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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] kennen gelernt hat, sich der Leichtigkeit erinnert, mit
der man dort Bekanntschaften anknüpft und nach Be-
lieben fortsetzt oder wieder aufgibt, der ist schwerlich
im Stande sich einen Begriff von der unersprießlichen,
vornehm seyn sollenden Steifheit der amerikanischen Ba-
degesellschaft zu machen. Nur diejenigen, welche sich in
aller Form vorgestellt sind, glauben mit einander sprechen
zu dürfen, und ehe man jemand anredete, wenn dieser
Form nicht genügt worden, läuft man lieber vier Wochen
lang stumm neben einander her; so groß ist die Angst,
sich etwas von seiner Würde zu vergeben! Hat man
nun aber auch das Glück, in die Creme der Gesell-
schaft eingeführt zu seyn, so ist man darum nicht viel
besser berathen; denn Klatsch ist hier so gut der Haupt-
nahrungsstoff der Unterhaltung als in irgend welchem
deutschen Krähwinkel, und nach zwei im Salon der
Atlantic Pavillions zugebrachten Stunden war ich schon
vollständig in die kleine chronique scandaleuse einge-
weiht. Wer den haut goaut solcher Unterhaltung nicht
liebt, mag sich an harmlosen Wetterconjekturen oder an
den Faseleien einiger philosophirenden Damen erbauen,
welche ein unvermeidliches Jngrediens jedes größeren
Kreises zu seyn scheinen.

Auf der Rückfahrt erlebte ich eine jener verrufenen
Wettfahrten, welche schon so oft mit dem Auffliegen
eines der kämpfenden Fahrzeuge geendigt haben. Ein
weit größeres Dampfboot als der Christopher kam rechts
von uns die Bai herauf, allein trotz des offenbaren
Nachtheils, in dem dieser sich befand, wollte er doch
nicht zurückbleiben und bot alle Kräfte seiner Feuergei-
ster auf, um den Vorsprung zu gewinnen. Beide
Steamer waren mit Menschen überfüllt, die auf beiden
Seiten mit Leidenschaft Partei nahmen und sich durch
Geschrei, Spott und Neckereien immer mehr aufhetzten,
während die Schiffe nur wenige Ellen von einander
entfernt pfeilschnell dahinflogen. Der Augenblick wurde
kritisch, denn wir waren jetzt dicht vor Governors Js-
land, und der größere Dampfer mußte nun zur Linken
den North River hinauf, während der Christopher durch
die sogenannten Buttermilkstraits in den East River zu
gehen hatte. Da wandte sich dieser, einen kleinen Vor-
sprung benutzend, plötzlich rechts, und hart am großen
Dampfer vorbei, diesem gleichsam die Nase abschnei-
dend, schoß er hinüber unter dem Jubelgeschrei der
Menge. Nicht ein Fuß fehlte und die Boote hätten
zusammenstoßen müssen, wobei der Christopher, da er
der kleinere war, am schlimmsten gefahren wäre. Ein
einziger unter der großen Zahl von Passagieren hielt
dem Capitän seine Unbesonnenheit vor, das Leben
so vieler Menschen für nichts auf's Spiel gesetzt zu
haben, ohne indessen bei den übrigen Unterstützung
[Spaltenumbruch] zu finden. Hatte man doch einen glorreichen Sieg er-
rungen!

Howe's Höhle.

Jm Staat Newyork, Schoharie County, etwa
32 Meilen von Albany und 25 von Schenectady, be-
findet sich eine merkwürdige Höhle. An einem schönen
Morgen im August brach ich von Schenectady in der
sogenannten Stage, die aber nur aus einem leichten
viersitzigen Wagen besteht, dorthin auf. Der Weg ist
wunderschön und führt mitten in die Catskill Mountains,
über Berge und durch Thäler mit den schönsten und
abwechselndsten Aussichten. Dabei geht es vorwärts
über Stock und Stein, daß einem vorsichtigen deutschen
Reisenden angst und bange würde. Jm scharfen Trab,
ohne Hemmschuh rollt man die Berge hinunter, oft am
Rand von Abgründen hin, aber Pferde und Kutscher
scheinen sich dabei für die Langweiligkeit des langsamen
Berganfahrens entschädigen zu wollen, und man muß
zuletzt einräumen, daß dieses schnelle Fahren das Ver-
gnügen des Reisens nicht wenig erhöht, um so mehr,
da man bei der Geschicklichkeit im Fahren, die den
Amerikanern angeboren scheint, nicht gerade Gefahr
läuft umgeworfen zu werden. Oft freilich gibt irgend
ein im Wege liegender Stein oder Baumstamm einen
plötzlichen Stoß, daß man mit einem unwillkürlichen
Satz vom Sitz auffliegt.

