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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] von einem Kardinal gehaltenen Hochamte schwebte die
Procession durch den ganzen Dom. Daß es so lang
währte, bis der heilige Vater wieder in den Chor zu-
rück kehrte, daran mochte man die Ausdehnung des
Riesenbaus ermessen.

Wer könnte diesen Ocean von schimmernden Ge-
stalten, Flambeaus und Lampen, diese blitzenden Wogen
von reichen Gewändern, mannigfachem Hauptschmuck,
Kopf an Kopf, die Verschiedenheit der Züge schildern?
Unwillkürlich mußten wir diesen höchsten Ausdruck des
Monarchismus mit dem Königsglanze im Westminster-
palaste an großen Parlamentstagen vergleichen. Hier
waltet freilich neben der überschwenglichen Pracht die
Phantasie, das Künstlerische des Südens vor. Ein
meisterhafter Gesang schwang sich nun auf, Composition
von Palestrina; lauter Tenore, welche jedoch auf nicht
angenehme Weise in der Fistel singen, um das in der
päpstlichen Cathedrale nicht gestattete Element weiblicher
Stimmen zu ersetzen.

Gegen das Ende der Feier schwamm plötzlich der
Kammerherr mit weißer Halskrause und goldener Kette
in dringender Eile durch unsere Tribüne. Wir hörten
ihn einer französischen Dame die Geburt des Sohnes
Louis Napoleons melden. Die telegraphische Nachricht
war um eilf Uhr eingetroffen und der Papst selbst und
die um ihn Versammelten erhielten eben in dieser Mi-
nute die Kunde. Gleich darauf schütterten auch die
kaiserlichen Kanonen von der Engelsburg bis in's Herz
der Peterskirche. Das gehört auch wieder mit zum
Glück und Schick Napoleons. Der Augenblick konnte
nicht besser gewählt seyn. So bringt der Telegraph
Zeit und Weltlichkeit bis mitten hinein in's Tabernakel.

Ein feierlicher Moment war es zuletzt, wie der
Papst am Hochaltar niederkniete und mit ihm Alles auf
die Kniee fiel, auch die Truppen in der Kirche. Groß-
artigen Eindruck machte ferner das Hinaustreten aus
der Vorhalle auf die Kirchenstufen, das Entwirren des
farbigen Gewühls auf dem weiten Platze zwischen den
Colonnaden, zu Füßen des Obelisken und der schäu-
menden, alles Donnern von Wagen, Trommeln und
Glocken überrauschenden Springbrunnen, die zahllosen
Fuhrwerke, Fußgänger, Soldaten, Volksmassen, die sich
auseinander lösen nach allen Richtungen.

Nach Tisch fuhr man nach der alten Constantins-
basilika, nach dem Lateran, wo auch ein Kardinal
Zweige austheilte. Zahllose Equipagen hielten da auf
der Piazza di San Giovanni, und wie strömte es aus
und ein während der Kapuzinerpredigt, und wie drama-
tisch stürzten die Bettler herbei! Später im Corso
Wagen an Wagen, die schönsten, stolzesten Damen,
wie auf rollenden Divans gelagert. Dazwischen wälzt
[Spaltenumbruch] sich die Menge Kopf an Kopf unter den hohen Häu-
serreihen mit den eigenthümlichen glasbedeckten Balkonen,
welche mehr Kirchenstühlen als Erkern gleichen, und
zum Ueberfluß noch mit rothen oder weißen Vorhängen
umzogen und häufig phantastisch, ohne alle Symmetrie,
wie Schwalbennester an die Stockwerke geheftet sind.
Die Charwoche ist hier, den äußern Eindrücken nach,
nichts anderes als ein zweiter Carneval, ein heiliger
Fasching. Vor dem von dem französischen Komman-
danten bewohnten Palaste gewahrte man bereits Gerüste
für die Beleuchtung zu Ehren des neugeborenen Prinzen.

