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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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Jn Summa, beim Anlegen eines billigen Maßstabes
wird man mit den Leistungen und dem Zustande unserer
Bühne recht wohl zufrieden seyn können, um so mehr,
wenn man das Königsberger Theater mit andern Stadt-
theatern vergleicht, z. B. mit dem in Danzig, welches
kennen zu lernen ich Gelegenheit hatte, als ich vor meh-
reren Wochen einen Ausflug nach Westpreußen unternahm.
Früher, als die Ostbahn noch nicht vollendet war, ge-
währte diese Reise mehr Reiz; sie war zwar zeitraubender
und kostspieliger, dafür aber auch interessanter, poetischer.
Man fuhr mit einem Dampfschiff über das Haff an Pillau
vorüber nach Elbing, eine, namentlich in ihrem letzten
Theile, mochte die Reisegesellschaft noch so langweilig und
abstoßend seyn, sehr genußreiche Fahrt. Landschaftliche
und architektonische Bilder von fesselnder Schöne fielen
dem Deckpassagier in das Auge. Golden strahlt die Sonne
auf der dunkelblauen Fluth des Haffes, das sich jetzt aus-
dehnt, jetzt zusammenzieht. Hier rahmen weite, kahle
Sanddünen die Wasser ein, weder ein Haus noch ein le-
bendes Wesen, weder Baum noch Strauch zeigt sich. So un-
gefähr denke ich mir den Eindruck am todten Meere. Der
Dampfer dampft weiter, und landeinwärts steigen Küstenberge
auf, mit jedem Schlage des Rades gewinnt die Gegend; pracht-
volle Buchen und Birken, Tannenwälder und Eichenge-
hölz krönen die Höhen und prangen mit den reizendsten
Abstufungen des frischen Grüns. Man kann sich an der
Kraft und Ueppigkeit der Waldvegetation nicht satt sehen.
Dann wieder senkt sich die Terrainerhebung, weite Thäler
bildend, um auf's neue terrassenartig aufzusteigen. An
den Abhängen weiden Heerden, durch die Büsche schallt
über die Wasserfläche das Geläute und Geklingel der Vieh-
glocken; das helle Gemäuer, die rothen Ziegeldächer von
Badehäusern und Villen blicken durch das Grün des Wal-
des; aus der Ferne ragt der ehrwürdige Dom von Frauen-
burg, der schlanke Kirchthurm von Tolkemitt. Nun streift
das Fahrzeug hart an die Ränder des Ufers; in male-
rischer Gruppe ausgebreitet liegen die Strandhütten eines
Fischerdorfes. Wir haben gerade nur Zeit, das Auge
einen Moment auf jenem Weibe haften zu lassen, das
vor dem Madonnenbilde auf dem Kreuzwege hingeworfen
-- das Ermland ist durchweg katholisch -- die schmerzen-
und gnadenreiche Fürbitterin inbrünstig anfleht. Der
Phantasie ist ein Gegenstand geboten, der sie lebhaft be-
schäftigen kann. -- Salutschüsse wecken uns aus den Träu-
mereien; der Dampfer ist in Elbing angekommen, die
Böller grüßen ihn. Der Reisende durchschlenderte die
[Spaltenumbruch] freundliche Stadt, besuchte auch wohl die reizenden
Punkte in der Umgegend, den Paß von Vogelsang,
das romantische Kloster Kadienen, die prächtige Villa
Reimannsfelde, vor allem den auf der frischen Neh-
rung liegenden Badeort Kahlberg, ein Stück Jtalien,
auf kahlen Dünensand hingedichtet. War alles hinläng-
lich besehen, so fuhr man mit dem Postwagen oder der
Diligence nach der Marienburg, der Alhambra Preußens.
Auch die nüchternsten und prosaischsten Gemüther müssen
von diesem Meisterstück mittelalterlicher Baukunst mächtig
ergriffen und hingerissen werden; so viel und zum Theil
Gediegenes, namentlich durch Professor Voigt, über die
Burg geschrieben ist, die Lektüre gewährt nur ein schwache
Vorstellung, kann die Anschauung in keiner Weise er-
setzen. Der Charakter des Ordens ist der Charakter des
Schlosses: die gewaltigen Mauern und Zinnen, die hohen
Säulen und Wölbungen, die genau rechtwinkligen Fen-
ster geben das Bild kräftiger, kriegerischer Haltung, die
sorgfältige, ordnungsmäßige Ausführung verräth militä-
rischen Anstand, kolossale Festigkeit, mit einfacher Würde
verbunden, gemahnt an altrömische Bauten. Von der
Burg verfolgte man entweder die große Straße, welche
geradeaus nach Danzig führt, oder gewöhnlich zog man
die Kreuz= und Querwanderung durch den Werder vor,
um dort Land und Leute kennen zu lernen. Es lohnte
schon der Stunden und Tage, die man brauchte; es gab
hier reiche Ausbeute für Skizzen und Zeichnungen jeder
Art. Heute ist, wie gesagt, das alles anders geworden,
alles vergessen und versunken, so gut wie Uhlands ver-
fallenes Schloß und jener zauberische Klang des Post-
horns, der ehedem unser Herz mit Sehnsucht schwellte.