Außer mir befand sich ein junger Mann, ein Far-
mer aus der Gegend, im Wagen, und da die Aussicht
auf ein vierstündiges stummes Tete-a=tete doch selbst
für amerikanische Schweigsamkeit etwas beängstigendes
hat, waren wir bald im Gespräch begriffen, und ich
hörte mit Jnteresse seinen Erzählungen und Erklärungen
aus dem Kreise seiner landwirthschaftlichen Erfahrungen
zu. Wo ich noch Gelegenheit hatte, mit amerikanischen
Farmern bekannt zu werden, fand ich in ihnen einen
Grad von Bildung, gesundem Verstand und natürlichem
gutem Betragen, der einen höchst wohlthuenden Ein-
druck macht, und sie als die würdigen Repräsentanten
des Bauernstandes eines großen freien Volks zeigt.
Welcher Unterschied zwischen ihnen und dem unwissen-
den, vorurtheilsvollen, eigensinnigen und dabei so ein-
gebildeten europäischen Bauern, mit dem eingefleischten,
unerschütterlichen Haß gegen alle Neuerungen, bloß weil
sein Vater und Großvater noch nichts davon wußten!
Mit Befriedigung bemerkte ich auch, so weit ich kam,
daß die Leute auf dem Lande, wo sie nicht vom Baum-
wollenhandel oder andern dergleichen Zwecken bestimmt
werden, alle entschiedene Gegner der Sklaverei sind,
und folglich für Fremont, den Antisklavereicandidaten
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] kennen gelernt hat, sich der Leichtigkeit erinnert, mit
der man dort Bekanntschaften anknüpft und nach Be-
lieben fortsetzt oder wieder aufgibt, der ist schwerlich
im Stande sich einen Begriff von der unersprießlichen,
vornehm seyn sollenden Steifheit der amerikanischen Ba-
degesellschaft zu machen. Nur diejenigen, welche sich in
aller Form vorgestellt sind, glauben mit einander sprechen
zu dürfen, und ehe man jemand anredete, wenn dieser
Form nicht genügt worden, läuft man lieber vier Wochen
lang stumm neben einander her; so groß ist die Angst,
sich etwas von seiner Würde zu vergeben! Hat man
nun aber auch das Glück, in die Creme der Gesell-
schaft eingeführt zu seyn, so ist man darum nicht viel
besser berathen; denn Klatsch ist hier so gut der Haupt-
nahrungsstoff der Unterhaltung als in irgend welchem
deutschen Krähwinkel, und nach zwei im Salon der
Atlantic Pavillions zugebrachten Stunden war ich schon
vollständig in die kleine chronique scandaleuse einge-
weiht. Wer den haut goût solcher Unterhaltung nicht
liebt, mag sich an harmlosen Wetterconjekturen oder an
den Faseleien einiger philosophirenden Damen erbauen,
welche ein unvermeidliches Jngrediens jedes größeren
Kreises zu seyn scheinen.

Auf der Rückfahrt erlebte ich eine jener verrufenen
Wettfahrten, welche schon so oft mit dem Auffliegen
eines der kämpfenden Fahrzeuge geendigt haben. Ein
weit größeres Dampfboot als der Christopher kam rechts
von uns die Bai herauf, allein trotz des offenbaren
Nachtheils, in dem dieser sich befand, wollte er doch
nicht zurückbleiben und bot alle Kräfte seiner Feuergei-
ster auf, um den Vorsprung zu gewinnen. Beide
Steamer waren mit Menschen überfüllt, die auf beiden
Seiten mit Leidenschaft Partei nahmen und sich durch
Geschrei, Spott und Neckereien immer mehr aufhetzten,
während die Schiffe nur wenige Ellen von einander
entfernt pfeilschnell dahinflogen. Der Augenblick wurde
kritisch, denn wir waren jetzt dicht vor Governors Js-
land, und der größere Dampfer mußte nun zur Linken
den North River hinauf, während der Christopher durch
die sogenannten Buttermilkstraits in den East River zu
gehen hatte. Da wandte sich dieser, einen kleinen Vor-
sprung benutzend, plötzlich rechts, und hart am großen
Dampfer vorbei, diesem gleichsam die Nase abschnei-
dend, schoß er hinüber unter dem Jubelgeschrei der
Menge. Nicht ein Fuß fehlte und die Boote hätten
zusammenstoßen müssen, wobei der Christopher, da er
der kleinere war, am schlimmsten gefahren wäre. Ein
einziger unter der großen Zahl von Passagieren hielt
dem Capitän seine Unbesonnenheit vor, das Leben
so vieler Menschen für nichts auf's Spiel gesetzt zu
haben, ohne indessen bei den übrigen Unterstützung
[Spaltenumbruch] zu finden. Hatte man doch einen glorreichen Sieg er-
rungen!