Mit jedem Tage gewinnen die Straßen etwas
mehr an Festlichkeit. Die Leute aus den Albaner und
Sabiner Bergen, aus den Abruzzen kommen herein in
ihren bunten Kleidern, plastisch edle Gestalten, träu-
mende Gesichter. Die Conditorladen, namentlich am
Corso, zeigen sich schon ganz osterbunt. An ihren
Schaufenstern haben sich weiße, lebensgroße Zuckertau-
ben niedergelassen, auch kleinere, jede mit einem Blüm-
lein im Schnabel. Osterlämmer mit Fahnen leisten
ihnen Gesellschaft. Jn den noch ursprünglicheren Stadt-
theilen wachsen überall ambulante Küchen aus dem
Boden, von Zelten gedeckt, oft noch unter diesen mit
rothen Vorhängen drapirt, in deren Mitte der Besitzer
wie in einer Loge steht. Rechts und links von ihm,
neben den zu beiden Seiten aufgepflanzten frühlings-
grünen Bäumen, stehen zwei weiße Köche, jeder mit
einem Gesellen. Erstere modeln ihre Waare -- " fritti,"
Schmalzgebackenes -- sehr gewandt aus dem großen Vorrath
von Teig und legen sie in das brodelnde Fett; letztere
drehen das verschieden geformte Gebäck darin um, neh-
men es aus den Kesseln und füllen damit die Platten
auf dem sauber gedeckten Tisch, wo sich schon Massen
von gekochtem compaktem Reis brüsten, besteckt mit ei-
nigen Tulpen an langen Stengeln, und vor dem sich
ein Publikum von Gassenjungen versammelt hat, die
uns zuweilen zuschreien: " Pagate per me " ( zahlet für
mich ) . Am meisten floriren jedoch diese Küchen am
Tage des h. Giuseppe, welcher der Patron aller Fer-
tiger von Fritti ist.

Wir konnten das beobachten in der Via Felice
und delle quattro Fontane sowohl, als an der Piazza
Barberini, auf unserem Wege nach St. Maria Mag-
giore. Jn dem reichen und doch nicht überladenen
Tempel nistete an jeder Säule eine Kolonie. Da
sitzen geschmückte Damen, Herrn, Contadini mit ihren
Körben und Bündeln, mit dem plumpen Tuchschirme,
und doch alles malerisch gruppirt, wie zur Ornamentik
dieser Säulen. Hauptsächlich sind sie aber von den
Bettlern bewohnt, wie von Gevögel. Hunde laufen ge-
mächlich durch die Kirche, bei Glockenläuten und Trommel-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] von einem Kardinal gehaltenen Hochamte schwebte die
Procession durch den ganzen Dom. Daß es so lang
währte, bis der heilige Vater wieder in den Chor zu-
rück kehrte, daran mochte man die Ausdehnung des
Riesenbaus ermessen.

Wer könnte diesen Ocean von schimmernden Ge-
stalten, Flambeaus und Lampen, diese blitzenden Wogen
von reichen Gewändern, mannigfachem Hauptschmuck,
Kopf an Kopf, die Verschiedenheit der Züge schildern?
Unwillkürlich mußten wir diesen höchsten Ausdruck des
Monarchismus mit dem Königsglanze im Westminster-
palaste an großen Parlamentstagen vergleichen. Hier
waltet freilich neben der überschwenglichen Pracht die
Phantasie, das Künstlerische des Südens vor. Ein
meisterhafter Gesang schwang sich nun auf, Composition
von Palestrina; lauter Tenore, welche jedoch auf nicht
angenehme Weise in der Fistel singen, um das in der
päpstlichen Cathedrale nicht gestattete Element weiblicher
Stimmen zu ersetzen.

Gegen das Ende der Feier schwamm plötzlich der
Kammerherr mit weißer Halskrause und goldener Kette
in dringender Eile durch unsere Tribüne. Wir hörten
ihn einer französischen Dame die Geburt des Sohnes
Louis Napoleons melden. Die telegraphische Nachricht
war um eilf Uhr eingetroffen und der Papst selbst und
die um ihn Versammelten erhielten eben in dieser Mi-
nute die Kunde. Gleich darauf schütterten auch die
kaiserlichen Kanonen von der Engelsburg bis in's Herz
der Peterskirche. Das gehört auch wieder mit zum
Glück und Schick Napoleons. Der Augenblick konnte
nicht besser gewählt seyn. So bringt der Telegraph
Zeit und Weltlichkeit bis mitten hinein in's Tabernakel.

