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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Costüm, bei Kerzenlicht, das sich als solches geltend
macht, und man hat das Bild eines arabischen Ge-
lages.

Bei den Griechen schon finden wir rasch hinter-
einander die idealistische und die naturalistische, die auf
Form und Geist, und die auf Farbe und Natur ge-
wandte Auffassungs= und Darstellungsweise. Polygnot
wird von Aristoteles gefeiert und allen Genossen vor-
gezogen als der Maler des Ethos, des Geistes und
Charakters in einfacher Hoheit und Kraft, des sittlichen
Gewichts einer That; Plinius dagegen läßt den Ruhm
des Pinsels erst mit Zeuxis und Parrhasius beginnen.
Polygnot wirkte durch die Form, er war Zeichner und
füllte die Umrisse der Figuren nur mit einem einfachen
Farbenton, gab Muskeln oder Gewandfalten nur durch
einzelne Linien an, aber in seiner Zerstörung Trojas
traten dennoch die Charaktere der handelnden Helden
als erhabene Typen menschlicher Seelenrichtungen her-
vor, und um den Aias, der die Kassandra am Altar
ergreift, um die siegreich zerstörenden Führer der Grie-
chen gruppirten sich auf der einen Seite Troer, die
ihre Todten begruben, auf der andern Griechen, die mit
gefangenen Troerinnen bereits die Schiffe zur Abfahrt
bestiegen. Hier sollte das große Ganze der Begeben-
heit in einer Zusammenordnung der leitenden Persön-
lichkeiten und der bezeichnenden Ereignisse veranschau-
licht werden. An Jllusion, an eine Nachahmung der
Wirklichkeit war nicht gedacht. Für den Triumph des
Zeuxis dagegen galt es, daß Vögel nach den von ihm
gemalten Trauben flogen, für den noch größeren des
Parrhasius, daß Zeuxis selber durch einen von ihm
gemalten Vorhang getäuscht wurde und denselben weg-
schieben wollte, um das unter ihm vermuthete Bild zu
sehen. Hier wurde indeß der Geist durch die vollendete
Naturwahrheit der Trauben und des Vorhangs von
nichts anderem abgezogen, hier hatte die Kunst des
Machens, die Virtuosität des Scheins ihre Stelle. Und
sie übertrugen dann dieselbe auch auf Bilder des mensch-
lichen Lebens, wobei sie sich an ausgezeichnete Einzel-
gestalten, wie Helena oder Theseus, und an genre-
mäßig aufgefaßte Situationen und deren psychologische
Charakteristik hielten. Wenn dann Apelles und Timo-
machos sowohl durch den Gedanken des Werks als
durch die Anmuth und Naturwahrheit der Darstellung
wirkten, so zeigten sie im Alterthum, daß in der ein-
heitlichen Durchdringung und Durchgeistigung von Form
und Farbe das Ziel der Malerei besteht.

Die mittelalterlich italienische Kunst trug einen
idealistischen Charakter, in so fern sie der auf die Be-
deutung der Sache gerichteten kirchlichen Auffassungs-
weise, das an der Anschauung des Alterthums genährte
[Spaltenumbruch] Formengefühl, die Schönheit der freien phantasiegebo-
renen Gestalt gesellte. Realistischer waren die Deut-
schen seit van Eyck, welche die Jndividualität der sich
in sich vertiefenden Seele mit porträtähnlicher Schärfe
wiedergaben, und die dem gegenwärtigen Leben ent-
lehnten Gestalten auch mit ihren Härten und Beson-
derheiten in die von der Jdee des Bildes geforderte
Stimmung und Lage versetzten. Die Venetianer und
Rubens, Murillo und die niederländischen Genremaler
huldigten dann der Lebenswirklichkeit als solcher, wuß-
ten aber mit dem frischen Auge für das äußere Daseyn
auch den Tiefblick in den Kern des innern zu verbin-
den. Das Element der Farbe, das im deutschen Mit-
telalter schon vor dem der Form gepflegt worden, feierte
in ihnen, wie bei dem musikalischen Correggio seinen
Triumph. Es möge sich hier noch eine Bemerkung
Ungers anschließen: "Jst es der Stylweise der italieni-
schen Meister entsprechend, daß sie meist entschieden Lo-
kalfarben wählen, indem ihr Streben nach vorherr-
schender idealer Allgemeinheit es weniger zuläßt, in die
specielleren Eigenthümlichkeiten der Realität einzugehen,
so macht sich bei den Niederländern und Spaniern in
dieser Hinsicht die Eigenthümlichkeit bemerkbar, daß
ihrer Darstellungsweise, welche mit Festhaltung der
Jdee des Malerischen. den einzelnen Fall mehr als sol-
chen zur Anschauung zu bringen strebt, mehr die un-
entschiedene Farbe zusagt; denn die malerische Entschei-
dung des Unentschiedenen bietet einem mehr artistischen
Streben an sich eben das ergiebigste Feld."

