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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Abschied, das alle lieb hatten und das der junge
Beck so sehr verehrte. Darum konnte auch dieser nicht
mitsingen; ihm versagte die Stimme und Bärbl weinte
die ganze Nacht.

Bärbl und Wolfgang mußten also scheiden, und
vielleicht auf immer. Einige ziemlich deutliche Anspie-
lungen, welche der alte Beck über wünschenswerthe
Schwägerschaften fallen ließ, hatte der Weringer über-
hört oder überhören wollen; und nach allem, was ge-
schehen war, mußte dem Weringer daran liegen, keine
Familienverbindungen in einem Orte zurückzulassen, den
er hassend verließ, um ihn zürnend für immer zu
meiden.

Am nächsten Morgen vor Tagesanbruch begann
denn wirklich der große Auszug. Der Weringer, nach-
dem er Weihwasser über die versammelte Familie, über
Knecht und Mägde, die alle mitzogen, dann auch über
Vieh und Hausgeräthe gesprengt und stille gebetet hatte,
eröffnete auf dem Stangenscheck sitzend den Zug. Hinter
ihm fuhr ein Knecht auf einem Steirer Wägelchen die
Weringerin, Bärbl und die Kinder; Severle hatte ein
Lamm, seine kleinere Schwester eine junge Katze im
Arm. Dann kamen mehrere Wagen mit Hausgeräth,
hinter ihnen paarweise oder in kleinen Heerden die ver-
schiedenen Hausthiere, und zuletzt die gesammten Dorf-
bewohner, klein und groß und alt und jung. Es gab
ein schweres Schreien und Weinen, und weil die Sonne
aufging, bevor der Zug über die nächsten Hügel weg
war, so flatterten noch lange die Tücher der Scheiden-
den und Bleibenden in der Luft.

Die Weringerin litt schwer an Heimweh. Sie
war lange nicht zu bewegen, sich die neue Wirthschaft
näher anzusehen. Nur was sie so zu sagen vor den
Fenstern hatte, wurde einer "Schau" gewürdigt. "Da
bin ich noch ein wenig daheim," sagte sie; denn im
Hofe ging ihr Gesinde hin und wieder, da standen
Wagen und Werkzeuge, die sie kannte, im Stalle fand
sie ihr Vieh, in der Küche ihr Geräthe. Höchstens
den Obstgarten am Hofraum betrat sie in den ersten
Tagen noch: ging ja ihr Geflügel, Hühner und Enten,
dort vergnüglich hin und her. Wer weiß, wie lange
es so geblieben wäre, wenn nicht die Dorfkinder eine
Wendung herbeigeführt hätten.

Es war Anfangs Mai, der Wald hatte zu grünen
angefangen, da versammelten sich eines Sonntags Kna-
ben und Mädchen vor Weringers Hofe und riefen:
"Laubmännle heraus! Laubmännle heraus!" Die We-
ringerin fragte am Fenster: "Wen meint ihr?" Die
Kinder erwiederten: "Euer Severle!" Dieser hatte sich
längst in der neuen Heimath zurecht gefunden und wußte,
was bevorstand; wie der Blitz fuhr er zur Thüre hin-
[Spaltenumbruch] aus, und dann gings dem Walde zu. Die Kinder bra-
chen nun Zweige von den Bäumen und banden sie um
den kleinen Weringer, daß nur seine Schuhe sichtbar
blieben. Wo die Augen waren, da wurden kleine
Oeffnungen gelassen, damit er wenigstens sehen konnte,
was um ihn vorging. Als die grüne Umhüllung fertig
war, wurde sie noch von allen Seiten mit farbigen
Tüchern und Bändern behangen; dann nahmen die zwei
ältesten Kinder das Laubmännle in die Mitte und führ-
ten es in das Dorf zurück; paarweise, unter Jubel und
Gesang, folgten die andern. Man zog nun wieder an
den Fenstern des Weringerhofes vorüber und dann auf
den Platz unter den Dorflinden, wo so lange getanzt
und getollt wurde, bis Hunger und Müdigkeit eines
nach dem andern nach Hause trieb. Severle, der sich
glücklich wieder aus den Zweigen gearbeitet hatte, sprang
gegen Abend tanzend zur Thüre herein und sang seiner
Mutter das Lied vor, das er heute gelernt hatte:

Blau Kohl, blau Kohl sind die besten Pflanzen,
Wenn das Mädel gessen hat, hebt es an zu tanzen.
Tanz, Mädel, tanz,
Die Schuhe sind noch ganz;
Sind sie durchgerissen,
Geht's mit bloßen Füßen!