Ein feierlicher Moment war es zuletzt, wie der
Papst am Hochaltar niederkniete und mit ihm Alles auf
die Kniee fiel, auch die Truppen in der Kirche. Groß-
artigen Eindruck machte ferner das Hinaustreten aus
der Vorhalle auf die Kirchenstufen, das Entwirren des
farbigen Gewühls auf dem weiten Platze zwischen den
Colonnaden, zu Füßen des Obelisken und der schäu-
menden, alles Donnern von Wagen, Trommeln und
Glocken überrauschenden Springbrunnen, die zahllosen
Fuhrwerke, Fußgänger, Soldaten, Volksmassen, die sich
auseinander lösen nach allen Richtungen.

Nach Tisch fuhr man nach der alten Constantins-
basilika, nach dem Lateran, wo auch ein Kardinal
Zweige austheilte. Zahllose Equipagen hielten da auf
der Piazza di San Giovanni, und wie strömte es aus
und ein während der Kapuzinerpredigt, und wie drama-
tisch stürzten die Bettler herbei! Später im Corso
Wagen an Wagen, die schönsten, stolzesten Damen,
wie auf rollenden Divans gelagert. Dazwischen wälzt
[Spaltenumbruch] sich die Menge Kopf an Kopf unter den hohen Häu-
serreihen mit den eigenthümlichen glasbedeckten Balkonen,
welche mehr Kirchenstühlen als Erkern gleichen, und
zum Ueberfluß noch mit rothen oder weißen Vorhängen
umzogen und häufig phantastisch, ohne alle Symmetrie,
wie Schwalbennester an die Stockwerke geheftet sind.
Die Charwoche ist hier, den äußern Eindrücken nach,
nichts anderes als ein zweiter Carneval, ein heiliger
Fasching. Vor dem von dem französischen Komman-
danten bewohnten Palaste gewahrte man bereits Gerüste
für die Beleuchtung zu Ehren des neugeborenen Prinzen.

Mit jedem Tage gewinnen die Straßen etwas
mehr an Festlichkeit. Die Leute aus den Albaner und
Sabiner Bergen, aus den Abruzzen kommen herein in
ihren bunten Kleidern, plastisch edle Gestalten, träu-
mende Gesichter. Die Conditorladen, namentlich am
Corso, zeigen sich schon ganz osterbunt. An ihren
Schaufenstern haben sich weiße, lebensgroße Zuckertau-
ben niedergelassen, auch kleinere, jede mit einem Blüm-
lein im Schnabel. Osterlämmer mit Fahnen leisten
ihnen Gesellschaft. Jn den noch ursprünglicheren Stadt-
theilen wachsen überall ambulante Küchen aus dem
Boden, von Zelten gedeckt, oft noch unter diesen mit
rothen Vorhängen drapirt, in deren Mitte der Besitzer
wie in einer Loge steht. Rechts und links von ihm,
neben den zu beiden Seiten aufgepflanzten frühlings-
grünen Bäumen, stehen zwei weiße Köche, jeder mit
einem Gesellen. Erstere modeln ihre Waare — » fritti
Schmalzgebackenes — sehr gewandt aus dem großen Vorrath
von Teig und legen sie in das brodelnde Fett; letztere
drehen das verschieden geformte Gebäck darin um, neh-
men es aus den Kesseln und füllen damit die Platten
auf dem sauber gedeckten Tisch, wo sich schon Massen
von gekochtem compaktem Reis brüsten, besteckt mit ei-
nigen Tulpen an langen Stengeln, und vor dem sich
ein Publikum von Gassenjungen versammelt hat, die
uns zuweilen zuschreien: » Pagate per me « ( zahlet für
mich ) . Am meisten floriren jedoch diese Küchen am
Tage des h. Giuseppe, welcher der Patron aller Fer-
tiger von Fritti ist.