Die vollendete Kunst ist die Versöhnung der idealen
Wahrheit und Lebenswirklichkeit. Wer die einzelnen
Merkmale der Naturerscheinung noch so treu aneinan-
derreiht, erlangt damit doch noch nicht die Lebenswirk-
lichkeit, da der Sinn der einzelnen Theile erst in ihrer
Beziehung auf das Ganze ergründet wird, aus dessen
Einheit sie hervorgegangen sind, von der sie beseelt
bleiben. Wer dagegen der Jdee keinen naturwahren
Leib zu geben versteht, bekundet damit, daß sie ihm
nur ein Schemen ist und er der Schöpferkraft entbehrt,
die den Geist durch die Materie als das im Raume
sich selbst gestaltende Wesen erscheinen läßt. Wenn ein
Cornelius, ein Overbeck durch ihre ganze Eigenthüm-
lichkeit mehr auf Composition und Zeichnung angewiesen
waren, so wird man es eher bedauern, daß sie den
ihnen verliehenen Farbensinn nicht in dem Maße aus-
gebildet haben, wie es ihre ersten Fresken in Rom
versprachen. Die französisch belgische Schule ist für
unsere Zeit die andere Seite der realistischen, coloristi-
schen Richtung, von der in dieser Hinsicht Deutschland
zu lernen hat, ohne in falscher Nachahmung die eigene
Größe preiszugeben und hinter den Vorzügen der Fremde
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Costüm, bei Kerzenlicht, das sich als solches geltend
macht, und man hat das Bild eines arabischen Ge-
lages.

Bei den Griechen schon finden wir rasch hinter-
einander die idealistische und die naturalistische, die auf
Form und Geist, und die auf Farbe und Natur ge-
wandte Auffassungs= und Darstellungsweise. Polygnot
wird von Aristoteles gefeiert und allen Genossen vor-
gezogen als der Maler des Ethos, des Geistes und
Charakters in einfacher Hoheit und Kraft, des sittlichen
Gewichts einer That; Plinius dagegen läßt den Ruhm
des Pinsels erst mit Zeuxis und Parrhasius beginnen.
Polygnot wirkte durch die Form, er war Zeichner und
füllte die Umrisse der Figuren nur mit einem einfachen
Farbenton, gab Muskeln oder Gewandfalten nur durch
einzelne Linien an, aber in seiner Zerstörung Trojas
traten dennoch die Charaktere der handelnden Helden
als erhabene Typen menschlicher Seelenrichtungen her-
vor, und um den Aias, der die Kassandra am Altar
ergreift, um die siegreich zerstörenden Führer der Grie-
chen gruppirten sich auf der einen Seite Troer, die
ihre Todten begruben, auf der andern Griechen, die mit
gefangenen Troerinnen bereits die Schiffe zur Abfahrt
bestiegen. Hier sollte das große Ganze der Begeben-
heit in einer Zusammenordnung der leitenden Persön-
lichkeiten und der bezeichnenden Ereignisse veranschau-
licht werden. An Jllusion, an eine Nachahmung der
Wirklichkeit war nicht gedacht. Für den Triumph des
Zeuxis dagegen galt es, daß Vögel nach den von ihm
gemalten Trauben flogen, für den noch größeren des
Parrhasius, daß Zeuxis selber durch einen von ihm
gemalten Vorhang getäuscht wurde und denselben weg-
schieben wollte, um das unter ihm vermuthete Bild zu
sehen. Hier wurde indeß der Geist durch die vollendete
Naturwahrheit der Trauben und des Vorhangs von
nichts anderem abgezogen, hier hatte die Kunst des
Machens, die Virtuosität des Scheins ihre Stelle. Und
sie übertrugen dann dieselbe auch auf Bilder des mensch-
lichen Lebens, wobei sie sich an ausgezeichnete Einzel-
gestalten, wie Helena oder Theseus, und an genre-
mäßig aufgefaßte Situationen und deren psychologische
Charakteristik hielten. Wenn dann Apelles und Timo-
machos sowohl durch den Gedanken des Werks als
durch die Anmuth und Naturwahrheit der Darstellung
wirkten, so zeigten sie im Alterthum, daß in der ein-
heitlichen Durchdringung und Durchgeistigung von Form
und Farbe das Ziel der Malerei besteht.

