Neue Rheinische Zeitung. Nr. 106. Köln, 19. September 1848. Beilage.Beilage zu Nr. 106 der Neuen Rheinischen Zeitung. Dienstag, 19. September 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Volksversammlung in Worringen.) Frankfurt. (Debatte in der Nat.-Vers. über den Waffenstillstand. - Unruhen.) Berlin. (Die Krisis.) Wien. (Aufstand. - Der Reichstag in Permanenz. - Nachricht aus Ungarn.) Leipzig. (Aus Chemnitz.) Mainz (Spießruthen.) Dortmund. (Thierschau.) Bielefeld. (Unruhen.) Italien. (Messinesische Flüchtlinge auf der franz. Flotte. - Der franz. Gesandte. - Albini bei Ankona. Französische Republik. Paris. (Die Departementalkommissäre. - National-Versammlung. - Cavaignac's Vater.) Großbritannien. London. (Der Aufstand in Tipperary unterdrückt.) Portugal. (Cholera-Angst. - Der englische Handelsvertrag.) Amerika. (Die Präsidentschaft. - Mexico ruhig.) Handelsnachrichten. [Deutschland] gen verschwunden; man begrüßt sich gegenseitig sehr freundschaftlichst und die Soldaten verschmähen es selbst nicht, in den Klubs die Rednertribüne zu besteigen und ihre Zuneigung zu den neuen Ideen öffentlich und feierlichst auszusprechen. Um diese Verhältnisse für die Zukunft zu sichern und die freund-freundschaftlichen Bande zwischen Volk und Militär noch fester zu knüpfen, hat der Bürgerwehr-Klub ein großes Verbrüderungsfest zu morgen Nachmittag veranstaltet. Man hofft, daß sich viele Tausende dazu einfinden werden. 61 Wien, 12. Sept. Abends. Die Stadt ist noch immer in steigender Aufregung. Sämmtliche zu dem Ministerium des Innern führende Straßen sind seit 3 Uhr durch die Legion und Nationalgarde abgesperrt. Gegen die Nationalgarde des Wimmer- und Schotten-Viertels (innere Stadt) sind Thätlichkeiten verübt worden. Dobblhoff hat einen neuen Aufruf an das Volk erlassen, worin er um Aufrechthaltung der Ruhe recht zitternd nachsucht. Zu den Thoren strömten gegen Abend Menschenmassen aus den Vorstädten herein; man befürchtete eine Sturmpetition wider das Ministerium und das Gerücht verbreitete sich, ein Theil der Bürgerschaft habe sich nach Schönbrunn begeben. Gegen 8 Uhr wurden alle Thore der innern Stadt verschlossen und niemand hereingelassen, der nicht seine Wohnung anzugeben vermochte. Swoboda, durch dessen Unternehmen die Aufregung veranlaßt ist, soll sich freiwillig den Gerichten gestellt haben. Man beschuldigt ihn der Unterschlagung aller für die Aktien eingegangenen Gelder; einige sagen sogar, Jellachich habe dieselben bekommen. Swoboda gründete nämlich einen Aushülfsverein für Gewerbtreibende und emittirte Aktien; der Kaiser betheiligte sich dabei und nun will das Volk, daß die Minister die Verantwortlichkeit dieses seine Hoffnungen nicht realisirenden Unternehmens tragen und dasselbe bei der Zahlungsunfähigkeit Swoboda's insofern garantiren sollen, daß die Aktien an allen öffentlichen Kassen wie baares Geld angenommen würden. Dobblhoff hat sich im Bürgerstande besonders dadurch verdächtigt, daß er schon vom Morgen an einen ergebenen Theil der Bürgerwehr in den Kellern des Ministerialgebäudes versteckt gehalten und dieselben nun beim Eindringen des Volks in das Gebäude zum Vorschein hat kommen lassen. Der Stephansdom ist von der Nationalgarde umstellt, um Sturmläuten zu verhüten; in der aufgeregten Masse sprach man von Barrikadenbauen. Alle öffentlichen Plätze sind von der Nationalgarde besetzt. Wie ich höre, soll Jellachich von Radetzky 1 Mill. Fl. K. M. erhalten haben. Von Grätz aus sollen demselben in Zuckerfässern Brandraketen zugesendet worden sein. 13. September. Ich komme eben (12 Uhr) aus der 41. Sitzung des Reichstags. Die Debatten waren äußerst stürmisch. Es wurden die italienischen Interpellationen beantwortet, worauf der früher Selinger'sche, nun Sraßer'sche Antrag auf ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung kam. Graf Borkowski, Wieland, Füster sprachen unter dem allgemeinsten Beifall der Versammlung dagegen. Unter der Rede Borkowski's erhob sich der Kriegsminister Latour mit dem Zornesantlitz des Mars und wollte, daß der Präsident den Redner zum Schweigen bringe. Es entstand ein Tumult, viele Redner schrieen, daß Latour zur Ordnung gerufen werde, der Präsident that es mit glatten Worten. Die Wirbel des Generalmarsch's schlugen während des ganzen Morgens, die Aufregung ist seit gestern fortwährend im Steigen; die Aula ist versammelt, Menschenmassen füllen alle Straßen; das Volk strömt zu den Linien herein. - Der Reichstag wollte eben die Sitzung schließen, als der Kriegsminister - die andern Minister hatten sich längst entfernt - die Erklärung abgab, die Nationalgarde weigere sich, anszurücken, die akademische Legion beabsichtige um 4 Uhr Ministerium und Reichstag zu stürzen, er müsse zu ihrem Schutz das Militär einrücken lassen. Löhner stellte sofort den Antrag, daß der Reichstag sich für permanent erkläre. Es geschieht. In dem Augenblicke meines Austritts sprach der Abgeordnete Goldmark über die italienische Angelegenheit. Der Antrag Selinger-Straßer wird verworfen werden. Die Aufregung in der Aula hat theilweise auch die von der Nationalgarde gestern Abend wider einen Studenten verübte Mißhandlung zum Grunde. Das Schlimmste steht zu befürchten, wenn Gewaltthaten geschehen, denn wir leben in einem wahren Chaos von politischen, sozialen und nationalen Meinungen. 61 Wien, 13. Sept. 6 1/2 Uhr. Die Bewegung verwandelt sich immer mehr in einem Aufstand. Man verlangt den Sicherheitsausschuß wiederhergestellt; gedruckte Zettel werden zu diesem Zwecke unter die Menge vertheilt. Es hat sich ausgewiesen, daß die Beschuldigung des Kriegsministers, die Aula wolle den Reichstag sprengen, eine Erfindung gewesen. Seien Sie versichert, die Reaktion will heute einen kühnen Streich führen; Latour ging, wie ein Tiger gereizt, aus dem Sitzungssaal des Reichstags, er wird Rache nehmen. Das Militär rückt an, die Nationalgarde und Legion sind überall aufgestellt, erstere ist getheilter Meinung. Am Judenplatze ist es vor dem Gebäude des Ministeriums des Innern zu einem Angriff gekommen; die Entwaffnung konnte aber nicht erzielt werden. Vor dem Kriegsgebäude soll es nach dem Reichstag zugegangenen Berichten ebenfalls zum Angriff gekommen sein. Barrikaden, so heißt es allgemein, sind erbaut worden. Der Reichstag hält Rath, ob der Sicherheitsausschuß wieder herzustellen sei. Die Nacht wird, bricht der Kampf los, schrecklich werden. Aus Pesth sind noch keine bestimmten Nachrichten da, die Stimmung der Stadt soll aber außerordentlich sein. Hier sind alle Läden geschlossen, man kann vor Bewaffneten nirgendwo durch. 102 Wien, 13. Sept. 41. Reichstagssitzung. Anfang 9 1/2 Uhr. Vorsitz. Strobach. Keine Minister. Präsident beantragt, heute Nachmittag die Neuwahl des Präsidiums vorzunehmen, er zeigt an, das Justiz-Ministerium habe in Beziehung auf die 500 italienischen Gefangenen in Szezedin Schriften auf den Tisch des Hauses niedergelegt. Urlaube werden ertheilt. Eingaben werden verlesen. Darunter eine aus Köln wegen Verbesserung des Volksschulwesens und Dobblhoffs Entwurf zur Provinzialverfassung Schlesiens. Einige Gemeinden petiren um Beibehaltung der Privilegien der Gewerbetreibenden. Die Stadt Wien petirt um Maßregeln zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung. Präs. Der Abg. Brestl hat einen dringenden Antrag überreicht: "Der Reichstag möge beschließen, daß wegen der mißlichen Verhältnisse der Gewerbetreibenden der Hauptstadt und weil dieselben der Freiheit die uneigennützigsten Opfer gebracht, dem Ministerium des Handels ein Kredit von 2 Mill. fl. eröffnet werde." Dylewski (der schon eine Ernennung des Ministeriums für seine absolutistischen Dienste in der Tasche hat) sieht darin einen Parteiantrag. Pillersdorf bedauert, daß Brestl ihn zur Unterzeichnung des Antrags nicht eingeladen. Schuselka will denselben auch auf die Bewohner von 5 und 6 Haus (Proletariat) ausgedehnt haben, welche in den Märztagen die Märtyrer der Freiheit gewesen, indem sie geplündert worden. Piekas (Bohemien) beantragt eine gleiche Unterstützung für Prag. - Brestls Antrag wird einstimmig unterstützt; nur Palacki (Bohemien) bleibt sitzen. Brestl spricht für seinen Antrag. Die Minister Schwarzer und Krauß treten herein. Goldmark. Der Antrag möge sogleich in Vollberathung genommen werden. (links unterstützt.) Piekas. Er muß zuerst an die Finanzkommission, welche in 24 Stunden berichten soll. (Alle Bohemiens und der Renegat Schwarzer erheben sich dafür.) Goldmark und Andere reden vergeblich gegen die 24 Stunden. Hornbostel, Handelsminister. Wir haben 500,000 fl. zu obigem Zweck schon längst bewilligt, heute werden in der Angelegenheit Swoboda baare Entschädigungen gegeben werden, darum genügt es, die Sache zuerst an die Finanzkommission zu überreichen. (Man hört den Generalmarsch schlagen.) Piekas Antrag wird angenommen. Die übrigen Minister sind unterdessen erschienen, werden aber mehrmals abgerufen; der Generalmarsch ertönt fort. Abgeordnete aus der Bukowina protestiren, daß in dem Ausschusse, der über die Entschädigungsfrage entscheiden soll, keiner aus ihrer Provinz ist. Minister Wessenberg will die gestrige Interpellation hinsichtlich Italiens beantworten und zieht einen Zettel aus der Tasche, den er abliest. Niemand hört ein Wort. Ein Abg. Lassen Sie durch einen andern Minister antworten. Bach will sich des Zettels bemächtigen, aber Latour stürzt auf ihn ein und entreißt ihm denselben. Latour (mit krächzender, kaum vernehmbarer Stimme.) Die Politik des Ministeriums in Italien.... Ehre und Würde des Kaiserreichs zu wahren ... Das Vermittlungsanerbieten Frankreichs ... angenommen. Das Ministerium wird Alles aufbieten, den Krieg zu vermeiden, jedoch die Nationalehre ... Fürst Schwarzenberg ist zur Leitung der Angelegenheit zum Bevollmächtigten Oestreichs ernannt. Familienbande geben Modena gewisse Ansprüche auf Schutz ... Goldmark, nach einem Kampfe mit dem Präsidenten: Ich bin mit dieser Erklärung nicht zufrieden, das Ministerium muß uns die Papiere vorlegen; Familienrücksichten können und dürfen jetzt nicht mehr entscheiden. Wessenberg, ohne Brille, das Bundestagsleichengesicht bekommt einiges Leben: Während der Verhandlung geschieht in keinem Lande eine Mittheilung an die Kammer. Goldmark will antworten, ein Abg. ruft: zur Ordnung! Goldmark: Ich lasse mich nicht zur Ordnung rufen. Wessenberg. Ich habe noch eine Interpellation zu beantworten: liest; Niemand versteht ein Wort. Die Antwort betrifft ebenfalls die italienischen Angelegenheiten. Neuwall. Die gestrigen Vorgänge sind durch eine neue Partei hervorgerufen; es sind Bürger von Wien, von denen sie ausgegangen, es müssen also gewichtige Ursachen vorliegen. Man hat für sie nie eine Stimme