Wie es den Eltern gefällt, wenn man ihre Kin-
der lobt, so wird ihnen auch wohl, wo sie ihre Kinder
glücklich sehen. Die Weringerin war gut gestimmt und
da die Abendsonne noch am Himmel stand, so sagte
sie: "Komm, Alter, wir gehen ein wenig um's Haus
herum."

Der Weringer war gern bereit, diese bessere Stim-
mung zu benützen. Sie gingen durch den Garten und
als die Weringerin ein Stück Mauer eingefallen sah, sagte
sie: "Das darf nicht so bleiben, Alter." Der Werin-
ger war froh, diese Achtsamkeit zu bemerken, und er-
wiederte: "Hast recht, gleich morgen muß die Lucke
weg." Obwohl er bereits den Befehl zur Verbesserung
gegeben hatte, so wollte er doch seinem Weibe den Schein
des Verdienstes lassen. Jetzt zeigte er auf große Stre-
cken Felder und Wiesen bis zum nächsten Walde hin
und sagte: "Sieh, das All' ist unser."

Die Weringerin warf einen flüchtigen Blick hin-
über und wollte schweigend weiter gehen, als sie die
Halsglocken ihrer Kühe hörte, die aus der Thaltiefe
kommend auf dem Heimweg waren. "Wie die den
Weg schon wissen!" sagte sie lächelnd -- "Scheckl!"
Die vorderste Kuh blickte hoch auf. "Sie kennt mich!
Und wie das Thier schon überall daheime ist!" --
Der Weringer trat mit seinem Weibe jetzt auf eine
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Abschied, das alle lieb hatten und das der junge
Beck so sehr verehrte. Darum konnte auch dieser nicht
mitsingen; ihm versagte die Stimme und Bärbl weinte
die ganze Nacht.

Bärbl und Wolfgang mußten also scheiden, und
vielleicht auf immer. Einige ziemlich deutliche Anspie-
lungen, welche der alte Beck über wünschenswerthe
Schwägerschaften fallen ließ, hatte der Weringer über-
hört oder überhören wollen; und nach allem, was ge-
schehen war, mußte dem Weringer daran liegen, keine
Familienverbindungen in einem Orte zurückzulassen, den
er hassend verließ, um ihn zürnend für immer zu
meiden.

Am nächsten Morgen vor Tagesanbruch begann
denn wirklich der große Auszug. Der Weringer, nach-
dem er Weihwasser über die versammelte Familie, über
Knecht und Mägde, die alle mitzogen, dann auch über
Vieh und Hausgeräthe gesprengt und stille gebetet hatte,
eröffnete auf dem Stangenscheck sitzend den Zug. Hinter
ihm fuhr ein Knecht auf einem Steirer Wägelchen die
Weringerin, Bärbl und die Kinder; Severle hatte ein
Lamm, seine kleinere Schwester eine junge Katze im
Arm. Dann kamen mehrere Wagen mit Hausgeräth,
hinter ihnen paarweise oder in kleinen Heerden die ver-
schiedenen Hausthiere, und zuletzt die gesammten Dorf-
bewohner, klein und groß und alt und jung. Es gab
ein schweres Schreien und Weinen, und weil die Sonne
aufging, bevor der Zug über die nächsten Hügel weg
war, so flatterten noch lange die Tücher der Scheiden-
den und Bleibenden in der Luft.