Die mittelalterlich italienische Kunst trug einen
idealistischen Charakter, in so fern sie der auf die Be-
deutung der Sache gerichteten kirchlichen Auffassungs-
weise, das an der Anschauung des Alterthums genährte
[Spaltenumbruch] Formengefühl, die Schönheit der freien phantasiegebo-
renen Gestalt gesellte. Realistischer waren die Deut-
schen seit van Eyck, welche die Jndividualität der sich
in sich vertiefenden Seele mit porträtähnlicher Schärfe
wiedergaben, und die dem gegenwärtigen Leben ent-
lehnten Gestalten auch mit ihren Härten und Beson-
derheiten in die von der Jdee des Bildes geforderte
Stimmung und Lage versetzten. Die Venetianer und
Rubens, Murillo und die niederländischen Genremaler
huldigten dann der Lebenswirklichkeit als solcher, wuß-
ten aber mit dem frischen Auge für das äußere Daseyn
auch den Tiefblick in den Kern des innern zu verbin-
den. Das Element der Farbe, das im deutschen Mit-
telalter schon vor dem der Form gepflegt worden, feierte
in ihnen, wie bei dem musikalischen Correggio seinen
Triumph. Es möge sich hier noch eine Bemerkung
Ungers anschließen: „Jst es der Stylweise der italieni-
schen Meister entsprechend, daß sie meist entschieden Lo-
kalfarben wählen, indem ihr Streben nach vorherr-
schender idealer Allgemeinheit es weniger zuläßt, in die
specielleren Eigenthümlichkeiten der Realität einzugehen,
so macht sich bei den Niederländern und Spaniern in
dieser Hinsicht die Eigenthümlichkeit bemerkbar, daß
ihrer Darstellungsweise, welche mit Festhaltung der
Jdee des Malerischen. den einzelnen Fall mehr als sol-
chen zur Anschauung zu bringen strebt, mehr die un-
entschiedene Farbe zusagt; denn die malerische Entschei-
dung des Unentschiedenen bietet einem mehr artistischen
Streben an sich eben das ergiebigste Feld.“

Die vollendete Kunst ist die Versöhnung der idealen
Wahrheit und Lebenswirklichkeit. Wer die einzelnen
Merkmale der Naturerscheinung noch so treu aneinan-
derreiht, erlangt damit doch noch nicht die Lebenswirk-
lichkeit, da der Sinn der einzelnen Theile erst in ihrer
Beziehung auf das Ganze ergründet wird, aus dessen
Einheit sie hervorgegangen sind, von der sie beseelt
bleiben. Wer dagegen der Jdee keinen naturwahren
Leib zu geben versteht, bekundet damit, daß sie ihm
nur ein Schemen ist und er der Schöpferkraft entbehrt,
die den Geist durch die Materie als das im Raume
sich selbst gestaltende Wesen erscheinen läßt. Wenn ein
Cornelius, ein Overbeck durch ihre ganze Eigenthüm-
lichkeit mehr auf Composition und Zeichnung angewiesen
waren, so wird man es eher bedauern, daß sie den
ihnen verliehenen Farbensinn nicht in dem Maße aus-
gebildet haben, wie es ihre ersten Fresken in Rom
versprachen. Die französisch belgische Schule ist für
unsere Zeit die andere Seite der realistischen, coloristi-
schen Richtung, von der in dieser Hinsicht Deutschland
zu lernen hat, ohne in falscher Nachahmung die eigene
Größe preiszugeben und hinter den Vorzügen der Fremde
[Ende Spaltensatz]