verlauten lassen, sondern immer nur für die Arbeiter; sie sind ebenso unglücklich als diese. Ein großer Theil der Arbeiter, auf welche Summen verschwendet wurden, ist nicht von hier gewesen; man hätte das Geld unter die Gewerbtreibenden vertheilen sollen. Er richtet in diesem Sinne eine lange Interpellation an den Handelsminister. Hornbostel. Swobodas Privatleiha stalt ohne hypothekarische Sicherheit hat die Bürger Wiens in ihren Hoffnungen getäuscht; die Noth war so groß, daß sie nicht nach der Sicherheit gefragt, sondern für einen kleinen Einsatz ein Papier genommen haben, welches keinen Kours erlangen konnte. Wir haben umsonst Warnungen, selbst an Swoboda, erlassen. Vorgestern schon habe man sich stürmisch an den Gemeindeausschuß und gestern mit Verübung von Gewaltthaten an den Minister des Innern gewendet. Der Nothstand sei schon vor dem März dagewesen, das Ministerium könne nichts zur Hebung der Gewerbe thun, nur das Vertrauen allein könne dies bewirken. Löhner und Potocki wollen noch interpelliren. Einer ruft: Tagesordnung. Dieselbe wird angenommen. Borrosch protestirt wider dies Verfahren. Berichte über Wahlen. Es handelt sich von der Wahl des Abg. Karl Schneider aus Schlesien. Schneider. Man hat protestirt, weil ich protestantischer Geistlicher bin, man ist von gewisser Seite erbost, daß auch meine Kirche einen Vertreter hier hat. Ich kenne mein Volk, mein Volk hat kein Mißtrauen wider euch. (Beifall.) Wird angenommen, nur die Bohemiens und Juden dagegen. Präs. bringt den von Solinger fallen gelassenen, von dem Ritter von Lasser, dem Schnapphahnski des Reichstags, aber wieder aufgenommenen Antrag über ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung. 16 Redner sind für und gegen eingeschrieben. Lasser erzählt, indem er aus einem dicken Hefte von der Tribüne abliest, in einer langen unausstehlich erbärmlichen Parabel den italienischen Krieg. Er macht dem Reichstag und besonders der Linken, auf die er immer hinsieht, die ungezogensten Vorwürfe darüber, daß sie den Solingerschen Antrag nicht mit Akklamation angenommen, sondern zur Tagesordnung verwiesen habe. Er wird mehrmals ermahnt, nicht abzulesen; die Kammer wird unruhig vor Langweile. (Draußen wirbelt immerfort der Generalmarsch. Alle Minister bis auf Latour sind abwesend.) [Schluß folgt.] Wien, 12. Sept. Eben erfahre ich, was um 2 Uhr vom ungarischen Ministerium an das hier residirende ungarische Ministerium des Aeußern aus Pesth mit Stafette anlangte: "Der Landtag hat sich permanent und insofern souverain erklärt, daß er die vom Könige nicht bestätigten neuen Gesetze als vollkommen gültig und bindend verkündet und die großartigsten Maßnahmen trifft, zur Vertheidigung und Rettung des Vaterlandes." - Pesth ist ruhig. Nicht die mindeste Unordnung ist eingetreten, alles ist beschäftigt die Rüstungen, Werbungen etc. zu unterstützen. (Od. Z.)Wien, 13. Sept. Neueste Nachrichten aus Pesth: "Provisorische Regierung. Kossuth an der Spitze." (Bedarf noch der Bestätigung.) (Schl. Z.)Wien. Die Vereinbarung eines Krawalles ist gestern gänzlich mißglückt. Heute, am 14. September, lebt die Freiheit noch. (Konstitution.)Leipzig, 15. Sept. Die von gestern aus Chemnitz eingegangenen Nachrichten bestätigen die Fortdauer der hergestellten Ruhe. Wie der "Chemnitzer Anzeiger" sagt, sollen nicht wenig Mitglieder der Kommunalgarde, zwar ohne Binde und sonstige Armatur, allein mit dem Gewehr unter den Tumultuanten gesehen worden sein. Die Bürgerschule, aus der die Bänke zu den Barrikaden verwendet wurden, die Dietrich'sche Farbe und das Leistner'sche Haus in der Johannisgasse, das Hinterhaus von Wex und Lindner, wo die Handelsschule ist, und das Hösel'sche Haus werden als die bezeichnet, welche die meisten Zeichen der stattgehabten Kämpfe aufzuweisen haben. Die Kugeln stecken meist ziemlich hoch. Ueber den eigentlichen Zusammenhang der ganzen unseligen Vorgänge ist man noch unklar. (D. A. Z.) * Mainz, 12. Septbr. In der östreichischen Armee, wenigstens in deren "deutschem Contingent" zu Mainz, wie Herr Peucker fein unterscheidet, ist die Knute und das Spießruthenlaufen noch in schönster Blüthe. Wie ein Mainzer Blatt erzählt, sah man gestern in einem der verstecktesten Gräben hinter der Citadelle "unter strömendem Regen und unter still rieselnden Thränen" eine schwankende Gestalt durch eine Reihe von 300 Soldaten sich bewegen, denen das Blut vom Rücken des Gefolterten ins Gesicht spritzte! Dicht an dieser Reihe standen 6 Bänke, auf denen eben so viele Soldaten lagen, auf die man unter den Flüchen eines Stabsoffiziers losschlug, der unter Androhung gleicher Strafe zur "Pflicht" des "Dreinhauens" anfeuerte. Und was hatten diese Unglücklichen verbrochen? Beim Baue des Kugelfängers am Artillerieubungsplatze akkordirte der bauführende Offizier mit den Leuten wegen der Arbeit; als diese nun fertig war, verlangte er noch weiteres Arbeiten, und als sie aus Müdigkeit nicht auf der Stelle diesem Befehle nachkamen, gerieht der Offizier in Zorn, ließ jene 6 Leute in Stockhausarrest abführen, wo sie 8 Tagen wie verschollen saßen, bis gestern ein Korporal Ordre erhielt, Haselstöcke einzukaufen, mit denen dann jene Schreckensscene im alten Style vollführt ward. 8 Dortmund, 16. Sept. Unser politisches Duselleben ist in ein neues Stadium getreten. Am 15. hatten wir nämlich das Vergnügen, die "Landeskulturgesellschaft" in festlicher Weise hier versammelt zu sehen. Hiermit war eine Thierschau von Ochsen und Kälbern verbunden und Gleichgesinnte hatten sich in Menge angeschlossen. Unsere Reaktion ist nicht so dumm wie sie aussieht. Sie weiß selbst das gemüthliche Stelldichein von allerlei Rindvieh für ihre politischen Zwecke zu benutzen. Wenn unsere "Familienväter", unsere "Männer des Rechts", selbst unsere "greisen Krieger" noch eine gewisse konstitutionelle Decenz zu beobachten für schicklich erachten, so halten dagegen unsre Ochsen und Schafzüchter es mit Recht für zeitgemäß, jede lästige Maske abzuthun und mit teutoburgischer Biedermännlichkeit vorzugehen. Beim festlichen Mahle nahm zuerst der Präsident, Kammerherr v. Bodelschwingh das Wort und sprach: "der König soll leben. Die Nationalversammlungen in Berlin und Frankfurt sind aus Neuerungen hervorgegangen. Wir halten am Alten, an unsern bethürmten Burgen und Höfen. (Mit erhobener Stimme.) Wir wollen zum Alten zurückkehren. Der König Hoch!" (Donnerndes Hoch.) Freiherr von Lilien-Borch: der Landwirthschaft ein Hoch! Der Justizkommissar Spemann aus Dortmund: "das Jahr 1848 hat fürchterliche Mißverhältnisse hervorgerufen. Doch die Grafschaft Mark hat sich in schlimmeren Jahren treu und bewährt gezeigt. Am 18. März hat man den Bruder vom Bruder getrennt. Gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit gesündigt. Doch das bleibe dahingestellt - deßhalb lebe Se. Königl. Hoheit der Prinz von Preußen hoch" (Brüllendes Hoch.) Ein Unbekannter: "Mir wird sehr übel" (faktisch). Pastor Bäumer: "Das Stämmchen der Freiheit kann weder in Berlin noch in Frankfurt zum Stamme gedeihen, weil keine Grundbesitzer dort sind. Der Grundbesitzer wird allein vom wahren Rechte geleitet; er allein kennt den Rechtsboden. Daher lebe der Rechtsboden! " (Rauschender Beifall.) Ein Unbekannter mit rothem Gesichte und sehr großem Barte (wüthend): "Donnerwetter, ja! Der gute alte Rechtsboden soll leben!" (Jetzt erhebt sich von allen Seiten ein großes Geschrei nach dem Rechtsboden) Landrath Pilgrim: "Dem ältesten Mitgliede der Landwirthschaft, dem würdigen, von dem Feuer der Jugend (der Betoastete ist ca. 72 Jahre alt) beseelten Freiherrn v. Lilien-Borch ein Lebehoch!" Hr. Lilien-Borch kann vor Dankbarkeit und Freude sich nicht verständlich machen. Schulte Mehring aus Mengede: "Die Leute, welche zum Vereinbaren in Berlin und Frankfurt zusammen sind, sollen leben!" (Grausige Todtenstille.) Oekonom Bölling aus Nette: "Ein Hoch den sparsamen Hausfrauen!" (Hr. Bölling ist ein großer Franzosenfresser und Champagnertrinker.) Landrath v. Schade aus Lippstadt: "Alle Männer, welche für König und Vaterland und deren Nützlichkeit streiten wollen, sollen leben!" (Hurrah!) Jetzt erhob sich der berühmte Schullehrer von Lindenhorst und hielt einen gelehrten Vortrag über Agri- und Horticultur, Mythologie und Staatsformen. Nachdem er bis zur Hertha und zum Diocletian gekommen war, wurde durch Akklamation beschlossen, zur Thierschau zu wandern. Die Musik setzte sich an die Spitze des gemüthlichen Thierschau-Zuges. Draußen angekommen, nahm Landrath Pilgrim noch einmal das Wort. Seine Rede begann also: "Das Rindvieh - die Schaukommission ----------------------- 34 Bielefeld, 18. Septbr. Seit heute kann auch Bielefeld von "Bewegungen" sprechen. Am verflossenen Montag hatten die Arbeiter einen Aufzug mit Musik zu Ehren ihres vom Gesellen-Congreß heimgekehrten Deputirten gehalten; diese Demonstration schien den braven Bürgern ein sehr gefährliches Revolutionsgelüste, und so kam es, daß ein loyaler Baumeister einigen seiner Arbeiter die daran Theil genommen, für das Versäumniß einen Tag am Lohne abzog und dieselben aus dem Dienste entließ. In Folge dessen zogen nun heute Abend etwa 200 Gesellen und sonstige Arbeiter vor die Wohnung des Baumeisters und schickten demselben eine Deputation mit der Aufforderung den abgezogenen Tagelohn den Arbeitern zu vergüten und selbige wieder in Dienst zu nehmen. Der Herr schlug dies ab, und die versammelte Menge suchte den Lohnabzug wenigstens durch zertrümmerte Fensterscheiben auszugleichen. Nachdem der Trupp abgezogen und Alles ruhig war, erschien wie gewöhnlich die polizeilüsterne Bürgerwehr und verhaftete zwei beliebige vorübergehende Individuen. Mit dieser Heldenthat ist die "Ordnung" in Bielefeld wieder hergestellt. Italien. *
