen Theil ihres ohnehin niedrigen Lohnes zu prellen weiß, so nicht minder der ahnenreiche Raubritter, der eben außer seinen Ahnen und den bäuerlichen Silberzinsen und Robotdiensten ganz modernisirt und zu 3/4 Bourgeois geworden ist. Einer der oberschlesischen Standesherrn, der über 60,000 Morgen Land besitzt, hat auf seinen Gütern neben dem Kantschu auch fabrikmäßige Geldstrafen eingeführt. Wir wollen nur eins der tausend Beispiele anführen, wie man diese anwendet, weil wir bei dieser raubritterlichen Prozedur zugegen waren. Ein Pferdeknecht auf den Gütern des Standesherrn hatte Sonntags ein Glas Schnaps über den Durst getrunken: Er begegnet einem ahnenreichen Wirthschafts-Eleven, Hrn. v. N. N., von dem er sogleich mit den Worten angeredet wird: „Du verfluchter Schweinhund, wo kommst Du her? Du kommst gewiß aus dem Wirthshause?“ (Wir bemerken, daß dies zur Zeit der „Enthaltsamkeits“-Tollwuth geschah). Der Knecht, der Soldat gewesen, erwiderte, das gehe heute, da Sonntag sei, den gnädigen Herrn nichts an; er kümmere sich ja nicht, wie viel Flaschen Champagner die gnädigen Herrn ausgestochen hätten; er (der Knecht) könne bei seinem Lohn freilich nur Schnaps saufen.“ Auf diese plebejische Antwort regnete es nicht blos zwei Backpfeifen, sondern dem Knecht wurden als Ordnungsstrafe und wegen „ungeziemender Begegnung“ eines Vorgesetzten 24 Sgr. am Lohne abgezogen. Der Knecht hatte aber nur 25 Sgr. monatlichen Lohn, so daß ihm für einen ganzen Monat auf Kleider, Stiefeln, Taback etc. ‒ 1 Sgr. übrig blieb. Und nebenbei bemerkt, der gnädige Herr war bei weitem mehr besoffen als der Knecht. Wird übrigens einer der herrschaftlichen Dienstboten alt oder sonst arbeitsunfähig, so entläßt man ihn und er fällt der Gemeinde, deren Gutsherrn er Jahre lang gedient, zur Last.
Die Raubritterschaft schaltet und waltet nach Belieben. Aus ihren Reihen werden die Landräthe genommen; sie übt die Dominial- und Distriktspolizei und die ganze Büreaukratie arbeitet in ihrem Interesse. Dazu kommt, daß dem wasserpolnischen Bauer nicht blos ein deutsches ‒ das wäre vielleicht zu humanisiren ‒ sondern ein altpreußisches Beamtenthum mit seiner preußischen Sprache und seinem Landrecht gegenübersteht.
Von allen Seiten ausgesaugt, malträtirt, verhöhnt, gekantschut und in Fesseln geschlagen, mußte das oberschlesische Landvolk endlich auf den Punkt gelangen, auf dem es angekommen ist. Hun-
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