Unser Ohr hat sich der Melodie des alten Mantelliedes
entwöhnt und dafür die Koloraturen des gellenden Loko-
motiopfiffs eingetauscht. Auf dem Schienenwege erreichen
wir von Königsberg Danzig in wenigen Stunden. So
sehr das moderne Nivellement die ehrwürdige Hansastadt
beleckt und ihre charakteristischen Eigenthümlichkeiten abge-
schliffen hat, sie bleibt doch noch immer, insbesondere
in architektonischer Hinsicht, eine der bemerkenswerthesten
Städte Deutschlands. Von den frühesten Zeiten bis auf
die Gegenwart gaben der Krieg und der Handel Danzig
seine Bedeutung; daher die vielen Speicherstraßen und
großen Waarenräume, daher die Menge der älteren Häu-
ser, welche weniger friedlichen Wohnungen als Thürmen
und Forts gleichen, die eine Belagerung aushalten sollen.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )




Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
Druck der Buchdruckerei der J. G. Cotta' schen Buchhandlung in Stuttgart.

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Jn Summa, beim Anlegen eines billigen Maßstabes
wird man mit den Leistungen und dem Zustande unserer
Bühne recht wohl zufrieden seyn können, um so mehr,
wenn man das Königsberger Theater mit andern Stadt-
theatern vergleicht, z. B. mit dem in Danzig, welches
kennen zu lernen ich Gelegenheit hatte, als ich vor meh-
reren Wochen einen Ausflug nach Westpreußen unternahm.
Früher, als die Ostbahn noch nicht vollendet war, ge-
währte diese Reise mehr Reiz; sie war zwar zeitraubender
und kostspieliger, dafür aber auch interessanter, poetischer.
Man fuhr mit einem Dampfschiff über das Haff an Pillau
vorüber nach Elbing, eine, namentlich in ihrem letzten
Theile, mochte die Reisegesellschaft noch so langweilig und
abstoßend seyn, sehr genußreiche Fahrt. Landschaftliche
und architektonische Bilder von fesselnder Schöne fielen
dem Deckpassagier in das Auge. Golden strahlt die Sonne
auf der dunkelblauen Fluth des Haffes, das sich jetzt aus-
dehnt, jetzt zusammenzieht. Hier rahmen weite, kahle
Sanddünen die Wasser ein, weder ein Haus noch ein le-
bendes Wesen, weder Baum noch Strauch zeigt sich. So un-
gefähr denke ich mir den Eindruck am todten Meere. Der
Dampfer dampft weiter, und landeinwärts steigen Küstenberge
auf, mit jedem Schlage des Rades gewinnt die Gegend; pracht-
volle Buchen und Birken, Tannenwälder und Eichenge-
hölz krönen die Höhen und prangen mit den reizendsten
Abstufungen des frischen Grüns. Man kann sich an der
Kraft und Ueppigkeit der Waldvegetation nicht satt sehen.
Dann wieder senkt sich die Terrainerhebung, weite Thäler
bildend, um auf's neue terrassenartig aufzusteigen. An
den Abhängen weiden Heerden, durch die Büsche schallt
über die Wasserfläche das Geläute und Geklingel der Vieh-
glocken; das helle Gemäuer, die rothen Ziegeldächer von
Badehäusern und Villen blicken durch das Grün des Wal-
des; aus der Ferne ragt der ehrwürdige Dom von Frauen-
burg, der schlanke Kirchthurm von Tolkemitt. Nun streift
das Fahrzeug hart an die Ränder des Ufers; in male-
rischer Gruppe ausgebreitet liegen die Strandhütten eines
Fischerdorfes. Wir haben gerade nur Zeit, das Auge
einen Moment auf jenem Weibe haften zu lassen, das
vor dem Madonnenbilde auf dem Kreuzwege hingeworfen
— das Ermland ist durchweg katholisch — die schmerzen-
und gnadenreiche Fürbitterin inbrünstig anfleht. Der
Phantasie ist ein Gegenstand geboten, der sie lebhaft be-
schäftigen kann. — Salutschüsse wecken uns aus den Träu-
mereien; der Dampfer ist in Elbing angekommen, die
Böller grüßen ihn. Der Reisende durchschlenderte die
[Spaltenumbruch] freundliche Stadt, besuchte auch wohl die reizenden
Punkte in der Umgegend, den Paß von Vogelsang,
das romantische Kloster Kadienen, die prächtige Villa
Reimannsfelde, vor allem den auf der frischen Neh-
rung liegenden Badeort Kahlberg, ein Stück Jtalien,
auf kahlen Dünensand hingedichtet. War alles hinläng-
lich besehen, so fuhr man mit dem Postwagen oder der
Diligence nach der Marienburg, der Alhambra Preußens.