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[Deutschland] gen verschwunden; man begrüßt sich gegenseitig sehr freundschaftlichst und die Soldaten verschmähen es selbst nicht, in den Klubs die Rednertribüne zu besteigen und ihre Zuneigung zu den neuen Ideen öffentlich und feierlichst auszusprechen. Um diese Verhältnisse für die Zukunft zu sichern und die freund-freundschaftlichen Bande zwischen Volk und Militär noch fester zu knüpfen, hat der Bürgerwehr-Klub ein großes Verbrüderungsfest zu morgen Nachmittag veranstaltet. Man hofft, daß sich viele Tausende dazu einfinden werden. 61 Wien, 12. Sept. Abends. Die Stadt ist noch immer in steigender Aufregung. Sämmtliche zu dem Ministerium des Innern führende Straßen sind seit 3 Uhr durch die Legion und Nationalgarde abgesperrt. Gegen die Nationalgarde des Wimmer- und Schotten-Viertels (innere Stadt) sind Thätlichkeiten verübt worden. Dobblhoff hat einen neuen Aufruf an das Volk erlassen, worin er um Aufrechthaltung der Ruhe recht zitternd nachsucht. Zu den Thoren strömten gegen Abend Menschenmassen aus den Vorstädten herein; man befürchtete eine Sturmpetition wider das Ministerium und das Gerücht verbreitete sich, ein Theil der Bürgerschaft habe sich nach Schönbrunn begeben. Gegen 8 Uhr wurden alle Thore der innern Stadt verschlossen und niemand hereingelassen, der nicht seine Wohnung anzugeben vermochte. Swoboda, durch dessen Unternehmen die Aufregung veranlaßt ist, soll sich freiwillig den Gerichten gestellt haben. Man beschuldigt ihn der Unterschlagung aller für die Aktien eingegangenen Gelder; einige sagen sogar, Jellachich habe dieselben bekommen. Swoboda gründete nämlich einen Aushülfsverein für Gewerbtreibende und emittirte Aktien; der Kaiser betheiligte sich dabei und nun will das Volk, daß die Minister die Verantwortlichkeit dieses seine Hoffnungen nicht realisirenden Unternehmens tragen und dasselbe bei der Zahlungsunfähigkeit Swoboda's insofern garantiren sollen, daß die Aktien an allen öffentlichen Kassen wie baares Geld angenommen würden. Dobblhoff hat sich im Bürgerstande besonders dadurch verdächtigt, daß er schon vom Morgen an einen ergebenen Theil der Bürgerwehr in den Kellern des Ministerialgebäudes versteckt gehalten und dieselben nun beim Eindringen des Volks in das Gebäude zum Vorschein hat kommen lassen. Der Stephansdom ist von der Nationalgarde umstellt, um Sturmläuten zu verhüten; in der aufgeregten Masse sprach man von Barrikadenbauen. Alle öffentlichen Plätze sind von der Nationalgarde besetzt. Wie ich höre, soll Jellachich von Radetzky 1 Mill. Fl. K. M. erhalten haben. Von Grätz aus sollen demselben in Zuckerfässern Brandraketen zugesendet worden sein. 13. September. Ich komme eben (12 Uhr) aus der 41. Sitzung des Reichstags. Die Debatten waren äußerst stürmisch. Es wurden die italienischen Interpellationen beantwortet, worauf der früher Selinger'sche, nun Sraßer'sche Antrag auf ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung kam. Graf Borkowski, Wieland, Füster sprachen unter dem allgemeinsten Beifall der Versammlung dagegen. Unter der Rede Borkowski's erhob sich der Kriegsminister Latour mit dem Zornesantlitz des Mars und wollte, daß der Präsident den Redner zum Schweigen bringe. Es entstand ein Tumult, viele Redner schrieen, daß Latour zur Ordnung gerufen werde, der Präsident that es mit glatten Worten. Die Wirbel des Generalmarsch's schlugen während des ganzen Morgens, die Aufregung ist seit gestern fortwährend im Steigen; die Aula ist versammelt, Menschenmassen füllen alle Straßen; das Volk strömt zu den Linien herein. ‒ Der Reichstag wollte eben die Sitzung schließen, als der Kriegsminister ‒ die andern Minister hatten sich längst entfernt ‒ die Erklärung abgab, die Nationalgarde weigere sich, anszurücken, die akademische Legion beabsichtige um 4 Uhr Ministerium und Reichstag zu stürzen, er müsse zu ihrem Schutz das Militär einrücken lassen. Löhner stellte sofort den Antrag, daß der Reichstag sich für permanent erkläre. Es geschieht. In dem Augenblicke meines Austritts sprach der Abgeordnete Goldmark über die italienische Angelegenheit. Der Antrag Selinger-Straßer wird verworfen werden. Die Aufregung in der Aula hat theilweise auch die von der Nationalgarde gestern Abend wider einen Studenten verübte Mißhandlung zum Grunde. Das Schlimmste steht zu befürchten, wenn Gewaltthaten geschehen, denn wir leben in einem wahren Chaos von politischen, sozialen und nationalen Meinungen. 61 Wien, 13. Sept. 6 1/2 Uhr. Die Bewegung verwandelt sich immer mehr in einem Aufstand. Man verlangt den Sicherheitsausschuß wiederhergestellt; gedruckte Zettel werden zu diesem Zwecke unter die Menge vertheilt. Es hat sich ausgewiesen, daß die Beschuldigung des Kriegsministers, die Aula wolle den Reichstag sprengen, eine Erfindung gewesen. Seien Sie versichert, die Reaktion will heute einen kühnen Streich führen; Latour ging, wie ein Tiger gereizt, aus dem Sitzungssaal des Reichstags, er wird Rache nehmen. Das Militär rückt an, die Nationalgarde und Legion sind überall aufgestellt, erstere ist getheilter Meinung. Am Judenplatze ist es vor dem Gebäude des Ministeriums des Innern zu einem Angriff gekommen; die Entwaffnung konnte aber nicht erzielt werden. Vor dem Kriegsgebäude soll es nach dem Reichstag zugegangenen Berichten ebenfalls zum Angriff gekommen sein. Barrikaden, so heißt es allgemein, sind erbaut worden. Der Reichstag hält Rath, ob der Sicherheitsausschuß wieder herzustellen sei. Die Nacht wird, bricht der Kampf los, schrecklich werden. Aus Pesth sind noch keine bestimmten Nachrichten da, die Stimmung der Stadt soll aber außerordentlich sein. Hier sind alle Läden geschlossen, man kann vor Bewaffneten nirgendwo durch. 102 Wien, 13. Sept. 41. Reichstagssitzung. Anfang 9 1/2 Uhr. Vorsitz. Strobach. Keine Minister. Präsident beantragt, heute Nachmittag die Neuwahl des Präsidiums vorzunehmen, er zeigt an, das Justiz-Ministerium habe in Beziehung auf die 500 italienischen Gefangenen in Szezedin Schriften auf den Tisch des Hauses niedergelegt. Urlaube werden ertheilt. Eingaben werden verlesen. Darunter eine aus Köln wegen Verbesserung des Volksschulwesens und Dobblhoffs Entwurf zur Provinzialverfassung Schlesiens. Einige Gemeinden petiren um Beibehaltung der Privilegien der Gewerbetreibenden. Die Stadt Wien petirt um Maßregeln zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung. Präs. Der Abg. Brestl hat einen dringenden Antrag überreicht: „Der Reichstag möge beschließen, daß wegen der mißlichen Verhältnisse der Gewerbetreibenden der Hauptstadt und weil dieselben der Freiheit die uneigennützigsten Opfer gebracht, dem Ministerium des Handels ein Kredit von 2 Mill. fl. eröffnet werde.“ Dylewski (der schon eine Ernennung des Ministeriums für seine absolutistischen Dienste in der Tasche hat) sieht darin einen Parteiantrag. Pillersdorf bedauert, daß Brestl ihn zur Unterzeichnung des Antrags nicht eingeladen. Schuselka will denselben auch auf die Bewohner von 5 und 6 Haus (Proletariat) ausgedehnt haben, welche in den Märztagen die Märtyrer der Freiheit gewesen, indem sie geplündert worden. Piekas (Bohemien) beantragt eine gleiche Unterstützung für Prag. ‒ Brestls Antrag wird einstimmig unterstützt; nur Palacki (Bohemien) bleibt sitzen. Brestl spricht für seinen Antrag. Die Minister Schwarzer und Krauß treten herein. Goldmark. Der Antrag möge sogleich in Vollberathung genommen werden. (links unterstützt.) Piekas. Er muß zuerst an die Finanzkommission, welche in 24 Stunden berichten soll. (Alle Bohemiens und der Renegat Schwarzer erheben sich dafür.) Goldmark und Andere reden vergeblich gegen die 24 Stunden. Hornbostel, Handelsminister. Wir haben 500,000 fl. zu obigem Zweck schon längst bewilligt, heute werden in der Angelegenheit Swoboda baare Entschädigungen gegeben werden, darum genügt es, die Sache zuerst an die Finanzkommission zu überreichen. (Man hört den Generalmarsch schlagen.) Piekas Antrag wird angenommen. Die übrigen Minister sind unterdessen erschienen, werden aber mehrmals abgerufen; der Generalmarsch ertönt fort. Abgeordnete aus der Bukowina protestiren, daß in dem Ausschusse, der über die Entschädigungsfrage entscheiden soll, keiner aus ihrer Provinz ist. Minister Wessenberg will die gestrige Interpellation hinsichtlich Italiens beantworten und zieht einen Zettel aus der Tasche, den er abliest. Niemand hört ein Wort. Ein Abg. Lassen Sie durch einen andern Minister antworten. Bach will sich des Zettels bemächtigen, aber Latour stürzt auf ihn ein und entreißt ihm denselben. Latour (mit krächzender, kaum vernehmbarer Stimme.) Die Politik des Ministeriums in Italien…. Ehre und Würde des Kaiserreichs zu wahren … Das Vermittlungsanerbieten Frankreichs … angenommen. Das Ministerium wird Alles aufbieten, den Krieg zu vermeiden, jedoch die Nationalehre … Fürst Schwarzenberg ist zur Leitung der Angelegenheit zum Bevollmächtigten Oestreichs ernannt. Familienbande geben Modena gewisse Ansprüche auf Schutz … Goldmark, nach einem Kampfe mit dem Präsidenten: Ich bin mit dieser Erklärung nicht zufrieden, das Ministerium muß uns die Papiere vorlegen; Familienrücksichten können und dürfen jetzt nicht mehr entscheiden. Wessenberg, ohne Brille, das Bundestagsleichengesicht bekommt einiges Leben: Während der Verhandlung geschieht in keinem Lande eine Mittheilung an die Kammer. Goldmark will antworten, ein Abg. ruft: zur Ordnung! Goldmark: Ich lasse mich nicht zur Ordnung rufen. Wessenberg. Ich habe noch eine Interpellation zu beantworten: liest; Niemand versteht ein Wort. Die Antwort betrifft ebenfalls die italienischen Angelegenheiten. Neuwall. Die gestrigen Vorgänge sind durch eine neue Partei hervorgerufen; es sind Bürger von Wien, von denen sie ausgegangen, es müssen also gewichtige Ursachen vorliegen. Man hat für sie nie eine Stimme verlauten lassen, sondern immer nur für die Arbeiter; sie sind ebenso unglücklich als diese. Ein großer Theil der Arbeiter, auf welche Summen verschwendet wurden, ist nicht von hier gewesen; man hätte das Geld unter die Gewerbtreibenden vertheilen sollen. Er richtet in diesem Sinne eine lange Interpellation an den Handelsminister. Hornbostel. Swobodas Privatleiha stalt ohne hypothekarische Sicherheit hat die Bürger Wiens in ihren Hoffnungen getäuscht; die Noth war so groß, daß sie nicht nach der Sicherheit gefragt, sondern für einen kleinen Einsatz ein Papier genommen haben, welches keinen Kours erlangen konnte. Wir haben umsonst Warnungen, selbst an Swoboda, erlassen. Vorgestern schon habe man sich stürmisch an den Gemeindeausschuß und gestern mit Verübung von Gewaltthaten an den Minister des Innern gewendet. Der Nothstand sei schon vor dem März dagewesen, das Ministerium könne nichts zur Hebung der Gewerbe thun, nur das Vertrauen allein könne dies bewirken. Löhner und Potocki wollen noch interpelliren. Einer ruft: Tagesordnung. Dieselbe wird angenommen. Borrosch protestirt wider dies Verfahren. Berichte über Wahlen. Es handelt sich von der Wahl des Abg. Karl Schneider aus Schlesien. Schneider. Man hat protestirt, weil ich protestantischer Geistlicher bin, man ist von gewisser Seite erbost, daß auch meine Kirche einen Vertreter hier hat. Ich kenne mein Volk, mein Volk hat kein Mißtrauen wider euch. (Beifall.) Wird angenommen, nur die Bohemiens und Juden dagegen. Präs. bringt den von Solinger fallen gelassenen, von dem Ritter von Lasser, dem Schnapphahnski des Reichstags, aber wieder aufgenommenen Antrag über ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung. 16 Redner sind für und gegen eingeschrieben. Lasser erzählt, indem er aus einem dicken Hefte von der Tribüne abliest, in einer langen unausstehlich erbärmlichen Parabel den italienischen Krieg. Er macht dem Reichstag und besonders der Linken, auf die er immer hinsieht, die ungezogensten Vorwürfe darüber, daß sie den Solingerschen Antrag nicht mit Akklamation angenommen, sondern zur Tagesordnung verwiesen habe. Er wird mehrmals ermahnt, nicht abzulesen; die Kammer wird unruhig vor Langweile. (Draußen wirbelt immerfort der Generalmarsch. Alle Minister bis auf Latour sind abwesend.) [Schluß folgt.] Wien, 12. Sept. Eben erfahre ich, was um 2 Uhr vom ungarischen Ministerium an das hier residirende ungarische Ministerium des Aeußern aus Pesth mit Stafette anlangte: „Der Landtag hat sich permanent und insofern souverain erklärt, daß er die vom Könige nicht bestätigten neuen Gesetze als vollkommen gültig und bindend verkündet und die großartigsten Maßnahmen trifft, zur Vertheidigung und Rettung des Vaterlandes.