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Für den Triumph des Zeuxis dagegen galt es, daß Vögel nach den von ihm gemalten Trauben flogen, für den noch größeren des Parrhasius, daß Zeuxis selber durch einen von ihm gemalten Vorhang getäuscht wurde und denselben weg- schieben wollte, um das unter ihm vermuthete Bild zu sehen. Hier wurde indeß der Geist durch die vollendete Naturwahrheit der Trauben und des Vorhangs von nichts anderem abgezogen, hier hatte die Kunst des Machens, die Virtuosität des Scheins ihre Stelle. Und sie übertrugen dann dieselbe auch auf Bilder des mensch- lichen Lebens, wobei sie sich an ausgezeichnete Einzel- gestalten, wie Helena oder Theseus, und an genre- mäßig aufgefaßte Situationen und deren psychologische Charakteristik hielten. Wenn dann Apelles und Timo- machos sowohl durch den Gedanken des Werks als durch die Anmuth und Naturwahrheit der Darstellung wirkten, so zeigten sie im Alterthum, daß in der ein- heitlichen Durchdringung und Durchgeistigung von Form und Farbe das Ziel der Malerei besteht. Die mittelalterlich italienische Kunst trug einen idealistischen Charakter, in so fern sie der auf die Be- deutung der Sache gerichteten kirchlichen Auffassungs- weise, das an der Anschauung des Alterthums genährte Formengefühl, die Schönheit der freien phantasiegebo- renen Gestalt gesellte. Realistischer waren die Deut- schen seit van Eyck, welche die Jndividualität der sich in sich vertiefenden Seele mit porträtähnlicher Schärfe wiedergaben, und die dem gegenwärtigen Leben ent- lehnten Gestalten auch mit ihren Härten und Beson- derheiten in die von der Jdee des Bildes geforderte Stimmung und Lage versetzten. Die Venetianer und Rubens, Murillo und die niederländischen Genremaler huldigten dann der Lebenswirklichkeit als solcher, wuß- ten aber mit dem frischen Auge für das äußere Daseyn auch den Tiefblick in den Kern des innern zu verbin- den. Das Element der Farbe, das im deutschen Mit- telalter schon vor dem der Form gepflegt worden, feierte in ihnen, wie bei dem musikalischen Correggio seinen Triumph. Es möge sich hier noch eine Bemerkung Ungers anschließen: „Jst es der Stylweise der italieni- schen Meister entsprechend, daß sie meist entschieden Lo- kalfarben wählen, indem ihr Streben nach vorherr- schender idealer Allgemeinheit es weniger zuläßt, in die specielleren Eigenthümlichkeiten der Realität einzugehen, so macht sich bei den Niederländern und Spaniern in dieser Hinsicht die Eigenthümlichkeit bemerkbar, daß ihrer Darstellungsweise, welche mit Festhaltung der Jdee des Malerischen. den einzelnen Fall mehr als sol- chen zur Anschauung zu bringen strebt, mehr die un- entschiedene Farbe zusagt; denn die malerische Entschei- dung des Unentschiedenen bietet einem mehr artistischen Streben an sich eben das ergiebigste Feld.“ Die vollendete Kunst ist die Versöhnung der idealen Wahrheit und Lebenswirklichkeit. Wer die einzelnen Merkmale der Naturerscheinung noch so treu aneinan- derreiht, erlangt damit doch noch nicht die Lebenswirk- lichkeit, da der Sinn der einzelnen Theile erst in ihrer Beziehung auf das Ganze ergründet wird, aus dessen Einheit sie hervorgegangen sind, von der sie beseelt bleiben. Wer dagegen der Jdee keinen naturwahren Leib zu geben versteht, bekundet damit, daß sie ihm nur ein Schemen ist und er der Schöpferkraft entbehrt, die den Geist durch die Materie als das im Raume sich selbst gestaltende Wesen erscheinen läßt. Wenn ein Cornelius, ein Overbeck durch ihre ganze Eigenthüm- lichkeit mehr auf Composition und Zeichnung angewiesen waren, so wird man es eher bedauern, daß sie den ihnen verliehenen Farbensinn nicht in dem Maße aus- gebildet haben, wie es ihre ersten Fresken in Rom versprachen. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856, S. 1109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt47_1856/5>, abgerufen am 17.07.2024.