Auch die nüchternsten und prosaischsten Gemüther müssen
von diesem Meisterstück mittelalterlicher Baukunst mächtig
ergriffen und hingerissen werden; so viel und zum Theil
Gediegenes, namentlich durch Professor Voigt, über die
Burg geschrieben ist, die Lektüre gewährt nur ein schwache
Vorstellung, kann die Anschauung in keiner Weise er-
setzen. Der Charakter des Ordens ist der Charakter des
Schlosses: die gewaltigen Mauern und Zinnen, die hohen
Säulen und Wölbungen, die genau rechtwinkligen Fen-
ster geben das Bild kräftiger, kriegerischer Haltung, die
sorgfältige, ordnungsmäßige Ausführung verräth militä-
rischen Anstand, kolossale Festigkeit, mit einfacher Würde
verbunden, gemahnt an altrömische Bauten. Von der
Burg verfolgte man entweder die große Straße, welche
geradeaus nach Danzig führt, oder gewöhnlich zog man
die Kreuz= und Querwanderung durch den Werder vor,
um dort Land und Leute kennen zu lernen. Es lohnte
schon der Stunden und Tage, die man brauchte; es gab
hier reiche Ausbeute für Skizzen und Zeichnungen jeder
Art. Heute ist, wie gesagt, das alles anders geworden,
alles vergessen und versunken, so gut wie Uhlands ver-
fallenes Schloß und jener zauberische Klang des Post-
horns, der ehedem unser Herz mit Sehnsucht schwellte.
Unser Ohr hat sich der Melodie des alten Mantelliedes
entwöhnt und dafür die Koloraturen des gellenden Loko-
motiopfiffs eingetauscht. Auf dem Schienenwege erreichen
wir von Königsberg Danzig in wenigen Stunden. So
sehr das moderne Nivellement die ehrwürdige Hansastadt
beleckt und ihre charakteristischen Eigenthümlichkeiten abge-
schliffen hat, sie bleibt doch noch immer, insbesondere
in architektonischer Hinsicht, eine der bemerkenswerthesten
Städte Deutschlands. Von den frühesten Zeiten bis auf
die Gegenwart gaben der Krieg und der Handel Danzig
seine Bedeutung; daher die vielen Speicherstraßen und
großen Waarenräume, daher die Menge der älteren Häu-
ser, welche weniger friedlichen Wohnungen als Thürmen
und Forts gleichen, die eine Belagerung aushalten sollen.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )




Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
Druck der Buchdruckerei der J. G. Cotta' schen Buchhandlung in Stuttgart.

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[864/0024] 864 Jn Summa, beim Anlegen eines billigen Maßstabes wird man mit den Leistungen und dem Zustande unserer Bühne recht wohl zufrieden seyn können, um so mehr, wenn man das Königsberger Theater mit andern Stadt- theatern vergleicht, z. B. mit dem in Danzig, welches kennen zu lernen ich Gelegenheit hatte, als ich vor meh- reren Wochen einen Ausflug nach Westpreußen unternahm. Früher, als die Ostbahn noch nicht vollendet war, ge- währte diese Reise mehr Reiz; sie war zwar zeitraubender und kostspieliger, dafür aber auch interessanter, poetischer. Man fuhr mit einem Dampfschiff über das Haff an Pillau vorüber nach Elbing, eine, namentlich in ihrem letzten Theile, mochte die Reisegesellschaft noch so langweilig und abstoßend seyn, sehr genußreiche Fahrt. Landschaftliche und architektonische Bilder von fesselnder Schöne fielen dem Deckpassagier in das Auge. Golden strahlt die Sonne auf der dunkelblauen Fluth des Haffes, das sich jetzt aus- dehnt, jetzt zusammenzieht. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 864. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/24>, abgerufen am 01.06.2024.