“ ‒ Pesth ist ruhig. Nicht die mindeste Unordnung ist eingetreten, alles ist beschäftigt die Rüstungen, Werbungen etc. zu unterstützen. (Od. Z.)Wien, 13. Sept. Neueste Nachrichten aus Pesth: „Provisorische Regierung. Kossuth an der Spitze.“ (Bedarf noch der Bestätigung.) (Schl. Z.)Wien. Die Vereinbarung eines Krawalles ist gestern gänzlich mißglückt. Heute, am 14. September, lebt die Freiheit noch. (Konstitution.)Leipzig, 15. Sept. Die von gestern aus Chemnitz eingegangenen Nachrichten bestätigen die Fortdauer der hergestellten Ruhe. Wie der „Chemnitzer Anzeiger“ sagt, sollen nicht wenig Mitglieder der Kommunalgarde, zwar ohne Binde und sonstige Armatur, allein mit dem Gewehr unter den Tumultuanten gesehen worden sein. Die Bürgerschule, aus der die Bänke zu den Barrikaden verwendet wurden, die Dietrich'sche Farbe und das Leistner'sche Haus in der Johannisgasse, das Hinterhaus von Wex und Lindner, wo die Handelsschule ist, und das Hösel'sche Haus werden als die bezeichnet, welche die meisten Zeichen der stattgehabten Kämpfe aufzuweisen haben. Die Kugeln stecken meist ziemlich hoch. Ueber den eigentlichen Zusammenhang der ganzen unseligen Vorgänge ist man noch unklar. (D. A. Z.) * Mainz, 12. Septbr. In der östreichischen Armee, wenigstens in deren „deutschem Contingent“ zu Mainz, wie Herr Peucker fein unterscheidet, ist die Knute und das Spießruthenlaufen noch in schönster Blüthe. Wie ein Mainzer Blatt erzählt, sah man gestern in einem der verstecktesten Gräben hinter der Citadelle „unter strömendem Regen und unter still rieselnden Thränen“ eine schwankende Gestalt durch eine Reihe von 300 Soldaten sich bewegen, denen das Blut vom Rücken des Gefolterten ins Gesicht spritzte! Dicht an dieser Reihe standen 6 Bänke, auf denen eben so viele Soldaten lagen, auf die man unter den Flüchen eines Stabsoffiziers losschlug, der unter Androhung gleicher Strafe zur „Pflicht“ des „Dreinhauens“ anfeuerte. Und was hatten diese Unglücklichen verbrochen? Beim Baue des Kugelfängers am Artillerieubungsplatze akkordirte der bauführende Offizier mit den Leuten wegen der Arbeit; als diese nun fertig war, verlangte er noch weiteres Arbeiten, und als sie aus Müdigkeit nicht auf der Stelle diesem Befehle nachkamen, gerieht der Offizier in Zorn, ließ jene 6 Leute in Stockhausarrest abführen, wo sie 8 Tagen wie verschollen saßen, bis gestern ein Korporal Ordre erhielt, Haselstöcke einzukaufen, mit denen dann jene Schreckensscene im alten Style vollführt ward. 8 Dortmund, 16. Sept. Unser politisches Duselleben ist in ein neues Stadium getreten. Am 15. hatten wir nämlich das Vergnügen, die „Landeskulturgesellschaft“ in festlicher Weise hier versammelt zu sehen. Hiermit war eine Thierschau von Ochsen und Kälbern verbunden und Gleichgesinnte hatten sich in Menge angeschlossen. Unsere Reaktion ist nicht so dumm wie sie aussieht. Sie weiß selbst das gemüthliche Stelldichein von allerlei Rindvieh für ihre politischen Zwecke zu benutzen. Wenn unsere „Familienväter“, unsere „Männer des Rechts“, selbst unsere „greisen Krieger“ noch eine gewisse konstitutionelle Decenz zu beobachten für schicklich erachten, so halten dagegen unsre Ochsen und Schafzüchter es mit Recht für zeitgemäß, jede lästige Maske abzuthun und mit teutoburgischer Biedermännlichkeit vorzugehen. Beim festlichen Mahle nahm zuerst der Präsident, Kammerherr v. Bodelschwingh das Wort und sprach: „der König soll leben. Die Nationalversammlungen in Berlin und Frankfurt sind aus Neuerungen hervorgegangen. Wir halten am Alten, an unsern bethürmten Burgen und Höfen. (Mit erhobener Stimme.) Wir wollen zum Alten zurückkehren. Der König Hoch!“ (Donnerndes Hoch.) Freiherr von Lilien-Borch: der Landwirthschaft ein Hoch! Der Justizkommissar Spemann aus Dortmund: „das Jahr 1848 hat fürchterliche Mißverhältnisse hervorgerufen. Doch die Grafschaft Mark hat sich in schlimmeren Jahren treu und bewährt gezeigt. Am 18. März hat man den Bruder vom Bruder getrennt. Gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit gesündigt. Doch das bleibe dahingestellt ‒ deßhalb lebe Se. Königl. Hoheit der Prinz von Preußen hoch“ (Brüllendes Hoch.) Ein Unbekannter: „Mir wird sehr übel“ (faktisch). Pastor Bäumer: „Das Stämmchen der Freiheit kann weder in Berlin noch in Frankfurt zum Stamme gedeihen, weil keine Grundbesitzer dort sind. Der Grundbesitzer wird allein vom wahren Rechte geleitet; er allein kennt den Rechtsboden. Daher lebe der Rechtsboden! “ (Rauschender Beifall.) Ein Unbekannter mit rothem Gesichte und sehr großem Barte (wüthend): „Donnerwetter, ja! Der gute alte Rechtsboden soll leben!“ (Jetzt erhebt sich von allen Seiten ein großes Geschrei nach dem Rechtsboden) Landrath Pilgrim: „Dem ältesten Mitgliede der Landwirthschaft, dem würdigen, von dem Feuer der Jugend (der Betoastete ist ca. 72 Jahre alt) beseelten Freiherrn v. Lilien-Borch ein Lebehoch!“ Hr. Lilien-Borch kann vor Dankbarkeit und Freude sich nicht verständlich machen. Schulte Mehring aus Mengede: „Die Leute, welche zum Vereinbaren in Berlin und Frankfurt zusammen sind, sollen leben!“ (Grausige Todtenstille.) Oekonom Bölling aus Nette: „Ein Hoch den sparsamen Hausfrauen!“ (Hr. Bölling ist ein großer Franzosenfresser und Champagnertrinker.) Landrath v. Schade aus Lippstadt: „Alle Männer, welche für König und Vaterland und deren Nützlichkeit streiten wollen, sollen leben!“ (Hurrah!) Jetzt erhob sich der berühmte Schullehrer von Lindenhorst und hielt einen gelehrten Vortrag über Agri- und Horticultur, Mythologie und Staatsformen. Nachdem er bis zur Hertha und zum Diocletian gekommen war, wurde durch Akklamation beschlossen, zur Thierschau zu wandern. Die Musik setzte sich an die Spitze des gemüthlichen Thierschau-Zuges. Draußen angekommen, nahm Landrath Pilgrim noch einmal das Wort. Seine Rede begann also: „Das Rindvieh ‒ die Schaukommission ‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒ 34 Bielefeld, 18. Septbr. Seit heute kann auch Bielefeld von „Bewegungen“ sprechen. Am verflossenen Montag hatten die Arbeiter einen Aufzug mit Musik zu Ehren ihres vom Gesellen-Congreß heimgekehrten Deputirten gehalten; diese Demonstration schien den braven Bürgern ein sehr gefährliches Revolutionsgelüste, und so kam es, daß ein loyaler Baumeister einigen seiner Arbeiter die daran Theil genommen, für das Versäumniß einen Tag am Lohne abzog und dieselben aus dem Dienste entließ. In Folge dessen zogen nun heute Abend etwa 200 Gesellen und sonstige Arbeiter vor die Wohnung des Baumeisters und schickten demselben eine Deputation mit der Aufforderung den abgezogenen Tagelohn den Arbeitern zu vergüten und selbige wieder in Dienst zu nehmen. Der Herr schlug dies ab, und die versammelte Menge suchte den Lohnabzug wenigstens durch zertrümmerte Fensterscheiben auszugleichen. Nachdem der Trupp abgezogen und Alles ruhig war, erschien wie gewöhnlich die polizeilüsterne Bürgerwehr und verhaftete zwei beliebige vorübergehende Individuen. Mit dieser Heldenthat ist die „Ordnung“ in Bielefeld wieder hergestellt. Italien. *
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0529"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Beilage zu Nr. 106 der Neuen Rheinischen Zeitung. </titlePart> <docImprint> <docDate>Dienstag, 19. September 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland.</hi> Köln. (Volksversammlung in Worringen.) Frankfurt. (Debatte in der Nat.-Vers. über den Waffenstillstand. ‒ Unruhen.) Berlin. (Die Krisis.) Wien. (Aufstand. ‒ Der Reichstag in Permanenz. ‒ Nachricht aus Ungarn.) Leipzig. (Aus Chemnitz.) Mainz (Spießruthen.) Dortmund. (Thierschau.) Bielefeld. (Unruhen.)</p> <p><hi rendition="#g">Italien.</hi> (Messinesische Flüchtlinge auf der franz. Flotte. ‒ Der franz. Gesandte. ‒ Albini bei Ankona.</p> <p><hi rendition="#g">Französische Republik.</hi> Paris. (Die Departementalkommissäre. ‒ National-Versammlung. ‒ Cavaignac's Vater.)</p> <p><hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> London. (Der Aufstand in Tipperary unterdrückt.)</p> <p><hi rendition="#g">Portugal.</hi> (Cholera-Angst. ‒ Der englische Handelsvertrag.)</p> <p><hi rendition="#g">Amerika.</hi> (Die Präsidentschaft. ‒ Mexico ruhig.)</p> <p> <hi rendition="#g">Handelsnachrichten.</hi> </p> </div> <div n="1"> <head>[Deutschland]</head> <div xml:id="ar106b_001" type="jArticle"> <p>gen verschwunden; man begrüßt sich gegenseitig sehr freundschaftlichst und die Soldaten verschmähen es selbst nicht, in den Klubs die Rednertribüne zu besteigen und ihre Zuneigung zu den neuen Ideen öffentlich und feierlichst auszusprechen.</p> <p>Um diese Verhältnisse für die Zukunft zu sichern und die freund-freundschaftlichen Bande zwischen Volk und Militär noch fester zu knüpfen, hat der Bürgerwehr-Klub ein großes <hi rendition="#g">Verbrüderungsfest</hi> zu morgen Nachmittag veranstaltet. Man hofft, daß sich viele Tausende dazu einfinden werden.