Howe's Höhle.

Jm Staat Newyork, Schoharie County, etwa
32 Meilen von Albany und 25 von Schenectady, be-
findet sich eine merkwürdige Höhle. An einem schönen
Morgen im August brach ich von Schenectady in der
sogenannten Stage, die aber nur aus einem leichten
viersitzigen Wagen besteht, dorthin auf. Der Weg ist
wunderschön und führt mitten in die Catskill Mountains,
über Berge und durch Thäler mit den schönsten und
abwechselndsten Aussichten. Dabei geht es vorwärts
über Stock und Stein, daß einem vorsichtigen deutschen
Reisenden angst und bange würde. Jm scharfen Trab,
ohne Hemmschuh rollt man die Berge hinunter, oft am
Rand von Abgründen hin, aber Pferde und Kutscher
scheinen sich dabei für die Langweiligkeit des langsamen
Berganfahrens entschädigen zu wollen, und man muß
zuletzt einräumen, daß dieses schnelle Fahren das Ver-
gnügen des Reisens nicht wenig erhöht, um so mehr,
da man bei der Geschicklichkeit im Fahren, die den
Amerikanern angeboren scheint, nicht gerade Gefahr
läuft umgeworfen zu werden. Oft freilich gibt irgend
ein im Wege liegender Stein oder Baumstamm einen
plötzlichen Stoß, daß man mit einem unwillkürlichen
Satz vom Sitz auffliegt.

Außer mir befand sich ein junger Mann, ein Far-
mer aus der Gegend, im Wagen, und da die Aussicht
auf ein vierstündiges stummes Tête-à=tête doch selbst
für amerikanische Schweigsamkeit etwas beängstigendes
hat, waren wir bald im Gespräch begriffen, und ich
hörte mit Jnteresse seinen Erzählungen und Erklärungen
aus dem Kreise seiner landwirthschaftlichen Erfahrungen
zu. Wo ich noch Gelegenheit hatte, mit amerikanischen
Farmern bekannt zu werden, fand ich in ihnen einen
Grad von Bildung, gesundem Verstand und natürlichem
gutem Betragen, der einen höchst wohlthuenden Ein-
druck macht, und sie als die würdigen Repräsentanten
des Bauernstandes eines großen freien Volks zeigt.
Welcher Unterschied zwischen ihnen und dem unwissen-
den, vorurtheilsvollen, eigensinnigen und dabei so ein-
gebildeten europäischen Bauern, mit dem eingefleischten,
unerschütterlichen Haß gegen alle Neuerungen, bloß weil
sein Vater und Großvater noch nichts davon wußten!
Mit Befriedigung bemerkte ich auch, so weit ich kam,
daß die Leute auf dem Lande, wo sie nicht vom Baum-
wollenhandel oder andern dergleichen Zwecken bestimmt
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und folglich für Fremont, den Antisklavereicandidaten
[Ende Spaltensatz]