Wir konnten das beobachten in der Via Felice
und delle quattro Fontane sowohl, als an der Piazza
Barberini, auf unserem Wege nach St. Maria Mag-
giore. Jn dem reichen und doch nicht überladenen
Tempel nistete an jeder Säule eine Kolonie. Da
sitzen geschmückte Damen, Herrn, Contadini mit ihren
Körben und Bündeln, mit dem plumpen Tuchschirme,
und doch alles malerisch gruppirt, wie zur Ornamentik
dieser Säulen. Hauptsächlich sind sie aber von den
Bettlern bewohnt, wie von Gevögel. Hunde laufen ge-
mächlich durch die Kirche, bei Glockenläuten und Trommel-
[Ende Spaltensatz]

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Groß- artigen Eindruck machte ferner das Hinaustreten aus der Vorhalle auf die Kirchenstufen, das Entwirren des farbigen Gewühls auf dem weiten Platze zwischen den Colonnaden, zu Füßen des Obelisken und der schäu- menden, alles Donnern von Wagen, Trommeln und Glocken überrauschenden Springbrunnen, die zahllosen Fuhrwerke, Fußgänger, Soldaten, Volksmassen, die sich auseinander lösen nach allen Richtungen. Nach Tisch fuhr man nach der alten Constantins- basilika, nach dem Lateran, wo auch ein Kardinal Zweige austheilte. Zahllose Equipagen hielten da auf der Piazza di San Giovanni, und wie strömte es aus und ein während der Kapuzinerpredigt, und wie drama- tisch stürzten die Bettler herbei! Später im Corso Wagen an Wagen, die schönsten, stolzesten Damen, wie auf rollenden Divans gelagert. Dazwischen wälzt sich die Menge Kopf an Kopf unter den hohen Häu- serreihen mit den eigenthümlichen glasbedeckten Balkonen, welche mehr Kirchenstühlen als Erkern gleichen, und zum Ueberfluß noch mit rothen oder weißen Vorhängen umzogen und häufig phantastisch, ohne alle Symmetrie, wie Schwalbennester an die Stockwerke geheftet sind. Die Charwoche ist hier, den äußern Eindrücken nach, nichts anderes als ein zweiter Carneval, ein heiliger Fasching. Vor dem von dem französischen Komman- danten bewohnten Palaste gewahrte man bereits Gerüste für die Beleuchtung zu Ehren des neugeborenen Prinzen. Mit jedem Tage gewinnen die Straßen etwas mehr an Festlichkeit. Die Leute aus den Albaner und Sabiner Bergen, aus den Abruzzen kommen herein in ihren bunten Kleidern, plastisch edle Gestalten, träu- mende Gesichter. Die Conditorladen, namentlich am Corso, zeigen sich schon ganz osterbunt. An ihren Schaufenstern haben sich weiße, lebensgroße Zuckertau- ben niedergelassen, auch kleinere, jede mit einem Blüm- lein im Schnabel. Osterlämmer mit Fahnen leisten ihnen Gesellschaft. Jn den noch ursprünglicheren Stadt- theilen wachsen überall ambulante Küchen aus dem Boden, von Zelten gedeckt, oft noch unter diesen mit rothen Vorhängen drapirt, in deren Mitte der Besitzer wie in einer Loge steht. Rechts und links von ihm, neben den zu beiden Seiten aufgepflanzten frühlings- grünen Bäumen, stehen zwei weiße Köche, jeder mit einem Gesellen. 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Da sitzen geschmückte Damen, Herrn, Contadini mit ihren Körben und Bündeln, mit dem plumpen Tuchschirme, und doch alles malerisch gruppirt, wie zur Ornamentik dieser Säulen. Hauptsächlich sind sie aber von den Bettlern bewohnt, wie von Gevögel. Hunde laufen ge- mächlich durch die Kirche, bei Glockenläuten und Trommel-

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/3>, abgerufen am 25.11.2024.