</p> </div> <div xml:id="ar106b_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 12. Sept. </head> <p>Abends. Die Stadt ist noch immer in steigender Aufregung. Sämmtliche zu dem Ministerium des Innern führende Straßen sind seit 3 Uhr durch die Legion und Nationalgarde abgesperrt. Gegen die Nationalgarde des Wimmer- und Schotten-Viertels (innere Stadt) sind Thätlichkeiten verübt worden. Dobblhoff hat einen neuen Aufruf an das Volk erlassen, worin er um Aufrechthaltung der Ruhe recht zitternd nachsucht. Zu den Thoren strömten gegen Abend Menschenmassen aus den Vorstädten herein; man befürchtete eine Sturmpetition wider das Ministerium und das Gerücht verbreitete sich, ein Theil der Bürgerschaft habe sich nach Schönbrunn begeben. Gegen 8 Uhr wurden alle Thore der innern Stadt verschlossen und niemand hereingelassen, der nicht seine Wohnung anzugeben vermochte. Swoboda, durch dessen Unternehmen die Aufregung veranlaßt ist, soll sich freiwillig den Gerichten gestellt haben. Man beschuldigt ihn der Unterschlagung aller für die Aktien eingegangenen Gelder; einige sagen sogar, Jellachich habe dieselben bekommen. Swoboda gründete nämlich einen Aushülfsverein für Gewerbtreibende und emittirte Aktien; der Kaiser betheiligte sich dabei und nun will das Volk, daß die Minister die Verantwortlichkeit dieses seine Hoffnungen nicht realisirenden Unternehmens tragen und dasselbe bei der Zahlungsunfähigkeit Swoboda's insofern garantiren sollen, daß die Aktien an allen öffentlichen Kassen wie baares Geld angenommen würden. Dobblhoff hat sich im Bürgerstande besonders dadurch verdächtigt, daß er schon vom Morgen an einen ergebenen Theil der Bürgerwehr in den Kellern des Ministerialgebäudes versteckt gehalten und dieselben nun beim Eindringen des Volks in das Gebäude zum Vorschein hat kommen lassen. Der Stephansdom ist von der Nationalgarde umstellt, um Sturmläuten zu verhüten; in der aufgeregten Masse sprach man von Barrikadenbauen. Alle öffentlichen Plätze sind von der Nationalgarde besetzt.</p> <p>Wie ich höre, soll Jellachich von Radetzky 1 Mill. Fl. K. M. erhalten haben. Von Grätz aus sollen demselben in Zuckerfässern Brandraketen zugesendet worden sein. </p> <p>13. September. Ich komme eben (12 Uhr) aus der 41. Sitzung des Reichstags. Die Debatten waren äußerst stürmisch. Es wurden die italienischen Interpellationen beantwortet, worauf der früher Selinger'sche, nun Sraßer'sche Antrag auf ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung kam. Graf Borkowski, Wieland, Füster sprachen unter dem allgemeinsten Beifall der Versammlung dagegen. Unter der Rede Borkowski's erhob sich der Kriegsminister Latour mit dem Zornesantlitz des Mars und wollte, daß der Präsident den Redner zum Schweigen bringe. Es entstand ein Tumult, viele Redner schrieen, daß Latour zur Ordnung gerufen werde, der Präsident that es mit glatten Worten. Die Wirbel des Generalmarsch's schlugen während des ganzen Morgens, die Aufregung ist seit gestern fortwährend im Steigen; die Aula ist versammelt, Menschenmassen füllen alle Straßen; das Volk strömt zu den Linien herein. ‒ Der Reichstag wollte eben die Sitzung schließen, als der Kriegsminister ‒ die andern Minister hatten sich längst entfernt ‒ die Erklärung abgab, die Nationalgarde weigere sich, anszurücken, die akademische Legion beabsichtige um 4 Uhr Ministerium und Reichstag zu stürzen, er müsse zu ihrem Schutz das Militär einrücken lassen.</p> <p>Löhner stellte sofort den Antrag, daß der Reichstag sich für permanent erkläre. Es geschieht. In dem Augenblicke meines Austritts sprach der Abgeordnete Goldmark über die italienische Angelegenheit. Der Antrag Selinger-Straßer wird verworfen werden.</p> <p>Die Aufregung in der Aula hat theilweise auch die von der Nationalgarde gestern Abend wider einen Studenten verübte Mißhandlung zum Grunde. Das Schlimmste steht zu befürchten, wenn Gewaltthaten geschehen, denn wir leben in einem wahren Chaos von politischen, sozialen und nationalen Meinungen.</p> </div> <div xml:id="ar106b_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 13. Sept. </head> <p>6 1/2 Uhr. Die Bewegung verwandelt sich immer mehr in einem Aufstand. Man verlangt den <hi rendition="#g">Sicherheitsausschuß wiederhergestellt; </hi> gedruckte <hi rendition="#g">Zettel</hi> werden zu diesem Zwecke unter die Menge vertheilt.</p> <p>Es hat sich ausgewiesen, daß die Beschuldigung des Kriegsministers, die Aula wolle den Reichstag sprengen, eine Erfindung gewesen. Seien Sie versichert, die Reaktion will heute einen kühnen Streich führen; Latour ging, wie ein Tiger gereizt, aus dem Sitzungssaal des Reichstags, er wird Rache nehmen. Das Militär rückt an, die Nationalgarde und Legion sind überall aufgestellt, erstere ist getheilter Meinung. Am Judenplatze ist es vor dem Gebäude des Ministeriums des Innern zu einem Angriff gekommen; die Entwaffnung konnte aber nicht erzielt werden. Vor dem Kriegsgebäude soll es nach dem Reichstag zugegangenen Berichten ebenfalls zum Angriff gekommen sein. Barrikaden, so heißt es allgemein, sind erbaut worden. Der Reichstag hält Rath, ob der Sicherheitsausschuß wieder herzustellen sei.</p> <p>Die Nacht wird, bricht der Kampf los, schrecklich werden. Aus Pesth sind noch keine bestimmten Nachrichten da, die Stimmung der Stadt soll aber außerordentlich sein. Hier sind alle Läden geschlossen, man kann vor Bewaffneten nirgendwo durch.</p> </div> <div xml:id="ar106b_004" type="jArticle"> <head><bibl><author>102</author></bibl> Wien, 13. Sept.</head> <p>41. Reichstagssitzung. Anfang 9 1/2 Uhr. Vorsitz. <hi rendition="#g">Strobach.</hi> Keine Minister.</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> beantragt, heute Nachmittag die Neuwahl des Präsidiums vorzunehmen, er zeigt an, das Justiz-Ministerium habe in Beziehung auf die 500 italienischen Gefangenen in Szezedin Schriften auf den Tisch des Hauses niedergelegt.</p> <p>Urlaube werden ertheilt.</p> <p>Eingaben werden verlesen. Darunter eine aus Köln wegen Verbesserung des Volksschulwesens und Dobblhoffs Entwurf zur Provinzialverfassung Schlesiens. Einige Gemeinden petiren um Beibehaltung der Privilegien der Gewerbetreibenden. Die Stadt Wien petirt um Maßregeln zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung.</p> <p><hi rendition="#g">Präs.</hi> Der Abg. <hi rendition="#g">Brestl</hi> hat einen dringenden Antrag überreicht:</p> <p>„Der Reichstag möge beschließen, daß wegen der mißlichen Verhältnisse der Gewerbetreibenden der Hauptstadt und weil dieselben der Freiheit die uneigennützigsten Opfer gebracht, dem Ministerium des Handels ein Kredit von 2 Mill. fl. eröffnet werde.“</p> <p><hi rendition="#g">Dylewski</hi> (der schon eine Ernennung des Ministeriums für seine absolutistischen Dienste in der Tasche hat) sieht darin einen Parteiantrag.</p> <p><hi rendition="#g">Pillersdorf</hi> bedauert, daß Brestl ihn zur Unterzeichnung des Antrags nicht eingeladen.</p> <p><hi rendition="#g">Schuselka</hi> will denselben auch auf die Bewohner von 5 und 6 Haus (Proletariat) ausgedehnt haben, welche in den Märztagen die Märtyrer der Freiheit gewesen, indem sie geplündert worden.</p> <p><hi rendition="#g">Piekas</hi> (Bohemien) beantragt eine gleiche Unterstützung für Prag. ‒ Brestls Antrag wird einstimmig unterstützt; nur Palacki (Bohemien) bleibt sitzen.</p> <p><hi rendition="#g">Brestl</hi> spricht für seinen Antrag. Die Minister Schwarzer und Krauß treten herein.</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark.</hi> Der Antrag möge sogleich in Vollberathung genommen werden. (links unterstützt.) </p> <p><hi rendition="#g">Piekas. </hi> Er muß zuerst an die Finanzkommission, welche in 24 Stunden berichten soll. (Alle Bohemiens und der Renegat Schwarzer erheben sich dafür.) </p> <p><hi rendition="#g">Goldmark</hi> und Andere reden vergeblich gegen die 24 Stunden.</p> <p><hi rendition="#g">Hornbostel, </hi> Handelsminister. Wir haben 500,000 fl. zu obigem Zweck schon längst bewilligt, heute werden in der Angelegenheit Swoboda baare Entschädigungen gegeben werden, darum genügt es, die Sache zuerst an die Finanzkommission zu überreichen. (Man hört den Generalmarsch schlagen.)</p> <p><hi rendition="#g">Piekas</hi> Antrag wird angenommen. Die übrigen Minister sind unterdessen erschienen, werden aber mehrmals abgerufen; der Generalmarsch ertönt fort. Abgeordnete aus der Bukowina protestiren, daß in dem Ausschusse, der über die Entschädigungsfrage entscheiden soll, keiner aus ihrer Provinz ist.</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Wessenberg</hi> will die gestrige Interpellation hinsichtlich Italiens beantworten und zieht einen Zettel aus der Tasche, den er abliest. Niemand hört ein Wort.</p> <p><hi rendition="#g">Ein Abg. </hi> Lassen Sie durch einen andern Minister antworten.</p> <p><hi rendition="#g">Bach</hi> will sich des Zettels bemächtigen, aber Latour stürzt auf ihn ein und entreißt ihm denselben.</p> <p><hi rendition="#g">Latour</hi> (mit krächzender, kaum vernehmbarer Stimme.) Die Politik des Ministeriums in Italien…. Ehre und Würde des Kaiserreichs zu wahren … Das Vermittlungsanerbieten Frankreichs … angenommen. Das Ministerium wird Alles aufbieten, den Krieg zu vermeiden, jedoch die Nationalehre … Fürst Schwarzenberg ist zur Leitung der Angelegenheit zum Bevollmächtigten Oestreichs ernannt. Familienbande geben Modena gewisse Ansprüche auf Schutz …</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark,</hi> nach einem Kampfe mit dem Präsidenten: Ich bin mit dieser Erklärung nicht zufrieden, das Ministerium muß uns die Papiere vorlegen; Familienrücksichten können und dürfen jetzt nicht mehr entscheiden.</p> <p><hi rendition="#g">Wessenberg, </hi> ohne Brille, das Bundestagsleichengesicht bekommt einiges Leben: Während der Verhandlung geschieht in keinem Lande eine Mittheilung an die Kammer.</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark</hi> will antworten, ein Abg. ruft: zur Ordnung!</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark:</hi> Ich lasse mich nicht zur Ordnung rufen.</p> <p><hi rendition="#g">Wessenberg.</hi> Ich habe noch eine Interpellation zu beantworten: liest; Niemand versteht ein Wort. Die Antwort betrifft ebenfalls die italienischen Angelegenheiten.</p> <p><hi rendition="#g">Neuwall.</hi> Die gestrigen Vorgänge sind durch eine neue Partei hervorgerufen; es sind Bürger von Wien, von denen sie ausgegangen, es müssen also gewichtige Ursachen vorliegen. Man hat für sie nie eine Stimme verlauten lassen, sondern immer nur für die Arbeiter; sie sind ebenso unglücklich als diese. Ein großer Theil der Arbeiter, auf welche Summen verschwendet wurden, ist nicht von hier gewesen; man hätte das Geld unter die Gewerbtreibenden vertheilen sollen. Er richtet in diesem Sinne eine lange Interpellation an den Handelsminister.</p> <p><hi rendition="#g">Hornbostel.</hi> Swobodas Privatleiha stalt ohne hypothekarische Sicherheit hat die Bürger Wiens in ihren Hoffnungen getäuscht; die Noth war so groß, daß sie nicht nach der Sicherheit gefragt, sondern für einen kleinen Einsatz ein Papier genommen haben, welches keinen Kours erlangen konnte. Wir haben umsonst Warnungen, selbst an Swoboda, erlassen.</p> <p>Vorgestern schon habe man sich stürmisch an den Gemeindeausschuß und gestern mit Verübung von Gewaltthaten an den Minister des Innern gewendet. Der Nothstand sei schon vor dem März dagewesen, das Ministerium könne nichts zur Hebung der Gewerbe thun, nur das Vertrauen allein könne dies bewirken.