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[1096/0016] 1096 kennen gelernt hat, sich der Leichtigkeit erinnert, mit der man dort Bekanntschaften anknüpft und nach Be- lieben fortsetzt oder wieder aufgibt, der ist schwerlich im Stande sich einen Begriff von der unersprießlichen, vornehm seyn sollenden Steifheit der amerikanischen Ba- degesellschaft zu machen. Nur diejenigen, welche sich in aller Form vorgestellt sind, glauben mit einander sprechen zu dürfen, und ehe man jemand anredete, wenn dieser Form nicht genügt worden, läuft man lieber vier Wochen lang stumm neben einander her; so groß ist die Angst, sich etwas von seiner Würde zu vergeben! Hat man nun aber auch das Glück, in die Creme der Gesell- schaft eingeführt zu seyn, so ist man darum nicht viel besser berathen; denn Klatsch ist hier so gut der Haupt- nahrungsstoff der Unterhaltung als in irgend welchem deutschen Krähwinkel, und nach zwei im Salon der Atlantic Pavillions zugebrachten Stunden war ich schon vollständig in die kleine chronique scandaleuse einge- weiht. Wer den haut goût solcher Unterhaltung nicht liebt, mag sich an harmlosen Wetterconjekturen oder an den Faseleien einiger philosophirenden Damen erbauen, welche ein unvermeidliches Jngrediens jedes größeren Kreises zu seyn scheinen. Auf der Rückfahrt erlebte ich eine jener verrufenen Wettfahrten, welche schon so oft mit dem Auffliegen eines der kämpfenden Fahrzeuge geendigt haben. Ein weit größeres Dampfboot als der Christopher kam rechts von uns die Bai herauf, allein trotz des offenbaren Nachtheils, in dem dieser sich befand, wollte er doch nicht zurückbleiben und bot alle Kräfte seiner Feuergei- ster auf, um den Vorsprung zu gewinnen. Beide Steamer waren mit Menschen überfüllt, die auf beiden Seiten mit Leidenschaft Partei nahmen und sich durch Geschrei, Spott und Neckereien immer mehr aufhetzten, während die Schiffe nur wenige Ellen von einander entfernt pfeilschnell dahinflogen. Der Augenblick wurde kritisch, denn wir waren jetzt dicht vor Governors Js- land, und der größere Dampfer mußte nun zur Linken den North River hinauf, während der Christopher durch die sogenannten Buttermilkstraits in den East River zu gehen hatte. Da wandte sich dieser, einen kleinen Vor- sprung benutzend, plötzlich rechts, und hart am großen Dampfer vorbei, diesem gleichsam die Nase abschnei- dend, schoß er hinüber unter dem Jubelgeschrei der Menge. Nicht ein Fuß fehlte und die Boote hätten zusammenstoßen müssen, wobei der Christopher, da er der kleinere war, am schlimmsten gefahren wäre. Ein einziger unter der großen Zahl von Passagieren hielt dem Capitän seine Unbesonnenheit vor, das Leben so vieler Menschen für nichts auf's Spiel gesetzt zu haben, ohne indessen bei den übrigen Unterstützung zu finden. Hatte man doch einen glorreichen Sieg er- rungen! Howe's Höhle. Jm Staat Newyork, Schoharie County, etwa 32 Meilen von Albany und 25 von Schenectady, be- findet sich eine merkwürdige Höhle. An einem schönen Morgen im August brach ich von Schenectady in der sogenannten Stage, die aber nur aus einem leichten viersitzigen Wagen besteht, dorthin auf. Der Weg ist wunderschön und führt mitten in die Catskill Mountains, über Berge und durch Thäler mit den schönsten und abwechselndsten Aussichten. Dabei geht es vorwärts über Stock und Stein, daß einem vorsichtigen deutschen Reisenden angst und bange würde. Jm scharfen Trab, ohne Hemmschuh rollt man die Berge hinunter, oft am Rand von Abgründen hin, aber Pferde und Kutscher scheinen sich dabei für die Langweiligkeit des langsamen Berganfahrens entschädigen zu wollen, und man muß zuletzt einräumen, daß dieses schnelle Fahren das Ver- gnügen des Reisens nicht wenig erhöht, um so mehr, da man bei der Geschicklichkeit im Fahren, die den Amerikanern angeboren scheint, nicht gerade Gefahr läuft umgeworfen zu werden. Oft freilich gibt irgend ein im Wege liegender Stein oder Baumstamm einen plötzlichen Stoß, daß man mit einem unwillkürlichen Satz vom Sitz auffliegt. Außer mir befand sich ein junger Mann, ein Far- mer aus der Gegend, im Wagen, und da die Aussicht auf ein vierstündiges stummes Tête-à=tête doch selbst für amerikanische Schweigsamkeit etwas beängstigendes hat, waren wir bald im Gespräch begriffen, und ich hörte mit Jnteresse seinen Erzählungen und Erklärungen aus dem Kreise seiner landwirthschaftlichen Erfahrungen zu. Wo ich noch Gelegenheit hatte, mit amerikanischen Farmern bekannt zu werden, fand ich in ihnen einen Grad von Bildung, gesundem Verstand und natürlichem gutem Betragen, der einen höchst wohlthuenden Ein- druck macht, und sie als die würdigen Repräsentanten des Bauernstandes eines großen freien Volks zeigt. Welcher Unterschied zwischen ihnen und dem unwissen- den, vorurtheilsvollen, eigensinnigen und dabei so ein- gebildeten europäischen Bauern, mit dem eingefleischten, unerschütterlichen Haß gegen alle Neuerungen, bloß weil sein Vater und Großvater noch nichts davon wußten! Mit Befriedigung bemerkte ich auch, so weit ich kam, daß die Leute auf dem Lande, wo sie nicht vom Baum- wollenhandel oder andern dergleichen Zwecken bestimmt werden, alle entschiedene Gegner der Sklaverei sind, und folglich für Fremont, den Antisklavereicandidaten

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856, S. 1096. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt46_1856/16>, abgerufen am 25.06.2024.