Die Weringerin litt schwer an Heimweh. Sie
war lange nicht zu bewegen, sich die neue Wirthschaft
näher anzusehen. Nur was sie so zu sagen vor den
Fenstern hatte, wurde einer „Schau“ gewürdigt. „Da
bin ich noch ein wenig daheim,“ sagte sie; denn im
Hofe ging ihr Gesinde hin und wieder, da standen
Wagen und Werkzeuge, die sie kannte, im Stalle fand
sie ihr Vieh, in der Küche ihr Geräthe. Höchstens
den Obstgarten am Hofraum betrat sie in den ersten
Tagen noch: ging ja ihr Geflügel, Hühner und Enten,
dort vergnüglich hin und her. Wer weiß, wie lange
es so geblieben wäre, wenn nicht die Dorfkinder eine
Wendung herbeigeführt hätten.

Es war Anfangs Mai, der Wald hatte zu grünen
angefangen, da versammelten sich eines Sonntags Kna-
ben und Mädchen vor Weringers Hofe und riefen:
„Laubmännle heraus! Laubmännle heraus!“ Die We-
ringerin fragte am Fenster: „Wen meint ihr?“ Die
Kinder erwiederten: „Euer Severle!“ Dieser hatte sich
längst in der neuen Heimath zurecht gefunden und wußte,
was bevorstand; wie der Blitz fuhr er zur Thüre hin-
[Spaltenumbruch] aus, und dann gings dem Walde zu. Die Kinder bra-
chen nun Zweige von den Bäumen und banden sie um
den kleinen Weringer, daß nur seine Schuhe sichtbar
blieben. Wo die Augen waren, da wurden kleine
Oeffnungen gelassen, damit er wenigstens sehen konnte,
was um ihn vorging. Als die grüne Umhüllung fertig
war, wurde sie noch von allen Seiten mit farbigen
Tüchern und Bändern behangen; dann nahmen die zwei
ältesten Kinder das Laubmännle in die Mitte und führ-
ten es in das Dorf zurück; paarweise, unter Jubel und
Gesang, folgten die andern. Man zog nun wieder an
den Fenstern des Weringerhofes vorüber und dann auf
den Platz unter den Dorflinden, wo so lange getanzt
und getollt wurde, bis Hunger und Müdigkeit eines
nach dem andern nach Hause trieb. Severle, der sich
glücklich wieder aus den Zweigen gearbeitet hatte, sprang
gegen Abend tanzend zur Thüre herein und sang seiner
Mutter das Lied vor, das er heute gelernt hatte:

Blau Kohl, blau Kohl sind die besten Pflanzen,
Wenn das Mädel gessen hat, hebt es an zu tanzen.
Tanz, Mädel, tanz,
Die Schuhe sind noch ganz;
Sind sie durchgerissen,
Geht's mit bloßen Füßen!

Wie es den Eltern gefällt, wenn man ihre Kin-
der lobt, so wird ihnen auch wohl, wo sie ihre Kinder
glücklich sehen. Die Weringerin war gut gestimmt und
da die Abendsonne noch am Himmel stand, so sagte
sie: „Komm, Alter, wir gehen ein wenig um's Haus
herum.“

Der Weringer war gern bereit, diese bessere Stim-
mung zu benützen. Sie gingen durch den Garten und
als die Weringerin ein Stück Mauer eingefallen sah, sagte
sie: „Das darf nicht so bleiben, Alter.“ Der Werin-
ger war froh, diese Achtsamkeit zu bemerken, und er-
wiederte: „Hast recht, gleich morgen muß die Lucke
weg.“ Obwohl er bereits den Befehl zur Verbesserung
gegeben hatte, so wollte er doch seinem Weibe den Schein
des Verdienstes lassen. Jetzt zeigte er auf große Stre-
cken Felder und Wiesen bis zum nächsten Walde hin
und sagte: „Sieh, das All' ist unser.“

Die Weringerin warf einen flüchtigen Blick hin-
über und wollte schweigend weiter gehen, als sie die
Halsglocken ihrer Kühe hörte, die aus der Thaltiefe
kommend auf dem Heimweg waren. „Wie die den
Weg schon wissen!“ sagte sie lächelnd — „Scheckl!“
Die vorderste Kuh blickte hoch auf. „Sie kennt mich!
Und wie das Thier schon überall daheime ist!“ —
Der Weringer trat mit seinem Weibe jetzt auf eine
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 796. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/4>, abgerufen am 17.07.2024.