</p> <p><hi rendition="#g">Löhner</hi> und <hi rendition="#g">Potocki</hi> wollen noch interpelliren. Einer ruft: Tagesordnung. Dieselbe wird angenommen.</p> <p><hi rendition="#g">Borrosch</hi> protestirt wider dies Verfahren.</p> <p>Berichte über Wahlen. Es handelt sich von der Wahl des Abg. Karl Schneider aus Schlesien.</p> <p><hi rendition="#g">Schneider.</hi> Man hat protestirt, weil ich protestantischer Geistlicher bin, man ist von gewisser Seite erbost, daß auch meine Kirche einen Vertreter hier hat. Ich kenne mein Volk, mein Volk hat kein Mißtrauen wider euch. (Beifall.) Wird angenommen, nur die Bohemiens und Juden dagegen.</p> <p><hi rendition="#g">Präs.</hi> bringt den von <hi rendition="#g">Solinger</hi> fallen gelassenen, von dem Ritter von <hi rendition="#g">Lasser,</hi> dem Schnapphahnski des Reichstags, aber wieder aufgenommenen Antrag über ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung.</p> <p>16 Redner sind für und gegen eingeschrieben.</p> <p><hi rendition="#g">Lasser</hi> erzählt, indem er aus einem dicken Hefte von der Tribüne abliest, in einer langen unausstehlich erbärmlichen Parabel den italienischen Krieg. Er macht dem Reichstag und besonders der Linken, auf die er immer hinsieht, die ungezogensten Vorwürfe darüber, daß sie den Solingerschen Antrag nicht mit Akklamation angenommen, sondern zur Tagesordnung verwiesen habe. Er wird mehrmals ermahnt, nicht abzulesen; die Kammer wird unruhig vor Langweile.</p> <p>(Draußen wirbelt immerfort der Generalmarsch. Alle Minister bis auf Latour sind abwesend.)</p> <p> <ref type="link">[Schluß folgt.]</ref> </p> </div> <div xml:id="ar106b_005" type="jArticle"> <head>Wien, 12. Sept.</head> <p>Eben erfahre ich, was um 2 Uhr vom ungarischen Ministerium an das hier residirende ungarische Ministerium des Aeußern aus Pesth mit Stafette anlangte: „Der Landtag hat sich permanent und insofern souverain erklärt, daß er die vom Könige nicht bestätigten neuen Gesetze als vollkommen gültig und bindend verkündet und die großartigsten Maßnahmen trifft, zur Vertheidigung und Rettung des Vaterlandes.“ ‒ Pesth ist ruhig. Nicht die mindeste Unordnung ist eingetreten, alles ist beschäftigt die Rüstungen, Werbungen etc. zu unterstützen.</p> <bibl>(Od. Z.)</bibl> </div> <div xml:id="ar106b_006" type="jArticle"> <head>Wien, 13. Sept.</head> <p>Neueste Nachrichten aus Pesth: „Provisorische Regierung. Kossuth an der Spitze.“ (Bedarf noch der Bestätigung.)</p> <bibl> (Schl. Z.) </bibl> </div> <div xml:id="ar106b_007" type="jArticle"> <head>Wien.</head> <p>Die Vereinbarung eines Krawalles ist gestern gänzlich mißglückt. Heute, am 14. September, lebt die Freiheit noch.</p> <bibl>(Konstitution.)</bibl> </div> <div xml:id="ar106b_008" type="jArticle"> <head>Leipzig, 15. Sept.</head> <p>Die von gestern aus <hi rendition="#g">Chemnitz</hi> eingegangenen Nachrichten bestätigen die Fortdauer der hergestellten Ruhe. Wie der „Chemnitzer Anzeiger“ sagt, sollen nicht wenig Mitglieder der Kommunalgarde, zwar ohne Binde und sonstige Armatur, allein mit dem Gewehr unter den Tumultuanten gesehen worden sein. Die Bürgerschule, aus der die Bänke zu den Barrikaden verwendet wurden, die Dietrich'sche Farbe und das Leistner'sche Haus in der Johannisgasse, das Hinterhaus von Wex und Lindner, wo die Handelsschule ist, und das Hösel'sche Haus werden als die bezeichnet, welche die meisten Zeichen der stattgehabten Kämpfe aufzuweisen haben. Die Kugeln stecken meist ziemlich hoch. Ueber den eigentlichen Zusammenhang der ganzen unseligen Vorgänge ist man noch unklar.</p> <bibl>(D. A. Z.)</bibl> </div> <div xml:id="ar106b_009" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Mainz, 12. Septbr.</head> <p>In der östreichischen Armee, wenigstens in deren „deutschem Contingent“ zu Mainz, wie Herr Peucker fein unterscheidet, ist die Knute und das Spießruthenlaufen noch in schönster Blüthe. Wie ein Mainzer Blatt erzählt, sah man gestern in einem der verstecktesten Gräben hinter der Citadelle „unter strömendem Regen und unter still rieselnden Thränen“ eine schwankende Gestalt durch eine Reihe von 300 Soldaten sich bewegen, denen das Blut vom Rücken des Gefolterten ins Gesicht spritzte! Dicht an dieser Reihe standen 6 Bänke, auf denen eben so viele Soldaten lagen, auf die man unter den Flüchen eines Stabsoffiziers losschlug, der unter Androhung gleicher Strafe zur „Pflicht“ des „Dreinhauens“ anfeuerte. Und was hatten diese Unglücklichen verbrochen? Beim Baue des Kugelfängers am Artillerieubungsplatze akkordirte der bauführende Offizier mit den Leuten wegen der Arbeit; als diese nun fertig war, verlangte er noch weiteres Arbeiten, und als sie aus Müdigkeit nicht auf der Stelle diesem Befehle nachkamen, gerieht der Offizier in Zorn, ließ jene 6 Leute in Stockhausarrest abführen, wo sie 8 Tagen wie verschollen saßen, bis gestern ein Korporal Ordre erhielt, Haselstöcke einzukaufen, mit denen dann jene Schreckensscene im alten Style vollführt ward.</p> </div> <div xml:id="ar106b_010" type="jArticle"> <head><bibl><author>8</author></bibl> Dortmund, 16. Sept.</head> <p>Unser politisches Duselleben ist in ein neues Stadium getreten. Am 15. hatten wir nämlich das Vergnügen, die „Landeskulturgesellschaft“ in festlicher Weise hier versammelt zu sehen. Hiermit war eine Thierschau von Ochsen und Kälbern verbunden und Gleichgesinnte hatten sich in Menge angeschlossen. Unsere Reaktion ist nicht so dumm wie sie aussieht. Sie weiß selbst das gemüthliche Stelldichein von allerlei Rindvieh für ihre politischen Zwecke zu benutzen. Wenn unsere „Familienväter“, unsere „Männer des Rechts“, selbst unsere „greisen Krieger“ noch eine gewisse konstitutionelle Decenz zu beobachten für schicklich erachten, so halten dagegen unsre Ochsen und Schafzüchter es mit Recht für zeitgemäß, jede lästige Maske abzuthun und mit teutoburgischer Biedermännlichkeit vorzugehen. Beim festlichen Mahle nahm zuerst der Präsident, Kammerherr v. Bodelschwingh das Wort und sprach: „der König soll leben. Die Nationalversammlungen in Berlin und Frankfurt sind aus Neuerungen hervorgegangen. Wir halten am Alten, an unsern bethürmten Burgen und Höfen. (Mit erhobener Stimme.) Wir wollen zum Alten zurückkehren. Der König Hoch!“ (Donnerndes Hoch.) </p> <p>Freiherr von Lilien-Borch: der Landwirthschaft ein Hoch!</p> <p>Der Justizkommissar Spemann aus Dortmund: „das Jahr 1848 hat fürchterliche Mißverhältnisse hervorgerufen. Doch die Grafschaft Mark hat sich in schlimmeren Jahren treu und bewährt gezeigt. Am 18. März hat man den Bruder vom Bruder getrennt. Gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit gesündigt. Doch das bleibe dahingestellt ‒ <hi rendition="#g">deßhalb</hi> lebe Se. Königl. Hoheit der Prinz von Preußen hoch“ (Brüllendes Hoch.)</p> <p>Ein Unbekannter: „Mir wird sehr übel“ (faktisch).</p> <p>Pastor Bäumer: „Das Stämmchen der Freiheit kann weder in Berlin noch in Frankfurt zum Stamme gedeihen, weil keine Grundbesitzer dort sind. Der Grundbesitzer wird allein vom wahren Rechte geleitet; er allein kennt den Rechtsboden. Daher lebe der Rechtsboden! “ (Rauschender Beifall.) </p> <p>Ein Unbekannter mit rothem Gesichte und sehr großem Barte (wüthend): „Donnerwetter, ja! Der gute alte Rechtsboden soll leben!“</p> <p>(Jetzt erhebt sich von allen Seiten ein großes Geschrei nach dem Rechtsboden) </p> <p>Landrath Pilgrim: „Dem ältesten Mitgliede der <hi rendition="#g">Landwirthschaft,</hi> dem würdigen, von dem Feuer der Jugend (der Betoastete ist ca. 72 Jahre alt) beseelten Freiherrn v. Lilien-Borch ein Lebehoch!“</p> <p>Hr. Lilien-Borch kann vor Dankbarkeit und Freude sich nicht verständlich machen.</p> <p>Schulte Mehring aus Mengede: „<hi rendition="#g">Die Leute,</hi> welche zum <hi rendition="#g">Vereinbaren</hi> in Berlin und Frankfurt zusammen sind, sollen leben!“ (Grausige Todtenstille.) </p> <p>Oekonom Bölling aus Nette: „Ein Hoch den sparsamen Hausfrauen!“ (Hr. Bölling ist ein großer Franzosenfresser und Champagnertrinker.) </p> <p>Landrath v. Schade aus Lippstadt: „Alle Männer, welche für König und Vaterland und <hi rendition="#g">deren Nützlichkeit</hi> streiten wollen, sollen leben!“ (Hurrah!) </p> <p>Jetzt erhob sich der berühmte Schullehrer von Lindenhorst und hielt einen gelehrten Vortrag über Agri- und Horticultur, Mythologie und Staatsformen. Nachdem er bis zur Hertha und zum Diocletian gekommen war, wurde durch Akklamation beschlossen, zur Thierschau zu wandern. Die Musik setzte sich an die Spitze des gemüthlichen Thierschau-Zuges. Draußen angekommen, nahm Landrath Pilgrim noch einmal das Wort. Seine Rede begann also: „Das Rindvieh ‒ die Schaukommission ‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒</p> </div> <div xml:id="ar106b_011" type="jArticle"> <head><bibl><author>34</author></bibl> Bielefeld, 18. Septbr.</head> <p>Seit heute kann auch Bielefeld von „Bewegungen“ sprechen. Am verflossenen Montag hatten die Arbeiter einen Aufzug mit Musik zu Ehren ihres vom Gesellen-Congreß heimgekehrten Deputirten gehalten; diese Demonstration schien den braven Bürgern ein sehr gefährliches Revolutionsgelüste, und so kam es, daß ein loyaler Baumeister einigen seiner Arbeiter die daran Theil genommen, für das Versäumniß einen Tag am Lohne abzog und dieselben aus dem Dienste entließ. In Folge dessen zogen nun heute Abend etwa 200 Gesellen und sonstige Arbeiter vor die Wohnung des Baumeisters und schickten demselben eine Deputation mit der Aufforderung den abgezogenen Tagelohn den Arbeitern zu vergüten und selbige wieder in Dienst zu nehmen. Der Herr schlug dies ab, und die versammelte Menge suchte den Lohnabzug wenigstens durch zertrümmerte Fensterscheiben auszugleichen. Nachdem der Trupp abgezogen und Alles ruhig war, erschien wie gewöhnlich die polizeilüsterne Bürgerwehr und verhaftete zwei beliebige vorübergehende Individuen. Mit dieser Heldenthat ist die „Ordnung“ in Bielefeld wieder hergestellt.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Italien.</head> <div xml:id="ar106b_012_c" type="jArticle"> <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Italien. 19. September 1848. In: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi> I/7. S. 723.</bibl> </note> <head> <bibl> <author>*</author> </bibl> </head> <gap reason="copyright"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0529/0001]
Beilage zu Nr. 106 der Neuen Rheinischen Zeitung. Dienstag, 19. September 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Volksversammlung in Worringen.) Frankfurt. (Debatte in der Nat.-Vers. über den Waffenstillstand. ‒ Unruhen.) Berlin. (Die Krisis.) Wien. (Aufstand. ‒ Der Reichstag in Permanenz. ‒ Nachricht aus Ungarn.) Leipzig. (Aus Chemnitz.) Mainz (Spießruthen.) Dortmund. (Thierschau.) Bielefeld. (Unruhen.)
Italien. (Messinesische Flüchtlinge auf der franz. Flotte. ‒ Der franz. Gesandte. ‒ Albini bei Ankona.
Französische Republik. Paris. (Die Departementalkommissäre. ‒ National-Versammlung. ‒ Cavaignac's Vater.)
Großbritannien. London. (Der Aufstand in Tipperary unterdrückt.)
Portugal. (Cholera-Angst. ‒ Der englische Handelsvertrag.)
Amerika. (Die Präsidentschaft. ‒ Mexico ruhig.)
Handelsnachrichten.
[Deutschland] gen verschwunden; man begrüßt sich gegenseitig sehr freundschaftlichst und die Soldaten verschmähen es selbst nicht, in den Klubs die Rednertribüne zu besteigen und ihre Zuneigung zu den neuen Ideen öffentlich und feierlichst auszusprechen.
Um diese Verhältnisse für die Zukunft zu sichern und die freund-freundschaftlichen Bande zwischen Volk und Militär noch fester zu knüpfen, hat der Bürgerwehr-Klub ein großes Verbrüderungsfest zu morgen Nachmittag veranstaltet. Man hofft, daß sich viele Tausende dazu einfinden werden.
61 Wien, 12. Sept. Abends. Die Stadt ist noch immer in steigender Aufregung. Sämmtliche zu dem Ministerium des Innern führende Straßen sind seit 3 Uhr durch die Legion und Nationalgarde abgesperrt. Gegen die Nationalgarde des Wimmer- und Schotten-Viertels (innere Stadt) sind Thätlichkeiten verübt worden. Dobblhoff hat einen neuen Aufruf an das Volk erlassen, worin er um Aufrechthaltung der Ruhe recht zitternd nachsucht. Zu den Thoren strömten gegen Abend Menschenmassen aus den Vorstädten herein; man befürchtete eine Sturmpetition wider das Ministerium und das Gerücht verbreitete sich, ein Theil der Bürgerschaft habe sich nach Schönbrunn begeben. Gegen 8 Uhr wurden alle Thore der innern Stadt verschlossen und niemand hereingelassen, der nicht seine Wohnung anzugeben vermochte. Swoboda, durch dessen Unternehmen die Aufregung veranlaßt ist, soll sich freiwillig den Gerichten gestellt haben. Man beschuldigt ihn der Unterschlagung aller für die Aktien eingegangenen Gelder; einige sagen sogar, Jellachich habe dieselben bekommen. Swoboda gründete nämlich einen Aushülfsverein für Gewerbtreibende und emittirte Aktien; der Kaiser betheiligte sich dabei und nun will das Volk, daß die Minister die Verantwortlichkeit dieses seine Hoffnungen nicht realisirenden Unternehmens tragen und dasselbe bei der Zahlungsunfähigkeit Swoboda's insofern garantiren sollen, daß die Aktien an allen öffentlichen Kassen wie baares Geld angenommen würden. Dobblhoff hat sich im Bürgerstande besonders dadurch verdächtigt, daß er schon vom Morgen an einen ergebenen Theil der Bürgerwehr in den Kellern des Ministerialgebäudes versteckt gehalten und dieselben nun beim Eindringen des Volks in das Gebäude zum Vorschein hat kommen lassen. Der Stephansdom ist von der Nationalgarde umstellt, um Sturmläuten zu verhüten; in der aufgeregten Masse sprach man von Barrikadenbauen. Alle öffentlichen Plätze sind von der Nationalgarde besetzt.
Wie ich höre, soll Jellachich von Radetzky 1 Mill. Fl. K. M. erhalten haben. Von Grätz aus sollen demselben in Zuckerfässern Brandraketen zugesendet worden sein.
13. September. Ich komme eben (12 Uhr) aus der 41. Sitzung des Reichstags. Die Debatten waren äußerst stürmisch. Es wurden die italienischen Interpellationen beantwortet, worauf der früher Selinger'sche, nun Sraßer'sche Antrag auf ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung kam. Graf Borkowski, Wieland, Füster sprachen unter dem allgemeinsten Beifall der Versammlung dagegen. Unter der Rede Borkowski's erhob sich der Kriegsminister Latour mit dem Zornesantlitz des Mars und wollte, daß der Präsident den Redner zum Schweigen bringe. Es entstand ein Tumult, viele Redner schrieen, daß Latour zur Ordnung gerufen werde, der Präsident that es mit glatten Worten. Die Wirbel des Generalmarsch's schlugen während des ganzen Morgens, die Aufregung ist seit gestern fortwährend im Steigen; die Aula ist versammelt, Menschenmassen füllen alle Straßen; das Volk strömt zu den Linien herein. ‒ Der Reichstag wollte eben die Sitzung schließen, als der Kriegsminister ‒ die andern Minister hatten sich längst entfernt ‒ die Erklärung abgab, die Nationalgarde weigere sich, anszurücken, die akademische Legion beabsichtige um 4 Uhr Ministerium und Reichstag zu stürzen, er müsse zu ihrem Schutz das Militär einrücken lassen.
Löhner stellte sofort den Antrag, daß der Reichstag sich für permanent erkläre. Es geschieht. In dem Augenblicke meines Austritts sprach der Abgeordnete Goldmark über die italienische Angelegenheit. Der Antrag Selinger-Straßer wird verworfen werden.
Die Aufregung in der Aula hat theilweise auch die von der Nationalgarde gestern Abend wider einen Studenten verübte Mißhandlung zum Grunde. Das Schlimmste steht zu befürchten, wenn Gewaltthaten geschehen, denn wir leben in einem wahren Chaos von politischen, sozialen und nationalen Meinungen.
61 Wien, 13. Sept. 6 1/2 Uhr. Die Bewegung verwandelt sich immer mehr in einem Aufstand. Man verlangt den Sicherheitsausschuß wiederhergestellt; gedruckte Zettel werden zu diesem Zwecke unter die Menge vertheilt.
Es hat sich ausgewiesen, daß die Beschuldigung des Kriegsministers, die Aula wolle den Reichstag sprengen, eine Erfindung gewesen. Seien Sie versichert, die Reaktion will heute einen kühnen Streich führen; Latour ging, wie ein Tiger gereizt, aus dem Sitzungssaal des Reichstags, er wird Rache nehmen. Das Militär rückt an, die Nationalgarde und Legion sind überall aufgestellt, erstere ist getheilter Meinung. Am Judenplatze ist es vor dem Gebäude des Ministeriums des Innern zu einem Angriff gekommen; die Entwaffnung konnte aber nicht erzielt werden. Vor dem Kriegsgebäude soll es nach dem Reichstag zugegangenen Berichten ebenfalls zum Angriff gekommen sein. Barrikaden, so heißt es allgemein, sind erbaut worden. Der Reichstag hält Rath, ob der Sicherheitsausschuß wieder herzustellen sei.
Die Nacht wird, bricht der Kampf los, schrecklich werden. Aus Pesth sind noch keine bestimmten Nachrichten da, die Stimmung der Stadt soll aber außerordentlich sein. Hier sind alle Läden geschlossen, man kann vor Bewaffneten nirgendwo durch.
102 Wien, 13. Sept. 41. Reichstagssitzung. Anfang 9 1/2 Uhr. Vorsitz. Strobach. Keine Minister.
Präsident beantragt, heute Nachmittag die Neuwahl des Präsidiums vorzunehmen, er zeigt an, das Justiz-Ministerium habe in Beziehung auf die 500 italienischen Gefangenen in Szezedin Schriften auf den Tisch des Hauses niedergelegt.
Urlaube werden ertheilt.
Eingaben werden verlesen. Darunter eine aus Köln wegen Verbesserung des Volksschulwesens und Dobblhoffs Entwurf zur Provinzialverfassung Schlesiens. Einige Gemeinden petiren um Beibehaltung der Privilegien der Gewerbetreibenden. Die Stadt Wien petirt um Maßregeln zur Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung.
Präs. Der Abg. Brestl hat einen dringenden Antrag überreicht:
„Der Reichstag möge beschließen, daß wegen der mißlichen Verhältnisse der Gewerbetreibenden der Hauptstadt und weil dieselben der Freiheit die uneigennützigsten Opfer gebracht, dem Ministerium des Handels ein Kredit von 2 Mill. fl. eröffnet werde.“
Dylewski (der schon eine Ernennung des Ministeriums für seine absolutistischen Dienste in der Tasche hat) sieht darin einen Parteiantrag.
Pillersdorf bedauert, daß Brestl ihn zur Unterzeichnung des Antrags nicht eingeladen.
Schuselka will denselben auch auf die Bewohner von 5 und 6 Haus (Proletariat) ausgedehnt haben, welche in den Märztagen die Märtyrer der Freiheit gewesen, indem sie geplündert worden.
Piekas (Bohemien) beantragt eine gleiche Unterstützung für Prag. ‒ Brestls Antrag wird einstimmig unterstützt; nur Palacki (Bohemien) bleibt sitzen.
Brestl spricht für seinen Antrag. Die Minister Schwarzer und Krauß treten herein.
Goldmark. Der Antrag möge sogleich in Vollberathung genommen werden. (links unterstützt.)
Piekas. Er muß zuerst an die Finanzkommission, welche in 24 Stunden berichten soll. (Alle Bohemiens und der Renegat Schwarzer erheben sich dafür.)
Goldmark und Andere reden vergeblich gegen die 24 Stunden.
Hornbostel, Handelsminister. Wir haben 500,000 fl. zu obigem Zweck schon längst bewilligt, heute werden in der Angelegenheit Swoboda baare Entschädigungen gegeben werden, darum genügt es, die Sache zuerst an die Finanzkommission zu überreichen. (Man hört den Generalmarsch schlagen.)
Piekas Antrag wird angenommen. Die übrigen Minister sind unterdessen erschienen, werden aber mehrmals abgerufen; der Generalmarsch ertönt fort. Abgeordnete aus der Bukowina protestiren, daß in dem Ausschusse, der über die Entschädigungsfrage entscheiden soll, keiner aus ihrer Provinz ist.
Minister Wessenberg will die gestrige Interpellation hinsichtlich Italiens beantworten und zieht einen Zettel aus der Tasche, den er abliest. Niemand hört ein Wort.
Ein Abg. Lassen Sie durch einen andern Minister antworten.
Bach will sich des Zettels bemächtigen, aber Latour stürzt auf ihn ein und entreißt ihm denselben.
Latour (mit krächzender, kaum vernehmbarer Stimme.) Die Politik des Ministeriums in Italien…. Ehre und Würde des Kaiserreichs zu wahren … Das Vermittlungsanerbieten Frankreichs … angenommen. Das Ministerium wird Alles aufbieten, den Krieg zu vermeiden, jedoch die Nationalehre … Fürst Schwarzenberg ist zur Leitung der Angelegenheit zum Bevollmächtigten Oestreichs ernannt. Familienbande geben Modena gewisse Ansprüche auf Schutz …
Goldmark, nach einem Kampfe mit dem Präsidenten: Ich bin mit dieser Erklärung nicht zufrieden, das Ministerium muß uns die Papiere vorlegen; Familienrücksichten können und dürfen jetzt nicht mehr entscheiden.
Wessenberg, ohne Brille, das Bundestagsleichengesicht bekommt einiges Leben: Während der Verhandlung geschieht in keinem Lande eine Mittheilung an die Kammer.
Goldmark will antworten, ein Abg. ruft: zur Ordnung!
Goldmark: Ich lasse mich nicht zur Ordnung rufen.
Wessenberg. Ich habe noch eine Interpellation zu beantworten: liest; Niemand versteht ein Wort. Die Antwort betrifft ebenfalls die italienischen Angelegenheiten.
Neuwall. Die gestrigen Vorgänge sind durch eine neue Partei hervorgerufen; es sind Bürger von Wien, von denen sie ausgegangen, es müssen also gewichtige Ursachen vorliegen. Man hat für sie nie eine Stimme verlauten lassen, sondern immer nur für die Arbeiter; sie sind ebenso unglücklich als diese. Ein großer Theil der Arbeiter, auf welche Summen verschwendet wurden, ist nicht von hier gewesen; man hätte das Geld unter die Gewerbtreibenden vertheilen sollen. Er richtet in diesem Sinne eine lange Interpellation an den Handelsminister.
Hornbostel. Swobodas Privatleiha stalt ohne hypothekarische Sicherheit hat die Bürger Wiens in ihren Hoffnungen getäuscht; die Noth war so groß, daß sie nicht nach der Sicherheit gefragt, sondern für einen kleinen Einsatz ein Papier genommen haben, welches keinen Kours erlangen konnte. Wir haben umsonst Warnungen, selbst an Swoboda, erlassen.
Vorgestern schon habe man sich stürmisch an den Gemeindeausschuß und gestern mit Verübung von Gewaltthaten an den Minister des Innern gewendet. Der Nothstand sei schon vor dem März dagewesen, das Ministerium könne nichts zur Hebung der Gewerbe thun, nur das Vertrauen allein könne dies bewirken.
Löhner und Potocki wollen noch interpelliren. Einer ruft: Tagesordnung. Dieselbe wird angenommen.
Borrosch protestirt wider dies Verfahren.
Berichte über Wahlen. Es handelt sich von der Wahl des Abg. Karl Schneider aus Schlesien.
Schneider. Man hat protestirt, weil ich protestantischer Geistlicher bin, man ist von gewisser Seite erbost, daß auch meine Kirche einen Vertreter hier hat. Ich kenne mein Volk, mein Volk hat kein Mißtrauen wider euch. (Beifall.) Wird angenommen, nur die Bohemiens und Juden dagegen.
Präs. bringt den von Solinger fallen gelassenen, von dem Ritter von Lasser, dem Schnapphahnski des Reichstags, aber wieder aufgenommenen Antrag über ein Dankesvotum an die italienische Armee zur Berathung.
16 Redner sind für und gegen eingeschrieben.
Lasser erzählt, indem er aus einem dicken Hefte von der Tribüne abliest, in einer langen unausstehlich erbärmlichen Parabel den italienischen Krieg. Er macht dem Reichstag und besonders der Linken, auf die er immer hinsieht, die ungezogensten Vorwürfe darüber, daß sie den Solingerschen Antrag nicht mit Akklamation angenommen, sondern zur Tagesordnung verwiesen habe. Er wird mehrmals ermahnt, nicht abzulesen; die Kammer wird unruhig vor Langweile.
(Draußen wirbelt immerfort der Generalmarsch. Alle Minister bis auf Latour sind abwesend.)
[Schluß folgt.]
Wien, 12. Sept. Eben erfahre ich, was um 2 Uhr vom ungarischen Ministerium an das hier residirende ungarische Ministerium des Aeußern aus Pesth mit Stafette anlangte: „Der Landtag hat sich permanent und insofern souverain erklärt, daß er die vom Könige nicht bestätigten neuen Gesetze als vollkommen gültig und bindend verkündet und die großartigsten Maßnahmen trifft, zur Vertheidigung und Rettung des Vaterlandes.“ ‒ Pesth ist ruhig. Nicht die mindeste Unordnung ist eingetreten, alles ist beschäftigt die Rüstungen, Werbungen etc. zu unterstützen.
(Od. Z.) Wien, 13. Sept. Neueste Nachrichten aus Pesth: „Provisorische Regierung. Kossuth an der Spitze.“ (Bedarf noch der Bestätigung.)
(Schl. Z.) Wien. Die Vereinbarung eines Krawalles ist gestern gänzlich mißglückt. Heute, am 14. September, lebt die Freiheit noch.
(Konstitution.) Leipzig, 15. Sept. Die von gestern aus Chemnitz eingegangenen Nachrichten bestätigen die Fortdauer der hergestellten Ruhe. Wie der „Chemnitzer Anzeiger“ sagt, sollen nicht wenig Mitglieder der Kommunalgarde, zwar ohne Binde und sonstige Armatur, allein mit dem Gewehr unter den Tumultuanten gesehen worden sein. Die Bürgerschule, aus der die Bänke zu den Barrikaden verwendet wurden, die Dietrich'sche Farbe und das Leistner'sche Haus in der Johannisgasse, das Hinterhaus von Wex und Lindner, wo die Handelsschule ist, und das Hösel'sche Haus werden als die bezeichnet, welche die meisten Zeichen der stattgehabten Kämpfe aufzuweisen haben. Die Kugeln stecken meist ziemlich hoch. Ueber den eigentlichen Zusammenhang der ganzen unseligen Vorgänge ist man noch unklar.
(D. A. Z.) * Mainz, 12. Septbr. In der östreichischen Armee, wenigstens in deren „deutschem Contingent“ zu Mainz, wie Herr Peucker fein unterscheidet, ist die Knute und das Spießruthenlaufen noch in schönster Blüthe. Wie ein Mainzer Blatt erzählt, sah man gestern in einem der verstecktesten Gräben hinter der Citadelle „unter strömendem Regen und unter still rieselnden Thränen“ eine schwankende Gestalt durch eine Reihe von 300 Soldaten sich bewegen, denen das Blut vom Rücken des Gefolterten ins Gesicht spritzte! Dicht an dieser Reihe standen 6 Bänke, auf denen eben so viele Soldaten lagen, auf die man unter den Flüchen eines Stabsoffiziers losschlug, der unter Androhung gleicher Strafe zur „Pflicht“ des „Dreinhauens“ anfeuerte. Und was hatten diese Unglücklichen verbrochen? Beim Baue des Kugelfängers am Artillerieubungsplatze akkordirte der bauführende Offizier mit den Leuten wegen der Arbeit; als diese nun fertig war, verlangte er noch weiteres Arbeiten, und als sie aus Müdigkeit nicht auf der Stelle diesem Befehle nachkamen, gerieht der Offizier in Zorn, ließ jene 6 Leute in Stockhausarrest abführen, wo sie 8 Tagen wie verschollen saßen, bis gestern ein Korporal Ordre erhielt, Haselstöcke einzukaufen, mit denen dann jene Schreckensscene im alten Style vollführt ward.
8 Dortmund, 16. Sept. Unser politisches Duselleben ist in ein neues Stadium getreten. Am 15. hatten wir nämlich das Vergnügen, die „Landeskulturgesellschaft“ in festlicher Weise hier versammelt zu sehen. Hiermit war eine Thierschau von Ochsen und Kälbern verbunden und Gleichgesinnte hatten sich in Menge angeschlossen. Unsere Reaktion ist nicht so dumm wie sie aussieht. Sie weiß selbst das gemüthliche Stelldichein von allerlei Rindvieh für ihre politischen Zwecke zu benutzen. Wenn unsere „Familienväter“, unsere „Männer des Rechts“, selbst unsere „greisen Krieger“ noch eine gewisse konstitutionelle Decenz zu beobachten für schicklich erachten, so halten dagegen unsre Ochsen und Schafzüchter es mit Recht für zeitgemäß, jede lästige Maske abzuthun und mit teutoburgischer Biedermännlichkeit vorzugehen. Beim festlichen Mahle nahm zuerst der Präsident, Kammerherr v. Bodelschwingh das Wort und sprach: „der König soll leben. Die Nationalversammlungen in Berlin und Frankfurt sind aus Neuerungen hervorgegangen. Wir halten am Alten, an unsern bethürmten Burgen und Höfen. (Mit erhobener Stimme.) Wir wollen zum Alten zurückkehren. Der König Hoch!“ (Donnerndes Hoch.)
Freiherr von Lilien-Borch: der Landwirthschaft ein Hoch!
Der Justizkommissar Spemann aus Dortmund: „das Jahr 1848 hat fürchterliche Mißverhältnisse hervorgerufen. Doch die Grafschaft Mark hat sich in schlimmeren Jahren treu und bewährt gezeigt. Am 18. März hat man den Bruder vom Bruder getrennt. Gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit gesündigt. Doch das bleibe dahingestellt ‒ deßhalb lebe Se. Königl. Hoheit der Prinz von Preußen hoch“ (Brüllendes Hoch.)
Ein Unbekannter: „Mir wird sehr übel“ (faktisch).
Pastor Bäumer: „Das Stämmchen der Freiheit kann weder in Berlin noch in Frankfurt zum Stamme gedeihen, weil keine Grundbesitzer dort sind. Der Grundbesitzer wird allein vom wahren Rechte geleitet; er allein kennt den Rechtsboden. Daher lebe der Rechtsboden! “ (Rauschender Beifall.)
Ein Unbekannter mit rothem Gesichte und sehr großem Barte (wüthend): „Donnerwetter, ja! Der gute alte Rechtsboden soll leben!“
(Jetzt erhebt sich von allen Seiten ein großes Geschrei nach dem Rechtsboden)
Landrath Pilgrim: „Dem ältesten Mitgliede der Landwirthschaft, dem würdigen, von dem Feuer der Jugend (der Betoastete ist ca. 72 Jahre alt) beseelten Freiherrn v. Lilien-Borch ein Lebehoch!“
Hr. Lilien-Borch kann vor Dankbarkeit und Freude sich nicht verständlich machen.
Schulte Mehring aus Mengede: „Die Leute, welche zum Vereinbaren in Berlin und Frankfurt zusammen sind, sollen leben!“ (Grausige Todtenstille.)
Oekonom Bölling aus Nette: „Ein Hoch den sparsamen Hausfrauen!“ (Hr. Bölling ist ein großer Franzosenfresser und Champagnertrinker.)
Landrath v. Schade aus Lippstadt: „Alle Männer, welche für König und Vaterland und deren Nützlichkeit streiten wollen, sollen leben!“ (Hurrah!)
Jetzt erhob sich der berühmte Schullehrer von Lindenhorst und hielt einen gelehrten Vortrag über Agri- und Horticultur, Mythologie und Staatsformen. Nachdem er bis zur Hertha und zum Diocletian gekommen war, wurde durch Akklamation beschlossen, zur Thierschau zu wandern. Die Musik setzte sich an die Spitze des gemüthlichen Thierschau-Zuges. Draußen angekommen, nahm Landrath Pilgrim noch einmal das Wort. Seine Rede begann also: „Das Rindvieh ‒ die Schaukommission ‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒‒
34 Bielefeld, 18. Septbr. Seit heute kann auch Bielefeld von „Bewegungen“ sprechen. Am verflossenen Montag hatten die Arbeiter einen Aufzug mit Musik zu Ehren ihres vom Gesellen-Congreß heimgekehrten Deputirten gehalten; diese Demonstration schien den braven Bürgern ein sehr gefährliches Revolutionsgelüste, und so kam es, daß ein loyaler Baumeister einigen seiner Arbeiter die daran Theil genommen, für das Versäumniß einen Tag am Lohne abzog und dieselben aus dem Dienste entließ. In Folge dessen zogen nun heute Abend etwa 200 Gesellen und sonstige Arbeiter vor die Wohnung des Baumeisters und schickten demselben eine Deputation mit der Aufforderung den abgezogenen Tagelohn den Arbeitern zu vergüten und selbige wieder in Dienst zu nehmen. Der Herr schlug dies ab, und die versammelte Menge suchte den Lohnabzug wenigstens durch zertrümmerte Fensterscheiben auszugleichen. Nachdem der Trupp abgezogen und Alles ruhig war, erschien wie gewöhnlich die polizeilüsterne Bürgerwehr und verhaftete zwei beliebige vorübergehende Individuen. Mit dieser Heldenthat ist die „Ordnung“ in Bielefeld wieder hergestellt.
Italien. * _
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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